Oberlandesgericht Düsseldorf Urteil, 29. Okt. 2015 - I-15 U 25/14
Gericht
Tenor
I.
Die Berufung der Beklagten gegen das am 16.07.2013 verkündete Urteil der 4a. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf (Az. 4a O 106/11) wird zurückgewiesen.
II.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.
Das Urteil und das landgerichtliche Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 150.000,- abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen
1
Gründe:
2I.
3Die Parteien streiten um Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Feststellung der Schadenersatzpflicht dem Grunde nach sowie auf Erstattung außergerichtlicher Kosten wegen Verletzung des deutschen Gebrauchsmusters 20 2009 015 AAA U1 („Klagegebrauchsmuster“, Anlage K 1).
4Die Klägerin verfügt über eine ausschließliche Lizenz am Klagegebrauchsmuster, welche ihr der als Inhaber des Klagegebrauchsmusters eingetragene Herr B erteilte. Ferner trat Herr B der Klägerin alle sich aus unerlaubten Benutzungshandlungen Dritter ergebenden Ansprüche auf Schadenersatz sowie Auskunftserteilung und Rechnungslegung ab. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K 3 verwiesen.
5Die Anmeldung des Klagegebrauchsmusters erfolgte am 06.11.2009, die Veröffentlichung seiner Eintragung am 29.04.2010. Das Klagegebrauchsmuster steht im streitgegenständlichen Umfang in Kraft. Mit Beschluss vom 16.04.2013 (Anlage K 10) hielt das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) das Klagegebrauchsmuster teilweise aufrecht. Auf die hiergegen eingelegte Beschwerde der Beklagten hob das Bundespatentgericht mit Beschluss vom 17.07.2014 (Anlage KBf 2) die Entscheidung des DPMA auf. Der im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachte Schutzanspruch 1 erhielt bei gleichzeitiger Löschung der Schutzansprüche 2, 3, 4 und 7 folgende Fassung, die auch von Anfang an dem Begehren der Klägerin in dem vorliegenden Verletzungsprozess zugrunde gelegen hatte:
6„Vorrichtung zum Abstützen von Solarmodulen auf einem Flachdach mit zumindest zwei, zu den einander gegenüberliegenden Kanten eines Solarmoduls ausrichtbaren Stützeinrichtungen, wobei jede der Stützeinrichtungen ein 4-Kantrohr aufweist, an dem zumindest ein abgewinkeltes, aus einem gekanteten Blech hergestelltes Stützprofil angebracht ist, wobei am 4-Kantrohr mehrere sich in dieselbe Richtung erstreckende Stützprofile angebracht sind, wobei das Stützprofil an seinen beiden Enden mit ersten Durchbrüchen versehene Befestigungslaschen aufweist, wobei die Befestigungslaschen so ausgestaltet sind, dass das Stützprofil formschlüssig auf das 4-Kantrohr aufsteckbar ist, wobei zur Verbindung zweier mit den Stützprofilen parallel zueinander ausgerichteter Stützeinrichtungen eine Verbindungswand vorgesehen ist, welche jeweils am zweiten Stützabschnitt der Stützprofile angebracht ist, und wobei die Vorrichtung aus Aluminium hergestellt ist.“
7Nachfolgend werden (verkleinerte) Figuren aus der Klagegebrauchsmusterschrift eingeblendet, die bevorzugte Ausführungsbeispiele der Erfindung illustrieren. Die betreffende Figur 1 enthält eine perspektivische Ansicht einer ersten Solarmodulanordnung, die alsdann in Figur 2 in der Seitenansicht gezeigt ist.
8Die nachstehend ebenfalls eingeblendete Figur 3 des Klagegebrauchsmusters enthält eine Explosionsansicht einer Vorrichtung zum Abstützen von Solarmodulen gemäß den Figuren 1 und 2 des Klagegebrauchsmusters.
9Die Beklagte stellt her und vertreibt unter der Bezeichnung „C“ Vorrichtungen zum Abstützen von Solarmodulen auf Flachdächern („angegriffene Ausführungsform I“). Es handelt sich um Hohlprofile, an denen jeweils mehrere, sich in dieselbe Richtung erstreckende Stützprofile angebracht sind. Anhand der nachfolgend eingeblendeten Abbildung wird der Querschnitt der Hohlprofile erkennbar.
10Für die Hohlprofile wird das Material Aluminium verwendet. Die Stützprofile sind aus gekantetem Aluminiumblech hergestellt und bestehen aus einem langen und einem zweiten, kurzen Stützabschnitt. An den Enden beider Stützabschnitte sind Befestigungslaschen ausgebildet, die das Hohlprofil im Wesentlichen formschlüssig übergreifen und mittels Nieten an den Hohlprofilen befestigt sind. Zu diesem Zweck sind in den Befestigungslaschen entsprechende Durchbrüche vorgesehen. Teilweise sind die Stützprofile mit einer Seitenwand versehen, die den Durchbruch abdeckt, der zwischen dem ersten, langen Stützabschnitt, dem zweiten kurzen Stützabschnitt und dem Abschnitt des Hohlprofils gebildet wird. Die Beklagte bietet die Hohl- und Stützprofile nicht gesondert an, sondern liefert diese als vormontierte Einheit. Das mittels eines speziell von der Beklagten entwickelten Extrusionswerkzeugs hergestellte Trägerprofil gemäß der angegriffenen Ausführungsform I kann nicht unmittelbar zum Abstützen der Stützvorrichtung auf einem Flachdach verwendet werden; zum Schutz der empfindlichen Dachhaut muss es vielmehr mit Distanzstücken aus Gummi, die auf der Dachhaut aufliegen, verschraubt werden.
11Darüber hinaus bietet die Beklagte, ebenfalls aus Aluminiumblech bestehende, Verbindungswände an, die dazu bestimmt sind, jeweils an den zweiten, kurzen Stützabschnitten der Stützprofile angebracht zu werden, um zur Erhöhung der Stabilität der Vorrichtung jeweils zwei, mit den Stützprofilen zueinander parallel ausgerichtete Stützeinrichtungen miteinander zu verbinden („angegriffene Ausführungsform II“). Diese Verbindungswände werden von der Beklagten gesondert angeboten und geliefert. Ihre Montage erfolgt auf dem Flachdach durch den Installationsbetrieb, der die Vorrichtungen von der Beklagten bezieht.
12Die Klägerin hat erstinstanzlich geltend gemacht, die angegriffenen Ausführungsformen verletzten das schutzfähige Klagegebrauchsmuster mittelbar in wortsinngemäßer Weise. Insbesondere wiesen die Stützvorrichtungen der angegriffenen Ausführungsform I ein 4-Kantrohr auf.
13Dem ist die Beklagte vor dem Landgericht im Wesentlichen wie folgt entgegen getreten: Das Klagegebrauchsmuster sei nicht schutzfähig. Die angegriffene Ausführungsform I weise zudem kein 4-Kantrohr im Sinne des Klagegebrauchsmusters auf.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO auf das angefochtene Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 16.07.2013 Bezug genommen, mit der das Landgericht wie folgt für Recht erkannt hat:
15„I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu unterlassen,
16Vorrichtungen zum Abstützen von Solarmodulen auf einem Flachdach mit zumindest zwei, zu den einander gegenüberliegenden Kanten eines Solarmoduls ausrichtbaren Stützeinrichtungen, die jeweils umfassen:
171. ein oder mehrere Hohlprofile aus Aluminium, die ein 4-Kantrohr mit einer im Wesentlichen rechteckigen Querschnittsfläche und den Seitenwänden des 4-Kantrohres Stege aufweisen, die über die untere Querwand des 4-Kantrohres hinausreichen, insbesondere gemäß der nachfolgenden Abbildung
182. ein oder mehrere, sich in dieselbe Richtung erstreckende, abgewinkelte, aus einem gekanteten Aluminiumblech hergestellte Stützprofile,
19a. die am Hohlprofil angebracht sind,
20b. die an ihren beiden Enden mit ersten Durchbrüchen versehene Befestigungslaschen aufweisen, die so ausgestaltet sind, dass die Stützprofile formschlüssig auf das Hohlprofil aufgesteckt sind,
213. ein oder mehrere aus Aluminiumblech hergestellte Verbindungswände,
22Dritten zur Benutzung im Bereich der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder zu liefern, bei denen
234. die Verbindungswände dafür geeignet sind, dass sie zur Verbindung zweier mit den Stützprofilen parallel zueinander ausgerichteten Stützeinrichtungen jeweils am zweiten Stützabschnitt der Stützprofile angebracht werden.
24II. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin über den Umfang der vorstehend zu Ziffer I. bezeichneten, seit dem 01.06.2010 begangenen Handlungen Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, und zwar unter Vorlage eines geordneten Verzeichnisses sowie unter Beifügung von Belegen (nämlich Rechnungskopien), unter Angabe
251. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen nebst Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer;
262. der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten sowie des erzielten Gewinns,
27wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt sowie verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer im Verzeichnis enthalten ist.
28III. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu erstatten, der ihr durch die in Ziffer I. bezeichneten, seit dem 01.06.2010 begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entsteht.
29IV. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Kosten in Höhe von 2.080,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.07.2011 zu zahlen.“
30Gegen dieses Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Standpunktes im Wesentlichen geltend macht: Der Begriff „4-Kantrohr“ habe für den Fachmann einen feststehenden Sinngehalt folgenden Inhalts: Es handele sich um ein im Querschnitt rechteckiges oder quadratisches Rohr mit vier Kanten, dessen Seitenwände durch die – begrifflich vorausgesetzten – vier Kanten begrenzt würden. Dieser Sinngehalt sei auch dem Klagegebrauchsmuster immanent, wobei dem 4-Kantrohr die technische Funktion zukomme, als Profil zum Abstützen der Stützeinrichtung auf dem Flachdach zu dienen. Das Landgericht habe unzutreffende Feststellungen getroffen: Das Landgericht sei nämlich zu Unrecht davon ausgegangen, dass das bei der angegriffenen Ausführungsform I vorgesehene Trägerprofil zumindest teilweise auf der Dachhaut aufliege. Vielmehr seien – was zwischen den Parteien unstreitig ist – Distanzstücke aus Gummi dazwischen gelegen. Wie das Bundespatentgericht in seinem Beschluss gemäß Anlage KBf2 zu den im Stand der Technik vorgeschlagenen U- oder C-Profilen ausgeführt habe, seien solche mit der offenen Seite nach oben einzubauen, womit auch erreicht werde, dass die Last aus den Solarmodulen auf der Dachfläche verteilt werde. Daraus ergebe sich für den Fachmann, dass Profile ohne großflächige Lastenverteilung, sondern mit konzentrierter Last auf kleinen Flächen (insbesondere solche mit nach unten offenem U-Profil) keine 4-Kantrohre im Sinne des Klagegebrauchsmusters seien. Ferner sei zu beachten, dass das 4-Kantrohr gemäß dem Klagegebrauchsmuster – insbesondere gemäß dessen Aufgabe – „herkömmlich verfügbar“ sein müsse, so dass es sich um ein „Standard-Element“ bzw. „Standard-Profil“ handeln müsse. Schließlich erkenne der Fachmann, dass das 4-Kantrohr entsprechend einer weiteren Aufgabe des Klagegebrauchsmusters schnell und einfach montierbar sein müsse. An alledem fehle es bei der „angegriffenen Ausführungsform I“: Ferner weise die angegriffene Ausführungsform I keine vier Kanten auf, sondern der Querschnitt sei komplex ausgebildet, wobei insbesondere an beiden Seiten Nuten ausgebildet seien. Zudem gehe die Oberseite bogenförmig in den jeweiligen Seiten über, so dass an diesen Stellen gerade keine „Kanten“ ausgebildet seien. Schließlich stellten die – unstreitig – vorzusehenden Distanzstücke aus Gummi einen vom Klagegebrauchsmuster abgelehnten erhöhten Fertigungsaufwand dar.
31Die Beklagte beantragt,
32das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 16.07.2013, Az. 4a O 106/11, abzuändern und die Klage abzuweisen.
33Die Klägerin beantragt,
34die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
35Die Klägerin verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens: Das Klagegebrauchsmuster gebe nicht im Einzelnen vor, wie die Stützeinrichtungen auf dem Flachdach aufzubringen sind, sondern verlange allein, dass die Stützeinrichtungen ein 4-Kantrohr aufweisen.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
37II.
38Die zulässige Berufung ist unbegründet.
39Zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender Begründung hat das Landgericht der Beklagten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie Erstattung vorgerichtlicher Kosten zuerkannt und die Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz festgestellt.
401.
41Mit Blick auf den rechtskräftigen Beschluss des Bundespatentgerichts vom 17.07.2014 (Anlage KBf2) erübrigen sich Ausführungen des Senats zur Frage der Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters.
42Der Senat ist nämlich nach § 19 S. 3 GebrMG an die (teilweise) Zurückweisung des Löschungsantrages gebunden, nachdem das Bundespatentgericht die Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters im hier geltend gemachten Umfang rechtskräftig bejaht hat. Zwar war nicht die hiesige Klägerin als Antragsgegnerin am Löschungsverfahren beteiligt, sondern deren Geschäftsführer Herr B. Jedoch ist die Voraussetzung des § 19 S. 3 a.E. GebrMG („wenn sie [Zurückweisung des Löschungsantrages] zwischen denselben Parteien ergangen ist.“) gleichwohl erfüllt. Anerkanntermaßen besteht die Bindungswirkung nach § 19 S. 3 GebrMG nämlich auch zugunsten des ausschließlichen Lizenznehmers (BGH, GRUR 1969, 681). Unstreitig hatte Herr B der hiesigen Klägerin eine ausschließliche Lizenz zur Nutzung des Klagegebrauchsmusters erteilt.
43Die Beklagte hat im vorliegenden Rechtsstreit auch keine anderen Löschungsgründe als jene geltend gemacht, die bereits Gegenstand des rechtskräftig entschiedenen Löschungsverfahrens waren.
442.
45Dass die angegriffene Ausführungsform II von der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters im hier geltend gemachten Schutzumfang mittelbar in wortsinngemäßer Weise Gebrauch macht, hat die Beklagte zu Recht weder erstinstanzlich noch in der Berufungsinstanz in Frage gestellt. Weitere Ausführungen des Senats zu dieser Ausführungsform sind daher entbehrlich.
463.
47Entgegen dem Berufungsvorbringen erweist sich jedoch auch die angegriffene Ausführungsform I als mittelbare, wortsinngemäße Verwirklichung der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters.
48a)
49Das Klagegebrauchsmuster hat eine Vorrichtung zum Abstützen von Solarmodulen auf einem Flachdach zum Gegenstand.
50Gemäß den einleitenden Bemerkungen des Klagegebrauchsmusters ist eine solche Vorrichtung schon aus der DE 20 2008 000 AAB U1 bekannt. Dort seien Stützeinrichtungen vorgesehen, die ein langgestrecktes Profil aufwiesen. Am betreffenden Profil seien hintereinander mehrere Gefällekeile angebracht, wobei das langestreckte Profil aus einem unteren und einem oberen Kantblech zusammengesetzt sei. Zwischen dem unteren und dem oberen Kantblech seien Abstandhalter vorgesehen, in die Schrauben zur Befestigung der Gefällekeile eingriffen. Das Solarmodul werde auf den langen Schrägseiten zweier nebeneinander angeordneter Gefällekeile abgestützt. Eine zwischen den kurzen Schrägseiten der Gefällekeile verbleibende Öffnung könne mit einem Windblech verschlossen werden.
51Die vorstehend erläuterte Solarmodulanordnung erfordere – so die Kritik des Klagegebrauchsmusters – einen relativ hohen Herstellungs- und Montageaufwand. Die Herstellung der langgestreckten Profile sei aufwändig. Sie erfordere neben der Herstellung eines unteren und eines oberen Kantblechs auch eine Verbindung der Kantbleche unter Zwischenschaltung von Abstandhaltern. Ferner sei zur Montage der Gefällekeile die Herstellung mehrerer, relativ aufwändiger Schraubverbindungen erforderlich.
52Vor diesem technischen Hintergrund liegt dem Klagegebrauchsmuster die Aufgabe (das technische Problem) zugrunde, die Nachteile aus dem Stand der Technik zu beseitigen und eine möglichst einfach und kostengünstig herstellbare Vorrichtung zum Abstützen von Solarmodulen auf einem Flachdach bereitzustellen, die zudem schnell und einfach montierbar ist.
53Zur Lösung dieses technischen Problems schlägt das Klagegebrauchsmuster in seinem Anspruch 1 (in der Fassung der Entscheidung des Bundespatentgerichts im Löschungsverfahren) eine Vorrichtung zum Abstützen von Solarmodulen mit folgenden Merkmalen vor:
541. Vorrichtung zum Abstützen von Solarmodulen (10) auf einem Flachdach, die
55a) zumindest zwei, zu den einander gegenüberliegenden Kanten eines Solarmoduls (10) ausrichtbare Stützeinrichtungen (1, 1‘) aufweist, und
56b) aus Aluminium hergestellt ist.
572. Jede der Stützeinrichtungen (1, 1‘) weist ein 4-Kantrohr (2) auf.
583. An dem 4-Kantrohr (2)
59a) ist zumindest ein abgewinkeltes, aus einem gekanteten Blech hergestelltes Stützprofil (3, 11) angebracht,
60b) sind mehrere sich in dieselbe Richtung erstreckende Stützprofile (3, 11) angebracht.
614. Das Stützprofil (3, 11) weist an seinen beiden Enden mit ersten Durchbrüchen versehene Befestigungslaschen (6) auf.
625. Die Befestigungslaschen (6) sind so ausgestaltet, dass das Stützprofil (3, 11) formschlüssig auf das 4-Kantrohr (2) aufsteckbar ist.
636. Eine Verbindungswand (7)
64a) ist zur Verbindung zweier mit den Stützprofilen (3, 11) parallel zueinander ausgerichteten Stützeinrichtungen (1, 1‘) vorgesehen und
65b) am zweiten Stützabschnitt (5, 13) der Stützprofile (3, 11) angebracht.
66b)
67Zwischen den Parteien ist allein streitig, ob die angegriffene Ausführungsform I über ein 4-Kantrohr im Sinne von Merkmal 2 verfügt. Zu den übrigen Merkmalen, deren wortsinngemäße Verwirklichung zu Recht außer Streit steht, erübrigen sich daher nähere Ausführungen des Senats.
68Das Merkmal 2 setzt voraus, dass jede Stützeinrichtung ein 4-Kantrohr aufweist.
69Das Klagegebrauchsmuster stellt eine Vorrichtung zum Abstützen von Solarmodulen auf einem Flachdach bereit. Um das Abstützen zu ermöglichen, weist die Merkmalsgruppe 1 den Fachmann an, zu diesem Zweck zumindest zwei Stützeinrichtungen vorzusehen. Diese sind zu den einander gegenüberliegenden Kanten eines Solarmoduls ausrichtbar. Die weiteren Merkmale bzw. Merkmalsgruppen des Anspruchs 1 widmen sich näher bestimmten Bestandteilen der Stützeinrichtung, und zwar dem 4-Kantrohr, den Stützprofilen sowie den Befestigungslaschen.
70Unter einem 4-Kantrohr im Sinne des Merkmals 2 ist ein Hohlprofil zu verstehen, dessen Querschnitt durch vier im Wesentlichen gerade Seitenwände (Kanten) gebildet ist. Insoweit muss es sich nicht um einen exakt quadratischen oder rechtwinkligen Querschnitt handeln.
71aa)
72Der Fachmann – ein Techniker oder Ingenieur mit Fachhochschulausbildung der Fachrichtung Maschinenbau mit Erfahrung in der Konstruktion von Montagesystemen – nimmt zunächst zur Kenntnis, dass das Merkmal 2 lediglich vorgibt, dass die Stützeinrichtung ein 4-Kantrohr aufzuweisen hat. Es heißt also gerade nicht, dass die Stützeinrichtung aus einem 4-Kantrohr „gebildet ist“ oder aus einem 4-Kantrohr „besteht“. Während die beiden letztgenannten Formulierungen in einem Schutzanspruch dem Fachmann regelmäßig verdeutlichen, dass die im Anspruch erwähnten Bestandteile des geschützten Gegenstandes abschließend aufgezählt sind (vgl. zur Formulierung „bestehend aus“ BGH, GRUR 2011, 1109 Rn. 37 – Reifenabdichtmittel; BGH, Urteil vom 05.05.2015, Az. X ZR 60/13, Rn. 9 – Verdickerpolymer I), lässt die Wendung „weist auf“ grundsätzlich darauf schließen, dass neben den in einem Anspruch ausdrücklich genannten Komponenten auch noch Raum für weitere Bestandteile bleibt.
73Demnach darf eine „Stützeinrichtung“ im Sinne des Klagegebrauchsmusters anspruchsgemäß grundsätzlich auch noch über andere Komponenten als ein 4-Kantrohr verfügen. Diese Schlussfolgerung ist entgegen der Ansicht der Beklagten auch keineswegs auf die im Anspruch neben dem 4-Kantrohr explizit erwähnten Stützprofile und Befestigungslaschen beschränkt. Vielmehr darf die Stützeinrichtung neben dem 4-Kantrohr, den Stützprofilen und den Befestigungslaschen grundsätzlich noch andere Teile aufweisen, solange dadurch nicht die Erzielung der mit dem Klageschutzrecht intendierten zwingenden Vorteile in Frage gestellt wird. Denn - erstens - sieht das Klagegebrauchsmuster die Stützprofile und die Befestigungslaschen als eine Einheit mit dem 4-Kantrohr an, so dass schon deshalb (anders als die Beklagte meint) das Wort „aufweist“ nicht allein der Erwähnung dieser explizit genannten weiteren Komponenten (Stützprofile und Befestigungslaschen) geschuldet sein kann: Die Stützprofile sind nämlich am 4-Kantrohr „angebracht“ und zu den Befestigungslaschen ist wiederum bloß gefordert, dass die Stützprofile selbige „aufweisen“. Die Stützprofile werden aufgrund einer entsprechend geeigneten Ausgestaltung der Befestigungslaschen formschlüssig auf das 4-Kantrohr aufgesteckt. Aus dem vorgenannten Grunde kann der Beklagten daher nicht darin gefolgt werden, eine alternative Formulierung des Anspruchs mit den Worten „besteht aus“ sei der Klägerin mit Blick auf die ebenfalls als Bestandteil der Stützeinrichtung vorgesehenen Stützprofile und Befestigungslaschen verwehrt gewesen. Weil letztere eine Einheit mit dem 4-Kantrohr bilden, wäre die Verwendung der Worte „besteht aus“ in Bezug auf das 4-Kantprofil als Teil der Stützvorrichtung entgegen der Ansicht der Beklagten keineswegs widersprüchlich gewesen. Da aber stattdessen die Wendung „aufweist“ gewählt ist, bleibt es bei den einleitend genannten Grundsätzen.
74Deshalb müssen erfindungsgemäße Stützeinrichtungen nach unten (also zur Dachhaut hin) nicht notwendig mit der unteren Querwand des 4-Kantrohres enden, sondern es können grundsätzlich noch weitere Elemente (wie etwa eine Verlängerung der vertikalen Seitenwände) vorhanden sein. Die Formulierung „aufweisen“ findet sich erneut in der Wiedergabe des wesentlichen Erfindungskerns im Absatz [0006] – also dem allgemeinen Beschreibungsteil – des Klagegebrauchsmusters wieder. Weder der Anspruchswortlaut noch die diesen erläuternde Beschreibung verlangen damit, dass das 4-Kantrohr unmittelbar auf der Dachhaut aufliegt.
75Dies gilt auch in Anbetracht der im Absatz [0006] ferner enthaltenen Funktionsangabe, wonach „in Abkehr zum Stand der Technik als langgestrecktes Profil zum Abstützen der Stützeinrichtung auf dem Flachdach ein 4-Kantrohr verwendet“ wird. Wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, sind auch mit dieser Beschreibungspassage keine konkreten Vorgaben dazu verbunden, in welcher konkreten Art und Weise das Abstützen auf dem Flachdach zu erfolgen hat. Insbesondere ist nicht ausgeschlossen, dass erforderlichenfalls zwischen 4-Kantrohr und Dachhaut noch eine Schutzschicht vorgesehen wird. Das technische Anliegen des Klagegebrauchsmusters besteht – wie unten näher ausgeführt wird – allein darin, die vorbekannten mehrteiligen Profile in Bezug auf den Herstellungs- und Montageaufwand zu verbessern. Ob und wie ein etwaig erforderlicher Schutz der Dachhaut vorzusehen ist, lässt das Klagegebrauchsmuster offen.
76bb)
77Die Beklagte vermag mit ihrer Berufung auch nicht insoweit durchzudringen, als sie mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 22.09.2015 geltend macht, im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 17.09.2015 vor dem Senat unwidersprochen vorgetragen zu haben, dass der Fachmann im Prioritätszeitpunkt zwischen herkömmlich verfügbaren Standardprofilen (z.B. einem 4-Kantrohr) und davon abweichenden Profilen mit spezifischen Querschnitten („Zeichnungsprofile“) unterschieden habe.
78Ob die Klägerin vorstehenden Sachvortrag nicht zumindest konkludent bestritten hat, kann letztlich dahinstehen. Selbst wenn die betreffenden Ausführungen der Beklagten Bestandteil des allgemeinen Fachwissens auf dem technischen Gebiet des Klagegebrauchsmusters waren, sind 4-Kantrohre im Sinne des Klagegebrauchsmusters nicht auf Profile in diesem engen Sinne beschränkt. In diesem Zusammenhang verkennt die Argumentation der Beklagten nämlich Folgendes: Selbst gebräuchliche Fachbegriffe dürfen niemals unbesehen der Auslegung eines technischen Schutzrechts zugrunde gelegt werden. Die Merkmale eines Schutzanspruchs sind nicht anhand der Definition in Fachbüchern oder dergleichen auszulegen, sondern es ist das fachmännische Verständnis anhand der Beschreibung des Schutzrechts selbst zu ermitteln (BGH, GRUR 1999, 909 – Spannschraube; GRUR 2005, 754 – werkstoff-einstückig).
79Die Beschreibung des Klagegebrauchsmusters enthält im Absatz [0006] einen deutlichen Hinweis darauf, dass der Begriff des 4-Kantrohrs hier nicht auf solche im von der Beklagten geltend gemachten herkömmlichen Sinne beschränkt ist, wie sie auf S. 3 oben des Schriftsatzes der Beklagten vom 14.06.2013 abgebildet sind. Im Absatz [0006] des Klagegebrauchsmusters heißt es nämlich, dass ein 4-Kantrohr „z.B. einen rechteckigen Querschnitt aufweist“. Anhand dieser Relativierung wird deutlich, dass das Klagegebrauchsmuster nicht zwingend exakt quadratische oder rechteckige Querschnitte voraussetzt. Es genügt demnach jeder Querschnitt eines Hohlprofils, der durch 4 Seitenkanten gebildet ist, ohne dass es zwingend darauf ankommt, dass alle Seitenkanten vollkommen gerade verlaufen. Die vorstehend zitierte Passage lässt sich entgegen der Beklagten auch nicht so interpretieren, dass mit ihr eine bloße Klarstellung dahingehend bezweckt sei, dass neben quadratischen auch rechteckige Querschnitte denkbar seien. Zum einen ergibt sich schon aus dem Wortlaut „4-Kantrohr“ kein Anhalt dafür, dass womöglich allein quadratische Formen erfasst sein könnten, so dass eine solche Klarstellung in dem engen Sinne, wie die Beklagte sie interpretiert, überflüssig wäre. Jedenfalls enthält die betreffende Passage gerade keine explizite Klarstellung derart, dass neben quadratischen auch noch rechtwinklige Profile in Betracht kommen, sondern führt ganz allgemein und ohne Bezug zu konkreten anderen Querschnittsformen aus, dass beispielhaft „rechteckige“ Querschnitte denkbar sind. Damit ist der Fachmann frei darin, nicht nur exakte Quadrat- und Rechteckprofile, sondern jedwede anderen Querschnitte mit 4 Kanten zu wählen, die der technischen Funktion eines 4-Kantrohres im Sinne des Klagegebrauchsmusters gerecht werden. Die nähere Ausgestaltung der einzelnen Kanten wird ebenfalls nicht näher definiert, so dass bei der gebotenen funktionsorientierten Auslegung grundsätzlich auch Kanten in Betracht kommen, die keinen exakt geraden Verlauf haben.
80cc)
81Gegenteiliges folgt auch nicht aus der weiteren Erläuterung im Absatz [0006] des Klagegebrauchsmusters, wonach das 4-Kantrohr „herkömmlich verfügbar ist“. Im sich daran anschließenden Satz wird nämlich ausgeführt, dass „es relativ einfach beispielsweise aus Aluminium mittels Extrusionstechnik hergestellt werden [kann].“ Es muss sich also jedenfalls nicht zwingend um am Markt vorbekannte und gängige 4-Kantrohre handeln, sondern diese können auch eigens mittels Extrusionstechnik produziert werden. Das Produkt der Extrusion muss mit Blick auf die Ausführungen im vorhergehenden Absatz nicht notwendig ein exakt quadratisches oder rechteckiges Hohlprofil sein. Entscheidend ist, dass das 4-Kantrohr entsprechend einfach „in einem Guss“ nachproduziert werden kann und keine Herstellung von mehreren, später notwendigerweise noch zusammenzusetzenden Einzelteilen (wie oberen und unteren Kantblechen nebst Abstandshaltern) erfolgt. Allein in diesem Sinne ist auch die Anmerkung des Bundespatentgerichts (Beschluss vom 17.07.2014, Anlage KBf 2, S. 13, 2. Abs.) zu verstehen, dass „solche 4-Kantrohre als Standardprofile verfügbar [sind]“.
82dd)
83Die technische Funktion des „4-Kantrohres“ im Sinne von Merkmal 2 ist anhand der objektiven Problemstellung des Klagegebrauchsmusters zu bestimmen, wobei es entscheidend darauf ankommt, welche zwingenden Vorteile mit dem Merkmal 2 erzielt und welche Nachteile des vorbekannten Standes der Technik mit diesem zwingend beseitigt werden sollen (BGH, GRUR 2010, 602, 605 – Gelenkanordnung).
84Das Klagegebrauchsmuster zielt auf diverse Verbesserungen im Vergleich zu der vorbekannten Lösung gemäß dem gattungsbildenden Stand der Technik (DE 20 2008 000 AAB U1) ab. Wie oben bereits erwähnt, weisen die dort bereits bekannten Stützeinrichtungen ein langgestrecktes Profil mit daran hintereinander angebrachten Gefällekeilen auf. Das langgestreckte Profil ist insbesondere kein einheitliches Bauteil, sondern muss aus einem unteren und einem oberen Kantblech zusammengesetzt werden, wobei dazwischen noch Abstandshalter vorzusehen sind. In diese Abstandshalter müssen alsdann Schrauben zwecks Befestigung der Gefällekeile eingebracht werden. Schließlich kann eine zwischen den kurzen Schrägseiten der Gefällekeile ggf. verbleibende Öffnung mit einem Windblech verschlossen werden.
85Das Klagegebrauchsmuster möchte sowohl den Herstellungsaufwand als auch den Montageaufwand, der mit der Bereitstellung der vorbekannten Solarmodulanordnung verbunden ist, eindämmen (vgl. Absatz [0003] der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters): Die konkrete Kritik zielt also insbesondere ausdrücklich auf die Herstellung eines unteren und oberen Kantblechs ab. Darüber hinaus wird auch das Erfordernis einer Verbindung dieser separat hergestellten Teile unter Zwischenschaltung von Abstandshaltern bemängelt.
86In diesem Kontext ist die im Absatz [0004] explizit formulierte Aufgabe des Klagegebrauchsmusters, die sich mit der objektiven Aufgabe deckt, zu sehen, wonach diese Nachteile aus dem Stand der Technik beseitigt werden sollen. In Abgrenzung zum Stand der Technik postuliert das Klagegebrauchsmuster daher einerseits eine möglichst einfach und kostengünstig herstellbare Vorrichtung zum Abstützen von Solarmodulen auf einem Flachdach. Zudem soll gemäß einem weiteren Ziel der Erfindung eine schnelle und einfache Montage ermöglicht werden.
87Der Kern der Erfindung wird im Absatz [0006] des Klageschutzrechts dahingehend zusammengefasst, dass jede der Stützeinrichtungen ein 4-Kantrohr aufweist, an dem zumindest ein abgewinkeltes, aus einem gekanteten Blech hergestelltes Stützprofil angebracht ist.
88Mit der Verwendung eines 4-Kantrohres verbindet das Klageschutzrecht eine Reihe zwingender Vorteile:
89- relativ einfache Herstellung des 4-Kantrohrs aus Aluminium mittels Extrusionstechnik;
90- Möglichkeit, in diesem elektrische Leitungen geschützt vor äußeren Einflüssen zu führen;
91- Verwendung eines aus einem gekanteten Blech hergestellten Stützprofils anstelle eines aus massivem Material hergestellten Gefällekeils;
92- Möglichkeit einer leichtgewichtigen Ausgestaltung der Stützeinrichtung infolge des so gestalteten Stützprofils;
93- Erleichterung der Montage infolge der leichtgewichtigen Ausgestaltung;
94- relativ einfache und kostengünstige Herstellung des Stützprofils, z.B. mittels Laserschneidtechnik.
95Jedwedes Hohlprofil mit einem im Wesentlichen rechteckigen Querschnitt, an dem mehrere sich in dieselbe Richtung erstreckende Stützprofile mit Befestigungslaschen im Sinne der Merkmalsgruppe 5 angebracht sind, und mit dem die vorerwähnten zwingenden Vorteile erzielt werden, ist ein erfindungsgemäßes „4-Kantrohr“.
96ee)
97Soweit die Beklagte diesem Verständnis mit dem Argument entgegen tritt, eine derartige funktionsorientierte Auslegung verbiete sich vorliegend, weil das Merkmal 2 räumlich-körperlicher Natur sei und daher der Begriff „4-Kantrohr“ nicht auf seine bloße Funktion reduziert werden dürfe, ist dem zu widersprechen. Wie nämlich unter bb) bereits erläutert wurde, bedient sich das Klagegebrauchsmuster des Begriffs „4-Kantrohr“ gerade nicht in dem engen, von der Beklagten unter Berufung auf das allgemeine Fachwissen geltend gemachten Sinne, sondern erfasst mit Blick auf die Angabe im Absatz [0006] der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters auch davon abweichende Querschnittsformen. Darin liegt auch der entscheidende Unterschied zu dem von der Beklagten argumentativ herangezogenen Fall „WC-Sitzgelenk“ (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2014, 185, 188), da das dortige Klageschutzrecht gerade keine Anhaltspunkte dafür lieferte, der Begriff der „Sacklochbohrung“ könnte weiter zu verstehen sein als in der ihm nach dem allgemeinen Fachwissen zukommenden Bedeutung.
98ff)
99Auf der Basis dieser Auslegung weist die Stützeinrichtung der angegriffenen Ausführungsform I ein 4-Kantrohr auf.
100Die Beklagte rügt zwar im Ansatz zu Recht, dass die Feststellungen im angefochtenen Urteil insoweit fehlerhaft waren, als dort davon ausgegangen wird, das Trägerprofil der angegriffenen Ausführungsform I liege zumindest teilweise auf dem Flachdach auf. Tatsächlich verhält es sich nämlich – wie schon in erster Instanz unstreitig war – so, dass ausschließlich die mit dem Trägerprofil zu verschraubenden Distanzstücke aus Gummi unmittelbaren Kontakt zur Dachhaut haben. Im Ergebnis wirkt sich dieser veränderte tatsächliche Gesichtspunkt allerdings nicht auf die Entscheidung des Rechtsstreits aus.
101aaa)
102Wie sich aus den auf Seiten 5 und 8 des vorliegenden Urteils eingeblendeten Abbildungen ergibt, besteht das bei der angegriffenen Ausführungsform I zum Einsatz kommende Hohlprofil aus im Wesentlichen parallel zueinander und im rechten Winkel zur Ober- und Unterseite verlaufenden vertikalen Seiten, so dass die vier Seiten einen im Wesentlichen rechteckigen Hohlraum umschließen.
103Weil gemäß der oben vorgenommenen Auslegung keine exakt geraden Seitenwände bzw. Kanten notwendig sind, ist es zunächst für die Verletzungsfrage unerheblich, dass das in Rede stehende Trägerprofil auf der linken und rechten Seite jeweils Nuten aufweist und die Oberseite bogenförmig in den jeweiligen Seiten übergeht. Dieser von der Beklagten als „komplex“ eingestufte Querschnitt steht der Erfüllung der dem 4-Kantrohr durch das Klagegebrauchsmuster zugewiesenen technischen Funktion ersichtlich nicht entgegen.
104bbb)
105Sodann ist zu beachten, dass die Stützeinrichtung ein 4-Kantrohr lediglich „aufweisen“ muss. Es genügt demnach, dass – wie es bei der angegriffenen Ausführungsform I der Fall ist – innerhalb der Stützeinrichtung irgendwo vier im Wesentlichen gerade Seiten ein im Wesentlichen rechteckiges Hohlprofil ausbilden. Dass sich an der unteren Kante des Hohlprofils der angegriffenen Ausführungsform I noch zwei „Schenkel“ bzw. „Stege“ befinden (die die Beklagte zusammen mit der unteren Seite des Hohlprofils auch als „U-Profil“ bezeichnet) und mit der Unterseite des Hohlprofils deshalb Distanzstücke aus Gummi zu verschrauben sind, um der Gefahr der Beschädigung der Dachhaut entgegen zu wirken, führt nicht aus der wortsinngemäßen Verwirklichung des Merkmals 2 heraus. Gemäß der oben vorgenommenen Auslegung des Merkmals 2 müssen die nach unten zur Dachhaut ausgerichteten vertikalen Seitenwände nicht notwendig mit der unteren Querwand des 4-Kantrohres enden.
106Wie im Rahmen der Auslegung erläutert, schließt das Klagegebrauchsmuster andere Vorrichtungsteile der Stützeinrichtung als das 4-Kantrohr, die Stützprofile und die Befestigungslaschen grundsätzlich nicht aus. Die Notwendigkeit, an der unteren Kante des Trägerprofils zwecks Schutzes der Dachhaut Distanzstücke aus Gummi anzubringen, beraubt das Trägerprofil insbesondere nicht seiner ihm zugedachten Stützfunktion. Das Klagegebrauchsmuster verlangt insoweit kein unmittelbares Aufliegen des Trägerprofils auf der Dachhaut, sondern lässt die konkrete Art und Weise der Abstützung der Stützeinrichtung offen. Das Trägerprofil der angegriffenen Ausführungsform I weist einen in sich geschlossenen, aus im Wesentlichen rechteckigen Kanten gebildeten Querschnitt auf, so dass die untere Querkante des Trägerprofils jedenfalls mittelbar einen entscheidenden Beitrag zur Verteilung der Last der Solarmodule auf der Dachfläche leistet. Der geschlossene Querschnitt des Trägerprofils der angegriffenen Ausführungsform I hat nämlich eine höhere Tragfähigkeit als die aus dem Stand der Technik bekannten U-Profile, die mit der offenen Seite nach oben verlegt wurden (vgl. Bundespatentgericht, Beschluss vom 17.07.2014, Anlage KBf 2, S. 13, 2. Abs.), so dass die Last der Solarmodule keinesfalls allein durch die Distanzstücke der angegriffenen Ausführungsform I getragen wird. Das Trägerprofil der angegriffenen Ausführungsform I trägt jedenfalls in einem praktisch brauchbaren Umfang zur Abstützung der Stützeinrichtung auf dem Flachdach und einer Verteilung der Last aus den Solarmodulen auf der Dachfläche bei. Den Distanzstücken aus Gummi kommt hingegen im Wesentlichen bloß eine Schutzfunktion in Bezug auf die Dachhaut zu. Da das Klagegebrauchsmuster – wie ausgeführt – weitere Bestandteile der Stützeinrichtung nicht ausschließt, kann diese vom Klageschutzrecht nicht thematisierte Funktion auch von anderen Bauteilen (hier: Distanzstücke) übernommen werden. Den am unteren Ende des Trägerprofils befindlichen „Schenkeln“ kommt ersichtlich keinerlei Stützfunktion zu. Weil die Distanzstücke aus Gummi nämlich zwischen diesen auf der unteren Querstrebe verschraubt werden und länger als die „Schenkel“ sind, verfügen die „Schenkel“ nicht einmal über mittelbaren Kontakt mit der Dachfläche. Insofern verfängt der Hinweis der Beklagten, wonach Profile, bei denen die Last auf kleine Flächen konzentriert werde, nicht erfindungsgemäß seien, nicht.
107ccc)
108Weder die Distanzstücke aus Gummi noch die über die untere Kante des Trägerprofils der angegriffenen Ausführungsform I hinausgehenden „Schenkel“ stehen der Erfüllung der mit der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters verfolgten zwingenden Vorteile bzw. der Vermeidung der am Stand der Technik kritisierten Nachteile entgegen.
109Die Stützeinrichtung weist ein im Wesentlichen rechtwinkliges Hohlprofil auf, welches als solches unstreitig nicht aus einzeln hergestellten Teilen zusammengesetzt werden muss. Damit wird der vom Klagegebrauchsmuster kritisierte wesentliche Nachteil des gattungsbildenden Standes der Technik, bei dem das Trägerprofil aus jeweils gesondert zu fertigenden, oberen und unteren Kantenblechen unter Verwendung von Abstandhaltern zusammengesetzt werden muss, zuverlässig vermieden. Die Notwendigkeit, die Distanzstücke aus Gummi mit der unteren Querstrebe zu verbinden, stellt im Vergleich dazu einen zu vernachlässigenden Aufwand dar. Insbesondere ist es unstreitig, dass bei der angegriffenen Ausführungsform I die Stützprofile durch Abwinkeln eines gekanteten Blechs hergestellt werden. Dies (und nicht etwa ein unmittelbares Aufliegen des Trägerprofils auf der Dachhaut) stellt neben der vorerwähnten einstückigen Herstellung des 4-Kantrohrs den wesentlichen technischen Effekt dar, der für die Verringerung des Herstellungs- bzw. Montageaufwandes sorgt; insbesondere ist es so möglich, auch die Befestigungslaschen ohne großen Aufwand formschlüssig auf die Stützeinrichtung aufzustecken (vgl. Beschluss des Bundespatentgerichts vom 17.07.2014, Anlage KBf2, S. 13, 2. Abs.). Dass die Benutzung der angegriffenen Ausführungsform I nur einen sehr geringen Montageaufwand mit sich bringt, wird auch in der eigenen Werbung der Beklagten folgerichtig ausdrücklich hervorgehoben (siehe Anlage K 6: „extrem schnelle Montage“; „Montage mit nur einem Werkzeug“).
110Das Trägerprofil der angegriffenen Ausführungsform I ist zudem herkömmlich verfügbar. Dem steht nicht entgegen, dass es mit einer eigens von der Beklagten entwickelten Extrusionsmaschine hergestellt wird. Das Klagegebrauchsmuster erwähnt sogar beispielhaft die Fertigung des 4-Kantrohrs mittels Extrusionstechnik (siehe Absatz [0006] des Klagegebrauchsmusters). Abgesehen davon gilt es zu beachten, dass der Anspruch 1 eine Vorrichtung und nicht etwa ein (mittels eines Gebrauchsmusters gar nicht schützbares) Herstellungsverfahren zum Gegenstand hat, so dass es für die Verletzungsfrage ersichtlich nicht auf die Herstellungsart bzw. den Herstellungsweg ankommt (vgl. BGH, GRUR 1959, 125 – Textilgarn; BGHZ 98, 12, 20 – Formstein). Es gilt vielmehr der Grundsatz des absoluten Erzeugnisschutzes (vgl. BGH, GRUR 1991, 436, 441 – Befestigungsvorrichtung II).
111Unstreitig ist ferner, dass im von den Kanten umschlossenen Inneren des Trägerprofils der angegriffenen Ausführungsform I elektrische Leitungen geschützt vor äußeren Einflüssen geführt werden können.
112Das Stützprofil der angegriffenen Ausführungsform I ist überdies unstreitig aus Aluminium hergestellt, so dass es eine entsprechend leichtgewichtige Ausgestaltung aufweist, die die Montage auf dem Flachdach erleichtert.
113gg)
114Die weiteren Voraussetzungen für die Annahme einer mittelbaren Gebrauchsmusterverletzung und die sich aus der Verletzung ergebenden Rechtsfolgen hat das Landgericht zutreffend festgestellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat insoweit auf die überzeugenden Ausführungen des Landgerichts unter Ziffer III.1 (Seite 14 unten LGU), unter Ziffer III. 2 (Seite 17 LGU) sowie unter Ziffer IV. (Seite 17 ff. LGU) des angefochten Urteils, die auch nicht eigens mit der Berufung angegriffen worden sind.
115III.
116Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
117Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
118Für eine Zulassung der Revision besteht kein Anlass. Es handelt sich um eine reine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, mit der der Bundesgerichtshof auch nicht im Interesse einer Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung befasst werden muss (§ 543 Abs. 2 ZPO).
119Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 22.09.2015 gab keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§§ 296a S. 2, 156 ZPO).
120Streitwert des Berufungsverfahrens: EUR 150.000,-.
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(1) Anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen enthält das Urteil
- 1.
die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen, - 2.
eine kurze Begründung für die Abänderung, Aufhebung oder Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.
Ist während des Löschungsverfahrens ein Rechtsstreit anhängig, dessen Entscheidung von dem Bestehen des Gebrauchsmusterschutzes abhängt, so kann das Gericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Löschungsverfahrens auszusetzen ist. Es hat die Aussetzung anzuordnen, wenn es die Gebrauchsmustereintragung für unwirksam hält. Ist der Löschungsantrag zurückgewiesen worden, so ist das Gericht an diese Entscheidung nur dann gebunden, wenn sie zwischen denselben Parteien ergangen ist.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
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Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
Nach Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, können Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht mehr vorgebracht werden. § 139 Abs. 5, §§ 156, 283 bleiben unberührt.