Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 09. Sept. 2014 - 1 Vollz (Ws) 356/14
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird insoweit zugelassen und der angefochtene Beschluss wird insoweit aufgehoben, als darin der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Festsetzung einer Disziplinarmaßnahme zurückgewiesen worden ist (Tenor zu Ziff. 2).
Insoweit wird die Sache zu neuer Behandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Arnsberg zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen.
1
Gründe
2I.
3Nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer wurden gegen den Betroffenen diverse Sicherungsmaßnahmen festgesetzt, nachdem es zwischen ihm und einem anderen Gefangenen, der – wie der Betroffene in der anstaltseigenen Bäckerei beschäftigt ist – zu (nicht näher beschriebenen) wiederholten verbalen Auseinandersetzungen gekommen war. Die Sicherungsmaßnahmen wurden nach Einreichung des Antrages auf gerichtliche Entscheidung aufgehoben. Insoweit hat der Betroffene die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit begehrt. Diesen Antrag hat die Strafvollstreckungskammer als unzulässig zurückgewiesen, da ein Fort-setzungsfeststellungsinteresse weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sei.
4Weiter wendet sich der Betroffene gegen die Anordnung einer dreitägigen Freizeitsperre auf Bewährung wegen dieses Vorfalls. Insoweit meint die Strafvollstreckungskammer, der Antrag sei unbegründet, da der Betroffene durch die wiederholten verbalen Auseinandersetzungen gegen § 82 Abs. 1 S. 2 StVollzG verstoßen habe.
5Schließlich begehrt er die Nachzahlung von Lohn für den etwa einwöchigen Zeitraum, in dem er Sicherungsmaßnahmen unterworfen und von der Arbeit abgelöst war. Auch insoweit hat die Strafvollstreckungskammer seinen Antrag als unbegründet zurückgewiesen, da er zu Recht von der Arbeit abgelöst gewesen sei.
6Gegen den Beschluss wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und trägt vor, dass die Strafvollstreckungskammer von einer falschen Tatsachengrundlage ausgegangen sei. Zudem greife ein Verbot von Meinungsverschiedenheiten, welche normal seien, in das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung ein.
7III.
8Die form- und fristgerecht erhobene Rechtsbeschwerde ist nur teilweise zulässig.
91.
10Die Rechtsbeschwerde ist in dem o.g. Umfang jedenfalls zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 116 StVollzG zuzulassen. Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses legen nahe, dass die Strafvollstreckungskammer meint, dass bloße, nicht näher beschriebene, verbale Auseinandersetzungen zwischen Gefangenen gegen § 82 Abs. 1 S. 2 StVollzG verstoßen, weil sie das geordnete Zusammenleben stören. Dies trifft indes nicht zu. Angesichts der offenbar gegebenen generellen Fehlvorstellung der Strafvollstreckungskammer besteht die Gefahr der Wiederholung dieses Fehlers in zukünftigen Entscheidungen.
11Der Senat entnimmt dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe, dass es sich vorliegend um eine Strafvollzugssache handelt und dass die Angaben im Rubrum des angefochtenen Beschlusses („Maßregelvollzugssache“ und „Untergebrachten“) offenbar Versehen sind, so dass eine Zulassung wegen unzureichender Tatsachenfeststellungen, die dem Senat noch nicht einmal die Prüfung erlaubten, ob ein Zulassungsgrund i.S.d. § 116 StVollzG vorliegt (weil schon nicht klar wäre, ob das SVVollzG NW oder das StVollzG der relevante Prüfungsmaßstab ist), ausscheidet.
122.
13Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde unzulässig, da es nicht geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§§ 116 Abs. 1, 119 Abs. 3 StVollzG). Die Fragen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses i.S.d. § 115 Abs. 3 StVollzG sind ebenso obergerichtlich geklärt, wie der Umstand, dass Arbeitsentgelt nach den Regelungen des StVollzG nur bei tatsächlich erbrachter Arbeitsleistung gewährt wird (vgl. dazu KG Berlin NStZ 1989, 197).
14III.
15Soweit die Rechtsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und – mangels Entscheidungsreife – zur Zurückverweisung der Sache (§ 119 Abs. 4 StVollzG).
16Die Strafvollstreckungskammer geht zu Unrecht davon aus, dass die Beteiligung eines Strafgefangenen an nicht näher beschriebene wiederholten verbalen Auseinandersetzungen mit anderen Strafgefangenen ein disziplinarwürdiges Vergehen i.S.v. § 102 StVollzG ist. Diese Vorschrift setzt einen schuldhaften Verstoß eines Gefangenen gegen Pflichten, die ihm durch das oder aufgrund des StVollzG auferlegt worden sind, voraus. Dabei gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass Disziplinarmaßnahmen dem strengen Gesetzesvorbehalt des Art. 103 Abs. 2 GG unterliegen; sie dürfen nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung verhängt werden, die das disziplinarisch zu ahndende Verhalten in für die Normadressaten vorhersehbarer Weise vorab bestimmt (BVerfG, Beschl. v. 22.03.2011 – 2 BvR 983/09 = BeckRS 2011, 49813). Dies ist bei der Sanktionierung von nicht näher beschriebenen verbalen Auseinandersetzungen nicht mehr gegeben. Gegen das Störungsverbot des § 82 Abs. 1 S. 2 StVollzG wird erst verstoßen, wenn ausdrücklich normierte Verhaltensgebote verletzt werden oder der Einzelverstoß gegen den üblichen Verhaltenskodex eine solche Dimension erreicht, dass er nicht nur die einzelne zwischenmenschliche Beziehung stören kann, sondern den Gesamtzusammenhang des geordneten Zusammenlebens in der Anstalt. Nicht jeder Verstoß gegen wünschenswerte Umgangsformen erreicht diese Dimension (Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 82 Rdn. 3). Ob die erforderliche Dimension erreicht ist, ergibt der angefochtene Beschluss nicht. Ist sie nicht erreicht, würde eine Sanktionierung gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstoßen, denn der Strafgefangene könnte dann nicht mehr ersehen, ab welchem Grad einer verbalen Auseinandersetzung, die vom bloßen freundlichen Äußern einer anderen Meinung bis zu aggressivem, ggf. Straftatbestände (z.B. §§ 185, 241 StGB) verwirklichendem Verhalten gehen kann, er sich der Gefahr einer Sanktionierung aussetzt. Es wäre auch nachgerade kontraproduktiv, Gefangenen, die befähigt werden sollen, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern und ein Leben ohne Straftaten zu führen (§§ 2 f. StVollzG) einfache, auch im Leben in Freiheit vorkommende Formen verbaler Auseinandersetzung zu untersagen, so lange nicht dadurch die Abläufe in der Anstalt, wie etwa der Produktionsprozess im Anstaltsbetrieb, oder die Sicherheit (etwa aufgrund der Gefahr von Zusammenrottung anderer Gefangener und Bildung verfeindeter Gruppen) gestört werden.
17Insoweit sind hier noch weitere Feststellungen möglich und geboten. So kann es zum Beispiel sein, dass die verbalen Auseinandersetzungen deswegen ein nicht mehr hinnehmbares Maß erreicht haben, weil es fast zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen wäre (was bisher nicht festgestellt sondern nur in Form einer Möglichkeit mitgeteilt wird).
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(1) Der Gefangene hat sich nach der Tageseinteilung der Anstalt (Arbeitszeit, Freizeit, Ruhezeit) zu richten. Er darf durch sein Verhalten gegenüber Vollzugsbediensteten, Mitgefangenen und anderen Personen das geordnete Zusammenleben nicht stören.
(2) Der Gefangene hat die Anordnungen der Vollzugsbediensteten zu befolgen, auch wenn er sich durch sie beschwert fühlt. Einen ihm zugewiesenen Bereich darf er nicht ohne Erlaubnis verlassen.
(3) Seinen Haftraum und die ihm von der Anstalt überlassenen Sachen hat er in Ordnung zu halten und schonend zu behandeln.
(4) Der Gefangene hat Umstände, die eine Gefahr für das Leben oder eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit einer Person bedeuten, unverzüglich zu melden.
(1) Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
(2) Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
(3) Die Rechtsbeschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. § 114 Abs. 2 gilt entsprechend.
(4) Für die Rechtsbeschwerde gelten die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Beschwerde entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.
(1) Der Gefangene hat sich nach der Tageseinteilung der Anstalt (Arbeitszeit, Freizeit, Ruhezeit) zu richten. Er darf durch sein Verhalten gegenüber Vollzugsbediensteten, Mitgefangenen und anderen Personen das geordnete Zusammenleben nicht stören.
(2) Der Gefangene hat die Anordnungen der Vollzugsbediensteten zu befolgen, auch wenn er sich durch sie beschwert fühlt. Einen ihm zugewiesenen Bereich darf er nicht ohne Erlaubnis verlassen.
(3) Seinen Haftraum und die ihm von der Anstalt überlassenen Sachen hat er in Ordnung zu halten und schonend zu behandeln.
(4) Der Gefangene hat Umstände, die eine Gefahr für das Leben oder eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit einer Person bedeuten, unverzüglich zu melden.
(1) Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
(2) Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
(3) Die Rechtsbeschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. § 114 Abs. 2 gilt entsprechend.
(4) Für die Rechtsbeschwerde gelten die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Beschwerde entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.
(1) Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Der Beschluss stellt den Sach- und Streitstand seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt zusammen. Wegen der Einzelheiten kann auf in der Gerichtsakte befindliche Dokumente, die nach Herkunft und Datum genau zu bezeichnen sind, verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt. Das Gericht kann von einer Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.
(1a) Das Gericht kann anordnen, dass eine Anhörung unter Verzicht auf die persönliche Anwesenheit des Gefangenen zeitgleich in Bild und Ton in die Vollzugsanstalt und das Sitzungszimmer übertragen wird. Eine Aufzeichnung findet nicht statt. Die Entscheidung nach Satz 1 ist nicht anfechtbar.
(2) Soweit die Maßnahme rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht die Maßnahme auf. Ist die Maßnahme schon vollzogen, kann das Gericht auch aussprechen, daß und wie die Vollzugsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat, soweit die Sache spruchreif ist.
(3) Hat sich die Maßnahme vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht auf Antrag aus, daß die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(4) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung der Maßnahme rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Vollzugsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Anderenfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(5) Soweit die Vollzugsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
(1) Der Strafsenat entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß.
(2) Seiner Prüfung unterliegen nur die Beschwerdeanträge und, soweit die Rechtsbeschwerde auf Mängel des Verfahrens gestützt wird, nur die Tatsachen, die in der Begründung der Rechtsbeschwerde bezeichnet worden sind.
(3) Der Beschluß, durch den die Beschwerde verworfen wird, bedarf keiner Begründung, wenn der Strafsenat die Beschwerde einstimmig für unzulässig oder für offensichtlich unbegründet erachtet.
(4) Soweit die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet wird, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Der Strafsenat kann an Stelle der Strafvollstreckungskammer entscheiden, wenn die Sache spruchreif ist. Sonst ist die Sache zur neuen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen.
(5) Die Entscheidung des Strafsenats ist endgültig.
(1) Verstößt ein Gefangener schuldhaft gegen Pflichten, die ihm durch dieses Gesetz oder auf Grund dieses Gesetzes auferlegt sind, kann der Anstaltsleiter gegen ihn Disziplinarmaßnahmen anordnen.
(2) Von einer Disziplinarmaßnahme wird abgesehen, wenn es genügt, den Gefangenen zu verwarnen.
(3) Eine Disziplinarmaßnahme ist auch zulässig, wenn wegen derselben Verfehlung ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet wird.
Tenor
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Der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing vom 14. April 2009 - StVK 146/2009 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache an die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing zurückverwiesen.
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Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Eilrechtsschutz gegen eine Disziplinarmaßnahme, die gegen den strafgefangenen Beschwerdeführer verhängt wurde, weil er eine Strafanzeige durch einen Mitgefangenen hatte schreiben lassen.
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I.
- 2
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1. Die Justizvollzugsanstalt beanstandete im Rahmen der Briefkontrolle ein ausgehendes maschinenschriftliches Schreiben an den Generalbundesanwalt, mit dem der Beschwerdeführer Strafanzeige "wegen Strafvereitelung im Amt bzw. Nötigung" erstatten wollte, und verhängte als Disziplinarmaßnahme eine zweiwöchige getrennte Unterbringung während der Freizeit sowie einen zweiwöchigen Entzug der Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen. Das maschinenschriftliche Schreiben sei ausweislich des Schriftbildes, der Wortwahl und des Umstandes, dass der Beschwerdeführer nicht im Besitz einer Schreibmaschine sei, durch einen Mitgefangenen gefertigt worden. Der Beschwerdeführer habe demnach unbefugt und schuldhaft den Mitgefangenen geschäftliche Angelegenheiten tätigen lassen, wodurch Abhängigkeitsverhältnisse entstünden.
- 3
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2. Mit auf Aussetzung des Vollzugs der Disziplinarmaßnahme gerichtetem Eilantrag (§ 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG) machte der Beschwerdeführer geltend, sein Aussetzungsinteresse überwiege. Die Dringlichkeit ergebe sich aus der Schwere der Grundrechtsverletzung. Ein schuldhafter Verstoß liege nicht vor. Er habe sich das Schreiben zwar im Wege der Kameradschaftshilfe von einem Mitgefangenen anfertigen lassen. Eine unbefugte geschäftliche Tätigkeit habe er jedoch nicht ausgeübt. Die Justizvollzugsanstalt irre in der Annahme, dass Schreibhilfe durch Mitgefangene eine Strafbarkeit beinhalte. Insoweit habe sie auch den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt, weshalb ihre Entscheidung willkürlich sei.
- 4
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3. Die Strafvollstreckungskammer wies den Antrag mit angegriffenem Beschluss vom 14. April 2009 zurück. Es überwiege das Vollzugsinteresse. Nach summarischer Prüfung sei die verhängte Disziplinarmaßnahme rechtmäßig. Die Hilfe bei der Erstellung "entsprechender Schreiben" durch Mitgefangene stelle auch nach dem nunmehr geltenden Rechtsdienstleistungsgesetz eine nicht erlaubte unentgeltliche Rechtsdienstleistung dar. Da auch bei vermeintlicher Unentgeltlichkeit die konkrete Gefahr der Entstehung von Abhängigkeitsverhältnissen, einhergehend mit der Entstehung subkultureller Strukturen, bestehe, werde auch das geordnete Zusammenleben innerhalb der Anstalt sowie die Sicherheit und Ordnung der Anstalt konkret gefährdet. Damit liege ein erheblicher Pflichtverstoß vor. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich.
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II.
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Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG. Diese Rechte seien eilverfahrensspezifisch verletzt. Die Strafvollstreckungskammer habe den Zugang zu wirksamer gerichtlicher Kontrolle im einstweiligen Rechtsschutzverfahren unzumutbar eingeschränkt. Eine Disziplinarmaßnahme hätte nicht verhängt werden dürfen, weil die "Strafbarkeit" der Schreibhilfe durch Mitgefangene nicht gesetzlich geregelt sei. Dass er aufgrund des bloßen Verdachts von "Geschäftemacherei" verurteilt worden sei, verstoße gegen den Schuldgrundsatz. Zu der Frage, ob die in Anspruch genommene Schreibhilfe einen Verstoß gegen die Hausordnung oder gegen ein Gesetz darstelle, seien die notwendigen näheren Feststellungen nicht getroffen worden. Die summarische Prüfung hätte zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Disziplinarmaßnahme führen müssen, weil er weder gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz verstoßen noch die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährdet habe.
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III.
- 6
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Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat von einer Stellungnahme abgesehen.
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IV.
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1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), und gibt ihr statt. Nach verfassungsrechtlichen Maßstäben, die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt sind (s. unter 2.), ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet (§ 93b, § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
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2. Die angegriffene Entscheidung verletzt das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, Art. 19 Abs. 4 GG.
- 9
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a) Aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ergeben sich Anforderungen auch für den Eilrechtsschutz (vgl. BVerfGE 49, 220 <226>; 77, 275 <284>; 93, 1 <13 f.>; BVerfGK 1, 201 <204 f.>). Soweit bei belastenden Maßnahmen - wie im Fall einer strafvollzugsrechtlichen Disziplinierung - die Einlegung eines Rechtsbehelfs nicht schon kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat, muss gewährleistet sein, dass der Betroffene umgehend eine gerichtliche Entscheidung darüber herbeiführen kann, ob im konkreten Einzelfall das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung oder aber das Interesse des Einzelnen an der Aussetzung der Vollziehung bis zur Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme überwiegt (vgl. BVerfGE 35, 382 <402>; 37, 150 <153>; 67, 43 <58 f.>; BVerfGK 8, 118 <122>). Für die bei einem Aussetzungsantrag gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG erforderliche Prüfung, ob die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird, und ob der Aussetzung ein höher zu bewertendes Interesse an dem sofortigen Vollzug entgegensteht, kann ohne Grundrechtsverstoß berücksichtigt werden, ob nach einer summarischen Prüfung der Antragsteller mit seinem Rechtsbehelf voraussichtlich Erfolg haben wird oder nicht (vgl. BVerfGK 7, 403 <409>; 11, 54 <62>, m.w.N.).
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b) Die entscheidungstragende Feststellung der Strafvollstreckungskammer, nach summarischer Prüfung sei die Disziplinarmaßnahme rechtmäßig, hält jedoch ihrerseits verfassungsrechtlicher Prüfung nicht stand.
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Disziplinarmaßnahmen unterliegen dem strengen Gesetzesvorbehalt (vgl. BVerfGE 71, 108 <114>) des Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 26, 186 <203 f.>; 45, 346 <351>); sie dürfen nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung verhängt werden, die das disziplinarisch zu ahndende Verhalten in für die Normadressaten vorhersehbarer Weise vorab bestimmt.
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aa) Ein disziplinarisch sanktionierbarer Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) lag offensichtlich nicht vor.
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Das in § 3 RDG statuierte, nach § 20 RDG bußgeldbewehrte Verbot, jenseits gesetzlicher oder gesetzlich fundierter Erlaubnisnormen außergerichtliche Rechtsdienstleistungen zu erbringen, richtet sich nicht an denjenigen, dem die Leistung erbracht wird; dieser soll durch die Norm gerade geschützt werden (vgl. Franz, in: Grunewald/ Römermann, Rechtsdienstleistungsgesetz, 2008, § 20 Rn. 12; Klees, in: Krenzler, Rechtsdienstleistungsgesetz, 2010, § 20 Rn. 20). Eine Veränderung gegenüber den Vorgängernormen des Rechtsberatungsgesetzes ist in diesem Punkt offensichtlich nicht eingetreten. Unabhängig von der Frage, ob die Hilfe des Mitgefangenen, der das angehaltene Schreiben für den Beschwerdeführer gefertigt hatte, eine verbotene Rechtsdienstleistung darstellte, verstößt daher jedenfalls die dem Beschwerdeführer allenfalls anzulastende bloße Inanspruchnahme einer Rechtsdienstleistung nicht gegen § 3 RDG (vgl. zum Rechtsberatungsgesetz BVerfGK 2, 196 <199 f.>; 4, 305 <311>; 6, 291 <294>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. August 2004 - 2 BvR 1766/03 -, NJW-RR 2004, S. 1713).
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bb) Soweit die Strafvollstreckungskammer sinngemäß angenommen hat, die Inanspruchnahme der Hilfe des Mitgefangenen für das angehaltene Schreiben könne als Verstoß gegen das gesetzliche Verbot der Störung des geordneten Zusammenlebens (Art. 88 Abs. 1 Satz 2 BayStVollzG; entspricht § 82 Abs. 1 Satz 2 StVollzG) disziplinarisch geahndet werden, weil die Verabredung oder Entgegennahme einer solchen Hilfeleistung die Gefahr subkultureller Abhängigkeitsverhältnisse begründe, lässt die angegriffene Entscheidung nicht nur jede Auseinandersetzung mit der Frage vermissen, ob die unterstellte Sanktionierbarkeit seines Verhaltens für den Beschwerdeführer nach dieser Vorschrift in einer den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügenden Weise vorhersehbar war. Die Strafvollstreckungskammer verkennt insoweit auch, dass die bloße Feststellung der Entgegennahme einer Gefälligkeit - sei es auch in Rechtsangelegenheiten - zur Begründung des disziplinarischen Vorwurfs der Schaffung sicherheits- und ordnungsstörender Abhängigkeitsverhältnisse nicht genügt, weil dem Gefangenen nicht jede Gegenseitigkeitsbeziehung und damit jede Form des normalen menschlichen Miteinander als ordnungsstörend verboten sein kann (vgl. im Einzelnen BVerfGK 9, 390 <398>).
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cc) Ob es aus diesem Grund und im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt, wenn für die disziplinarische Sanktionierung rechtsbezogener Hilfestellungen unter Gefangenen auf eine Auslegung des Art. 90 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BayStVollzG zurückgegriffen wird, nach der jegliche von der Anstalt nicht genehmigte Annahme von Schriftverkehr anderer Gefangener - und demzufolge wohl auch die Abgabe entsprechender Schriftstücke, vgl. Art. 90 Abs. 1 Satz 2 BayStVollzG - eine Pflichtverletzung darstellt (vgl. BayVerfGH, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - Vf. 3-VI-09 -, juris), bedarf hier keiner Entscheidung. Denn auf diese Annahme haben sich weder die Justizvollzugsanstalt noch die Strafvollstreckungskammer gestützt. Die Strafvollstreckungskammer wäre im Übrigen auch nicht befugt, eine Disziplinarmaßnahme unter Auswechselung der von der Anstalt angeführten Gründe für die angenommene Pflichtwidrigkeit des sanktionierten Verhaltens als rechtmäßig zu bestätigen (vgl. BVerfGK 9, 390 <397>).
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3. Der angegriffene Beschluss beruht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Die angegriffene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache an das Gericht zurückzuverweisen, § 95 Abs. 2 BVerfGG. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
(1) Der Gefangene hat sich nach der Tageseinteilung der Anstalt (Arbeitszeit, Freizeit, Ruhezeit) zu richten. Er darf durch sein Verhalten gegenüber Vollzugsbediensteten, Mitgefangenen und anderen Personen das geordnete Zusammenleben nicht stören.
(2) Der Gefangene hat die Anordnungen der Vollzugsbediensteten zu befolgen, auch wenn er sich durch sie beschwert fühlt. Einen ihm zugewiesenen Bereich darf er nicht ohne Erlaubnis verlassen.
(3) Seinen Haftraum und die ihm von der Anstalt überlassenen Sachen hat er in Ordnung zu halten und schonend zu behandeln.
(4) Der Gefangene hat Umstände, die eine Gefahr für das Leben oder eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit einer Person bedeuten, unverzüglich zu melden.
Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung öffentlich, in einer Versammlung, durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) oder mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(1) Wer einen Menschen mit der Begehung einer gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Wer einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(3) Ebenso wird bestraft, wer wider besseres Wissen einem Menschen vortäuscht, daß die Verwirklichung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bevorstehe.
(4) Wird die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) begangen, ist in den Fällen des Absatzes 1 auf Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder auf Geldstrafe und in den Fällen der Absätze 2 und 3 auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder auf Geldstrafe zu erkennen.
(5) Die für die angedrohte Tat geltenden Vorschriften über den Strafantrag sind entsprechend anzuwenden.