Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 23. März 2016 - L 4 AS 933/13

ECLI:ECLI:DE:LSGST:2016:0323.L4AS933.13.0A
bei uns veröffentlicht am23.03.2016

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 26. August 2013 sowie der Bescheid des Beklagten vom 31. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2010 werden aufgehoben.

Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechts-züge zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Minderung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum 1. Oktober bis 31. Dezember 2010 in Höhe von insgesamt 1.077 EUR.

2

Der am ... 1987 geborene alleinstehende Kläger bezieht Leistungen nach dem SGB II von der Rechtsvorgängerin des Beklagten (nachfolgend Beklagter). Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 11. Juni 2010 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 1. Juli bis 31. Dezember 2011 in Höhe von monatlich 563 EUR. Die Leistung setzt sich zusammen aus der Regelleistung von 359 EUR und Leistungen für Unterkunft und Heizung von 204 EUR. Diese Bewilligungsentscheidung wurde bestandskräftig.

3

Am 4. Juni 2010 erstellte die Beklagte einen Vermittlungsvorschlag für den Kläger und forderte diesen auf, sich bei der t. Personallogistik und -dienstleistungen GmbH (Arbeitgeberin) auf das Stellenangebot Helfer in der Solarbranche zu bewerben. Am 14. Juni 2010 nahm der Kläger eine unbefristete Beschäftigung als Hilfskraft bei der Arbeitgeberin auf. Vereinbart war eine Tätigkeit von 40 Stunden/Woche. Am dem 14. Juni 2010, einem Montag, arbeitete der Kläger nach seinen Aufzeichnungen zwei Stunden und am darauffolgenden Dienstag fast sechs Stunden. Nach Aktenlage verletzte sich der Kläger am dritten Tag, dem 16. Juni 2010 und war anschließend bis einschließlich Freitag, 18. Juni 2010, arbeitsunfähig. Am Montag, dem 21. Juni 2010 war der Kläger von 8:00 bis 15:30 Uhr und am Dienstag, 22. Juni 2010, von 8:00 bis 15:00 Uhr beschäftigt.

4

Die Arbeitgeberin erteilte dem Kläger nach Aktenlage mit Schreiben vom 21. Juni 2010 eine erste Abmahnung: Der Kunde, die ... AG, habe mitgeteilt, dass der Kläger die Baustelle am 21. Juni 2010 unerlaubt verlassen habe. Darüber hinaus habe der Baustellenleiter den Kläger mehrfach aufgefordert, das Rauchen einzustellen und zügiger zu arbeiten. Weiterhin halte der Kläger die Pausenzeiten nicht ein und drücke sich vor der Arbeit. Ob und wann dem Kläger die erste Abmahnung zugegangen ist, steht nicht fest. Mit Schreiben vom 22. Juni 2010 erteilte die Arbeitgeberin nach Aktenlage eine zweite Abmahnung: Der Kläger habe sich erneut am 22. Juni 2010 unerlaubt von der Baustelle entfernt. Nach wie vor halte sich der Kläger nicht an die vorgegebenen Pausenzeiten und rauche oder sitze während der Arbeitszeit. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit weiterem Schreiben vom 22. Juni 2010 fristlos, hilfsweise fristgemäß. Als Grund wurde angegeben, dass der Kläger wegen mangelnden Arbeitswillens bereits eine Abmahnung erhalten habe. Die Arbeitgeberin gab die Kündigung und die zweite Abmahnung mit Einwurfeinschreiben am 22. Juni 2010 um 16:27 Uhr zur Post auf. Die zweite Abmahnung ging dem Kläger zusammen mit der Kündigung zu.

5

Am 24. Juni 2010 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass das seit 14. Juni 2010 bestehende Arbeitsverhältnis gekündigt worden sei und legte das Kündigungsschreiben vor. Der Beklagte hörte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 29. Juni 2010 zur beabsichtigten Absenkung der Leistungen an: Der Kläger habe die zumutbare Beschäftigung aufgegeben. Nach bisherigem Erkenntnisstand lägen rechtfertigende Gründe nicht vor. Im Anhörungsschreiben informierte der Beklagte darüber, dass das Verhalten eine Sanktion nach sich ziehen könne, wenn der Kläger für sein Verhalten keinen wichtigen Grund gehabt habe. Die Sanktion dauere drei Monate und führe voraussichtlich zu einer Minderung des Leistungsanspruchs in Höhe von 100% der Regelleistung. Werde die Regelleistung aufgrund der Sanktion um mehr als 30% gemindert, könnten in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen – insbesondere in Form von Lebensmittelgutscheinen – gewährt werden, sofern keine anderweitigen eigenen Mittel zur Verfügung stehen.

6

Der Kläger teilte auf das Anhörungsschreiben mit, dass er entlassen worden sei, weil er sich geweigert habe, auf dem Dach zu arbeiten. Er habe zu Beginn der Beschäftigung mitgeteilt, dass er nicht höhentauglich sei. Trotzdem habe er auf dem Dach arbeiten müssen, weil zu wenig Personal im Einsatz gewesen sei. Da es windig geworden sei und er ungesichert auf dem Dach weiterarbeiten sollte, habe er diese Arbeit verweigert. Zugleich habe er aber angeboten, auf dem Boden weiterzuarbeiten. Der Vorgesetzte sei damit nicht einverstanden gewesen und habe ihm mitgeteilt, dass er entweder auf das Dach oder nach Hause gehen solle. Da keine Sicherungsmaßnahmen wie Seil, Fangnetz oder Gerüste vorhanden gewesen seien, habe er sich dafür entschieden, nach Hause zu gehen. Daraufhin sei das Arbeitsverhältnis gekündigt worden.

7

Auf Nachfrage des Beklagten teilte die Arbeitgeberin mit, dass der Kläger mehrfach aufge-fordert worden sei, die Pausenzeiten einzuhalten und sich nicht unerlaubt von der Baustelle zu entfernen. Er habe diese Anweisungen missachtet und deswegen vor der Kündigung zwei Abmahnungen erhalten. Die letzte Abmahnung sei am 21. Juni 2010 erteilt worden.

8

Der Beklagte prüfte die vorangegangenen Minderungen der Leistungen sowie die Erwerbs-biographie des Klägers und minderte das Arbeitslosengeld II mit Bescheid vom 31. August 2010 für den Zeitraum 1. Oktober bis 31. Dezember 2010 auf die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung gab er an: Die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) seien erfüllt. Danach liege eine Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II vor. Die Verkürzung der Sperrzeit auf sechs Wochen komme nicht in Betracht. Er habe bereits in der Vergangenheit Anlass zum Eintritt einer Sanktion gegeben. Auf Antrag könnten in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen gewährt werden.

9

Dagegen richtete sich der am 6. September 2010 erhobene Widerspruch des Klägers: Seine Sicherheit sei bei der Fa ... nicht gewährleistet gewesen. Es habe weder eine Befestigung durch einen Gurt, noch ein Fangnetz oder ähnliches gegeben. Bei Einstellung sei er nicht darüber informiert worden, dass er höhentauglich sein müsse. Wenn er dies gewusst hätte, hätte er die Arbeit nicht angenommen. Der für ihn zuständige Mitarbeiter habe ihn aufgefordert, wieder auf das Dach zu steigen. Er habe sich nur auf die Arbeit auf dem Dach eingelassen, weil Personalmangel bestanden habe. Er habe sich daher geweigert, erneut auf dem Dach zu arbeiten. Der Vorgesetzte habe ihm gesagt, dass er entweder auf das Dach oder nach Hause gehen solle. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. September 2010 als unbegründet zurück: Der Kläger habe die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses selbst herbeigeführt. Er habe gewusst, dass das Arbeitsverhältnis gekündigt werden wird, wenn er sein Verhalten nicht ändere. Ein wichtiger Grund sei nicht erkennbar. Die Voraussetzungen für eine Sperrzeit nach § 144 SGB III seien erfüllt. Bei unter 25jährigen Hilfebedürftigen werde das Arbeitslosengeld auf die Kosten für Unterkunft und Heizung beschränkt.

10

Dagegen hat der Kläger am 30. September 2010 vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) Klage erhoben und ausgeführt: Der Kläger habe lediglich eine Abmahnung von 22. Juni 2010 erhalten, die dem Kündigungsschreiben beigelegen habe. Die Kündigung sei unwirksam, da der Kläger zuvor nicht abgemahnt worden sei. Der Kläger habe es aus Unkenntnis versäumt, eine Kündigungsschutzklage zu erheben. Die Mitarbeiter des Beklagten hätten den Kläger nicht innerhalb der Klagefrist auf die Möglichkeit hingewiesen, dass Sanktionen verhängt werden können. In diesem Fall hätte er sich professionelle Hilfe suchen können. Er habe sich nicht unerlaubt von der Baustelle entfernt. Bei Antritt der Tätigkeit habe er die Arbeitgeberin davon in Kenntnis gesetzt, dass er nicht höhentauglich sei. Ihm sei zugesichert worden, dass er nur am Boden eingesetzt werde. Der Arbeitsunfall habe sich am 15. Juni oder am 16. Juni 2010 ereignet. Am 22. Juni 2010 hätten Montagekräfte gefehlt, so dass er die Anweisung erhalten habe, auf einem Schrägdach in mehreren Metern Höhe zu arbeiten. Der Kläger habe sich bereit erklärt, es wenigstens zu versuchen. Er habe die Arbeiten auch zunächst verrichten können. Nachdem dann Wind aufgekommen sei und keine Sicherheitseinrichtungen vorhanden gewesen seien, sei er unsicher geworden und habe das Dach verlassen. Daraufhin sei ihm mitgeteilt worden, dass er dann gehen könne. Die fehlende Höhenuntauglichkeit sei bislang noch nicht ärztlich diagnostiziert worden.

11

Der Kläger hat beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 31. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2010 aufzuheben. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und sich auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren gestützt.

12

Das SG hat Auskünfte der Arbeitgeberin vom 11. Februar 2011 und vom 15. Juli 2011 eingeholt. Danach sei der Kläger vor Antritt der Tätigkeit über den Ort und den Inhalt der Tätigkeit aufgeklärt worden. Er habe zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt, nicht höhentauglich zu sein. Ihm sei nicht zugesichert worden, dass er am Boden arbeiten könne. Dafür habe es keinen Anlass gegeben. Er habe die Aufgabe gehabt, Solarmodule aus den Paletten zu nehmen und auf den Aufzug zu stellen. Je nach Arbeitskräfteeinsatz sollte auch die Dachflä-che betreten werden.

13

Das SG hat am 14. April 2011 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage in Anwesenheit des Klägers durchgeführt. In diesem Termin teilte der Kläger erstmals mit, er habe am dritten Arbeitstag einen Arbeitsunfall erlitten. Er sei vom Dach gerutscht und habe sich den Knöchel verstaucht. Nachdem er einen Tag krankgeschrieben worden sei, sei er am nächsten Tag wieder zur Arbeit gegangen. An jenem Tag habe er wieder auf dem Dach gearbeitet. Als dann Wind aufgekommen sei, habe er nur noch am Boden arbeiten wollen. Er habe nur eine Abmahnung zusammen mit der Kündigung erhalten. Das SG hat einen Befundbericht des Chefarztes der Klinik für Unfallchirurgie des Gesundheitszentrum B. GmbH vom 17. Mai 2011 eingeholt. Danach habe der Kläger angegeben, am 16. Juni 2010 beim Tragen eines Solarmoduls umgeknickt zu sein. Für den Zeitraum 16. bis 18. Juni 2010 sei Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden.

14

Das SG hat zwei frühere Mitarbeiterinnen der Arbeitgeberin schriftlich als Zeuginnen befragt und in der mündlichen Verhandlung den früheren Vorgesetzten des Klägers als Zeugen vernommen. Der Kläger hat in dieser mündlichen Verhandlung erklärt, die fehlende Hö-hentauglichkeit bei der Arbeitgeberin nicht angesprochen zu haben.

15

Das SG hat die Klage aufgrund mündlicher Verhandlung mit Urteil vom 26. August 2013 abgewiesen und ausgeführt: Es könne offen bleiben, ob die außerordentliche Kündigung wirksam gewesen sei. Jedenfalls habe die Kündigung fristgerecht erfolgen können. Es habe sich um eine Kündigung während der Probezeit gehandelt. Die Nichteinhaltung der Kündi-gungsfrist von zwei Wochen führe nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Eine Kündigung während der Probezeit bedürfe keiner Abmahnung. Auch ein Kündigungsgrund sei nicht erforderlich, da das Arbeitsverhältnis weniger als zwei Wochen bestanden habe. Der Kläger habe durch arbeitsvertragswidriges Verhalten zumindest grob fahrlässig Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben. Zur Überzeugung der Kammer stehe fest, dass der Kläger sich nicht an Pausenzeiten gehalten und sich unerlaubt von der Baustelle entfernt habe. Die Kündigung sei für den Kläger vorhersehbar gewesen. Der Kläger könne sich nicht auf einen wichtigen Grund berufen. Es sei nicht belegt, dass der Kläger unter Höhenangst leide. Er habe tatsächlich auf dem Dach gearbeitet. Es seien keine unzumutbaren Arbeitsbedingungen gewesen. Die Höhe und Dauer der Absenkung sei ohne Fehler festgestellt worden. Der Beklagte habe auch auf die Möglichkeit der Beantragung von zusätzlichen Sachleistungen hingewiesen.

16

Gegen das seiner Prozessbevollmächtigten am 24. September 2013 zugestellte Urteil hat diese für den Kläger am 14. Oktober 2013 Berufung vor dem Landessozialgericht des Landes Sachsen-Anhalt erhoben und ausgeführt: Die Feststellungen zur Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung seien unzutreffend. Eine Kündigung sei nur dann möglich, wenn trotz der Abmahnung weitere Pflichtverletzungen erfolgten. Die außerordentliche Kündigung werde auf dieselbe Pflichtverletzung gestützt. Er sei aus Unwissenheit nicht gegen die Kündigung vorgegangen. Das Rauchen während der Arbeitszeit sei geduldet gewesen. Der Zeuge habe keine genauen Angaben zur Häufigkeit der Pflichtverletzungen machen können. Die Angaben der Zeugin L. seien nicht glaubhaft. Während sie zunächst angegeben habe, sich nicht mehr zu erinnern, habe sie dann nach Sichtung von Unterlagen angegeben, nunmehr klare Aussagen treffen zu können. Für den Kläger sei nicht ersichtlich, um welche Unterlagen es sich gehandelt habe. Die Angaben der Zeugen widersprächen sich auch. Während der Zeuge H. angegeben hatte, der Kläger habe sich unerlaubt von der Baustelle entfernt, hat die Zeugin L. angegeben, er sei aufgrund seines Verhaltens nach Hause geschickt worden. Keiner der Zeugen habe konkrete Erinnerungen an die Geschehensabläufe. Die Feststellungen des Gerichts zur Höhenangst seien unzutreffend. Diese bestehe tatsächlich, sei jedoch noch nicht ärztlich bescheinigt worden.

17

Der Kläger beantragt,

18

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau sowie den Bescheid des Beklagten vom 31. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2010 aufzuheben.

19

Der Beklagte beantragt,

20

die Berufung zurückzuweisen.

21

Der Beklagte verteidigt das Urteil des SG: Die Darstellung des Klägers zu den Gründen für sein Nichterscheinen am 23. Juni 2010 widerspreche seinen früheren Angaben.

22

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 23. März 2016 die frühere Personalver-antwortliche der Arbeitgeberin, Frau L., als Zeugin gehört. Wegen der Angaben der Zeugin wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

23

Die Berufung ist nach §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt den Betrag von 750 EUR. Die Berufung ist form- und fristgerecht erhoben worden (§ 151 SGG).

24

Streitgegenstand ist die Rechtmäßigkeit der Minderung von Leistungen des Beklagten für die Monate Oktober bis Dezember 2010 in Höhe von insgesamt 1.077 EUR (Bescheid vom 31. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2010).

25

Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers ist begründet und führt zur Aufhebung des Urteils sowie des angegriffenen Bescheides. Der Bescheid des Beklagten vom 31. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

26

Rechtsgrundlage für die Minderung der Leistungen ist die Regelung in § 31 Abs. 5 Satz 1 iVm Abs. 4 Nr. 3b und SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 10. Oktober 2007 (BGBl. I S. 2326). Danach wird das Arbeitslosengeld bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die das 15., jedoch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, unter den in Absatz 1 bis 4 genannten Voraussetzungen auf die Leistungen nach § 22 SGB II beschränkt. Nach § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II aF gelten die Absätze 1 bis 3 entsprechend für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder das Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen. Nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III in der Fassung des Gesetzes vom 21. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2917) tritt eine Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe ein, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis ohne wichtigen Grund gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Beschäftigungslosigkeit herbeigeführt hat. Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30% kann der zuständige Träger in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen (§ 31 Abs. 5 Satz 6 iVm Abs. 3 Satz 6 SGB II aF). Die Absenkung und der Wegfall der Leistungen treten mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsakts, der die Absenkung und den Wegfall der Leistung feststellt, folgt (§ 31 Abs. 6 Satz 1 SGB II aF). Absenkung und Wegfall dauern drei Monate (§ 31 Abs. 6 Satz 2 SGB II aF). Bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die das 15., aber nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, kann der Träger die Absenkung und den Wegfall der Regelleistung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auf sechs Wochen verkürzen (§ 31 Abs. 6 Satz 3 SGB II aF).

27

Der Bescheid vom 31. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2010 ist formell rechtmäßig. Insbesondere wurde der Kläger vor Erlass des Bescheides nach § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) angehört.

28

Der Bescheid des Beklagten vom 31. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2010 ist materiell rechtswidrig. Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Minderung der Leistungen liegen nicht vor. Nach der Rechtsprechung des BSG ist die Regelung in § 31 Abs. 4 Nr. 3 SGB II aF nur anwendbar, wenn das vom Hilfebedürftigen abverlangte Verhalten nicht bereits von § 31 Abs. 1 SGB II aF erfasst ist und das sperrzeitrelevante Ereignis zu einem Zeitpunkt eintritt, in dem eine Beziehung des Hilfebedürftigen zum Rechtskreis des SGB III vorliegt. Eine Rechtsfolgenbelehrung ist nicht erforderlich (BSG, Urteil vom 22. März 2010 – B 4 AS 68/09 R).

29

Das sperrzeitrelevante Verhalten wird hier nicht bereits von § 31 Abs. 1 SGB II aF erfasst. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II aF wird das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30% des Regelsatzes abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit abgebrochen oder Anlass für den Abbruch gegeben hat. Von dieser Norm werden nur Beschäftige erfasst, die noch nicht aufgrund der zurückgelegten Versicherungszeiten zur Arbeitslosenversicherung in einem Sozialversicherungsverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit als Trägerin der Arbeitslosenversicherung stehen (BSG, Urteil vom 22. März 2010 – B 4 AS 69/09 R). Der Kläger war hier sozialversicherungspflichtig beschäftigt, so dass die Beziehung zum Rechtskreis des SGB III gegeben war und sich die Sanktion nicht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II aF richtet.

30

Der Kläger gehört auch zum erfassten Personenkreis, da er das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.

31

Die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III lagen jedoch nicht vor. Der Eintritt einer Sperrzeit setzt nach der Rechtsprechung des BSG ein arbeitsvertragswidriges Verhalten voraus, das in jeglichem Verstoß gegen geschriebene oder ungeschriebene Haupt- oder Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag bestehen kann (a). Dieses Verhalten muss kausal für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses geworden sein (b). Diese Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch den Arbeitgeber muss ihrerseits Ursache für den Eintritt der Beschäftigungslosigkeit sein (c). Schließlich muss die Herbeiführung der Beschäftigungslosigkeit auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers beruhen (d), wobei nicht von einem objektiven, sondern von einem subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab auszugehen ist, der sich an den Kenntnissen und Fähigkeiten des Betroffenen orientiert (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2005 – B 7a AL 46/05 R mit weiteren Nachweisen). Der Schuldvorwurf bezieht sich nach dem Wortlaut der Norm nur auf die Herbeiführung der Beschäftigungslosigkeit, nicht auf das arbeitsvertragswidrige Verhalten selbst. Dieses setzt jedoch üblicherweise selbst ein Verschulden voraus, wobei einfache Fahrlässigkeit ausreichend ist. Der Arbeitnehmer hat durch arbeitsvertragswidriges Verhalten die Kündigung zumindest dann grob fahrlässig herbeigeführt, wenn der Arbeitgeber einen berechtigten Anlass für die Kündigung hatte, die Kündigung demnach rechtmäßig war. Anderenfalls kann dem Arbeitnehmer nicht vorgehalten werden, die Arbeitslosigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt zu haben. Weil die Rechtmäßigkeit der Kündigung nur für die Frage der Wesentlichkeit des Beitrags zum Kausalgeschehen von Bedeutung ist, spielen Fragen der formalen Rechtswidrigkeit der Kündigung keine Rolle. Ob der außerordentlichen Kündigung eine Abmahnung vorausgehen musste, ist dagegen Bestandteil der materiell-rechtlichen Prüfung (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2005 – B 7a AL 46/05 R). Denn bei Fehlen einer Abmahnung liegt grobe Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers nicht vor. Eine Ausnahme gilt für den Fall, dass eine Abmahnung arbeitsrechtlich entbehrlich ist (BSG, Urteil vom 6. März 2003 – B 11 AL 69/02 R).

32

Der Kläger hat sich, ohne einen wichtigen Grund zu haben, arbeitsvertragswidrig verhalten. Er hat seine Hauptleistungspflicht aus dem Arbeitsvertrag verletzt, indem er ihm aufgetragene Arbeiten nicht ausgeführt, Pausenzeiten nicht eingehalten und sich von der Baustelle entfernt hat. Es kann offen bleiben, ob der Kläger einen wichtigen Grund hatte, nicht auf dem Dach zu arbeiten. Die Pflichtverletzungen des Klägers bestanden nur zum Teil in der Weigerung, auf dem Dach zu arbeiten. Insofern hatte der Kläger möglicherweise einen wichtigen Grund für sein Verhalten gehabt. Die fehlende Höhentauglichkeit ist zwar nicht belegt. Die Anweisung des Baustellenleiters, er könne dann nach Hause gehen, wenn er nicht auf dem Dach arbeite, kann jedoch für den Kläger einen wichtigen Grund begründen, sich von der Baustelle zu entfernen. Jedenfalls ist die Überziehung der Pausenzeiten, auf die die Kündigung auch gestützt wurde, nicht durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt. Das Verhalten des Klägers war auch kausal für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch die Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin stützte die Kündigung vom 22. Juni 2010 auf diese Gründe. Die Kündigung durch die Arbeitgeberin war kausal für die Beschäftigungslosigkeit des Klägers, da er keine Anschlussbeschäftigung hatte.

33

Der Kläger hat die Beschäftigungslosigkeit jedoch nicht grob fahrlässig herbeigeführt. Denn die Kündigung des Arbeitsverhältnisses war rechtswidrig. Dies gilt sowohl für die erklärte außerordentliche Kündigung als auch für die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung.

34

Nach § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände als wichtiger Grund an sich geeignet ist. Sodann bedurfte es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtabwägung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen zumutbaren Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck zu erreichen, für die Zukunft eine Störung des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden. Dabei setzt die ordentliche und die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 AZR 495/11).

35

Danach sind die Pflichtverletzungen des Klägers zwar an sich geeignet, einen wichtigen Grund für die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugeben. Die Verletzung der Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsvertrag ist ein Grund, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Andererseits handelt es sich nicht um erhebliche und gravierende Pflichtverletzungen. Der Kläger war zur Arbeit erschienen und hat auch gearbeitet, wenn auch nicht im vereinbarten Umfang. Es ist hier nicht ersichtlich, dass es der Arbeitgeberin nicht zumutbar gewesen ist, den Kläger bis zum Ablauf der kurzen Kündigungsfrist innerhalb der Probezeit von zwei Wochen weiter zu beschäftigen. Nach § 622 Abs. 3 BGB kann das Arbeitsverhältnis während einer vereinbarten Probezeit mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen gekündigt werden. Im Übrigen kommt eine außerordentliche Kündigung nur dann in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Danach kommen als mildere Mittel vor allem eine Abmahnung und eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos zukünftiger Störungen – zu erreichen (BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09). Hier kamen als milderes Mittel vor einer außerordentlichen Kündigung eine ordentliche Kündigung und eine Abmahnung in Betracht.

36

Die Pflichtverletzungen des Klägers können jedoch auch eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen. Denn eine ordentliche Kündigung setzt voraus, dass der Kläger vor der Erklärung der Kündigung wegen dieses Verhaltens abgemahnt wird. Die Abmahnung hat sowohl Rüge-, Warn- und Hinweisfunktion. Nach Erteilung einer Abmahnung muss dem Arbeitnehmer noch ausreichend Zeit bleiben, das beanstandete Verhalten aufzugeben. Die erforderliche Abmahnung ist konstitutiv für den Kündigungsgrund. Bei Fehlen einer erforderlichen Abmahnung ist die Kündigung unwirksam (BAG, Urteil vom 7. Juli 2005 – 2 AZR 581/04).

37

Hier lag eine Abmahnung vor Erklärung der Kündigung nicht vor. Die erste Abmahnung vom 21. Juni 2010 ist dem Kläger nach seinen Angaben nicht zugegangen. Die zweite Abmahnung vom 22. Juni 2010 wurde zusammen mit der Kündigung versandt und kann daher ihre Funktion nicht mehr erfüllen. Die Zeugin hatte zwar angegeben, dass sie im Vorfeld mit dem Kläger gesprochen hatte. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass dem Kläger bewusst gewesen ist, dass sein Verhalten nicht toleriert werden wird. Eine Abmahnung war hier trotzdem nicht entbehrlich. Eine Abmahnung kann dann entbehrlich sein, wenn eine grobe Pflichtverletzung der Grund für die Abmahnung war und die Hinnahme der groben Pflichtverletzung durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist, also nicht erwartet werden kann, dass das Vertrauen zwischen den Parteien wiederhergestellt wird, oder wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht erfolgversprechend angesehen werden durfte, so etwa, wenn auch im Fall einer Abmahnung keine Rückkehr des Vertragspartners zu vertragskonformem Verhalten erwartet werden kann (BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09). Es war nicht von vornherein völlig offensichtlich aussichtslos, dass der Kläger seine Pflichten nach einer Abmahnung einhalten würde. Zwar spricht hier vieles dafür, dass der Kläger die Kündigung durch sein Verhalten provoziert hat. Es handelte sich um einen Vermittlungsvorschlag der Beklagten. Einen nachvollziehbaren Grund, Pausenzeiten nicht einzuhalten, gibt es nicht. Er hat sich nicht gegen die Kündigung gewehrt. Gleichwohl musste dem Kläger hier ausreichend Gelegenheit gegeben werden, sich vertragsgemäß zu verhalten.

38

Danach lagen die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit nicht vor. Die Minderung der Leistungen kann nicht auf § 31 Abs. 5 Satz 1 SGB II aF iVm § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II aF gestützt werden.

39

Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau sowie der Bescheid des Beklagten vom 31. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2010 waren aufzuheben.

40

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

41

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.


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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 314 Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund


(1) Dauerschuldverhältnisse kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 622 Kündigungsfristen bei Arbeitsverhältnissen


(1) Das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters oder eines Angestellten (Arbeitnehmers) kann mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden. (2) Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt die K

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 31 Pflichtverletzungen


(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis1.sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,2.sich weigern, eine zu

Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) - Arbeitsförderung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594) - SGB 3 | § 144 Anspruchsvoraussetzungen bei beruflicher Weiterbildung


(1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat auch, wer die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit allein wegen einer nach § 81 geförderten beruflichen Weiterbildung nicht erfüllt. (2) Bei einer Arbeitnehmerin oder e

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Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 23. März 2016 - L 4 AS 933/13 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 23. März 2016 - L 4 AS 933/13 zitiert 4 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 25. Okt. 2012 - 2 AZR 495/11

bei uns veröffentlicht am 25.10.2012

Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. Februar 2011 - 3 Sa 474/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09

bei uns veröffentlicht am 10.06.2010

Tenor 1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

Bundessozialgericht Urteil, 22. März 2010 - B 4 AS 69/09 R

bei uns veröffentlicht am 22.03.2010

Tatbestand 1 Streitig ist die Gewährung eines Zuschusses zu den Kosten der Unterkunft der Klägerin nach § 22 Abs 7 SGB II im Zeitraum vom 17.9.

Bundessozialgericht Urteil, 22. März 2010 - B 4 AS 68/09 R

bei uns veröffentlicht am 22.03.2010

Tatbestand 1 Streitig ist die Höhe des dem Kläger für die Zeit vom 1.6. bis 31.8.2007 zustehenden Arbeitslosengeldes II (Alg II).

Referenzen

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

(1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat auch, wer die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit allein wegen einer nach § 81 geförderten beruflichen Weiterbildung nicht erfüllt.

(2) Bei einer Arbeitnehmerin oder einem Arbeitnehmer, die oder der vor Eintritt in die Maßnahme nicht arbeitslos war, gelten die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit als erfüllt, wenn sie oder er

1.
bei Eintritt in die Maßnahme einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit hätte, der weder ausgeschöpft noch erloschen ist, oder
2.
die Anwartschaftszeit im Fall von Arbeitslosigkeit am Tag des Eintritts in die Maßnahme der beruflichen Weiterbildung erfüllt hätte; insoweit gilt der Tag des Eintritts in die Maßnahme als Tag der Arbeitslosmeldung.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Für die Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft gilt eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Leistungen nach diesem Buch bezogen werden. Innerhalb dieser Karenzzeit werden die Bedarfe für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt; Satz 6 bleibt unberührt. Wird der Leistungsbezug in der Karenzzeit für mindestens einen Monat unterbrochen, verlängert sich die Karenzzeit um volle Monate ohne Leistungsbezug. Eine neue Karenzzeit beginnt, wenn zuvor mindestens drei Jahre keine Leistungen nach diesem oder dem Zwölften Buch bezogen worden sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie nach Ablauf der Karenzzeit als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Nach Ablauf der Karenzzeit ist Satz 7 mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum der Karenzzeit nicht auf die in Satz 7 genannte Frist anzurechnen ist. Verstirbt ein Mitglied der Bedarfs- oder Haushaltsgemeinschaft und waren die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung davor angemessen, ist die Senkung der Aufwendungen für die weiterhin bewohnte Unterkunft für die Dauer von mindestens zwölf Monaten nach dem Sterbemonat nicht zumutbar. Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre.

(1a) (weggefallen)

(2) Als Bedarf für die Unterkunft werden auch unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum im Sinne des § 12 Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 anerkannt, soweit diese unter Berücksichtigung der im laufenden sowie den darauffolgenden elf Kalendermonaten anfallenden Aufwendungen insgesamt angemessen sind. Übersteigen unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur den Bedarf für die Unterkunft nach Satz 1, kann der kommunale Träger zur Deckung dieses Teils der Aufwendungen ein Darlehen erbringen, das dinglich gesichert werden soll. Für die Bedarfe nach Satz 1 gilt Absatz 1 Satz 2 bis 4 nicht.

(3) Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, mindern die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht.

(4) Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft soll die leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die neue Unterkunft örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Innerhalb der Karenzzeit nach Absatz 1 Satz 2 bis 5 werden nach einem Umzug höhere als angemessene Aufwendungen nur dann als Bedarf anerkannt, wenn der nach Satz 1 zuständige Träger die Anerkennung vorab zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind.

(5) Sofern Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umziehen, werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur anerkannt, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn

1.
die oder der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann,
2.
der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder
3.
ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.
Unter den Voraussetzungen des Satzes 2 kann vom Erfordernis der Zusicherung abgesehen werden, wenn es der oder dem Betroffenen aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen. Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden bei Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht anerkannt, wenn diese vor der Beantragung von Leistungen in eine Unterkunft in der Absicht umziehen, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen herbeizuführen.

(6) Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten können bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden; Aufwendungen für eine Mietkaution und für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen können bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Aufwendungen für eine Mietkaution und für Genossenschaftsanteile sollen als Darlehen erbracht werden.

(7) Soweit Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird, ist es auf Antrag der leistungsberechtigten Person an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zu zahlen. Es soll an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
Mietrückstände bestehen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen,
2.
Energiekostenrückstände bestehen, die zu einer Unterbrechung der Energieversorgung berechtigen,
3.
konkrete Anhaltspunkte für ein krankheits- oder suchtbedingtes Unvermögen der leistungsberechtigten Person bestehen, die Mittel zweckentsprechend zu verwenden, oder
4.
konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die im Schuldnerverzeichnis eingetragene leistungsberechtigte Person die Mittel nicht zweckentsprechend verwendet.
Der kommunale Träger hat die leistungsberechtigte Person über eine Zahlung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte schriftlich zu unterrichten.

(8) Sofern Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

(9) Geht bei einem Gericht eine Klage auf Räumung von Wohnraum im Falle der Kündigung des Mietverhältnisses nach § 543 Absatz 1, 2 Satz 1 Nummer 3 in Verbindung mit § 569 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein, teilt das Gericht dem örtlich zuständigen Träger nach diesem Buch oder der von diesem beauftragten Stelle zur Wahrnehmung der in Absatz 8 bestimmten Aufgaben unverzüglich Folgendes mit:

1.
den Tag des Eingangs der Klage,
2.
die Namen und die Anschriften der Parteien,
3.
die Höhe der monatlich zu entrichtenden Miete,
4.
die Höhe des geltend gemachten Mietrückstandes und der geltend gemachten Entschädigung und
5.
den Termin zur mündlichen Verhandlung, sofern dieser bereits bestimmt ist.
Außerdem kann der Tag der Rechtshängigkeit mitgeteilt werden. Die Übermittlung unterbleibt, wenn die Nichtzahlung der Miete nach dem Inhalt der Klageschrift offensichtlich nicht auf Zahlungsunfähigkeit der Mieterin oder des Mieters beruht.

(10) Zur Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach Absatz 1 Satz 1 ist die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze zulässig. Dabei kann für die Aufwendungen für Heizung der Wert berücksichtigt werden, der bei einer gesonderten Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und der Aufwendungen für Heizung ohne Prüfung der Angemessenheit im Einzelfall höchstens anzuerkennen wäre. Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.

(11) Die für die Erstellung von Mietspiegeln nach § 558c Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach Landesrecht zuständigen Behörden sind befugt, die in Artikel 238 § 2 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a, d und e des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche genannten Daten zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für eine Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist. Erstellen die nach Landesrecht zuständigen Behörden solche Übersichten nicht, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 auf Ersuchen an die kommunalen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich zu übermitteln, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft erforderlich ist. Werden den kommunalen Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Übersichten nicht zur Verfügung gestellt, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich bei den nach Landesrecht für die Erstellung von Mietspiegeln zuständigen Behörden zu erheben und in sonstiger Weise zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über und die Bestimmung der Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist.

(12) Die Daten nach Absatz 11 Satz 1 und 3 sind zu löschen, wenn sie für die dort genannten Zwecke nicht mehr erforderlich sind.

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

(1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat auch, wer die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit allein wegen einer nach § 81 geförderten beruflichen Weiterbildung nicht erfüllt.

(2) Bei einer Arbeitnehmerin oder einem Arbeitnehmer, die oder der vor Eintritt in die Maßnahme nicht arbeitslos war, gelten die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit als erfüllt, wenn sie oder er

1.
bei Eintritt in die Maßnahme einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit hätte, der weder ausgeschöpft noch erloschen ist, oder
2.
die Anwartschaftszeit im Fall von Arbeitslosigkeit am Tag des Eintritts in die Maßnahme der beruflichen Weiterbildung erfüllt hätte; insoweit gilt der Tag des Eintritts in die Maßnahme als Tag der Arbeitslosmeldung.

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Höhe des dem Kläger für die Zeit vom 1.6. bis 31.8.2007 zustehenden Arbeitslosengeldes II (Alg II).

2

Der 1953 geborene Kläger bezog bis zum 2.7.2006 Arbeitslosengeld (Alg) nach dem SGB III. Seit dem 23.1.2006 erhält er Alg II, welches die Beklagte vom 1.8.2006 bis 31.1.2007 in Höhe von 692,20 Euro monatlich (Regelleistung in Höhe von 345 Euro; Kosten der Unterkunft in Höhe von 347,20 Euro monatlich) bewilligte (Bescheid vom 3.8.2006).

3

Am 19.12.2006 erfuhr die Beklagte, dass der Kläger seit dem 1.12.2006 bei der Firma M als Thekenkraft in Vollzeit arbeitete. Er wurde zum 23.1.2007 fristlos gekündigt. Für Dezember 2006 zahlte der Arbeitgeber dem Kläger im selben Monat einen Betrag in Höhe von 1 400 Euro. Als Entlohnung für Januar 2007 erhielt er am 12.3.2007 einen Betrag in Höhe von 636,68 Euro. Zu den Gründen der Kündigung führte die Arbeitgeberin gegenüber der Beklagten aus, der Kläger habe die Gäste unfreundlich behandelt, die Arbeit nach einer Erkrankung nicht mehr aufgenommen und eine AU-Bescheinigung erst nach zweiwöchiger Fehlzeit vorgelegt. Die Beklagte senkte das Alg II daraufhin für die Zeit vom 1.6. bis 31.8.2007 monatlich um 30 vH der Regelleistung, höchstens jedoch in Höhe des ihm "zustehenden Gesamtauszahlungsbetrags", ab. Hieraus ergebe sich eine Absenkung in Höhe von maximal 104 Euro monatlich. Die "ursprüngliche Bewilligungsentscheidung" werde für den Zeitraum der dreimonatigen Absenkung der Leistungen gemäß § 48 Abs 1 SGB X aufgehoben (Bescheid vom 9.5.2007; Widerspruchsbescheid vom 16.7.2007). Mit weiterem Bescheid vom 9.5.2007 bewilligte die Beklagte dem Kläger gleichzeitig entsprechend abgesenkte SGB-II-Leistungen vom 1.6. bis 31.7.2007 in Höhe von 587,30 Euro monatlich. Nach Eingang einer Lohnabrechnung für den Monat Mai 2007 bewilligte sie ihm unter Aufhebung der "in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidungen" für den Monat Juli 2007 SGB-II-Leistungen in Höhe von 541,90 Euro (Bescheid vom 19.6.2007). Im weiteren Verlauf hob die Beklagte die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 1.6. bis 30.6.2007 wegen anzurechnenden Nebeneinkommens in Höhe von 48 Euro teilweise auf und forderte die Erstattung dieses Betrags (Bescheid vom 15.8.2007). Für den Zeitraum vom 1.8.2007 bis 31.8.2007 bewilligte sie dem Kläger SGB-II-Leistungen in Höhe von 541,90 Euro (Bescheid vom 15.8.2007).

4

Das SG Freiburg hat entsprechend dem Klageantrag den Bescheid der Beklagten vom 9.5.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.7.2007 aufgehoben. Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten, weil die Beklagte das Alg II zu Unrecht abgesenkt habe. Mangels Rechtsfolgenbelehrung vor der Weigerung der Aufnahme bzw Fortführung einer zumutbaren Arbeit seien die Voraussetzungen des § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst c SGB II nicht erfüllt. Es könne dahinstehen, ob die Voraussetzungen einer Sperrzeit nach § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB III gegeben seien. Jedenfalls sei diese Vorschrift nicht für Zeiträume anwendbar, in denen ein Sperrzeittatbestand während des Bezugs von Alg II verwirklicht werde (Urteil vom 16.10.2008). Das LSG Baden-Württemberg hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, Streitgegenstand des Berufungsverfahrens sei nur der Sanktionsbescheid vom 9.5.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.7.2007. Nachdem die Beklagte zu Protokoll erklärt habe, dass sie dem Kläger für den Fall, dass der Bescheid vom 9.5.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.7.2007 durch formell rechtskräftige Entscheidung aufgehoben sei, den gekürzten Sanktionsbetrag gewähren werde, sei eine zusätzliche Leistungs- und Anfechtungsklage bezüglich der SGB II-Bewilligungsbescheide nicht erforderlich. Im Übrigen habe der Kläger den Streitgegenstand insoweit wirksam beschränkt, als er die Verfügungen über Unterkunfts- und Heizkosten für den gesamten Zeitraum in diesem Verfahren nicht angefochten habe, sondern "nur" nicht um den Sanktionsbetrag gekürzte Regelleistungen begehre. Gegen eine gleichzeitige Anwendbarkeit des § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst c SGB II und des § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB II spreche, dass die Beklagte immer dann auf die Sperrzeitenregelung des § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB II zurückgreifen könne, wenn die in Abs 1 genannten Voraussetzungen, zB mangels Rechtsfolgenbelehrung, nicht vorlägen. Dies könne - wie hier - der Fall sein, wenn eine Absenkung nach Absatz 1 an einer fehlenden Rechtsfolgenbelehrung, die § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB II nicht vorsehe, scheitere. Stehe ein Bedürftiger zum Zeitpunkt der Aufnahme einer Tätigkeit und während der Obliegenheitsverletzung im Leistungsbezug nach dem SGB II, sei dem Leistungsträger die Vornahme einer ordnungsgemäßen Belehrung iS des § 31 Abs 1 SGB II möglich und zumutbar. Dies gelte insbesondere deshalb, weil es sich um Leistungen handele, die das Existenzminimum beträfen (Urteil vom 16.9.2009).

5

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB II. Bei dieser Vorschrift handele es sich um eine neben § 31 Abs 1 SGB II anwendbare Rechtsvorschrift. Ein Rückgriff auf § 144 Abs 1 SGB III, der die Sanktionierung bei Verlust des Beschäftigungsverhältnisses durch arbeitsvertragswidriges Verhalten regele, sei daher möglich.

6

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. September 2009 und des Sozialgerichts Freiburg vom 16. Oktober 2008 die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Ob die Beklagte das Alg II in der Zeit vom 1.6. bis 31.8.2007 in zutreffender Höhe geleistet hat, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Zwar liegen die Voraussetzungen für eine Absenkung des Alg II nach § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst c SGB II nicht vor. Jedoch fehlen ausreichende tatsächliche Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG dazu, ob der Kläger im Sinne der weiteren Ermächtigungsgrundlage für eine Absenkung nach § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB II iVm § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben hat. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist diese Sperrzeitregelung des SGB III hier heranzuziehen.

9

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zunächst der Bescheid vom 9.5.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.7.2007, mit dem die Beklagte das Alg II des Klägers für den Zeitraum vom 1.6. bis 31.8.2007 um monatlich 30 vH der Regelleistung abgesenkt hat. Der am gleichen Tag erlassene Bewilligungsbescheid vom 9.5.2007 ist ebenfalls Gegenstand des Verfahrens, weil er mit dem Absenkungsbescheid vom 9.5.2007 eine rechtliche Einheit im Sinne eines einheitlichen Bescheids zur Höhe des Alg II in dem von der Absenkung betroffenen Zeitraum darstellt (vgl BSG, Urteil vom 25.5.2005 - B 11a/11 AL 81/04 R - BSGE 95, 8 ff = SozR 4-4300 § 140 Nr 1, jeweils RdNr 6; BSG, Urteil vom 18.8.2005 - B 7a AL 4/05 R - SozR 4-1500 § 95 Nr 1 RdNr 5; BSG, Urteil vom 5.8.1999 - B 7 AL 14/99 R, BSGE 84, 225, 227 = SozR 3-4100 § 119 Nr 17 S 78). Die Verfügungssätze der beiden am 9.5.2007 erlassenen Bescheide korrespondieren miteinander. Auch der Widerspruchsbescheid vom 16.7.2007 stellt einen Bezug zur Bewilligung des Alg II her. Der Kläger hat sich mit seiner Klage gegen diese auch die Höhe der SGB II-Leistungen bewilligenden Bescheide vom 9.5.2007 idF des Widerspruchsbescheides vom 16.7.2007 gewandt, deren Inhalt zugleich Ausgangspunkt für die Bestimmung des Streitgegenstandes ("das von dem Kläger Gewollte") ist.

10

Das LSG hat das Begehren des Klägers insofern zu Unrecht einschränkend dahingehend ausgelegt (§ 123 SGG), dass er eine gerichtliche Entscheidung lediglich hinsichtlich der Absenkungsentscheidung, nicht jedoch auch hinsichtlich des im streitigen Zeitraum zu zahlenden Alg II begehrt. Der unvertretene Kläger hat weder schriftsätzlich noch in anderer Weise den Streitgegenstand beschränkt. Schon mangels Anwesenheit des Klägers in den Terminen beim SG und LSG hat auch keine Erörterung der Konsequenzen einer Beschränkung des Streitgegenstandes stattfinden können (vgl zu diesem Erfordernis: BSG, Urteil vom 18.8.2005 - B 7a/7 AL 4/05 R - SozR 4-1500 § 95 Nr 1 RdNr 8). Im wiedereröffneten Berufungsverfahren ist über das Begehren des Klägers daher im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG iVm § 56 SGG) zu entscheiden. Dabei wird das LSG auch die weiteren Bewilligungsbescheide vom 19.6.2007 und 15.8.2007 berücksichtigen müssen, welche die Höhe des Alg II in dem hier streitigen Zeitraum vom 1.6 bis 31.8.2007 regeln und nach § 96 SGG zum Gegenstand des Verfahrens geworden sind.

11

2.a) Die Vorinstanzen haben zu Recht die Voraussetzungen des § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst c SGB II idF des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) nicht als erfüllt angesehen. Nach § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst c SGB II wird das Alg II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn er sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit, ein zumutbares Angebot nach § 15a oder eine sonstige in der Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Maßnahme aufzunehmen oder fortzuführen. Es fehlt hier schon an einer Rechtsfolgenbelehrung iS des § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst c SGB II.

12

Unabhängig hiervon fällt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine Arbeitgeberkündigung nicht unter den Begriff des "Fortführens" einer Arbeit durch den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen im Sinne dieses Sanktionstatbestandes (Winkler in Gagel, SGB II/SGB III, § 31 SGB II RdNr 57, Stand Dezember 2006; Sonnhoff in jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 31 RdNr 78; aA Berlit in Lehr- und Praxiskommentar SGB II, 3. Aufl 2009, § 31 RdNr 39). Eine Weigerung, eine Arbeit fortzuführen, liegt nur vor, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige selbst kündigt, einen Aufhebungsvertrag schließt oder die abhängige oder selbständige Tätigkeit einfach aufgibt. Dass der Gesetzgeber zwischen einer (aktiven) Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses durch den Hilfebedürftigen und dessen Beendigung durch den Arbeitgeber wegen des Verhaltens des Hilfebedürftigen unterscheidet, ergibt sich auch aus dem weiteren Absenkungstatbestand des § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II, der bei Teilnahme an einer Eingliederungsmaßnahme eine Absenkung des Alg II ausdrücklich auch dann vorsieht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige "Anlass für den Abbruch" gegeben hat. Auch im Sperrzeitenrecht des SGB III (§ 144 Abs 1 Satz 2 Nr 1) hat der Gesetzgeber für die Fallgestaltungen der Arbeitsaufgabe gesondert den Sachverhalt aufgenommen, dass der Arbeitslose "durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben hat" (vgl auch BSG, Urteil vom 19.3.1986 - 7 RAr 64/85 - BSGE 60, 50, 52 = SozR 4100 § 119 Nr 27 S 123 sowie BSG, Urteil vom 16.9.1999 - B 7 AL 32/98 R - BSGE 84, 270, 273 = SozR 3-4100 § 119 Nr 19 S 95).

13

b) Die hier vorliegende Arbeitgeberkündigung kann aber nach § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB II einen Kürzungstatbestand begründen, weil diese Regelung auf die vorliegende Konstellation anwendbar ist. Nach § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB II gelten die Absätze 1 bis 3 entsprechend bei einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, der die in dem Dritten Buch genannten Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit erfüllt, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Alg begründen. Damit ist Bezug genommen ua auf § 144 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB III, demzufolge eine Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe eintritt, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat. Im Unterschied zu § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst c SGB II erfordert § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB II für den Eintritt der Sperrzeit keine vorherige Rechtsfolgenbelehrung.

14

c) Das Verhältnis von § 31 Abs 1 SGB II und § 31 Abs 4 Nr 3 SGB II ist entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht so zu verstehen, dass § 31 Abs 4 Nr 3 SGB II im Sinne einer speziellen Gesamtregelung nur für pflichtwidrige Handlungen Anwendung finden kann, die zeitlich vor einer Antragstellung oder dem Beginn des Leistungsbezugs nach dem SGB II liegen. Zwar hat sich der Gesetzgeber in vielen Fallgestaltungen der Absätze 1, 2 und 4 des SGB II bei der Ausdifferenzierung der Absenkungs- und Wegfallgründe bei der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe konkret auf die für SGB-II-Bezieher im Grundsicherungsrecht neu geschaffenen Obliegenheiten bezogen. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes ist bei den in § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB II in Bezug genommenen Sperrzeitregelungen des § 144 Abs 1 Satz 2 Nr 1 bis 7 SGB III grundsätzlich unabhängig von einem Leistungsbezug nach dem SGB II im Einzelfall zu prüfen, ob die Pflichtverletzung von dem Sanktionstatbestand erfasst wird. Die Heranziehung des § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB II setzt allerdings im Sinne von einschränkenden Anwendungsvoraussetzungen voraus, dass das von dem Hilfebedürftigen abverlangte Verhalten nicht bereits von § 31 Abs 1 SGB II erfasst ist und das sperrzeitrelevante Ereignis zum einem Zeitpunkt eintritt, in dem eine Beziehung des Hilfebedürftigen zum Rechtskreis des SGB III vorliegt(BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R - RdNr 24, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).

15

4. Diese Anwendungsvoraussetzungen des § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB II ergeben sich nicht bereits aus dem Wortlaut der Norm, sondern aus der Gesetzessystematik sowie dem Sinn und Zweck der Regelung unter Berücksichtigung der Rechtsentwicklung, insbesondere der bis zum 31.12.2004 geltenden Vorgängervorschrift des § 25 Abs 2 Nr 3 Buchst b Bundessozialhilfegesetz (BSHG), zuletzt idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGBl I 2848). In der Begründung des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) vom 23.6.1993 (BGBl I 944), auf das diese Regelung wesentlich zurückgeht (vgl hierzu im Einzelnen BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R - RdNr 20, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) wird hierzu ausgeführt, dass § 25 Abs 2 Nr 3 BSHG nunmehr Hilfeempfänger erfassen sollte, bei denen das Arbeitsamt den Eintritt einer Sperrzeit nach § 119 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) festgestellt hat und der Anspruch auf Leistungen nach dem AFG ruht oder erloschen ist. Ihnen gleichgestellt wurden diejenigen Hilfeempfänger, die ihre Arbeit aufgegeben und keinen Anspruch auf Leistungen nach dem AFG hatten (BT-Drucks 12/4401 S 81).

16

Vor diesem Hintergrund will § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst a SGB II - wie zuvor § 25 Abs 2 Nr 3 Buchst a BSHG - sicherstellen, dass der Ruhens- oder Erlöschenstatbestand wegen einer im Geltungsbereich des SGB III eingetretenen Sperrzeit nicht folgenlos bleibt, wenn zwischenzeitlich ein Anspruch auf Alg II dem Grunde nach entstanden ist(Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, K § 31 RdNr 128, Stand Juli 2007). Ergänzend hierzu ordnet § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB II die entsprechende Geltung des § 144 SGB III für Personen an, die einen Anspruch auf Alg noch nicht erworben haben, aber die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit erfüllen. Die übereinstimmende Rechtfertigung für die Einbeziehung beider Personengruppen liegt darin, dass sie aufgrund der zurückgelegten Versicherungszeiten zur Arbeitslosenversicherung in einem Sozialversicherungsverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit (BA) als SGB III-Trägerin stehen, die sich ihrerseits typisierend gegen den Risikofall der Arbeitslosigkeit zur Wehr setzt, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat oder an deren Behebung er nicht in der gebotenen Weise mitwirkt (vgl hierzu im Einzelnen BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R - RdNr 24 f mwN). Es werden daher diejenigen Beschäftigen erfasst, die in einem für die Anwartschaftszeit für den Anspruch auf Alg nach § 123 SGB III zu berücksichtigenden Versicherungspflichtverhältnis als Beschäftigte gegen Arbeitsentgelt nach § 25 Abs 1 SGB III stehen und nicht als Personen in einer geringfügigen Beschäftigung versicherungsfrei sind(§ 27 Abs 2 SGB III iVm § 8 Abs 1 SGB IV). Besteht lediglich eine versicherungsfreie Beschäftigung, fehlt es an einem durch Beitragszahlung bzw den Aufbau einer Anwartschaft auf Alg vermittelten Sozialversicherungsverhältnis zur BA und damit an einer Beziehung des Hilfebedürftigen zum Rechtskreis des SGB III (vgl auch zur teleologischen Reduktion der Sperrzeitenregelung des § 144 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB III auf versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse Henke/Eicher in Eicher/Schlegel, SGB III, § 144 RdNr 108a, Stand November 2009; Curkovic in NK-SGB III, 3. Aufl 2008, § 144 RdNr 16; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, K § 144 RdNr 31, Stand März 2007).

17

5. Wie bereits oben dargelegt, wird die hier vorliegende Arbeitgeberkündigung nicht vom Sanktionstatbestand des § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst c SGB III erfasst. Auch der erforderliche Bezug des Klägers zum Rechtskreis des SGB III ist gegeben, weil die von ihm ab 1.12.2006 aufgenommene Vollzeittätigkeit eine Versicherungspflicht als Beschäftigter begründete und es sich auch nicht um eine geringfügige Beschäftigung handelte. Eine solche liegt nach § 8 Abs 1 SGB IV vor, wenn das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 400 Euro nicht übersteigt (Nr 1) oder die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 400 Euro im Monat übersteigt (Nr 2). Ob in einer bestimmten Beschäftigung Versicherungspflicht oder wegen Entgelt- oder Zeitgeringfügigkeit Versicherungsfreiheit besteht, ist bei Aufnahme der Beschäftigung vorausschauend zu beurteilen (Schlegel in: jurisPK-SGB IV, 1. Aufl 2006, § 8 RdNr 41, 49). Vorliegend konnte bei prognostischer Betrachtung der von dem Kläger am 1.12.2006 aufgenommenen Vollzeitbeschäftigung als Thekenkraft und des dabei zu erzielenden Verdienstes weder von einer entgeltgeringfügigen noch eine zeitgeringfügige Beschäftigung angenommen werden. Dabei ist es für die Anwendbarkeit des § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB II in dem vorgenannten eingeschränkten Sinn unerheblich, ob die von dem Kläger aufgenommene versicherungspflichtige Beschäftigung zum vollständigen Wegfall der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II geführt hat oder ein geringes Entgelt aus einer Beschäftigung mit SGB-II-Leistungen aufgestockt werden muss.

18

6. Von seinem Rechtsstandpunkt ausgehend hat das LSG keine Feststellungen zu den Voraussetzungen einer Sanktion nach § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB II iVm § 144 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB III getroffen. Neben der Frage, ob ein arbeitsvertragswidriges Verhalten vorliegt, wird es ua zu prüfen haben, ob ein solches Verhalten dem Kläger subjektiv vorwerfbar ist und die auf ein arbeitsvertragswidriges Verhalten zurückzuführende Lösung des Beschäftigungsverhältnisses für ihn vorhersehbar war. Dies kann regelmäßig nur bei vorheriger Abmahnung bejaht werden (vgl Henke in Eicher/Schlegel, SGB III, § 144 RdNr 251, Stand September 2006 mwN). Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Gewährung eines Zuschusses zu den Kosten der Unterkunft der Klägerin nach § 22 Abs 7 SGB II im Zeitraum vom 17.9.2008 bis 28.9.2009.

2

Die 1985 geborene alleinstehende Klägerin wohnte bereits vor dem 1.1.2005 außerhalb des Elternhauses. Seit dem 15.12.2006 bewohnt sie eine 45 qm große Wohnung, für die sie zuletzt einen Mietzins von 380 Euro warm entrichtete. Am 17.10.2007 nahm sie eine Ausbildung auf, auf Grund derer sie ab dem 17.9.2007 Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) nach dem SGB III bezog, zuletzt in Höhe von 376 Euro monatlich. Zudem gewährte ihr eine Freundin der Mutter auf Grund eines Darlehensvertrags ein monatliches Darlehen für die Mietzahlung in Höhe von 150 Euro. Die Ausbildungsvergütung betrug im ersten Jahr 282 Euro, im zweiten 296,10 Euro und im dritten 310,91 Euro. Ab Juli 2009 erhielt sie 325,50 Euro netto. Das an die Mutter der Klägerin gezahlte Kindergeld leitete diese an die Klägerin weiter. Ein Antrag auf Gewährung von Wohngeld vom 29.2.2008 wurde abschlägig beschieden (Bescheid vom 10.3.2008).

3

Der Beklagte lehnte den am 17.9.2008 von der Klägerin beantragten Zuschuss zu den ungedeckten Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 7 SGB II ab (Bescheid vom 17.10.2008). Im Widerspruchsverfahren rügte die Klägerin die fehlende Berücksichtigung von Freibeträgen bei der Berechnung des den Bedarf mindernden Einkommens. Im Widerspruchsbescheid führte der Beklagte aus, der Bedarf der Klägerin für Unterkunftskosten betrage insgesamt 323,37 Euro (275 Euro gemeindebezogene Angemessenheitsgrenze plus 25 Euro Nebenkosten plus 30 Euro Heizkostenanteil minus einer Warmwasserpauschale von 6,63 Euro). Im BAB seien 218 Euro Unterkunftsbedarf enthalten und unter Berücksichtigung des an die Klägerin weitergeleiteten Kindergeldes sei daher ihr Unterkunftsbedarf gedeckt (323,37 Euro Unterkunftsbedarf minus 218 Euro BAB für Unterkunft minus 154 Euro Kindergeld). Freibeträge seien vom Einkommen nur dann abzuziehen, wenn tatsächlich Arbeitslosengeld II (Alg II) gezahlt werde.

4

Mit gleicher Begründung hat das SG Mannheim die Klage durch Gerichtsbescheid vom 29.6.2009 abgewiesen. Das LSG Baden-Württemberg hat auf die Berufung der Klägerin den Gerichtsbescheid sowie die Bescheide des Beklagten aufgehoben und den Beklagten verurteilt, der Klägerin ab dem 29.2.2008 einen Zuschuss zu ihren ungedeckten Unterkunftskosten nach § 22 Abs 7 SGB II in Höhe von monatlich 141 Euro und ab dem 1.7.2008 von 162 Euro zu gewähren. Es hat zur Bestimmung der Höhe des Zuschusses allein auf die Berechnungsvorschriften des SGB III bzw des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) abgestellt. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine vergleichende Gesamtberechnung der Leistungsansprüche nach dem SGB II und dem SGB III sei nicht vorzunehmen. Deshalb komme es auch nicht darauf an, ob und welche Freibeträge iS des § 11 Abs 2 SGB II vor der Einkommensberücksichtigung in Abzug zu bringen seien. Ebenso werde das Kindergeld daher abweichend von § 11 Abs 1 SGB II nicht bedarfsmindernd bei der Berechnung des ungedeckten Bedarfs berücksichtigt. Nach § 21 Abs 3 BAföG in der Fassung des Gesetzes zur Reform und Verbesserung der Ausbildungsförderung finde eine Anrechnung des Kindergeldes auf das BAföG nicht mehr statt. Eine Berechnung des Zuschusses nach den Vorschriften des SGB II würde es zudem erforderlich machen, in jedem Einzelfall zu ermitteln, inwieweit in den einzelnen Gesetzen Einkommen und Vermögen auf die jeweilige Leistung angerechnet werde. Andererseits sei jedoch die Angemessenheit der von der Klägerin geltend gemachten Unterkunftskosten iS des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II zu prüfen. Die von der Klägerin gezahlte Warmmiete halte sich für die Zeit ab dem 29.2.2008 bis 30.6.2008 (Kaltmiete von 275 Euro und Nebenkosten von 84 Euro, insgesamt 359 Euro zuzüglich Heizkosten) und ab 1.7.2008 mit erhöhten Nebenkosten in den Angemessenheitsgrenzen des Beklagten. Von den 380 Euro sei alsdann der Unterkunftsanteil aus der BAB in Höhe von 197 bzw 218 Euro abzuziehen. Hieraus ergebe sich der Zuschussbetrag. Kosten der Warmwasserbereitung seien hingegen nicht in Abzug zu bringen, da die Klägerin keine Regelleistung, die die Kosten hierfür umfasse, erhalte. Die Leistungen seien zudem nach § 28 Satz 1 SGB X ab dem Zeitpunkt des Antrags auf Wohngeld zu erbringen.

5

Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 22 Abs 7 SGB II. Zur Begründung führt er aus, durch den Verweis auf § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II in § 22 Abs 7 SGB II werde deutlich, dass der Unterkunftsbedarf nach den Regeln des SGB II zu berechnen sei. Der Zuschuss sei zudem durch seine Einbettung in das Leistungsgefüge des SGB II als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts anzusehen. Anderenfalls hätte es des Hinweises in der Gesetzesbegründung auf die Nichtanwendung von § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II nicht bedurft. Damit sei aber auch das Kindergeld - wie im SGB II - bei der Berechnung des Zuschusses zu berücksichtigen. Etwas anderes gelte allerdings für die Ausbildungsvergütung der Klägerin, denn entsprechend dem Grundgedanken des § 11 Abs 2 Nr 8 SGB II sei sie, da sie bereits bei der Berechnung der BAB der Klägerin berücksichtigt worden sei, nicht als Einkommen auf den Unterkunftsbedarf anzurechnen. Es fielen daher im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin auch keine abzugsfähigen Freibeträge an. Die angemessene Höhe der Unterkunftskosten betrage ab 29.2.2008 unstreitig 359 Euro und ab 1.7.2008 380 Euro. Für den Zeitraum vom 1.7.2008 bis 31.12.2008 ergebe sich ein Zuschussbetrag von 1,37 Euro unter Berücksichtigung eines Abzugs für Warmwasserkosten von 6,63 Euro. Ab dem 1.1.2009 entfalle dieser Zuschuss wieder, da der Bedarf durch die Kindergelderhöhung um 10 Euro auf 164 Euro monatlich aufgefangen werde.

6

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 28.9.2009 hinsichtlich des Zeitraums vom 29.2.2008 bis 30.6.2008 und ab dem 1.1.2009 aufzuheben sowie hinsichtlich des Zeitraums vom 1.7.2008 bis 31.12.2008 soweit er verurteilt worden ist, mehr als 1,37 Euro monatlichen Zuschuss zu den ungedeckten Kosten der Unterkunft der Klägerin zu zahlen.

7

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.

9

Der Senat vermochte nicht abschließend zu entscheiden, ob und in welcher Höhe der Klägerin ein Zuschuss zu ihren Unterkunfts- und Heizkosten im Zeitraum vom 17.9.2008 bis 28.9.2009 zusteht. Im Gegensatz zur Auffassung des LSG bemisst sich die Höhe des Zuschusses nach § 22 Abs 7 SGB II jedenfalls nicht allein nach der Differenz zwischen den Unterkunftskosten der Klägerin nach dem SGB II und dem nach dem SGB III zu Grunde zu legenden Unterkunftsbedarf. Es gilt vielmehr, den ungedeckten Bedarf nach den Vorschriften des SGB II unter Berücksichtigung der Leistung nach dem SGB III einschließlich des dort eingerechneten Unterkunftsbedarfs sowie ggf weiterem Einkommen zu ermitteln. In Höhe des sich dann ggf ergebenden ungedeckten Bedarfs nach dem SGB II ist der Zuschuss alsdann - gedeckelt durch die Differenz zwischen Unterkunftsbedarf nach dem SGB II und in der Ausbildungsförderungsleistung enthaltenem Unterkunftsanteil - vom Grundsicherungsträger zu zahlen.

10

1. Streitgegenstand im vorliegenden Rechtsstreit ist der Bescheid vom 17.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.3.2009, mit dem der Beklagte die Gewährung eines Zuschusses zu den Kosten von Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 7 SGB II abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum erstreckt sich damit vom 17.9.2008, dem Tag der Antragstellung durch die Klägerin bis zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG, am 28.9.2009. Der Beklagte hat mit den zuvor benannten Bescheiden die Leistungsgewährung vollständig versagt. In solchen Fällen ist über den geltend gemachten Anspruch bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG zu entscheiden (vgl BSG, Urteil vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 28/06 R, SozR 4-4200 § 7 Nr 8; vom 16.5.2007 - B 11b AS 37/06 R, BSGE 98, 243 = SozR 4-4200 § 12 Nr 4).

11

Der Zeitraum vom 29.2.2008 (Antrag auf Wohngeld) bis zum 16.9.2008 ist in der Revisionsinstanz nicht mehr vom Streitgegenstand umfasst. Der Beklagte hat durch Teilanerkenntnis eine Leistungsgewährung nach Maßgabe der rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits zugesagt.

12

2. Die Klägerin gehört zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis iS des § 22 Abs 7 SGB II. Nach § 22 Abs 7 SGB II erhalten abweichend von § 7 Abs 5 SGB II Auszubildende, die BAB oder Ausbildungsgeld nach dem SGB III oder Leistungen nach dem BAföG erhalten und deren Bedarf sich nach § 65 Abs 1, § 66 Abs 3, § 101 Abs 3, § 105 Abs 1 Nr 1, 4, § 106 Abs 1 Nr 2 des SGB III oder nach § 12 Abs 1 Nr 2, Abs 2 und 3, § 13 Abs 1 in Verbindung mit Abs 2 Nr 1 des BAföG bemisst, einen Zuschuss zu ihren ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs 1 Satz 1) . Satz 1 gilt nicht, wenn die Übernahme der Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 2a SGB II ausgeschlossen ist.

13

Die Klägerin bezieht nach den bindenden Feststellungen des LSG BAB nach dem SGB III wegen einer beruflichen Ausbildung. Ihr Bedarf bemisst sich dabei nach § 65 Abs 1 SGB III. Danach wird bei Unterbringung außerhalb des Haushalts der Eltern oder eines Elternteils - wie hier nach den Feststellungen des LSG gegeben - bei einer beruflichen Ausbildung der jeweils geltende Bedarf für Studierende nach § 13 Abs 1 Nr 1 BAföG zu Grunde gelegt. Der Bedarf erhöht sich für die Unterkunft um den jeweiligen Betrag nach § 13 Abs 2 Nr 2 BAföG; § 13 Abs 3 BAföG gilt entsprechend. Nach § 13 Abs 1 Nr 1 BAföG in der bis zum 31.7.2008 geltenden Fassung (Gesetz zur Reform und Verbesserung der Ausbildungsförderung - Ausbildungsförderungsreformgesetz vom 19.3.2001, BGBl I 390) galt als monatlicher Bedarf für Auszubildende in Fachschulklassen, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzt, Abendgymnasien und Kollegs 310 Euro. Dieser Bedarf erhöhte sich nach § 13 Abs 2 Nr 2 BAföG, wenn der Auszubildende nicht bei seinen Eltern wohnt, um monatlich 133 Euro. Eine weitere Erhöhung des Unterkunftsbedarfs erfolgte durch die entsprechende Anwendung des § 13 Abs 3 BAföG. Danach galt: Soweit Mietkosten für Unterkunft und Nebenkosten nachweislich den Betrag nach Absatz 2 Nr 2 übersteigen, erhöht sich der dort genannte Bedarf um bis zu monatlich 64 Euro. Nach den bindenden Feststellungen des LSG hat die die BAB bewilligende Bundesagentur für Arbeit (BA) der Berechnung der Leistung an die Klägerin dem entsprechend einen Bedarf von 507 Euro (310 Euro Grundbedarf und 197 Euro Unterkunftsbedarf <133 Euro + 64 Euro>) zu Grunde gelegt. Ab dem 1.8.2008 änderten sich die Beträge, die der weiteren Bewilligung der BA zu Grunde lagen wie folgt: 341 Euro Lebensunterhalt, 146 Euro + 72 Euro Unterkunftsbedarf (§ 65 Abs 1, 2 und 3 SGB III in der Fassung des 22. Gesetzes zur Änderung des BAföG - 22. BAföGÄndG vom 23.12.2007, BGBl I 3254) , insgesamt 559 Euro.

14

Die Klägerin ist auch von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen. Sie durchläuft eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung iS des § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II. Tatsachen, die für das Vorliegen eines Härtefalls iS des § 7 Abs 5 Satz 2 SGB II sprechen könnten, sind vom LSG nicht festgestellt und von der Klägerin nicht geltend gemacht. Auch die Voraussetzungen des § 7 Abs 6 SGB II sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

15

Der Gewährung des Zuschusses steht im konkreten Fall auch nicht § 22 Abs 7 Satz 2 SGB II entgegen. Danach gilt § 22 Abs 7 Satz 1 SGB II nicht, wenn die Übernahme der Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 2a SGB II ausgeschlossen ist. Die Regelung findet auf die Klägerin keine Anwendung, denn sie wohnte bereits vor Inkrafttreten des SGB II außerhalb der elterlichen Wohnung.

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3. Ob die Klägerin auch unter Berücksichtigung ihres Einkommens, bestehend aus BAB, Ausbildungsvergütung und Kindergeld sowie möglicherweise einem Darlehen sowie ihres angemessenen Unterkunftsbedarfs iS des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II Anspruch auf einen Zuschuss nach § 22 Abs 7 SGB II hat, kann auf Grund der Feststellungen des LSG nicht abschließend entschieden werden.

17

Gemäß § 22 Abs 7 Satz 1 letzter Halbsatz SGB II wird dem nach den zuvor dargelegten Kriterien bestimmten Personenkreis ein Zuschuss zu den ungedeckten Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II) gewährt. Es ist mithin nach dem Wortlaut des § 22 Abs 7 Satz 1 SGB II nur der angemessene Unterkunftsbedarf iS des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II zuschussfähig. Demnach gilt es zweierlei festzustellen: Einerseits ist die abstrakte Höhe der angemessenen Unterkunftskosten nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II zu bestimmen (a). Zum zweiten ist der konkrete Unterkunftsbedarf des Antragstellers - vorausgesetzt er wäre nach dem SGB II leistungsberechtigt - nach den Regeln des SGB II zu ermitteln (b). Der dann nicht durch sein Einkommen - insbesondere in Gestalt der Ausbildungsförderleistung - gedeckte Unterkunftsbedarf ist als Zuschuss nach § 22 Abs 7 SGB II - gedeckelt durch die Differenz zwischen Unterkunftsbedarf nach dem SGB II und in der Ausbildungsförderungsleistung enthaltenen Unterkunftsanteil - zu erbringen (c).

18

a) § 22 Abs 7 Satz 1 SGB II verweist ausdrücklich auf § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Danach werden vom Grundsicherungsträger Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Hieraus folgt nach übereinstimmender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass auch im Rahmen der Zuschussgewährung nur Leistungen für Unterkunft und Heizung vom Grundsicherungsträger übernommen werden, die angemessen im grundsicherungsrechtlichen Sinne sind (vgl OVG Bremen, Beschluss vom 19.2.2008 - S 2 B 538/07; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.2.2009 - L 5 AS 74/08; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6.8.2009 - L 25 AS 131/09; Frank in Hohm, GK-SGB II, Stand V/2008, § 22 RdNr 84; Knickrehm in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 2009, § 22 SGB II RdNr 55; Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 22 RdNr 24 ff; Piepenstock in Juris-PK SGB II, 2. Aufl 2007, § 22 RdNr 156). Die Höhe der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ist iS des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II dann angemessen, wenn sie sich im Rahmen der durch ein schlüssiges Konzept ermittelten Vergleichsmiete hält (vgl BSG, Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 und 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Zudem wird durch die ausdrückliche Bezugnahme auf § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II deutlich, dass unangemessene Aufwendungen nicht berücksichtigt werden (vgl auch BT-Drucks 16/1410, S 24) . Inwieweit das auch für die Übergangszeit nach § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II bzw für die dort benannten Gründe der Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit der Kostensenkung gilt, kann hier dahinstehen.

19

Der Beklagte hatte im vorliegenden Fall zwar zunächst angenommen, dass die Unterkunftskosten der Klägerin mit 380 Euro brutto warm monatlich unangemessen seien. Das LSG hat jedoch - von dem revisionsführenden Beklagten nicht angegriffen, sondern als "unstreitig" gestellt bezeichnet - auf Grundlage der von der Beklagten vorgenommenen Ermittlungen der örtlich angemessenen Vergleichsmiete festgestellt, die tatsächlich von der Klägerin gezahlte Bruttowarmmiete halte sich in deren Grenzen.

20

Allerdings wird das LSG im wieder eröffneten Berufungsverfahren von den angemessenen Heizkosten einen Abzug für die Kosten der Warmwasserbereitung (vgl BSG, Urteil vom 27.2.2008 - B 14/11b AS 15/07 R - BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 22 Nr 5 und vom 22.9.2009 - B 4 AS 8/09 R) vorzunehmen haben. Soweit das LSG die Auffassung vertritt, im Rahmen der Berechnung des Zuschusses nach § 22 Abs 7 SGB II habe dieser Abzug zu unterbleiben (so auch Hessisches LSG, Beschluss vom 27.3.2009 - L 6 AS 340/08 B ER), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Das LSG begründet seine Auffassung damit, dass der nach § 22 Abs 7 SGB II Leistungsberechtigte keine Regelleistung nach § 20 SGB II beziehe, in der die Kosten für die Warmwasserbereitung enthalten seien, und der in die Ausbildungsförderungsleistungen einfließende Anteil für Unterkunftskosten werde anders, also ohne den Abzug der Warmwasserkosten berechnet. Dabei wird verkannt, dass im Falle des § 22 Abs 7 SGB II der ungedeckte Bedarf an Unterkunftskosten nach dem SGB II festzustellen ist. Daraus folgt jedoch, dass zumindest keine höheren Unterkunftskosten bezuschusst werden sollen, als die, die nach den Regeln des SGB II angemessen sind.

21

b) Aus Wortlaut, Gesetzesbegründung, systematischem Zusammenhang sowie Sinn und Zweck der Zuschussregelung folgt zudem, dass der Unterkunftsbedarf des Auszubildenden iS des § 22 Abs 7 Satz 1 letzter Halbsatz SGB II an Hand einer fiktiven "Bedürftigkeitsberechnung" nach den Regeln der §§ 9, 11 und 12 SGB II zu ermitteln ist. Soweit das LSG hier den in der Ausbildungsleistung enthaltenen Unterkunftsbedarf herausrechnet und nur diesen dem isolierten Unterkunftsbedarf nach dem SGB II gegenüberstellt, widerspricht dieses ebenso dem Wortlaut des § 22 Abs 7 Satz 1 SGB II wie die Auffassung, der Unterkunftsbedarf nach SGB III oder BAföG sei im Rahmen der Bedarfsberechnung nach dem SGB II von den dortigen Unterkunftskosten vorab in Abzug zu bringen (Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, Stand IX/2009, § 22 RdNr 174). Eine derartige rechnerische Verbindung der beiden Leistungen zur Ermittlung des Unterkunftsbedarfs ergibt sich aus dem Gesetz nicht.

22

Nach dem Wortlaut des § 22 Abs 7 SGB II ist Ausgangspunkt der Berechnung der Zuschusshöhe die Höhe der Unterkunftskosten nach dem SGB II, also der Unterkunftsbedarf, wie er sich nach dem SGB II ergibt. Der Unterkunftsbedarf nach dem SGB II ist jedoch sowohl davon abhängig, ob die betreffende Person alleine oder in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, als auch davon, ob sie über Einkommen oder Vermögen verfügt, das zur Bedarfsdeckung heranzuziehen ist. Diese Umstände sind mithin bei der Bestimmung des Unterkunftsbedarfs zu berücksichtigen.

23

Die Auffassung des LSG, aus den Worten "… Auszubildende, … deren Bedarf sich nach § 65 SGB III … bemisst" sei zu schließen, dass die Bedarfsberechnung sich ausschließlich nach den Vorschriften der Ausbildungsförderung bemesse, geht fehl. Einerseits wird durch den ersten Halbsatz des § 22 Abs 7 Satz 1 SGB II lediglich der anspruchsberechtigte Personenkreis bestimmt. Andererseits folgt aus den Worten "ungedeckte" Kosten, dass die Differenz zwischen zwei Größen zu bestimmen ist. Eine Größe ist dabei die Leistung, wie sie sich nach den Regeln des BAföG oder des SGB III berechnet. Insoweit war es auch erforderlich, nicht nur den Kreis der Leistungsbezieher nach BAföG und SGB III zu benennen, sondern insbesondere auf die Berechnung ihres Bedarfs nach diesen Gesetzen hinzuweisen. Den Bedarf nach den Regeln der Ausbildungsförderung zu kennen, führt jedoch für sich genommen noch nicht zu einer ungedeckten Differenz. Es ist vielmehr eine weitere Größe, der angemessene Unterkunftsbedarf nach dem SGB II, erforderlich. Dieser kann jedoch nur nach den dortigen Regeln bestimmt werden. Der Bedarf nach SGB III und BAföG werden dabei gleichwohl schon hier berücksichtigt, denn er fließt in die Berechnung ein, und zwar als den Grundsicherungsbedarf mindernde Leistung, die als Einkommen zu berücksichtigen ist.

24

Dieses Vorgehen entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung. In der praktischen Anwendung des SGB II hatte sich gezeigt, dass die von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossenen Auszubildenden wegen der pauschalierten Unterkunftsbedarfsbemessung in BAföG und SGB III vielfach - anders als SGB II-Leistungsberechtigte - ihre Unterkunftskosten nicht decken können. In der Folge wurden - der Intention der Grundsicherung zuwiderlaufende - Ausbildungsabbrüche verzeichnet (vgl BT-Drucks 16/1410, S 24). Um die vorzeitige Beendigung einer Ausbildung und damit einhergehend die Verminderung von Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verhindern, ist es im Sinne des erwerbszentrierten Grundsicherungssystems somit konsequent, einen bedarfsabhängigen Ausgleich der ungedeckten Kosten vorzunehmen. Hieraus folgt, dass im Einzelfall eine vollständige Prüfung der Hilfebedürftigkeit nach den Regeln des Grundsicherungsrechts zu erfolgen hat.

25

Die Begründung des Gesetzesentwurfs bestätigt dies. Dort wird ausdrücklich darauf hingewiesen, die Zuschussgewährung setze voraus, dass dem Auszubildenden selbst überhaupt Kosten für Unterkunft und Heizung entstünden und dass diese nach Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen ungedeckt seien (vgl BT-Drucks 16/1410, S 24). In Zusammenschau mit dem Hinweis auf die tatsächlichen angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II kann das "Entstehen von Unterkunftsaufwendungen" nur so verstanden werden, dass ein Unterkunftsbedarf nach dem SGB II festzustellen ist. Insoweit erschließt sich auch die in der Drucksache erwähnte Verbindung zum Einkommen und Vermögen, das zur Bedarfsdeckung heranzuziehen ist. Die Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens und Vermögens kann nämlich die Höhe des Unterkunftsbedarfs nach dem SGB II beeinflussen. Die Außerachtlassung von Einkommen und Vermögen, wie sie aus den Ausführungen des LSG folgt, kann schon mit Rücksicht darauf, dass es sich auch bei dem Zuschuss nach § 22 Abs 7 SGB II um eine Grundsicherungsleistung handelt, nicht in Betracht gezogen werden.

26

Die Regelung des § 22 Abs 7 SGB II ist in das System der Grundsicherung eingebettet und nimmt - wie oben bereits dargelegt - auch auf Parameter aus diesem System Bezug. Dessen Regeln zu missachten wäre mithin bereits für sich genommen ein Systembruch. Dagegen spricht auch nicht, dass nach § 19 Satz 2 SGB II der Zuschuss nach § 22 Abs 7 SGB II nicht als Alg II gilt. Bereits die Formulierung legt nahe, dass der Zuschuss ohne ausdrückliche Regelung als Alg II zu behandeln gewesen wäre. Darüber hinaus verdeutlicht die Begründung für die Regelung des § 19 Satz 2 SGB II deren eigentlichen Sinn. Es sollte der Eintritt von Sozialversicherungspflicht durch den Zuschuss verhindert werden (vgl BT-Drucks 16/1410, S 24, 23) , die von der Gewährung von Alg II abhängig ist. Ein Rückschluss auf eine von den Grundregeln des SGB II abweichende Berechnung der "angemessenen Unterkunftskosten" kann hieraus jedenfalls nicht gezogen werden.

27

Auch Bedenken, dass zu klären sei, wie Einkommen und BAB oder BAföG im Rahmen der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen seien, sprechen nicht gegen die hier vorgenommene Auslegung. Zwar ist es zutreffend, dass etwa eine Ausbildungsvergütung bereits bei der Bemessung der Ausbildungsförderungsleistung angerechnet wird. Dieser Umstand spricht jedoch nicht gegen ihren bedarfsdeckenden Einsatz bei der Berechnung der SGB II-Leistung. Entsprechend der Anrechnung der Vergütung bei der Ausbildungsförderungsleistung sinkt die Förderleistung. BAföG oder BAB sind daher bei entsprechenden Einkünften auch nur in geringerem Umfang als bedarfsdeckend zu berücksichtigen. Insoweit unterscheidet sich die Situation, in der die eigene Vergütung aus einem Arbeitsverhältnis als Einkommen bei der Berechnung der Sozialleistung berücksichtigt wird, von der, in der innerhalb der Bedarfsgemeinschaft Einkommen eines Elternteils zur Bedarfsdeckung nach § 9 Abs 2 SGB II herangezogen wird, das bereits schon einmal bei der Höhe der Ausbildungsförderungsleistung angerechnet wurde (§ 11 Abs 2 Nr 8 SGB II). Der Grundgedanke des § 11 Abs 2 Nr 8 SGB II, das schon einmal herangezogene Einkommen von einer nochmaligen Einkommensberücksichtigung nach dem SGB II auszunehmen, ist bereits deswegen nicht auf die vorliegende Gestaltung übertragbar, weil, anders als das Elterneinkommen, die Ausbildungsvergütung neben der BAB dem Auszubildenden tatsächlich zufließt und das Geld aus Vergütung und Förderleistung dem Auszubildenden tatsächlich zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Verfügung steht. Gleiches gilt für Kindergeld, das von dem bezugsberechtigten Elternteil an das außerhalb des Elternhauses wohnende Kind weitergeleitet wird (vgl BSG, Urteil vom 22.3.2010 - B 4 AS 69/09 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Kann der Auszubildende mit diesem gesamten Einkommen seinen Bedarf decken, besteht kein Anlass, von der Gefahr des Abbruchs der Ausbildung wegen ungedeckter Unterkunftskosten auszugehen und einen Zuschuss zu diesen Aufwendungen zu zahlen, die lediglich rein rechnerisch nicht gedeckt sind.

28

Soweit die Regeln bei der Einkommensberücksichtigung von SGB II- und Ausbildungsförderungsleistungen unterschiedlich sind, ist dieses hinzunehmen. § 22 Abs 7 SGB II sieht zwar letztlich einen Vergleich auf unterschiedlichen Grundlagen errechneten Bedarfslagen vor. Letzteres ist jedoch der Regelfall bei zu berücksichtigendem Einkommen aus Sozialleistungen nach § 11 SGB II. Andererseits gewährleistet die uneingeschränkte Bedarfsprüfung nach den Regeln des SGB II, dass es nicht auf derartige Unterschiede ankommt. Entscheidend ist allein der tatsächliche Zufluss von Einkommen, das bedarfsdeckend einzusetzen ist. Es ist mithin bereits im System angelegt, dass keine vollständige Übereinstimmung bei der Betrachtung der Ausgangslagen oder der beiden zur Differenzberechnung heranzuziehenden Rechengrößen erzielt werden kann.

29

c) Die Höhe des Zuschusses richtet sich alsdann grundsätzlich nach dem ungedeckten SGB II-Unterkunftsbedarf, wie er sich nach der Prüfung gemäß den Regeln von §§ 9, 11, 12 SGB II iVm § 13 SGB II und der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) ergibt. Übersteigt der konkret ungedeckte Bedarf nach dem SGB II jedoch die Differenz zwischen dem abstrakten Unterkunftsbedarf nach dem SGB II und dem in der BAföG- oder SGB III-Leistung enthaltenen Unterkunftsbedarfsanteil, ist der Zuschuss auf die Höhe der Differenz zu begrenzen (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6.8.2009 - L 25 AS 131/09) . Zwar vermag der Senat hierfür allein im Wortlaut des § 22 Abs 7 Satz 1 SGB II keine Stütze zu finden. Danach ist der Zuschuss zu den ungedeckten Kosten iS des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II zu zahlen. Gleichwohl rechtfertigt sich die oben beschriebene Begrenzung auf die Höhe der Differenz zwischen beiden Leistungen durch eine nach der Gesetzesbegründung gebotene teleologische Reduktion.

30

In der Gesetzesbegründung wird insbesondere darauf hingewiesen, dass sich die Problemlage des Abbruchs der Ausbildung wegen "ungedeckter" Unterkunftskosten daraus ergebe, dass bei der Bemessung der Ausbildungsförderleistung lediglich ein pauschalierter Unterkunftsbedarf berücksichtigt werde. Dieser reicht häufig nicht aus, um die tatsächlichen Unterkunftskosten zu decken. Um nun gleichwohl eine, wie es in der Begründung wörtlich heißt, "… unbelastete Fortführung der Ausbildung zu ermöglichen …" (BT-Drucks 16/1410, S 24), soll der "ungedeckte" Teil bezuschusst werden. Wie eingangs bereits dargelegt, weist bereits das Wort "ungedeckt" darauf hin, dass eine Differenz zwischen zwei "Vergleichslagen" zu betrachten ist. Unter Berücksichtigung der Ausführungen zum Ausgleich der pauschalen Abgeltung der Unterkunftskosten nach § 13 Abs 2 und 3 BAföG durch die SGB II-Leistung liegt es daher nahe anzunehmen, der Gesetzgeber habe als Zuschuss auch maximal die Differenz zwischen diesen beiden Größen zubilligen wollen. Hierauf ist die Höhe des Zuschusses mithin zu reduzieren.

31

4. Ob und ggf in welcher Höhe die Klägerin einen Anspruch auf einen Zuschuss nach § 22 Abs 7 Satz 1 SGB II hat, vermochte der Senat an Hand der Feststellungen des LSG nicht zu bestimmen. Für den konkreten Fall folgt aus den vorhergehenden Ausführungen: Der Regelleistungsbedarf der Klägerin und der noch endgültig vom LSG festzustellende Unterkunftsbedarf sind dem Einkommen der Klägerin aus Ausbildungsvergütung, Kindergeld und BAB sowie ggf dem gewährten Darlehen gegenüber zu stellen. Der Nettobetrag der Ausbildungsvergütung, die hier vom LSG für den gesamten streitigen Zeitraum der Höhe nach zu ermitteln sein wird, ist vor ihrer Berücksichtigung als Einkommen nach § 11 SGB II um die dort benannten Freibeträge bzw die von der Berücksichtigung freigestellten Anteile nach der Alg II-V zu bereinigen. Die gezahlte BAB nach § 65 SGB III ist, anders als die Leistung nach dem BAföG, nicht um einen ausbildungsbedingten Bedarf, der als zweckbestimmte Einnahme iS des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II nicht an der Einkommensberücksichtigung nach dem SGB II teilnimmt, zu bereinigen (vgl zum BAföG: BSG, Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Der 14. Senat hat einen ausbildungsbedingten Anteil aus dem BAföG als zweckbestimmte Einnahme anerkannt. Die BAB selbst enthält jedoch keinen derartigen Anteil (vgl Fachliche Hinweise der BA zu § 11, Stand 20.8.2009, RdNr 11.102) . Das folgt einerseits aus dem Wortlaut von §§ 65 und 66 SGB III, in denen lediglich auf den Bedarf für den Lebensunterhalt abgestellt wird (vgl hierzu Urmersbach in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand V/2007, § 59 RdNr 33a) . Andererseits beinhaltet das SGB III zahlreiche Sonderregelungen bezüglich des ausbildungsbedingten Bedarfs, wie die Übernahme von Fahrtkosten (§ 67 SGB III) oder Lehrgangskosten (§ 69 SGB III). Hier wird das LSG zu berücksichtigen haben, dass diese Leistungen, soweit sie im konkreten Fall in die Gesamtleistung der BA eingeflossen sind, als zweckbestimmte Einnahme nach § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II von der Einkommensberücksichtigung freizustellen sind.

32

Schließlich ist das nach dem SGB II zu berücksichtigende Einkommen dem jeweiligen Bedarf aus Regelleistung und Unterkunftsaufwendungen gegenüberzustellen. Zur Errechnung des Zuschusses ist das bei der Klägerin zu berücksichtigende Einkommen zunächst zur Deckung der Regelleistung nach § 19 Satz 3 SGB II heranzuziehen und dann, sollte noch ein Einkommensrest verbleiben, zur Deckung der Kosten für Unterkunft und Heizung. Der verbleibende Rest an nicht gedeckten Unterkunftskosten ist alsdann als Zuschuss nach § 22 Abs 7 Satz 1 SGB II zu gewähren, gedeckelt auf den unter 3. beschriebenen Differenzbetrag.

33

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

(1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat auch, wer die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit allein wegen einer nach § 81 geförderten beruflichen Weiterbildung nicht erfüllt.

(2) Bei einer Arbeitnehmerin oder einem Arbeitnehmer, die oder der vor Eintritt in die Maßnahme nicht arbeitslos war, gelten die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit als erfüllt, wenn sie oder er

1.
bei Eintritt in die Maßnahme einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit hätte, der weder ausgeschöpft noch erloschen ist, oder
2.
die Anwartschaftszeit im Fall von Arbeitslosigkeit am Tag des Eintritts in die Maßnahme der beruflichen Weiterbildung erfüllt hätte; insoweit gilt der Tag des Eintritts in die Maßnahme als Tag der Arbeitslosmeldung.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Dauerschuldverhältnisse kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

(2) Besteht der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Vertrag, ist die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Für die Entbehrlichkeit der Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und für die Entbehrlichkeit einer Abmahnung findet § 323 Absatz 2 Nummer 1 und 2 entsprechende Anwendung. Die Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und eine Abmahnung sind auch entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Kündigung rechtfertigen.

(3) Der Berechtigte kann nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat.

(4) Die Berechtigung, Schadensersatz zu verlangen, wird durch die Kündigung nicht ausgeschlossen.

*

(1) Erbringt bei einem gegenseitigen Vertrag der Schuldner eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß, so kann der Gläubiger, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat, vom Vertrag zurücktreten.

(2) Die Fristsetzung ist entbehrlich, wenn

1.
der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert,
2.
der Schuldner die Leistung bis zu einem im Vertrag bestimmten Termin oder innerhalb einer im Vertrag bestimmten Frist nicht bewirkt, obwohl die termin- oder fristgerechte Leistung nach einer Mitteilung des Gläubigers an den Schuldner vor Vertragsschluss oder auf Grund anderer den Vertragsabschluss begleitenden Umstände für den Gläubiger wesentlich ist, oder
3.
im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen.

(3) Kommt nach der Art der Pflichtverletzung eine Fristsetzung nicht in Betracht, so tritt an deren Stelle eine Abmahnung.

(4) Der Gläubiger kann bereits vor dem Eintritt der Fälligkeit der Leistung zurücktreten, wenn offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden.

(5) Hat der Schuldner eine Teilleistung bewirkt, so kann der Gläubiger vom ganzen Vertrag nur zurücktreten, wenn er an der Teilleistung kein Interesse hat. Hat der Schuldner die Leistung nicht vertragsgemäß bewirkt, so kann der Gläubiger vom Vertrag nicht zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist.

(6) Der Rücktritt ist ausgeschlossen, wenn der Gläubiger für den Umstand, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist oder wenn der vom Schuldner nicht zu vertretende Umstand zu einer Zeit eintritt, zu welcher der Gläubiger im Verzug der Annahme ist.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. Februar 2011 - 3 Sa 474/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit dreier fristloser, hilfsweise fristgerechter Kündigungen.

2

Der Kläger war bei der Beklagten seit 2005 als Chefarzt der Abteilung Allgemein- und Viszeralchirurgie beschäftigt.

3

In § 4 Abs. 1 des Dienstvertrags vom 18. April 2005 heißt es:

        

„Dem Arzt obliegt die Führung und fachliche Leitung seiner Abteilung und die fachliche Aufsicht über die Operationsabteilung. Er ist für die medizinische Versorgung der Patienten, den geordneten Dienstbetrieb und die allgemeine Hygiene verantwortlich …“

4

Gem. § 20 Abs. 3 des Vertrags kann dieser „nach Ablauf der Probezeit … fristlos gemäß § 626 BGB aus wichtigem Grund gekündigt werden“.

5

Wenn der Kläger Operationen durchführte, nahm er den schnurlosen Handapparat seines Diensttelefons und sein privates Mobiltelefon mit in den Operationssaal und legte dort beide Geräte auf den Ablagetisch. Das private Mobiltelefon war in der internen Telefonliste des Krankenhauses verzeichnet und dort mit einer Kurzwahlnummer hinterlegt.

6

Mit Schreiben vom 26. September 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger „aus wichtigem Grunde fristlos, hilfsweise zum nächstzulässigen ordentlichen Kündigungstermin“. Sie warf dem Kläger vor, er habe im Operationssaal häufiger Telefonanrufe angenommen oder während laufender Operationen von einem Mitglied des Operationsteams annehmen lassen. Mit Schreiben vom 14. und vom 22. Oktober 2008 kündigte die Beklagte erneut fristlos, hilfsweise fristgemäß.

7

Der Kläger hat gegen die Kündigungen rechtzeitig Klage erhoben. Er hat behauptet, im Krankenhaus der Beklagten sei die Nutzung von privaten Mobiltelefonen auch im Operationssaal allgemein üblich gewesen. Fast alle Anrufe während einer Operation seien als hausinterne auf dem Diensttelefon eingegangen und die übrigen nur deshalb auf seinem privaten Mobiltelefon, weil dieses in der internen Telefonliste des Krankenhauses aufgeführt sei. Die während einer Operation geführten Telefonate hätten sich erst in den Monaten Juli bis September 2008 gehäuft, weil seine Sekretärin erkrankt gewesen sei und ihm nur zu sehr eingeschränkten Zeiten eine Ersatzkraft zur Verfügung gestanden habe. Er habe für niedergelassene Ärzte jederzeit erreichbar sein müssen. Diesen habe er neben der Telefonnummer seines Sekretariats auch die seines privaten Mobiltelefons überlassen. Zu keiner Zeit sei ein Patient von ihm unsteril berührt worden. Zu einer zeitlichen Verzögerung von Operationen sei es nicht gekommen. Bei laufender Operation habe ihm ein anderes Mitglied des Operationsteams das Telefon an das Ohr gehalten. Im Übrigen führe selbst eine Verlängerung der Operation um wenige Minuten nicht zu einer Erhöhung der Komplikationsrate.

8

Der Kläger hat - soweit für die Revision noch von Belang - beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen vom 26. September, 14. Oktober und 22. Oktober 2008 weder fristlos noch zum jeweils nächst zulässigen Termin aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, schon die Kündigung vom 26. September 2008 sei als fristlose wirksam. Sie hat behauptet, der Kläger habe in zahlreichen Fällen Operationen zum Führen privater Telefonate unterbrochen. Insbesondere in den Monaten Juli, August und September 2008 habe er täglich mindestens ein Telefonat von bis zu fünf Minuten Länge geführt. Teilweise habe er den Operationssaal für die Dauer von deutlich mehr als fünf Minuten verlassen und dabei den noch nicht operierten Patienten zurückgelassen. Jede Verlängerung der Narkose bedeute für den Patienten eine erhebliche Belastung, die mit schwerwiegenden gesundheitlichen Risiken einhergehe.

10

Die Kündigung vom 14. Oktober 2008 beruhe darauf, dass der Kläger die Patienten auch in seiner Sprechstunde wegen privater Telefonate habe warten lassen. Im Jahr 2008 hätten zudem ca. 20 bis 25 Operationsberichte gefehlt. Ferner habe der Kläger bei der Landesärztekammer eine Weiterbildungsermächtigung unter Angabe falscher Daten beantragt. Die Kündigung vom 22. Oktober 2008 habe sie ausgesprochen, weil der Kläger die vorhergehende mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde zurückgewiesen habe.

11

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist unbegründet.

13

A. Das Arbeitsverhältnis ist nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 26. September 2008 aufgelöst worden.

14

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 13, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36).

15

1. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Rn. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349).

16

2. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22, NJW 2013, 104; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37). Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22, aaO; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35, aaO).

17

II. Danach ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das dem Kläger vorgeworfene Verhalten rechtfertige keine außerordentliche Kündigung, im Ergebnis nicht zu beanstanden.

18

1. Der Kläger hat allerdings seine Vertragspflichten in erheblicher Weise verletzt, indem er sein privates Mobiltelefon im Operationssaal auch zu privat veranlassten Telefonaten genutzt hat. Dies gilt auch angesichts des Umstands, dass die Beklagte Telefonate im Operationssaal keineswegs gänzlich und kategorisch untersagt hatte.

19

a) Nach § 4 Abs. 1 des Dienstvertrags obliegt dem Kläger die Führung und fachliche Leitung seiner Abteilung und die fachliche Aufsicht über die Operationsabteilung. Er ist für die medizinische Versorgung der Patienten, den geordneten Dienstbetrieb und die allgemeine Hygiene verantwortlich. Sowohl im Hinblick auf seine leitende Position als auch auf die gesteigerte Verantwortung für Leben und Gesundheit der Patienten während einer Operation trifft ihn danach die Verpflichtung, bei Ausführung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit Störungen, die die Konzentration aller Mitglieder des Operationsteams beeinträchtigen könnten und nicht durch Notfälle bedingt oder aus medizinischen Gründen erforderlich sind, zu vermeiden.

20

b) Diese Vertragspflicht hat der Kläger verletzt.

21

aa) Das Landesarbeitsgericht hat nach der Vernehmung von Zeugen für wahr erachtet, dass Mitglieder des Operationsteams auf Geheiß des Klägers während laufender Operationen Anrufe auch auf seinem privaten Mobiltelefon entgegengenommen und an ihn weitergeleitet haben. Der Kläger habe auf diesem etwa zwei bis drei Telefonate pro Vormittag für eine Dauer von teils wenigen Sekunden bis zu teils zwei Minuten geführt, teilweise bei offenem Operationsfeld. Insgesamt ein- oder zweimal sei seine Ehefrau am Apparat gewesen; den Umständen sei zu entnehmen gewesen, dass diese Telefonate rein privaten Charakter gehabt hätten.

22

bb) Die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts lässt keine Rechtsfehler erkennen. Sie hat den gesamten Inhalt der Verhandlung gewürdigt, ist in sich widerspruchsfrei sowie frei von Verstößen gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze.

23

(1) Das Gericht hätte entgegen der Auffassung des Klägers nicht deshalb Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen haben müssen, weil diese über Wartezeiten vor und Telefonate während laufender Operationen berichtet haben, ohne zu erwähnen, dass dies auch bei anderen Operateuren vorgekommen sei. Die Zeugen wurden zum Verhalten des Klägers und nicht zu den Üblichkeiten im Krankenhaus befragt.

24

(2) Das Ergebnis der Beweiswürdigung widerspricht - anders als der Kläger meint - nicht deshalb der Lebenserfahrung, weil dieser gar nicht befugt gewesen sei, die Entgegennahme privater Telefonate durch Mitglieder des Operationsteams anzuordnen. Es gibt keinen Erfahrungssatz dahin, dass ein Arbeitnehmer nur Aufgaben übernimmt, zu deren Übertragung der Anweisende berechtigt ist. Es erscheint keineswegs ausgeschlossen, dass sich Mitarbeiter eines Krankenhauses Anweisungen des Chefarztes aufgrund seiner hierarchischen Stellung weitgehend beugen.

25

(3) Das Landesarbeitsgericht hat keine wesentlichen Inhalte der Zeugenaussagen unberücksichtigt gelassen.

26

(a) Zwar hat die Beweisaufnahme ergeben, dass auch andere Operateure am Operationstisch telefonierten. Nach Aussage des betreffenden Zeugen erfolgte dies jedoch auf dem dienstlichen Handapparat. Das Landesarbeitsgericht musste hieraus nicht den Schluss ziehen, das Führen privat veranlasster Telefonate während laufender Operationen sei üblich.

27

(b) Der Umstand, dass ein Zeuge nach eigener Aussage ebenfalls sein privates Mobiltelefon in den Operationssaal mitgenommen hat, vermag den Kläger nicht zu entlasten. Der Aussage sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Beklagte dieses Verhalten geduldet hat.

28

cc) Das Vorbringen des Klägers, er habe während der Zeit der Krankheit seiner Sekretärin dienstliche Telefonate vermehrt selbst annehmen müssen, ist ohne Belang. Das Führen privat veranlasster Telefonate während laufender Operationen wird dadurch nicht gerechtfertigt.

29

dd) Soweit der Kläger geltend macht, die Nutzung von Mobiltelefonen bei Operationen sei gang und gäbe und habe sich im Sinne der Patientenversorgung sogar als vorteilhaft erwiesen, ist nicht ersichtlich, weshalb dies - die Richtigkeit des Vorliegens unterstellt - auch für private Telefonate gelten sollte.

30

2. Gleichwohl ist es der Beklagten zuzumuten, den Kläger weiterzubeschäftigen. Angesichts der Umstände des Streitfalls hätte eine Abmahnung als Reaktion von ihrer Seite ausgereicht. Das vermag der Senat selbst zu entscheiden.

31

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu. Eine eigene Beurteilung der Fallumstände und Abwägung der Interessen durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Ein solcher Fall liegt hier vor.

32

b) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, zwar habe es einer Abmahnung des Klägers nicht bedurft, im Rahmen der abschließenden Interessenabwägung überwiege jedoch das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist. Dem folgt der Senat nur im Ergebnis. Die Begründung des Landesarbeitsgerichts ist rechtsfehlerhaft. Sie berücksichtigt nicht ausreichend die Umstände des Streitfalls. Angesichts ihrer ist eine Abmahnung als Reaktion der Beklagten ausreichend.

33

aa) Bei der Beklagten besteht nicht etwa ein generelles Verbot, während einer Operation zu telefonieren. Vielmehr ist zwischen den Parteien unstreitig, dass dienstliche Telefonate während laufender Operationen von der Beklagten zumindest geduldet wurden. Dementsprechend hat sie die Mitnahme des Diensttelefons in den Operationssaal und dessen Benutzung durch den Kläger nicht beanstandet. Die Beklagte hat auch nicht behauptet, sie habe Vorgaben für das Telefonieren während einer Operation dahingehend gemacht, dass dies nur in Not- oder Ausnahmefällen gestattet sei. Sie hat damit jedenfalls für Fälle dienstlich veranlasster Telefonate billigend in Kauf genommen, dass die Konzentration der Mitglieder eines Operationsteams durch Telefonate beeinträchtigt würde, auch ohne dass ein Not- oder Ausnahmefall vorläge. Der Kläger durfte zwar nicht annehmen, die Beklagte dulde in gleicher Weise auch das Führen privater Telefonate während laufender Operationen. Sein vertragswidriges Verhalten erscheint unter diesen Umständen aber in einem deutlich milderen Licht. Mit privaten Telefonaten ist keine andere Beeinträchtigung der ärztlichen Konzentration und Gefahr für die Sterilität der Umgebung verbunden als mit dienstlich veranlassten. Sie erhöhen die fraglichen Risiken nur in quantitativer, nicht in qualitativer Hinsicht. Zahlenmäßig wiederum waren die privat veranlassten Gespräche eher unbedeutend. So hat das Landesarbeitsgericht zwar für wahr erachtet, dass pro Vormittag im Operationssaal zwei bis drei Anrufe in einer Länge von teils wenigen Sekunden bis zu teils zwei Minuten auf dem privaten Mobiltelefon des Klägers zusätzlich zu denen auf dem Arzttelefon eingingen. Es steht aber nicht einmal fest, dass es sich dabei ausnahmslos - und nicht nur in den wenigen ausdrücklich erwähnten Einzelfällen - um private Anrufe handelte. Da die Rufnummer des Mobiltelefons in der internen Telefonliste des Krankenhauses verzeichnet war, kann dies auch nicht ohne Weiteres vermutet werden. Zudem ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts weder die seitens der Beklagten vorgetragene - längere - Dauer der Telefonate von bis zu fünf Minuten noch ihre Behauptung erwiesen, der Kläger habe Operationen wegen privat - und gerade nicht dienstlich - veranlasster Telefongespräche unterbrochen.

34

bb) Unter diesen Umständen war vor Ausspruch einer auf die erhobenen Vorwürfe gestützten Kündigung eine Abmahnung des Klägers nicht entbehrlich. Weder gibt es Anhaltspunkte für die Annahme, eine Abmahnung hätte eine Änderung im Verhalten des Klägers in der Zukunft nicht bewirken können, noch wiegt dessen Pflichtverletzung - nicht nur dienstlich veranlasste, sondern auch einige private Telefongespräche aus dem Operationssaal geführt zu haben - so schwer, dass selbst ihre einmalige Hinnahme der Beklagten objektiv unzumutbar wäre. Etwas anderes folgt - entgegen der Auffassung der Revision - auch nicht daraus, dass der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme am 29. Mai 2008 verspätet zur Operation erschienen ist. Dies blieb ein vereinzelter Vorfall.

35

cc) Der Umstand, dass das Landesarbeitsgericht auf die mit dem Beweisbeschluss vom 2. Februar 2010 vorgesehene Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Verhaltensanforderungen des medizinischen Personals bei Operationen, zum Einfluss des Bereithaltens von Mobiltelefonen auf medizinisch-technische Geräte und zu den Gefahren einer Insterilität des Telefons verzichtet hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

36

(1) Das Landesarbeitsgericht war nicht deshalb zur Beweiserhebung verpflichtet, weil es den entsprechenden Beweisbeschluss erlassen hat. Ein förmlicher Beweisbeschluss ist eine bloß prozessleitende Anordnung. Er ist für das Gericht nicht bindend (Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 359 Rn. 1; Musielak/Stadler ZPO 9. Aufl. § 360 Rn. 2). Es kann vielmehr ganz oder teilweise von der Erledigung des Beschlusses absehen. Dessen formeller Aufhebung bedarf es dazu nicht. Es genügt, dass dies - wie hier geschehen - im Urteil begründet wird (Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 360 Rn. 1; Musielak/Stadler aaO).

37

(2) Die Rüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe jedenfalls aus materiellrechtlichen Gründen nicht von einer Einholung des Gutachtens absehen dürfen, ist bereits unzulässig. Sie genügt nicht den Anforderungen des § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO. Es fehlt an der Darlegung, welches Ergebnis das Gutachten voraussichtlich erbracht hätte und weshalb dieses Ergebnis zu einer anderen Entscheidung des Berufungsgerichts hätte führen können. Die Rüge ist überdies unbegründet. Auf die zunächst als erheblich angesehenen Beweisfragen kommt es für die Entscheidung nicht an. Die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung hängt nicht davon ab, ob und ggf. welche medizinisch relevanten Risiken mit der Benutzung von (Mobil-)Telefonen im Operationssaal und während laufender Operationen objektiv verbunden sind. Die Gerichte für Arbeitssachen haben im vorliegenden Zusammenhang nicht über die Einhaltung der Regeln der ärztlichen Kunst und der Hygiene im Hause der Beklagten zu urteilen. Zu entscheiden ist darüber, ob es der Beklagten unzumutbar ist, mit dem Kläger weiterhin zusammenzuarbeiten, weil dieser nicht nur dienstlich veranlasste Telefonate aus dem Operationssaal mit Arzt- und Mobiltelefon führte - was sie wusste und duldete -, sondern auch einige Privatgespräche. Dafür sind die im ursprünglichen Beweisbeschluss formulierten Fragen ohne Bedeutung.

38

B. Die Kündigung vom 26. September 2008 hat auch als ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Dafür kommt es nicht darauf an, ob die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung im Streitfall nicht ohnehin vertraglich ausgeschlossen war. Die Kündigung ist nicht iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Klägers bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, den Kläger weiterzubeschäftigen und auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

39

C. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist ebenso wenig durch die Kündigungen vom 14. und 22. Oktober 2008 beendet worden. Die Vorinstanzen haben angenommen, das ihrer Begründung dienende Vorbringen der Beklagten sei unsubstantiiert und stütze den Kündigungsvorwurf nicht. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Verfahrensrügen hat die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht erhoben.

40

D. Die Kosten ihres erfolglos gebliebenen Rechtsmittels hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    F. Löllgen    

        

    Bartz    

                 

(1) Das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters oder eines Angestellten (Arbeitnehmers) kann mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden.

(2) Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt die Kündigungsfrist, wenn das Arbeitsverhältnis in dem Betrieb oder Unternehmen

1.
zwei Jahre bestanden hat, einen Monat zum Ende eines Kalendermonats,
2.
fünf Jahre bestanden hat, zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
3.
acht Jahre bestanden hat, drei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
4.
zehn Jahre bestanden hat, vier Monate zum Ende eines Kalendermonats,
5.
zwölf Jahre bestanden hat, fünf Monate zum Ende eines Kalendermonats,
6.
15 Jahre bestanden hat, sechs Monate zum Ende eines Kalendermonats,
7.
20 Jahre bestanden hat, sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats.

(3) Während einer vereinbarten Probezeit, längstens für die Dauer von sechs Monaten, kann das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden.

(4) Von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Regelungen können durch Tarifvertrag vereinbart werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags gelten die abweichenden tarifvertraglichen Bestimmungen zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wenn ihre Anwendung zwischen ihnen vereinbart ist.

(5) Einzelvertraglich kann eine kürzere als die in Absatz 1 genannte Kündigungsfrist nur vereinbart werden,

1.
wenn ein Arbeitnehmer zur vorübergehenden Aushilfe eingestellt ist; dies gilt nicht, wenn das Arbeitsverhältnis über die Zeit von drei Monaten hinaus fortgesetzt wird;
2.
wenn der Arbeitgeber in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt und die Kündigungsfrist vier Wochen nicht unterschreitet.
Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen. Die einzelvertragliche Vereinbarung längerer als der in den Absätzen 1 bis 3 genannten Kündigungsfristen bleibt hiervon unberührt.

(6) Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer darf keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

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(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

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B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

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C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.