Oberlandesgericht Köln Urteil, 02. Sept. 2016 - 19 U 129/15
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 31.07.2015 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 O 368/10 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass sich die vorläufige Vollstreckbarkeit nach diesem Urteil richtet.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil des Landgerichts Aachen vom 31.07.2015 - 11 O 368/10 - und dieses Urteil sind gegen Sicherheitsleistung des Beklagten in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe:
2I.
3Der Kläger macht gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche wegen Springuntauglichkeit und damit Wertlosigkeit seines Pferdes B aufgrund einer vom Beklagten fehlerhaft vorgenommenen Hufschmiedbehandlung geltend.
4Der Kläger erwarb im Jahre 2006 für 14.500 € das Springpferd B und stellte es danach immer wieder erfolgreich auf nationalen und internationalen Turnieren vor, wobei er mit diesem Pferd insgesamt eine Gewinnsumme von 15.513 € erzielte. Im Jahr 2009 nahm B an 18 Turnieren in den Monaten Februar und April bis Anfang August teil. Zuletzt erreichte B am 31.07.2009 bei einer Springprüfung der schweren Klasse einen sechsten Platz und am 02.08.2009 bei dem gleichen Turnier bei einem schweren S-Springen mit drei Sternen ebenfalls den sechsten Platz. Zuvor war B bei diesem internationalen Springturnier gemäß den Regularien der Deutschen Reiterlichen Vereinigung auf Lahmheit hin untersucht worden. Wären dabei Auffälligkeiten aufgetreten, wäre B bei diesem sog. Vet-Check vom zuständigen Tierarzt mit einem Startverbot belegt worden, was nicht der Fall war.
5Am 05.08.2009 nahm der Beklagte bei B wie mit dem Kläger vereinbart das Beschneiden und Beschlagen der Hufe mittels Heißbeschlags vor. Hierbei schnitt er den Huf vorne rechts zu kurz aus, wobei der genaue Umfang zwischen den Parteien streitig ist. Zeitlich nach der Behandlung durch den Beklagten lahmte das Pferd und war als Springpferd nicht mehr einsetzbar.
6Am 06.08.2009 wurde B von dem Zeugen M, bei dem es seit 2006 in stetiger tierärztlicher Behandlung war, untersucht. Auch in den Folgetagen untersuchte der Zeuge M das Tier, so am 08.08., am 11.08., am 14.08. und am 16.08.2009. In der Rechnung vom 27.08.2009 (Bl. 55 d.A.) dokumentierte er diesbezüglich eine „Lahmheitsuntersuchung wegen Vernagelung VL“.
7Am 11.11.2009 fand auf Veranlassung der Haftpflichtversicherung des Beklagten eine gutachterliche Beurteilung von B durch den Zeugen L statt. Auf das schriftliche Ergebnis wird Bezug genommen (Bl. 26 d.A.). Der Kläger holte vorprozessual das Privatgutachten der Pferdesachverständigen C E aus H vom 03.03.2010 ein (Bl. 73 ff d.A.), die den Wert des Pferdes unmittelbar vor der Behandlung durch den Beklagten mit 350.000 € bezifferte. Des Weiteren wurde vorprozessual ein Sachverständigengutachten von Dr. med. vet. H2 von Q vom 24.07.2010 eingeholt (Bl. 67 d.A.). Darin heißt es: „Die entzündlichen Prozesse lassen sich aus meiner Sicht direkt bzw. indirekt dem Einkürzen bzw. Vernageln zuordnen. Die degenerativen Prozesse können aufgrund des fortgeschrittenen Krankheitsverlaufes nicht zugeordnet werden.“ (Seite 6 des Gutachtens, Bl. 72 d. A.).
8Die Haftpflichtversicherung des Beklagten zahlte vorprozessual 10.000 EUR an den Kläger zur freien Verrechnung, die dieser auf Tierarztkosten anrechnete.
9Trotz der Lahmheit wurde B im Jahr 2012 bei einem Dressurwettbewerb eingesetzt und erreichte dort eine Platzierung. B wurde Anfang 2013 eingeschläfert.
10Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe den vorderen rechten Huf erheblich zu kurz geschnitten und mehrere Zentimeter - mehr als 3 cm - zu viel weggenommen; außerdem habe der Beklagte beim Beschlagen des Pferdes am vorderen rechten Huf auch die Huflederhaut verletzt (sog. Vernagelung); diese Verletzung sowie der zu kurz geschnittene Huf seien der Grund für die chronische Lahmheit von B nach dem 05.08.2009. Das Pferd sei danach völlig wertlos gewesen; unmittelbar vor der Behandlung habe es einen Wert von 350.000 € gehabt.
11Der Kläger hat beantragt,
121) den Beklagten zu verurteilen, an ihn 350.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. August 2009 sowie
132) weitere 1.884,84 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2010 zu zahlen.
14Der Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Der Beklagte hat mit der Klageerwiderung zunächst vorgetragen, dass er beim Beschneiden und Beschlagen "den rechten Vorderhuf stark" eingekürzt und vernagelt habe. Mit weiteren Schriftsätzen hat er die Vernagelung bestritten und behauptet, er habe den vorderen rechten Huf nur minimal zu kurz, möglicherweise "einige Raspelstriche zu viel" geschnitten. Deshalb sei es auch lediglich zu einer vorübergehenden akuten Lahmheit von B gekommen, für deren Behandlung vorprozessual bereits vollständig Schadensersatz geleistet worden sei. Die chronische Lahmheit sei demgegenüber nicht auf seine Behandlung, sondern auf degenerative Erkrankungen von B zurückzuführen; diese degenerativen Erkrankungen seien schon deutlich vor dem 05.08.2009 vorhanden gewesen. Der Beklagte hat im Termin vom 12.06.2015 Röntgenbilder aus 2007 überreicht und hierzu behauptet, dass sich auch aus diesen Röntgenbildern ergebe, dass die degenerativen Erkrankungen bereits vor der Hufbehandlung vorgelegen hätten.
17Das Landgericht hat zunächst nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens der Sachverständigen Dr. N und Dr. Q2 C2 und nach mündlicher Anhörung des Sachverständigen Dr. N C2 mit Urteil vom 15.08.2012 (Bl. 386 ff. GA) die Klage abgewiesen. Damals lebte B noch, so dass der Kläger die Zahlung von 350.000 € Schadensersatz Zug um Zug gegen Herausgabe von B sowie Feststellung des Annahmeverzugs des Beklagten beantragt hatte. Auf die Berufung des Klägers hat der Senat mit Urteil vom 09.08.2013 (Bl. 543 ff. GA) das Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landgericht Aachen zurückverwiesen.
18Das Landgericht hat sodann nach erneuter mündlicher Anhörung des Sachverständigen Dr. C2 sowie Vernehmung der Zeugen M, L, C3, Dr. N2 D, D2, N3 und C4 mit Urteil vom 31.07.2015 die Klage erneut abgewiesen.
19Zur Begründung hat es ausgeführt, es könne dahinstehen, ob der Beklagte tatsächlich eine Pflichtverletzung begangen habe, da es jedenfalls am Nachweis eines kausalen Schadens durch den Kläger fehle. Das Landgericht unterscheidet insoweit zwischen akuter und chronischer Lahmheit. Zwar greife hinsichtlich der akuten Lahmheit von B unmittelbar nach dem 05.08.2009 ein Anscheinsbeweis für den Kläger dahingehend, dass diese akute Lahmheit auf fehlerhaftes Beschneiden bzw. Vernageln zurückzuführen sei. Ein Schaden aufgrund akuter Lahmheit sei durch die vorprozessuale Zahlung von 10.000 EUR seitens der Haftpflichtversicherung des Beklagten aber erloschen gem. § 362 Abs. 1 BGB, da der Kläger mit diesem Betrag Tierarztrechnungen beglichen habe.
20Hinsichtlich der chronischen Lahmheit, auf die der Kläger die dauerhafte Wertlosigkeit von B stütze, greife hingegen kein Anscheinsbeweis zu seinen Gunsten ein. Denn der Sachverständige Dr. C2 habe überzeugend ausgeführt, dass die festgestellte Entzündung des Hufgelenks zwar Ursache des Lahmens sein könne, er einen Ursachenzusammenhang zwischen der Hufgelenksentzündung und dem zu starken Einkürzen bzw. Vernageln aber für unwahrscheinlich bis ausgeschlossen halte. Der Sachverständige habe in den degenerativen Veränderungen die wahrscheinliche Ursache für das chronische Lahmen gesehen. Es sei deshalb nicht davon auszugehen, dass sich aus einem akuten Lahmen nach einer fehlerhaften Hufschmiedbehandlung regelmäßig und typischerweise eine chronische Lahmheit entwickele.
21Jedenfalls aber habe der Beklagte den Anscheinsbeweis erschüttert. Denn das Gericht gehe aufgrund der weiteren Beweisaufnahme nach Durchführung des ersten Berufungsverfahrens davon aus, dass jedenfalls die ernsthafte Möglichkeit bestehe, dass es bei B alleine aufgrund von degenerativen Veränderungen zu seiner chronischen Lahmheit gekommen sei. Röntgenbilder aus den Jahren 2003 und 2005 zeigten, dass zum Zeitpunkt der Hufschmiedbehandlung am 05.08.2009 bereits degenerative Veränderungen vorgelegen hätten, wenn auch nur in Röntgenklassen II-III bzw. III, auch hätten nach der Aussage des Zeugen C3 bereits Lahmheitserscheinungen bei B bei dessen Ankauf vorgelegen. Jedenfalls aber hätten am 16.11.2011 (gemeint ist wohl der 16.08.2011) so schwerwiegende degenerative Veränderungen vorgelegen, dass diese nach den Angaben des Sachverständigen die wahrscheinliche Ursache für die chronische Lahmheit gewesen seien, während der Sachverständige einen Zusammenhang mit der Behandlung vom 05.08.2009 für eher unwahrscheinlich gehalten habe. Insoweit habe der Sachverständige auch eine Mitursächlichkeit der akuten Lahmheit und der damit einhergehenden Boxenruhe für die spätere Lahmheit im Grunde verneint.
22Auch unter dem Gesichtspunkt eines groben Behandlungsfehlers sei keine Beweiserleichterung für den Kläger anzunehmen, weil nur dann eine Beweislastumkehr eintrete, wenn der Sekundärschaden, und um einen solchen handele es sich bei der chronischen Lahmheit und Springuntauglichkeit, gerade typische Folge des groben Behandlungsfehlers sei, wovon hier nicht auszugehen sei.
23Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien sowie der tatsächlichen Feststellungen und der Begründung des Landgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Ausführungen in dem Urteil vom 31.07.2015 (Bl. 859 ff. GA) Bezug genommen.
24Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sowie begründete Berufung des Klägers, mit der er seinen erstinstanzlichen Klageantrag auf den von der Sachverständigen Dr. Q2 C2 ermittelten Verkehrswert von 186.000,00 € nebst Zinsen beschränkt und ansonsten sein Vorbringen aus erster Instanz wiederholt, vertieft und ergänzt.
25Der Kläger meint, das Landgericht habe die kausalrechtliche Adäquanz-Theorie verkannt. Weiterhin sei davon auszugehen, dass ein Vernageln vorliege, da der Beklagte sein widersprüchliches Verhalten nicht habe aufklären können.
26Das Landgericht habe bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, dass B auf zahlreichen Turnieren seit Januar 2007 nach vorherigen sogenannten Vet-Checks erfolgreich gewesen sei, ohne dass es zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Lahmheit gekommen sei, aus diesen Gründen sei B auch nie behandelt worden. Degenerative Erscheinungen stellten bei einem Pferd im Alter von 12 Jahren nichts Ungewöhnliches dar und hätten, wie die Erfolgsgeschichte des Pferdes zeige, auf die Nutzbarkeit als Springpferd keinen Einfluss gehabt. Zum Schadenszeitpunkt sei die degenerative Gelenkerkrankung so unbedeutend gewesen, dass eine uneingeschränkte sportliche Nutzung selbst in der schwersten Klasse des Springsportes nicht beeinträchtigt gewesen sei. Bei sachgerechter Anwendung der Adäquanztheorie dürften degenerative Vorschäden zu keinerlei Nachteilen für den Geschädigten führen. Das zu starke Einkürzen und fehlerhafte Vernageln sei für den Eintritt des Schadens nicht gleichgültig gewesen und habe auch nicht nur durch eine Verkettung außergewöhnlicher Umstände den Erfolg herbeigeführt.
27Der Kläger rügt, dass das Landgericht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt habe, dass es weder den Zeugen Tierarzt Dr. von Q noch den sachverständigen Zeugen Dr. N2 D angehört habe. Es habe sich auch nicht mit dem Privatgutachten Dr. N2 D vom 11.04.2012 kritisch auseinandergesetzt, das eine Kausalität zwischen dem Einkürzen und der chronischen Lahmheit vorne rechts anerkannt habe. Dem Beklagten sei auch grobe Fahrlässigkeit beim Einkürzen des Hufes vorzuwerfen.
28Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 23.08.2016 behauptet der Kläger, der Beklagte habe ein vor der Hufbehandlung erforderliches Gespräch mit dem Pferdehalter nicht geführt, wodurch der Beklagte einwilligungslos und damit rechtswidrig gehandelt habe. Zudem sei der Beklagte verpflichtet gewesen, durch fotografische oder sonstige Maßnahmen das Ergebnis seiner Fehlbehandlung festzuhalten, wozu der Kläger die Auffassung vertritt, dass eine Verurteilung auch auf defizitäres beweisrechtliches Management und die dabei begangenen Fehler hilfsweise gestützt werden könne.
29Der Kläger beantragt,
30unter teilweiser Abänderung des am 31.07.2015 verkündeten Urteils der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 186.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.08.2009 zu zahlen.
31Der Beklagte beantragt,
32die Berufung zurückzuweisen.
33Der Beklagte verteidigt das Urteil. Die Beweisaufnahme habe weder ein pflichtwidriges Einkürzen noch eine Vernagelung des Hufes ergeben, der Beklagte habe den Huf nur minimal zu kurz geschnitten. Zu Recht sei das Landgericht von einer fehlenden Kausalität ausgegangen. Dr. von Q sei nicht als Zeuge benannt gewesen und Dr. N2 D sei als Zeuge vernommen worden. Das Gutachten Dr. D beruhe auf der falschen Annahme, dass die zu starke Einkürzung und das Vernageln unstreitig seien, und dass keine Röntgenbilder aus der Zeit vor 2009 vorlägen. Er verweist darauf, dass es nicht um die Haftung eines Tierarztes, sondern eines Hufschmieds gehe, und Friseure, Tätowierer oder Personen, die sich beruflich der Pflege der Füße und Nägel von Menschen widmeten, auch nicht nach den für einen Humanmediziner geltenden Regelungen hafteten.
34Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 12.02.2016 Bezug genommen. Der Senat hat die Parteien persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen L, C4, Dr. N2 D und M sowie durch Anhörung des Sachverständigen Dr. C2. Auf eine Vernehmung der Zeugen von Q, N3 und D2 haben die Parteien verzichtet. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 24.06.2016 sowie 12.08.2016 Bezug genommen.
35II.
36Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 631, 633 Abs. 2 Nr. 2, 634 Nr. 4, 636, 280 I BGB oder einem anderen Rechtsgrund.
371. Weiterhin ist – wie schon im ersten Berufungsverfahren - von einer Pflichtverletzung des Beklagten aus dem Werkvertrag über die Beschneidung und Beschlagung des rechten Vorderhufes von B auszugehen. Denn nach den gem. § 529 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO zugrunde zu legenden Feststellungen des Tatbestands des Urteils des Landgerichts vom 31.07.2015 - wie im Übrigen auch schon des Urteils des Senats vom 09.08.2013 - schnitt der Beklagte zumindest den Huf vorne rechts zu kurz. Auch in der Berufung stellt der Beklagte nicht in Abrede, dass er den Huf überhaupt zu kurz geschnitten hat, sondern bestreitet nur das vom Kläger behauptete Ausmaß.
38Ob der Beklagte den Huf auch vernagelt hat, kann offen bleiben. Der Kläger hat im Termin vom 12.02.2016 insoweit erklärt, dass er seinen Vorwurf maßgeblich auf das pflichtwidrige Einkürzen des Hufs stütze. Soweit der Beklagte erstinstanzlich zunächst die Vernagelung unstreitig gestellt und erst später bestritten hat, handelt es sich nicht um ein gerichtliches Geständnis nach § 288 Abs. 1 ZPO, da das Bestreiten durch den Beklagten bereits vor dem ersten Termin erfolgte. Der Beklagte hat zwar erstmals im Rahmen der ersten Berufung mit Schriftsatz vom 17.07.2013 erklärt, aus welchem Grunde ein Vernageln erst unstreitig gestellt und dann später bestritten worden ist. Die Erklärung, dass der mit der Mandatserteilung übermittelte Auszug aus der Schadenakte keinen Hinweis darauf enthalten habe, dass ein Vernageln nicht zutreffe, und die Sachbearbeiterin dies erst im Rahmen der Besprechung des schriftlichen Gutachtens mit dem Beklagten erfahren habe, hat der Zeuge L insoweit bestätigt, als er angegeben hat, auch er habe keine Rücksprache mit dem Beklagten gehalten und sei aufgrund der Angaben des Klägers und des Zeugen M von einer Vernagelung als feststehender Sachverhalt ausgegangen. Dadurch ist der geänderte Vortrag ausreichend erklärt. Da erstmals vor dem Senat problematisiert worden war, dass der Vortrag widersprüchlich war, erfolgte die Erklärung des Beklagten auch nicht verspätet.
39Der Zeuge M hat zwar im Termin vom 07.03.2014 (vgl. S. 3 des Protokolls, Bl. 616 GA) eine Vernagelung bestätigt und angegeben, das Hufeisen selbst gelöst und den Nagel herausgezogen zu haben, wobei er nicht angeben konnte, welcher Nagel falsch gesetzt gewesen sein sollte und auch ansonsten keine genauen Angaben zur Vernagelung machen konnte. Allerdings musste er seine Angaben auf Vorhalt dahingehend korrigieren, dass er doch nicht das Hufeisen gelöst und den Nagel herausgezogen habe, weil das offenbar der Beklagte am Vorabend selbst gemacht hatte. Inwiefern der Zeuge bei seiner Aussage angesichts der notwendigen Korrektur also überhaupt verlässliche Angaben zu den Nägeln machen konnte, ist nicht ersichtlich. Die Zeugin N3 hat zwar auch angegeben, B sei vernagelt gewesen, im Protokoll finden sich hierzu aber keine näheren Angaben.
40Letztlich kommt es auf diesen Punkt nicht entscheidend an, da der Sachverständige Dr. C2 im Termin vom 07.03.2014 festgestellt hat, dass durch das zu starke Zurückschneiden eine Huflederhautentzündung ausgelöst worden ist, die er auch am 16.08.2011 noch als leichte Huflederhautentzündung habe feststellen können. Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, eine Entzündung des Hufgelenks könne nach seinem Verständnis aus einer Vernagelung nicht herrühren, und er hat auf Nachfrage erläutert, dass dies nur dann nicht gelte, wenn der Nagel in das Hufgelenk getrieben worden wäre. Zu einer solchen Annahme, dass nicht nur vernagelt, sondern darüber hinaus der Nagel auch in das Hufgelenk getrieben worden wäre, würden weder eine eingestandene schlichte Vernagelung durch den Beklagten ausreichen, noch die zum Punkt Vernagelung ohne jegliche Details sehr allgemein gehaltenen Zeugenaussagen.
412. Verschulden des Beklagten liegt gem. § 280 Abs.1 S. 2 BGB vor, da der Beklagte den ihm obliegenden Entlastungsbeweis nicht geführt, insbesondere nicht dargetan hat, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (vgl. Grüneberg in Palandt, BGB, 75. Aufl., § 280 Rn. 40).
423. Streitentscheidend ist hier letztlich die Beweislastverteilung hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden, also dem pflichtwidrigen Einkürzen und der sich anschließenden - dauerhaften - Lahmheit. Dass die Haftpflichtversicherung des Beklagten Ansprüche des Klägers hinsichtlich Tierarztkosten etc. aufgrund einer vorübergehenden Lahmheit mit Zahlung von 10.000 € ausreichend beglichen hat, steht zwischen den Parteien nicht in Streit.
43Grundsätzlich trägt der Gläubiger die Beweislast für die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden, hier also der Kläger. Beweiserleichterungen bis zu einer Beweislastumkehr kommen bei Annahme eines Anscheinsbeweises oder bei groben Behandlungsfehlern in Betracht.
44a. Voraussetzung eines Anscheinsbeweises ist ein sogenannter typischer Geschehensablauf, also ein sich aus der Lebenserfahrung bestätigender gleichförmiger Vorgang, durch dessen Typizität es sich erübrigt, die tatsächlichen Einzelumstände eines bestimmten Geschehens nachzuweisen (vgl. Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl., § 286 Rn. 48). Entgegen dem vom Kläger in der Berufungsbegründung verfochtenen Standpunkt handelt es sich dabei nicht um eine Frage der Adäquanz. Denn die Adäquanz-Theorie dient der Ausgrenzung derjenigen Kausalverläufe, die dem Schädiger billigerweise rechtlich nicht mehr zugerechnet werden können (vgl. Grüneberg in Palandt, a.a.O., vor § 249 Rn. 26).
45Der Senat hält an seiner bisherigen Auffassung fest, dass in der vorliegenden Konstellation vom Vorliegen eines Anscheinsbeweises zwischen Pflichtverletzung des Beklagten (zu starkes Einkürzen des Hufs) sowie dem Schaden (Springuntauglichkeit durch Lahmheit) auszugehen ist. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls lässt der vorliegende Geschehensablauf darauf schließen, dass Ursache für die Springuntauglichkeit die Pflichtverletzung des Beklagten war. Die vom Landgericht vorgenommene Differenzierung zwischen Anscheinsbeweis für akute Lahmheit im Gegensatz zum Anscheinsbeweis für chronische Lahmheit begegnet schon deshalb Bedenken, weil der zeitliche Rahmen unklar ist. Denn es steht fest, dass B bis zur Hufbehandlung durch den Beklagten durchgehend (und ohne größere Pausen) erfolgreich als Springpferd eingesetzt war. Insbesondere enthält der Turnierplan (Bl. 45-48 GA) keine größeren Lücken. Nach dem Turnierplan hat B – nach jeweils kurz zuvor erfolgten Vet-Checks, in denen er auf Lahmheit getestet wurde - im Jahr 2009 an 18 Turnieren in den Monaten Februar und April bis Anfang August teilgenommen und das auch mit Erfolg. Danach steht fest, dass B springtauglich war und als Springpferd eingesetzt werden konnte, während er nach der Hufbehandlung gelahmt hat, nicht mehr springtauglich war und nicht mehr entsprechend eingesetzt wurde, wobei die Huflederhautentzündung noch zwei Jahre später feststellbar war.
46Jedoch hat der Beklagte entsprechend der zutreffenden Ausführungen des Landgerichts den Anscheinsbeweis entkräftet. Ein Anscheinsbeweis kann dadurch entkräftet werden, dass der Beweisgegner Tatsachen zur Überzeugung des Gerichts nachweist, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs im konkreten Fall ergibt (vgl. Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl., § 286 Rn. 65). Ob der Anscheinsbeweis durch den Nachweis der Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs entkräftet ist, ist eine Frage der tatrichterlichen Würdigung (vgl. BGH, VersR 1972, 767 f; Greger, VersR 1980, 1091 ff.). Zu Recht ist das Landgericht aufgrund seiner Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gekommen, dass jedenfalls die ernsthafte - sogar wahrscheinliche - Möglichkeit besteht, dass es bei B alleine aufgrund von degenerativen Veränderungen zu einer chronischen Lahmheit und damit zu seiner - dauerhaften - Springuntauglichkeit gekommen ist.
47Wie bereits in seinem schritlichen Gutachten vom 07.10.2011 (Bl. 211 ff. GA) ausgeführt, hat der Sachverständige Dr. C2 auch im Rahmen seiner Anhörung vom 12.08.2016 (S. 1 ff. des Protokolls der Sitzung vom 12.08.2016, Bl. 1241 ff. GA) erneut bekräftigt, dass die aufgrund der Röntgenbilder nachgewiesenen degenerativen Veränderungen die wahrscheinliche Ursache für die chronische Lahmheit waren und ein Zusammenhang mit der Hufbehandlung unwahrscheinlich ist. Anhand der – nunmehr unstreitig von B - im Jahre 2007 angefertigten Röntgenbilder hat der Sachverständige Dr. C2 festgestellt, dass 2003 ein Chip im rechten Hufgelenk entfernt worden ist, der sich postoperativ noch röntgenologisch nachweisen lässt. Der Röntgenbefund aus 2007 sei in Röntgenklasse III-IV des Röntgenleitfadens 2007 einzuordnen, wobei Befunde dieser Röntgenklasse entgegen der Auffassung des Klägers nicht mehr als marginal oder minimal einzuordnen seien.
48Die Röntgenbilder waren dem Sachverständigen Dr. C2 auch zur Begutachtung vorzulegen. Der Beklagte hat zwar bis heute nicht erläutert, aus welchem Grunde er die Röntgenbilder erst im Termin vom 12.06.2015 vorgelegt hat. Nachdem allerdings das Landgericht die Vorlage und den darauf bezogenen Vortrag des Beklagten in seinem Urteil nicht berücksichtigt und auch nicht als verspätet zurückgewiesen hat - hierauf kam es nach dem Urteil des Landgerichts auch nicht an - scheidet eine Zurückweisung durch den Senat nach § 531 Abs. 1 ZPO aus, da das Berufungsgericht eine von der Vorinstanz unterlassene Zurückweisung nicht nachholen kann (vgl. Beck´scher Onlinekommentar ZPO, § 531 Rn. 2, BGH, Urt. vom 21.01.1981, Az. VIII ZR 10/80 - nach juris). Eine Zurückweisung nach § 531 Abs. 2 ZPO scheidet ebenfalls aus, weil es sich nicht um ein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel handelt. Denn Angriffs- und Verteidigungsmittel sind neu, wenn sie nicht schon in 1. Instanz bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorgebracht worden sind. Hier ergibt sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.06.2015, dass der Schriftsatz nebst Anlagen, u. a. den o. g. Röntgenbildern aus dem Jahre 2007, in der Sitzung überreicht worden ist.
49Der Sachverständige hat zwar ausgeführt, dass sich auch vor dem Hintergrund der Röntgenbilder aus 2007 und auch bei der ständigen Verschlechterung des degenerativen Befunds zum Strahlbein vorne links und rechts nicht sicher sagen lasse, dass die Lahmheit aufgrund der degenerativen Erscheinungen sicher aufgetreten wäre. Zudem könne die Zwangspause der Boxenruhe dazu führen, dass sich akute Lahmheit manifestiere. Allerdings hat der Sachverständige erneut deutlich darauf hingewiesen, dass es „ein höchstseltenes Geschehen“ sei, dass eine chronische Lahmheit durch ein einmaliges (fehlerhaften) Beschlagen eines Hufes auftritt, und dies anhand der von ihm vorgelegten Skizze anschaulich erläutert. Diese Ausführungen stimmen überein mit den Angaben des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten vom 07.10.2011 (Bl. 211 ff. GA) sowie seinen Angaben in den Anhörungen vom 23.07.2012 (Protokoll S. 1 ff., Bl. 360 ff. GA) sowie vom 07.03.2014 (Protokoll S. 11 ff., Bl. 624 ff. GA). Der Sachverständige hatte insoweit angegeben, für seine Untersuchung am 04.01.2010 hätten sich noch Hinweise auf eine mögliche subklinische Pododermatitis, also eine Hufsohlenlederhautentzündung des rechten Vorderhufes ergeben, zu der es aufgrund des zu starken Einkürzens des Hufes gekommen sei. Eine Entzündung der Huflederhaut könne auch chronisch werden. Daneben hätten sich aber röntgenologisch erhebliche Anzeichen auf degenerative Krankheitsprozesse gezeigt. Ob die Lahmheit des rechten vorderen Beines noch immer Folge des Einkürzens des Hufes oder einer Vernagelung gewesen sei, oder ob auch degenerative Krankheitsbilder diese Lahmheit verursacht hätten, könne nicht mehr differenziert werden. Für die Lahmheiten an den anderen Gliedmaßen (vorne links und hinten rechts) könne als Ursache das zu starke Einkürzen des rechten Vorderhufs und dessen Vernagelung ausgeschlossen werden. Bei einer starken chronischen Huflederhautentzündung könne zwar auch eine Entzündung des Knochens entstehen, eine solche habe er aber nicht festgestellt. Auch könne eine Entzündung des Hufgelenks seiner Auffassung nach nicht herrühren von einer zu starken Kürzung des Hufes oder einer Vernagelung.
50Die Ausführungen des Sachverständigen, die dieser auch dem Senat im Rahmen der Anhörung verständlich erläutert hat, waren in sich überzeugend und stimmig und sind zuletzt auch vom Kläger nicht mehr konkret angegriffen worden.
51Der Einschätzung des Sachverständigen steht auch nicht die Stellungnahme des Zeugen Dr. N2 D vom 11.04.2012 (Bl. 356 ff. GA) entgegen. Zum einen ging der Zeuge D davon aus, dass keine Röntgenaufnahmen von vor 2009 vorliegen. Zum anderen geht auch Dr. D letztlich von einem Anscheinsbeweis aus, indem er aufgrund der chronischen Lahmheit nach dem zu starken Einkürzen auf eine Kausalität schließt und dies alleine dem zeitlichen Ablauf entnimmt. Zur Frage eines ernsthaft abweichenden Geschehensablaufs verhält sich die Stellungnahme gar nicht. Im Übrigen hat der als Zeuge vernommene Dr. D im Termin vom 24.06.2016 (vgl. S. 14 f. des Protokolls, Bl. 1101 ff. GA) eingeräumt, dass eine chronische Lahmheit durch ein einmaliges Beschlagen eines Hufes in der Masse nicht der Fall sein dürfte, vielmehr als gefühlte Angabe im einstelligen Prozentbereich liegen dürfte. Auf zusätzlichen Vorhalt des Röntgenbildes des Sachverständigen Dr. C2 vom 16.08.2011 hat der Zeuge angegeben, dass aufgrund des aus dem Röntgenbild ersichtlichen Befunds am Strahlbein die Wahrscheinlichkeit seiner Auffassung nach höher sei, dass das Pferd aufgrund dieses Befunds, als dass es aufgrund eines fehlerhaft beschlagenen Hufes durch zu starkes Einkürzen chronisch gelahmt hat. Auch Dr. D hat damit letztlich zumindest die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs angegeben.
52Gleiches ergibt sich aus den Stellungnahmen von Dr. von Q. Soweit Dr. von Q in seiner Stellungnahme vom 14.01.2010 (Bl. 64 f. GA) die Diagnose Hufbeinprellung und –entzündung im chronischen Stadium gestellt hat, hat auch der Sachverständige Dr. C2 eine solche Entzündung seinen Überlegungen zugrunde gelegt und eine solche sogar noch selbst zum späteren Zeitpunkt vom 16.08.2011 festgestellt. In seinem Untersuchungsbericht vom 24.07.2010 (Bl. 67 ff. GA) gelangt Dr. von Q, der ebenfalls aufgrund der Untersuchung von Röntgenbildern degenerative Erscheinungen ermittelt hat, ebenso wie der Sachverständige Dr. C2 zu der Einschätzung, dass nicht mehr mit Sicherheit angegeben werden könne, welcher der erhobenen Befunde lahmheitsverursachend sei. Auch wenn die entzündlichen Prozesse dem Einkürzen/Vernageln zuzuordnen seien, könnten die degenerativen Prozesse aufgrund des fortgeschrittenen Krankheitsverlaufs nicht zugeordnet werden.
53b. Auch unter dem Gesichtspunkt des groben Behandlungsfehlers kommt im Ergebnis keine Beweislastumkehr zugunsten des Klägers in Betracht, da der - insoweit beweisbelastete - Kläger keinen groben Behandlungsfehler bewiesen hat.
54Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urt. vom 27.04.2004, Az. VI ZR 34/03- nach juris) „führt ein grober Behandlungsfehler, der geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, grundsätzlich zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsfehler. Dafür reicht aus, dass der grobe Behandlungsfehler geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; nahe legen oder wahrscheinlich machen muss der Fehler den Schaden hingegen nicht.“ Eine Umkehr der Beweislast ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur ausgeschlossen, wenn jeglicher haftungsbegründender Ursachenzusammenhang zwischen grobem Behandlungsfehler und Schaden gänzlich fehlt bzw. äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 02.07.2013, Az. VI ZR 110/13; Urt. vom 27.04.2004, Az. VI ZR 34/03 – jeweils nach juris). Insoweit kommt eine Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler auch bei Mitursächlichkeit in Betracht (vgl. BGH, Urt. vom 27.06.2000, Az. VI ZR 201/99 – nach juris), so dass bei B vorliegende degenerative Anzeichen der Umkehr der Beweislast nicht entgegenstehen.
55Auch ist entgegen der Auffassung des Landgerichts in der Lahmheit nicht nur ein Sekundärschaden, sondern ein Primärschaden zu sehen. Grundsätzlich sind Primärschäden die Schäden, die die direkte Folge des Behandlungsfehlers darstellen. Schäden, die dann wiederum aus diesen Primärschäden resultieren, sind Sekundärschäden. Der Bundesgerichtshof hat beispielsweise spätere Verhaltensstörungen eines nach fehlerhafter Geburtseinleitung zur Welt gekommenen Kindes als Primärschaden eingestuft und nicht lediglich den Hirnschaden (BGH, Urt. vom 21.07.1998, Az. VI ZR 15/98 – nach juris), ebenso hat er eine auf einer Netzhautablösung beruhende Schädigung des Sehvermögens als Primärschaden eingestuft (BGH, Urt. vom 16.11.2004, VI ZR 328/03; vgl. auch BGH, Urt. vom 28.06.1988, Az. VI ZR 210/87 – jeweils nach juris: Hodenverkümmerung infolge einer Lungentuberkulose bei unterbliebener Röntgenkontrolle als Primärschaden). Hier ist die Lahmheit aufgrund einer Huflederhautentzündung wie in den genannten Beispielsfällen ein Primärschaden, der für die Springuntauglichkeit ausreicht. Ob eine Lahmheit an weiteren Beinen infolge der Boxenruhe oder aufgrund von degenerativen Vorschäden hinzugekommen ist - insoweit lägen dann Sekundärschaden vor - ist unerheblich. Denn Sinn der Beweiserleichterung im Falle eines groben Behandlungsfehlers ist es gerade, dem Patienten in seiner Beweisnot bei schwierigen Kausalverläufen zu helfen.
56Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. vom 10.05.2016, Az. VI ZR 247/15 - nach juris) sind die in der Humanmedizin entwickelten Rechtsgrundsätze hinsichtlich der Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern auch im Bereich der tierärztlichen Behandlung anzuwenden, da sich beide Tätigkeiten auf einen lebenden Organismus beziehen, bei dem der Arzt zwar das Bemühen um Helfen und Heilung, nicht aber den Erfolg schulden kann. Gerade wegen der Eigengesetzlichkeit und weitgehenden Undurchschaubarkeit des lebenden Organismus kann ein Fehlschlag oder Zwischenfall nicht allgemein ein Fehlverhalten oder Verschulden des Arztes indizieren. Im Hinblick darauf kommt dem Gesichtspunkt, die Beweislastumkehr solle einen Ausgleich dafür bieten, dass das Spektrum der für die Schädigung in Betracht kommenden Ursachen wegen der elementaren Bedeutung des Fehlers besonders verbreitert oder verschoben worden ist, auch bei der tierärztlichen Behandlung eine besondere Bedeutung zu (BGH, a.a.O.).
57Nach Auffassung des Senats sind diese für den Tierarzt geltenden Grundsätze auch auf den Hufschmied anzuwenden. Die Anwendung der Grundsätze des groben Behandlungsfehlers nicht nur auf den grob fehlerhaft handelnden Tierarzt, sondern ebenso auf vergleichbar schwerwiegende Fehler des Hufschmieds ist geboten, weil auch zwischen diesen Berufsgruppen die Sach– und Interessenlage in einer Weise gleich gelagert ist, dass eine unterschiedliche Handhabung nicht gerechtfertigt wäre, zumal sich die Tätigkeit des Hufschmieds ebenso wie die des Tierarztes auf einen lebenden Organismus bezieht. Grund für die Beweiserleichterung im tierärztlichen Bereich ist nach der genannten Entscheidung, dass das Spektrum der für die Schädigung in Betracht kommenden Ursachen gerade durch den schwerwiegenden Verstoß gegen die anerkannten Regeln der tierärztlichen Kunst Aufklärungserschwernisse in das Geschehen hineingetragen hat und dadurch die Beweisnot auf Seiten des Geschädigten vertieft wird. Insoweit ist kein qualitativer Unterschied zwischen dem Fehler des Tierarztes und dem des Hufschmieds erkennbar, was sich gerade auch in dem hier vorliegenden Kausalitätsproblem zeigt. Nach § 1 Abs. 1 HufBeschlG (Hufbeschlagsgesetz) ist die Gesundheit von Huf- und Klauentieren, insbesondere die Leistungsfähigkeit ihres Bewegungsapparates, durch einen sach-, fach- und tiergerechten Huf- und Klauenbeschlag zu erhalten und zu fördern, wozu u.a. die Berechtigung zur Ausübung des Beschlages von Hufen und Klauen und die damit verbundene staatliche Anerkennung zu regeln ist. Hierdurch wird ebenfalls deutlich, dass Hufschmiede anders als Friseure oder Tätowierer auch dem Berufsfeld Gesundheitspflege (von Pferden) zuzuordnen sind. Anders als Fußpfleger greifen Hufschmiede weitergehender in den Organismus ein, indem sie etwa Hufeisen als Heißbeschlag aufbringen und festnageln. Zudem hat die Rechtsprechung auch in weiteren Fällen entsprechende Beweiserleichterungen bei Verletzung von Berufspflichten von Angehörigen, die mit Leben, Körper und Gesundheit zu tun haben, angenommen (vgl. Bademeister-Fall BGH, Urt. vom 13.03.1962 - VI ZR 142/61 - nach juris; Heilpraktiker OLG Hamm, VersR 1987, 1019 – nach juris; Krankenhauspflegepersonal BGH, Urt. vom 10.11.1970 - VI ZR 83/69 - nach juris; Gasinstallateur OLG Celle, Urt. vom 19.02.1986 - 9 U 234/84 - nach juris; Apotheker, OLG Köln, Urt. vom 07.08.2013 - 5 U 92/12 - nach juris; so auch Schiemann in: Staudinger, 2005, Vorbem. zu §§ 249-254, Rn. 96).
58Allerdings hat der Kläger nicht bewiesen, dass der Beklagte einen groben Behandlungsfehler begangen hat.
59Der Sachverständige Dr. C2 hat im Rahmen seiner Anhörung im Termin vom 07.03.2014 (vgl. S. 13 f. des Protokolls vom 07.03.2014, Bl. 626 f. GA) zur Frage eines groben Behandlungsfehlers durch zu starkes Einkürzen des Hufs angegeben, dass dies davon abhänge, wie stark eingekürzt worden sei, wobei es sich um graduelle Unterschiede handele. Er würde von einem groben Behandlungsfehler sprechen, wenn es so massiv gewesen sein solle, wie der Zeuge M das in seiner Vernehmung vom 07.03.2014 beschrieben habe. Hieran hat der Sachverständige Dr. C2 auch in seiner Anhörung vom 12.08.2016 vor dem Senat festgehalten (vgl. S. 6 des Protokolls vom 12.08.2016, Bl. 1246 GA). Diese Einschätzung ist auch vor dem Hintergrund überzeugend, dass nicht schon jedes zu starke Einkürzen grob fehlerhaft sein kann, sondern eben ein gewisses Ausmaß erreicht haben muss, um anstelle eines schlichten einen groben Fehler darzustellen.
60Der Zeuge M hat zwar im Termin vom 07.03.2014 (vgl. S. 3 des Protokolls, Bl. 616 GA) angegeben, es sei viel zu viel weggeschnitten worden, zwei bis drei Zentimeter, so dass kaum noch etwas über der Lederhaut vorhanden gewesen sei. Es sei gerade so viel weggeschnitten worden, dass es noch nicht geblutet habe. Allerdings hat sich der Zeuge M von dieser Aussage im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Senat (vgl. S. 15 ff. des Protokolls vom 24.06.2016, Bl. 1102 ff. GA) ausdrücklich distanziert und statt dessen angegeben, B sei vorne rechts deutlich mehr eingekürzt gewesen als vorne links, wobei er unter deutlich mehr etwa einen halben Zentimeter verstehe, den er mittels Augenmaßes erkannt haben will. Auf die Frage, ob dann am linken Vorderhuf 1,5 bis 2,5 cm weggeschnitten worden seien, hat er angegeben, er habe ja nicht sehen können, wie viel dort weggeschnitten worden sei. Seine Angabe in seinem Bericht vom 14.11.2011, es sei um 20 % bis 30 % zu stark eingekürzt worden (vgl. Bl. 296 GA), hat er damit erläutert, dass in der Beschlagzeit am Huf ca. ein bis anderthalb Zentimeter weggenommen werde, was bei einem halben Zentimeter eine 20 bis 30 % zu starke Kürzung ergebe.
61Die nunmehrigen Angaben des Zeugen reichen schon nicht aus, um einen groben Behandlungsfehler zu begründen. Insoweit hat der zu dieser Aussage seitens des Senats befragte Sachverständige Dr. C2 ausgeführt, dass er sich das Ausmaß nach der seinerzeitigen Aussage des Zeugen M erheblicher vorgestellt habe, und er nach der nunmehrigen Aussage nicht sagen könne, wo die Grenze zu einer grob falschen Behandlung liege (vgl. S. 6 des Protokolls vom 12.08.2016, Bl. 1246 GA).
62Zudem hat der Senat auch vor dem Hintergrund, als es bei der Frage des Vorliegens eines groben Behandlungsfehlers gerade auf graduelle Unterschiede ankommt, Zweifel an der Richtigkeit der nunmehr vom Zeugen M getätigten Aussage, wonach zumindest ein halber Zentimeter deutlich zu viel eingekürzt gewesen sei. Zwar erfordert der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO keine absolute, über jeden denkbaren Zweifel erhabene Gewissheit, jedoch muss eine "persönliche Gewissheit" bestehen, die Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 286 Rn. 19). Diese hat der Senat aufgrund der Aussage des Zeugen M nicht ausreichend erlangen können. Zwar hat der Zeuge M B nach dem Vorfall engmaschig betreut und als Tierarzt besondere Fachkenntnis. Jedoch spricht gegen die Glaubhaftigkeit der jetzigen Angaben des Zeugen der Umstand, dass dieser - mehrfach - entscheidende Aussagen im Nachhinein berichtigen musste. Schon vor dem Landgericht hatte der Zeuge wesentliche Teile seiner Aussage nicht aufrecht erhalten können. So hatte er seine Angaben dazu, das Hufeisen selbst gelöst und auch den falsch gesetzten Nagel selbst herausgezogen zu haben, auf Vorhalt korrigiert. Indem der Zeuge vor dem Senat auch seine Angaben zum Maß des Zurückschneidens entscheidend geändert hat, verlieren dadurch auch seine nunmehrigen Aussagen erheblich an Beweiswert, insbesondere weil der Zeuge auch keinen Grund dafür benennt, warum er damals anders ausgesagt hat. Auch vor dem Landgericht war der Zeuge zur Wahrheitspflicht ermahnt worden, gleichwohl hat er in mehrfacher Hinsicht Angaben gemacht, an denen er im Nachhinein nicht festgehalten hat. Gerade als es um graduelle Unterschiede geht, ist nicht hinreichend sicher, dass die nunmehrigen Angaben ausreichend zuverlässig sind, insbesondere als der Zeuge die Differenz auch nur durch Augenmaß ausgemacht haben will. Zudem bestehen weitere Ungereimtheiten. In seiner Rechnung vom 27.08.2009 hat der Zeuge - neben der Bezeichnung des falschen Hufs - nur die Vernagelung, nicht aber die Kürzung des Nagels genannt, obwohl er nach seinen Angaben im Termin vom 24.06.2016 in der zu starken Einkürzung das Hauptproblem gesehen hat. Auch zum Verlust seiner Röntgenbilder wegen des Überspannungsschadens konnte der Zeuge keine genaue Aussage treffen, obwohl dies im Hinblick auf die damit für die Praxis verbundenen Auswirkungen zu erwarten gewesen wäre. Weiter hat der Zeuge im Termin vom 07.03.2014, also als die entsprechenden Röntgenbilder nicht vorlagen, angegeben, in den von ihm gefertigten Röntgenbildern aus dem Jahr 2007 sei das Pferd in Ordnung gewesen, während der Sachverständige Dr. C2 auf eben diesen Röntgenbildern einen postoperativ röntgenologisch nachweisbaren Befund im betroffenen Hufgelenk und ansonsten nicht mehr als marginal einzustufende degenerative Veränderungen der Röntgenklasse III-IV des Röntgenleitfadens 2007 festgestellt hat (vgl. S. 2 f. des Protokolls vom 12.08.2016, Bl. 1242 f. GA). Auch wenn einzelne Korrekturen oder Ungenauigkeiten einer Aussage noch als lebensnah erscheinen können, verbleiben hier angesichts der Vielzahl der - in entscheidenden Punkten - erfolgten Korrekturen und Ungenauigkeiten Zweifel an der Richtigkeit der Aussage, insbesondere als es um graduelle Unterschiede geht.
63Gegen ein so starkes Beschneiden, dass daraus auf einen groben Behandlungsfehler geschlossen werden könnte, spricht zudem der Umstand, dass der Beklagte einen Heißbeschlag aufgebracht hat, was sich B nach den Angaben des Sachverständigen Dr. C2 bei einem derart starken Einkürzen nicht hätte gefallen lassen (vgl. S. 6 des Protokolls vom 12.08.2016, Bl. 1246 GA sowie S. 14 des Protokolls vom 07.03.2014, Bl. 627 GA). Die hierzu vom Sachverständigen gegebene Erklärung, dass man bei einem so starken Beschneiden "in den Bereich des Lebens" komme, zusätzlich beim Anbrennen der Tragerand noch verkürzt werde, wodurch das Pferd beim Aufbrennen Schmerzen gehabt hätte und sich durch Unmutserklärungen wie Wegspringen oder Wegziehen des Beins bemerkbar gemacht hätte, ist nachvollziehbar und überzeugend. Dafür, dass der Beklagte B trotz von diesem deutlich angezeigter Schmerzen und Abwehrreaktionen einfach weiter beschlagen hätte bzw. hätte beschlagen können, fehlen Anhaltspunkte.
64Der von der Haftpflichtversicherung der Beklagten beauftragte Zeuge L hat zwar im Termin vom 07.03.2014 vor dem Landgericht angegeben, dass am 11.11.2009 der vordere rechte Huf noch nicht vollständig nachgewachsen gewesen sei, und seine Aussage lediglich dahingehend eingeschränkt, dass ein zu starkes Einschneiden für ihn aber auch der vorgegebene Sachverhalt gewesen sei, und er aufgrund der Füllmasse nicht genau habe sehen können, wie viel von dem Huf gefehlt habe (vgl. S. 9 f. des Protokolls, Bl. 622 f. GA). Auch vor dem Senat hat er angegeben, dass der Huf zu kurz gewesen sei, was er aus den angebrachten Füllmassen sowie den für ihn aus der Akte erkennbaren Schilderungen geschlossen habe. Allerdings hat er auch angegeben, dass B zum Zeitpunkt seines Besichtigungstermins bereits beschlagen gewesen sei, was sich auch aus den von ihm überreichen Lichtbildern ergibt (vgl. S. 6 ff. des Protokolls vom 24.06.2016, Bl. 1093 ff. GA sowie Bl. 1116 ff. GA). Auch aufgrund dieser Aussage ist der Senat nicht vom Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers überzeugt, da der Sachverständige Dr. C2 in seiner Anhörung im Termin vom 12.08.2016 angegeben hat, dass in dem Zeitraum zwischen August und November der Huf 3-4 cm habe nachwachsen können, so dass er bis November 2009 hätte nachgewachsen sein müssen (vgl. S. 7 des Protokoll, Bl. 1247 GA). Zudem hat auch der Zeuge L den Huf nicht in unverändertem, sondern nur im erneut beschlagenen Zustand besichtigt. Insoweit ließen sich durch diesen Zeugen keine zulässigen Rückschlüsse mehr auf das Maß des Zurückschneidens ziehen, weil der Huf vor dem erneuten Beschlagen entsprechend vorbehandelt worden war, was der Sachverständige Dr. C2 nachvollziehbar erläutert hat (vgl. S. 7 des Protokolls vom 12.08.2016, Bl. 1247 GA). Aus dem gleichen Grund können auch aus den von dem Zeugen L angefertigten Lichtbildern keine Rückschlüsse auf das Maß des Zurückschneidens durch den Beklagten am 05.08.2009 gezogen werden.
65Die Zeugin C4 hat zwar bestätigt, dass der Huf viel zu kurz, wie bei einem Pony beschnitten worden sei, und auch die Zeugin N3 hat erstinstanzlich angegeben, dass viel zu viel weggeschnitten worden sei. Beide Zeuginnen konnten aber keine genauen Angaben zum Umfang in Zentimetern machen. Da das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers gerade davon abhängt, wie stark genau eingekürzt worden ist, waren beide Aussagen in Bezug auf die erforderlichen graduellen Unterschiede schon nicht hinreichend konkret.
66Soweit der Kläger selbst im Termin vom 24.06.2016 (vergleiche S. 5 des Protokolls, Bl. 1092 GA) angegeben hat, es sei fast so gewesen, dass kein Huf mehr vorhanden gewesen sei, was auch nach 3,5 Monaten so gewesen sei, da kaum etwas nachgewachsen sei, bestehen an diesen Angaben schon deshalb durchgreifende Zweifel, weil der Sachverständige Dr. C2 in seiner Anhörung im Termin vom 12.08.2016 angegeben hat, dass in dieser Zeit der Huf hätte nachgewachsen sein müssen (vgl. S. 7 des Protokoll, Bl. 1247 GA).
67Auch unter Berücksichtigung der schrittweisen Korrektur des Vortrags des Beklagten, der erst eingeräumt hat, den Huf stark beschnitten zu haben, dann den Huf geringfügig zu stark, zuletzt sogar höchstens ein paar Raspelstriche zu viel eingekürzt haben will, gelangt der Senat nicht zu der erheblichen, mehrere Zentimeter zu starken Einkürzung, insbesondere weil der Beklagte den wechselnden Vortrag auch mit fehlerhafter Absprache mit seiner Prozessbevollmächtigten erklärt hat. Selbst wenn der Beklagte wie von der Zeugin C4 angegeben B nach der Behandlung noch aufgesucht und sich bei diesem entschuldigt hätte, könnte auch daraus nicht auf ein bestimmtes Ausmaß des Zurückschneidens geschlossen werden.
68Zum Vernageln hat der Sachverständige Dr. C2 angegeben, dass alleine der Umstand, dass es zu einer Vernagelung komme, noch nicht für einen groben Behandlungsfehler spreche, weil das auch darauf beruhen könne, dass etwa das Pferd im falschen Moment eine Bewegung gemacht oder der Huf in seiner Substanz Schwierigkeiten gemacht habe. Da die Zeugen bei der Hufschmiedbehandlung nicht dabei waren und auch ansonsten keine Angaben im Detail zu einer Vernagelung gemacht haben, ist auch bei Annahme einer Vernagelung noch kein grober Behandlungsfehler bewiesen.
69c. Nachdem zugunsten des Klägers keine Beweislastumkehr greift, ist der Kläger hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität beweisbelastet. Den ihm obliegenden Beweis hat er nicht geführt, da - wie bereits ausgeführt - nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. C2 die chronische Lahmheit zwar auf den Hufbeschlag zurückgehen kann, dies aber unwahrscheinlich ist.
704. Mangels Anspruchs in der Hauptsache besteht auch kein Zinsanspruch.
715. Dem Senat ist eine Befassung mit den neuen Vorwürfen des Klägers im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 23.08.2016 nach §§ 525, 296 a ZPO verwehrt. Ein Grund für die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 ZPO besteht nicht, da das neue Vorbringen auch außerhalb der Berufungsbegründungsfrist nach §§ 530, 520 ZPO vorgebracht worden ist, zudem bereits erstinstanzlich hätte geltend gemacht werden müssen. Unabhängig davon hat der Beklagte B unstreitig im regelmäßigen Turnus beschlagen, kannte B und war auch am 05.08.2009 mit dem Beschneiden und Beschlagen von B beauftragt. Entsprechend führt der Kläger in seiner Berufungsschrift aus, dass die Tätigkeit des Beklagten als renommierten Hufschmiedes mit hoher Erfahrung auf dem Sektor von internationalen Turnier-Springpferden gerade darauf gerichtet gewesen sei, die Erfolgsgeschichte des Pferdes B fortzuschreiben. Vor diesem Hintergrund vermag der Senat eine fehlende Einwilligung des Klägers in die Hufbehandlung ebenso wenig zu erkennen wie eine Pflicht des Beklagten zur Dokumentation seiner Arbeit. Auch wenn der Senat die Grundsätze der Beweislastverteilung bei groben Behandlungsfehlern von Ärzten auf den Tierarzt und von diesem auf den Hufschmied überträgt, folgt daraus noch keine Übertragung (human-) ärztlicher Dokumentationspflichten.
72III.
73Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.
74Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus 709 S.1, S. 2 ZPO.
75Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Rechtsfragen grundsätzlicher Natur, die über den konkreten Einzelfall hinaus von Interesse sein könnten, haben sich nicht gestellt und waren nicht zu entscheiden.
76Berufungsstreitwert: 186.000,00 €
ra.de-Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Köln Urteil, 02. Sept. 2016 - 19 U 129/15
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Oberlandesgericht Köln Urteil, 02. Sept. 2016 - 19 U 129/15
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenOberlandesgericht Köln Urteil, 02. Sept. 2016 - 19 U 129/15 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).
(1) Das Schuldverhältnis erlischt, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird.
(2) Wird an einen Dritten zum Zwecke der Erfüllung geleistet, so finden die Vorschriften des § 185 Anwendung.
(1) Anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen enthält das Urteil
- 1.
die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen, - 2.
eine kurze Begründung für die Abänderung, Aufhebung oder Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.
(1) Die von einer Partei behaupteten Tatsachen bedürfen insoweit keines Beweises, als sie im Laufe des Rechtsstreits von dem Gegner bei einer mündlichen Verhandlung oder zum Protokoll eines beauftragten oder ersuchten Richters zugestanden sind.
(2) Zur Wirksamkeit des gerichtlichen Geständnisses ist dessen Annahme nicht erforderlich.
(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.
(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.
(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.
(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie
- 1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist, - 2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder - 3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen behaupteter ärztlicher Behandlungsfehler. Nach einem Motorradunfall am 10. Mai 1998 wurde die Klägerin in das von der Beklagten zu 1 betriebene Krankenhaus, in dem die Beklagten zu 3 bis 5 als Ärzte tätig waren, eingeliefert. Es wurde festgest ellt, daß sie sich einige Rippen, den dritten Lendenwirbelkörper und das Schulterblatt gebrochen hatte. Nicht bemerkt wurde, daß sie darüber hinaus eine Beckenringfraktur mit einem Sakrumkompressionsbruch rechts davongetragen hatte. Zunächst wurde ihr Bettruhe verordnet. Ab 11. Juni 1998 wurde die Klägerin mobilisiert. Eine Entlastung durch Unterarmgehstützen erfolgte dabei nicht. Einen Tag nach Beginn der Mobilisierung verspürte sie Schmerzen beim Gehen, worauf sie die Schwestern und die behandelnden Ärzte hinwies. Die Beklagten zu 3 bis 5 untersuchten die Klägerin zwar, veranlaßten jedoch keine Röntgenaufnahmen, so daß die Beckenringfraktur weiterhin nicht festgestellt wurde. Sie verordneten auch bei der weiteren Mobilisierung keine (Teil)entlastung durch Unterarmgehstützen. Am 17. Juni 1998 wurde die Klägerin entlassen. Wegen fortdauernder Beschwerden begab sie sich anderweitig in ärztliche Behandlung. Im Rahmen dieser Behandlung wurde am 3. Juli 1998 mit Hilfe einer Beckenübersichtsaufnahme der Beckenringbruch diagnostiziert. Dieser Bruch ist mit einer leichten Verschiebung zusammengewachsen. In einem Gutachten des ärztlichen Dienstes vom 17. Februar 1999 wurde eine nicht korrekte Ausheilung der Fraktur mit verbliebener Pseudarthrose festgestellt. Die Klägerin behauptet, es sei behandlungsfehlerhaft gewesen, daß die Beckenringfraktur nicht schon im Krankenhaus erkannt und mit der Mobilisierung nicht zugleich eine Teilentlastung angeordnet worden sei. Auf diese Be-handlungsfehler sei die bei ihr festgestellte Pseudarthrose zurückzuführen. Als Folge der Fehlbehandlung leide sie außerdem unter ständigen Schmerzen u.a. in der rechten Leiste, der rechten Gesäßhälfte, beim Liegen und beim Geschlechtsverkehr sowie unter einem Dranggefühl. Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 20.451,68 € sowie die Feststellung , daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihr sämtliche nach dem 1. April 2000 entstehenden materiellen Schäden aus ihrer stationären Behandlung im Krankenhaus der Beklagten zu 1 zu erstatten, soweit solche Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung der Klage gegen den Beklagten zu 2 richtete. Auf die Berufung der Klägerin hat es die Beklagten zu 1, 3, 4 und 5 zur Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe von 3.000 € nebst Zinsen verurteilt. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision der Klägerin, mit der diese den vollen Klageantrag gegen die Beklagten zu 1, 3, 4 und 5 weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Klägerin könne von der Beklagten zu 1 und von den Beklagten zu 3 bis 5 die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 3.000 € verlangen. Den Beklagten sei als Behandlungsfeh-ler anzulasten, daß sie keine Röntgenaufnahme des Beckens anfertigen ließen, obwohl die Klägerin im Anschluß an die Mobilisierung über Schmerzen geklagt habe. Mit Hilfe dieser - medizinisch gebotenen - diagnostischen Maßnahme wäre die Beckenringfraktur nämlich festgestellt worden. Alsdann wäre es schlechthin unverständlich und grob fehlerhaft gewesen, die Mobilisierung ohne Teilentlastung durch Unterarmgehstützen fortzusetzen. Als Folgen des Behandlungsfehlers habe die Klägerin vom Abend des zweiten Tages nach Beginn der Mobilisierung bis zur Feststellung des Beckenringbruchs am 3. Juli 1998 unter vermeidbaren Schmerzen gelitten. Dazu habe sich der Heilungsprozeß entsprechend verzögert. Zwar könne die Klägerin nicht den Vollbeweis dafür führen , daß diese Schadensfolgen auf den Behandlungsfehler zurückzuführen seien. Ihr kämen jedoch hinsichtlich der Ursächlichkeit Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen zur Verletzung der Pflicht zur Erhebung und Sicherung medizinischer Befunde zugute, weshalb insoweit die Wahrscheinlichkeit der Verursachung für den Kausalitätsnachweis ausreiche. Hingegen könne nicht festgestellt werden, daß das Nichterkennen der Beckenringfraktur nach Beginn der Mobilisierung zu weitergehenden negativen Folgen für die Klägerin geführt habe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, daß es weder während der Bettlägerigkeit der Klägerin noch bei ihrer anschließenden Mobilisierung zu einer Verschiebung des Bruches gekommen sei. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte sich am Heilungsverlauf nichts verändert, wenn die Beckenringfraktur bereits früher festgestellt und dementsprechend eine Teilentlastung durch Unterarmgehstützen bei Beginn der Mobilisierung angeordnet worden wäre. Zwar sei nicht völlig auszuschließen , daß der festgestellte Behandlungsfehler gewisse Auswirkungen auf den Heilungsverlauf und das Heilungsergebnis gehabt habe. Dies sei im Ergebnis aber so unwahrscheinlich, daß auch unter Berücksichtigung der grundsätzlich möglichen Beweiserleichterungen nicht von einer Mitursächlichkeit des Behand-
lungsfehlers für die von der Klägerin geltend gemachten weiteren Folgen ausgegangen werden könne. Allerdings scheide nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum groben Behandlungsfehler eine mögliche Beweislastumkehr nur dann aus, wenn es gänzlich unwahrscheinlich sei, daß der grobe Behandlungsfehler zu dem eingetretenen Körperschaden des Patienten geführt habe. Ein derartiger Grad an Unwahrscheinlichkeit werde hier nicht anzunehmen sein, weil der Sachverständige einen Wahrscheinlichkeitsgrad von bis 90% dafür genannt habe, daß sich am Heilungsverlauf nichts verändert habe. Jedoch müßten dem Patienten Beweiserleichterungen zur Kausalität auch dann, wenn die Voraussetzungen dafür grundsätzlich vorlägen, nicht notwendigerweise zugebilligt werden. Außerdem müsse nicht stets die sehr weitgehende Form der Umkehr der (subjektiven) Beweislast zum Tragen kommen. Vielmehr gebe es auch Beweiserleichterungen unterhalb der Schwelle der Beweislastumkehr. Es liege in der Verantwortung des Tatrichters, im Einzelfall über die Zubilligung von Beweiserleichterungen sowie über deren Umfang, Qualität und jeweilige Reichweite zu entscheiden. Nach diesen Grundsätzen komme vorliegend eine Beweislastumkehr in der Kausalitätsfrage jedenfalls nicht für denjenigen Körperschaden in Betracht, der über vermeidbare Schmerzen und eine verzögerte Heilung in dem Zeitraum zwischen Beginn der Mobilisierung und Feststellung des Beckenringbruchs hinausgehe. Dafür sei neben der vergleichsweise hohen Wahrscheinlichkeit, daß sich das verzögerte Erkennen des Beckenringbruchs auf den weiteren Heilungsverlauf nicht ausgewirkt habe, der Umstand maßgeblich, daß die versäumte Befunderhebung für die Aufklärung des Sachverhalts keine wesentlichen Schwierigkeiten herbeigeführt habe. Daß eine Beckenringfraktur des später festgestellten Typs schon beim Unfall entstanden sei, lasse sich auch aus den nachträglich angefertigten Röntgenaufnahmen feststellen. Unabhängig vom Zeitpunkt der Feststellung der Fraktur stehe fest, daß die konservative Behand-
lung mit der tatsächlich erfolgten vierwöchigen Bettruhe eine zumindest gut vertretbare Behandlungsmethode gewesen sei. Schließlich komme es bei derartigen Frakturen in einer größeren Zahl der Fälle auch bei fehlerfreier Behandlung zur Ausbildung einer Pseudarthrose und zu einem für den Patienten unbefriedigenden Heilungsergebnis. Die Klägerin sei daher beweisfällig geblieben. Beweiserleichterungen unterhalb der Beweislastumkehr würden ihr angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, daß sich bei früherem Erkennen der Fraktur und Mobilisierung unter Teilentlastung durch Unterarmgehstützen am späteren Heilungsverlauf nichts geändert hätte, nicht weiterhelfen. Die Berufung habe auch hinsichtlich des Feststellungsantrags keinen Erfolg. Da Folgen des Behandlungsfehlers ausschließlich für die Zeit bis zum 3. Juli 1998 hätten festgestellt werden können, bestünden keine Anhaltspunkte für die Möglichkeit künftiger materieller Schäden als Folge des Behandlungsfehlers.
II.
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. 1. Ohne Rechtsfehler und von der Revision als ihr günstig nicht angegriffen hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, daß eine Abklärung der von der Klägerin nach Beginn der Mobilisierung geklagten Schmerzen durch eine Röntgenaufnahme hätte veranlaßt werden müssen, daß die Beckenringfraktur bei dieser Untersuchung erkannt worden wäre und daß eine Fehlreaktion auf diesen Befund, insbesondere eine Fortsetzung der Mobilisierung ohne gleichzeitige (Teil)Entlastung durch Unterarmgehstützen schlechthin unver-ständlich und grob fehlerhaft gewesen wäre. Die Revision wendet sich auch nicht gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, es sei zwar nicht auszuschließen , daß der festgestellte Behandlungsfehler die Pseudarthrose und die weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin mitverursacht habe, dies sei jedoch unwahrscheinlich, wenn auch nicht gänzlich unwahrscheinlich. 2. Auf dieser Grundlage beanstandet die Revision jedoch zu Recht, daß das Berufungsgericht eine Beweislastumkehr hinsichtlich der ursächlichen Auswirkungen des Behandlungsfehlers verneint hat.
a) Das Berufungsgericht meint, aus der Rechtsprechung des erkennenden Senats ergebe sich, daß es in der Verantwortung des Tatrichters im Einzelfall liege, über die Zubilligung von Beweiserleichterungen sowie über Umfang und Qualität der eintretenden Beweiserleichterungen zu entscheiden. Das trifft jedoch in dieser Form nicht zu.
b) Zwar hat der erkennende Senat verschiedentlich die Formulierung verwendet, daß ein grober Behandlungsfehler, der geeignet sei, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, für den Patienten „zu Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast“ führen könne (vgl. Senatsurteile BGHZ 72, 132, 133 f.; 85, 212, 215 f.; vom 16. Juni 1981 - VI ZR 38/80 - VersR 1981, 954, 955; vom 7. Juni 1983 - VI ZR 284/81 - VersR 1983, 983, 984; vom 29. März 1988 - VI ZR 185/87 - VersR 1988, 721, 722; vom 18. April 1989 - VI ZR 221/88 - VersR 1989, 701 f.; vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96 - VersR 1997, 362, 363). Insofern kommt jedoch dem Begriff "Beweiserleichterungen" gegenüber der Beweislastumkehr keine eigenständige Bedeutung bei. Soweit es in einigen Entscheidungen heißt (vgl. Senatsurteile vom 28. Juni 1988 - VI ZR 217/87 – VersR 1989, 80, 81; vom 26. Oktober 1993 - VI ZR 155/92 - VersR 1994, 52, 53; vom 4. Oktober 1994 - VI ZR 205/93 -
VersR 1995, 46, 47), daß das Ausmaß der dem Patienten zuzubilligenden Beweiserleichterungen im Einzelfall danach abzustufen sei, in welchem Maße wegen der besonderen Schadensneigung des Fehlers das Spektrum der für den Mißerfolg in Betracht kommenden Ursachen verbreitert oder verschoben worden sei, betrifft dies die Schadensneigung des groben Behandlungsfehlers, also die Frage seiner Eignung, den Gesundheitsschaden des Patienten herbeizuführen. Insoweit geht es um die Bewertung und beweisrechtlichen Konsequenzen eines groben Behandlungsfehlers im konkreten Einzelfall.
c) Das hat der erkennende Senat in zahlreichen neueren Entscheidungen verdeutlicht und dabei klargestellt, daß es der Sache nach um die Umkehr der Beweislast geht und daß deren Verlagerung auf die Behandlungsseite im Hinblick auf die geringe Schadensneigung des Fehlers nur ausnahmsweise dann ausgeschlossen ist, wenn der Ursachenzusammenhang zwischen grobem Behandlungsfehler und Schaden gänzlich bzw. äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 129, 6, 12; 138, 1, 8; vom 24. September 1996 - VI ZR 303/95 - VersR 1996, 1535, 1536; vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96 - VersR 1997, 362, 364; vom 27. Januar 1998 - VI ZR 339/96 - VersR 1998, 585, 586; vom 27. Juni 2000 - VI ZR 201/99 - VersR 2000, 1282, 1283).
d) Bei dieser Betrachtungsweise kann der Formulierung „Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr“ nicht die Bedeutung zukommen, die das Berufungsgericht ihr beilegen will. Vielmehr führt ein grober Behandlungsfehler , der geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen , grundsätzlich zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden. Dafür reicht aus, daß der grobe Behandlungsfehler geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; nahelegen oder wahrscheinlich machen muß der Fehler den Schaden hingegen nicht (vgl. Senatsurteile BGHZ
85, 212, 216 f.; vom 24. September 1996 - VI ZR 303/95 - aaO - jeweils m.w.N.; vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96 - aaO; Nichtannahmebeschluß vom 3. Mai 1994 - VI ZR 340/93 - VersR 1994, 1067). Deshalb ist eine Verlagerung der Beweislast auf die Behandlungsseite nur ausnahmsweise ausgeschlossen, wenn jeglicher haftungsbegründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 129, 6, 12; 138, 1, 8; vom 24. September 1996 - VI ZR 303/95 - aaO; vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96 - aaO; vom 27. Januar 1998 - VI ZR 339/96 - aaO; vom 27. Juni 2000 - VI ZR 201/99 - aaO). Gleiches gilt, wenn sich nicht das Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen läßt (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 1981 - VI ZR 38/80 - aaO) oder wenn der Patient durch sein Verhalten eine selbständige Komponente für den Heilungserfolg vereitelt hat und dadurch in gleicher Weise wie der grobe Behandlungsfehler des Arztes dazu beigetragen hat, daß der Verlauf des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufgeklärt werden kann (vgl. KG, VersR 1991, 928 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 19. Februar 1991 - VI ZR 224/90; OLG Braunschweig, VersR 1998, 459 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 20. Januar 1998 - VI ZR 161/97). Das Vorliegen einer derartigen Ausnahmekonstellation hat allerdings der Arzt zu beweisen (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 1981 - VI ZR 38/80 - aaO; vom 28. Juni 1988 - VI ZR 217/87 - aaO; Groß, Festschrift für Geiß, S. 429, 431).
e) Liegen die oben dargestellten Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr vor, so darf sich der Tatrichter nicht darauf beschränken, dem Patienten statt der vollen Beweislastumkehr lediglich abgestufte Beweiserleichterungen zu gewähren, die im übrigen - wie das Berufungsgericht erkennt - der durch den Behandlungsfehler geschaffenen Beweisnot nicht abhelfen könnten. Diese Betrachtungsweise trägt auch den im Schrifttum geäußerten Bedenken Rechnung, daß ein "Ermessen" des Tatrichters bei der Anwendung von Beweislastregeln
dem Gebot der Rechtssicherheit zuwiderlaufen würde. Nach diesem müssen der Rechtssuchende bzw. sein Anwalt in der Lage sein, das Prozeßrisiko in tatsächlicher Hinsicht abzuschätzen. Des weiteren würde die Gleichheit der Rechtsanwendung infolge richterlicher Willkür gefährdet sein (vgl. Laumen, NJW 2002, 3739, 3741 m.w.N.; Leipold, Beweismaß und Beweislast im Zivilprozeß S. 21, 26; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 468 f.; Baumgärtel, Handbuch der Beweislast, 2. Aufl., § 823 Anhang C II Rdn. 3; Laufs-Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 110 Rdn. 3). Deshalb erfolgt die Zuweisung des Risikos der Klärung eines entscheidungserheblichen Tatbestandsmerkmals und damit die Verteilung der objektiven Beweislast in abstrakt-genereller Form. Sie muß vor dem Prozeß grundsätzlich feststehen und kann auch während des Prozesses nicht ohne weiteres vom Gericht nach seinem Ermessen verändert werden (vgl. BVerfG, NJW 1979, 1925; Laumen, NJW 2002, aaO). Eine flexible und angemessene Lösung wird im Arzthaftungsprozeß im Einzelfall dadurch gewährleistet , daß dem Tatrichter die Wertung des Behandlungsgeschehens als grob fehlerhaft vorbehalten ist, wobei er freilich die Ausführungen des medizinischen Sachverständigen zugrundezulegen hat (vgl. Senatsurteile BGHZ 138, 1, 6 f.; vom 3. Juli 2001 - VI ZR 418/99 - VersR 2001, 1116 f. und vom 29. Mai 2001 - VI ZR 120/00 - VersR 2001, 1030 f. jeweils m.w.N.).
f) Diese dargestellten Grundsätze gelten nicht nur für den Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen einem groben Behandlungsfehler und dem eingetretenen Gesundheitsschaden, sie gelten entsprechend für den Nachweis des Kausalzusammenhangs bei einem einfachen Befunderhebungsfehler, wenn - wie im vorliegenden Fall - zugleich auf einen groben Behandlungsfehler zu schließen ist, weil sich bei der unterlassenen Abklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, daß sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn als grob fehlerhaft darstellen würde, d.h. für die zweite Stufe der vom Senat ent-
wickelten Beweiserleichterungen nach einem einfachen Befunderhebungsfehler (vgl. dazu Senatsurteile BGHZ 132, 47, 52 ff.; vom 6. Juli 1999 - VI ZR 290/98 – VersR 1999, 1282, 1283; vom 29. Mai 2001 – VI ZR 120/00 – aaO; vom 8. Juli 2003 - VI ZR 394/02 – VersR 2003, 1256, 1257; vom 23. März 2004 - VI ZR 428/02 - zur Veröffentlichung vorgesehen - jeweils m.w.N.; Groß, aaO, S. 429, 432 ff.; Steffen, Festschrift für Hans Erich Brandner, S. 327, 334 ff.). Ist das Verkennen des gravierenden Befundes oder die Nichtreaktion auf ihn generell geeignet, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen , tritt also - wenn nicht ein Ursachenzusammenhang zwischen dem ärztlichen Fehler und dem Schaden äußerst unwahrscheinlich ist - grundsätzlich eine Beweislastumkehr ein. In einem derartigen Fall führt nämlich bereits das - nicht grob fehlerhafte - Unterlassen der gebotenen Befunderhebung wie ein grober Behandlungsfehler zu erheblichen Aufklärungsschwierigkeiten hinsichtlich des Kausalverlaufs. Es verhindert die Entdeckung des wahrscheinlich gravierenden Befundes und eine entsprechende Reaktion darauf mit der Folge, daß hierdurch das Spektrum der für die Schädigung des Patienten in Betracht kommenden Ursachen besonders verbreitert oder verschoben wird (Groß, aaO, S. 435).
g) So verhält es sich entgegen der Auffassung des Beru fungsgerichts auch im vorliegenden Fall. Der (einfache) Befunderhebungsfehler der Beklagten hat die gebotene und zur Vermeidung des eingetretenen Schadens geeignete Reaktion auf die Beckenringfraktur verhindert und damit die Aufklärung des hypothetischen weiteren Krankheitsverlaufs, der für die Klägerin erheblich günstiger hätte sein können, erschwert. Mithin hätte sich ohne das Fehlverhalten der Beklagten gezeigt, ob bei der Klägerin auch bei fehlerfreier Behandlung des Beckenringbruchs Dauerfolgen in Form einer Pseudarthrose und von andauernden Schmerzen aufgetreten wären.
III.
Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben . Es ist aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Müller Greiner Diederichsen
Pauge Zoll
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Kläger nimmt den Beklagten auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in Anspruch.
- 2
- Der Beklagte betreute den 1952 geborenen Kläger medizinisch seit 2004 wegen eines diabetischen Fußsyndroms. Am 27. März 2009 verordnete er einen sogenannten Cast, um den linken Fuß vollständig ruhig zu stellen. Am 21. April 2009 kam der Kläger mit einer neu aufgetretenen Risswunde an der linken großen Zehe in die Praxis des Beklagten. Dieser nahm wegen Entzündungsanzeichen einen Wundabstrich. Am 23. April 2009, einem Donnerstag, versorgte der Beklagte die Wunde. Das Laborergebnis für den Abstrich lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Der für den nächsten Tag in Aussicht genommene Termin zum Verbinden wurde von einer Hilfskraft im Einverständnis mit dem Beklagten auf Montag, den 27. April 2009, verschoben, weil am 24. April 2009 keine Termine mehr frei waren. Der Beklagte war an diesem Tag nicht in der Praxis anwesend, doch war diese besetzt. Der Laborbefund für den am 21. April 2009 genommenen Wundabstrich ging am Nachmittag des 24. April 2009 in der Praxis ein. Er wies einen massiven Befall mit dem Keim Staphylococcus aureus auf. Der Befund wurde in der Praxis des Beklagten nicht beachtet. Am 25. April 2009 wurde der Kläger mit Fieber und Schüttelfrost von seinen Familienangehörigen in die Notaufnahme der medizinischen Hochschule H. gebracht. Dort wurde eine Antibiose mit Penicillin eingeleitet. Da sich bis zum 26. April 2009 abends keine Wirkung zeigte, wurde der Infektion mit dem gewebegängigen Antibiotikum Clindamycin entgegengewirkt. Bei einer Röntgenuntersuchung wurde festgestellt, dass der Kläger im Mittelfuß einen Ermüdungsbruch erlitten und sich an der Bruchstelle das Knochenmark entzündet hatte. Am 18. Mai 2009 musste eine Gelenkversteifung durchgeführt werden.
- 3
- Das Landgericht hat auf der Grundlage der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Sch. die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht nach entsprechendem Hinweisbeschluss einstimmig durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
- 4
- 1. Das Berufungsgericht hält sich gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Feststellungen des Landgerichts für gebunden. Danach hätten sich Fehler bei der Kontrolle des Cast nicht auf den Entzündungsverlauf der Wunde ausge- wirkt. Der Kläger habe die Kausalität eines etwaigen Fehlers des vom Beklagten verordneten Cast wegen der nicht vorhandenen Abrollsohle für den geltend gemachten Schaden nicht bewiesen. Die Entwicklung der Infektion könne schon deshalb nicht durch den Cast begünstigt worden sein, weil der Kläger ihn unstreitig am 24. April 2009 nicht mehr getragen habe. Die Wunde sei bis zum 23. April 2009 lege artis behandelt worden. Allein die Tatsache des Vorliegens einer infizierten Wunde rechtfertige keine Antibiose, zumal vor dem Vorliegen des Laborbefunds der voraussichtlich zu bekämpfende Keim nicht bekannt gewesen sei und damit das im konkreten Fall einzusetzende Antibiotikum nicht habe bestimmt werden können. Der Beklagte hafte auch nicht dafür, dass er den am 24. April 2009 eingegangenen Laborbefund mit dem positiven Nachweis einer Infektion mit Staphylococcus aureus nicht zur Kenntnis genommen und umgehend darauf reagiert habe. Allerdings habe der Beklagte es am 24. April 2009 fehlerhaft unterlassen, den Kläger über den Befund zu informieren und aufzufordern, sich bei einer Verschlechterung zu melden. Dieses Unterlassen habe sich aber nicht auf den weiteren Krankheits- bzw. Heilungsverlauf negativ ausgewirkt, weil es am 24. April 2009 medizinisch noch nicht geboten gewesen sei, eine Antibiose einzuleiten oder den Kläger in das Krankenhaus einzuweisen. Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. Sch. habe die inseinem schriftlichen Gutachten vom 21. März 2012 vertretene Auffassung bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht am 12. Juli 2012 überzeugend und nachvollziehbar dahingehend revidiert, dass bei fehlenden Zeichen eines akuten Infektionsgeschehens habe abgewartet werden können. Dass der Sachverständige seine in seinem schriftlichen Gutachten getroffene Aussage in der mündlichen Verhandlung revidiert, relativiert oder spezifiziert habe, führe nicht zu einem Widerspruch, der seine Aussage als solche als unverwertbar und unglaubwürdig oder gar den Sachverständigen als befangen erscheinen lassen würde. Solche vermeintlichen Widersprüche ließen sich - wie vorliegend - mit der Klarstellung der rechtlich relevanten Anknüpfungstatsachen erklären und stellten damit nicht den Sachverstand des Gutachters als solches in Frage. Die Einholung eines Obergutachtens nach § 412 ZPO sei daher nicht erforderlich. Bei zutreffender Betrachtung sei der Sachverständige zu dem überzeugenden Ergebnis gekommen, dass zugewartet werden könnte, wenn sich der klinische Befund nicht wesentlich anders als am Vortag dargestellt habe, weil mit der dramatischen Wendung aufgrund der langen Krankengeschichte nicht zu rechnen gewesen sei. Dies habe der Sachverständige verständlich damit erläutert, dass der Staphylococcus aureus auch ein Hautkeim sei und sich ohne Blutnachweis nicht erkennen lasse, ob er pathogen auftrete und folglich mittels Antibiose zu behandeln sei. Dass sich der klinische Befund des Klägers am 24. April 2009 nicht wesentlich verändert habe und keine Anzeichen einer gravierenden Infektion über das Vorhandensein der offenen Wunde hinaus vorhanden gewesen seien, sei unstreitig und werde vom Kläger mit der Berufung auch nicht geltend gemacht. Der Kläger könne nicht den Nachweis führen, dass sich das pflichtwidrige Zuwarten des Beklagten negativ auf seinen Gesundheitszustand ausgewirkt habe. Er könne sich nicht auf eine Beweislastumkehr berufen, da in der unterlassenen Berücksichtigung des Befundes am 24. April 2009 jedenfalls kein grober Befunderhebungsfehler zu sehen sei. Auch die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr bei einem einfachen Befunderhebungsfehler seien nicht gegeben. Es sei irrelevant, dass der Sachverständige in der mündlichen Anhörung bekundet habe, bei einer Antibiose am 24. April 2009 hätte die spätere Operation mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vermieden werden können. Die Kausalität müsse zwischen der vorwerfbaren Nichtreaktion - hier der unterlassenen Information und Aufklärung über den Laborbefund - und dem eingetretenen Schaden bestehen, nicht zwischen einem nachträglich wünschenswerten Handeln - der Antibiose. Entscheidend sei, dass nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sei, dass sich am 24. April 2009 überhaupt ein deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte. Da die Wahrscheinlichkeit des deutlichen oder gravierenden Befunds Bedingung der Beweislastumkehr beim einfachen Befunderhebungsfehler sei, sei die Frage der fundamentalen Verkennung der fiktiven rechtzeitigen Befundauswertung irrelevant. Auch in der Gesamtbetrachtung des Gesamtgeschehens liege kein grober Behandlungsfehler vor.
- 5
- 2. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
- 6
- a) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht dem Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung nicht nachgegangen ist, dass die in der mündlichen Anhörung vor dem Landgericht am 12. Juli 2012 geänderte neue Bewertung des Behandlungsgeschehens durch den gerichtlichen Sachverständigen ohne schlüssige und nachvollziehbare Erklärung erfolgt ist (vgl. Senatsurteile vom 8. Juli 2008 - VI ZR 259/06, VersR 2008, 1265 und vom 22. Mai 2007 - VI ZR 35/06, BGHZ 172, 254, 259 f. Rn. 20). Verfahrensfehlerhaft hat sich das Berufungsgericht an die Feststellungen des Landgerichts für gebunden gehalten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
- 7
- aa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen nur gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich aus Fehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. Senatsurteil vom 8. Juni 2004 - VI ZR 230/03, BGHZ 159, 254, 258 und BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 272; Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drs. 14/4722, S. 100; Rimmelspacher , NJW 2002, 1897, 1901; Stackmann, NJW 2003, 169, 171). Zweifel im Sinne dieser Vorschrift liegen schon dann vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 2003 - VI ZR 361/02, NJW 2003, 3480, 3481; Begründung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 14/6036 S. 124). Dies gilt grundsätzlich auch für Tatsachenfeststellungen, die auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens getroffen worden sind. In diesem Fall können unter anderem die - hier von der Nichtzulassungsbeschwerde gerügten - die Geeignetheit in Frage stellenden Widersprüche des Gutachtens Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen wecken (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 2003 - VI ZR 361/02, aaO; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 529 Rn. 9). Versäumt das Gericht, Unklarheiten oder Widersprüche im Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen aufzuklären, ist das ein Verfahrensfehler (Verstoß gegen § 286 ZPO). Erkennbar widersprüchliche Gutachten sind keine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts. In der Berufung ist deshalb eine Bindung des Berufungsgerichts an die Feststellungen der ersten Instanz nicht gegeben (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Das Urteil unterliegt vielmehr auf Rüge der Aufhebung (vgl. Senat, Urteil vom 8. Juni 2004 - VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 249).
- 8
- bb) Mit Recht rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, dass das Berufungsgericht dem Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung zu den Widersprüchen im Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen und der mangeln- den Eignung für die richterliche Überzeugungsbildung nicht in gebotener Weise nachgegangen ist. Dadurch, dass das Berufungsgericht im Hinweisbeschluss die Ausführungen des Landgerichts lediglich weitgehend wiederholt hat, ohne den in der Berufungsbegründung erhobenen Einwänden des Klägers sachlich etwas entgegenzusetzen, verletzt es den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör.
- 9
- Dass der gerichtliche Sachverständige seine im schriftlichen Gutachten vom 21. März 2012 vertretene Auffassung in der mündlichen Anhörung vor dem Landgericht am 12. Juli 2012 entscheidend geändert hat, steht nicht in Frage. Der gerichtliche Sachverständige sah es im schriftlichen Gutachten vom 21. März 2012 als schwerwiegenden Unterlassungsfehler an, dass der Beklagte am 24. April 2009 auf das Ergebnis des Wundabstriches vom 21. April 2009 nicht reagiert habe. Das Unterlassen von Maßnahmen am 24. April 2009 sei ein grober Behandlungsfehler. In der mündlichen Anhörung vor dem Landgericht am 12. Juli 2012 beurteilte der gerichtliche Sachverständige es hingegen aus medizinischer Sicht zwar als fehlerhaft, dass der Beklagte nicht sichergestellt habe, dass ein möglicher Keimnachweis am Freitag, dem 24. April 2009, auch berücksichtigt werden könne. Allerdings seien diese Versäumnisse nicht als grob fehlerhaft zu bewerten, weil deutliche Infektionssymptome, nämlich Schüttelfrost und Fieber, erst am 25. April 2009 aufgetreten seien. Bei seiner schriftlichen Stellungnahme habe er vor allem den dramatischen Befund am 25. April 2009 im Blick gehabt. Zutreffend weist die Nichtzulassungsbeschwerde darauf hin, dass sich damit der Widerspruch nicht erklären lasse, weil dem gerichtlichen Sachverständigen bereits bei Erstellung des Gutachtens am 21. März 2012 bekannt gewesen sei, dass der Kläger erst am 25. April 2009 mit Schüttelfrost und Fieber in die Klinik eingewiesen worden ist. Es handelt sich mithin nicht um Umstände, die erst in der Beweisaufnahme vor dem Landgericht zur Sprache gekommen wären und deshalb vom gerichtlichen Sachverständigen erst dann in seiner Begutachtung berücksichtigt werden konnten. Die Änderung der Auffassung lässt sich auch nicht damit begründen, dass für eine sofortige Behandlung der Nachweis der Keime im Blut des Klägers erforderlich gewesen wäre. In seinem schriftlichen Gutachten hat der Sachverständige, obwohl ihm bekannt war, dass beim Kläger der Keim Staphylococcus aureus nachgewiesen worden war, auch ohne Nachweis der Keime im Blut des Klägers eine sofortige Behandlung spätestens am 24. April 2009 für zwingend geboten gehalten. Schließlich ist nicht plausibel, weshalb eine lange Krankheitsgeschichte des Klägers eine andere Beurteilung der medizinischen Behandlung durch den Beklagten rechtfertigen könnte. Auch konnte das anstehende Wochenende den Beklagten gerade nicht entlasten. Vielmehr erscheint es im Hinblick auf eine sich aufgrund der Infektion abzeichnenden Behandlungsbedürftigkeit des Klägers eher geboten, für eine Verschlechterung des Zustandes während des Wochenendes Vorsorge zu treffen.
- 10
- b) Zutreffend macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, entgegen der Annahme des Berufungsgerichts sei nicht unstreitig, dass sich der klinische Befund am 24. April 2009 nicht wesentlich verändert habe und Anzeichen einer gravierenden Infektion über das Vorhandensein der offenen Wunde hinaus nicht vorhanden gewesen seien. Dem Berufungsgericht unterliegt nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO die Kontrolle der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des erstinstanzlichen Urteils im Fall eines - wie hier - zulässigen Rechtsmittels ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 257/03, aaO, Rn. 19, 20).
- 11
- Die Annahme, der Zustand des Klägers habe sich am 24. April 2009 nicht wesentlich gegenüber dem Zustand am Vortag verändert, ist nicht vereinbar mit dem Zustand des Klägers, den der gerichtliche Sachverständige im schriftlichen Gutachten vom 21. März 2012 seinen Ausführungen zugrunde ge- legt hat. Dort ist der gerichtliche Sachverständige von einer Verschlechterung des Zustands des Klägers am 24. April 2009 in häuslicher Umgebung bei Auftreten von Schmerzen und Hitzegefühl im gesamten Fuß bzw. durch eine Schwellung ausgegangen. Schon danach durfte das Berufungsgericht seiner Entscheidung nicht als unstreitig zugrunde legen, dass sich der klinische Befund am 24. April 2009 gegenüber dem Vortag nicht wesentlich verändert habe. Der Kläger hat außerdem in erster Instanz vorgetragen, der klinische Befund habe sich am 24. April 2009 über das Vorhandensein der offenen Wunde hinaus mit Anzeichen einer gravierenden Infektion verändert. Er habe sich am 24. April 2009 veranlasst gesehen, den Cast abzulegen, da er massive Schmerzen gehabt und der gesamte Fuß regelrecht gekocht habe. Diesen Vortrag hat der Kläger unter Beweis gestellt durch seine Ehefrau, die Zeugin H. Im Schriftsatz vom 21. März 2011 hat der Kläger des Weiteren vorgetragen, dass er sich am Freitag, dem 24. April 2009, schlapp und unwohl gefühlt habe. Er habe Fieber bekommen und habe den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht geschlafen. Er sei nicht mehr in der Lage gewesen, irgendwo hin zu gehen. Auf diesen Vortrag hat der Kläger im Schriftsatz vom 4. Juni 2012 erneut hingewiesen und Beweis durch das Zeugnis seiner Ehefrau angeboten. Diesem Vortrag ist das Landgericht nicht nachgegangen. Es hat deshalb verfahrensfehlerhaft (§ 286 ZPO, Art. 103 Abs. 1 GG) angenommen, dass nach wie vor deutliche klinische Anzeichen am 24. April 2009 für eine gravierende Infektion gefehlt hätten. Obwohl der Kläger in der Berufungsbegründung sein in erster Instanz getätigtes Beweisangebot durch Vernehmung der Zeugin H. nur pauschal wiederholte , oblag dem Berufungsgericht aufgrund des Verfahrensfehlers des Landgerichts nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO die tatsächliche Inhaltskontrolle des erstinstanzlichen Urteils ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 257/03, aaO).
- 12
- c) Die Gehörsverletzungen sind auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Sachvortrags des Klägers und einer Aufklärung der Widersprüche in den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre.
- 13
- Das Berufungsgericht hat wie das Landgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass der Beklagte dafür Sorge hätte tragen müssen, dass der Befund am 24. April 2009 zur Kenntnis genommen undder Kläger umgehend und zeitnah über das Ergebnis der Laboruntersuchung in Kenntnis gesetzt wird. Mit Recht hat das Landgericht deshalb dem Beklagten jedenfalls einen einfachen Befunderhebungsfehler angelastet. Sollten sich aufgrund der gebotenen Beweisaufnahme deutliche klinische Anzeichen einer gravierenden Infektion am 24. April 2009 erweisen, wird gegebenenfalls mit Hilfe eines medizinischen Sachverständigen zu klären sein, ob die Verkennung des Befundes oder seine Nichtbehandlung als grob fehlerhaft zu bewerten ist. Nach der Rechtsprechung des Senats erfolgt auch bei einer nicht grob fehlerhaften Unterlassung der Befunderhebung eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität, wenn sich bei der gebotenen Abklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde (vgl. Senatsurteile vom 13. Februar 1996 - VI ZR 402/94, BGHZ 132, 47, 52 ff.; vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03, BGHZ 159, 48, 56; vom 23. März 2004 - VI ZR 428/02, VersR 2004, 790, 791 f.; vom 7. Juni 2011 - VI ZR 87/10, NJW 2011, 2508 Rn. 7 und vom 13. September 2011 - VI ZR 144/10, VersR 2011, 1400). Dabei ist nicht erforderlich, dass der grobe Behandlungsfehler die einzige Ursache für den Schaden ist. Es genügt, dass er generell geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; wahrscheinlich braucht der Eintritt eines solchen Erfolgs nicht zu sein. Eine Umkehr der Beweislast ist nur ausgeschlossen, wenn jeglicher haftungsbegründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. Senatsurteile vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03, aaO, 56 f.; vom 7. Juni 2011 - VI ZR 87/10, aaO).
- 14
- Die Nichtzulassungsbeschwerde weist in diesem Zusammenhang mit Recht darauf hin, dass, hätte der Beklagte dem Kläger den Befund mitgeteilt und ihm Anweisungen gegeben, die Antibiose zwei Tage früher begonnen worden wäre. Aber auch wenn sich der Kläger erst am 25. April 2009 in die Klinik begeben hätte, wäre der Umweg über die Penicillin-Behandlung entfallen, weil dann sofort eine Infektion durch den Staphylococcus aureus in Betracht gezogen und zielgerichtet bekämpft worden wäre. Nach der Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen im schriftlichen Gutachten vom 21. März 2012 hätte bei einer wirksamen Antibiose am 24. April 2009 das Ausmaß der befallenen Knochensubstanz schätzungsweise um 50 % verringert werden können.
- 15
- Der Beklagte kann sich nicht damit entlasten, dass sich der Kläger nicht in der Praxis gemeldet hat und er infolge dessen von dem Zustand des Klägers keine Kenntnis erlangen konnte. Eine mangelnde Mitwirkung des Patienten bei einer medizinisch gebotenen Behandlung schließt einen Behandlungsfehler dann nicht aus, wenn der Patient über das Risiko der Nichtbehandlung nicht ausreichend aufgeklärt worden ist (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 2009 - VI ZR 157/08, VersR 2009, 1267). So liegt der Fall aber hier.
- 16
- 3. Soweit sich die Nichtzulassungsbeschwerde dagegen wendet, dass das Berufungsgericht einen haftungsbegründenden Behandlungsfehler des Beklagten durch die Verwendung eines ungeeigneten Cast verneint hat, hat der Senat die Rügen für nicht durchgreifend erachtet. Von einer weiteren näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 2. Halbs. ZPO abgesehen. Galke Zoll Diederichsen Pauge von Pentz
LG Hannover, Entscheidung vom 03.09.2012 - 19 O 73/10 -
OLG Celle, Entscheidung vom 04.02.2013 - 1 U 71/12 -
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Zur Entscheidung über den Betrag des Zahlungsanspruchs wird der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger, der am 6. Januar 2000 abends Lichtblitze in seinem linken Auge bemerkt hatte, begab sich noch am selben Tag in den augenärztlichen Bereitschaftsdienst, den die Beklagte wahrnahm. Gesichtsfeldmessungen und Messungen des Augeninnendrucks ergaben keinen auffälligen Befund. Auch bei einer Untersuchung des Augenhintergrundes nach Erweiterung der Pupille stellte die Beklagte keine pathologischen Veränderungen fest. Am 11. Januar 2000 trat beim Kläger eine massive Ablösung der Netzhaut im linken Auge auf. Trotz zweier Operationen in der Universitätsklinik, bei denen die Netzhaut angelegt und stabilisiert wurde, ist die Sehfähigkeit des Klägers beeinträchtigt. Der Kläger hält die Untersuchung durch die Beklagte für fehlerhaft; auch habe sie ihn nicht in gehöriger Weise darauf hingewiesen, daß er alsbald Kontrolluntersuchungen durchführen lassen müsse. Er begehrt Schmerzensgeld, Ersatz materiellen Schadens sowie die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihm sämtliche nach Schluß der mündlichen Verhandlung aus dem Behandlungsfehler der Beklagten vom 6. Januar 2000 entstehenden materiellenund immateriellen Schäden zu ersetzen. Seine Klage hatte in beiden Tatsacheninstanzen keinen Erfolg. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt er sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht im wesentlichen ausgeführt, es sei an die Feststellungen des Landgerichts gebunden, die Beklagte habe den Kläger nicht auf die Gefährdung der Netzhaut durch eine fortschreitende Glaskörper-Abhebung hingewiesen und ihn auch nicht aufgefordert , diesen Vorgang unbedingt weiter überwachen zu lassen. Da beim Kläger eine beginnende Glaskörper-Abhebung vorgelegen und die Beklagte das auch erkannt habe, habe sie den Kläger über diese mögliche Diagnose und das dabei bestehende vergleichsweise geringe Risiko einer Netzhautablösung unterrichten müssen. Sie habe den Kläger auffordern müssen, sich auch ohne Zunahme der Symptome zu einer Kontrolluntersuchung beim Augenarzt vorzustellen. Diese Unterlassungen seien als "einfache" Behandlungsfehler zu werten. Daß die Beklagte den Kläger nicht zusätzlich darauf hingewiesen habe, er müsse bei Fortschreiten der Symptome sofort einen Augenarzt aufsuchen, sei als ein grober Behandlungsfehler zu werten. Der Ursachenzusammenhang zwischen diesem groben Behandlungsfehler und dem Körperschaden des Klägers sei zwar nicht schon deshalb ausgeschlossen , weil der Kläger nach eigenen Angaben keine sich ausweitende oder verschlimmernde Symptomatik bemerkt habe. Es sei nämlich nicht ausgeschlossen , daß der Kläger bei zutreffender Information auch ohne Verschlech-terung seines Zustandes zu einer augenärztlichen Kontrolle gegangen wäre und ein Augenarzt dann Anzeichen für eine beginnende Netzhautablösung festgestellt hätte. Möglicherweise hätte dann erfolgreich Vorsorge gegen die spätere Netzhautablösung getroffen werden können. Ein Ursachenzusammenhang könne jedoch nicht festgestellt werden. Es sei zwar davon auszugehen, daß der Kläger nach ordnungsgemäßer Beratung durch die Beklagte innerhalb von zwei oder drei Tagen zu einer Kontrolluntersuchung gegangen wäre. Es sei aber vorstellbar, daß die Glaskörper-Abhebung, die der Netzhautablösung vorangehe , sehr plötzlich und sehr massiv eingesetzt und dann sehr schnell eine erst am 11. Januar 2000 erkennbare Netzhautablösung nach sich gezogen habe. Daher sei völlig offen, ob es zuvor Anzeichen für eine solche Ablösung gegeben habe, die bei einer Kontrolluntersuchung erkennbar gewesen wären. Dem Kläger sei keine Beweislastumkehr für den Ursachenzusammenhang zuzubilligen. Es fehle an einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit dafür, daß bei einer augenärztlichen Kontrolle Anzeichen für die Netzhautablösung erkennbar gewesen wären. Daß eine solche Kontrolle Aufschluß darüber gegeben hätte, ob sich zu jenem Zeitpunkt Anzeichen für eine Netzhautablösung gezeigt hätten , sei keine ausreichende Grundlage für eine Beweislastumkehr. Zwar liege es nicht fern, das Gesamtverhalten der Beklagten ohne Differenzierung zu den einzelnen Unterlassungen als grob fehlerhaft anzusehen. Selbst dann aber sei es nicht gerechtfertigt, dem Kläger ohne jede Wahrscheinlichkeit in die eine oder die andere Richtung eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Auftretens von Gefährdungsanzeichen bei der hypothetischen Kontrolluntersuchung zuzubilligen.
II.
Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. 1. Das Berufungsgericht wertet im Anschluß an die Ausführungen des Sachverständigen und im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats als grob fehlerhaft, daß die Beklagte den Kläger nach Abschluß der Notfalluntersuchung nicht darauf hingewiesen hat, er müsse bei Fortschreiten der Symptome sofort einen Augenarzt aufsuchen (vgl. dazu Senatsurteile vom 29. Mai 2001 - VI ZR 120/00 - VersR 2001, 1030; vom 3. Juli 2001 - VI ZR 418/99 - VersR 2001, 1116, 1117; vom 28. Mai 2002 - VI ZR 42/01 - VersR 2002, 1026 - jeweils m.w.N.). Die Revision nimmt dies als ihr günstig hin; auch die Revisionserwiderung erhebt insoweit keine Beanstandungen. Beim Kläger lag eine beginnende Glaskörper-Abhebung als Vorstufe einer Netzhautablösung nahe und die Beklagte hatte dies erkannt. Sie war infolgedessen verpflichtet, dem Kläger ihre Erkenntnisse ebenso wie ihren Verdacht bekannt zu geben (Diagnoseaufklärung; vgl. Senatsurteil BGHZ 29, 176, 183 f.; OLG Nürnberg AHRS 3130/108). Dementsprechend hatte sie den Kläger im Rahmen der ihr obliegenden therapeutischen Aufklärungspflicht darauf hinzuweisen , er müsse bei fortschreitenden Symptomen sofort einen Augenarzt einschalten und im übrigen alsbald den Befund überprüfen lassen, damit der Kläger mögliche Heilungschancen wahrnehmen konnte. Das hat die Beklagte versäumt. Im Ansatz zutreffend hat das Berufungsgericht in dieser unterlassenen therapeutischen Aufklärung einen Behandlungsfehler gesehen (vgl. Senatsurteil vom 27. Juni 1995 - VI ZR 32/94 - VersR 1995, 1099, 1100) und ihn als grob bewertet.2. Zuzustimmen ist dem Berufungsgericht auch darin, daß der Ursachenzusammenhang zwischen diesem groben Behandlungsfehler und dem entstandenen Körperschaden des Klägers nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil der Kläger keine sich ausweitende oder verschlechternde Symptomatik bemerkt hat. Das Oberlandesgericht stellt ohne Rechtsfehler fest, daß nicht auszuschließen ist, ein zur Kontrolluntersuchung eingeschalteter Augenarzt hätte vom Kläger selbst noch nicht bemerkte, aber für den Facharzt erkennbare Anzeichen einer beginnenden Netzhautablösung entdecken und daraufhin eine erfolgreiche Therapie durchführen können. 3. Rechtsfehlerhaft verneint das Berufungsgericht jedoch eine Umkehr der Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen der unterlassenen Aufklärung und dem Schaden des Klägers, weil eine solche Beweislastumkehr dem Kläger nicht "ohne jede Wahrscheinlichkeit in die eine oder andere Richtung" zugebilligt werden könne. Damit zieht das Berufungsgericht nicht die gebotenen Folgerungen aus dem Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers.
a) Wie der Senat wiederholt ausgesprochen hat, führt ein grober Behandlungsfehler grundsätzlich zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden. aa) Eine Umkehr der Beweislast ist schon dann anzunehmen, wenn der grobe Behandlungsfehler geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen ; nahelegen oder wahrscheinlich machen muß der Fehler den Schaden dagegen nicht (vgl. Senatsurteile BGHZ 85, 212, 216 f.; vom 24. September 1996 - VI ZR 303/95 - VersR 1996, 1535, 1537; vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96 - VersR 1997, 362, 363; vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03 - VersR 2004, 909, 911).
Eine Verlagerung der Beweislast auf die Behandlungsseite ist nur ausnahmsweise ausgeschlossen, wenn ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 129, 6, 12; 138, 1, 8; vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96 - aaO; vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03 - aaO). Gleiches gilt, wenn sich nicht das Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen läßt (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 1981 - VI ZR 38/80 - VersR 1981, 954, 955), oder wenn der Patient durch sein Verhalten eine selbständige Komponente für den Heilungserfolg vereitelt hat und dadurch in gleicher Weise wie der grobe Behandlungsfehler des Arztes dazu beigetragen hat, daß der Verlauf des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufgeklärt werden kann (vgl. Senatsurteile vom 28. Mai 2002 - VI ZR 42/01 - VersR 2002, 1026, 1028; vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03 - aaO; KG VersR 1991, 928 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 19. Februar 1991 - VI ZR 224/90; OLG Braunschweig VersR 1998, 459, 461 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 20. Januar 1998 - VI ZR 161/97). Das Vorliegen einer solchen Ausnahme hat allerdings die Behandlungsseite zu beweisen (vgl. Senatsurteil vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03 - aaO). bb) Hiernach war es Sache der Beklagten darzulegen und zu beweisen, daß ein ordnungsgemäßer Hinweis an den Kläger, er solle bei Befundverschlechterung umgehend eine Kontrolluntersuchung durchführen lassen, eine Netzhautablösung mit den eingetretenen Folgen weder verhindert noch abgemildert hätte. Wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, war ein solcher Hinweis geeignet, den Kläger zu einer kurzfristigen Kontrolluntersuchung zu veranlassen; eine solche wäre geeignet gewesen, Anzeichen einer beginnenden Netzhautablösung erkennbar zu machen und frühzeitiger Behandlungsmaßnahmen durchzuführen, die ihrerseits die später eingetretene Netzhautablösung verhindern oder feststellbar hätten vermindern können.
cc) Daß ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich wäre, hat das Berufungsgericht nicht feststellen können. Solches ergibt sich nicht aus den gutachtlichen Äußerungen d es Sachverständigen ; das wird auch von der Revisionserwiderung nicht geltend gemacht. Soweit diese darauf abstellt, das Berufungsgericht habe keine Wahrscheinlichkeit für Anzeichen einer beginnenden Netzhautablösung feststellen können, ist das nicht gleichbedeutend damit, daß ein Ursachenzusammenhang zwischen der unterlassenen Aufklärung des Patienten und der Netzhautablösung äußerst unwahrscheinlich war. dd) Einer Umkehr der Beweislast steht auch nicht entgegen, daß der Kläger weitergehende Anzeichen als die bis dahin aufgetretenen Lichtblitze nicht bemerkt hat. Die Beklagte hätte den Kläger durch einen Hinweis auf die Gefahr einer Netzhautablösung, die infolge der Glaskörperabhebung drohte, zu einer baldigen Kontrolle des Augenhintergrundes veranlassen müssen, um das eingetretene Risiko möglichst gering zu halten. Das hat sie versäumt. Die Netzhautablösung ist eingetreten und hat zu einer Verringerung des Sehvermögens auf dem Auge geführt. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Kläger auch ohne Fortschreiten der Symptome alsbald eine Kontrolluntersuchung hätte durchführen lassen, wäre er ordnungsgemäß über die Diagnose und die Gefahr für sein Sehvermögen aufgeklärt und auf die Notwendigkeit einer sofortigen Kontrolluntersuchung bei Verschlechterung hingewiesen worden. Das hätte, wie bereits ausgeführt, zur Vermeidung des Gesundheitsschadens führen können. Ohnehin ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Aufspaltung in eine "einfache" und eine "grobe" Pflichtwidrigkeit verfehlt, weil insoweit eine Gesamtbetrachtung der geschuldeten therapeutischen Aufklärung geboten ist, die sich als insgesamt grob fehlerhaft erweist, ohne daß es hierzu weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf.
b) Das Berufungsgericht hat den Ursachenverlauf in seine einzelnen Bestandteile aufgespalten und dann Anzeichen für eine Netzhautablösung vor dem 11. Januar 2000 sowie für den Erfolg einer vorbeugenden Behandlung vermißt. Eine Umkehr der Beweislast zugunsten des Klägers hat es verneint, weil zu den genannten Umständen auch keine Wahrscheinlichkeiten feststellbar seien. Das widerspricht den Grundsätzen des erkennenden Senats zu den Rechtsfolgen eines groben Behandlungsfehlers. aa) Eine Unterteilung des Ursachenzusammenhangs in unmittelbare und mittelbare Ursachen ist dem Haftungsrecht fremd (vgl. Senatsurteile vom 11. November 1997 - VI ZR 146/96 - VersR 1998, 200 f.; vom 26. Januar 1999 - VI ZR 374/97 - VersR 1999, 862; vom 27. Juni 2000 – VI ZR 201/99 – VersR 2000, 1282, 1283). Beim groben Behandlungsfehler umfaßt die in Betracht stehende Umkehr der Beweislast den Beweis der Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für den haftungsbegründenden Primärschaden, der ohne die Beweislastumkehr dem Patienten nach § 286 ZPO obläge. Auf die haftungsausfüllende Kausalität, d.h. den Kausalzusammenhang zwischen körperlicher oder gesundheitlicher Primärschädigung und weiteren Gesundheitsschäden des Patienten wird die Beweislastumkehr nicht ausgedehnt, es sei denn, der sekundäre Gesundheitsschaden wäre typisch mit dem Primärschaden verbunden und die als grob zu bewertende Mißachtung der ärztlichen Verhaltensregel sollte gerade auch solcherart Schädigungen vorbeugen (vgl. Senatsurteile vom 21. Oktober 1969 - VI ZR 82/68 - VersR 1969, 1148, 1149; vom 9. Mai 1978 - VI ZR 81/77 - VersR 1978, 764, 765). Eine Zerlegung des Kausalzusammenhangs in seine einzelnen logischen Bestandteile im übrigen kommt nicht in Betracht. bb) Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht hier eine Umkehr der Beweislast nicht verneinen. Die Parteien streiten nicht um einen Sekundärschaden des Klägers. Vielmehr beruht die Schädigung des Sehvermö-
gens auf dem Primärschaden der Netzhautablösung, die der Kläger als Schädigung geltend macht (vgl. zur Abgrenzung zwischen Primär- und Sekundärschaden Senatsurteile vom 28. Juni 1988 - VI ZR 210/87 - VersR 1989, 145; vom 21. Juli 1998 - VI ZR 15/98 - VersR 1998, 1153, 1154). 4. Nach allem ist die Klage zum Zahlungsanspruch dem Grunde nach gerechtfertigt (§§ 823 Abs. 1, 847 BGB a.F.; 304 Abs. 1, 555 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Feststellungsklage hat im Rahmen des gestellten Antrags ebenfalls Erfolg. Sie ist zulässig. Die Beklagte hat ihre haftungsrechtliche Verantwortlichkeit in Abrede gestellt und Verjährung droht; die Möglichkeit eines weiteren Schadenseintritts kann nicht verneint werden, das erforderliche Feststellungsinteresse ist daher gegeben (vgl. Senatsurteil vom 16. Januar 2001 - VI ZR 381/99 - VersR 2001, 874). Der Feststellungsantrag ist auch begründet, denn Gegenstand der Feststellungsklage ist ein befürchteter Folgeschaden aus der Verletzung eines deliktsrechtlich geschützten absoluten Rechtsguts (vgl. Senatsurteil vom 16. Januar 2001 - VI ZR 381/99 - aaO). Auch der Vorbehalt hinsichtlich künftiger noch ungewisser und bei der Ausurteilung der Zahlungsklage auf Schmerzensgeld noch nicht berücksichtigungsfähiger immaterieller Schäden ist zulässig (vgl. Senatsurteil vom 20. Januar 2004 - VI ZR 70/03 - NJW 2004, 1243, 1244).
Zum Betrag der Zahlungsklage ist die Sache nicht entscheidungsreif. Insoweit ist sie an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll
BUNDESGERICHTSHOF
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. Mai 2016 durch die Richter Stöhr und Wellner, die Richterinnen von Pentz, Dr. Oehler und Dr. Roloff
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Schadensersatz wegen Verletzung von Pflichten aus einem tierärztlichen Behandlungsvertrag in Anspruch.
- 2
- Die Klägerin war Eigentümerin eines Hengstes. Am 8. Juli 2010 stellte sie das Pferd dem beklagten Tierarzt zur Behandlung vor, nachdem sie an der Innenseite des rechten hinteren Beines eine Verletzung festgestellt hatte. Der Beklagte verschloss die Wunde und gab die Anweisung, das Pferd müsse zwei Tage geschont werden, könne dann aber wieder geritten werden, soweit keine Schwellung im Wundbereich eintrete. Am 11. Juli 2010 wurde das Pferd zum Beritt abgeholt. Dabei ergaben sich leichte Taktunreinheiten im Bereich des verletzten Beines, so dass das Reiten eingestellt wurde. Am 14. Juli 2010 wur- de eine Fraktur der Tibia hinten rechts diagnostiziert. Die Operation der Fraktur gelang nicht, das Pferd wurde euthanasiert.
- 3
- Die Klägerin hat behauptet, die am 8. Juli 2010 behandelte Verletzung sei durch den Schlag einer Stute verursacht worden. Dieser habe nicht nur zur Verletzung der Haut, sondern auch zu einer Fissur des darunterliegenden Knochens geführt. Die Fissur habe sich innerhalb der folgenden Tage zu der am 14. Juli 2010 diagnostizierten Fraktur entwickelt. Der Beklagte habe behandlungsfehlerhaft auf eine Lahmheits- und Röntgenuntersuchung des Pferdes verzichtet. Dabei hätte die Fissur erkannt werden können.
- 4
- Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 114.146,41 € Schadensersatz sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen und festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr jeden weitergehenden Schaden zu ersetzen, der dadurch entstanden ist, dass der Hengst euthanasiert werden musste, soweit Ansprüche nicht beziffert oder auf Dritte übergegangen sind. Das Landgericht hat durch Grund- und Teilurteil den auf Schadensersatz gerichteten Klageantrag zu 1 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Ersatzpflicht für darüber hinausgehende Schäden festgestellt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass auch der auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten gerichtete Klageantrag zu 2 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt wird. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag, die Klage abzuweisen, weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
- 5
- Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin ein Anspruch gegen den Beklagten auf Schadensersatz wegen Pflichtverletzung aus einem tierärztlichen Behandlungsvertrag gemäß § 280 Abs. 1 BGB dem Grunde nach zu. Gegen die Feststellung des Landgerichts, am 8. Juli 2010 habe eine Fissur der Tibia hinten rechts vorgelegen, die sich bis zum 14. Juli 2010 zu einer vollständigen Fraktur entwickelt habe, und in deren Folge das Pferd habe euthanasiert werden müssen, sei nichts zu erinnern. Dem Beklagten sei ein grober Verstoß gegen die Pflichten aus dem tierärztlichen Behandlungsvertrag zur Last zu legen. Es liege ein Befunderhebungsfehler vor, weil er keine Lahmheitsuntersuchung im Trab durchgeführt habe. Diese hätte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Funktionsbeeinträchtigung der rechten Hinterhand des Pferdes ergeben , was den Beklagten zu weiterer Diagnostik und entsprechenden Vorkehrungen hätte veranlassen müssen. Es wäre nach dem Befund der Funktionsbeeinträchtigung zwingend erforderlich gewesen, strikte Boxenruhe sowie Maßnahmen zu verordnen, die geeignet gewesen wären, ein Hinlegen des Pferdes weitestgehend zu verhindern. Für den Fall, dass noch kein röntgenologischer Nachweis hätte erbracht werden können, hätte die Entwicklung der Lahmheit überwacht und ggf. einige Tage später eine Röntgenuntersuchung nachgeholt werden müssen. Das Unterlassen dieser Maßnahmen sei grob fehlerhaft gewesen. Bei der Fissur habe es sich um eine besonders naheliegende Verletzungsfolge mit der Gefahr schwerwiegender Komplikationen gehandelt, da eine vollständige Tibiafraktur regelmäßig zu einem tödlichen Verlauf führe.
- 6
- Auch wenn man der Auffassung des Beklagten folgte, am 8. Juli 2010 sei eine Lahmheitsuntersuchung im Trab nicht indiziert gewesen, ergäbe sich keine abweichende Beurteilung. Dann hätte dem Beklagten wegen des großen Risikos späterer Komplikationen und eines dann letztlich letalen Verlaufs eine besondere Beratungs- und Hinweispflicht oblegen, wenn er auf eine sofortige weitere Untersuchung habe verzichten wollen. Er hätte die Klägerin über die zur Vermeidung einer Fraktur zwingend gebotenen Haltungsbedingungen informieren müssen.
- 7
- Aufgrund der Unaufklärbarkeit des Kausalverlaufs sei davon auszugehen , dass die fehlerhafte Behandlung des Beklagten kausal für die Ausbildung der vollständigen Fraktur geworden sei. Eine Beweislastumkehr zugunsten der Klägerin für die haftungsbegründende Kausalität sei geboten. Dies folge zwar nicht aus einer analogen Anwendung des § 630h Abs. 5 BGB auf den veterinärmedizinischen Behandlungsvertrag, weil es für die Annahme einer Analogie an einer planwidrigen Regelungslücke fehle. Anhaltspunkte dafür ließen sich der Gesetzesbegründung zum Patientenrechtegesetz (BT-Drucks. 17/10488) nicht entnehmen und seien auch aufgrund der Intention des Gesetzgebers, die Rechte der Patienten zu verbessern, nicht ersichtlich. Zudem sprächen gewichtige Gründe gegen eine pauschale Übernahme der für den humanmedizinischen Behandlungsvertrag entwickelten Grundsätze zur Beweislastumkehr bei Vorliegen eines groben Behandlungs- oder Befunderhebungsfehlers für eine tierärztliche Behandlung. Anders als bei einem Menschen sei der behandelnde Tierarzt in weit größerem Maß auf indirekte Rückschlüsse zur Krankheits- bzw. Verletzungsursache und zum Behandlungsverlauf angewiesen. Zudem könnten die Haltungsbedingungen sowie das unwillkürliche und - je nach Art des Tieres - nur begrenzt steuerbare Verhalten den Erfolg von Behandlungsmaßnahmen erheblich erschweren. Es sei daher im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob die Gründe, die beim humanärztlichen Behandlungsvertrag eine Beweislastumkehr rechtfertigten, auch im konkreten tierärztlichen Behandlungsvertrag eine Beweislastumkehr zu begründen vermögen. Dies sei hier zu bejahen.
II.
- 8
- Das angefochtene Urteil hält im Ergebnis der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
- 9
- 1. Die Revision ist zulässig. Insbesondere ist sie - anders als die Revisionserwiderung meint - im Sinne des § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2a ZPO ausreichend begründet worden. Nach der genannten Vorschrift muss die Revisionsbegründung die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt. Erforderlich ist, dass sich die Revisionsbegründung mit den tragenden Gründen des Berufungsurteils auseinandersetzt und konkret darlegt, aus welchen Gründen das Urteil rechtsfehlerhaft sein soll. Hat das Berufungsgericht seine Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige , selbständig tragende Erwägungen gestützt, muss der Revisionskläger für jede dieser Begründungen darlegen, warum sie keinen Bestand haben können ; anderenfalls ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2005 - VI ZB 81/04, VersR 2006, 285 Rn. 8; BGH, Urteile vom 20. Mai 2011 - V ZR 250/10, WuM 2011, 543 Rn. 6; vom 22. Juni 2015 - II ZR 166/14, NJW 2015, 3040 Rn. 12; Beschluss vom 15. Juni 2011 - XII ZB 572/10, NJW 2011, 2367 Rn. 10). Diese Anforderungen sind erfüllt, weil sich die Revision allgemein gegen die Bejahung der Kausalität durch das Berufungsgericht aufgrund der Annahme einer Beweislastumkehr wendet.
- 10
- 2. Das Berufungsgericht hat zu Recht eine Beweislastumkehr zu Gunsten der Klägerin wegen eines groben Verstoßes gegen die Pflichten aus dem tierärztlichen Behandlungsvertrag - im Sinne eines Befunderhebungsfehlers des Beklagten - angenommen. Insoweit wendet sich die Revision nicht gegen die diesbezüglichen Feststellungen und die Beurteilung, der Behandlungsfehler sei grob. Sie macht aber geltend, es sei rechtsfehlerhaft, eine Beweislastumkehr zu Gunsten des geschädigten Tierhalters bzw. Tiereigentümers anzunehmen. Die für die humanmedizinische Behandlung von der Rechtsprechung entwickelten und nunmehr in § 630h Abs. 5 BGB übernommenen Grundsätze zur Beweislastumkehr bei einem groben Behandlungsfehler oder einem Befunderhebungsfehler könnten nicht auf die veterinärmedizinische Behandlung übertragen werden.
- 11
- a) Im humanmedizinischen Bereich führt ein grober Behandlungsfehler, der geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen , regelmäßig zur Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden (vgl. etwa Senat, Urteile vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03, BGHZ 159, 48, 54; vom 16. November 2004 - VI ZR 328/03, VersR 2005, 228, 229; vom 8. Januar 2008 - VI ZR 118/06, VersR 2008, 490 Rn. 11). Bei einem Befunderhebungsfehler tritt eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität ein, wenn bereits die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt (vgl. Senat, Urteile vom 13. Januar 1998 - VI ZR 242/96, BGHZ 138, 1, 5 f.; vom 29. September 2009 - VI ZR 251/08, VersR 2010, 115 Rn. 8; vom 13. September 2011 - VI ZR 144/10, VersR 2011, 1400 Rn. 8; vom 2. Juli 2013 - VI ZR 554/12, VersR 2013, 1174 Rn. 11; vom 21. Januar 2014 - VI ZR 78/13, VersR 2014, 374 Rn. 20; vom 24. Februar 2015 - VI ZR 106/13, VersR 2015, 712 Rn. 15). Zudem kann auch eine nicht grob fehlerhafte Unterlassung der Befunderhebung dann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würden, und diese Fehler generell geeignet sind, den tatsächlich einge- tretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen (vgl. Senat, Urteile vom 13. Februar 1996 - VI ZR 402/94, BGHZ 132, 47, 52 ff.; vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03, BGHZ 159, 48, 56; vom 13. September 2011 - VI ZR 144/10, VersR 2011, 1400 Rn. 8; vom 2. Juli 2013 - VI ZR 554/12, VersR 2013, 1174 Rn. 11; vom 21. Januar 2014 - VI ZR 78/13, VersR 2014, 374 Rn. 20; vom 24. Februar 2015 - VI ZR 106/13, VersR 2015, 712 Rn. 15). Die beweisrechtlichen Konsequenzen aus einem grob fehlerhaften Behandlungsgeschehen folgen nicht aus dem Gebot der prozessrechtlichen Waffengleichheit. Sie knüpfen vielmehr daran an, dass die nachträgliche Aufklärbarkeit des tatsächlichen Behandlungsgeschehens wegen des besonderen Gewichts des Behandlungsfehlers und seiner Bedeutung für die Behandlung in einer Weise erschwert ist, dass der Arzt nach Treu und Glauben - also aus Billigkeitsgründen - dem Patienten den vollen Kausalitätsnachweis nicht zumuten kann. Die Beweislastumkehr soll einen Ausgleich dafür bieten, dass das Spektrum der für die Schädigung in Betracht kommenden Ursachen wegen der elementaren Bedeutung des Fehlers besonders verbreitert oder verschoben worden ist (vgl. Senat, Urteile vom 21. September 1982 - VI ZR 302/80, BGHZ 85, 212, 216 f.; vom 3. Februar 1987 - VI ZR 56/86, BGHZ 99, 391, 396 ff.; vom 13. Februar 1996 - VI ZR 402/94, BGHZ 132, 47, 52; vom 6. Oktober 2009 - VI ZR 24/09, VersR 2009, 1668 Rn. 14 mwN; vom 26. März 2013 - VI ZR 109/12, VersR 2013, 1000 Rn. 31).
- 12
- b) Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte geht nahezu einhellig davon aus, dass die in der Humanmedizin entwickelten Rechtsgrundsätze hinsichtlich der Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern, insbesondere auch bei Befunderhebungsfehlern, auf die tierärztliche Behandlung zu übertragen sind (vgl. OLG Celle, Urteil vom 13. Februar 1989 - 1 U 15/88, VersR 1989, 714; OLG München, Urteil vom 9. März 1989 - 24 U 262/88, VersR 1989, 714 f.; OLG Stuttgart, Urteil vom 14. Juni 1995 - 14 U 26/94, VersR 1996, 1029, 1030; OLG Hamm, Urteil vom 3. Dezember 2003 - 3 U 108/02, OLGR Hamm 2004, 62, 64 f. mit Zurückweisungsbeschluss des BGH vom 5. April 2005 - VI ZR 23/04; OLG Schleswig, Urteil vom 14. Januar 2011 - 4 U 86/07, SchlHA 2011, 234, 230; OLG Frankfurt, Urteil vom 1. Februar 2011 - 8 U 118/10, NJW-RR 2011, 1246; OLG Celle, Urteil vom 14. Februar 2011 - 20 U 2/09, NJW-RR 2011, 1357, 1358; OLG Brandenburg, Urteil vom 26. April 2012 - 12 U 166/10, juris Rn. 17; OLG Hamm, Urteil vom 21. Februar 2014 - 26 U 3/11, RdL 2014, 158, 159; aA OLG Koblenz, Beschluss vom 18. Dezember 2008 - 10 U 73/08, VersR 2009, 1503, 1504; offenlassend OLG Koblenz, Beschluss vom 21. August 2014 - 5 U 554/14, MDR 2015, 29 f.). Diese Auffassung wird im Schrifttum geteilt (vgl. Adolphsen in Terbille/Clausen/Schroeder-Printzen, Münchener Anwaltshandbuch Medizinrecht, 2. Aufl., § 16 Rn. 305; Baur, VersR 2010, 406; Bleckwenn, Die Haftung des Tierarztes im Zivilrecht, 2014, S. 414 ff., 425 f.; MüKoBGB/Wagner, BGB, 6. Aufl., § 823 Rn. 736, 848; Oexmann, Pferdekauf Tierarzthaftung, 1992, S. 120; Oexmann/Wiemer, Forensische Probleme der Tierarzthaftung, 2007, S. 35 f.; Schulze, Die zivilrechtliche Haftung des Tierarztes , 1991, S. 144 f.; Staudinger/Hager (2009) BGB, § 823 Rn. I 13).
- 13
- c) Die Frage, ob die Grundsätze über die Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern auch im Bereich der Veterinärmedizin gelten, hat der erkennende Senat noch nicht abschließend geklärt. Er hat allerdings in seinem Zurückweisungsbeschluss vom 5. April 2005 (VI ZR 23/04) zum Urteil des OLG Hamm vom 3. Dezember 2003 (3 U 108/02, OLGR Hamm 2004, 62) ausgeführt , nach den im Senatsurteil vom 15. März 1977 (VI ZR 201/75, VersR 1977, 546) dargelegten Grundsätzen begegne die vom Berufungsgericht angenommene Umkehr der Beweislast infolge groben tierärztlichen Versagens für den Streitfall keinen Bedenken. In diesem Urteil hat er ausgeführt, nur ein Vergleich der Funktionen könne ergeben, inwieweit Tierarzt und Humanmediziner rechtlich verschieden oder gleich zu behandeln seien. Einerseits stimme die Tätigkeit des Tierarztes als solche, die Erhaltung und Heilung eines lebenden Organismus , mit derjenigen des Humanarztes weitgehend überein. Andererseits sei die wirtschaftliche und rechtliche Zweckrichtung dieser Tätigkeit verschieden, weil sie sich beim Tierarzt auf Sachen (so das damalige Recht, vgl. jetzt § 90a BGB), ja vielfach "Waren" beziehe, und deshalb - begrenzt nur durch die rechtlichen und sittlichen Gebote des Tierschutzes - weithin nach wirtschaftlichen Erwägungen richten müsse, die in der Humanmedizin im Rahmen des Möglichen zurückzudrängen seien.
- 14
- d) Nach dem vorzunehmenden Vergleich der Funktionen ist - wie bereits im Beschluss vom 5. April 2005 aufgezeigt - die Auffassung richtig, dass auch bei der veterinärmedizinischen Behandlung bei einem groben Behandlungsfehler , insbesondere auch bei einem Befunderhebungsfehler, die für die humanmedizinische Behandlung entwickelten Grundsätze zur Beweislastumkehr Anwendung finden.
- 15
- aa) Beide Tätigkeiten beziehen sich auf einen lebenden Organismus, bei dem der Arzt zwar das Bemühen um Helfen und Heilung, nicht aber den Erfolg schulden kann. Gerade wegen der Eigengesetzlichkeit und weitgehenden Undurchschaubarkeit des lebenden Organismus kann ein Fehlschlag oder Zwischenfall nicht allgemein ein Fehlverhalten oder Verschulden des Arztes indizieren (vgl. Senatsurteil vom 15. März 1977 - VI ZR 201/75, aaO, 547). Im Hinblick darauf kommt dem Gesichtspunkt, die Beweislastumkehr solle einen Ausgleich dafür bieten, dass das Spektrum der für die Schädigung in Betracht kommenden Ursachen wegen der elementaren Bedeutung des Fehlers besonders verbreitert oder verschoben worden ist, auch bei der tierärztlichen Behandlung eine besondere Bedeutung zu. Auch der grob fehlerhaft handelnde Tierarzt hat durch einen schwerwiegenden Verstoß gegen die anerkannten Regeln der tierärztlichen Kunst Aufklärungserschwernisse in das Geschehen hineingetragen und dadurch die Beweisnot auf Seiten des Geschädigten vertieft. Mithin sind bei grob fehlerhaften tiermedizinischen Behandlungen die gleichen Sachprobleme gegeben wie bei solchen Maßnahmen der Humanmedizin. Die im Senatsurteil vom 15. März 1977 angesprochenen wirtschaftlichen Erwägungen spielen - anders als bei der tierärztlichen Aufklärungspflicht (vgl. dazu Senatsurteil vom 18. März 1980 - VI ZR 39/79, VersR 1980, 652, 653) - bei der Frage einer Beweislastumkehr nach einem groben Behandlungsfehler keine Rolle, weil es hier nicht darum geht, dass der Auftraggeber abwägen kann, welche der vorgeschlagenen Behandlungsmaßnahmen für ihn aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen wünschenswert sind und in welche Eingriffe des Tierarztes er demgemäß einwilligen will.
- 16
- bb) Das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013 (BGBl. I S. 277) steht dem nicht entgegen. Zwar fallen Behandlungsverträge mit Veterinärmedizinern über die Behandlung von Tieren nicht unter die §§ 630a ff. BGB, weil Patient im Sinne des § 630a Abs. 1 BGB nur ein Mensch ist und die §§ 630a ff. BGB speziell auf die besonderen Bedürfnisse des Menschen und des Schutzes seines Selbstbestimmungsrechtes zugeschnitten sind (BT-Drucks. 17/10488 S. 18). In der Gesetzesbegründung zu § 630a BGB wird aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Tätigkeit des Tierarztes mit der medizinischen Behandlung durch einen Humanmediziner vergleichbar sei, soweit es um die Heilung und Erhaltung eines lebenden Organismus gehe. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, fortgeführt von Oberlandesgerichten, würden deshalb die im Bereich der Humanmedizin entwickelten Grundsätze zur Beweislastverteilung auch im Bereich der Veterinärmedizin angewendet. Die Rechtsprechung bleibe durch die gesetzlichen Regelungen zum Behandlungsvertrag insoweit nicht gehindert, hieran festzuhalten (vgl. BT-Drucks. 17/10488 S. 18). Für eine Gleichbehandlung in dem hier entschiedenen Umfang spricht im Übrigen auch das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht vom 20. August 1990 (BGBl. I S. 1762), durch das der zentrale Grundgedanke eines ethisch fundierten Tierschutzes, dass der Mensch für das Tier als einem Mitgeschöpf und schmerzempfindenden Wesen Verantwortung trägt, auch im bürgerlichen Recht, u.a. durch § 90a, § 251 Abs. 2 Satz 2 BGB deutlicher hervorgehoben werden sollte (vgl. BT-Drucks. 11/7369 S. 1, 5).
- 17
- cc) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts führt ein grober Behandlungsfehler bei einer veterinärmedizinischen Behandlung grundsätzlich zu einer Beweislastumkehr, ohne dass dem Tatrichter insoweit ein Ermessen im Einzelfall zukäme. Zwar ist richtig, dass der behandelnde Tierarzt anders als bei einem Menschen bei einem Tier in weit größerem Maß auf indirekte Rückschlüsse zur Krankheits- bzw. Verletzungsursache und zum Behandlungsverlauf angewiesen ist. Zudem können die Haltungsbedingungen sowie das unwillkürliche und - je nach Art des Tieres - nur begrenzt steuerbare Verhalten die Behandlung erschweren. Dies ist indes bereits bei der Wertung, ob ein grober Behandlungsfehler vorliegt, also ein Fehler, der aus objektiv tierärztlicher Sicht nicht mehr verständlich ist, weil er einem Tierarzt schlechterdings nicht unterlaufen darf, zu berücksichtigen. Dadurch wird eine flexible und angemessene Lösung unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls gewährleistet. Aus Gründen der Rechtssicherheit kann hingegen bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht erneut hinsichtlich der Entscheidung, ob eine Beweislastumkehr erfolgt , auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls abgestellt werden. Ein "Ermessen" des Tatrichters würde bei der Anwendung von Beweislastregeln dem Gebot der Rechtssicherheit zuwiderlaufen. Danach müssen der Rechtssuchende bzw. sein Anwalt in der Lage sein, das Prozessrisiko in tatsächlicher Hinsicht abzuschätzen (vgl. Senatsurteil vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03, BGHZ 159, 48, 55 f.).
- 18
- e) Da die Hauptbegründung des Berufungsgerichts die Entscheidung trägt, kommt es auf die Hilfsbegründung nicht an. Stöhr Wellner von Pentz Oehler Roloff
LG Osnabrück, Entscheidung vom 12.09.2014 - 3 O 1494/11 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 26.03.2015 - 14 U 100/14 -
(1) Die Gesundheit von Huf- und Klauentieren, insbesondere die Leistungsfähigkeit ihres Bewegungsapparates, ist durch einen sach-, fach- und tiergerechten Huf- und Klauenbeschlag zu erhalten und zu fördern. Dazu werden die Berechtigung zur Ausübung des Beschlages von Hufen und Klauen und die damit verbundene staatliche Anerkennung sowie die staatliche Anerkennung von Hufbeschlaglehrschmieden/ Hufbeschlaglehrschmiedinnen und Hufbeschlagschulen geregelt.
(2) Dieses Gesetz gilt nicht für
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 9.5.2012 (9 O 48/11) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld und vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten dem Grunde nach gerechtfertigt ist.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Die Revision wird zugelassen.
1
G r ü n d e :
2I.
3Der Kläger wurde am 2.6.2006 mit einem Down-Syndrom (freie Trisomie 21) und einem Herzfehler (Fallot'sche Tetralogie) geboren. Er wurde zunächst im Marienhospital Bonn und sodann in der Asklepios Klinik Sankt Augustin behandelt und am 6.7.2006 in die ambulante Therapie entlassen, wobei eine Herzoperation für den September 2006 geplant war. Die Asklepios Klinik übersandte dem Beklagten zu 1), der als niedergelassener Kinderkardiologe tätig ist, eine Medikamentenliste für die Behandlung des Klägers. Diese enthielt unter anderem das Medikament Lanitop, ein digitalishaltiges Präparat zur Stärkung der Herzfunktion, mit der auf dieses Medikament bezogenen Angabe "2 x 1 gtt", wobei mit "gtt" Tropfen gemeint sind.
4Eine Mitarbeiterin des Beklagten zu 1) bereitete für die Mutter des Klägers noch am 6.7.2006 ein Rezept für den Kläger vor, das der Beklagte zu 1) auch unterschrieb. Dieses wies Namen und Geburtsdatum des Klägers aus und enthielt die Angabe insgesamt dreier Medikamente, darunter auch des Medikamentes Lanitop mit dem Zusatz "50 Tbl." (also Tabletten). Tabletten enthalten die gegenüber Tropfen achtfache Dosierung des Digitaliswirkstoffes und sind als Darreichungsform nur für Erwachsene und Heranwachsende vorgesehen. Die Mutter des Klägers löste das Rezept in der Apotheke des Beklagten zu 2) ein, dem die Situation des Klägers bekannt war und dem auch die Medikamentenliste der Asklepios Klinik vorlag. Seine Mitarbeiterin händigte ihr 50 Tabletten aus, wofür eine Packung, die es nur in der Größe von 100 Tabletten gab, geteilt werden musste. Sie empfahl der Mutter des Klägers, die Tabletten aufzulösen und dem Kläger einzuflößen.
5Vom 6.7.2006 bis zum Abend des 9.7.2006 wurde dem Kläger jeweils morgens und abends eine aufgelöste Tablette des Medikamentes Lanitop verabreicht (insgesamt sieben Mal). In der Nacht vom 9. auf den 10.7.2006 traten bei dem Kläger Krämpfe, hohes Fieber und ein aufgeblähtes Abdomen auf. Er wurde notfallmäßig in die Asklepios Klinik Sankt Augustin aufgenommen. Dort kam es zu einem Herzstillstand mit nachfolgender Reanimation über einen Zeitraum von 50 Minuten mit Intubation, Herzdruckmassage und Defibrillation. Eine offene Bauch-Operation wegen akuten Abdomens ergab eine Entzündung weiter Teile des Dünndarms. Ein nekrotisierter Teil des Dünndarms musste entfernt und ein doppelläufiger Anus praeter angelegt werden, der nach einigen Wochen zurückverlegt werden konnte. Über eine Dauer von 11 Tagen war eine künstliche Beatmung erforderlich. Der angeborene Herzfehler wurde am 10.10.2006 operativ korrigiert. Wegen des weiteren Verlaufs der gesundheitlichen Entwicklung des Klägers wird auf die eingereichten Schriftsätze und die beigefügten Anlagen Bezug genommen.
6Bei dem Kläger liegt ein erheblicher Entwicklungsrückstand vor, der im einzelnen Gegenstand von im Verlaufe des Rechtsstreits vorgelegten Berichten des Familienzentrums Kleinbüllesheim (Anlage K 34, Bl. 210 ff. d.A.) und der LVR-Klinik Bonn vom 13.3.2012 (Anlage K 37, Bl. 300 ff. d.A.) ist, ausweislich derer er insbesondere im Alter von fünf Jahren noch nicht in der Lage war, zu sprechen, zu laufen oder selbständig zu essen. Auch hierauf wird Bezug genommen.
7Auf geltend gemachte Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen des Klägers haben die Beklagten bislang 5.000.- € gezahlt.
8Der Kläger hat behauptet, er habe durch den erlittenen Herzstillstand als Folge der Digitalisintoxikation einen hypoxischen Hirnschaden erlitten, der für seinen Entwicklungsrückstand verantwortlich sei. Er hat die Auffassung vertreten, dass beide Beklagten für seine Schäden, insbesondere die Hirnschäden, einzustehen hätten, weil sie jeweils grob fehlerhaft gehandelt hätten. Soweit es Zweifel am Ursachenzusammenhang zwischen dem jeweiligen Fehlverhalten und den bei ihm vorliegenden Schäden gebe, gingen diese zu Lasten der Beklagten.
9Er hat beantragt,
101.
11die Beklagten zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 200.000.- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 5.1.2007 sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 4.739,18 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
122.
13festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger allen weiteren, derzeit nicht absehbaren immateriellen Folgeschaden zu ersetzen, der ihm durch das fehlerhafte Handeln der Beklagten am 6.7.2006 entstanden ist und in Zukunft noch entstehen wird,
143.
15festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger allen weiteren, derzeit nicht absehbaren materiellen Folgeschaden zu ersetzen, der ihm durch das fehlerhafte Handeln der Beklagten am 6.7.2006 entstanden ist und in Zukunft noch entstehen wird, soweit er noch nicht beziffert werden kann und diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.
16Die Beklagten haben beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Sie haben bestritten, dass den Beklagten jeweils ein grober Fehler vorzuwerfen sei (dass das Verhalten beider Beklagter als einfacher Fehler anzusehen sei, haben sie nicht bestritten), vielmehr stelle sich das Verhalten beider als "Augenblicksversagen" dar. Für eine Beweislastumkehr sei insofern kein Raum, erst recht nicht hinsichtlich des Beklagten zu 2), auf den die für Ärzte entwickelten Grundsätze keine Anwendung fänden. Sie haben bestritten, dass dem Kläger über die unmittelbaren Folgen der Digitalisvergiftung hinaus ein Schaden entstanden sei, insbesondere sei trotz des Herzstillstandes nicht von einem hypoxischen Hirnschaden auszugehen, für den es keine zwingenden Hinweise gebe. Vielmehr seien der Zustand des klägerischen Gehirns und die darauf beruhende etwaige Entwicklungsverzögerung als Folge der Grunderkrankung des Klägers anzusehen.
19Die Kammer hat nach sachverständiger Beratung durch den Sachverständigen Prof. Dr. Kececioglu, einen Kinderkardiologen, der Klage hinsichtlich der begehrten Feststellungen uneingeschränkt stattgegeben, den Zahlungsanträgen daneben insoweit, als ein Schmerzensgeld (mit Rücksicht auf die vorgerichtlich gezahlten 5.000.- €) von 195.000.- € und vorprozessuale Kosten in Höhe von 2.513,28 € zuerkannt wurden. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass den Beklagten neben der Darmschädigung und seiner Behandlung, dem Herzkreislaufstillstand, den Wiederbelebungsmaßnahmen und der künstlichen Beatmung auch ein hypoxischer Hirnschaden des Klägers mit der dadurch verursachten motorischen und sprachlichen Entwicklungsverzögerung zuzurechnen sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei es überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger im Zuge der 50-minütigen Wiederbelebungsmaßnahmen einen hypoxischen Hirnschaden erlitten habe. Dies ergebe sich aus einem für einen hypoxischen Schaden sprechenden MRT-Befund ebenso wie aus dem klinischen Bild. Die überwiegende Wahrscheinlichkeit reiche für die Zurechnung aus, da es sich hierbei um einen Sekundärschaden handele - Primärschaden sei die Digitalisintoxikation als solche. Dass die anlagebedingten Vorschäden des Klägers ebenfalls zu seinem Entwicklungsrückstand mit beigetragen hätten, sei unschädlich, da jede Mitursächlichkeit zur Haftung führe. Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil vom 9.5.2012 Bezug genommen.
20Hiergegen haben die Beklagten form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der sie weiter die Abweisung der Klage erstreben. Sie sind der Auffassung, das Gericht habe die Beweislastregeln verkannt. Es sei nicht § 287 ZPO anwendbar, vielmehr hätte es dem Kläger oblegen, hinsichtlich des Eintritts eines hypoxischen Hirnschadens den Vollbeweis des § 286 ZPO zu erbringen. Es entspreche allgemeiner Auffassung, dass der Schaden vom Kläger zu beweisen sei und zwar nach dem Beweismaß des § 286 ZPO. Insoweit sei nicht die Frage der Kausalität betroffen und gehe es schon gar nicht um die Frage haftungsausfüllender Kausalität, sondern um Fragen des Haftungsgrundes, nämlich des Eintritts eines konkreten Schadens. Das Gericht habe sich auch keineswegs nur auf die Feststellungen eines kardiologischen Sachverständigen stützen dürfen, denn die Frage, ob ein hypoxischer Hirnschaden eingetreten sei, falle in das Fachgebiet eines Neuropädiaters. Soweit wiederum von dem zu Unrecht unterstellten hypoxischen Hirnschaden auf die Entwicklungsstörung geschlossen werde, werde § 287 ZPO in doppelter Weise zu Lasten der Beklagten angewandt. Auch hätte die Kammer nicht ohne weitere Begutachtung zur Frage der künftigen Entwicklung des Klägers ein Schmerzensgeld in der erkannten Größenordnung, die ohnehin zu hoch sei, ausurteilen dürfen. Das Bestreiten eines jeweils groben Fehlers halten sie aufrecht. Ferner bestreiten sie eine erhebliche Entwicklungsverzögerung des Klägers.
21Der Kläger, der die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft in erheblichem Maße sein erstinstanzliches Vorbringen.
22Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens beider Seiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
23II.
24Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist unbegründet, soweit es die gesamtschuldnerische Haftung beider Beklagten dem Grunde nach betrifft. Zu klären bleibt noch der genaue Umfang des Schmerzensgeldesbetrages und davon abhängig auch der Umfang der Höhe der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten. Das hindert indes nicht den Erlass eines Grundurteils, soweit der bezifferte Schaden betroffen ist, und eines Teilurteils, soweit es um den Feststellungsausspruch geht, denn insoweit kann der weitere Prozessverlauf nicht zu Feststellungen führen, die in Widerspruch stehen mit der hier getroffenen Grund- und Teilentscheidung.
251. Haftung des Beklagten zu 1)
26Die Verurteilung des Beklagten zu 1) ist dem Grunde nach – sowohl aus dem Gesichtspunkt der schuldhaften Verletzung des Behandlungsvertrages als auch unter dem Gesichtspunkt deliktischer Haftung (§§ 280, 611, 823 BGB) - zu Recht erfolgt, denn der Beklagte zu 1) hat durch einen groben Behandlungsfehler die Gesundheit des Klägers in erheblichem Maße geschädigt und damit sowohl seine allgemein deliktischen als auch seine vertraglichen Pflichten verletzt. Soweit es um die vertragliche Haftung geht, mag dabei dahinstehen, ob ein unmittelbarer Behandlungsvertrag mit dem Kläger (vertreten durch seine Eltern) zustande gekommen ist oder ein echter Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB) – sicherlich nicht ein Vertrag mit den Eltern des Klägers nur mit "Schutzwirkung" zugunsten des Klägers, wie es bei der Kammer anklingt, denn primäre vertragliche Pflicht war die Behandlung des Klägers. Für die Frage der haftungsrechtlichen Folgen kommt es darauf nicht an.
27a)
28Dass der Beklagte zu 1), indem er dem Kläger ein Rezept ausgestellt hat, das das digitalishaltige Medikament Lanitop in einer für den Kläger falschen Darreichungsform (Tabletten anstatt Tropfen) und vor allem in einer achtfachen Überdosierung enthielt, die von einem Kinderarzt zu fordernde ärztliche Sorgfalt verletzt hat, mithin ein Behandlungsfehler vorliegt, ist zwischen den Parteien nicht streitig und seitens des Beklagten zu 1) ausdrücklich zugestanden (§ 288 ZPO). So hat der Beklagte zu 1) etwa in der Klageerwiderung ausdrücklich eingeräumt, dass ihm ein Behandlungsfehler zur Last falle (Bl. 73 d.A.) oder im Schriftsatz vom 7.2.2012 vortragen lassen (dort Bl. 264 d.A.), es stehe außer Frage, dass ihm im Hinblick auf die Überdosierung ein Vorwurf zu machen sei. Er hat ferner wörtlich im Rahmen der mündlichen Anhörung durch die Kammer von einem "Versehen" gesprochen. Bestritten hat er nur die Einordnung dieses Fehlers als grob. Das aber hat nur Bedeutung für die Frage der Schadensursächlichkeit, nicht für die Frage des Behandlungsfehlers als Ausgangspunkt der Haftung.
29b)
30Der Kläger hat in der Folge dieses Fehlers schwere gesundheitliche Schäden erlitten. Für die Darlegung und den Nachweis eines gesundheitlichen Schadens ist, wie zwischen den Parteien nicht umstritten ist und wie es einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur entspricht, grundsätzlich und ausnahmslos der klagende Patient zuständig (etwa BGH, Urt. v. 1.10.1985, VersR 1986, 183; Urt. v. 7.2.2012, BGHZ 192, 298 ff.). Eine Schädigung liegt vor, wenn sich der gesundheitliche Zustand des Patienten nach der Behandlung schlechter darstellt als vor der Behandlung, bzw., wenn der aufgrund einer lege-artis-Behandlung sicher eingetretene Heilungserfolg (den der Arzt indes nicht etwa als solcher schuldet) ausbleibt. Dies gilt auch für Patienten, die – gemessen an einem nach objektiv medizinischen Gesichtspunkten gesunden Menschen – durch eine Grunderkrankung oder, wie hier, durch angeborene, genetisch bedingte Behinderung gesundheitlich vorgeschädigt sind. Auch hier muss eine objektive Schlechterstellung gegenüber einem Verlauf ohne schädigende Handlung vorliegen. Kann ein Schaden nicht sicher festgestellt werden, geht dies zu Lasten des Patienten.
31Davon zu trennen ist jedoch die Frage, ob eine festgestellte Verschlechterung (bzw. ausgebliebene Verbesserung, die bei ordnungsgemäßem Handeln sicher hätte eintreten müssen) des Gesundheitszustandes Folge des schädigenden Verhaltens oder Folge der Grunderkrankung ist. Ist beides denkbar, liegt die Beweislast bei dem, der die Kausalität zu beweisen hat, denn es handelt sich um eine Frage der Kausalität. Um eine Kausalitätsfrage handelt es sich auch dann, wenn sich zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses noch keine schadensbedingte Folge äußerlich zeigt oder hinreichend sicher feststellen lässt, im weiteren Verlauf sich dann aber ein Schadensbild manifestiert, dessen Ursache sowohl die Grunderkrankung bzw. die Grundbehinderung sein kann als auch das schädigende Ereignis. Es liegt dann nicht bei dem geschädigten Patienten, den (negativen) Beweis zu erbringen, dass der objektiv vorliegende Schaden sich nicht als Fortentwicklung seines Grundleidens darstellt, sofern ihm nicht ohnehin die Beweislast für die Kausalität obliegt. Wäre dies anders, würden die Grundsätze der Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität (etwa bei groben Behandlungsfehlern) in zahllosen Fällen leer laufen.
32Der Kläger hat durch die Verabreichung des Medikamentes Lanitop unterschiedliche Schäden erlitten, die teilweise streitig sind, teilweise nicht. Auch die Beklagten bestreiten nicht, dass der damals fünf Wochen alte Kläger durch die achtfache Überdosierung mit dem Medikament "Lanitop" erhebliche unmittelbare gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten hat, nämlich Krämpfe, Schmerzen, hohes Fieber, Erbrechen sowie schließlich einen Herzstillstand mit einer über 50 Minuten andauernden Reanimation. Ebenfalls ist unstreitig, dass die Intoxikation ganz beträchtliche Folgen im Hinblick auf den Dünndarm mit sich brachte, nämlich eine unzureichende Blutversorgung mit Nekrotisierung, das Krankheitsbild eines akuten Abdomens und eine offene Bauchoperation mit Teilentfernung des Dünndarms und temporärer Anlage eines Anus praeter. Weitere unstreitige Folge der Intoxikation war eine Sepsis.
33Von den Beklagten bestritten ist eine hypoxische Hirnschädigung des Klägers als Folge des Herzstillstandes und der langen Zeit bis zur endgültigen Reanimation des Klägers. Dass der Kläger eine organische Hirnschädigung aufweist, wird als solches nicht (jedenfalls nicht hinreichend) bestritten. Die Frage, ob es sich bei der Hirnschädigung um eine "hypoxische" handelt, ist indes eine Frage der Kausalität, nicht eine des Schadens. Die Beklagten heben im Rahmen der Berufungsbegründung ausschließlich darauf ab, dass die Kammer zu Unrecht von einem hypoxischen Hirnschaden ausgegangen sei. Dass sich bei der MRT-Untersuchung des Klägers (Befundbericht der Jancker Klinik Bonn vom 23.8.2011, Bl. 208 d.A.) im Gehirn Vernarbungen (Gliosen) gezeigt haben, die ihrerseits mit einer hypoxischen Schädigung gut vereinbar, wenn auch nicht beweisend sind, bestreiten sie nicht. Sie können auch nicht bestreiten, dass in einem engen zeitlichen Zusammenhang zur Intoxikation des Klägers sich bei ihm eine ausgeprägte Microcephalie entwickelt hat (bei einem bis dato gerade für ein Downkind eher überdurchschnittlichen Kopfumfang) und dass sich die EEG-Werte nach dem Zwischenfall als hochgradig pathologisch darstellten (all dies ergibt sich aus dem aus Sicht des Senates jenseits aller Zweifel stehenden Gutachten des Prof. Dr. Schulte, dessen hohes Maß an Kompetenz, Seriosität und Neutralität dem Senat seit vielen Jahren bekannt ist). Gleiches gilt für das seitens des Privatsachverständigen Prof. Dr. Schulte als sicher angenommene neurologische Durchgangssyndrom. All dies sind eindeutige Belege für eine organische Hirnschädigung, mögen es auch keine hinreichenden, vernünftige Zweifel ausschließenden Belege für das Vorliegen eines sauerstoffmangelbedingten Hirnschadens sein.
34Dass eine erhebliche Hirnschädigung bei dem Kläger vorliegt (unabhängig von deren Ursache), belegt schließlich die bei dem Kläger festgestellte deutliche Entwicklungsverzögerung. Sie ergibt sich zum einen überaus anschaulich und detailliert aus dem Entwicklungsbericht des städtischen Familienzentrums Kleinbüllesheim (Anlage K 34 zum Schriftsatz vom 3.10.2011, Bl. 210). Danach ist hinsichtlich aller denkbaren Kriterien eine deutliche bzw. schwere Entwicklungsverzögerung festzustellen. Nur beispielhaft sei hier erwähnt, dass der Kläger danach mit fünf Jahren weder laufen noch Sprechen noch selbständig Nahrung zu sich nehmen konnte. Es handelt sich dabei, wie sich aus dem Bericht ebenso wie aus der seitens des Klägers vorgelegten Literatur ergibt, um einen Entwicklungsstand, der weit hinter dem eines durchschnittlichen gleichaltrigen Kindes, und auch weit hinter dem eines gleichaltrigen durchschnittlichen Kindes mit Down-Syndrom liegt. Die Entwicklungsstörung ergibt sich zum anderen aus dem Arztbericht des Kinderneurologischen Zentrums der LVR-Klinik Bonn vom 13.3.2012 (Anlage K 37 vom 26.3.2012, Bl. 300 ff. d.A.), in dem Chefarzt Dr. Hollmann zusammenfassend von "schwersten Entwicklungsstörungen" berichtet. Schließlich hat der gerichtliche Sachverständige, Prof. Dr. Kececioglu, im Rahmen seiner mündlichen Erläuterung des Gutachtens ausgeführt, dass der Kläger gemessen an der durchschnittlichen Entwicklung eines Kindes mit Down-Syndrom eine in etwa verdoppelte Entwicklungszeit aufweise, der Rückstand des Klägers somit "beachtlich" sei.
35Der Senat geht aufgrund der vorliegenden Berichte und deren sachverständiger Bewertung von einer klaren und eindeutigen Entwicklungsstörung aus. Den Inhalt der Berichte bestreiten die Beklagten auch nicht mit Substanz. Das bloße Bestreiten mit Nichtwissen genügt nicht, um deren Inhalt in ernstliche Zweifel zu ziehen. Auch der Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 14.6.2013 stellt kein beachtliches Bestreiten einer signifikanten Entwicklungsverzögerung dar. Soweit die Beklagten, die sich eine ungewöhnlich lange Frist zur Stellungnahme zum gerichtlichen Vergleichsvorschlag vor dem Hintergrund der Einholung weiterer ärztlicher Erkundigungen erbeten und sie entsprechend erhalten haben, nunmehr allein den aus dem Internet erlangten Brief der Mutter des Klägers an seine Physiotherapeutin vorlegen können, in dem diese sich erfreut und glücklich zeigt, dass ihr Kind nunmehr (im Alter von 6 Jahren!) die ersten Schritte getan hat, um zu bestreiten, dass tatsächlich eine nennenswerte Entwicklungsverzögerung vorliege, erscheint dem Senat dies (ebenso wie den Vertretern des Klägers) als schlicht befremdlich, jedenfalls aber nicht als tauglichen Einwand gegen den Inhalt der detaillierten Berichte, eher als deren Bestätigung.
36c)
37Der Beklagte zu 1) kann nicht beweisen, dass die festgestellten Schäden nicht auf dem von ihm zu verantwortenden Behandlungsfehler beruhen. Die Beweislast trifft jedoch ihn, denn der Behandlungsfehler ist als grober Behandlungsfehler einzustufen, und die daraus resultierende Beweislastumkehr erfasst die hier in Rede stehenden Schäden. Nach allgemeiner Auffassung in Literatur und Rechtsprechung, die auch von den Parteien nicht in Zweifel gezogen wird, trifft den Behandler bei einem groben Behandlungsfehler das Risiko der Unaufklärbarkeit des Kausalzusammenhangs zwischen Behandlungsfehler und Primärschaden, wenn der Fehler aus objektiver medizinischer Sicht geeignet war, den Schaden herbeizuführen, es sei denn, der Kausalzusammenhang ist im konkreten Fall als äußerst unwahrscheinlich anzusehen (statt vieler: BGH Urteil vom 27.4.2004, BGHZ 159, 48 ff., 53).
38aa)
39Der Fehler des Beklagten zu 1) ist als grober Fehler anzusehen. Grob ist ein Fehler, wenn der Behandler einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte Behandlungsgrundsätze begangen hat, und dieser Verstoß aus objektiver medizinischer Sicht nicht mehr als verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Die Wertung als grob ist dabei originär richterliche Aufgabe, muss allerdings auf der Grundlage sachverständiger Erkenntnisse getroffen sein (BGH, Urt. v. 25.11.2003, NJW 2004, 1452)
40Der Sachverständige Prof. Dr. Kececioglu hat als zum Beklagten zu 1) fachgleicher Gutachter die Fehlmedikation als groben Behandlungsfehler bezeichnet. Diese klipp und klar (und in Kenntnis der Elemente der Definition eines groben Fehlers) getroffene Aussage ist erfolgt, nachdem der Sachverständige die Wirkungen des Medikamentes und die Auswirkungen einer Überdosierung ausführlich erläutert hat. Dass es sich danach bei der Verabreichung einer achtfachen Digitalis-Dosis gegenüber der medizinisch indizierten um einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte Behandlungsregeln handelt, ist nicht weiter diskussionswürdig. Es handelt sich aber auch um einen Verstoß, der objektiv (!) unverständlich ist und der einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Da es hier um einen objektiven medizinischen Maßstab geht, verbietet sich eine Parallele zu den Grundsätzen, die bei grober Fahrlässigkeit Anwendung finden. Insofern ist der Einwand des Beklagten zu 1) nicht beachtlich, dass es sich bei seinem Fehlverhalten um ein typisches "Augenblicksversagen" (unkritisches Unterschreiben eines von der Hilfskraft vorbereiteten Rezeptes) gehandelt habe. Entscheidend ist, dass es um die Verordnung eines hoch gefährlichen Medikamentes geht, bei dem alle damit Befassten ein Höchstmaß an Sorgfalt obwalten lassen müssen. Wer prinzipiell lebensgefährliche Medikamente verschreibt, muss sich der Bedeutung dieses Tuns bewusst sein und seine volle Aufmerksamkeit hierauf konzentrieren (was dem Arzt auch nicht aus medizinisch nachvollziehbaren Gründen erschwert wäre). Weder der für den niedergelassenen Arzt typische Praxis-Stress noch Ablenkung oder Routine können ein solches Versehen entschuldigen. Gerade bei einem solchen Medikament darf dergleichen "schlechterdings nicht unterlaufen", anders ausgedrückt: in solchen Momenten darf der Arzt nicht versagen.
41bb)
42Der Behandlungsfehler war auch grundsätzlich geeignet, die unter b) aufgeführten Schäden des Klägers einschließlich eines hypoxischen Hirnschadens herbeizuführen. Um dem Behandler bei Vorliegen eines groben Fehlers die Beweislast für die Kausalität zwischen Handlung und Primärschaden aufzuerlegen, genügt die generelle Eignung des Behandlungsfehlers, den eingetretenen Schaden zumindest mitverursacht zu haben, es sei denn, die (Mit-)Ursächlichkeit sei trotz genereller Eignung gänzlich unwahrscheinlich (BGH in std. Rechtsprechung, etwa Urt. v. 16.11.2004 – NJW 2005, 427 m.w.N.). Bei den hier zugrunde zu legenden Primärschäden ist davon auszugehen, dass die Digitalisintoxikation generell geeignet war, sie zu bewirken, und dass dies im konkreten Fall auch keineswegs gänzlich unwahrscheinlich ist.
43Im Hinblick auf die ohnehin nur am Rande interessierenden primären Folgen der Vergiftung wie Krämpfe, Schmerzen, hohes Fieber, Erbrechen sowie Herzstillstand besteht zwischen den Parteien über die Kausalzusammenhänge kein Streit. Hinsichtlich der Nekrotisierung des Dünndarms geht der Senat ebenfalls davon aus, dass der Zusammenhang mit der Intoxikation nicht streitig ist (streitig ist allenfalls, ob die notwendige Darmteilresektion Folgen für das künftige Leben des Klägers haben kann, was allerdings nur Bedeutung hat für die Beurteilung haftungsausfüllender Kausalität für spätere Schäden). Er ergäbe sich im übrigen auch hinreichend sicher aus den vorliegenden Gutachten, und zwar sowohl aus dem gerichtlichen als auch den privat eingeholten Gutachten beider Seiten. Dass die Digitalisvergiftung zumindest generell geeignet war, eine Dünndarmnekrose zu bewirken, und dies eine keineswegs gänzlich unwahrscheinliche Folge, steht außer Zweifel, ergibt sich auch unter anderem mit überzeugender Klarheit aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Kececioglu.
44Es steht ferner für den Senat fest, dass die hier eindeutig im Vordergrund stehenden Hirnschäden des Klägers eine in diesem Sinne mögliche und nicht gänzlich unwahrscheinliche Folge der Digitalisvergiftung bzw. des daraus resultierenden Herzstillstandes mit einer wiederum daraus resultierenden Sauerstoffunterversorgung des Gehirns sind. Der Herzstillstand des Klägers und die Reanimationsbemühungen dauerten 50 Minuten an. Dass dies zu einer ganz erheblichen Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff und damit zu gravierenden Schäden des Gehirns führen kann, hält der Senat schon für allgemein bekannt. Jedenfalls aber ist es gerichtsbekannt, denn der Senat, der seit vielen Jahren schwerpunktmäßig Arzthaftungsfälle bearbeitet, ist bereits mit zahlreichen Fällen von Sauerstoffunterversorgung von Patienten, insbesondere auch von Neugeborenen und Kleinkindern konfrontiert worden, bei denen die Auswirkungen eines Herzstillstandes auf das Gehirn von entscheidender Bedeutung waren. Von daher ist dem Senat bekannt, dass bereits eine sehr kurzzeitige Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr für das kindliche Gehirn beträchtliche negative Auswirkungen haben kann. Auf diese zumindest möglichen Folgen weisen aber vor allem in völliger Eindeutigkeit die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen ebenso hin wie diejenigen des neuropädiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. Schulte und nicht zuletzt auch diejenigen des Sachverständigen der Beklagten, Prof. Dr. Schneeweiß, der eine dauerhafte Hirnschädigung des Klägers zwar für eher unwahrscheinlich hält, aber damit keineswegs ausschließt, während die beiden anderen Gutachter eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines hypoxischen Hirnschadens annehmen. So hat der gerichtliche Sachverständige ausgeführt, dass schon bei einer Reanimationszeit von fünf Minuten die Besorgnis einer Unterversorgung der Durchblutung des Gehirns und des Sauerstoffmangels bestehe und mit Hirnschäden zu rechnen sei. Eine Zeitdauer von 50 Minuten sei als sehr lang anzusehen und die Erwartung eines hypoxischen Hirnschadens damit entsprechend größer. Er hat sich dabei auch durch den MRT-Befund der Jancker-Klinik bestätigt gesehen, der Vernarbungen ausweist, welche wiederum mit der Annahme eines frühkindlichen hypoxischen Hirnschadens vereinbar sind. Er hat ferner den deutlichen Entwicklungsrückstand des Klägers nicht auf den angeborenen Herzfehler des Klägers zurückführen wollen, sondern auf die Fehlmedikation (S. 3 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 4.4.2012, Bl. 305 d.A.), was wiederum voraussetzt, dass er einen hypoxischen Hirnschaden des Klägers zugrunde legt, wobei für den Senat von besonderer Bedeutung ist, dass dieser Sachverständige als Kinderkardiologe einen Zusammenhang zwischen angeborenem Herzfehler und Entwicklungsrückstand weitgehend ausschließt. Hinsichtlich der sehr eingehenden Ausführungen des (Privat-)-Sachverständigen Prof. Dr. Schulte nimmt der Senat Bezug auf das Gutachten vom 18.12.2007 (Anlage K 1 zur Klageschrift). Besonders herauszuheben sind dabei die Ausführungen, wonach der seinerzeit festgestellte EEG-Befund mit einem sog. Burst-Suppressionsmuster ein speziell für dieses Lebensalter sehr typischer Befund für eine durchgemachte zerebrale Hypoxie darstelle, ohne diese jedoch beweisen zu können (S. 15/16 der Anlage K 1).
45Weiterer Beweiserhebung zu der Frage, ob der Behandlungsfehler generell geeignet war, einen hypoxischen Hirnschaden zu verursachen, bzw., ob ein solcher Kausalverlauf gänzlich unwahrscheinlich ist, bedarf es nicht. Wie oben dargelegt, ist diese Frage nicht streitig, jedenfalls aber nicht weiter beweisbedürftig und jedenfalls durch die vorliegenden Gutachten ausreichend geklärt. Die Beklagten haben nicht behauptet und können nicht behaupten, dass durch die lange Reanimationspflichtigkeit ein Hirnschaden nicht eingetreten sein kann. Insofern bedarf es daher auch weder einer weiteren fachradiologischen Begutachtung noch einer weiteren speziell neuropädiatrischen.
46cc)
47Es handelt sich auch um Primärschäden, für die die Umkehr der Beweislast gilt. Dies gilt für die unmittelbar aufgetretenen Folgen der Digitalisvergiftung, wie oben (vgl. b) und c) bb)) dargestellt, einschließlich der Nekrotisierung des Dünndarms, ohne dass dies noch weiterer Begründung bedarf. Es gilt aber auch im Hinblick auf den - möglicherweise hypoxisch verursachten – organischen Hirnschaden.
48Die Feststellung, dass es sich hierbei um einen Primärschaden handelt, ist notwendig zu treffen. Die Annahme des Landgerichts, es genüge, dass sich die festzustellende Entwicklungsverzögerung als Sekundärschaden darstelle, für die das Beweismaß des § 287 ZPO gelte, und dass dieser sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf das Schadensereignis zurückführen lasse, ist so nicht zutreffend. Sie übersieht zum einen, dass von einem Sekundärschaden nur gesprochen und er dem Schädiger nur zugerechnet werden kann, wenn zwischen Behandlungsfehler, eingetretenem Primärschaden und daraus resultierendem Sekundärschaden eine ununterbrochene Kette feststellbar ist. Die bloße Feststellung, dass ein bestimmter Sekundärschaden "überwiegend wahrscheinlich" auf dem Fehler beruhe, genügt nicht (vgl. etwa BGH NJW 1988, 1948). Sie übersieht zum anderen, dass bestimmte Folgeschäden sich als typische Folge eines bestimmten Primärschadens darstellen können, was wiederum bedeutet, dass auch der Sekundärschaden an der Beweislastumkehr des Primärschadens teilnimmt (vgl. etwa BGH NJW 1978, 1683). In diesem Sinne kommt dem Vorliegen eines hypoxischen Hirnschadens mehrfache Bedeutung zu und kann diese Frage nicht offen bleiben.
49Ein Primärschaden liegt vor bei dem "ersten Verletzungserfolg" (OLG Karlsruhe, Urt. v. 21.5.2008, VersR 2009, 831; vgl. ferner BGH, Urt. v. 12.2.2008, NJW 2008, 1381). Was dabei als "erster" Verletzungserfolg anzusehen ist, kann nur anhand des konkreten Einzelfalls unter Beachtung einer natürlichen, nicht zu künstlicher Aufspaltung neigenden Betrachtungsweise entschieden werden. Setzt ein Behandlungsfehler etwa eine ganze Kette von Reaktionen im menschlichen Körper in Gang, so kann eine Abgrenzung zu einem Folgeschaden erst erfolgen, wenn die "Kettenreaktion" zum Stillstand gekommen ist. Im Fall des Klägers ist eine solche Kette von Reaktionen in Gang gesetzt worden. Das Einbringen von einer Überdosis Digitalis in den Körper hat einerseits zu Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Krämpfen, Temperaturanstieg usw. geführt, andererseits zu einer Minderdurchblutung des Darms, die unmittelbar zu dessen partiellem Absterben führte. Vor allem hat sie unmittelbar zu einem Herzstillstand geführt, was ebenfalls unmittelbar, das heißt ohne Zäsur und ohne jedes Dazwischentreten weiterer Ursachen, zu einer Störung der Sauerstoffzufuhr im Gehirn geführt hat. Danach ist es – so die aufgrund des groben Fehlers vorzunehmende Unterstellung – zu einer Schädigung des Gehirns durch Absterben von Hirnzellen gekommen. Dieser Vorgang kann nicht in einzelne Bestandteile aufgespalten, sondern nur einheitlich betrachtet werden. Er hat sich in zeitlicher Hinsicht in wenigen Stunden vollzogen, und er stellt sich als ein ununterbrochenes, kontinuierlich fortschreitendes Geschehen dar.
50Auf die Frage, ob sich die Entwicklungsstörung ihrerseits als Primär- oder als Sekundärschädigung darstellt, kommt es demgegenüber an dieser Stelle nicht an. Wichtig ist hier nur, dass sie, sollte sie als Sekundärschaden aufzufassen sein, an einer Primärschädigung (hypoxischer Hirnschaden) anknüpft. Im übrigen könnte die Rechtsprechung des BGH (hier insbesondere Urteil vom 21.7.1998, NJW 1998, 3417) durchaus dafür sprechen, die Entwicklungsstörungen des Klägers nur als das äußere Erscheinungsbild (und damit als bloßes Symptom) der hypoxischen Hirnschädigung anzusehen und damit auch dies als Primärschaden aufzufassen. Diese Frage lässt der Senat allerdings derzeit unentschieden, da zu der Frage der Entwicklungsstörung zunächst weitere Tatsachengrundlagen geschaffen werden sollen.
51d) Haftungsfolgen
52Der Beklagte zu 1) ist aufgrund der feststehenden Schädigung und des nicht zu widerlegenden Kausalzusammenhangs zum Ersatz von materiellen Schäden verpflichtet. Diese sind bislang nicht beziffert, sondern Gegenstand des Feststellungsantrags. Da für diesen ausreicht, dass materielle Schäden in der Zukunft möglich sind, was hier sowohl hinsichtlich der Darmoperation als auch vor allem hinsichtlich des organischen Hirnschadens der Fall ist, ist er begründet und die Berufung schon deshalb ohne weiteres zurückzuweisen. Er ist auch nicht auf die Erstattung künftiger Schäden zu begrenzen, denn der Kläger ist nicht gehalten, bei einem noch nicht abgeschlossenen Schadensverlauf Vergangenheitsschäden zu beziffern.
53Der Kläger hat ferner Anspruch auf Schmerzensgeld (§ 253 BGB). An der Bezifferung sieht sich der Senat derzeit noch gehindert. Maßgeblich für die Bemessung ist wegen der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldanspruchs vor allem eine Prognose, wie sich der Schaden des Klägers in der Zukunft auswirken wird, welche Entwicklungsmöglichkeiten und welche Heilungschancen er hat. Maßgeblich für die Bemessung des Schmerzensgeldes ist auch, welche Mindestbeeinträchtigungen er aufgrund seiner geburtsbedingten Schädigung in jedem Fall erlitten hätte, also ob und inwieweit sich die behandlungsfehlerbedingten Schäden von den behinderungsbedingten abgrenzen lassen. Dabei werden zwar Zweifel über das Ausmaß der durch den Behandlungsfehler verursachten Anteile am Hirnschaden des Klägers (Primärschaden) zu Lasten der Beklagten gehen und es wird damit der für den Kläger bestmögliche denkbare Ausgangspunkt hinsichtlich des Primärschadens zugrunde zu legen sein. Diesen allein anhand der vorliegenden Unterlagen und des bislang vorliegenden gerichtlichen Sachverständigengutachtens zuverlässig zu ermitteln, sieht sich der Senat außerstande. Dies gilt umso mehr, als – dies rügen die Beklagten zu Recht – bislang nur die gutachterliche Äußerung eines Sachverständigen vorliegt, der für die Beurteilung von Hirnschäden, insbesondere aber zur Beurteilung von anlagebedingten Vorschäden bei einem Kind mit Down-Syndrom, nicht hinreichend sachkompetent ist, worauf er selbst hingewiesen hat. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Begutachtung durch Prof. Dr. Schulte, dessen Qualifikation als Neuropädiater zwar nicht in Frage steht, der allerdings den Kläger zu einem Zeitpunkt begutachtet hat, in dem nach eigenem Bekunden eine verlässliche Aussage über die Frage des Ob und des Inwieweit der Schadensfolgen und des Anteils der Vorschädigung noch nicht möglich war. Insoweit soll – nach Rechtskraft dieser Entscheidung zum Haftungsgrund - ein neuropädiatrisches Gutachten eingeholt werden.
54Der Senat sieht sich auch gehindert, schon jetzt einen Mindestbetrag auszuweisen. Zwar ist nach jetzigem Wissensstand davon auszugehen, dass die Schädigung des Klägers weit über das Maß eines durchschnittlich veranlagten Kindes mit Down-Syndrom hinausgeht, erst recht also weit über das Maß dessen hinausgeht, was bei einem für den Kläger günstigen Verlauf zu erwarten wäre. Sollte sich dies auch für die konkrete Situation des Klägers im Hinblick auf seine Vorschäden als nicht weiter aufklärbar darstellen, wäre die vom Kläger als Mindestbetrag begehrte, vom Landgericht zuerkannte und vom Kläger im Berufungsverfahren nicht weiter angegriffene Schmerzensgeldsumme nicht zu beanstanden, würde vielmehr auch vom Senat als (jedenfalls!) angemessen angesehen. Da der Senat aber zum Umfang des Anteils der Vorschäden und zu den Perspektiven des Klägers keine hinreichende Beurteilungsgrundlage hat, erscheint die Festlegung eines Mindestbetrages derzeit als untunlich.
55Die Schäden, die nicht Hirnschäden sind, insbesondere die den Darm betreffenden Folgen, rechtfertigen im Übrigen bereits für sich genommen ein Schmerzensgeld, das über die durch die Beklagten bislang gezahlten 5.000.- € hinaus geht. Da diesen Beschwerden, ungeachtet ihrer Schwere, gegenüber der Hirnschädigung nur untergeordnete Bedeutung zukommen wird und die Bemessung des Schmerzensgeldes auf einer Gesamtbetrachtung beruht, ist auch insoweit eine Festlegung eines Mindestbetrages derzeit nicht tunlich.
562. Haftung des Beklagten zu 2)
57Auch der Beklagte zu 2) ist dem Kläger – gesamtschuldnerisch mit dem Beklagten zu 1) zu Schadensersatz und Schmerzensgeld verpflichtet. Auch er hat im Sinne von § 280 Abs. 1 BGB schuldhaft seine vertraglichen Pflichten (aus dem Kaufvertrag über das Medikament, unabhängig davon, ob dieser originär, aber mit Schutzwirkung zugunsten des Klägers, mit den Eltern des Klägers, oder in deren Vertretung mit ihm selbst zustande gekommen sein sollte), verletzt und zugleich eine rechtswidrige Körperverletzung des Klägers begangen. Kausalitätszweifel gehen, wie bei dem Beklagten zu 1), zu Lasten des Beklagten zu 2).
58a)
59Den Beklagten zu 2) ebenso wie seine Angestellten, für deren Verschulden er nach §§ 278, 831 BGB einzustehen hat, traf die Pflicht, die Abgabe des Medikamentes Lanitop an die Eltern des Klägers zu unterlassen bzw. zu verhindern, jedenfalls aber die Eltern des Klägers auf die Fehlmedikation durch den Beklagten zu 1) hinzuweisen, und vor dem Gebrauch des Medikamentes zu warnen, ggf. den Verkauf bis zur Klärung der Angelegenheit (Rückfrage beim Beklagten zu 1)) zu verweigern. Schon einen normalen Verkäufer treffen vertraglich wie deliktisch allgemeine Warn- und Hinweispflichten im Hinblick auf die mit dem Kaufgegenstand einhergehenden Gefahren für Leib, Leben oder Gesundheit des Käufers. Einen Apotheker treffen darüber hinaus auch berufsrechtlich Beratungspflichten hinsichtlich der von ihm abgegebenen Medikamente, die über die allgemeinen vertraglichen Warn- und Hinweispflichten eines Verkäufers hinausgehen. Jedem Apotheker und jedem Angestellten einer Apotheke muss bekannt sein, ob ein gefährliches Herzmedikament in einer bestimmten Darreichungsform für Erwachsene oder für Kleinkinder und Säuglinge bestimmt ist. Ein blindes Vertrauen auf die Verordnung des Arztes darf es nicht geben, denn auch ein Arzt und sein Personal können irren bzw. ihnen kann ein folgenschweres Versehen unterlaufen. Der Apotheker muss sich vielmehr eigene Gedanken über die Richtigkeit und Sinnhaftigkeit der Verordnung machen. Im Zweifel muss der Apotheker beim Arzt nachfragen, und die Angestellte des Apothekers muss entweder beim Arzt oder ihrem Chef bzw. einem anderen Apotheker nachfragen. Den Apotheker treffen insoweit entsprechende Organisations-, Instruktions- und Überwachungspflichten hinsichtlich seines Personals.
60Durch die unkritische Befolgung der ärztlichen Verordnung und die Abgabe des Medikamentes an die Mutter des Klägers hat die Angestellte des Beklagten zu 2) die sie treffenden Pflichten verletzt. Sie hätte das Medikament, das so nur für Erwachsene oder Heranwachsende bestimmt war, nicht zur Behandlung eines Säuglings abgeben dürfen. Da der Name und das Geburtsdatum des Patienten, für den das Mittel bestimmt war, klar und eindeutig aus dem Rezept hervorging, wusste sie, dass es um einen Säugling ging; sie wusste es ferner aus den unstreitigen Gesprächen mit der Mutter. Sie musste sich denken, dass hier etwas nicht stimmen konnte, hat sich diese Gedanken aber offensichtlich nicht gemacht. Sie hätte die Abgabe unter allen Umständen zunächst verweigern müssen und entweder beim Beklagten zu 1), dessen Praxisräume sich im gleichen Haus befanden, oder beim Beklagten zu 2) erkundigen müssen. Dieses Fehlverhalten muss der Beklagte zu 2) sich hinsichtlich der vertraglichen Pflichten nach § 278 BGB zurechnen lassen, hinsichtlich der deliktischen Haftung nach § 831 BGB (zu einer möglichen Entlastung hinsichtlich Auswahl, Unterrichtung und Überwachung der Angestellten fehlt jeglicher Vortrag).
61Der Beklagten zu 2) hat seinerseits versäumt, seine Angestellte im Hinblick auf den Fall des Klägers richtig zu instruieren. Der Kläger und seine Situation waren ihm, wie er selbst in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, bekannt. Er hatte insbesondere die Medikamentenliste bzw. den Medikamentenplan der Kinderklinik vorliegen und er hatte seinen Mitarbeiter Milde - ebenfalls Apotheker - mit der säuglinggerechten Erstellung der Medikamente beauftragt. In dieser Situation oblag es ihm, etwaige übrige Mitarbeiter entsprechend zu informieren.
62Dass er einen eigenen Fehler begangen hat oder jedenfalls einen Fehler seiner Bediensteten sich zurechnen lassen muss, sieht der Beklagte zu 2) offenbar ebenso, denn er bestreitet das Vorliegen eines objektiven Fehlers seinerseits ausdrücklich nicht, ebenso wenig bestreitet er, dass ihm ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen sei und deshalb "dem Grunde nach … die Haftung zwischen den Parteien unstreitig" sei (so ausdrücklich die Klageerwiderung S. 2 oben, Bl. 56 d.A.).
63b)
64Im Hinblick auf die Ursächlichkeit dieses Fehlers für die vorliegenden, oben dargelegten Schäden des Klägers gelten die gleichen Grundsätze wie hinsichtlich des Beklagten zu 1). Auch hier gehen sämtliche Zweifel im Hinblick auf den Kausalzusammenhang zwischen Fehlverhalten und Primärschaden zu seinen Lasten, denn der ihm unterlaufene bzw. zuzurechnende Fehler ist als grober Fehler einzustufen, und die insoweit für Ärzte entwickelten Grundsätze gelten auch für ihn als Apotheker.
65aa)
66Bei der Frage, ob das fehlerhafte Verhalten als ein grobes Versäumnis einzustufen ist, gelten ebenso wie bei einem Arzt rein objektive Maßstäbe. Es handelt sich um berufsbezogene Pflichten, die sich am Standard der Berufsgruppe orientieren, nicht an individuellen Fähigkeiten. Schon deshalb ist es auch hier nicht sachgerecht, das Gewicht eines Fehlers daran zu messen, ob hier ein "Augenblicksversagen" vorliegt, wie der Beklagte zu 2) meint. Davon abgesehen vermag der Senat in dem hier maßgeblichen Fehlverhalten weder der Angestellten noch des Beklagten zu 2) ein irgendwie geartetes Augenblicksversagen zu erkennen, denn weder der Beklagte zu 2) selbst noch die Angestellte, die das Medikament ausgehändigt hat, können geltend machen, quasi für den Bruchteil einer Sekunde unaufmerksam gewesen zu sein (was etwa der Fall wäre, wenn infolge einer Ablenkung ein falsches Medikament gegriffen würde). Der ganze Ablauf der Aushändigung des Medikamentes war vielmehr so, dass sich die Verkäuferin Zweifel an der Richtigkeit der Verordnung und eine Hinterfragung und Überprüfung förmlich aufdrängen mussten. Das Medikament passte nicht, es war eines für Erwachsene. Die Packungsgröße passte nicht aus einer Packung mit 100 Tabletten entnahm sie vielmehr einzelne Blister, um die verordnete kleine Menge erzielen zu können, was wiederum mit sich brachte, dass die Mutter des Klägers nicht einmal mehr einen Beipackzettel erhielt – ein (zumal für ein Herzmedikament) ganz und gar ungewöhnlicher Vorgang. Die Darreichungsform passte nicht, die Angestellte und die Mutter des Klägers stellten vielmehr Überlegungen dahin an, wie man Tabletten einem Säugling einflößen könne, was letztlich zur Notwendigkeit des Mörserns führte. Auch dies dürfte sich als (angesichts der Möglichkeit und Üblichkeit von säuglingsgerechten Darreichungsformen) ein in einer Apotheke eher ungewöhnlicher Vorgang darstellen. All dies bedeutet nicht nur, dass von einem Augenblicksversagen keine Rede sein kann, sondern dass auch keineswegs nur von einem einfachen Verstoß gegen die Pflichten eines Apothekers gesprochen werden kann, vielmehr von einem überaus gravierenden. Entscheidende Bedeutung kommt aber hier dem gleichen Umstand zu, der auch für den Beklagten zu 1) maßgeblich war: es handelte sich um ein hochgefährliches Medikament, bei dem ein wie auch immer geartetes Versehen unter allen Umständen verhindert werden musste, was bedeutet, dass die Aufmerksamkeit und die Sorgfalt bei der Abgabe in ganz besonderer Weise gewahrt und beachtet werden musste, was nicht geschehen ist. Ein derart folgenschweres Versehen darf in einer Apotheke schlechterdings nicht passieren.
67bb)
68Die bei der Arzthaftung anerkannte Umkehr der Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Schaden gilt auch für die Haftung des Apothekers.
69Diese Frage ist bislang in Literatur und Rechtsprechung – soweit ersichtlich – nicht geklärt. Vereinzelte Stimmen in der Literatur sprechen sich indes für eine Anwendung der entsprechenden Grundsätze aus (Lippert in Wenzel, Medizinrecht 2. Aufl. Kap. 16, Rn. 41; wohl auch Rosenberger in Wenzel, aaO, Kap. 7, Rn. 411). Soweit dies begründet wird, geschieht es unter Hinweis darauf, dass die Gründe für die Beweislastverschiebung auch in diesen Fällen zum Tragen kämen. Der Gesetzgeber hat auch im Zusammenhang mit den – hier noch nicht anwendbaren – Vorschriften des neuen Patientenrechtegesetzes (§§ 630 a ff. BGB) zu dieser Frage keine klare Stellung bezogen. Er hat zwar, wie sich aus dem Wortlaut von § 630 a BGB ("Behandler") ergibt, und im übrigen in der Gesetzesbegründung ausdrücklich klargestellt wird (BT-Drucksache 17/10488 S. 18), das Vertragsverhältnis zwischen einem Patienten und einem Apotheker nicht als Behandlungsverhältnis eingestuft, so dass die Vorschriften des § 630 h BGB unmittelbar auch nach neuem Recht keine Anwendung finden. Er hat aber umgekehrt damit auch keineswegs zum Ausdruck gebracht, dass für eine Beweislastumkehr insoweit kein Raum sei (für die Fälle des ebenfalls nicht von den §§ 630 a ff. erfassten Tiermediziners enthält die Gesetzesbegründung sogar den ausdrücklichen Hinweis, dass die Rechtsprechung nicht gehindert sei, die für Ärzte geltenden Beweislastregeln auf diesen zu übertragen). Im Gegenteil sieht der Senat die sehr weitgehende Einbeziehung von medizinischen Berufen aller Art (etwa Logopäde und Masseure) in die für Ärzte entwickelten Grundsätze eher als Ausdruck des Bestrebens, im Zweifel dem Schutz des Patienten Vorrang zu geben. Auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (etwa Urt. v. 16.5.2000, BGHZ 144, 296 ff. für Hebammen) und der Oberlandesgerichte (etwa OLG Oldenburg, VersR 1997, 749 für Pflegepersonal) - die soweit ersichtlich sich zur Frage etwaiger Beweislastumkehr bei Schäden, die durch die Abgabe von Medikamenten verursacht worden sein können, noch nicht Stellung genommen haben – spricht eher für eine Ausdehnung der Grundsätze auf Apotheker als dagegen.
70Die Anwendung der Grundsätze des groben Behandlungsfehlers auf vergleichbar schwerwiegende Fehler des Apothekers ist geboten, weil die Sach- und Interessenlage in einer Weise gleichgelagert ist, dass eine unterschiedliche Handhabung nicht gerechtfertigt wäre. Grund für die seit vielen Jahrzehnten anerkannten Beweiserleichterungen, die letztlich eine Beweislastumkehr bedeuten, im ärztlichen Bereich ist, dass das Spektrum der für die Schädigung in Betracht kommenden Ursachen gerade durch den Fehler besonders verbreitert bzw. verschoben wird (BGH, Urt. v. 21.9.1982, BGHZ 85, 212 und vielfach). Grund ist also nicht die Schwere des dem Arzt zu machenden Vorwurfs, sondern die Erschwerung des Nachweises des Kausalzusammenhangs durch den Fehler. Das wiederum hängt zusammen mit der Komplexität medizinischer Abläufe und Zusammenhänge, die sich häufig einem eindeutigen Nachweis von Ursache und Wirkung entziehen. Dass es hier keinen qualitativen Unterschied zwischen dem Fehler eines Arztes und dem eines Apothekers gibt, liegt auf der Hand und wird in besonderer Weise deutlich am vorliegenden Fall, wo sich für beide Fehler exakt dieselben Kausalitätsprobleme stellen. Der Arzt hat die falschen Tabletten verschrieben, der Apotheker hat sie pflichtwidrig abgegeben. Dass der Beklagte zu 1) hierfür haften soll, weil er sich hinsichtlich der Kausalität entlasten muss, während der Beklagte zu 2) von der Haftung frei ist, weil insoweit der Kläger die Beweislast trägt, wäre ein offensichtlich unbilliges, dem Gerechtigkeitsempfinden grob widersprechendes Ergebnis. Dies gilt umso mehr, als auch im Bereich der Arzneimittelhaftung (§ 84 AMG) entsprechende Beweiserleichterungen gesetzlich verankert sind. So regelt § 84 Abs.2 Satz 1 AMG eine Kausalitätsvermutung, dass der Schaden durch das Medikament verursacht worden ist, wenn dieses nach den Gegebenheiten des Falles geeignet ist, den Schaden zu verursachen. Wenn bei einem engen – möglicherweise nicht sinnvoll trennbaren – Zusammenwirken von Arzt, Apotheker und Medikament bei Arzt und Medikament Beweiserleichterungen eingreifen, dies aber ausgerechnet bei dem Apotheker nicht der Fall wäre, würde dies eine nicht verständliche Systemwidrigkeit bedeuten. Schließlich besteht auch zwischen dem Berufsbild und dem Ausbildungsgang eines Arztes und eines Apothekers eine sehr enge Verwandtschaft und Ähnlichkeit (so zielen beide Berufe auf die Heilung des Menschen ab, für beide ist ein ähnliches Studium und eine Approbation notwendig), die ebenfalls für eine Gleichbehandlung sprechen.
71c)
72Hinsichtlich aller übrigen Voraussetzungen, insbesondere hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen einer Beweislastumkehr, des eingetretenen Schadens und hinsichtlich der Haftungsfolgen wird Bezug genommen auf die entsprechenden Ausführungen beim Beklagten zu 1).
733. Nebenentscheidungen
74Die Kostenentscheidung war dem Schlussurteil vorzubehalten. Eine vorläufige Vollstreckbarkeit kommt ebenfalls nicht in Betracht.
75Die Revision war zuzulassen, da Fragen grundsätzlicher Bedeutung angesprochen sind (insbesondere hinsichtlich der Anwendung der Grundsätze zum "groben Behandlungsfehler" auf den Apotheker).
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.
(1) Das Gericht kann die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen.
(2) Das Gericht hat die Wiedereröffnung insbesondere anzuordnen, wenn
- 1.
das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler (§ 295), insbesondere eine Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht (§ 139) oder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, feststellt, - 2.
nachträglich Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die einen Wiederaufnahmegrund (§§ 579, 580) bilden, oder - 3.
zwischen dem Schluss der mündlichen Verhandlung und dem Schluss der Beratung und Abstimmung (§§ 192 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes) ein Richter ausgeschieden ist.
Werden Angriffs- oder Verteidigungsmittel entgegen den §§ 520 und 521 Abs. 2 nicht rechtzeitig vorgebracht, so gilt § 296 Abs. 1 und 4 entsprechend.
(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.
(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.
(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge); - 2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; - 3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.
(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:
- 1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt; - 2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.
(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)