Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 09. Juni 2016 - 1 Vollz(Ws) 150/16
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Festsetzung des Geschäftswertes aufgehoben.
Der Bescheid des Leiters der JVA S vom 22. September 2015 betreffend die Nichtgewährung einer Ausführung wird aufgehoben. Die Vollzugsbehörde wird angewiesen, den Betroffenen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen hat die Landeskasse zu tragen.
1
Gründe:
2I.
3Der Antragsteller verbüßt auf Grundlage eines Urteils des Landgerichts Bonn vom 15. September 2008 in der JVA S eine neunjährige Freiheitsstrafe wegen versuchten Mordes zum Nachteil seiner Ehefrau, welche er unter Einsatz eines Messers zu töten versucht hatte; das Strafende ist auf den 04. März 2017 notiert.
4Nach den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses beantragte der Betroffene am 02. Juni 2015 eine Ausführung. Dieser Antrag wurde am 14. September 2015 abgelehnt. Zur Begründung wurde in einem an die Prozessbevollmächtigte des Betroffenen gerichteten Schreiben vom 22. September 2015 des Leiters der Vollzugsanstalt ausgeführt, dass der Antragsteller seine der Tat zugrundeliegende Gewalttätigkeit bislang nicht aufgearbeitet habe. Für eine Ausführung gemäß § 53 Abs. 3 StVollzG erfülle der Antragsteller zudem wegen der Dauer der von ihm zu verbüßten Strafe nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen.
5Gegen diese Entscheidung richtete sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 06. Oktober 2015
6Dem ist die JVA mit der Begründung entgegengetreten, trotz des beanstandungsfreien Verzugsverhaltens des Betroffenen sei wegen der fehlenden Tataufarbeitung eine Missbrauchsgefahr gegeben, welche der Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen entgegenstehe. Zudem bestehe auch eine Fluchtgefahr, weil gegen den Betroffenen eine vollziehbare Abschiebeverfügung vorliege und dieser geäußert habe, nicht in sein Heimatland zurückkehren zu wollen.
7Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen:
8Der Antragsgegner habe vorliegend seine ablehnende Entscheidung hinsichtlich der Gewährung einer Ausführung mit „dem nicht kalkulierbaren Missbrauchsrisiko“ begründet, welches aufgrund des Umstandes bestehe, dass der Betroffene bislang nicht in ausreichender Form Verantwortung für seine Tat übernommen und sich nicht mit seinem Gewaltpotenzial auseinandergesetzt habe. Überdies liege auch ein „nicht kalkulierbareres Fluchtrisiko“ im Hinblick auf die bestehende Abschiebungsverfügung vor. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Vollzugsanstalt aufgrund dieser Abwägung den Ausführungsantrag abgelehnt habe, es sei „nicht ausgeschlossen, dass er sich seiner Abschiebung entziehen und eine Ausführung zur Flucht nutzen könnte“.
9Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die unrichtige Anwendung des § 53 StVollzG NW rügt.
10Das Justizministerium Nordrhein-Westfalen hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
11II.
12Das Rechtsmittel hat Erfolg.
13Die auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde war auf die Sachrüge zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
14Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfolgt die Zulassung der Rechtsbeschwerde, wenn vermieden werden soll, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat.
15Vorliegend hat die Justizvollzugsanstalt und ihr nachfolgend die Strafvollstreckungskammer die vollständige Verweigerung von Lockerungen für den Betroffenen im Hinblick auf eine Missbrauchsgefahr letztlich ausschließlich bzw. zumindest vornehmlich damit begründet, dass eine hinreichende Tataufarbeitung nicht erfolgt und – so der angefochtene Beschluss – eine nicht kalkulierbare Missbrauchsgefahr gegeben sei. Ebenso liege ein „nicht kalkulierbares Fluchtrisiko“ im Hinblick auf die bestehende Abschiebungsverfügung vor, es sei „nicht ausgeschlossen, dass er sich seiner Abschiebung entziehen und eine Ausführung zur Flucht nutzen könnte“..
16Diese Begründung der angefochtenen Entscheidung steht im Widerspruch zur ständigen Senatsrechtsprechung und birgt angesichts der erheblichen Bedeutung der Sache für den Betroffenen dementsprechend die Gefahr schwer erträglicher Abweichungen innerhalb der Rechtsprechung.
17Nach der gefestigten Entsprechung des Senats bedarf es für die Annahme einer Missbrauchsgefahr im Sinne des § 53 StVollzG NW derenpositiver Feststellung (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 29. September 2015 – III-1 Vollz (Ws) 411/15, juris). Im Rahmen einer weiteren Entscheidung vom 16. Juli 2015 (III - 1 Vollz(Ws) 247/15) hat der Senat u.a. folgendes ausgeführt:
18„Zudem muss eine Missbrauchsgefahr positiv festgestellt werden, so dass es nicht genügt, wenn sie nicht sicher auszuschließen ist; fehlende Mitarbeit an der Behandlung reicht für sich allein zur positiven Feststellung der Missbrauchsgefahr grundsätzlich ebenso wenig aus wie das Fehlen einer günstigen Sozialprognose (OLG Brandenburg, Beschl. v. 25.09.2013 - 2 Ws (Vollz) 148/13, BeckRS 2014, 07702, m.w.N.). Soweit der angefochtene Beschluss ausführt, es sei nicht „einschätzbar, ob eine Missbrauchsgefahr zu befürchten ist“, deutet dies darauf hin, dass dieser Maßstab verkannt worden ist.“
19Gleiches gilt nach der Rechtsprechung des Senats für die Beurteilung des Vorliegens einer Fluchtgefahr, welche zur Verweigerung von Lockerungen ebenfalls positiv festzustellen ist; ein insoweit etwaig bestehendes „non liquet“ reicht dafür nicht aus (OLG Hamm, Beschluss vom 04. November 2014 – III-1 Vollz (Ws) 475/14, juris).
20Die vorliegend getroffene Bewertung der Strafvollstreckungskammer, die Versagung von Lockerungen sei gerechtfertigt, weil das Missbrauchs- und Fluchtrisiko „nicht kalkulierbar“ sei, weicht von dieser Rechtsprechung maßgeblich ab, da eine positive Feststellung von Missbrauchs- und Fluchtgefahr als entbehrlich angesehen wird. Der angefochtene Beschluss war dementsprechend aufzuheben.
21Gleichzeitig erweist sich auch der angefochtene Bescheid der Justizvollzugsanstalt S vom 22. September 2015 als rechtsfehlerhaft und unterliegt mithin der Aufhebung durch den Senat. Nach dem Inhalt dieses dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung beigefügten und mithin dem Senat unabhängig von den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses zur Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren zugänglichen Bescheid hat die Justizvollzugsanstalt die Ablehnung von Lockerungen allein mit der mangelnden Aufarbeitung der der schwerwiegenden Straftat des Betroffenen zu Grunde liegenden Gewalttätigkeit begründet, woraus sich „auch in absehbarer Zeit keine Anschlussperspektive für vollzugsöffnende Maßnahmen wie Ausgang oder Langzeitausgang bzw. für eine entsprechende Lockerungsplanung“ ergebe. Diese Begründung der JVA S lässt über die Frage hinreichender Tataufarbeitung hinausgehend jegliche Auseinandersetzung mit weiteren Umständen vermissen, welche im Rahmen der Lockerungsprüfung in die Erwägungen mit einzubeziehen sind (vgl. dazu u.a. Senat, Beschluss vom 14. Dezember 2004 – 1 Vollz (Ws) 153/04 –, juris; Beschluss vom 27. November 2008, III–1 Vollz (WS) 1007/08 – juris) und zudem geeignet sein müssten, die für die Verweigerung vollzugsöffnender Maßnahmen gemäß § 53 StVollzG NW erforderliche Annahme einer Flucht- und/oder Missbrauchsgefahrpositiv zu begründen.
22Dies gilt zumal dann, wenn – wie vorliegend – ausschließlich unselbstständige Lockerungen begehrt werden. Hierzu hat der Senat mit Beschluss vom 25. Februar 2016 (III - 1 Vollz (Ws) 28/16 OLG Hamm) folgendes ausgeführt:
23„Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Versagung von Lockerungen in der Vollzugsplanfortschreibung nur dann frei von Ermessensfehlern und verhältnismäßig ist, wenn die Gründe hierfür nicht pauschal, sondern lockerungsbezogen abgefasst sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.05.2015 - 2 BvR 1753/14 -, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 31.01.2014 – 2 Ws 689/13 (Vollz), BeckRS 19279, jeweils m.w.N.). Die Kammer wird zu prüfen haben, ob die Vollzugsbehörde auch nachvollziehbare Ausführungen dazu gemacht hat, inwiefern negative Umstände in der Persönlichkeit und Entwicklung des Betroffenen jegliche Lockerungsformen, also auch Begleitausgänge bis zu 24 Stunden im Sinne des § 53 Abs. 2 Nr. 1 StVollzG NRW, ausschließen. Denn die bei dieser Lockerungsform vorgesehene Aufsicht einer begleitenden Person hat gerade den Sinn, Flucht- und Missbrauchsgefahren entgegenzuwirken (vgl. OLG Koblenz a.a.O. unter Verweis auf: BVerfG, 2 BvR 865/11 vom 20.06.2012, NStZ-RR 2012, 387 für Ausführungen nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG).“
24Es bedurfte vorliegend keiner Entscheidung, ob es sich bei den in dem angefochtenen Beschluss mitgeteilten (über den Inhalt des angefochtenen Bescheids hinausgehenden) weiteren Erwägungen der Vollzugsanstalt, welche im Rahmen des Antrages auf gerichtliche Entscheidung vorgebracht worden sind, um ein unzulässiges und mithin nicht zu berücksichtigendes Nachschieben von Gründen gehandelt hat, da diese – wie bereits oben aufgezeigt – angesichts der erfolgten Verkennung der Notwendigkeit einer positiven Feststellung von Missbrauchs- und/oder Fluchtgefahr ebenfalls nicht geeignet sind, die erfolgte vollständige Versagung von Lockerungen rechtsfehlerfrei zu begründen.
25Da mithin im vorliegenden Fall Entscheidungsreife im Sinne des § 119 Abs. 4 S. 2 StVollzG gegeben war, bedurfte es keiner Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer. Vielmehr war insoweit über den angefochtenen Beschluss hinausgehend der angegriffene Bescheid unmittelbar aufzuheben und die Justizvollzugsanstalt zur Neubescheidung zu verpflichten.
26III.
27Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 4 StVollzG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.
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(1) Dem Gefangenen darf religiöse Betreuung durch einen Seelsorger seiner Religionsgemeinschaft nicht versagt werden. Auf seinen Wunsch ist ihm zu helfen, mit einem Seelsorger seiner Religionsgemeinschaft in Verbindung zu treten.
(2) Der Gefangene darf grundlegende religiöse Schriften besitzen. Sie dürfen ihm nur bei grobem Mißbrauch entzogen werden.
(3) Dem Gefangenen sind Gegenstände des religiösen Gebrauchs in angemessenem Umfang zu belassen.
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Festsetzung des Geschäftswertes aufgehoben.
Die Regelungen der Antragsgegenerin über die Nichtgewährung von Vollzugslockerungen in der Vollzugsplanfortschreibung vom 21. April 2015 werden aufgehoben. Die Vollzugsbehörde wird angewiesen, die Regelungen über die eventuelle Gewährung von Vollzugslockerungen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats neu zu fassen.
Soweit die weitergehende Rechtsbeschwerde auf die unmittelbare Gewährung von Lockerungen gerichtet ist, wird sie als unbegründet zurückgewiesen; im Übrigen ist sie gegenstandslos.
Die Kosten des Verfahrens in erster Instanz sowie des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Betroffene zu tragen, jedoch wird die gerichtliche Gebühr jeweils um die Hälfte ermäßigt. Die Landeskasse hat insgesamt die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu 1/2 zu tragen.
1
Gründe:
2I.
3Der Antragsteller verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe in der JVA H. 15 Jahre der Freiheitsstrafe waren am 20. Juni 2014 verbüßt. Unter dem 21. April 2015 erfolgte seitens der JVA H die Vollzugsplanfortschreibung, welche sich unter Punkt 9 zu Lockerungen des Vollzuges dahin verhielt, dass „dazu weiterhin keine konkrete planerische Aussage möglich sei. Weiterhin bestehe aber die Möglichkeit von max. 4 Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit“.
4Hiergegen wandte sich der Betroffene zunächst mit seinem eigenen Antrag vom 25. April 2015, später konkretisiert durch einen Antrag mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 15. Juni 2015 dahingehend, „die Regelungen über die (Nicht-)Gewährung von Vollzugslockerungen in der Vollzugsplanfortschreibung aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller weitergehende Vollzugslockerungen (als max. 4 Ausführungen pro Jahr zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit) mindestens in Form von (begleiteten) Ausgängen zu gewähren“ sowie darüber hinaus „die unter Ziffer 11 des Vollzugsplans festgelegte Frist bis April 2016 bis zur nächsten Vollzugsplanüberprüfung aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, die Frist bis zur nächsten Vollzugsplanüberprüfung auf Oktober 2015, hilfsweise auf einen früheren Zeitpunkt als April 2016 festzusetzen“.
5Der Betroffene hat vorgebracht, der derzeitige Vollzugsplan enthalte keinerlei Perspektive zu vollzugsöffnenden Maßnahmen. Er habe die bisherigen gefesselten Ausführungen beanstandungsfrei absolviert und damit seine Zuverlässigkeit und Absprachefähigkeit unter Beweis gestellt. Das seitens der JVA angenommene Flucht- und Missbrauchsrisiko entbehre jeglicher Grundlage, zumal es nicht allein auf gestützt werden dürfe, dass er die Tatbegehung weiterhin leugne.
6Dem ist die JVA mit der Begründung entgegengetreten, für die Prüfung und Einleitung von Vollzugsöffnungen bedürfe es einer selbstkritischen Auseinandersetzung des Betroffenen mit sich selbst, damit Flucht- und Missbrauchsrisiko mit ausreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könnten. Der Antragsteller sei aber nicht bereit, an sich selbst irgendetwas zu verändern; die Situation sei mittlerweile gänzlich festgefahren. Eine Perspektive ergebe sich erst dann, wenn bei ihm eine Veränderungsbereitschaft bestehe und darüber hinaus er von der bestehenden Leugnungshaltung Abstand nehme.
7Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Die Bewertung der Vollzugsanstalt, die Leugnungshaltung des Betroffenen sowie die mangelnde Veränderungsbereitschaft stünden der Gewährung von weitergehenden Vollzugslockerungen entgegen, sei nicht zu beanstanden.
8Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er einerseits die allgemeine Sachrüge erhebt, vornehmlich jedoch die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, da die Strafvollstreckungskammer einerseits eine Stellungnahme der JVA vom 03. Juli 2015 im Rahmen der Entscheidung verwertet habe, ohne diese dem Betroffenen und seinem Verfahrensbevollmächtigten zuvor zur Kenntnis zu bringen, sowie darüber hinaus auch das Protokoll einer Anhörung des Betroffenen vom 03. Juni 2015 im Rahmen des Aussetzungsverfahrens gemäß § 57 a StGB vor der großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kleve zur Begründung herangezogen habe, ohne die entsprechende Verwertungsabsicht vor Erlass des angefochtenen Beschlusses mitzuteilen.
9Das Justizministerium Nordrhein-Westfalen hat ohne näheren Sachantrag ausgeführt, dass die Rechtsbeschwerde für zulässig erachtet werde.
10II.
11Das zulässige Rechtsmittel hat teilweise Erfolg.
121.
13Soweit der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde vornehmlich die Verletzung formellen Rechts in der Form einer Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, vermag er allerdings mit seinem Vorbringen nicht durchzudringen.
14Der Betroffene hat die entsprechende Verfahrensrüge nicht in zulässiger Weise gemäß der §§ 120 Abs. 1 StVollzG, 344 Abs. 2 StPO erhoben. Er hat lediglich - zutreffend - ausgeführt, dass die Strafvollstreckungskammer ihm keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Schreiben des Leiters der JVA H vom 03. Juli 2015 gegeben habe.
15Damit hat die Strafvollstreckungskammer das rechtliche Gehör des Betroffenen gemäß Art. 103 GG verletzt, zumal sie ihrer Würdigung den Inhalt dieser Stellungnahme der JVA zu Grunde gelegt hat. Die Verfahrensbeteiligten müssen grundsätzlich Gelegenheit haben, sich zu Stellungnahmen der Gegenseite in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern (vgl. nur BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 06. Juni 2011 – 2 BvR 2076/08 –, juris). Gleiches gilt für die erfolgte Verwertung der in einem anderen Verfahren erfolgten Anhörung des Betroffenen.
16Andererseits führt der Gehörsverstoß jedoch nur dann zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, wenn diese auf dem Verstoß beruht (vgl. BVerfG a.a.O.).
17Der Betroffene hat insoweit mit seiner Rechtsbeschwerde vorliegend allerdings nichts Konkretes dazu ausgeführt, was er im Falle seiner Anhörung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht vorgetragen hätte. Die revisionsähnliche Ausgestaltung der Rechtsbeschwerde gemäß der §§ 120 Abs. 1 StVollzG, 344 Abs. 2 StPO erfordert grundsätzlich, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein durch die Begründung der Rechtsbeschwerde in die Lage versetzt werden muss, zu überprüfen, ob ein verfahrensrelevanter Rechtsverstoß gegeben ist. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht grundsätzlich das Erfordernis, die Rüge eines Gehörsverstoßes zu substantiieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.07.2008 – 2 BvR 610/08). Diese Vorgaben entsprechen inzwischen der gefestigten Senatsrechtsprechung (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juli 2013 – III-1 Vollz(Ws) 256/13, juris).
182.
19Die auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde war jedoch auf die allgemeine Sachrüge bezüglich des Verpflichtungsantrags zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
20Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfolgt die Zulassung der Rechtsbeschwerde, wenn vermieden werden soll, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat.
21Vorliegend hat die Justizvollzugsanstalt und ihr nachfolgend die Strafvollstreckungskammer die Verweigerung von Lockerungen für den Betroffenen letztlich ausschließlich bzw. zumindest vornehmlich damit begründet, eine Perspektive ergebe sich insoweit erst dann, wenn bei dem Betroffenen eine Veränderungsbereitschaft bestehe und er darüber hinaus von der bestehenden Leugnungshaltung Abstand nehme. Da der Antragsteller sich nicht öffne und relevante Persönlichkeitsdefizite nicht bearbeite, könne die Flucht- und Missbrauchsgefahr nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden.
22Diese Begründung steht im Widerspruch zur ständigen Senatsrechtsprechung und birgt angesichts der erheblichen Bedeutung der Sache für den Betroffenen dementsprechend die Gefahr schwer erträglicher Abweichungen innerhalb der Rechtsprechung.
23Zur Frage der Berücksichtigung einer Leugnungshaltung des Betroffenen im Rahmen der Gewährung von Lockerungen hat der Senat mit Beschluss vom 27. November 2008 (– 1 Vollz (WS) 1007/08 – juris) bezogen auf die seinerzeit geltenden Regelungen des Strafvollzugsgesetzes unter anderem folgendes ausgeführt:
24„Gemäß § 11 Abs. 2 StVollzG dürfen Lockerungen des Strafvollzuges gewährt werden, wenn nicht zu befürchten ist, dass der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entzieht oder Lockerungen des Vollzuges durch Straftaten missbrauchen wird. Das Gesetz räumt der Vollzugsbehörde damit bei der Gewährung von Lockerungen ein Ermessen ein, macht dessen Ausübung aber zunächst davon abhängig, dass der zwingende Versagungsgrund der Flucht- oder Missbrauchsgefahr fehlt. Hinsichtlich dieser Versagungsgründe ist der Vollzugsbehörde ein Beurteilungsspielraum eröffnet, in dessen Rahmen sie mehrere Entscheidungen treffen kann, die gleichermaßen rechtlich vertretbar sind (BGHSt 30, S. 320). Damit soll vor allem dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Vollzugsbehörde wegen ihrer Nähe zu dem Gefangenen besser als die Gerichte in der Lage ist, diese Prognoseentscheidung unter Berücksichtigung aller Umstände zu treffen. Versagt deshalb die Vollzugsbehörde die Gewährung von Lockerungen, so hat die Strafvollstreckungskammer nur zu prüfen, ob die Vollzugsbehörde bei ihrer Entscheidung von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt hat und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat (BGH a.a.O.).
25Dass die Entscheidung der Vollzugsbehörde diesen Anforderungen genügt, ist im vorliegenden Fall nicht festzustellen. Die Vollzugsbehörde hat ihre Entscheidung ersichtlich allein darauf gestützt, dass der Betroffene seine Taten inzwischen bestreitet und deshalb therapeutischen Maßnahmen nicht zugänglich sei. Aus diesem Verhalten haben die in der Justizvollzugsanstalt bislang mit dem Betroffenen befassten Psychologen den Schluss gezogen, dass Art und Umfang der sexuellen Fehlentwicklung des Betroffenen nicht festgestellt werden könnten und das Risiko weiterer sexueller Auffälligkeiten mit strafrechtlicher Relevanz sich möglicherweise nicht verringert habe.
26Diese Begründung der Ablehnung von Lockerungen jeder Art hält rechtlicher Überprüfung durch den Senat nicht Stand. Die Vollzugsbehörde hat ihrer Entscheidung ersichtlich – nur – den Versagungsgrund der Missbrauchsgefahr zugrunde gelegt. Zwar stellt in diesem Fall - insbesondere wenn es die Gewährung von Lockerungen für einen rechtskräftig verurteilten Sexualstraftäter betrifft - die nachhaltige Tatleugnung stets ein ungünstiges prognostisches Kriterium für die Beurteilung der Missbrauchsgefahr dar. Die Tatleugnung allein begründet aber eine solche Annahme dann nicht, wenn andere - gewichtige - Umstände dem entgegenstehen. Um das Gewicht der Tatleugnung für die Missbrauchsgefahr beurteilen zu können, müssen deshalb im konkreten Fall weitere Prognosegesichtspunkte herangezogen werden, die die aus der Tatleugnung hergeleitete fehlende Unrechtseinsicht und mangelnde Tataufarbeitung zu stützen vermögen. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Persönlichkeit des Strafgefangenen und seine Entwicklung bis zur Tat, die Art und Weise sowie Motive der Tatbegehung, mögliche oder erkennbare Motive für das Leugnen der Tat sowie die Entwicklung und das Verhalten im Vollzug und die Eignung für eine Therapie bei der Beurteilung der Missbrauchsgefahr zu beachten (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2004 - 1 Vollz (Ws) 153/04 -; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2000, S. 251).
27Im vorliegenden Fall ist von besonderem Gewicht, dass sich die Straffälligkeit des Betroffenen, die zu seiner bisher einzigen Verurteilung geführt hat, in einem familiären Umfeld ereignet hat, das in dieser Form nicht mehr besteht. Die damaligen Tatopfer, die inzwischen volljährigen ehelichen Töchter des Betroffenen, stehen in keinem Kontakt mehr zu ihm. Ihnen droht deshalb im Falle einer Bewilligung des beantragten Begleitausgangs - jedenfalls soweit ersichtlich - keine von dem Betroffenen ausgehende Gefahr. Für eine Gefährdung Dritter lässt aber weder das gegen den Betroffenen ergangene Strafurteil noch sein Vorleben oder sein Vollzugsverhalten irgendwelche Anhaltspunkte erkennen. Unter diesen Umständen vermag der Senat – jedenfalls nach den bisher getroffenen Feststellungen - nicht zu erkennen, warum der Betroffene den von ihm beantragten Begleitausgang zum Grab der Schwiegermutter im Beisein des Anstaltsgeistlichen und seiner körperbehinderten Ehefrau zur Begehung zu Straftaten missbrauchen könnte.
28An einer ausreichenden Auseinandersetzung mit diesen für die Prognoseentscheidung maßgeblichen Gesichtspunkten fehlt es. Deshalb waren sowohl die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer als auch der Bescheid der Vollzugsbehörde aufzuheben. Auf eine Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer war nicht zu erkennen, da die Sache in Ansehung der von ihr zu treffenden Entscheidung gemäß § 119 Abs. 4 S. 2 StVollzG spruchreif ist. Insoweit kommt nämlich wegen der Fehlerhaftigkeit des Bescheides der Vollzugsbehörde allein dessen Aufhebung in Betracht. Spruchreife bezüglich der Entscheidung der Vollzugsbehörde liegt allerdings nicht vor. Diese war deshalb anzuweisen, den Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden (§ 115 Abs. 4 S. 2 StVollzG).“
29Im Rahmen einer weiteren Entscheidung vom 16. Juli 2015 (III - 1 Vollz(Ws) 247/15) hat der Senat u.a. folgendes ausgeführt:
30„Für das weitere Verfahren wird die Kammer zu prüfen haben, ob sich alleine aus der Umstand der Tatleugnung die Annahme einer Missbrauchsgefahr im Sinne des § 10 Abs. 1 StVollzG bzw. nunmehr § 12 Abs. 1 StVollzG NRW begründen lässt. Nach beiden Vorschriften ist Voraussetzung für eine Versagung, dass zu befürchten ist, der Verurteilte werde sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die besonderen Verhältnisse des offenen Vollzuges zur Begehung von Straftaten missbrauchen. Die Ermessensentscheidung der JVA muss sich also auch damit befassen. Es erscheint zweifelhaft, ob die bisher mitgeteilte und eher pauschal gehaltene Begründung der JVA diesem Erfordernis hirneichend genügt. Bei der Entscheidung über die Frage, ob die Vollzugsbehörde von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und die Grenzen des Beurteilungsspielraums eingehalten hat, wird zu berücksichtigen sein, dass abwägungsrelevante Umstände im Rahmen der Prüfung einer Missbrauchsgefahr (§§ 10, 11 StVollzG bzw. §§ 12, 53 StVollzG NRW) vor allem die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, etwaige frühere Straftaten, die Umstände und das Gewicht der Tat sowie die Tatmotivation, sein Verhalten und seine Persönlichkeitsentwicklung im Vollzug sind (OLG Hamburg, Beschl. v. 13.07.2007 – 3 Vollz (Ws) 26-28/07 zit. nach Juris; OLG Frankfurt NStZ-RR 2004, 1278; OLG Brandenburg, Beschl. v. 25.09.2013 - 2 Ws (Vollz) 148/13, BeckRS 2014, 07702). Tatmotivation und Persönlichkeitsentwicklung im Vollzug sind also hierbei nicht die allein maßgebenden Umstände.
31Zudem muss eine Missbrauchsgefahr positiv festgestellt werden, so dass es nicht genügt, wenn sie nicht sicher auszuschließen ist; fehlende Mitarbeit an der Behandlung reicht für sich allein zur positiven Feststellung der Missbrauchsgefahr grundsätzlich ebenso wenig aus wie das Fehlen einer günstigen Sozialprognose (OLG Brandenburg, Beschl. v. 25.09.2013 - 2 Ws (Vollz) 148/13, BeckRS 2014, 07702, m.w.N.). Soweit der angefochtene Beschluss ausführt, es sei nicht „einschätzbar, ob eine Missbrauchsgefahr zu befürchten ist“, deutet dies darauf hin, dass dieser Maßstab verkannt worden ist.“
32Im vorliegenden Fall lässt die Begründung der JVA H sowohl eine hinreichend über die bloße Berufung auf die Leugnungshaltung des Betroffenen hinausgehende Auseinandersetzung mit weiteren Umständen vermissen, die zudem geeignet sein müssten, die auch für die Verweigerung vollzugsöffnender Maßnahmen gemäß § 53 StVollzGNW erforderliche Annahme einer Flucht- und/oder Missbrauchsgefahrpositiv zu begründen. Die bloße Bezugnahme auf nicht näher mitgeteilte Persönlichkeitsdefizite ist hierfür nicht hinreichend, zumal nicht für die erfolgte Ablehnung auch jeglicher unselbstständiger Lockerungen. Insoweit weist der Senat klarstellend darauf hin, dass es sich gemäß § 53 Abs. Abs. 2 Nr. 1 StVollzGNW entgegen der Ansicht der JVA auch bei Ausführungen um vollzugsöffnende Maßnahmen handelt.
33Im Hinblick auf das der Strafvollstreckung zu Grunde liegende und vom Betroffenen geleugnete Tatgeschehen ist nach Auffassung des Senats zudem zu beachten, dass dieses nicht etwa aus einem impulsiven Durchbruch oder einer spontan aggressiven Reaktionen heraus erfolgt ist, sondern sich in einer konstellierend zuspitzenden Situation über längere Zeit mit einer durchaus länger dauernden Tatplanung und Tatausführung entwickelt hat. Aus welchem Grund im Rahmen der Gewährung weiterer Lockerungen – zumal angesichts der bisher unbestritten vielfachen beanstandungsfreien erfolgten Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit eine Flucht- und/oder Missbrauchsgefahr positiv begründet sein sollte, lässt sich den bisherigen Erwägungen nicht entnehmen. Dies führt zur Fehlerhaftigkeit der angegriffenen Vollzugsplanfortschreibung.
34Da im vorliegenden Fall Entscheidungsreife im Sinne des § 119 Abs. 4 S. 2 StVollzG gegeben war, bedurfte es keiner Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer. Vielmehr war insoweit über den angefochtenen Beschluss hinausgehend der angegriffene Teil der Vollzugsplanfortschreibung unmittelbar aufzuheben und die Justizvollzugsanstalt zur Neubescheidung zu verpflichten. Dass der Rechtsbeschwerdeantrag demgegenüber lediglich auf eine Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer gerichtet war, steht einer entsprechenden Entscheidung des Senats nicht entgegen, da insoweit ersichtlich ist, dass der Betroffene auch mit der Rechtsbeschwerde eine Aufhebung der die Lockerungen betreffende Vollzugsplanfortschreibung begehrt.
35Soweit die Rechtsbeschwerde darüber hinausgehend entsprechend dem ursprünglichen Antragsbegehren das Ziel einer unmittelbaren Gewährung von Lockerungen verfolgt, ist sie unbegründet, da der Anspruch des Betroffenen lediglich auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung gerichtet ist und ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null ersichtlich nicht vorliegt.
363.
37Im Hinblick auf die begehrte Korrektur des festgesetzten Zeitpunktes für die Fortschreibung des Vollzugsplans sind die Rechtsbeschwerde und das Begehren des Betroffenen angesichts der nunmehr ohnehin unmittelbaren Verpflichtung der JVA H zur Neubescheidung gegenstandslos. Bei sachgerechter Auslegung des entsprechenden Antrages war davon auszugehen, dass dieser sich ausschließlich auf die begehrten Lockerungen bezog.
38III.
39Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 und 4 StVollzG i.V.m. § 473 Abs. 4 StPO. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung und das ihm nachfolgend uneingeschränkt eingelegte Rechtsmittel und haben ungeachtet der antragsgemäß erfolgten Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und der über den Rechtsbeschwerdeantrag hinausgehenden Zurückverweisung der Sache unmittelbar an die JVA H lediglich einen Teilerfolg, da mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung die unmittelbare Gewährung von Lockerungen begehrt worden ist, mit der vorliegenden Senatsentscheidung die Justizvollzugsanstalt demgegenüber jedoch lediglich zu einer erneuten – nunmehr ermessensfehlerfreien – Entscheidung verpflichtet wird.
(1) Dem Gefangenen darf religiöse Betreuung durch einen Seelsorger seiner Religionsgemeinschaft nicht versagt werden. Auf seinen Wunsch ist ihm zu helfen, mit einem Seelsorger seiner Religionsgemeinschaft in Verbindung zu treten.
(2) Der Gefangene darf grundlegende religiöse Schriften besitzen. Sie dürfen ihm nur bei grobem Mißbrauch entzogen werden.
(3) Dem Gefangenen sind Gegenstände des religiösen Gebrauchs in angemessenem Umfang zu belassen.
Tenor
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Der Beschluss des Landgerichts Düsseldorf vom 3. Dezember 2010 - 055 StVK 486/10 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 10. März 2011 - 1 Vollz (Ws) 53/11 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.
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Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
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Gründe
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A.
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Die Verfassungsbeschwerde des im Maßregelvollzug untergebrachten Beschwerdeführers betrifft die Versagung von Vollzugslockerungen.
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I.
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1. Der wegen sexuellen Kindesmissbrauchs seit 1999 gemäß § 63 StGB untergebrachte Beschwerdeführer beantragte bei der Klinik die Gewährung nicht näher bezeichneter Lockerungen, da er dem Leben in Freiheit nicht völlig entfremdet werden dürfe und angesichts der Dauer seiner Unterbringung sein Anspruch auf Lockerungen in den Vordergrund trete.
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Die Klinik lehnte den Antrag ab. Der Beschwerdeführer habe zu Beginn seiner Unterbringung wenige Gespräche mit dem therapeutischen Personal geführt und darin zu verstehen gegeben, dass er sich im Maßregelvollzug nicht richtig untergebracht fühle. Sobald seiner Argumentation nicht gefolgt worden sei, habe er die Gespräche abgebrochen. Mit Ausnahme einer Begutachtung habe er an gutachterlichen Untersuchungen nicht teilgenommen. Seit 2004 bestehe kein therapeutischer Kontakt mehr. Er schlafe tagsüber, sei nachts aktiv und weiche Gesprächen mit dem therapeutischen Personal aus. Zum pflegerischen Personal halte er den organisatorisch notwendigen Kontakt aufrecht und habe in den vergangenen Jahren sporadisch einige Gespräche mit diesem geführt. Aufgrund dieses Verhaltens lasse sich die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers nicht einschätzen. Weil er aufgrund seiner Weigerung nicht behandelt worden sei, könne nur von einem Fortbestehen seiner Gefährlichkeit ausgegangen werden.
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2. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug Nordrhein-Westfalen zurück. Angesichts des Vollzugsverhaltens des Beschwerdeführers fehle es an einem Therapiebündnis. Die Klinik könne aufgrund der Verweigerungshaltung des Beschwerdeführers nur von seiner Gefährlichkeit ausgehen. Die Entscheidung über die Gewährung von Lockerungen hänge unter anderem von einem Therapieerfolg ab, an dem es bislang fehle. Die Verweigerung von Lockerungen sei auch angemessen, überwiege doch der Schutz der Allgemeinheit das Interesse des Beschwerdeführers an Lockerungen. Der Beschwerdeführer könne das Behandlungsangebot der Klinik in Anspruch nehmen, um sich im Wege einer Therapie zu bewähren und bei Erfolg entsprechende Lockerungen zu erhalten.
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3. Der Beschwerdeführer stellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 109 StVollzG), gerichtet auf Gewährung von Lockerungen unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids. Ein begleiteter Ausgang mit zwei Bediensteten, "hilfsweise sogar mit justizüblicher Fesselung", sei vertretbar. Die Klinik habe angesichts seiner inzwischen über elf Jahre andauernden Unterbringung durchaus die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers einschätzen können. Zudem sei nicht nachvollziehbar, wie der als gefährlich eingestufte Beschwerdeführer auf einer Therapiestation und nicht auf der Krisen- oder Zugangsstation untergebracht sein könne. Ohne Lockerungen, auf die der Beschwerdeführer angesichts der Dauer seiner Unterbringung einen Anspruch habe, werde er dem Leben in Freiheit völlig entfremdet. Die Vollzugseinrichtung dürfe sich nicht auf pauschale Wertungen oder den Hinweis auf eine Uneinschätzbarkeit des Untergebrachten beschränken.
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Das Landgericht wies den Antrag zurück. Da sich der Beschwerdeführer, bei dem eine sonstige spezifische Persönlichkeitsstörung, eine Neigung zur Pädophilie und eine Störung durch Cannabinoide festgestellt worden seien, seit 2004 jeglicher Therapie entziehe, keinen Kontakt zum therapeutischen Personal halte, tagsüber schlafe und nur nachts aktiv sei, seien therapeutische Gespräche mit ihm seit sechs Jahren nicht mehr möglich. Zum pflegerischen Personal halte er nur einen organisatorisch notwendigen Kontakt. Vereinzelte Gespräche stellten sich als Monolog des Beschwerdeführers dar. Mangels Behandlung fehle es aktuell an erkennbaren Therapieerfolgen, weswegen sich eine verringerte Gefährlichkeit des Beschwerdeführers nicht beurteilen lasse. Lockerungen ließen sich nicht als weiteres Mittel zur Erzielung von Behandlungserfolgen einsetzen, da sie unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit vom Erreichen erster Erfolge im Behandlungsverlauf abhingen. Es sei auch nicht erkennbar, dass der Beschwerdeführer über weitere Erkenntnismöglichkeiten verfüge, welche seine weitere Gefährlichkeit ausschlössen. Die Lockerungsversagung sei verhältnismäßig, da aufgrund der bislang unbehandelten Erkrankung des Beschwerdeführers auch weiterhin die Begehung von Straftaten im Sinne des Anlassdeliktes zu befürchten sei. Dem stehe nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer sich seit über zehn Jahren im Maßregelvollzug befinde. Denn die Dauer der Unterbringung allein könne ohne therapeutischen Fortschritt keine positive Entscheidung über die Lockerung begründen. Es sei zwar Ziel der Unterbringung, den Betroffenen zu resozialisieren; dies erfolge jedoch nicht durch "kalte" Erprobung im Wege der Gewährung von Lockerungen, sondern durch therapeutische Vorbereitung, Begleitung und Nachsorge. Soweit Untergebrachte keine Lockerungen erhalten könnten, hätten sie im Fall wichtiger Gründe einen Anspruch auf Ausführung durch die Vollzugsbehörde. Entsprechende Gründe habe der Beschwerdeführer aber nicht vorgetragen. Zudem sei insoweit das Vorschaltverfahren nicht durchgeführt worden.
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4. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer Rechtsbeschwerde mit der Sach- und der Verfahrensrüge. Das Landgericht mache sich unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz die Ausführungen in der Stellungnahme der Klinik und im Widerspruchsbescheid zu eigen. Die vom Landgericht aufgeführten Persönlichkeitsstörungen lägen beim Beschwerdeführer nicht vor. Er gehe dem therapeutischen Personal auch nicht aus dem Weg. Die Behauptung, der Beschwerdeführer führe mit dem Personal nur sporadische und monologartige Gespräche, sei unzutreffend. Die Ablehnung von Lockerungen beruhe auf einer Verkennung des Resozialisierungsgebots. Das Landgericht habe nicht beachtet, dass die Gewährung von Lockerungen unabhängig davon geboten sein könne, ob der Untergebrachte Therapieangebote annimmt. Der Gutachter im Erkenntnisverfahren habe keine zu behandelnde Störung oder Erkrankung des Beschwerdeführers festgestellt, sondern dass die kriminelle Energie des Beschwerdeführers eher abnehme, weswegen eine Unterbringung des Beschwerdeführers nach § 63 StGB unverhältnismäßig sei. Der Beschwerdeführer sei nicht therapieresistent, sondern verweigere eine Therapie, weil er sicher wisse, dass er an keiner im Maßregelvollzug zu behandelnden Erkrankung oder Störung leide. Einem therapeutischen Konzept, das ihn befähigte, in Freiheit nicht erneut rückfällig zu werden, verweigere er sich nicht. Hierzu seien vielmehr die beantragten Vollzugslockerungen erforderlich.
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Das Oberlandesgericht verwarf mit angegriffenem Beschluss die Rechtsbeschwerde mit Tenorbegründung und ergänzte, dass die Klinikleitung, soweit der Beschwerdeführer künftig nicht näher spezifizierte Lockerungen beantrage, auf eine Konkretisierung der Lockerungswünsche hinzuwirken haben dürfte, damit die gemäß § 18 Abs. 4 des nordrhein-westfälischen Maßregelvollzugsgesetzes (im Folgenden: MRVG NRW) erforderliche Prüfung erfolgen könne.
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II.
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1. Mit der fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 1 und Art. 19 Abs. 2 GG und wiederholt sinngemäß die im fachgerichtlichen Verfahren vorgebrachten Beanstandungen. Ergänzend trägt er unter anderem vor, dass er aufgrund einer massiven körperlichen Behinderung selbst ohne Handfesselung außerstande sei, zu fliehen. Im Übrigen trage er keinen dahingehenden Wunsch in sich. Er sei bei mehreren ärztlichen Ausführungen - gemeint wohl: Ausführungen zu Arztterminen - an "unzähligen Personen (hier auch Kindern)" vorbeigeführt worden, ohne dass dies die Sicherheit der Allgemeinheit gefährdet habe. Er könne nicht einmal das Grab seiner Mutter besuchen. Die Rechtsbeschwerde sei entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts zulässig gewesen, um die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
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2. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat dahingehend Stellung genommen, dass eine Gewährung von Vollzugslockerungen nicht möglich sei, weil es an jeglichem therapeutischen Kontakt zum Beschwerdeführer fehle und eine Risikoabschätzung im Hinblick auf den Schutz der Allgemeinheit daher nicht möglich sei. Wichtige Gründe im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 5 MRVG NRW seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Auch der mit einer Begleitung des Beschwerdeführers verbundene Sicherungsgrad rechtfertige nicht, bei der erforderlichen Abwägung der Rechte des Beschwerdeführers und der Rechte potentiell gefährdeter Personen von einem Überwiegen der Belange des Beschwerdeführers auszugehen.
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B.
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I.
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Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93c Abs. 1 BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (s. unter II. 1. und 2.). Nach diesen Grundsätzen ist die Verfassungsbeschwerde in einem die Zuständigkeit der Kammer begründenden Sinn offensichtlich begründet.
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II.
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1. Der Beschluss des Landgerichts verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.
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a) Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, den Strafvollzug auf das Ziel auszurichten, dem Inhaftierten ein zukünftiges straffreies Leben in Freiheit zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 116, 69 <85 f.> m.w.N.; stRspr). Besonders bei langjährig im Vollzug befindlichen Personen erfordert dies, aktiv den schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken und ihre Lebenstüchtigkeit zu erhalten und zu festigen (vgl. BVerfGE 45, 187 <238>; 64, 261 <277>; 98, 169 <200>; 109, 133 <150 f.>). Der Gesetzgeber hat dementsprechend im Strafvollzugsgesetz auch dem Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe ein Behandlungs- und Resozialisierungskonzept zugrundegelegt (BVerfGE 117, 71 <91>). Der Wiedereingliederung des Delinquenten dienen unter anderem die Vorschriften über Vollzugslockerungen (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 92).
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Besonders bei langjährig Inhaftierten ist es geboten, aktiv den schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken und ihre Lebenstüchtigkeit zu erhalten und zu festigen (vgl. BVerfGE 45, 187 <238>; 64, 261 <277>; 98, 169 <200>; 109, 133 <150 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Dezember 1997 - 2 BvR 1404/96 -, NJW 1998, S. 1133 <1133>; Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. August 2010 - 2 BvR 729/08 -, StV 2011, S. 488 <490>, und vom 29. Februar 2012 - 2 BvR 368/10 -, juris). Hierfür kommt der Möglichkeit, dem Gefangenen Lockerungen zu gewähren, besondere Bedeutung zu. Auch einem zu lebenslanger Haft Verurteilten kann daher nicht jegliche Lockerungsperspektive mit der Begründung versagt werden, eine konkrete Entlassungsperspektive stehe noch aus (vgl. BVerfGK 9, 231 <237>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. August 2010 - 2 BvR 729/08 -, StV 2011, S. 488 <490>, und vom 29. Februar 2012 - 2 BvR 368/10 -, juris). Der Erhaltung der Lebenstüchtigkeitdienen nicht nur Urlaub und Ausgänge, sondern - gerade bei Gefangenen, die die Voraussetzungen hierfür noch nicht erfüllen - auch Ausführungen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. August 2010 - 2 BvR 729/08 -, StV 2011, S. 488 <490>, und vom 26. Oktober 2011 - 2 BvR 1539/09 -, juris). Bei langjährig Inhaftierten kann daher, auch wenn eine konkrete Entlassungsperspektive sich noch nicht abzeichnet und weitergehenden Lockerungen eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr entgegensteht, zumindest die Gewährung von Lockerungen in Gestalt von Ausführungen geboten (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. September 2008 - 2 BvR 719/08 -, FS 2011, S. 252) und der damit verbundene personelle Aufwand hinzunehmen sein (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. August 2010 - 2 BvR 729/08 -, StV 2011, S. 488 <490>, und vom 29. Februar 2012 - 2 BvR 368/10 -, juris).
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Für den Vollzug von Maßregeln, der nicht anders als der Strafvollzug im engeren Sinne auf das verfassungsrechtlich vorgegebene Ziel der sozialen Wiedereingliederungausgerichtet sein muss (vgl. BVerfGE 98, 169 <200 f.>; 109, 133 <151>; 128, 326 <377>), kann insoweit nichts anderes gelten. Dementsprechend sieht § 18 Abs. 1 Satz 3 MRVG NRW vor, dass Vollzugslockerungengrundsätzlich der Erreichung des Behandlungszwecksdienen; zu diesem gehört nach § 1 Abs. 1 Satz 1 MRVG NRW die Eingliederung des Untergebrachten in die Gemeinschaft.
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b) Den daraus sich ergebenden Anforderungen an die gerichtliche Überprüfung der vollzugsbehördlichen Entscheidung wird der angegriffene Beschluss des Landgerichts nicht gerecht, soweit er die Versagung von Lockerungen uneingeschränkt, und damit auch hinsichtlich bloßer Ausführungen, als rechtmäßig bestätigt. Der Beschluss des Landgerichts verhält sich mit keinem Wort zu der Frage, weshalb die Lockerungsvoraussetzungen auch bei Ausführungen trotz der damit verbundenen und verbindbaren Sicherungsvorkehrungen nicht gegeben sein sollen.
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Die bei einer Ausführung nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 MRVG NRW vorgesehene Begleitung des Untergebrachten (vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen, Drucks 12/3728, S. 39) dient gerade dem Zweck, einer von ihm ausgehenden Flucht- und Missbrauchsgefahr entgegenzuwirken, die bei fehlender Begleitung entstünde. Die allgemeine - nicht nach Lockerungsformen differenzierende - Feststellung einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr ist daher für sich genommen grundsätzlich ungeeignet, zu begründen, dass die angenommene Gefahr auch im Fall der Ausführung besteht (vgl. zu einer beantragten Ausführung unter Fesselung Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Oktober 2011 - 2 BvR 1539/09 -, juris). Zwar kann im Einzelfall - etwa wenn auf eine bereits zuvor erfolgte Entziehung des betreffenden Untergebrachten aus bestehender Bewachung verwiesen wird - ohne nähere Ausführungen auf der Hand liegen, dass die geltend gemachte Gefahr mit vertretbarem Bewachungsaufwand nicht auszuräumen ist. Die Annahme einer aus solchen Gründen bestehenden Flucht- oder Missbrauchsgefahr mag dann ohne weiteres auch auf den Fall der Ausführung in Begleitung von Bediensteten zu beziehen und geeignet sein, die Versagung von Lockerungen auch insoweit zu rechtfertigen. Ein derartiger Fall unwidersprechlicher, auf nähere Begründung nicht angewiesener Evidenz, dass die angenommene Flucht- und Missbrauchsgefahr auch durch die bei Ausführungen vorgesehene Bewachung nicht auszuschließen sein werde, lag hier jedoch nicht vor. Die von der Klinik für die Versagung jeglicher Lockerungen allein angeführten allgemeinen Gründe drängten eine entsprechende Schlussfolgerung nicht ansatzweise auf.
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2. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG.
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a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; stRspr). Dabei fordert Art. 19 Abs. 4 GG keinen Instanzenzug. Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger auch insoweit eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 54, 94 <96 f.>; 122, 248 <271>; stRspr). Die Rechtsmittelgerichte dürfen ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch die Art und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen; der Zugang zu den in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanzen darf nicht von unerfüllbaren oder unzumutbaren Voraussetzungen abhängig gemacht oder in einer durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 96, 27 <39>; 117, 244 <268>; 122, 248 <271>; stRspr).
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b) Nach diesem Maßstab ist der Beschluss des Oberlandesgerichts mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar.
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§ 119 Abs. 3 StVollzG erlaubt es dem Strafsenat, von einer Begründung der Rechtsbeschwerdeentscheidung abzusehen, wenn er die Beschwerde für unzulässig oder offensichtlich unbegründet erachtet. Da von dieser Möglichkeit, deren Einräumung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. BVerfGE 50, 287 <289 f.>; 71, 122 <135>; 81, 97 <106>), im vorliegenden Fall Gebrauch gemacht wurde, liegen über die Feststellung im Tenor des Beschlusses des Oberlandesgerichts, dass die in § 116 Abs. 1 StVollzG genannte Voraussetzung der Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde - Erforderlichkeit der Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung - nicht vorliege, Entscheidungsgründe, die das Bundesverfassungsgericht einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterziehen könnte, nicht vor. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Beschluss selbst sich verfassungsrechtlicher Prüfung entzöge oder die Maßstäbe der Prüfung zu lockern wären. Vielmehr ist in einem solchen Fall die Entscheidung bereits dann aufzuheben, wenn an ihrer Vereinbarkeit mit Grundrechten des Beschwerdeführers erhebliche Zweifel bestehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Februar 1993 - 2 BvR 251/93 -, juris; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. März 2008 - 2 BvR 378/05 -, juris; Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Oktober 2011 - 2 BvR 1539/09 -, juris, und vom 29. Februar 2012 - 2 BvR 309/10 und 2 BvR 368/10 -, jeweils juris). Dies ist angesichts der offenkundigen inhaltlichen Abweichung des landgerichtlichen Beschlusses von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zur Bedeutung einer solchen Abweichung für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde vgl. OLG Celle, Beschluss vom 7. Juli 2006 - 1 Ws 288/06 (StrVollz) -, juris) hier der Fall.
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3. Da die angegriffenen Entscheidungen auf dem festgestellten Verfassungsverstoßberuhen, sind sie nach § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
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III.
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Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
(1) Als Lockerung des Vollzuges kann namentlich angeordnet werden, daß der Gefangene
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außerhalb der Anstalt regelmäßig einer Beschäftigung unter Aufsicht (Außenbeschäftigung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Freigang) nachgehen darf oder - 2.
für eine bestimmte Tageszeit die Anstalt unter Aufsicht (Ausführung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Ausgang) verlassen darf.
(2) Diese Lockerungen dürfen mit Zustimmung des Gefangenen angeordnet werden, wenn nicht zu befürchten ist, daß der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzuges zu Straftaten mißbrauchen werde.
(1) Der Strafsenat entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß.
(2) Seiner Prüfung unterliegen nur die Beschwerdeanträge und, soweit die Rechtsbeschwerde auf Mängel des Verfahrens gestützt wird, nur die Tatsachen, die in der Begründung der Rechtsbeschwerde bezeichnet worden sind.
(3) Der Beschluß, durch den die Beschwerde verworfen wird, bedarf keiner Begründung, wenn der Strafsenat die Beschwerde einstimmig für unzulässig oder für offensichtlich unbegründet erachtet.
(4) Soweit die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet wird, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Der Strafsenat kann an Stelle der Strafvollstreckungskammer entscheiden, wenn die Sache spruchreif ist. Sonst ist die Sache zur neuen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen.
(5) Die Entscheidung des Strafsenats ist endgültig.
(1) In der das Verfahren abschließenden Entscheidung ist zu bestimmen, von wem die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen zu tragen sind.
(2) Soweit der Antragsteller unterliegt oder seinen Antrag zurücknimmt, trägt er die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen. Hat sich die Maßnahme vor einer Entscheidung nach Absatz 1 in anderer Weise als durch Zurücknahme des Antrags erledigt, so entscheidet das Gericht über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen nach billigem Ermessen.
(3) Bei erstinstanzlichen Entscheidungen des Gerichts nach § 119a fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last. Absatz 2 Satz 2 gilt nicht im Falle des § 115 Abs. 3.
(4) Im übrigen gelten die §§ 464 bis 473 der Strafprozeßordnung entsprechend.
(5) Für die Kosten des Verfahrens nach den §§ 109ff. kann auch ein den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 übersteigender Teil des Hausgeldes (§ 47) in Anspruch genommen werden.
(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.
(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.
(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er
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die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder - 2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.
(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.
(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.