Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 23. Okt. 2015 - L 8 AL 4146/14
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 26.08.2014 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Gründe
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Urteil einreichenLandessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 23. Okt. 2015 - L 8 AL 4146/14 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
(1) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Dies gilt entsprechend, wenn der Antragsteller oder Leistungsberechtigte in anderer Weise absichtlich die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert.
(2) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung wegen Pflegebedürftigkeit, wegen Arbeitsunfähigkeit, wegen Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit, anerkannten Schädigungsfolgen oder wegen Arbeitslosigkeit beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 62 bis 65 nicht nach und ist unter Würdigung aller Umstände mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß deshalb die Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung, die Arbeits-, Erwerbs- oder Vermittlungsfähigkeit beeinträchtigt oder nicht verbessert wird, kann der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen.
(3) Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.
(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.
(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.
(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.
(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes
- 1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder - 2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.
(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.
(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.
(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.
Mehrere Klagebegehren können vom Kläger in einer Klage zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist.
Tenor
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Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. April 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
- 1
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Im Streit ist ein Anspruch des Klägers auf Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten nach § 2 Abs 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).
- 2
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Der 1966 geborene Kläger ist Beamter auf Lebenszeit. Seit 1992 ist er bei der Deutschen Telekom AG beschäftigt und seit November 2002 als Transfermitarbeiter bei der Personal-Service-Agentur Vivento, einer 100 %-igen Tochter der Deutschen Telekom AG, eingesetzt. Die Personal-Service-Agentur Vivento bietet Outsourcing und Projektmanagement an und vermittelt Fachpersonal zu Unternehmen und Behörden. Das zuständige Versorgungsamt stellte zugunsten des Klägers einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 ua wegen eines psychischen Leidens fest (Bescheid vom 8.6.2005; Widerspruchsbescheid vom 11.7.2005).
- 3
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Den Antrag des Klägers vom 26.8.2005, ihn mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 25.1.2006; Widerspruchsbescheid vom 1.12.2006). Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Mainz vom 30.6.2008; Urteil des Landessozialgerichts . Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dass der Kläger angesichts der Unkündbarkeit als Beamter auf Lebenszeit keiner Konkurrenzsituation ausgesetzt sei, die eine Gleichstellung mit Schwerbehinderten rechtfertige. Nur in Ausnahmefällen könnten auch Arbeitsplätze von Beamten auf Lebenszeit gefährdet sein, beispielsweise, wenn die Behörde aufgelöst werde oder der Dienstherr ein Verfahren auf Zur-Ruhe-Setzung wegen Dienstunfähigkeit einleite. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Arbeitsplatz des Klägers auch nur abstrakt gefährdet sei. Deshalb bedürfe die Frage, ob er rechtmäßig als Transfermitarbeiter eingesetzt werde, keiner abschließenden Beurteilung. Unerheblich sei auch, ob die Personal-Service-Agentur Vivento ggf erwäge, den Kläger an eine andere Organisationseinheit zu versetzen. Der Kläger sei durch seinen Beamtenstatus hinreichend gegen widerrechtliche Versetzungen und den Verlust eines amtsangemessenen Arbeitsplatzes geschützt.Rheinland-Pfalz vom 30.4.2009)
- 4
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Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX, der grundsätzlich auch auf Beamte Anwendung finde. Dies gelte jedenfalls in Fällen, in denen - wie hier - ein Beamter aus dem klassischen Beamtenverhältnis gezwungenermaßen heraustrete, ihm kein Dienstposten mehr zugewiesen und er aufgefordert werde, sich zu bewerben. Betroffene Beamte müssten vielfach auf den offenen Arbeitsmarkt ausweichen bzw sollten durch Transfergesellschaften wie Vivento dauerhaft vermittelt werden und gerieten so in eine dem Beamtenverhältnis untypische Konkurrenzsituation. Das LSG habe seinen Vortrag verfahrensfehlerhaft unberücksichtigt gelassen und hierdurch sein rechtliches Gehör verletzt.
- 5
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 25.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.12.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn einem Schwerbehinderten gleichzustellen.
- 6
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
- 7
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz
) . Es fehlen hinreichende tatsächliche Feststellungen (§ 163 SGG) zu den Voraussetzungen für eine Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX.
- 9
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Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 25.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.12.2006 (§ 95 SGG), gegen den sich der Kläger mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, § 56 SGG) wehrt.
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Nach § 2 Abs 3 SGB IX(in der Normfassung des SGB IX vom 19.6.2001 - BGBl I 1056) sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen(mit einem GdB von wenigstens 50; § 2 Abs 2 SGB IX) gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können. § 2 Abs 2 SGB IX knüpft die Schwerbehinderung an einen GdB von 50 sowie den Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder die rechtmäßige Beschäftigung iS des § 73 SGB IX im Geltungsbereich dieses Gesetzes.
- 11
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Zwar erfüllt der Kläger die persönlichen Voraussetzungen eines anerkannten GdB von 30 und des Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland; jedoch ist der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG nicht in der Lage zu beurteilen, ob der Kläger infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht (behalten oder) erlangen kann. Ein Anspruch des Klägers ist jedenfalls nicht schon mangels Gefährdung seines Arbeitsplatzes ausgeschlossen.
- 12
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Die Gleichstellung Beamter (oder anderer unkündbarer Arbeitnehmer) scheidet zunächst - wovon auch das LSG ausgeht - nicht generell wegen deren Unkündbarkeit aus. Dies zeigt schon der Wortlaut des § 2 Abs 3 SGB IX in seiner Bezugnahme auf § 73 SGB IX, der den Begriff des Arbeitsplatzes als Stelle definiert, auf der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden. Auch Sinn und Zweck der Gleichstellung lassen nicht den Schluss zu, dass Beamte nicht dem Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX unterfallen. Die Gleichstellung dient dazu, die ungünstige Konkurrenzsituation des Behinderten am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und somit den Arbeitsplatz sicherer zu machen oder seine Vermittlungschancen zu erhöhen (BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-2870 § 2 Nr 1 S 6 f). Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen zwei Alternativen, nämlich der Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes (Alternative 2) sowie der Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 73 SGB IX (Alternative 1), die kumulativ, aber auch nur alternativ vorliegen können(BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-3870 § 2 Nr 1 S 6 f).
- 13
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Die Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes dient dazu, bei einer Arbeitsplatzgefährdung den Arbeitsplatz sicherer zu machen. Deshalb bedarf es - wie das LSG zu Recht annimmt - einer besonderen Prüfung bei Personengruppen mit einem "sicheren Arbeitsplatz", wie bei Beamten, Richtern auf Lebenszeit und Arbeitnehmern mit besonderem Kündigungsschutz (Backendorf/Ritz in Bihr/Fuchs/Krauskopf/Ritz, SGB IX, 2006, § 68 RdNr 39). Bei diesen Personengruppen können die allgemeinen Voraussetzungen der Gleichstellung wegen Arbeitsplatzgefährdung zwar vorliegen, es bedarf aber einer besonderen Begründung, warum trotz Kündigungsschutz der Arbeitsplatz nachvollziehbar unsicherer ist als bei einem nichtbehinderten Kollegen. Dies ist bei einem Beamten beispielsweise der Fall, wenn behinderungsbedingt die Versetzung in den Ruhestand (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.5.2002 - L 9 AL 241/01; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.11.1995 - L 6 AR 159/94 -, ZfS 1996, 375 ff; Luthe in jurisPraxiskommentar SGB IX, 2010, § 2 RdNr 102; Backendorf/Ritz, aaO, RdNr 39) oder die behinderungsbedingte Versetzung oder Umsetzung auf einen anderen nicht gleichwertigen Arbeitsplatz droht (Backendorf/Ritz aaO; Luthe aaO). Einen Gleichstellungsanspruch wegen Arbeitsplatzgefährdung nehmen Rechtsprechung und Literatur daneben auch dann an, wenn die Behörde aufgelöst wird (LSG Nordrhein-Westfalen aaO; Luthe aaO; Cramer, Schwerbehindertengesetz, 5. Aufl 1998, § 2 RdNr 5), obwohl in einem solchen Fall der Arbeitsplatz nicht (nur) gefährdet ist, sondern tatsächlich wegfällt und auch nicht zu erkennen ist, weshalb bei der Auflösung einer Behörde der Arbeitsplatz nachvollziehbar unsicherer ist als bei einem nichtbehinderten Kollegen. Hier wäre - wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes - eher an eine Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten (neuen) Arbeitsplatzes zu denken (siehe dazu unten).
- 14
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Das LSG hat einen drohenden Verlust des Arbeitsplatzes bezogen auf die Tätigkeit als "Transfermitarbeiter" bei der Vivento im Hinblick auf die Unkündbarkeit des Klägers zwar pauschal und ohne nähere Begründung verneint. Der Kläger hatte seinen ursprünglichen Arbeitsplatz mit dem Wechsel in diese Gesellschaft, bei der er seit November 2002 eingesetzt und als "Transfermitarbeiter" geführt wird, allerdings bereits verloren. Das LSG hätte sich deshalb nicht mit der Prüfung der 2. Alternative des § 2 Abs 3 SGB IX (Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes) begnügen dürfen. Vielmehr hätte es auch bei Unkündbarkeit des Klägers prüfen müssen, ob wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls die Voraussetzungen der 1. Alternative des § 2 Abs 3 SGB IX (Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes) vorliegen. Solche besonderen Umstände liegen vor, wenn der ursprüngliche Arbeitsplatz eines Beamten nicht mehr existiert, sei es, weil die Behörde aufgelöst wurde, sei es aus anderen Gründen, und der Beamte in eine andere Beschäftigung oder Tätigkeit vermittelt werden soll und selbst eine solche Vermittlung - unabhängig von der Frage eines Anspruchs auf eine amtsangemessene Beschäftigung - wünscht. Ob der Beamtenstatus hinreichend gegen (widerrechtliche) Versetzungen und den Verlust eines amtsangemessenen Arbeitsplatzes schützt, ist dabei ohne Bedeutung. Die Freiheit, auch als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, kann nämlich nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Arbeitnehmern bei der Arbeitsuche schlechter gestellt wird.
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Ob eine derartige Fallgestaltung vorliegt, kann den Feststellungen des LSG nicht entnommen werden. Danach hat der Betriebsrat zwar auf Anfrage der Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger "Transfermitarbeiter" sei und versucht werde, ihn auf einen Dauerarbeitsplatz zu vermitteln, wobei Schwerbehinderte und mit Schwerbehinderten gleichgestellte Menschen bei gleicher Eignung bei allen Stellenbesetzungen bevorzugt würden. Eigene Feststellungen des LSG hierzu fehlen jedoch. Diese wird es ggf nachzuholen haben. Um den Vermittlungswunsch des Beamten zu belegen, ist dabei schon der Antrag, einem Schwerbehinderten gleichgestellt zu werden, ausreichend. Ihm kann insoweit indizielle Bedeutung beigemessen werden, ohne dass es einer ausdrücklichen Erklärung des Beamten oder einer Glaubhaftmachung hinsichtlich des Vermittlungswunsches bedarf. Ein Anspruch auf Gleichstellung kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn der Kläger "infolge" seiner Behinderung (Kausalität) bei wertender Betrachtung (im Sinne einer wesentlichen Bedingung) in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Nichtbehinderten in besonderer Weise beeinträchtigt und deshalb nur schwer vermittelbar ist. Entscheidendes Kriterium für die Gleichstellung ist deshalb die mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Behinderten wegen seiner Behinderung auf dem Arbeitsmarkt, und zwar auf dem Arbeitsmarkt insgesamt, nicht etwa nur bezogen auf einen bestimmten Arbeitsplatz (BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-3870 § 2 Nr 1 S 6 f). Aus der besonders geregelten und geschützten Stellung des Beamten resultiert kein mangelnder Bezug zum Arbeitsmarkt, wie schon § 73 SGB IX zeigt (siehe oben). Die Konkurrenzfähigkeit des Klägers misst sich dabei nicht allein an seiner früheren - bis 2002 oder in der Vivento ausgeübten - Tätigkeit und seinen beruflichen Wünschen, sondern auch an den Tätigkeiten, auf die etwaige Vermittlungsbemühungen erstreckt werden. Entsprechende Feststellungen wird das LSG ggf nachzuholen haben (zum maßgebenden Zeitpunkt für die Beurteilung einer Gleichstellung vgl BSG, aaO).
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Sollte das LSG eine mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Klägers im dargestellten Sinne feststellen, hat der Kläger einen Anspruch ("soll") auf die Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes. Sie hat zur Folge, dass der Gleichgestellte auf die Pflichtplatzquote des Arbeitgebers angerechnet wird. Für einen potenziellen Arbeitgeber wird auf diese Weise ein Anreiz geschaffen, den Arbeitslosen einzustellen. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie auch in anderen vergleichbaren Fällen - der Arbeitsagentur ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt der Arbeitsagentur nur dann die Möglichkeit zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Auch insoweit hat das LSG ggf entsprechende Feststellungen nachzuholen. Im Übrigen wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
(1) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Dies gilt entsprechend, wenn der Antragsteller oder Leistungsberechtigte in anderer Weise absichtlich die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert.
(2) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung wegen Pflegebedürftigkeit, wegen Arbeitsunfähigkeit, wegen Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit, anerkannten Schädigungsfolgen oder wegen Arbeitslosigkeit beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 62 bis 65 nicht nach und ist unter Würdigung aller Umstände mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß deshalb die Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung, die Arbeits-, Erwerbs- oder Vermittlungsfähigkeit beeinträchtigt oder nicht verbessert wird, kann der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen.
(3) Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.
(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
- 1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, - 2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, - 3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder - 4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.
(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.
(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
Tenor
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Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
-
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
- 1
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Streitig ist, ob die Klägerin gemäß § 2 Abs 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen ist.
- 2
-
Die 1982 geborene Klägerin ist seit September 2002 als Angestellte bei der J. (FHH) im mittleren Dienst vollzeitbeschäftigt. Bei ihr ist wegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa) seit 23.7.2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt.
- 3
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Am 24.9.2010 beantragte die Klägerin bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit (BA) die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Zwar sei ihr derzeitiges Beschäftigungsverhältnis unbefristet und ungekündigt. Auch könne sie ihre bisherige Tätigkeit ohne Einschränkung ausüben. Sie benötige die Gleichstellung aber, um ihre Vermittlungschancen für ein neues Arbeitsverhältnis bzw einen neuen Ausbildungsplatz zu verbessern. Im Juli 2009 bewarb sich die Klägerin bei der F. für eine Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin (gehobener Dienst). Nach erfolgreichem Vorstellungsgespräch bot ihr die F. zum 1.10.2009 die Einstellung unter dem Vorbehalt an, dass der personalärztliche Dienst diese befürworte. Später lehnte die F. die Einstellung ab (Bescheid vom 30.9.2009). Sie verwies auf ein Gutachten des ärztlichen Dienstes, wonach die Klägerin nicht über die für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf erforderliche gesundheitliche Eignung verfüge. Die Rechtsmittel der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid der F. sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid der FHH vom 27.9.2010; Urteil des Verwaltungsgerichts
Hamburg vom 11.1.2013 - 8 K 3007/10) . Das Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg (1 Bf 32/13) ist noch anhängig.
- 4
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Die Beklagte lehnte den Gleichstellungsantrag der Klägerin ab (Bescheid vom 18.10.2010) und wies den dagegen erhobenen Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 11.2.2011).
- 5
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Die Klägerin hat Klage zum Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und darauf verwiesen, Art 27 Abs 1 Lit e) und g) des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (BGBl 2008 II, S 1419; UN-Behindertenrechtskonvention, im Folgenden: UN-BRK) sei zu beachten. Danach habe sie als behinderter Mensch hinsichtlich ihres Berufs ein weitgehendes Wahlrecht; auch berufliche Aufstiegschancen seien zu berücksichtigen. Die Beklagte hat entgegnet, der berufliche Aufstieg könne nicht durch eine Gleichstellung gefördert werden. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.9.2012). Der Wunsch nach beruflichem Aufstieg falle nicht unter das "Erlangen" eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 2 Abs 3 SGB IX.
- 6
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Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen (Urteil vom 30.10.2013). Es müsse dem behinderten Menschen mittels Gleichstellung ermöglicht werden, einen Arbeitsplatz zu erlangen, der seinen beruflichen Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten entspreche. Die Freiheit, als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, dürfe nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Menschen bei der Gleichstellung schlechtergestellt werde.
- 7
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Die Beklagte rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision das Vorliegen eines Verfahrensfehlers. Das LSG habe den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des OVG Hamburg (1 Bf 32/13) wegen Übernahme in das Beamtenverhältnis aussetzen müssen. Die Entscheidung des OVG sei für die hier zu treffende Entscheidung präjudiziell. Zwar liege eine Aussetzung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen habe hier aber die Pflicht bestanden, den Rechtsstreit auszusetzen. Die Aussetzung sei auch geboten, weil das LSG die Beweise dahingehend gewürdigt habe, dass die Klägerin - jedenfalls nach Gleichstellung - gesundheitlich für eine Berufung in das Beamtenverhältnis geeignet sei. Die Beklagte rügt auch die Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX. Dessen Voraussetzungen seien nicht gegeben. Die Klägerin sei unbefristet auf einem geeigneten Arbeitsplatz beschäftigt. Sie begehre die Gleichstellung zum Zwecke der Förderung des beruflichen Aufstiegs. Die Gleichstellung könne nicht begehrt werden, um Diskriminierungen zu beseitigen, die durch die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung bei der Bewerbung um die Übernahme in ein (anderes) Beamtenverhältnis entstehen. Insofern sei bei öffentlichen Arbeitgebern ein besonderes Verständnis für Menschen mit Behinderung vorauszusetzen. Ein Anspruch auf Gleichstellung ergebe sich auch nicht aus der UN-BRK.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. September 2012 zurückzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
- 10
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Das LSG sei nicht zur Aussetzung des Rechtsstreits verpflichtet gewesen. Die Klägerin habe Anspruch auf Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX. Durch die Gleichstellung komme sie bei der Prüfung der Übernahme in das Anwärterverhältnis in den Genuss des Eignungsmaßstabs, der für schwerbehinderte Beamtenanwärter gelte. Diese Einstellungsvoraussetzungen könne sie erfüllen. Ohne Gleichstellung könne sie den für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen.
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Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten, über die der Senat nach erklärtem Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Sozialgerichtsgesetz
) , ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
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Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 18.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.2.2011, gegen den sich die Klägerin mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 56 SGG) wehrt (zur Klageart: BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4, RdNr 9; zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung dieser Klage vgl Senatsurteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R).
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1. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin durch feststellenden Verwaltungsakt einem behinderten Menschen gleichzustellen.
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Gemäß § 2 Abs 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können(zum Verfahren vgl § 68 Abs 2 S 1, § 69 SGB IX). Zu den Voraussetzungen einer Gleichstellung nach Maßgabe des § 2 Abs 3 SGB IX im Einzelnen wird auf die Parallelentscheidung des Senats vom 6.8.2014 (B 11 AL 16/13 R) verwiesen.
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Die Klägerin erstrebt die Gleichstellung, weil sie ohne diese den konkret angestrebten und für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann (Alt 1). Dagegen macht sie nicht geltend, den von ihr besetzten Arbeitsplatz behalten zu wollen (Alt 2), sodass hier nur Alt 1 der Vorschrift zu prüfen ist.
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2. a) Die Gleichstellung nach Maßgabe des Erlangungstatbestands (§ 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX) setzt voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will.
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Die Klägerin möchte einen Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen. Arbeitsplätze im Sinne der Vorschrift sind auch Stellen, auf denen Beamte und Beamtinnen sowie die zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellten beschäftigt werden. Der angestrebte Arbeitsplatz als Beamtin auf Widerruf im gehobenen Dienst der Steuerverwaltung erfüllt diese Voraussetzungen.
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Der Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) setzt weiter voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz anstrebt. Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung. Nach der zweiten Alternative des Gleichstellungstatbestands ("behalten können") hat eine Gleichstellung zu erfolgen, um dem behinderten Menschen das Behalten seines Arbeitsplatzes zu ermöglichen. Ziel dieser Regelung ist es, dass der behinderte Mensch den konkret von ihm besetzten und für ihn geeigneten Arbeitsplatz behalten kann. Auch für den Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) ist zu verlangen, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will. Dies ist schon geboten, um den Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX nicht zu überdehnen. Würde es genügen, dass es - abstrakt betrachtet - (irgendwelche) Arbeitsplätze gibt, für die der behinderte Mensch, der Gleichstellung bedürfte, um sie zu erlangen, wäre fast jeder behinderte Mensch mit GdB 30 oder 40 gleichzustellen. Denn der behinderte Mensch müsste nur Arbeitsplätze benennen, die er ohne Gleichstellung nicht erlangen kann.
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Auch im Wortlaut des § 2 Abs 3 iVm § 73 SGB IX ist eine Konkretisierung angelegt, wenn dort zur Voraussetzung erhoben wird, dass der behinderte Mensch kausal durch die Behinderung "einen" für ihn geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Weder die Frage der Kausalität noch die Frage der Eignung des Arbeitsplatzes kann abstrakt und allgemein für alle denkbaren Arbeitsplätze geprüft werden.
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Schließlich spricht der Zweck der Regelung, die Sicherung oder Herstellung von Teilhabe am Arbeitsleben, für diese Auslegung. Die Vorschrift will - wie das LSG zutreffend herausgearbeitet hat - damit auch die Freiheit der Berufswahl des behinderten Menschen schützen. Das Grundrecht aus Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) will diese Freiheit ua objektivrechtlich gewährleisten (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG 12. Aufl 2012, Vorb vor Art 1 RdNr 3 mwN). Auch Art 27 Abs 1 S 2 Lit a und e UN-BRK und Art 21, 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geben (EUGrdRCh) Hinweise zur Auslegung des § 2 Abs 3 SGB IX, denn nach diesen völkerrechtlichen und supranationalen Normen ist ein diskriminierungsfreier Zustand anzustreben. Dieser ist nicht bereits dadurch hergestellt, dass ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, vielmehr muss auch der Zugang zu anderen bzw der Wechsel von Berufsfeldern diskriminierungsfrei ermöglicht werden (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
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Andererseits knüpfen die Voraussetzungen der Gleichstellung nicht an einer abstrakten Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben an, sondern schützen das Erlangen von bestimmten Arbeitsplätzen (zu Alt 2 Bayerisches LSG Urteil vom 15.2.2001 - L 9 AL 381/99 - Juris RdNr 22; Bayerisches LSG Urteil vom 18.12.2013 - L 10 AL 104/11; aA Luthe in jurisPK-SGB IX, § 2 SGB IX RdNr 100 f). § 2 Abs 3 SGB IX versteht die angestrebte Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben also konkret.
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Die Tatsache, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz inne hat, steht dem Anspruch auf Gleichstellung zur Erlangung eines (anderen) Arbeitsplatzes nicht entgegen. Zwar bedarf die Klägerin keiner Gleichstellung, um ihren bisherigen Arbeitsplatz behalten zu können. Das Behalten des Arbeitsplatzes will sie mit diesem Rechtsstreit auch nicht erreichen. Sie möchte vielmehr (nur) einen neuen Arbeitsplatz erlangen. Hierauf hat sie ihr Begehren in zulässiger Weise beschränkt (BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4). Die Alternative 1 des § 2 Abs 3 SGB IX setzt aber schon seinem Wortlaut nach nur voraus, dass der behinderte Mensch ohne Gleichstellung einen Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Die Vorschrift hat nicht zur weiteren Voraussetzung, dass ein Antragsteller ohne Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz innehat.
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Das Recht auf Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes haben nicht nur arbeitslose behinderte Menschen, sondern auch behinderte Menschen, die sich beruflich verändern wollen. Denn ein diskriminierungsfreier Zustand ist nach Art 21 und Art 26 EUGrdRCh nicht bereits dann hergestellt, wenn ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, die regelmäßig im Beamtenverhältnis ausgeübt wird; vielmehr müssen Gesetzgeber und Dienstherr die Voraussetzungen zum Zugang zum Beamtenverhältnis in der Weise modifizieren, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausübung der entsprechenden Tätigkeit gerade im Beamtenverhältnis ermöglicht wird (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; Hessisches LSG Urteil vom 19.6.2013 - L 6 AL 116/12 - Juris).
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b) Die Klägerin erfüllt die genannten Voraussetzungen.
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Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine Gleichstellung, denn sie hat sowohl ihren Wohnsitz als auch ihren Arbeitsplatz im Inland. Bei ihr ist ein GdB von 30 festgestellt. Sie möchte einen konkreten Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen, nämlich den einer Beamtin auf Widerruf bei der Finanzbehörde FHH für die Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin.
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Der angestrebte Arbeitsplatz ist für die Klägerin geeignet. Das LSG hat die Geeignetheit des angestrebten Arbeitsplatzes festgestellt, ohne dass die Beteiligten insoweit Verfahrensrügen erhoben hätten. Nachdem die Klägerin schon bisher die Anforderungen einer Vollzeittätigkeit auf einem Büroarbeitsplatz erfüllte, bestehen auch keine Zweifel, dass die angestrebte Tätigkeit für sie geeignet ist, sie also gesundheitlich auf Dauer nicht überfordert.
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Sie bedarf kausal wegen ihrer Behinderung der Gleichstellung, um den konkreten Arbeitsplatz erlangen zu können. Ohne die behinderungsbedingten Einschränkungen wäre sie für den angestrebten Arbeitsplatz eingestellt worden. Es spricht auch viel dafür, dass sie nach erfolgter Gleichstellung die gesundheitlichen Anforderungen für die Einstellung von Beamtinnen auf Widerruf erfüllen wird.
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Die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung von Bewerbern für das Beamtenverhältnis hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) jüngst konkretisiert. Danach erfüllt ein Beamtenbewerber die Voraussetzung der gesundheitlichen Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze Dienstunfähigkeit eintritt (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244). Das BVerwG hat damit die zuvor geltenden Anforderungen zwar gelockert, es hält aber weitere Modifikationen der Eignungsanforderungen für Bewerber, die weder schwerbehindert noch schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind, verfassungsrechtlich nicht für geboten (BVerwG aaO - Juris RdNr 34 f).
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Erfüllen Bewerber diese gesundheitlichen Anforderungen nicht, können sie in der FHH einen Arbeitsplatz im Beamtenverhältnis nur erlangen, wenn sie schwerbehindert sind oder schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Denn für diese Personengruppen bestimmt das hier einschlägige und vom LSG festgestellte Landesrecht (§ 9 Abs 5 S 3 der Verordnung über die Laufbahnen der hamburgischen Beamtinnen und Beamten vom 22.12.2009; HmbGVBl 2009, 511), dass von gleichgestellten Personen nur ein geringeres Maß körperlicher Eignung verlangt werden darf. Danach erfüllen schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Personen die gesundheitlichen Anforderungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis, wenn für etwa zehn Jahre eine höhere Wahrscheinlichkeit als 50 vH dafür spricht, dass der Beamte dienstfähig bleibt und in diesem Zeitraum keine krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als etwa zwei Monaten pro Jahr auftreten werden. Die Wahrscheinlichkeit einer einmaligen, längeren Ausfallzeit steht einer positiven Prognose nicht entgegen (vgl auch Hamburgisches OVG Urteil vom 26.9.2008 - 1 Bf 19/08, bestätigt durch BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris).
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Ob die Klägerin ohne Anerkennung einer Gleichstellung die Einstellungsanforderungen für Arbeitsplätze von Beamten im gehobenen Dienst erfüllt, wie sie das BVerwG formuliert hat (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244), erscheint fraglich. Die Entscheidung hierüber obliegt nicht dem Senat, sondern ist von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit in deren Zuständigkeit zu treffen. Bislang hat die Klägerin eine positive Entscheidung über ihre Einstellung jedenfalls nicht erlangt.
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Nach aktuellem Sachstand hat die Klägerin infolge der Behinderung einen Wettbewerbsnachteil; denn sie kann aufgrund ihrer Behinderung den angestrebten Arbeitsplatz nicht erlangen. Dieser Nachteil kann durch die Gleichstellung ausgeglichen werden; denn das LSG hat festgestellt, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz erlangen möchte und diesen (bisher) "infolge" ihrer Behinderung nicht erlangen kann. Dies genügt, um einen Anspruch auf Gleichstellung zu bejahen.
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Die Sorge der Beklagten, dass eine Gleichstellung in Fällen der vorliegenden Art zu einer Konturlosigkeit und Ausuferung der Gleichstellung führen würde, vermag der Senat nur bedingt zu teilen. Einerseits hat der Gleichstellungsanspruch nach § 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX eine Reihe von Voraussetzungen, die insbesondere im Parallelverfahren erläutert wurden(BSG Urteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R). Wenn die Beklagte trotz dieser Anforderungen künftig eine größere Zahl an Gleichstellungen vornehmen müsste, als dies bisher der Fall war, ist dies eine Folge der im Bundesrecht, aber auch im supranationalen Recht und Völkerrecht angelegten und ins Bundesrecht übernommenen Förderung der Teilhabe und Beseitigung der Diskriminierung von behinderten Menschen (vgl § 1 SGB IX).
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c) Ein Anspruch auf Gleichstellung scheitert schließlich nicht daran, dass die Beklagte über die Gleichstellung grundsätzlich nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie in anderen vergleichbaren Fällen - der BA ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt ihr nur dann die Möglichkeit, zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung zu gelangen, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Sofern ein solcher - wie hier - nicht vorliegt, ist die BA zur Gleichstellung verpflichtet (BSG Urteil vom 2.3.2000 - B 7 AL 46/99 R; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
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3. Die Verfahrensrüge der Beklagten ist unzulässig, weil die ihr zugrunde liegenden Tatsachen nicht in der nach § 164 Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise aufzeigt wurden.
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Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 S 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 19 mwN). Daran fehlt es hier.
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Es ist schon fraglich, ob die Beklagte eine Pflicht zur Aussetzung des Rechtsstreits hinreichend aufgezeigt hat. Zwar kann das Ermessen des Gerichts, einen Rechtsstreit auszusetzen, auf diese Entscheidung hin reduziert sein (zB BSG Beschluss vom 19.7.2006 - B 11a AL 7/06 B). Die Beklagte hat aber nicht dargetan, dass die Voraussetzungen der Aussetzung nach § 114 Abs 2 S 1 SGG vorlagen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Entscheidung des LSG von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhinge, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits - hier desjenigen beim OVG - bildete.
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Zwar entscheidet das OVG (irgendwann) über den Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis. Inwieweit die Entscheidung des LSG über die Gleichstellung von dem Ausgang des Rechtsstreits beim OVG abhängt, ist in der Revisionsbegründung nicht herausgearbeitet worden. Insoweit trifft zwar zu, dass sich der Rechtsstreit wegen Gleichstellung auf sonstige Weise hätte erledigen können, wenn die Klägerin dort die Einstellung auf den begehrten Arbeitsplatz erlangt hätte. Schon dies ist aber nicht zwingend. Würde das OVG die Einstellung dagegen ablehnen oder die potentielle Arbeitgeberin zu einer neuen Entscheidung über die Einstellung verpflichten, wäre für diesen Rechtsstreit weder positiv noch negativ etwas entschieden.
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Im Gegenteil könnte auch argumentiert werden, dass die Entscheidung dieses Rechtsstreits für denjenigen beim OVG präjudiziell ist, weil die Prüfung der gesundheitlichen Eignung der Bewerberin für die Stelle einer Beamtin auf Widerruf sich nach anderen beamtenrechtlichen Maßstäben richtet, wenn die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wäre (vgl BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris; BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244).
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Die Beklagte hat auch nicht aufgezeigt, dass die Entscheidung des LSG auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann (zu dieser Anforderung: Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 12c). Dabei muss deutlich werden, dass der Verfahrensfehler den Inhalt der Entscheidung beeinflusst hat (BSG Beschluss vom 7.7.2009 - B 11 AL 108/08 B). Daran fehlt es, wenn die Beklagte lediglich behauptet, das LSG hätte den Rechtsstreit aussetzen müssen. Dass und inwieweit die unterlassene Aussetzung die Sachentscheidung beeinflusst haben könnte, wird nicht dargetan.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 Abs 1 SGG.
Tenor
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Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. April 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Im Streit ist ein Anspruch des Klägers auf Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten nach § 2 Abs 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).
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Der 1966 geborene Kläger ist Beamter auf Lebenszeit. Seit 1992 ist er bei der Deutschen Telekom AG beschäftigt und seit November 2002 als Transfermitarbeiter bei der Personal-Service-Agentur Vivento, einer 100 %-igen Tochter der Deutschen Telekom AG, eingesetzt. Die Personal-Service-Agentur Vivento bietet Outsourcing und Projektmanagement an und vermittelt Fachpersonal zu Unternehmen und Behörden. Das zuständige Versorgungsamt stellte zugunsten des Klägers einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 ua wegen eines psychischen Leidens fest (Bescheid vom 8.6.2005; Widerspruchsbescheid vom 11.7.2005).
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Den Antrag des Klägers vom 26.8.2005, ihn mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 25.1.2006; Widerspruchsbescheid vom 1.12.2006). Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Mainz vom 30.6.2008; Urteil des Landessozialgerichts . Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dass der Kläger angesichts der Unkündbarkeit als Beamter auf Lebenszeit keiner Konkurrenzsituation ausgesetzt sei, die eine Gleichstellung mit Schwerbehinderten rechtfertige. Nur in Ausnahmefällen könnten auch Arbeitsplätze von Beamten auf Lebenszeit gefährdet sein, beispielsweise, wenn die Behörde aufgelöst werde oder der Dienstherr ein Verfahren auf Zur-Ruhe-Setzung wegen Dienstunfähigkeit einleite. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Arbeitsplatz des Klägers auch nur abstrakt gefährdet sei. Deshalb bedürfe die Frage, ob er rechtmäßig als Transfermitarbeiter eingesetzt werde, keiner abschließenden Beurteilung. Unerheblich sei auch, ob die Personal-Service-Agentur Vivento ggf erwäge, den Kläger an eine andere Organisationseinheit zu versetzen. Der Kläger sei durch seinen Beamtenstatus hinreichend gegen widerrechtliche Versetzungen und den Verlust eines amtsangemessenen Arbeitsplatzes geschützt.Rheinland-Pfalz vom 30.4.2009)
- 4
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Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX, der grundsätzlich auch auf Beamte Anwendung finde. Dies gelte jedenfalls in Fällen, in denen - wie hier - ein Beamter aus dem klassischen Beamtenverhältnis gezwungenermaßen heraustrete, ihm kein Dienstposten mehr zugewiesen und er aufgefordert werde, sich zu bewerben. Betroffene Beamte müssten vielfach auf den offenen Arbeitsmarkt ausweichen bzw sollten durch Transfergesellschaften wie Vivento dauerhaft vermittelt werden und gerieten so in eine dem Beamtenverhältnis untypische Konkurrenzsituation. Das LSG habe seinen Vortrag verfahrensfehlerhaft unberücksichtigt gelassen und hierdurch sein rechtliches Gehör verletzt.
- 5
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 25.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.12.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn einem Schwerbehinderten gleichzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz
) . Es fehlen hinreichende tatsächliche Feststellungen (§ 163 SGG) zu den Voraussetzungen für eine Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX.
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Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 25.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.12.2006 (§ 95 SGG), gegen den sich der Kläger mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, § 56 SGG) wehrt.
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Nach § 2 Abs 3 SGB IX(in der Normfassung des SGB IX vom 19.6.2001 - BGBl I 1056) sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen(mit einem GdB von wenigstens 50; § 2 Abs 2 SGB IX) gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können. § 2 Abs 2 SGB IX knüpft die Schwerbehinderung an einen GdB von 50 sowie den Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder die rechtmäßige Beschäftigung iS des § 73 SGB IX im Geltungsbereich dieses Gesetzes.
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Zwar erfüllt der Kläger die persönlichen Voraussetzungen eines anerkannten GdB von 30 und des Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland; jedoch ist der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG nicht in der Lage zu beurteilen, ob der Kläger infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht (behalten oder) erlangen kann. Ein Anspruch des Klägers ist jedenfalls nicht schon mangels Gefährdung seines Arbeitsplatzes ausgeschlossen.
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Die Gleichstellung Beamter (oder anderer unkündbarer Arbeitnehmer) scheidet zunächst - wovon auch das LSG ausgeht - nicht generell wegen deren Unkündbarkeit aus. Dies zeigt schon der Wortlaut des § 2 Abs 3 SGB IX in seiner Bezugnahme auf § 73 SGB IX, der den Begriff des Arbeitsplatzes als Stelle definiert, auf der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden. Auch Sinn und Zweck der Gleichstellung lassen nicht den Schluss zu, dass Beamte nicht dem Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX unterfallen. Die Gleichstellung dient dazu, die ungünstige Konkurrenzsituation des Behinderten am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und somit den Arbeitsplatz sicherer zu machen oder seine Vermittlungschancen zu erhöhen (BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-2870 § 2 Nr 1 S 6 f). Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen zwei Alternativen, nämlich der Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes (Alternative 2) sowie der Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 73 SGB IX (Alternative 1), die kumulativ, aber auch nur alternativ vorliegen können(BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-3870 § 2 Nr 1 S 6 f).
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Die Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes dient dazu, bei einer Arbeitsplatzgefährdung den Arbeitsplatz sicherer zu machen. Deshalb bedarf es - wie das LSG zu Recht annimmt - einer besonderen Prüfung bei Personengruppen mit einem "sicheren Arbeitsplatz", wie bei Beamten, Richtern auf Lebenszeit und Arbeitnehmern mit besonderem Kündigungsschutz (Backendorf/Ritz in Bihr/Fuchs/Krauskopf/Ritz, SGB IX, 2006, § 68 RdNr 39). Bei diesen Personengruppen können die allgemeinen Voraussetzungen der Gleichstellung wegen Arbeitsplatzgefährdung zwar vorliegen, es bedarf aber einer besonderen Begründung, warum trotz Kündigungsschutz der Arbeitsplatz nachvollziehbar unsicherer ist als bei einem nichtbehinderten Kollegen. Dies ist bei einem Beamten beispielsweise der Fall, wenn behinderungsbedingt die Versetzung in den Ruhestand (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.5.2002 - L 9 AL 241/01; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.11.1995 - L 6 AR 159/94 -, ZfS 1996, 375 ff; Luthe in jurisPraxiskommentar SGB IX, 2010, § 2 RdNr 102; Backendorf/Ritz, aaO, RdNr 39) oder die behinderungsbedingte Versetzung oder Umsetzung auf einen anderen nicht gleichwertigen Arbeitsplatz droht (Backendorf/Ritz aaO; Luthe aaO). Einen Gleichstellungsanspruch wegen Arbeitsplatzgefährdung nehmen Rechtsprechung und Literatur daneben auch dann an, wenn die Behörde aufgelöst wird (LSG Nordrhein-Westfalen aaO; Luthe aaO; Cramer, Schwerbehindertengesetz, 5. Aufl 1998, § 2 RdNr 5), obwohl in einem solchen Fall der Arbeitsplatz nicht (nur) gefährdet ist, sondern tatsächlich wegfällt und auch nicht zu erkennen ist, weshalb bei der Auflösung einer Behörde der Arbeitsplatz nachvollziehbar unsicherer ist als bei einem nichtbehinderten Kollegen. Hier wäre - wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes - eher an eine Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten (neuen) Arbeitsplatzes zu denken (siehe dazu unten).
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Das LSG hat einen drohenden Verlust des Arbeitsplatzes bezogen auf die Tätigkeit als "Transfermitarbeiter" bei der Vivento im Hinblick auf die Unkündbarkeit des Klägers zwar pauschal und ohne nähere Begründung verneint. Der Kläger hatte seinen ursprünglichen Arbeitsplatz mit dem Wechsel in diese Gesellschaft, bei der er seit November 2002 eingesetzt und als "Transfermitarbeiter" geführt wird, allerdings bereits verloren. Das LSG hätte sich deshalb nicht mit der Prüfung der 2. Alternative des § 2 Abs 3 SGB IX (Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes) begnügen dürfen. Vielmehr hätte es auch bei Unkündbarkeit des Klägers prüfen müssen, ob wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls die Voraussetzungen der 1. Alternative des § 2 Abs 3 SGB IX (Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes) vorliegen. Solche besonderen Umstände liegen vor, wenn der ursprüngliche Arbeitsplatz eines Beamten nicht mehr existiert, sei es, weil die Behörde aufgelöst wurde, sei es aus anderen Gründen, und der Beamte in eine andere Beschäftigung oder Tätigkeit vermittelt werden soll und selbst eine solche Vermittlung - unabhängig von der Frage eines Anspruchs auf eine amtsangemessene Beschäftigung - wünscht. Ob der Beamtenstatus hinreichend gegen (widerrechtliche) Versetzungen und den Verlust eines amtsangemessenen Arbeitsplatzes schützt, ist dabei ohne Bedeutung. Die Freiheit, auch als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, kann nämlich nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Arbeitnehmern bei der Arbeitsuche schlechter gestellt wird.
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Ob eine derartige Fallgestaltung vorliegt, kann den Feststellungen des LSG nicht entnommen werden. Danach hat der Betriebsrat zwar auf Anfrage der Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger "Transfermitarbeiter" sei und versucht werde, ihn auf einen Dauerarbeitsplatz zu vermitteln, wobei Schwerbehinderte und mit Schwerbehinderten gleichgestellte Menschen bei gleicher Eignung bei allen Stellenbesetzungen bevorzugt würden. Eigene Feststellungen des LSG hierzu fehlen jedoch. Diese wird es ggf nachzuholen haben. Um den Vermittlungswunsch des Beamten zu belegen, ist dabei schon der Antrag, einem Schwerbehinderten gleichgestellt zu werden, ausreichend. Ihm kann insoweit indizielle Bedeutung beigemessen werden, ohne dass es einer ausdrücklichen Erklärung des Beamten oder einer Glaubhaftmachung hinsichtlich des Vermittlungswunsches bedarf. Ein Anspruch auf Gleichstellung kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn der Kläger "infolge" seiner Behinderung (Kausalität) bei wertender Betrachtung (im Sinne einer wesentlichen Bedingung) in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Nichtbehinderten in besonderer Weise beeinträchtigt und deshalb nur schwer vermittelbar ist. Entscheidendes Kriterium für die Gleichstellung ist deshalb die mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Behinderten wegen seiner Behinderung auf dem Arbeitsmarkt, und zwar auf dem Arbeitsmarkt insgesamt, nicht etwa nur bezogen auf einen bestimmten Arbeitsplatz (BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-3870 § 2 Nr 1 S 6 f). Aus der besonders geregelten und geschützten Stellung des Beamten resultiert kein mangelnder Bezug zum Arbeitsmarkt, wie schon § 73 SGB IX zeigt (siehe oben). Die Konkurrenzfähigkeit des Klägers misst sich dabei nicht allein an seiner früheren - bis 2002 oder in der Vivento ausgeübten - Tätigkeit und seinen beruflichen Wünschen, sondern auch an den Tätigkeiten, auf die etwaige Vermittlungsbemühungen erstreckt werden. Entsprechende Feststellungen wird das LSG ggf nachzuholen haben (zum maßgebenden Zeitpunkt für die Beurteilung einer Gleichstellung vgl BSG, aaO).
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Sollte das LSG eine mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Klägers im dargestellten Sinne feststellen, hat der Kläger einen Anspruch ("soll") auf die Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes. Sie hat zur Folge, dass der Gleichgestellte auf die Pflichtplatzquote des Arbeitgebers angerechnet wird. Für einen potenziellen Arbeitgeber wird auf diese Weise ein Anreiz geschaffen, den Arbeitslosen einzustellen. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie auch in anderen vergleichbaren Fällen - der Arbeitsagentur ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt der Arbeitsagentur nur dann die Möglichkeit zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Auch insoweit hat das LSG ggf entsprechende Feststellungen nachzuholen. Im Übrigen wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
(1) Als Reisekosten werden die erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten übernommen, die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben stehen. Zu den Reisekosten gehören auch die Kosten
- 1.
für besondere Beförderungsmittel, deren Inanspruchnahme wegen der Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist, - 2.
für eine wegen der Behinderung erforderliche Begleitperson einschließlich des für die Zeit der Begleitung entstehenden Verdienstausfalls, - 3.
für Kinder, deren Mitnahme an den Rehabilitationsort erforderlich ist, weil ihre anderweitige Betreuung nicht sichergestellt ist sowie - 4.
für den erforderlichen Gepäcktransport.
(2) Während der Ausführung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden im Regelfall auch Reisekosten für zwei Familienheimfahrten je Monat übernommen. Anstelle der Kosten für die Familienheimfahrten können für Fahrten von Angehörigen vom Wohnort zum Aufenthaltsort der Leistungsempfänger und zurück Reisekosten übernommen werden.
(3) Reisekosten nach Absatz 2 werden auch im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation übernommen, wenn die Leistungen länger als acht Wochen erbracht werden.
(4) Fahrkosten werden in Höhe des Betrages zugrunde gelegt, der bei Benutzung eines regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittels der niedrigsten Beförderungsklasse des zweckmäßigsten öffentlichen Verkehrsmittels zu zahlen ist, bei Benutzung sonstiger Verkehrsmittel in Höhe der Wegstreckenentschädigung nach § 5 Absatz 1 des Bundesreisekostengesetzes. Bei Fahrpreiserhöhungen, die nicht geringfügig sind, hat auf Antrag des Leistungsempfängers eine Anpassung der Fahrkostenentschädigung zu erfolgen, wenn die Maßnahme noch mindestens zwei weitere Monate andauert. Kosten für Pendelfahrten können nur bis zur Höhe des Betrages übernommen werden, der unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Behinderung bei einer zumutbaren auswärtigen Unterbringung für Unterbringung und Verpflegung zu leisten wäre.
(1) Für die Berechnung des Übergangsgeldes während des Bezuges von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden 65 Prozent eines fiktiven Arbeitsentgelts zugrunde gelegt, wenn
- 1.
die Berechnung nach den §§ 66 und 67 zu einem geringeren Betrag führt, - 2.
Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen nicht erzielt worden ist oder - 3.
der letzte Tag des Bemessungszeitraums bei Beginn der Leistungen länger als drei Jahre zurückliegt.
(2) Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist der Leistungsempfänger der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die seiner beruflichen Qualifikation entspricht. Dafür gilt folgende Zuordnung:
- 1.
für eine Hochschul- oder Fachhochschulausbildung (Qualifikationsgruppe 1) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertstel der Bezugsgröße, - 2.
für einen Fachschulabschluss, den Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meisterin oder Meister oder einen Abschluss in einer vergleichbaren Einrichtung (Qualifikationsgruppe 2) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertsechzigstel der Bezugsgröße, - 3.
für eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf (Qualifikationsgruppe 3) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Vierhundertfünfzigstel der Bezugsgröße und - 4.
bei einer fehlenden Ausbildung (Qualifikationsgruppe 4) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Sechshundertstel der Bezugsgröße, mindestens jedoch ein Arbeitsentgelt in Höhe des Betrages, der sich ergibt, wenn der Mindestlohn je Zeitstunde nach § 1 Absatz 2 Satz 1 des Mindestlohngesetzes in Verbindung mit der auf der Grundlage des § 11 Absatz 1 Satz 1 des Mindestlohngesetzes jeweils erlassenen Verordnung mit einem Siebtel der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, die für Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst des Bundes gilt, vervielfacht wird.
Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.
(1) Als Reisekosten werden die erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten übernommen, die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben stehen. Zu den Reisekosten gehören auch die Kosten
- 1.
für besondere Beförderungsmittel, deren Inanspruchnahme wegen der Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist, - 2.
für eine wegen der Behinderung erforderliche Begleitperson einschließlich des für die Zeit der Begleitung entstehenden Verdienstausfalls, - 3.
für Kinder, deren Mitnahme an den Rehabilitationsort erforderlich ist, weil ihre anderweitige Betreuung nicht sichergestellt ist sowie - 4.
für den erforderlichen Gepäcktransport.
(2) Während der Ausführung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden im Regelfall auch Reisekosten für zwei Familienheimfahrten je Monat übernommen. Anstelle der Kosten für die Familienheimfahrten können für Fahrten von Angehörigen vom Wohnort zum Aufenthaltsort der Leistungsempfänger und zurück Reisekosten übernommen werden.
(3) Reisekosten nach Absatz 2 werden auch im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation übernommen, wenn die Leistungen länger als acht Wochen erbracht werden.
(4) Fahrkosten werden in Höhe des Betrages zugrunde gelegt, der bei Benutzung eines regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittels der niedrigsten Beförderungsklasse des zweckmäßigsten öffentlichen Verkehrsmittels zu zahlen ist, bei Benutzung sonstiger Verkehrsmittel in Höhe der Wegstreckenentschädigung nach § 5 Absatz 1 des Bundesreisekostengesetzes. Bei Fahrpreiserhöhungen, die nicht geringfügig sind, hat auf Antrag des Leistungsempfängers eine Anpassung der Fahrkostenentschädigung zu erfolgen, wenn die Maßnahme noch mindestens zwei weitere Monate andauert. Kosten für Pendelfahrten können nur bis zur Höhe des Betrages übernommen werden, der unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Behinderung bei einer zumutbaren auswärtigen Unterbringung für Unterbringung und Verpflegung zu leisten wäre.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
(1) Als Reisekosten werden die erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten übernommen, die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben stehen. Zu den Reisekosten gehören auch die Kosten
- 1.
für besondere Beförderungsmittel, deren Inanspruchnahme wegen der Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist, - 2.
für eine wegen der Behinderung erforderliche Begleitperson einschließlich des für die Zeit der Begleitung entstehenden Verdienstausfalls, - 3.
für Kinder, deren Mitnahme an den Rehabilitationsort erforderlich ist, weil ihre anderweitige Betreuung nicht sichergestellt ist sowie - 4.
für den erforderlichen Gepäcktransport.
(2) Während der Ausführung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden im Regelfall auch Reisekosten für zwei Familienheimfahrten je Monat übernommen. Anstelle der Kosten für die Familienheimfahrten können für Fahrten von Angehörigen vom Wohnort zum Aufenthaltsort der Leistungsempfänger und zurück Reisekosten übernommen werden.
(3) Reisekosten nach Absatz 2 werden auch im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation übernommen, wenn die Leistungen länger als acht Wochen erbracht werden.
(4) Fahrkosten werden in Höhe des Betrages zugrunde gelegt, der bei Benutzung eines regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittels der niedrigsten Beförderungsklasse des zweckmäßigsten öffentlichen Verkehrsmittels zu zahlen ist, bei Benutzung sonstiger Verkehrsmittel in Höhe der Wegstreckenentschädigung nach § 5 Absatz 1 des Bundesreisekostengesetzes. Bei Fahrpreiserhöhungen, die nicht geringfügig sind, hat auf Antrag des Leistungsempfängers eine Anpassung der Fahrkostenentschädigung zu erfolgen, wenn die Maßnahme noch mindestens zwei weitere Monate andauert. Kosten für Pendelfahrten können nur bis zur Höhe des Betrages übernommen werden, der unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Behinderung bei einer zumutbaren auswärtigen Unterbringung für Unterbringung und Verpflegung zu leisten wäre.
Tenor
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Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. April 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
- 1
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Im Streit ist ein Anspruch des Klägers auf Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten nach § 2 Abs 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).
- 2
-
Der 1966 geborene Kläger ist Beamter auf Lebenszeit. Seit 1992 ist er bei der Deutschen Telekom AG beschäftigt und seit November 2002 als Transfermitarbeiter bei der Personal-Service-Agentur Vivento, einer 100 %-igen Tochter der Deutschen Telekom AG, eingesetzt. Die Personal-Service-Agentur Vivento bietet Outsourcing und Projektmanagement an und vermittelt Fachpersonal zu Unternehmen und Behörden. Das zuständige Versorgungsamt stellte zugunsten des Klägers einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 ua wegen eines psychischen Leidens fest (Bescheid vom 8.6.2005; Widerspruchsbescheid vom 11.7.2005).
- 3
-
Den Antrag des Klägers vom 26.8.2005, ihn mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 25.1.2006; Widerspruchsbescheid vom 1.12.2006). Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Mainz vom 30.6.2008; Urteil des Landessozialgerichts . Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dass der Kläger angesichts der Unkündbarkeit als Beamter auf Lebenszeit keiner Konkurrenzsituation ausgesetzt sei, die eine Gleichstellung mit Schwerbehinderten rechtfertige. Nur in Ausnahmefällen könnten auch Arbeitsplätze von Beamten auf Lebenszeit gefährdet sein, beispielsweise, wenn die Behörde aufgelöst werde oder der Dienstherr ein Verfahren auf Zur-Ruhe-Setzung wegen Dienstunfähigkeit einleite. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Arbeitsplatz des Klägers auch nur abstrakt gefährdet sei. Deshalb bedürfe die Frage, ob er rechtmäßig als Transfermitarbeiter eingesetzt werde, keiner abschließenden Beurteilung. Unerheblich sei auch, ob die Personal-Service-Agentur Vivento ggf erwäge, den Kläger an eine andere Organisationseinheit zu versetzen. Der Kläger sei durch seinen Beamtenstatus hinreichend gegen widerrechtliche Versetzungen und den Verlust eines amtsangemessenen Arbeitsplatzes geschützt.Rheinland-Pfalz vom 30.4.2009)
- 4
-
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX, der grundsätzlich auch auf Beamte Anwendung finde. Dies gelte jedenfalls in Fällen, in denen - wie hier - ein Beamter aus dem klassischen Beamtenverhältnis gezwungenermaßen heraustrete, ihm kein Dienstposten mehr zugewiesen und er aufgefordert werde, sich zu bewerben. Betroffene Beamte müssten vielfach auf den offenen Arbeitsmarkt ausweichen bzw sollten durch Transfergesellschaften wie Vivento dauerhaft vermittelt werden und gerieten so in eine dem Beamtenverhältnis untypische Konkurrenzsituation. Das LSG habe seinen Vortrag verfahrensfehlerhaft unberücksichtigt gelassen und hierdurch sein rechtliches Gehör verletzt.
- 5
-
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 25.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.12.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn einem Schwerbehinderten gleichzustellen.
- 6
-
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
- 7
-
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
- 8
-
Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz
) . Es fehlen hinreichende tatsächliche Feststellungen (§ 163 SGG) zu den Voraussetzungen für eine Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX.
- 9
-
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 25.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.12.2006 (§ 95 SGG), gegen den sich der Kläger mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, § 56 SGG) wehrt.
- 10
-
Nach § 2 Abs 3 SGB IX(in der Normfassung des SGB IX vom 19.6.2001 - BGBl I 1056) sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen(mit einem GdB von wenigstens 50; § 2 Abs 2 SGB IX) gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können. § 2 Abs 2 SGB IX knüpft die Schwerbehinderung an einen GdB von 50 sowie den Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder die rechtmäßige Beschäftigung iS des § 73 SGB IX im Geltungsbereich dieses Gesetzes.
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Zwar erfüllt der Kläger die persönlichen Voraussetzungen eines anerkannten GdB von 30 und des Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland; jedoch ist der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG nicht in der Lage zu beurteilen, ob der Kläger infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht (behalten oder) erlangen kann. Ein Anspruch des Klägers ist jedenfalls nicht schon mangels Gefährdung seines Arbeitsplatzes ausgeschlossen.
- 12
-
Die Gleichstellung Beamter (oder anderer unkündbarer Arbeitnehmer) scheidet zunächst - wovon auch das LSG ausgeht - nicht generell wegen deren Unkündbarkeit aus. Dies zeigt schon der Wortlaut des § 2 Abs 3 SGB IX in seiner Bezugnahme auf § 73 SGB IX, der den Begriff des Arbeitsplatzes als Stelle definiert, auf der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden. Auch Sinn und Zweck der Gleichstellung lassen nicht den Schluss zu, dass Beamte nicht dem Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX unterfallen. Die Gleichstellung dient dazu, die ungünstige Konkurrenzsituation des Behinderten am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und somit den Arbeitsplatz sicherer zu machen oder seine Vermittlungschancen zu erhöhen (BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-2870 § 2 Nr 1 S 6 f). Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen zwei Alternativen, nämlich der Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes (Alternative 2) sowie der Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 73 SGB IX (Alternative 1), die kumulativ, aber auch nur alternativ vorliegen können(BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-3870 § 2 Nr 1 S 6 f).
- 13
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Die Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes dient dazu, bei einer Arbeitsplatzgefährdung den Arbeitsplatz sicherer zu machen. Deshalb bedarf es - wie das LSG zu Recht annimmt - einer besonderen Prüfung bei Personengruppen mit einem "sicheren Arbeitsplatz", wie bei Beamten, Richtern auf Lebenszeit und Arbeitnehmern mit besonderem Kündigungsschutz (Backendorf/Ritz in Bihr/Fuchs/Krauskopf/Ritz, SGB IX, 2006, § 68 RdNr 39). Bei diesen Personengruppen können die allgemeinen Voraussetzungen der Gleichstellung wegen Arbeitsplatzgefährdung zwar vorliegen, es bedarf aber einer besonderen Begründung, warum trotz Kündigungsschutz der Arbeitsplatz nachvollziehbar unsicherer ist als bei einem nichtbehinderten Kollegen. Dies ist bei einem Beamten beispielsweise der Fall, wenn behinderungsbedingt die Versetzung in den Ruhestand (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.5.2002 - L 9 AL 241/01; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.11.1995 - L 6 AR 159/94 -, ZfS 1996, 375 ff; Luthe in jurisPraxiskommentar SGB IX, 2010, § 2 RdNr 102; Backendorf/Ritz, aaO, RdNr 39) oder die behinderungsbedingte Versetzung oder Umsetzung auf einen anderen nicht gleichwertigen Arbeitsplatz droht (Backendorf/Ritz aaO; Luthe aaO). Einen Gleichstellungsanspruch wegen Arbeitsplatzgefährdung nehmen Rechtsprechung und Literatur daneben auch dann an, wenn die Behörde aufgelöst wird (LSG Nordrhein-Westfalen aaO; Luthe aaO; Cramer, Schwerbehindertengesetz, 5. Aufl 1998, § 2 RdNr 5), obwohl in einem solchen Fall der Arbeitsplatz nicht (nur) gefährdet ist, sondern tatsächlich wegfällt und auch nicht zu erkennen ist, weshalb bei der Auflösung einer Behörde der Arbeitsplatz nachvollziehbar unsicherer ist als bei einem nichtbehinderten Kollegen. Hier wäre - wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes - eher an eine Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten (neuen) Arbeitsplatzes zu denken (siehe dazu unten).
- 14
-
Das LSG hat einen drohenden Verlust des Arbeitsplatzes bezogen auf die Tätigkeit als "Transfermitarbeiter" bei der Vivento im Hinblick auf die Unkündbarkeit des Klägers zwar pauschal und ohne nähere Begründung verneint. Der Kläger hatte seinen ursprünglichen Arbeitsplatz mit dem Wechsel in diese Gesellschaft, bei der er seit November 2002 eingesetzt und als "Transfermitarbeiter" geführt wird, allerdings bereits verloren. Das LSG hätte sich deshalb nicht mit der Prüfung der 2. Alternative des § 2 Abs 3 SGB IX (Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes) begnügen dürfen. Vielmehr hätte es auch bei Unkündbarkeit des Klägers prüfen müssen, ob wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls die Voraussetzungen der 1. Alternative des § 2 Abs 3 SGB IX (Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes) vorliegen. Solche besonderen Umstände liegen vor, wenn der ursprüngliche Arbeitsplatz eines Beamten nicht mehr existiert, sei es, weil die Behörde aufgelöst wurde, sei es aus anderen Gründen, und der Beamte in eine andere Beschäftigung oder Tätigkeit vermittelt werden soll und selbst eine solche Vermittlung - unabhängig von der Frage eines Anspruchs auf eine amtsangemessene Beschäftigung - wünscht. Ob der Beamtenstatus hinreichend gegen (widerrechtliche) Versetzungen und den Verlust eines amtsangemessenen Arbeitsplatzes schützt, ist dabei ohne Bedeutung. Die Freiheit, auch als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, kann nämlich nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Arbeitnehmern bei der Arbeitsuche schlechter gestellt wird.
- 15
-
Ob eine derartige Fallgestaltung vorliegt, kann den Feststellungen des LSG nicht entnommen werden. Danach hat der Betriebsrat zwar auf Anfrage der Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger "Transfermitarbeiter" sei und versucht werde, ihn auf einen Dauerarbeitsplatz zu vermitteln, wobei Schwerbehinderte und mit Schwerbehinderten gleichgestellte Menschen bei gleicher Eignung bei allen Stellenbesetzungen bevorzugt würden. Eigene Feststellungen des LSG hierzu fehlen jedoch. Diese wird es ggf nachzuholen haben. Um den Vermittlungswunsch des Beamten zu belegen, ist dabei schon der Antrag, einem Schwerbehinderten gleichgestellt zu werden, ausreichend. Ihm kann insoweit indizielle Bedeutung beigemessen werden, ohne dass es einer ausdrücklichen Erklärung des Beamten oder einer Glaubhaftmachung hinsichtlich des Vermittlungswunsches bedarf. Ein Anspruch auf Gleichstellung kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn der Kläger "infolge" seiner Behinderung (Kausalität) bei wertender Betrachtung (im Sinne einer wesentlichen Bedingung) in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Nichtbehinderten in besonderer Weise beeinträchtigt und deshalb nur schwer vermittelbar ist. Entscheidendes Kriterium für die Gleichstellung ist deshalb die mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Behinderten wegen seiner Behinderung auf dem Arbeitsmarkt, und zwar auf dem Arbeitsmarkt insgesamt, nicht etwa nur bezogen auf einen bestimmten Arbeitsplatz (BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-3870 § 2 Nr 1 S 6 f). Aus der besonders geregelten und geschützten Stellung des Beamten resultiert kein mangelnder Bezug zum Arbeitsmarkt, wie schon § 73 SGB IX zeigt (siehe oben). Die Konkurrenzfähigkeit des Klägers misst sich dabei nicht allein an seiner früheren - bis 2002 oder in der Vivento ausgeübten - Tätigkeit und seinen beruflichen Wünschen, sondern auch an den Tätigkeiten, auf die etwaige Vermittlungsbemühungen erstreckt werden. Entsprechende Feststellungen wird das LSG ggf nachzuholen haben (zum maßgebenden Zeitpunkt für die Beurteilung einer Gleichstellung vgl BSG, aaO).
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-
Sollte das LSG eine mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Klägers im dargestellten Sinne feststellen, hat der Kläger einen Anspruch ("soll") auf die Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes. Sie hat zur Folge, dass der Gleichgestellte auf die Pflichtplatzquote des Arbeitgebers angerechnet wird. Für einen potenziellen Arbeitgeber wird auf diese Weise ein Anreiz geschaffen, den Arbeitslosen einzustellen. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie auch in anderen vergleichbaren Fällen - der Arbeitsagentur ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt der Arbeitsagentur nur dann die Möglichkeit zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Auch insoweit hat das LSG ggf entsprechende Feststellungen nachzuholen. Im Übrigen wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
(1) Als Reisekosten werden die erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten übernommen, die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben stehen. Zu den Reisekosten gehören auch die Kosten
- 1.
für besondere Beförderungsmittel, deren Inanspruchnahme wegen der Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist, - 2.
für eine wegen der Behinderung erforderliche Begleitperson einschließlich des für die Zeit der Begleitung entstehenden Verdienstausfalls, - 3.
für Kinder, deren Mitnahme an den Rehabilitationsort erforderlich ist, weil ihre anderweitige Betreuung nicht sichergestellt ist sowie - 4.
für den erforderlichen Gepäcktransport.
(2) Während der Ausführung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden im Regelfall auch Reisekosten für zwei Familienheimfahrten je Monat übernommen. Anstelle der Kosten für die Familienheimfahrten können für Fahrten von Angehörigen vom Wohnort zum Aufenthaltsort der Leistungsempfänger und zurück Reisekosten übernommen werden.
(3) Reisekosten nach Absatz 2 werden auch im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation übernommen, wenn die Leistungen länger als acht Wochen erbracht werden.
(4) Fahrkosten werden in Höhe des Betrages zugrunde gelegt, der bei Benutzung eines regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittels der niedrigsten Beförderungsklasse des zweckmäßigsten öffentlichen Verkehrsmittels zu zahlen ist, bei Benutzung sonstiger Verkehrsmittel in Höhe der Wegstreckenentschädigung nach § 5 Absatz 1 des Bundesreisekostengesetzes. Bei Fahrpreiserhöhungen, die nicht geringfügig sind, hat auf Antrag des Leistungsempfängers eine Anpassung der Fahrkostenentschädigung zu erfolgen, wenn die Maßnahme noch mindestens zwei weitere Monate andauert. Kosten für Pendelfahrten können nur bis zur Höhe des Betrages übernommen werden, der unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Behinderung bei einer zumutbaren auswärtigen Unterbringung für Unterbringung und Verpflegung zu leisten wäre.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17.10.2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
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(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 12. Juli 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
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(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
(1) Als Reisekosten werden die erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten übernommen, die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben stehen. Zu den Reisekosten gehören auch die Kosten
- 1.
für besondere Beförderungsmittel, deren Inanspruchnahme wegen der Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist, - 2.
für eine wegen der Behinderung erforderliche Begleitperson einschließlich des für die Zeit der Begleitung entstehenden Verdienstausfalls, - 3.
für Kinder, deren Mitnahme an den Rehabilitationsort erforderlich ist, weil ihre anderweitige Betreuung nicht sichergestellt ist sowie - 4.
für den erforderlichen Gepäcktransport.
(2) Während der Ausführung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden im Regelfall auch Reisekosten für zwei Familienheimfahrten je Monat übernommen. Anstelle der Kosten für die Familienheimfahrten können für Fahrten von Angehörigen vom Wohnort zum Aufenthaltsort der Leistungsempfänger und zurück Reisekosten übernommen werden.
(3) Reisekosten nach Absatz 2 werden auch im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation übernommen, wenn die Leistungen länger als acht Wochen erbracht werden.
(4) Fahrkosten werden in Höhe des Betrages zugrunde gelegt, der bei Benutzung eines regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittels der niedrigsten Beförderungsklasse des zweckmäßigsten öffentlichen Verkehrsmittels zu zahlen ist, bei Benutzung sonstiger Verkehrsmittel in Höhe der Wegstreckenentschädigung nach § 5 Absatz 1 des Bundesreisekostengesetzes. Bei Fahrpreiserhöhungen, die nicht geringfügig sind, hat auf Antrag des Leistungsempfängers eine Anpassung der Fahrkostenentschädigung zu erfolgen, wenn die Maßnahme noch mindestens zwei weitere Monate andauert. Kosten für Pendelfahrten können nur bis zur Höhe des Betrages übernommen werden, der unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Behinderung bei einer zumutbaren auswärtigen Unterbringung für Unterbringung und Verpflegung zu leisten wäre.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
Tenor
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Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
-
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
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Streitig ist, ob die Klägerin gemäß § 2 Abs 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen ist.
- 2
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Die 1982 geborene Klägerin ist seit September 2002 als Angestellte bei der J. (FHH) im mittleren Dienst vollzeitbeschäftigt. Bei ihr ist wegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa) seit 23.7.2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt.
- 3
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Am 24.9.2010 beantragte die Klägerin bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit (BA) die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Zwar sei ihr derzeitiges Beschäftigungsverhältnis unbefristet und ungekündigt. Auch könne sie ihre bisherige Tätigkeit ohne Einschränkung ausüben. Sie benötige die Gleichstellung aber, um ihre Vermittlungschancen für ein neues Arbeitsverhältnis bzw einen neuen Ausbildungsplatz zu verbessern. Im Juli 2009 bewarb sich die Klägerin bei der F. für eine Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin (gehobener Dienst). Nach erfolgreichem Vorstellungsgespräch bot ihr die F. zum 1.10.2009 die Einstellung unter dem Vorbehalt an, dass der personalärztliche Dienst diese befürworte. Später lehnte die F. die Einstellung ab (Bescheid vom 30.9.2009). Sie verwies auf ein Gutachten des ärztlichen Dienstes, wonach die Klägerin nicht über die für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf erforderliche gesundheitliche Eignung verfüge. Die Rechtsmittel der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid der F. sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid der FHH vom 27.9.2010; Urteil des Verwaltungsgerichts
Hamburg vom 11.1.2013 - 8 K 3007/10) . Das Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg (1 Bf 32/13) ist noch anhängig.
- 4
-
Die Beklagte lehnte den Gleichstellungsantrag der Klägerin ab (Bescheid vom 18.10.2010) und wies den dagegen erhobenen Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 11.2.2011).
- 5
-
Die Klägerin hat Klage zum Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und darauf verwiesen, Art 27 Abs 1 Lit e) und g) des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (BGBl 2008 II, S 1419; UN-Behindertenrechtskonvention, im Folgenden: UN-BRK) sei zu beachten. Danach habe sie als behinderter Mensch hinsichtlich ihres Berufs ein weitgehendes Wahlrecht; auch berufliche Aufstiegschancen seien zu berücksichtigen. Die Beklagte hat entgegnet, der berufliche Aufstieg könne nicht durch eine Gleichstellung gefördert werden. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.9.2012). Der Wunsch nach beruflichem Aufstieg falle nicht unter das "Erlangen" eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 2 Abs 3 SGB IX.
- 6
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Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen (Urteil vom 30.10.2013). Es müsse dem behinderten Menschen mittels Gleichstellung ermöglicht werden, einen Arbeitsplatz zu erlangen, der seinen beruflichen Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten entspreche. Die Freiheit, als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, dürfe nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Menschen bei der Gleichstellung schlechtergestellt werde.
- 7
-
Die Beklagte rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision das Vorliegen eines Verfahrensfehlers. Das LSG habe den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des OVG Hamburg (1 Bf 32/13) wegen Übernahme in das Beamtenverhältnis aussetzen müssen. Die Entscheidung des OVG sei für die hier zu treffende Entscheidung präjudiziell. Zwar liege eine Aussetzung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen habe hier aber die Pflicht bestanden, den Rechtsstreit auszusetzen. Die Aussetzung sei auch geboten, weil das LSG die Beweise dahingehend gewürdigt habe, dass die Klägerin - jedenfalls nach Gleichstellung - gesundheitlich für eine Berufung in das Beamtenverhältnis geeignet sei. Die Beklagte rügt auch die Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX. Dessen Voraussetzungen seien nicht gegeben. Die Klägerin sei unbefristet auf einem geeigneten Arbeitsplatz beschäftigt. Sie begehre die Gleichstellung zum Zwecke der Förderung des beruflichen Aufstiegs. Die Gleichstellung könne nicht begehrt werden, um Diskriminierungen zu beseitigen, die durch die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung bei der Bewerbung um die Übernahme in ein (anderes) Beamtenverhältnis entstehen. Insofern sei bei öffentlichen Arbeitgebern ein besonderes Verständnis für Menschen mit Behinderung vorauszusetzen. Ein Anspruch auf Gleichstellung ergebe sich auch nicht aus der UN-BRK.
- 8
-
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. September 2012 zurückzuweisen.
- 9
-
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
- 10
-
Das LSG sei nicht zur Aussetzung des Rechtsstreits verpflichtet gewesen. Die Klägerin habe Anspruch auf Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX. Durch die Gleichstellung komme sie bei der Prüfung der Übernahme in das Anwärterverhältnis in den Genuss des Eignungsmaßstabs, der für schwerbehinderte Beamtenanwärter gelte. Diese Einstellungsvoraussetzungen könne sie erfüllen. Ohne Gleichstellung könne sie den für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen.
- 11
-
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe
- 12
-
Die Revision der Beklagten, über die der Senat nach erklärtem Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Sozialgerichtsgesetz
) , ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
- 13
-
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 18.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.2.2011, gegen den sich die Klägerin mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 56 SGG) wehrt (zur Klageart: BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4, RdNr 9; zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung dieser Klage vgl Senatsurteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R).
- 14
-
1. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin durch feststellenden Verwaltungsakt einem behinderten Menschen gleichzustellen.
- 15
-
Gemäß § 2 Abs 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können(zum Verfahren vgl § 68 Abs 2 S 1, § 69 SGB IX). Zu den Voraussetzungen einer Gleichstellung nach Maßgabe des § 2 Abs 3 SGB IX im Einzelnen wird auf die Parallelentscheidung des Senats vom 6.8.2014 (B 11 AL 16/13 R) verwiesen.
- 16
-
Die Klägerin erstrebt die Gleichstellung, weil sie ohne diese den konkret angestrebten und für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann (Alt 1). Dagegen macht sie nicht geltend, den von ihr besetzten Arbeitsplatz behalten zu wollen (Alt 2), sodass hier nur Alt 1 der Vorschrift zu prüfen ist.
- 17
-
2. a) Die Gleichstellung nach Maßgabe des Erlangungstatbestands (§ 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX) setzt voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will.
- 18
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Die Klägerin möchte einen Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen. Arbeitsplätze im Sinne der Vorschrift sind auch Stellen, auf denen Beamte und Beamtinnen sowie die zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellten beschäftigt werden. Der angestrebte Arbeitsplatz als Beamtin auf Widerruf im gehobenen Dienst der Steuerverwaltung erfüllt diese Voraussetzungen.
- 19
-
Der Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) setzt weiter voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz anstrebt. Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung. Nach der zweiten Alternative des Gleichstellungstatbestands ("behalten können") hat eine Gleichstellung zu erfolgen, um dem behinderten Menschen das Behalten seines Arbeitsplatzes zu ermöglichen. Ziel dieser Regelung ist es, dass der behinderte Mensch den konkret von ihm besetzten und für ihn geeigneten Arbeitsplatz behalten kann. Auch für den Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) ist zu verlangen, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will. Dies ist schon geboten, um den Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX nicht zu überdehnen. Würde es genügen, dass es - abstrakt betrachtet - (irgendwelche) Arbeitsplätze gibt, für die der behinderte Mensch, der Gleichstellung bedürfte, um sie zu erlangen, wäre fast jeder behinderte Mensch mit GdB 30 oder 40 gleichzustellen. Denn der behinderte Mensch müsste nur Arbeitsplätze benennen, die er ohne Gleichstellung nicht erlangen kann.
- 20
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Auch im Wortlaut des § 2 Abs 3 iVm § 73 SGB IX ist eine Konkretisierung angelegt, wenn dort zur Voraussetzung erhoben wird, dass der behinderte Mensch kausal durch die Behinderung "einen" für ihn geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Weder die Frage der Kausalität noch die Frage der Eignung des Arbeitsplatzes kann abstrakt und allgemein für alle denkbaren Arbeitsplätze geprüft werden.
- 21
-
Schließlich spricht der Zweck der Regelung, die Sicherung oder Herstellung von Teilhabe am Arbeitsleben, für diese Auslegung. Die Vorschrift will - wie das LSG zutreffend herausgearbeitet hat - damit auch die Freiheit der Berufswahl des behinderten Menschen schützen. Das Grundrecht aus Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) will diese Freiheit ua objektivrechtlich gewährleisten (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG 12. Aufl 2012, Vorb vor Art 1 RdNr 3 mwN). Auch Art 27 Abs 1 S 2 Lit a und e UN-BRK und Art 21, 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geben (EUGrdRCh) Hinweise zur Auslegung des § 2 Abs 3 SGB IX, denn nach diesen völkerrechtlichen und supranationalen Normen ist ein diskriminierungsfreier Zustand anzustreben. Dieser ist nicht bereits dadurch hergestellt, dass ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, vielmehr muss auch der Zugang zu anderen bzw der Wechsel von Berufsfeldern diskriminierungsfrei ermöglicht werden (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
- 22
-
Andererseits knüpfen die Voraussetzungen der Gleichstellung nicht an einer abstrakten Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben an, sondern schützen das Erlangen von bestimmten Arbeitsplätzen (zu Alt 2 Bayerisches LSG Urteil vom 15.2.2001 - L 9 AL 381/99 - Juris RdNr 22; Bayerisches LSG Urteil vom 18.12.2013 - L 10 AL 104/11; aA Luthe in jurisPK-SGB IX, § 2 SGB IX RdNr 100 f). § 2 Abs 3 SGB IX versteht die angestrebte Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben also konkret.
- 23
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Die Tatsache, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz inne hat, steht dem Anspruch auf Gleichstellung zur Erlangung eines (anderen) Arbeitsplatzes nicht entgegen. Zwar bedarf die Klägerin keiner Gleichstellung, um ihren bisherigen Arbeitsplatz behalten zu können. Das Behalten des Arbeitsplatzes will sie mit diesem Rechtsstreit auch nicht erreichen. Sie möchte vielmehr (nur) einen neuen Arbeitsplatz erlangen. Hierauf hat sie ihr Begehren in zulässiger Weise beschränkt (BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4). Die Alternative 1 des § 2 Abs 3 SGB IX setzt aber schon seinem Wortlaut nach nur voraus, dass der behinderte Mensch ohne Gleichstellung einen Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Die Vorschrift hat nicht zur weiteren Voraussetzung, dass ein Antragsteller ohne Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz innehat.
- 24
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Das Recht auf Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes haben nicht nur arbeitslose behinderte Menschen, sondern auch behinderte Menschen, die sich beruflich verändern wollen. Denn ein diskriminierungsfreier Zustand ist nach Art 21 und Art 26 EUGrdRCh nicht bereits dann hergestellt, wenn ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, die regelmäßig im Beamtenverhältnis ausgeübt wird; vielmehr müssen Gesetzgeber und Dienstherr die Voraussetzungen zum Zugang zum Beamtenverhältnis in der Weise modifizieren, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausübung der entsprechenden Tätigkeit gerade im Beamtenverhältnis ermöglicht wird (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; Hessisches LSG Urteil vom 19.6.2013 - L 6 AL 116/12 - Juris).
- 25
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b) Die Klägerin erfüllt die genannten Voraussetzungen.
- 26
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Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine Gleichstellung, denn sie hat sowohl ihren Wohnsitz als auch ihren Arbeitsplatz im Inland. Bei ihr ist ein GdB von 30 festgestellt. Sie möchte einen konkreten Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen, nämlich den einer Beamtin auf Widerruf bei der Finanzbehörde FHH für die Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin.
- 27
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Der angestrebte Arbeitsplatz ist für die Klägerin geeignet. Das LSG hat die Geeignetheit des angestrebten Arbeitsplatzes festgestellt, ohne dass die Beteiligten insoweit Verfahrensrügen erhoben hätten. Nachdem die Klägerin schon bisher die Anforderungen einer Vollzeittätigkeit auf einem Büroarbeitsplatz erfüllte, bestehen auch keine Zweifel, dass die angestrebte Tätigkeit für sie geeignet ist, sie also gesundheitlich auf Dauer nicht überfordert.
- 28
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Sie bedarf kausal wegen ihrer Behinderung der Gleichstellung, um den konkreten Arbeitsplatz erlangen zu können. Ohne die behinderungsbedingten Einschränkungen wäre sie für den angestrebten Arbeitsplatz eingestellt worden. Es spricht auch viel dafür, dass sie nach erfolgter Gleichstellung die gesundheitlichen Anforderungen für die Einstellung von Beamtinnen auf Widerruf erfüllen wird.
- 29
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Die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung von Bewerbern für das Beamtenverhältnis hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) jüngst konkretisiert. Danach erfüllt ein Beamtenbewerber die Voraussetzung der gesundheitlichen Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze Dienstunfähigkeit eintritt (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244). Das BVerwG hat damit die zuvor geltenden Anforderungen zwar gelockert, es hält aber weitere Modifikationen der Eignungsanforderungen für Bewerber, die weder schwerbehindert noch schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind, verfassungsrechtlich nicht für geboten (BVerwG aaO - Juris RdNr 34 f).
- 30
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Erfüllen Bewerber diese gesundheitlichen Anforderungen nicht, können sie in der FHH einen Arbeitsplatz im Beamtenverhältnis nur erlangen, wenn sie schwerbehindert sind oder schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Denn für diese Personengruppen bestimmt das hier einschlägige und vom LSG festgestellte Landesrecht (§ 9 Abs 5 S 3 der Verordnung über die Laufbahnen der hamburgischen Beamtinnen und Beamten vom 22.12.2009; HmbGVBl 2009, 511), dass von gleichgestellten Personen nur ein geringeres Maß körperlicher Eignung verlangt werden darf. Danach erfüllen schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Personen die gesundheitlichen Anforderungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis, wenn für etwa zehn Jahre eine höhere Wahrscheinlichkeit als 50 vH dafür spricht, dass der Beamte dienstfähig bleibt und in diesem Zeitraum keine krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als etwa zwei Monaten pro Jahr auftreten werden. Die Wahrscheinlichkeit einer einmaligen, längeren Ausfallzeit steht einer positiven Prognose nicht entgegen (vgl auch Hamburgisches OVG Urteil vom 26.9.2008 - 1 Bf 19/08, bestätigt durch BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris).
- 31
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Ob die Klägerin ohne Anerkennung einer Gleichstellung die Einstellungsanforderungen für Arbeitsplätze von Beamten im gehobenen Dienst erfüllt, wie sie das BVerwG formuliert hat (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244), erscheint fraglich. Die Entscheidung hierüber obliegt nicht dem Senat, sondern ist von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit in deren Zuständigkeit zu treffen. Bislang hat die Klägerin eine positive Entscheidung über ihre Einstellung jedenfalls nicht erlangt.
- 32
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Nach aktuellem Sachstand hat die Klägerin infolge der Behinderung einen Wettbewerbsnachteil; denn sie kann aufgrund ihrer Behinderung den angestrebten Arbeitsplatz nicht erlangen. Dieser Nachteil kann durch die Gleichstellung ausgeglichen werden; denn das LSG hat festgestellt, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz erlangen möchte und diesen (bisher) "infolge" ihrer Behinderung nicht erlangen kann. Dies genügt, um einen Anspruch auf Gleichstellung zu bejahen.
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Die Sorge der Beklagten, dass eine Gleichstellung in Fällen der vorliegenden Art zu einer Konturlosigkeit und Ausuferung der Gleichstellung führen würde, vermag der Senat nur bedingt zu teilen. Einerseits hat der Gleichstellungsanspruch nach § 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX eine Reihe von Voraussetzungen, die insbesondere im Parallelverfahren erläutert wurden(BSG Urteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R). Wenn die Beklagte trotz dieser Anforderungen künftig eine größere Zahl an Gleichstellungen vornehmen müsste, als dies bisher der Fall war, ist dies eine Folge der im Bundesrecht, aber auch im supranationalen Recht und Völkerrecht angelegten und ins Bundesrecht übernommenen Förderung der Teilhabe und Beseitigung der Diskriminierung von behinderten Menschen (vgl § 1 SGB IX).
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c) Ein Anspruch auf Gleichstellung scheitert schließlich nicht daran, dass die Beklagte über die Gleichstellung grundsätzlich nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie in anderen vergleichbaren Fällen - der BA ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt ihr nur dann die Möglichkeit, zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung zu gelangen, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Sofern ein solcher - wie hier - nicht vorliegt, ist die BA zur Gleichstellung verpflichtet (BSG Urteil vom 2.3.2000 - B 7 AL 46/99 R; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
- 35
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3. Die Verfahrensrüge der Beklagten ist unzulässig, weil die ihr zugrunde liegenden Tatsachen nicht in der nach § 164 Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise aufzeigt wurden.
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Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 S 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 19 mwN). Daran fehlt es hier.
- 37
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Es ist schon fraglich, ob die Beklagte eine Pflicht zur Aussetzung des Rechtsstreits hinreichend aufgezeigt hat. Zwar kann das Ermessen des Gerichts, einen Rechtsstreit auszusetzen, auf diese Entscheidung hin reduziert sein (zB BSG Beschluss vom 19.7.2006 - B 11a AL 7/06 B). Die Beklagte hat aber nicht dargetan, dass die Voraussetzungen der Aussetzung nach § 114 Abs 2 S 1 SGG vorlagen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Entscheidung des LSG von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhinge, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits - hier desjenigen beim OVG - bildete.
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Zwar entscheidet das OVG (irgendwann) über den Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis. Inwieweit die Entscheidung des LSG über die Gleichstellung von dem Ausgang des Rechtsstreits beim OVG abhängt, ist in der Revisionsbegründung nicht herausgearbeitet worden. Insoweit trifft zwar zu, dass sich der Rechtsstreit wegen Gleichstellung auf sonstige Weise hätte erledigen können, wenn die Klägerin dort die Einstellung auf den begehrten Arbeitsplatz erlangt hätte. Schon dies ist aber nicht zwingend. Würde das OVG die Einstellung dagegen ablehnen oder die potentielle Arbeitgeberin zu einer neuen Entscheidung über die Einstellung verpflichten, wäre für diesen Rechtsstreit weder positiv noch negativ etwas entschieden.
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Im Gegenteil könnte auch argumentiert werden, dass die Entscheidung dieses Rechtsstreits für denjenigen beim OVG präjudiziell ist, weil die Prüfung der gesundheitlichen Eignung der Bewerberin für die Stelle einer Beamtin auf Widerruf sich nach anderen beamtenrechtlichen Maßstäben richtet, wenn die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wäre (vgl BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris; BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244).
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Die Beklagte hat auch nicht aufgezeigt, dass die Entscheidung des LSG auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann (zu dieser Anforderung: Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 12c). Dabei muss deutlich werden, dass der Verfahrensfehler den Inhalt der Entscheidung beeinflusst hat (BSG Beschluss vom 7.7.2009 - B 11 AL 108/08 B). Daran fehlt es, wenn die Beklagte lediglich behauptet, das LSG hätte den Rechtsstreit aussetzen müssen. Dass und inwieweit die unterlassene Aussetzung die Sachentscheidung beeinflusst haben könnte, wird nicht dargetan.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 Abs 1 SGG.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
Tenor
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Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
-
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
- 1
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Streitig ist, ob die Klägerin gemäß § 2 Abs 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen ist.
- 2
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Die 1982 geborene Klägerin ist seit September 2002 als Angestellte bei der J. (FHH) im mittleren Dienst vollzeitbeschäftigt. Bei ihr ist wegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa) seit 23.7.2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt.
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Am 24.9.2010 beantragte die Klägerin bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit (BA) die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Zwar sei ihr derzeitiges Beschäftigungsverhältnis unbefristet und ungekündigt. Auch könne sie ihre bisherige Tätigkeit ohne Einschränkung ausüben. Sie benötige die Gleichstellung aber, um ihre Vermittlungschancen für ein neues Arbeitsverhältnis bzw einen neuen Ausbildungsplatz zu verbessern. Im Juli 2009 bewarb sich die Klägerin bei der F. für eine Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin (gehobener Dienst). Nach erfolgreichem Vorstellungsgespräch bot ihr die F. zum 1.10.2009 die Einstellung unter dem Vorbehalt an, dass der personalärztliche Dienst diese befürworte. Später lehnte die F. die Einstellung ab (Bescheid vom 30.9.2009). Sie verwies auf ein Gutachten des ärztlichen Dienstes, wonach die Klägerin nicht über die für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf erforderliche gesundheitliche Eignung verfüge. Die Rechtsmittel der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid der F. sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid der FHH vom 27.9.2010; Urteil des Verwaltungsgerichts
Hamburg vom 11.1.2013 - 8 K 3007/10) . Das Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg (1 Bf 32/13) ist noch anhängig.
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Die Beklagte lehnte den Gleichstellungsantrag der Klägerin ab (Bescheid vom 18.10.2010) und wies den dagegen erhobenen Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 11.2.2011).
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Die Klägerin hat Klage zum Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und darauf verwiesen, Art 27 Abs 1 Lit e) und g) des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (BGBl 2008 II, S 1419; UN-Behindertenrechtskonvention, im Folgenden: UN-BRK) sei zu beachten. Danach habe sie als behinderter Mensch hinsichtlich ihres Berufs ein weitgehendes Wahlrecht; auch berufliche Aufstiegschancen seien zu berücksichtigen. Die Beklagte hat entgegnet, der berufliche Aufstieg könne nicht durch eine Gleichstellung gefördert werden. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.9.2012). Der Wunsch nach beruflichem Aufstieg falle nicht unter das "Erlangen" eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 2 Abs 3 SGB IX.
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Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen (Urteil vom 30.10.2013). Es müsse dem behinderten Menschen mittels Gleichstellung ermöglicht werden, einen Arbeitsplatz zu erlangen, der seinen beruflichen Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten entspreche. Die Freiheit, als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, dürfe nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Menschen bei der Gleichstellung schlechtergestellt werde.
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Die Beklagte rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision das Vorliegen eines Verfahrensfehlers. Das LSG habe den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des OVG Hamburg (1 Bf 32/13) wegen Übernahme in das Beamtenverhältnis aussetzen müssen. Die Entscheidung des OVG sei für die hier zu treffende Entscheidung präjudiziell. Zwar liege eine Aussetzung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen habe hier aber die Pflicht bestanden, den Rechtsstreit auszusetzen. Die Aussetzung sei auch geboten, weil das LSG die Beweise dahingehend gewürdigt habe, dass die Klägerin - jedenfalls nach Gleichstellung - gesundheitlich für eine Berufung in das Beamtenverhältnis geeignet sei. Die Beklagte rügt auch die Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX. Dessen Voraussetzungen seien nicht gegeben. Die Klägerin sei unbefristet auf einem geeigneten Arbeitsplatz beschäftigt. Sie begehre die Gleichstellung zum Zwecke der Förderung des beruflichen Aufstiegs. Die Gleichstellung könne nicht begehrt werden, um Diskriminierungen zu beseitigen, die durch die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung bei der Bewerbung um die Übernahme in ein (anderes) Beamtenverhältnis entstehen. Insofern sei bei öffentlichen Arbeitgebern ein besonderes Verständnis für Menschen mit Behinderung vorauszusetzen. Ein Anspruch auf Gleichstellung ergebe sich auch nicht aus der UN-BRK.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. September 2012 zurückzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
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Das LSG sei nicht zur Aussetzung des Rechtsstreits verpflichtet gewesen. Die Klägerin habe Anspruch auf Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX. Durch die Gleichstellung komme sie bei der Prüfung der Übernahme in das Anwärterverhältnis in den Genuss des Eignungsmaßstabs, der für schwerbehinderte Beamtenanwärter gelte. Diese Einstellungsvoraussetzungen könne sie erfüllen. Ohne Gleichstellung könne sie den für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen.
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Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten, über die der Senat nach erklärtem Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Sozialgerichtsgesetz
) , ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
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Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 18.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.2.2011, gegen den sich die Klägerin mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 56 SGG) wehrt (zur Klageart: BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4, RdNr 9; zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung dieser Klage vgl Senatsurteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R).
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1. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin durch feststellenden Verwaltungsakt einem behinderten Menschen gleichzustellen.
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Gemäß § 2 Abs 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können(zum Verfahren vgl § 68 Abs 2 S 1, § 69 SGB IX). Zu den Voraussetzungen einer Gleichstellung nach Maßgabe des § 2 Abs 3 SGB IX im Einzelnen wird auf die Parallelentscheidung des Senats vom 6.8.2014 (B 11 AL 16/13 R) verwiesen.
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Die Klägerin erstrebt die Gleichstellung, weil sie ohne diese den konkret angestrebten und für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann (Alt 1). Dagegen macht sie nicht geltend, den von ihr besetzten Arbeitsplatz behalten zu wollen (Alt 2), sodass hier nur Alt 1 der Vorschrift zu prüfen ist.
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2. a) Die Gleichstellung nach Maßgabe des Erlangungstatbestands (§ 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX) setzt voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will.
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Die Klägerin möchte einen Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen. Arbeitsplätze im Sinne der Vorschrift sind auch Stellen, auf denen Beamte und Beamtinnen sowie die zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellten beschäftigt werden. Der angestrebte Arbeitsplatz als Beamtin auf Widerruf im gehobenen Dienst der Steuerverwaltung erfüllt diese Voraussetzungen.
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Der Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) setzt weiter voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz anstrebt. Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung. Nach der zweiten Alternative des Gleichstellungstatbestands ("behalten können") hat eine Gleichstellung zu erfolgen, um dem behinderten Menschen das Behalten seines Arbeitsplatzes zu ermöglichen. Ziel dieser Regelung ist es, dass der behinderte Mensch den konkret von ihm besetzten und für ihn geeigneten Arbeitsplatz behalten kann. Auch für den Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) ist zu verlangen, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will. Dies ist schon geboten, um den Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX nicht zu überdehnen. Würde es genügen, dass es - abstrakt betrachtet - (irgendwelche) Arbeitsplätze gibt, für die der behinderte Mensch, der Gleichstellung bedürfte, um sie zu erlangen, wäre fast jeder behinderte Mensch mit GdB 30 oder 40 gleichzustellen. Denn der behinderte Mensch müsste nur Arbeitsplätze benennen, die er ohne Gleichstellung nicht erlangen kann.
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Auch im Wortlaut des § 2 Abs 3 iVm § 73 SGB IX ist eine Konkretisierung angelegt, wenn dort zur Voraussetzung erhoben wird, dass der behinderte Mensch kausal durch die Behinderung "einen" für ihn geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Weder die Frage der Kausalität noch die Frage der Eignung des Arbeitsplatzes kann abstrakt und allgemein für alle denkbaren Arbeitsplätze geprüft werden.
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Schließlich spricht der Zweck der Regelung, die Sicherung oder Herstellung von Teilhabe am Arbeitsleben, für diese Auslegung. Die Vorschrift will - wie das LSG zutreffend herausgearbeitet hat - damit auch die Freiheit der Berufswahl des behinderten Menschen schützen. Das Grundrecht aus Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) will diese Freiheit ua objektivrechtlich gewährleisten (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG 12. Aufl 2012, Vorb vor Art 1 RdNr 3 mwN). Auch Art 27 Abs 1 S 2 Lit a und e UN-BRK und Art 21, 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geben (EUGrdRCh) Hinweise zur Auslegung des § 2 Abs 3 SGB IX, denn nach diesen völkerrechtlichen und supranationalen Normen ist ein diskriminierungsfreier Zustand anzustreben. Dieser ist nicht bereits dadurch hergestellt, dass ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, vielmehr muss auch der Zugang zu anderen bzw der Wechsel von Berufsfeldern diskriminierungsfrei ermöglicht werden (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
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Andererseits knüpfen die Voraussetzungen der Gleichstellung nicht an einer abstrakten Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben an, sondern schützen das Erlangen von bestimmten Arbeitsplätzen (zu Alt 2 Bayerisches LSG Urteil vom 15.2.2001 - L 9 AL 381/99 - Juris RdNr 22; Bayerisches LSG Urteil vom 18.12.2013 - L 10 AL 104/11; aA Luthe in jurisPK-SGB IX, § 2 SGB IX RdNr 100 f). § 2 Abs 3 SGB IX versteht die angestrebte Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben also konkret.
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Die Tatsache, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz inne hat, steht dem Anspruch auf Gleichstellung zur Erlangung eines (anderen) Arbeitsplatzes nicht entgegen. Zwar bedarf die Klägerin keiner Gleichstellung, um ihren bisherigen Arbeitsplatz behalten zu können. Das Behalten des Arbeitsplatzes will sie mit diesem Rechtsstreit auch nicht erreichen. Sie möchte vielmehr (nur) einen neuen Arbeitsplatz erlangen. Hierauf hat sie ihr Begehren in zulässiger Weise beschränkt (BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4). Die Alternative 1 des § 2 Abs 3 SGB IX setzt aber schon seinem Wortlaut nach nur voraus, dass der behinderte Mensch ohne Gleichstellung einen Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Die Vorschrift hat nicht zur weiteren Voraussetzung, dass ein Antragsteller ohne Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz innehat.
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Das Recht auf Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes haben nicht nur arbeitslose behinderte Menschen, sondern auch behinderte Menschen, die sich beruflich verändern wollen. Denn ein diskriminierungsfreier Zustand ist nach Art 21 und Art 26 EUGrdRCh nicht bereits dann hergestellt, wenn ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, die regelmäßig im Beamtenverhältnis ausgeübt wird; vielmehr müssen Gesetzgeber und Dienstherr die Voraussetzungen zum Zugang zum Beamtenverhältnis in der Weise modifizieren, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausübung der entsprechenden Tätigkeit gerade im Beamtenverhältnis ermöglicht wird (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; Hessisches LSG Urteil vom 19.6.2013 - L 6 AL 116/12 - Juris).
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b) Die Klägerin erfüllt die genannten Voraussetzungen.
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Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine Gleichstellung, denn sie hat sowohl ihren Wohnsitz als auch ihren Arbeitsplatz im Inland. Bei ihr ist ein GdB von 30 festgestellt. Sie möchte einen konkreten Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen, nämlich den einer Beamtin auf Widerruf bei der Finanzbehörde FHH für die Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin.
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Der angestrebte Arbeitsplatz ist für die Klägerin geeignet. Das LSG hat die Geeignetheit des angestrebten Arbeitsplatzes festgestellt, ohne dass die Beteiligten insoweit Verfahrensrügen erhoben hätten. Nachdem die Klägerin schon bisher die Anforderungen einer Vollzeittätigkeit auf einem Büroarbeitsplatz erfüllte, bestehen auch keine Zweifel, dass die angestrebte Tätigkeit für sie geeignet ist, sie also gesundheitlich auf Dauer nicht überfordert.
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Sie bedarf kausal wegen ihrer Behinderung der Gleichstellung, um den konkreten Arbeitsplatz erlangen zu können. Ohne die behinderungsbedingten Einschränkungen wäre sie für den angestrebten Arbeitsplatz eingestellt worden. Es spricht auch viel dafür, dass sie nach erfolgter Gleichstellung die gesundheitlichen Anforderungen für die Einstellung von Beamtinnen auf Widerruf erfüllen wird.
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Die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung von Bewerbern für das Beamtenverhältnis hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) jüngst konkretisiert. Danach erfüllt ein Beamtenbewerber die Voraussetzung der gesundheitlichen Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze Dienstunfähigkeit eintritt (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244). Das BVerwG hat damit die zuvor geltenden Anforderungen zwar gelockert, es hält aber weitere Modifikationen der Eignungsanforderungen für Bewerber, die weder schwerbehindert noch schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind, verfassungsrechtlich nicht für geboten (BVerwG aaO - Juris RdNr 34 f).
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Erfüllen Bewerber diese gesundheitlichen Anforderungen nicht, können sie in der FHH einen Arbeitsplatz im Beamtenverhältnis nur erlangen, wenn sie schwerbehindert sind oder schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Denn für diese Personengruppen bestimmt das hier einschlägige und vom LSG festgestellte Landesrecht (§ 9 Abs 5 S 3 der Verordnung über die Laufbahnen der hamburgischen Beamtinnen und Beamten vom 22.12.2009; HmbGVBl 2009, 511), dass von gleichgestellten Personen nur ein geringeres Maß körperlicher Eignung verlangt werden darf. Danach erfüllen schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Personen die gesundheitlichen Anforderungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis, wenn für etwa zehn Jahre eine höhere Wahrscheinlichkeit als 50 vH dafür spricht, dass der Beamte dienstfähig bleibt und in diesem Zeitraum keine krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als etwa zwei Monaten pro Jahr auftreten werden. Die Wahrscheinlichkeit einer einmaligen, längeren Ausfallzeit steht einer positiven Prognose nicht entgegen (vgl auch Hamburgisches OVG Urteil vom 26.9.2008 - 1 Bf 19/08, bestätigt durch BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris).
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Ob die Klägerin ohne Anerkennung einer Gleichstellung die Einstellungsanforderungen für Arbeitsplätze von Beamten im gehobenen Dienst erfüllt, wie sie das BVerwG formuliert hat (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244), erscheint fraglich. Die Entscheidung hierüber obliegt nicht dem Senat, sondern ist von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit in deren Zuständigkeit zu treffen. Bislang hat die Klägerin eine positive Entscheidung über ihre Einstellung jedenfalls nicht erlangt.
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Nach aktuellem Sachstand hat die Klägerin infolge der Behinderung einen Wettbewerbsnachteil; denn sie kann aufgrund ihrer Behinderung den angestrebten Arbeitsplatz nicht erlangen. Dieser Nachteil kann durch die Gleichstellung ausgeglichen werden; denn das LSG hat festgestellt, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz erlangen möchte und diesen (bisher) "infolge" ihrer Behinderung nicht erlangen kann. Dies genügt, um einen Anspruch auf Gleichstellung zu bejahen.
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Die Sorge der Beklagten, dass eine Gleichstellung in Fällen der vorliegenden Art zu einer Konturlosigkeit und Ausuferung der Gleichstellung führen würde, vermag der Senat nur bedingt zu teilen. Einerseits hat der Gleichstellungsanspruch nach § 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX eine Reihe von Voraussetzungen, die insbesondere im Parallelverfahren erläutert wurden(BSG Urteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R). Wenn die Beklagte trotz dieser Anforderungen künftig eine größere Zahl an Gleichstellungen vornehmen müsste, als dies bisher der Fall war, ist dies eine Folge der im Bundesrecht, aber auch im supranationalen Recht und Völkerrecht angelegten und ins Bundesrecht übernommenen Förderung der Teilhabe und Beseitigung der Diskriminierung von behinderten Menschen (vgl § 1 SGB IX).
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c) Ein Anspruch auf Gleichstellung scheitert schließlich nicht daran, dass die Beklagte über die Gleichstellung grundsätzlich nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie in anderen vergleichbaren Fällen - der BA ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt ihr nur dann die Möglichkeit, zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung zu gelangen, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Sofern ein solcher - wie hier - nicht vorliegt, ist die BA zur Gleichstellung verpflichtet (BSG Urteil vom 2.3.2000 - B 7 AL 46/99 R; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
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3. Die Verfahrensrüge der Beklagten ist unzulässig, weil die ihr zugrunde liegenden Tatsachen nicht in der nach § 164 Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise aufzeigt wurden.
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Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 S 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 19 mwN). Daran fehlt es hier.
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Es ist schon fraglich, ob die Beklagte eine Pflicht zur Aussetzung des Rechtsstreits hinreichend aufgezeigt hat. Zwar kann das Ermessen des Gerichts, einen Rechtsstreit auszusetzen, auf diese Entscheidung hin reduziert sein (zB BSG Beschluss vom 19.7.2006 - B 11a AL 7/06 B). Die Beklagte hat aber nicht dargetan, dass die Voraussetzungen der Aussetzung nach § 114 Abs 2 S 1 SGG vorlagen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Entscheidung des LSG von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhinge, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits - hier desjenigen beim OVG - bildete.
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Zwar entscheidet das OVG (irgendwann) über den Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis. Inwieweit die Entscheidung des LSG über die Gleichstellung von dem Ausgang des Rechtsstreits beim OVG abhängt, ist in der Revisionsbegründung nicht herausgearbeitet worden. Insoweit trifft zwar zu, dass sich der Rechtsstreit wegen Gleichstellung auf sonstige Weise hätte erledigen können, wenn die Klägerin dort die Einstellung auf den begehrten Arbeitsplatz erlangt hätte. Schon dies ist aber nicht zwingend. Würde das OVG die Einstellung dagegen ablehnen oder die potentielle Arbeitgeberin zu einer neuen Entscheidung über die Einstellung verpflichten, wäre für diesen Rechtsstreit weder positiv noch negativ etwas entschieden.
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Im Gegenteil könnte auch argumentiert werden, dass die Entscheidung dieses Rechtsstreits für denjenigen beim OVG präjudiziell ist, weil die Prüfung der gesundheitlichen Eignung der Bewerberin für die Stelle einer Beamtin auf Widerruf sich nach anderen beamtenrechtlichen Maßstäben richtet, wenn die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wäre (vgl BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris; BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244).
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Die Beklagte hat auch nicht aufgezeigt, dass die Entscheidung des LSG auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann (zu dieser Anforderung: Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 12c). Dabei muss deutlich werden, dass der Verfahrensfehler den Inhalt der Entscheidung beeinflusst hat (BSG Beschluss vom 7.7.2009 - B 11 AL 108/08 B). Daran fehlt es, wenn die Beklagte lediglich behauptet, das LSG hätte den Rechtsstreit aussetzen müssen. Dass und inwieweit die unterlassene Aussetzung die Sachentscheidung beeinflusst haben könnte, wird nicht dargetan.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 Abs 1 SGG.
Tenor
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Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. April 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Im Streit ist ein Anspruch des Klägers auf Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten nach § 2 Abs 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).
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Der 1966 geborene Kläger ist Beamter auf Lebenszeit. Seit 1992 ist er bei der Deutschen Telekom AG beschäftigt und seit November 2002 als Transfermitarbeiter bei der Personal-Service-Agentur Vivento, einer 100 %-igen Tochter der Deutschen Telekom AG, eingesetzt. Die Personal-Service-Agentur Vivento bietet Outsourcing und Projektmanagement an und vermittelt Fachpersonal zu Unternehmen und Behörden. Das zuständige Versorgungsamt stellte zugunsten des Klägers einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 ua wegen eines psychischen Leidens fest (Bescheid vom 8.6.2005; Widerspruchsbescheid vom 11.7.2005).
- 3
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Den Antrag des Klägers vom 26.8.2005, ihn mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 25.1.2006; Widerspruchsbescheid vom 1.12.2006). Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Mainz vom 30.6.2008; Urteil des Landessozialgerichts . Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dass der Kläger angesichts der Unkündbarkeit als Beamter auf Lebenszeit keiner Konkurrenzsituation ausgesetzt sei, die eine Gleichstellung mit Schwerbehinderten rechtfertige. Nur in Ausnahmefällen könnten auch Arbeitsplätze von Beamten auf Lebenszeit gefährdet sein, beispielsweise, wenn die Behörde aufgelöst werde oder der Dienstherr ein Verfahren auf Zur-Ruhe-Setzung wegen Dienstunfähigkeit einleite. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Arbeitsplatz des Klägers auch nur abstrakt gefährdet sei. Deshalb bedürfe die Frage, ob er rechtmäßig als Transfermitarbeiter eingesetzt werde, keiner abschließenden Beurteilung. Unerheblich sei auch, ob die Personal-Service-Agentur Vivento ggf erwäge, den Kläger an eine andere Organisationseinheit zu versetzen. Der Kläger sei durch seinen Beamtenstatus hinreichend gegen widerrechtliche Versetzungen und den Verlust eines amtsangemessenen Arbeitsplatzes geschützt.Rheinland-Pfalz vom 30.4.2009)
- 4
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Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX, der grundsätzlich auch auf Beamte Anwendung finde. Dies gelte jedenfalls in Fällen, in denen - wie hier - ein Beamter aus dem klassischen Beamtenverhältnis gezwungenermaßen heraustrete, ihm kein Dienstposten mehr zugewiesen und er aufgefordert werde, sich zu bewerben. Betroffene Beamte müssten vielfach auf den offenen Arbeitsmarkt ausweichen bzw sollten durch Transfergesellschaften wie Vivento dauerhaft vermittelt werden und gerieten so in eine dem Beamtenverhältnis untypische Konkurrenzsituation. Das LSG habe seinen Vortrag verfahrensfehlerhaft unberücksichtigt gelassen und hierdurch sein rechtliches Gehör verletzt.
- 5
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 25.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.12.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn einem Schwerbehinderten gleichzustellen.
- 6
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
- 7
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz
) . Es fehlen hinreichende tatsächliche Feststellungen (§ 163 SGG) zu den Voraussetzungen für eine Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX.
- 9
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Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 25.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.12.2006 (§ 95 SGG), gegen den sich der Kläger mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, § 56 SGG) wehrt.
- 10
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Nach § 2 Abs 3 SGB IX(in der Normfassung des SGB IX vom 19.6.2001 - BGBl I 1056) sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen(mit einem GdB von wenigstens 50; § 2 Abs 2 SGB IX) gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können. § 2 Abs 2 SGB IX knüpft die Schwerbehinderung an einen GdB von 50 sowie den Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder die rechtmäßige Beschäftigung iS des § 73 SGB IX im Geltungsbereich dieses Gesetzes.
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Zwar erfüllt der Kläger die persönlichen Voraussetzungen eines anerkannten GdB von 30 und des Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland; jedoch ist der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG nicht in der Lage zu beurteilen, ob der Kläger infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht (behalten oder) erlangen kann. Ein Anspruch des Klägers ist jedenfalls nicht schon mangels Gefährdung seines Arbeitsplatzes ausgeschlossen.
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Die Gleichstellung Beamter (oder anderer unkündbarer Arbeitnehmer) scheidet zunächst - wovon auch das LSG ausgeht - nicht generell wegen deren Unkündbarkeit aus. Dies zeigt schon der Wortlaut des § 2 Abs 3 SGB IX in seiner Bezugnahme auf § 73 SGB IX, der den Begriff des Arbeitsplatzes als Stelle definiert, auf der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden. Auch Sinn und Zweck der Gleichstellung lassen nicht den Schluss zu, dass Beamte nicht dem Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX unterfallen. Die Gleichstellung dient dazu, die ungünstige Konkurrenzsituation des Behinderten am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und somit den Arbeitsplatz sicherer zu machen oder seine Vermittlungschancen zu erhöhen (BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-2870 § 2 Nr 1 S 6 f). Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen zwei Alternativen, nämlich der Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes (Alternative 2) sowie der Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 73 SGB IX (Alternative 1), die kumulativ, aber auch nur alternativ vorliegen können(BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-3870 § 2 Nr 1 S 6 f).
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Die Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes dient dazu, bei einer Arbeitsplatzgefährdung den Arbeitsplatz sicherer zu machen. Deshalb bedarf es - wie das LSG zu Recht annimmt - einer besonderen Prüfung bei Personengruppen mit einem "sicheren Arbeitsplatz", wie bei Beamten, Richtern auf Lebenszeit und Arbeitnehmern mit besonderem Kündigungsschutz (Backendorf/Ritz in Bihr/Fuchs/Krauskopf/Ritz, SGB IX, 2006, § 68 RdNr 39). Bei diesen Personengruppen können die allgemeinen Voraussetzungen der Gleichstellung wegen Arbeitsplatzgefährdung zwar vorliegen, es bedarf aber einer besonderen Begründung, warum trotz Kündigungsschutz der Arbeitsplatz nachvollziehbar unsicherer ist als bei einem nichtbehinderten Kollegen. Dies ist bei einem Beamten beispielsweise der Fall, wenn behinderungsbedingt die Versetzung in den Ruhestand (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.5.2002 - L 9 AL 241/01; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.11.1995 - L 6 AR 159/94 -, ZfS 1996, 375 ff; Luthe in jurisPraxiskommentar SGB IX, 2010, § 2 RdNr 102; Backendorf/Ritz, aaO, RdNr 39) oder die behinderungsbedingte Versetzung oder Umsetzung auf einen anderen nicht gleichwertigen Arbeitsplatz droht (Backendorf/Ritz aaO; Luthe aaO). Einen Gleichstellungsanspruch wegen Arbeitsplatzgefährdung nehmen Rechtsprechung und Literatur daneben auch dann an, wenn die Behörde aufgelöst wird (LSG Nordrhein-Westfalen aaO; Luthe aaO; Cramer, Schwerbehindertengesetz, 5. Aufl 1998, § 2 RdNr 5), obwohl in einem solchen Fall der Arbeitsplatz nicht (nur) gefährdet ist, sondern tatsächlich wegfällt und auch nicht zu erkennen ist, weshalb bei der Auflösung einer Behörde der Arbeitsplatz nachvollziehbar unsicherer ist als bei einem nichtbehinderten Kollegen. Hier wäre - wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes - eher an eine Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten (neuen) Arbeitsplatzes zu denken (siehe dazu unten).
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Das LSG hat einen drohenden Verlust des Arbeitsplatzes bezogen auf die Tätigkeit als "Transfermitarbeiter" bei der Vivento im Hinblick auf die Unkündbarkeit des Klägers zwar pauschal und ohne nähere Begründung verneint. Der Kläger hatte seinen ursprünglichen Arbeitsplatz mit dem Wechsel in diese Gesellschaft, bei der er seit November 2002 eingesetzt und als "Transfermitarbeiter" geführt wird, allerdings bereits verloren. Das LSG hätte sich deshalb nicht mit der Prüfung der 2. Alternative des § 2 Abs 3 SGB IX (Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes) begnügen dürfen. Vielmehr hätte es auch bei Unkündbarkeit des Klägers prüfen müssen, ob wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls die Voraussetzungen der 1. Alternative des § 2 Abs 3 SGB IX (Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes) vorliegen. Solche besonderen Umstände liegen vor, wenn der ursprüngliche Arbeitsplatz eines Beamten nicht mehr existiert, sei es, weil die Behörde aufgelöst wurde, sei es aus anderen Gründen, und der Beamte in eine andere Beschäftigung oder Tätigkeit vermittelt werden soll und selbst eine solche Vermittlung - unabhängig von der Frage eines Anspruchs auf eine amtsangemessene Beschäftigung - wünscht. Ob der Beamtenstatus hinreichend gegen (widerrechtliche) Versetzungen und den Verlust eines amtsangemessenen Arbeitsplatzes schützt, ist dabei ohne Bedeutung. Die Freiheit, auch als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, kann nämlich nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Arbeitnehmern bei der Arbeitsuche schlechter gestellt wird.
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Ob eine derartige Fallgestaltung vorliegt, kann den Feststellungen des LSG nicht entnommen werden. Danach hat der Betriebsrat zwar auf Anfrage der Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger "Transfermitarbeiter" sei und versucht werde, ihn auf einen Dauerarbeitsplatz zu vermitteln, wobei Schwerbehinderte und mit Schwerbehinderten gleichgestellte Menschen bei gleicher Eignung bei allen Stellenbesetzungen bevorzugt würden. Eigene Feststellungen des LSG hierzu fehlen jedoch. Diese wird es ggf nachzuholen haben. Um den Vermittlungswunsch des Beamten zu belegen, ist dabei schon der Antrag, einem Schwerbehinderten gleichgestellt zu werden, ausreichend. Ihm kann insoweit indizielle Bedeutung beigemessen werden, ohne dass es einer ausdrücklichen Erklärung des Beamten oder einer Glaubhaftmachung hinsichtlich des Vermittlungswunsches bedarf. Ein Anspruch auf Gleichstellung kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn der Kläger "infolge" seiner Behinderung (Kausalität) bei wertender Betrachtung (im Sinne einer wesentlichen Bedingung) in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Nichtbehinderten in besonderer Weise beeinträchtigt und deshalb nur schwer vermittelbar ist. Entscheidendes Kriterium für die Gleichstellung ist deshalb die mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Behinderten wegen seiner Behinderung auf dem Arbeitsmarkt, und zwar auf dem Arbeitsmarkt insgesamt, nicht etwa nur bezogen auf einen bestimmten Arbeitsplatz (BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-3870 § 2 Nr 1 S 6 f). Aus der besonders geregelten und geschützten Stellung des Beamten resultiert kein mangelnder Bezug zum Arbeitsmarkt, wie schon § 73 SGB IX zeigt (siehe oben). Die Konkurrenzfähigkeit des Klägers misst sich dabei nicht allein an seiner früheren - bis 2002 oder in der Vivento ausgeübten - Tätigkeit und seinen beruflichen Wünschen, sondern auch an den Tätigkeiten, auf die etwaige Vermittlungsbemühungen erstreckt werden. Entsprechende Feststellungen wird das LSG ggf nachzuholen haben (zum maßgebenden Zeitpunkt für die Beurteilung einer Gleichstellung vgl BSG, aaO).
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Sollte das LSG eine mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Klägers im dargestellten Sinne feststellen, hat der Kläger einen Anspruch ("soll") auf die Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes. Sie hat zur Folge, dass der Gleichgestellte auf die Pflichtplatzquote des Arbeitgebers angerechnet wird. Für einen potenziellen Arbeitgeber wird auf diese Weise ein Anreiz geschaffen, den Arbeitslosen einzustellen. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie auch in anderen vergleichbaren Fällen - der Arbeitsagentur ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt der Arbeitsagentur nur dann die Möglichkeit zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Auch insoweit hat das LSG ggf entsprechende Feststellungen nachzuholen. Im Übrigen wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Tenor
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Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
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Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
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Streitig ist, ob die Klägerin gemäß § 2 Abs 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen ist.
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Die 1982 geborene Klägerin ist seit September 2002 als Angestellte bei der J. (FHH) im mittleren Dienst vollzeitbeschäftigt. Bei ihr ist wegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa) seit 23.7.2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt.
- 3
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Am 24.9.2010 beantragte die Klägerin bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit (BA) die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Zwar sei ihr derzeitiges Beschäftigungsverhältnis unbefristet und ungekündigt. Auch könne sie ihre bisherige Tätigkeit ohne Einschränkung ausüben. Sie benötige die Gleichstellung aber, um ihre Vermittlungschancen für ein neues Arbeitsverhältnis bzw einen neuen Ausbildungsplatz zu verbessern. Im Juli 2009 bewarb sich die Klägerin bei der F. für eine Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin (gehobener Dienst). Nach erfolgreichem Vorstellungsgespräch bot ihr die F. zum 1.10.2009 die Einstellung unter dem Vorbehalt an, dass der personalärztliche Dienst diese befürworte. Später lehnte die F. die Einstellung ab (Bescheid vom 30.9.2009). Sie verwies auf ein Gutachten des ärztlichen Dienstes, wonach die Klägerin nicht über die für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf erforderliche gesundheitliche Eignung verfüge. Die Rechtsmittel der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid der F. sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid der FHH vom 27.9.2010; Urteil des Verwaltungsgerichts
Hamburg vom 11.1.2013 - 8 K 3007/10) . Das Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg (1 Bf 32/13) ist noch anhängig.
- 4
-
Die Beklagte lehnte den Gleichstellungsantrag der Klägerin ab (Bescheid vom 18.10.2010) und wies den dagegen erhobenen Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 11.2.2011).
- 5
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Die Klägerin hat Klage zum Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und darauf verwiesen, Art 27 Abs 1 Lit e) und g) des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (BGBl 2008 II, S 1419; UN-Behindertenrechtskonvention, im Folgenden: UN-BRK) sei zu beachten. Danach habe sie als behinderter Mensch hinsichtlich ihres Berufs ein weitgehendes Wahlrecht; auch berufliche Aufstiegschancen seien zu berücksichtigen. Die Beklagte hat entgegnet, der berufliche Aufstieg könne nicht durch eine Gleichstellung gefördert werden. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.9.2012). Der Wunsch nach beruflichem Aufstieg falle nicht unter das "Erlangen" eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 2 Abs 3 SGB IX.
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Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen (Urteil vom 30.10.2013). Es müsse dem behinderten Menschen mittels Gleichstellung ermöglicht werden, einen Arbeitsplatz zu erlangen, der seinen beruflichen Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten entspreche. Die Freiheit, als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, dürfe nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Menschen bei der Gleichstellung schlechtergestellt werde.
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Die Beklagte rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision das Vorliegen eines Verfahrensfehlers. Das LSG habe den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des OVG Hamburg (1 Bf 32/13) wegen Übernahme in das Beamtenverhältnis aussetzen müssen. Die Entscheidung des OVG sei für die hier zu treffende Entscheidung präjudiziell. Zwar liege eine Aussetzung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen habe hier aber die Pflicht bestanden, den Rechtsstreit auszusetzen. Die Aussetzung sei auch geboten, weil das LSG die Beweise dahingehend gewürdigt habe, dass die Klägerin - jedenfalls nach Gleichstellung - gesundheitlich für eine Berufung in das Beamtenverhältnis geeignet sei. Die Beklagte rügt auch die Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX. Dessen Voraussetzungen seien nicht gegeben. Die Klägerin sei unbefristet auf einem geeigneten Arbeitsplatz beschäftigt. Sie begehre die Gleichstellung zum Zwecke der Förderung des beruflichen Aufstiegs. Die Gleichstellung könne nicht begehrt werden, um Diskriminierungen zu beseitigen, die durch die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung bei der Bewerbung um die Übernahme in ein (anderes) Beamtenverhältnis entstehen. Insofern sei bei öffentlichen Arbeitgebern ein besonderes Verständnis für Menschen mit Behinderung vorauszusetzen. Ein Anspruch auf Gleichstellung ergebe sich auch nicht aus der UN-BRK.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. September 2012 zurückzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
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Das LSG sei nicht zur Aussetzung des Rechtsstreits verpflichtet gewesen. Die Klägerin habe Anspruch auf Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX. Durch die Gleichstellung komme sie bei der Prüfung der Übernahme in das Anwärterverhältnis in den Genuss des Eignungsmaßstabs, der für schwerbehinderte Beamtenanwärter gelte. Diese Einstellungsvoraussetzungen könne sie erfüllen. Ohne Gleichstellung könne sie den für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen.
- 11
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Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten, über die der Senat nach erklärtem Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Sozialgerichtsgesetz
) , ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
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Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 18.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.2.2011, gegen den sich die Klägerin mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 56 SGG) wehrt (zur Klageart: BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4, RdNr 9; zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung dieser Klage vgl Senatsurteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R).
- 14
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1. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin durch feststellenden Verwaltungsakt einem behinderten Menschen gleichzustellen.
- 15
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Gemäß § 2 Abs 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können(zum Verfahren vgl § 68 Abs 2 S 1, § 69 SGB IX). Zu den Voraussetzungen einer Gleichstellung nach Maßgabe des § 2 Abs 3 SGB IX im Einzelnen wird auf die Parallelentscheidung des Senats vom 6.8.2014 (B 11 AL 16/13 R) verwiesen.
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Die Klägerin erstrebt die Gleichstellung, weil sie ohne diese den konkret angestrebten und für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann (Alt 1). Dagegen macht sie nicht geltend, den von ihr besetzten Arbeitsplatz behalten zu wollen (Alt 2), sodass hier nur Alt 1 der Vorschrift zu prüfen ist.
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2. a) Die Gleichstellung nach Maßgabe des Erlangungstatbestands (§ 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX) setzt voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will.
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Die Klägerin möchte einen Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen. Arbeitsplätze im Sinne der Vorschrift sind auch Stellen, auf denen Beamte und Beamtinnen sowie die zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellten beschäftigt werden. Der angestrebte Arbeitsplatz als Beamtin auf Widerruf im gehobenen Dienst der Steuerverwaltung erfüllt diese Voraussetzungen.
- 19
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Der Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) setzt weiter voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz anstrebt. Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung. Nach der zweiten Alternative des Gleichstellungstatbestands ("behalten können") hat eine Gleichstellung zu erfolgen, um dem behinderten Menschen das Behalten seines Arbeitsplatzes zu ermöglichen. Ziel dieser Regelung ist es, dass der behinderte Mensch den konkret von ihm besetzten und für ihn geeigneten Arbeitsplatz behalten kann. Auch für den Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) ist zu verlangen, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will. Dies ist schon geboten, um den Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX nicht zu überdehnen. Würde es genügen, dass es - abstrakt betrachtet - (irgendwelche) Arbeitsplätze gibt, für die der behinderte Mensch, der Gleichstellung bedürfte, um sie zu erlangen, wäre fast jeder behinderte Mensch mit GdB 30 oder 40 gleichzustellen. Denn der behinderte Mensch müsste nur Arbeitsplätze benennen, die er ohne Gleichstellung nicht erlangen kann.
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Auch im Wortlaut des § 2 Abs 3 iVm § 73 SGB IX ist eine Konkretisierung angelegt, wenn dort zur Voraussetzung erhoben wird, dass der behinderte Mensch kausal durch die Behinderung "einen" für ihn geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Weder die Frage der Kausalität noch die Frage der Eignung des Arbeitsplatzes kann abstrakt und allgemein für alle denkbaren Arbeitsplätze geprüft werden.
- 21
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Schließlich spricht der Zweck der Regelung, die Sicherung oder Herstellung von Teilhabe am Arbeitsleben, für diese Auslegung. Die Vorschrift will - wie das LSG zutreffend herausgearbeitet hat - damit auch die Freiheit der Berufswahl des behinderten Menschen schützen. Das Grundrecht aus Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) will diese Freiheit ua objektivrechtlich gewährleisten (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG 12. Aufl 2012, Vorb vor Art 1 RdNr 3 mwN). Auch Art 27 Abs 1 S 2 Lit a und e UN-BRK und Art 21, 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geben (EUGrdRCh) Hinweise zur Auslegung des § 2 Abs 3 SGB IX, denn nach diesen völkerrechtlichen und supranationalen Normen ist ein diskriminierungsfreier Zustand anzustreben. Dieser ist nicht bereits dadurch hergestellt, dass ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, vielmehr muss auch der Zugang zu anderen bzw der Wechsel von Berufsfeldern diskriminierungsfrei ermöglicht werden (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
- 22
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Andererseits knüpfen die Voraussetzungen der Gleichstellung nicht an einer abstrakten Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben an, sondern schützen das Erlangen von bestimmten Arbeitsplätzen (zu Alt 2 Bayerisches LSG Urteil vom 15.2.2001 - L 9 AL 381/99 - Juris RdNr 22; Bayerisches LSG Urteil vom 18.12.2013 - L 10 AL 104/11; aA Luthe in jurisPK-SGB IX, § 2 SGB IX RdNr 100 f). § 2 Abs 3 SGB IX versteht die angestrebte Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben also konkret.
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Die Tatsache, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz inne hat, steht dem Anspruch auf Gleichstellung zur Erlangung eines (anderen) Arbeitsplatzes nicht entgegen. Zwar bedarf die Klägerin keiner Gleichstellung, um ihren bisherigen Arbeitsplatz behalten zu können. Das Behalten des Arbeitsplatzes will sie mit diesem Rechtsstreit auch nicht erreichen. Sie möchte vielmehr (nur) einen neuen Arbeitsplatz erlangen. Hierauf hat sie ihr Begehren in zulässiger Weise beschränkt (BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4). Die Alternative 1 des § 2 Abs 3 SGB IX setzt aber schon seinem Wortlaut nach nur voraus, dass der behinderte Mensch ohne Gleichstellung einen Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Die Vorschrift hat nicht zur weiteren Voraussetzung, dass ein Antragsteller ohne Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz innehat.
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Das Recht auf Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes haben nicht nur arbeitslose behinderte Menschen, sondern auch behinderte Menschen, die sich beruflich verändern wollen. Denn ein diskriminierungsfreier Zustand ist nach Art 21 und Art 26 EUGrdRCh nicht bereits dann hergestellt, wenn ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, die regelmäßig im Beamtenverhältnis ausgeübt wird; vielmehr müssen Gesetzgeber und Dienstherr die Voraussetzungen zum Zugang zum Beamtenverhältnis in der Weise modifizieren, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausübung der entsprechenden Tätigkeit gerade im Beamtenverhältnis ermöglicht wird (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; Hessisches LSG Urteil vom 19.6.2013 - L 6 AL 116/12 - Juris).
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b) Die Klägerin erfüllt die genannten Voraussetzungen.
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Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine Gleichstellung, denn sie hat sowohl ihren Wohnsitz als auch ihren Arbeitsplatz im Inland. Bei ihr ist ein GdB von 30 festgestellt. Sie möchte einen konkreten Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen, nämlich den einer Beamtin auf Widerruf bei der Finanzbehörde FHH für die Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin.
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Der angestrebte Arbeitsplatz ist für die Klägerin geeignet. Das LSG hat die Geeignetheit des angestrebten Arbeitsplatzes festgestellt, ohne dass die Beteiligten insoweit Verfahrensrügen erhoben hätten. Nachdem die Klägerin schon bisher die Anforderungen einer Vollzeittätigkeit auf einem Büroarbeitsplatz erfüllte, bestehen auch keine Zweifel, dass die angestrebte Tätigkeit für sie geeignet ist, sie also gesundheitlich auf Dauer nicht überfordert.
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Sie bedarf kausal wegen ihrer Behinderung der Gleichstellung, um den konkreten Arbeitsplatz erlangen zu können. Ohne die behinderungsbedingten Einschränkungen wäre sie für den angestrebten Arbeitsplatz eingestellt worden. Es spricht auch viel dafür, dass sie nach erfolgter Gleichstellung die gesundheitlichen Anforderungen für die Einstellung von Beamtinnen auf Widerruf erfüllen wird.
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Die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung von Bewerbern für das Beamtenverhältnis hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) jüngst konkretisiert. Danach erfüllt ein Beamtenbewerber die Voraussetzung der gesundheitlichen Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze Dienstunfähigkeit eintritt (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244). Das BVerwG hat damit die zuvor geltenden Anforderungen zwar gelockert, es hält aber weitere Modifikationen der Eignungsanforderungen für Bewerber, die weder schwerbehindert noch schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind, verfassungsrechtlich nicht für geboten (BVerwG aaO - Juris RdNr 34 f).
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Erfüllen Bewerber diese gesundheitlichen Anforderungen nicht, können sie in der FHH einen Arbeitsplatz im Beamtenverhältnis nur erlangen, wenn sie schwerbehindert sind oder schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Denn für diese Personengruppen bestimmt das hier einschlägige und vom LSG festgestellte Landesrecht (§ 9 Abs 5 S 3 der Verordnung über die Laufbahnen der hamburgischen Beamtinnen und Beamten vom 22.12.2009; HmbGVBl 2009, 511), dass von gleichgestellten Personen nur ein geringeres Maß körperlicher Eignung verlangt werden darf. Danach erfüllen schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Personen die gesundheitlichen Anforderungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis, wenn für etwa zehn Jahre eine höhere Wahrscheinlichkeit als 50 vH dafür spricht, dass der Beamte dienstfähig bleibt und in diesem Zeitraum keine krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als etwa zwei Monaten pro Jahr auftreten werden. Die Wahrscheinlichkeit einer einmaligen, längeren Ausfallzeit steht einer positiven Prognose nicht entgegen (vgl auch Hamburgisches OVG Urteil vom 26.9.2008 - 1 Bf 19/08, bestätigt durch BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris).
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Ob die Klägerin ohne Anerkennung einer Gleichstellung die Einstellungsanforderungen für Arbeitsplätze von Beamten im gehobenen Dienst erfüllt, wie sie das BVerwG formuliert hat (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244), erscheint fraglich. Die Entscheidung hierüber obliegt nicht dem Senat, sondern ist von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit in deren Zuständigkeit zu treffen. Bislang hat die Klägerin eine positive Entscheidung über ihre Einstellung jedenfalls nicht erlangt.
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Nach aktuellem Sachstand hat die Klägerin infolge der Behinderung einen Wettbewerbsnachteil; denn sie kann aufgrund ihrer Behinderung den angestrebten Arbeitsplatz nicht erlangen. Dieser Nachteil kann durch die Gleichstellung ausgeglichen werden; denn das LSG hat festgestellt, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz erlangen möchte und diesen (bisher) "infolge" ihrer Behinderung nicht erlangen kann. Dies genügt, um einen Anspruch auf Gleichstellung zu bejahen.
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Die Sorge der Beklagten, dass eine Gleichstellung in Fällen der vorliegenden Art zu einer Konturlosigkeit und Ausuferung der Gleichstellung führen würde, vermag der Senat nur bedingt zu teilen. Einerseits hat der Gleichstellungsanspruch nach § 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX eine Reihe von Voraussetzungen, die insbesondere im Parallelverfahren erläutert wurden(BSG Urteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R). Wenn die Beklagte trotz dieser Anforderungen künftig eine größere Zahl an Gleichstellungen vornehmen müsste, als dies bisher der Fall war, ist dies eine Folge der im Bundesrecht, aber auch im supranationalen Recht und Völkerrecht angelegten und ins Bundesrecht übernommenen Förderung der Teilhabe und Beseitigung der Diskriminierung von behinderten Menschen (vgl § 1 SGB IX).
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c) Ein Anspruch auf Gleichstellung scheitert schließlich nicht daran, dass die Beklagte über die Gleichstellung grundsätzlich nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie in anderen vergleichbaren Fällen - der BA ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt ihr nur dann die Möglichkeit, zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung zu gelangen, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Sofern ein solcher - wie hier - nicht vorliegt, ist die BA zur Gleichstellung verpflichtet (BSG Urteil vom 2.3.2000 - B 7 AL 46/99 R; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
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3. Die Verfahrensrüge der Beklagten ist unzulässig, weil die ihr zugrunde liegenden Tatsachen nicht in der nach § 164 Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise aufzeigt wurden.
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Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 S 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 19 mwN). Daran fehlt es hier.
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Es ist schon fraglich, ob die Beklagte eine Pflicht zur Aussetzung des Rechtsstreits hinreichend aufgezeigt hat. Zwar kann das Ermessen des Gerichts, einen Rechtsstreit auszusetzen, auf diese Entscheidung hin reduziert sein (zB BSG Beschluss vom 19.7.2006 - B 11a AL 7/06 B). Die Beklagte hat aber nicht dargetan, dass die Voraussetzungen der Aussetzung nach § 114 Abs 2 S 1 SGG vorlagen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Entscheidung des LSG von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhinge, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits - hier desjenigen beim OVG - bildete.
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Zwar entscheidet das OVG (irgendwann) über den Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis. Inwieweit die Entscheidung des LSG über die Gleichstellung von dem Ausgang des Rechtsstreits beim OVG abhängt, ist in der Revisionsbegründung nicht herausgearbeitet worden. Insoweit trifft zwar zu, dass sich der Rechtsstreit wegen Gleichstellung auf sonstige Weise hätte erledigen können, wenn die Klägerin dort die Einstellung auf den begehrten Arbeitsplatz erlangt hätte. Schon dies ist aber nicht zwingend. Würde das OVG die Einstellung dagegen ablehnen oder die potentielle Arbeitgeberin zu einer neuen Entscheidung über die Einstellung verpflichten, wäre für diesen Rechtsstreit weder positiv noch negativ etwas entschieden.
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Im Gegenteil könnte auch argumentiert werden, dass die Entscheidung dieses Rechtsstreits für denjenigen beim OVG präjudiziell ist, weil die Prüfung der gesundheitlichen Eignung der Bewerberin für die Stelle einer Beamtin auf Widerruf sich nach anderen beamtenrechtlichen Maßstäben richtet, wenn die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wäre (vgl BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris; BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244).
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Die Beklagte hat auch nicht aufgezeigt, dass die Entscheidung des LSG auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann (zu dieser Anforderung: Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 12c). Dabei muss deutlich werden, dass der Verfahrensfehler den Inhalt der Entscheidung beeinflusst hat (BSG Beschluss vom 7.7.2009 - B 11 AL 108/08 B). Daran fehlt es, wenn die Beklagte lediglich behauptet, das LSG hätte den Rechtsstreit aussetzen müssen. Dass und inwieweit die unterlassene Aussetzung die Sachentscheidung beeinflusst haben könnte, wird nicht dargetan.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 Abs 1 SGG.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
Tenor
-
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
-
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
- 1
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Streitig ist, ob die Klägerin gemäß § 2 Abs 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen ist.
- 2
-
Die 1982 geborene Klägerin ist seit September 2002 als Angestellte bei der J. (FHH) im mittleren Dienst vollzeitbeschäftigt. Bei ihr ist wegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa) seit 23.7.2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt.
- 3
-
Am 24.9.2010 beantragte die Klägerin bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit (BA) die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Zwar sei ihr derzeitiges Beschäftigungsverhältnis unbefristet und ungekündigt. Auch könne sie ihre bisherige Tätigkeit ohne Einschränkung ausüben. Sie benötige die Gleichstellung aber, um ihre Vermittlungschancen für ein neues Arbeitsverhältnis bzw einen neuen Ausbildungsplatz zu verbessern. Im Juli 2009 bewarb sich die Klägerin bei der F. für eine Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin (gehobener Dienst). Nach erfolgreichem Vorstellungsgespräch bot ihr die F. zum 1.10.2009 die Einstellung unter dem Vorbehalt an, dass der personalärztliche Dienst diese befürworte. Später lehnte die F. die Einstellung ab (Bescheid vom 30.9.2009). Sie verwies auf ein Gutachten des ärztlichen Dienstes, wonach die Klägerin nicht über die für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf erforderliche gesundheitliche Eignung verfüge. Die Rechtsmittel der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid der F. sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid der FHH vom 27.9.2010; Urteil des Verwaltungsgerichts
Hamburg vom 11.1.2013 - 8 K 3007/10) . Das Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg (1 Bf 32/13) ist noch anhängig.
- 4
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Die Beklagte lehnte den Gleichstellungsantrag der Klägerin ab (Bescheid vom 18.10.2010) und wies den dagegen erhobenen Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 11.2.2011).
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-
Die Klägerin hat Klage zum Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und darauf verwiesen, Art 27 Abs 1 Lit e) und g) des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (BGBl 2008 II, S 1419; UN-Behindertenrechtskonvention, im Folgenden: UN-BRK) sei zu beachten. Danach habe sie als behinderter Mensch hinsichtlich ihres Berufs ein weitgehendes Wahlrecht; auch berufliche Aufstiegschancen seien zu berücksichtigen. Die Beklagte hat entgegnet, der berufliche Aufstieg könne nicht durch eine Gleichstellung gefördert werden. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.9.2012). Der Wunsch nach beruflichem Aufstieg falle nicht unter das "Erlangen" eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 2 Abs 3 SGB IX.
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Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen (Urteil vom 30.10.2013). Es müsse dem behinderten Menschen mittels Gleichstellung ermöglicht werden, einen Arbeitsplatz zu erlangen, der seinen beruflichen Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten entspreche. Die Freiheit, als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, dürfe nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Menschen bei der Gleichstellung schlechtergestellt werde.
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Die Beklagte rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision das Vorliegen eines Verfahrensfehlers. Das LSG habe den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des OVG Hamburg (1 Bf 32/13) wegen Übernahme in das Beamtenverhältnis aussetzen müssen. Die Entscheidung des OVG sei für die hier zu treffende Entscheidung präjudiziell. Zwar liege eine Aussetzung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen habe hier aber die Pflicht bestanden, den Rechtsstreit auszusetzen. Die Aussetzung sei auch geboten, weil das LSG die Beweise dahingehend gewürdigt habe, dass die Klägerin - jedenfalls nach Gleichstellung - gesundheitlich für eine Berufung in das Beamtenverhältnis geeignet sei. Die Beklagte rügt auch die Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX. Dessen Voraussetzungen seien nicht gegeben. Die Klägerin sei unbefristet auf einem geeigneten Arbeitsplatz beschäftigt. Sie begehre die Gleichstellung zum Zwecke der Förderung des beruflichen Aufstiegs. Die Gleichstellung könne nicht begehrt werden, um Diskriminierungen zu beseitigen, die durch die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung bei der Bewerbung um die Übernahme in ein (anderes) Beamtenverhältnis entstehen. Insofern sei bei öffentlichen Arbeitgebern ein besonderes Verständnis für Menschen mit Behinderung vorauszusetzen. Ein Anspruch auf Gleichstellung ergebe sich auch nicht aus der UN-BRK.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. September 2012 zurückzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
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Das LSG sei nicht zur Aussetzung des Rechtsstreits verpflichtet gewesen. Die Klägerin habe Anspruch auf Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX. Durch die Gleichstellung komme sie bei der Prüfung der Übernahme in das Anwärterverhältnis in den Genuss des Eignungsmaßstabs, der für schwerbehinderte Beamtenanwärter gelte. Diese Einstellungsvoraussetzungen könne sie erfüllen. Ohne Gleichstellung könne sie den für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen.
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Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
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Die Revision der Beklagten, über die der Senat nach erklärtem Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Sozialgerichtsgesetz
) , ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
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Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 18.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.2.2011, gegen den sich die Klägerin mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 56 SGG) wehrt (zur Klageart: BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4, RdNr 9; zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung dieser Klage vgl Senatsurteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R).
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1. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin durch feststellenden Verwaltungsakt einem behinderten Menschen gleichzustellen.
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Gemäß § 2 Abs 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können(zum Verfahren vgl § 68 Abs 2 S 1, § 69 SGB IX). Zu den Voraussetzungen einer Gleichstellung nach Maßgabe des § 2 Abs 3 SGB IX im Einzelnen wird auf die Parallelentscheidung des Senats vom 6.8.2014 (B 11 AL 16/13 R) verwiesen.
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Die Klägerin erstrebt die Gleichstellung, weil sie ohne diese den konkret angestrebten und für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann (Alt 1). Dagegen macht sie nicht geltend, den von ihr besetzten Arbeitsplatz behalten zu wollen (Alt 2), sodass hier nur Alt 1 der Vorschrift zu prüfen ist.
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2. a) Die Gleichstellung nach Maßgabe des Erlangungstatbestands (§ 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX) setzt voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will.
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Die Klägerin möchte einen Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen. Arbeitsplätze im Sinne der Vorschrift sind auch Stellen, auf denen Beamte und Beamtinnen sowie die zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellten beschäftigt werden. Der angestrebte Arbeitsplatz als Beamtin auf Widerruf im gehobenen Dienst der Steuerverwaltung erfüllt diese Voraussetzungen.
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Der Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) setzt weiter voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz anstrebt. Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung. Nach der zweiten Alternative des Gleichstellungstatbestands ("behalten können") hat eine Gleichstellung zu erfolgen, um dem behinderten Menschen das Behalten seines Arbeitsplatzes zu ermöglichen. Ziel dieser Regelung ist es, dass der behinderte Mensch den konkret von ihm besetzten und für ihn geeigneten Arbeitsplatz behalten kann. Auch für den Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) ist zu verlangen, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will. Dies ist schon geboten, um den Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX nicht zu überdehnen. Würde es genügen, dass es - abstrakt betrachtet - (irgendwelche) Arbeitsplätze gibt, für die der behinderte Mensch, der Gleichstellung bedürfte, um sie zu erlangen, wäre fast jeder behinderte Mensch mit GdB 30 oder 40 gleichzustellen. Denn der behinderte Mensch müsste nur Arbeitsplätze benennen, die er ohne Gleichstellung nicht erlangen kann.
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Auch im Wortlaut des § 2 Abs 3 iVm § 73 SGB IX ist eine Konkretisierung angelegt, wenn dort zur Voraussetzung erhoben wird, dass der behinderte Mensch kausal durch die Behinderung "einen" für ihn geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Weder die Frage der Kausalität noch die Frage der Eignung des Arbeitsplatzes kann abstrakt und allgemein für alle denkbaren Arbeitsplätze geprüft werden.
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Schließlich spricht der Zweck der Regelung, die Sicherung oder Herstellung von Teilhabe am Arbeitsleben, für diese Auslegung. Die Vorschrift will - wie das LSG zutreffend herausgearbeitet hat - damit auch die Freiheit der Berufswahl des behinderten Menschen schützen. Das Grundrecht aus Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) will diese Freiheit ua objektivrechtlich gewährleisten (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG 12. Aufl 2012, Vorb vor Art 1 RdNr 3 mwN). Auch Art 27 Abs 1 S 2 Lit a und e UN-BRK und Art 21, 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geben (EUGrdRCh) Hinweise zur Auslegung des § 2 Abs 3 SGB IX, denn nach diesen völkerrechtlichen und supranationalen Normen ist ein diskriminierungsfreier Zustand anzustreben. Dieser ist nicht bereits dadurch hergestellt, dass ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, vielmehr muss auch der Zugang zu anderen bzw der Wechsel von Berufsfeldern diskriminierungsfrei ermöglicht werden (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
- 22
-
Andererseits knüpfen die Voraussetzungen der Gleichstellung nicht an einer abstrakten Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben an, sondern schützen das Erlangen von bestimmten Arbeitsplätzen (zu Alt 2 Bayerisches LSG Urteil vom 15.2.2001 - L 9 AL 381/99 - Juris RdNr 22; Bayerisches LSG Urteil vom 18.12.2013 - L 10 AL 104/11; aA Luthe in jurisPK-SGB IX, § 2 SGB IX RdNr 100 f). § 2 Abs 3 SGB IX versteht die angestrebte Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben also konkret.
- 23
-
Die Tatsache, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz inne hat, steht dem Anspruch auf Gleichstellung zur Erlangung eines (anderen) Arbeitsplatzes nicht entgegen. Zwar bedarf die Klägerin keiner Gleichstellung, um ihren bisherigen Arbeitsplatz behalten zu können. Das Behalten des Arbeitsplatzes will sie mit diesem Rechtsstreit auch nicht erreichen. Sie möchte vielmehr (nur) einen neuen Arbeitsplatz erlangen. Hierauf hat sie ihr Begehren in zulässiger Weise beschränkt (BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4). Die Alternative 1 des § 2 Abs 3 SGB IX setzt aber schon seinem Wortlaut nach nur voraus, dass der behinderte Mensch ohne Gleichstellung einen Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Die Vorschrift hat nicht zur weiteren Voraussetzung, dass ein Antragsteller ohne Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz innehat.
- 24
-
Das Recht auf Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes haben nicht nur arbeitslose behinderte Menschen, sondern auch behinderte Menschen, die sich beruflich verändern wollen. Denn ein diskriminierungsfreier Zustand ist nach Art 21 und Art 26 EUGrdRCh nicht bereits dann hergestellt, wenn ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, die regelmäßig im Beamtenverhältnis ausgeübt wird; vielmehr müssen Gesetzgeber und Dienstherr die Voraussetzungen zum Zugang zum Beamtenverhältnis in der Weise modifizieren, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausübung der entsprechenden Tätigkeit gerade im Beamtenverhältnis ermöglicht wird (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; Hessisches LSG Urteil vom 19.6.2013 - L 6 AL 116/12 - Juris).
- 25
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b) Die Klägerin erfüllt die genannten Voraussetzungen.
- 26
-
Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine Gleichstellung, denn sie hat sowohl ihren Wohnsitz als auch ihren Arbeitsplatz im Inland. Bei ihr ist ein GdB von 30 festgestellt. Sie möchte einen konkreten Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen, nämlich den einer Beamtin auf Widerruf bei der Finanzbehörde FHH für die Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin.
- 27
-
Der angestrebte Arbeitsplatz ist für die Klägerin geeignet. Das LSG hat die Geeignetheit des angestrebten Arbeitsplatzes festgestellt, ohne dass die Beteiligten insoweit Verfahrensrügen erhoben hätten. Nachdem die Klägerin schon bisher die Anforderungen einer Vollzeittätigkeit auf einem Büroarbeitsplatz erfüllte, bestehen auch keine Zweifel, dass die angestrebte Tätigkeit für sie geeignet ist, sie also gesundheitlich auf Dauer nicht überfordert.
- 28
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Sie bedarf kausal wegen ihrer Behinderung der Gleichstellung, um den konkreten Arbeitsplatz erlangen zu können. Ohne die behinderungsbedingten Einschränkungen wäre sie für den angestrebten Arbeitsplatz eingestellt worden. Es spricht auch viel dafür, dass sie nach erfolgter Gleichstellung die gesundheitlichen Anforderungen für die Einstellung von Beamtinnen auf Widerruf erfüllen wird.
- 29
-
Die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung von Bewerbern für das Beamtenverhältnis hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) jüngst konkretisiert. Danach erfüllt ein Beamtenbewerber die Voraussetzung der gesundheitlichen Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze Dienstunfähigkeit eintritt (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244). Das BVerwG hat damit die zuvor geltenden Anforderungen zwar gelockert, es hält aber weitere Modifikationen der Eignungsanforderungen für Bewerber, die weder schwerbehindert noch schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind, verfassungsrechtlich nicht für geboten (BVerwG aaO - Juris RdNr 34 f).
- 30
-
Erfüllen Bewerber diese gesundheitlichen Anforderungen nicht, können sie in der FHH einen Arbeitsplatz im Beamtenverhältnis nur erlangen, wenn sie schwerbehindert sind oder schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Denn für diese Personengruppen bestimmt das hier einschlägige und vom LSG festgestellte Landesrecht (§ 9 Abs 5 S 3 der Verordnung über die Laufbahnen der hamburgischen Beamtinnen und Beamten vom 22.12.2009; HmbGVBl 2009, 511), dass von gleichgestellten Personen nur ein geringeres Maß körperlicher Eignung verlangt werden darf. Danach erfüllen schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Personen die gesundheitlichen Anforderungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis, wenn für etwa zehn Jahre eine höhere Wahrscheinlichkeit als 50 vH dafür spricht, dass der Beamte dienstfähig bleibt und in diesem Zeitraum keine krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als etwa zwei Monaten pro Jahr auftreten werden. Die Wahrscheinlichkeit einer einmaligen, längeren Ausfallzeit steht einer positiven Prognose nicht entgegen (vgl auch Hamburgisches OVG Urteil vom 26.9.2008 - 1 Bf 19/08, bestätigt durch BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris).
- 31
-
Ob die Klägerin ohne Anerkennung einer Gleichstellung die Einstellungsanforderungen für Arbeitsplätze von Beamten im gehobenen Dienst erfüllt, wie sie das BVerwG formuliert hat (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244), erscheint fraglich. Die Entscheidung hierüber obliegt nicht dem Senat, sondern ist von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit in deren Zuständigkeit zu treffen. Bislang hat die Klägerin eine positive Entscheidung über ihre Einstellung jedenfalls nicht erlangt.
- 32
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Nach aktuellem Sachstand hat die Klägerin infolge der Behinderung einen Wettbewerbsnachteil; denn sie kann aufgrund ihrer Behinderung den angestrebten Arbeitsplatz nicht erlangen. Dieser Nachteil kann durch die Gleichstellung ausgeglichen werden; denn das LSG hat festgestellt, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz erlangen möchte und diesen (bisher) "infolge" ihrer Behinderung nicht erlangen kann. Dies genügt, um einen Anspruch auf Gleichstellung zu bejahen.
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Die Sorge der Beklagten, dass eine Gleichstellung in Fällen der vorliegenden Art zu einer Konturlosigkeit und Ausuferung der Gleichstellung führen würde, vermag der Senat nur bedingt zu teilen. Einerseits hat der Gleichstellungsanspruch nach § 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX eine Reihe von Voraussetzungen, die insbesondere im Parallelverfahren erläutert wurden(BSG Urteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R). Wenn die Beklagte trotz dieser Anforderungen künftig eine größere Zahl an Gleichstellungen vornehmen müsste, als dies bisher der Fall war, ist dies eine Folge der im Bundesrecht, aber auch im supranationalen Recht und Völkerrecht angelegten und ins Bundesrecht übernommenen Förderung der Teilhabe und Beseitigung der Diskriminierung von behinderten Menschen (vgl § 1 SGB IX).
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c) Ein Anspruch auf Gleichstellung scheitert schließlich nicht daran, dass die Beklagte über die Gleichstellung grundsätzlich nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie in anderen vergleichbaren Fällen - der BA ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt ihr nur dann die Möglichkeit, zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung zu gelangen, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Sofern ein solcher - wie hier - nicht vorliegt, ist die BA zur Gleichstellung verpflichtet (BSG Urteil vom 2.3.2000 - B 7 AL 46/99 R; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
- 35
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3. Die Verfahrensrüge der Beklagten ist unzulässig, weil die ihr zugrunde liegenden Tatsachen nicht in der nach § 164 Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise aufzeigt wurden.
- 36
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Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 S 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 19 mwN). Daran fehlt es hier.
- 37
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Es ist schon fraglich, ob die Beklagte eine Pflicht zur Aussetzung des Rechtsstreits hinreichend aufgezeigt hat. Zwar kann das Ermessen des Gerichts, einen Rechtsstreit auszusetzen, auf diese Entscheidung hin reduziert sein (zB BSG Beschluss vom 19.7.2006 - B 11a AL 7/06 B). Die Beklagte hat aber nicht dargetan, dass die Voraussetzungen der Aussetzung nach § 114 Abs 2 S 1 SGG vorlagen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Entscheidung des LSG von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhinge, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits - hier desjenigen beim OVG - bildete.
- 38
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Zwar entscheidet das OVG (irgendwann) über den Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis. Inwieweit die Entscheidung des LSG über die Gleichstellung von dem Ausgang des Rechtsstreits beim OVG abhängt, ist in der Revisionsbegründung nicht herausgearbeitet worden. Insoweit trifft zwar zu, dass sich der Rechtsstreit wegen Gleichstellung auf sonstige Weise hätte erledigen können, wenn die Klägerin dort die Einstellung auf den begehrten Arbeitsplatz erlangt hätte. Schon dies ist aber nicht zwingend. Würde das OVG die Einstellung dagegen ablehnen oder die potentielle Arbeitgeberin zu einer neuen Entscheidung über die Einstellung verpflichten, wäre für diesen Rechtsstreit weder positiv noch negativ etwas entschieden.
- 39
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Im Gegenteil könnte auch argumentiert werden, dass die Entscheidung dieses Rechtsstreits für denjenigen beim OVG präjudiziell ist, weil die Prüfung der gesundheitlichen Eignung der Bewerberin für die Stelle einer Beamtin auf Widerruf sich nach anderen beamtenrechtlichen Maßstäben richtet, wenn die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wäre (vgl BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris; BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244).
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Die Beklagte hat auch nicht aufgezeigt, dass die Entscheidung des LSG auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann (zu dieser Anforderung: Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 12c). Dabei muss deutlich werden, dass der Verfahrensfehler den Inhalt der Entscheidung beeinflusst hat (BSG Beschluss vom 7.7.2009 - B 11 AL 108/08 B). Daran fehlt es, wenn die Beklagte lediglich behauptet, das LSG hätte den Rechtsstreit aussetzen müssen. Dass und inwieweit die unterlassene Aussetzung die Sachentscheidung beeinflusst haben könnte, wird nicht dargetan.
- 41
-
4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 Abs 1 SGG.
(1) Als Reisekosten werden die erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten übernommen, die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben stehen. Zu den Reisekosten gehören auch die Kosten
- 1.
für besondere Beförderungsmittel, deren Inanspruchnahme wegen der Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist, - 2.
für eine wegen der Behinderung erforderliche Begleitperson einschließlich des für die Zeit der Begleitung entstehenden Verdienstausfalls, - 3.
für Kinder, deren Mitnahme an den Rehabilitationsort erforderlich ist, weil ihre anderweitige Betreuung nicht sichergestellt ist sowie - 4.
für den erforderlichen Gepäcktransport.
(2) Während der Ausführung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden im Regelfall auch Reisekosten für zwei Familienheimfahrten je Monat übernommen. Anstelle der Kosten für die Familienheimfahrten können für Fahrten von Angehörigen vom Wohnort zum Aufenthaltsort der Leistungsempfänger und zurück Reisekosten übernommen werden.
(3) Reisekosten nach Absatz 2 werden auch im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation übernommen, wenn die Leistungen länger als acht Wochen erbracht werden.
(4) Fahrkosten werden in Höhe des Betrages zugrunde gelegt, der bei Benutzung eines regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittels der niedrigsten Beförderungsklasse des zweckmäßigsten öffentlichen Verkehrsmittels zu zahlen ist, bei Benutzung sonstiger Verkehrsmittel in Höhe der Wegstreckenentschädigung nach § 5 Absatz 1 des Bundesreisekostengesetzes. Bei Fahrpreiserhöhungen, die nicht geringfügig sind, hat auf Antrag des Leistungsempfängers eine Anpassung der Fahrkostenentschädigung zu erfolgen, wenn die Maßnahme noch mindestens zwei weitere Monate andauert. Kosten für Pendelfahrten können nur bis zur Höhe des Betrages übernommen werden, der unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Behinderung bei einer zumutbaren auswärtigen Unterbringung für Unterbringung und Verpflegung zu leisten wäre.
Tenor
-
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
-
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
- 1
-
Streitig ist, ob die Klägerin gemäß § 2 Abs 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen ist.
- 2
-
Die 1982 geborene Klägerin ist seit September 2002 als Angestellte bei der J. (FHH) im mittleren Dienst vollzeitbeschäftigt. Bei ihr ist wegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa) seit 23.7.2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt.
- 3
-
Am 24.9.2010 beantragte die Klägerin bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit (BA) die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Zwar sei ihr derzeitiges Beschäftigungsverhältnis unbefristet und ungekündigt. Auch könne sie ihre bisherige Tätigkeit ohne Einschränkung ausüben. Sie benötige die Gleichstellung aber, um ihre Vermittlungschancen für ein neues Arbeitsverhältnis bzw einen neuen Ausbildungsplatz zu verbessern. Im Juli 2009 bewarb sich die Klägerin bei der F. für eine Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin (gehobener Dienst). Nach erfolgreichem Vorstellungsgespräch bot ihr die F. zum 1.10.2009 die Einstellung unter dem Vorbehalt an, dass der personalärztliche Dienst diese befürworte. Später lehnte die F. die Einstellung ab (Bescheid vom 30.9.2009). Sie verwies auf ein Gutachten des ärztlichen Dienstes, wonach die Klägerin nicht über die für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf erforderliche gesundheitliche Eignung verfüge. Die Rechtsmittel der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid der F. sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid der FHH vom 27.9.2010; Urteil des Verwaltungsgerichts
Hamburg vom 11.1.2013 - 8 K 3007/10) . Das Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg (1 Bf 32/13) ist noch anhängig.
- 4
-
Die Beklagte lehnte den Gleichstellungsantrag der Klägerin ab (Bescheid vom 18.10.2010) und wies den dagegen erhobenen Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 11.2.2011).
- 5
-
Die Klägerin hat Klage zum Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und darauf verwiesen, Art 27 Abs 1 Lit e) und g) des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (BGBl 2008 II, S 1419; UN-Behindertenrechtskonvention, im Folgenden: UN-BRK) sei zu beachten. Danach habe sie als behinderter Mensch hinsichtlich ihres Berufs ein weitgehendes Wahlrecht; auch berufliche Aufstiegschancen seien zu berücksichtigen. Die Beklagte hat entgegnet, der berufliche Aufstieg könne nicht durch eine Gleichstellung gefördert werden. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.9.2012). Der Wunsch nach beruflichem Aufstieg falle nicht unter das "Erlangen" eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 2 Abs 3 SGB IX.
- 6
-
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen (Urteil vom 30.10.2013). Es müsse dem behinderten Menschen mittels Gleichstellung ermöglicht werden, einen Arbeitsplatz zu erlangen, der seinen beruflichen Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten entspreche. Die Freiheit, als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, dürfe nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Menschen bei der Gleichstellung schlechtergestellt werde.
- 7
-
Die Beklagte rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision das Vorliegen eines Verfahrensfehlers. Das LSG habe den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des OVG Hamburg (1 Bf 32/13) wegen Übernahme in das Beamtenverhältnis aussetzen müssen. Die Entscheidung des OVG sei für die hier zu treffende Entscheidung präjudiziell. Zwar liege eine Aussetzung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen habe hier aber die Pflicht bestanden, den Rechtsstreit auszusetzen. Die Aussetzung sei auch geboten, weil das LSG die Beweise dahingehend gewürdigt habe, dass die Klägerin - jedenfalls nach Gleichstellung - gesundheitlich für eine Berufung in das Beamtenverhältnis geeignet sei. Die Beklagte rügt auch die Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX. Dessen Voraussetzungen seien nicht gegeben. Die Klägerin sei unbefristet auf einem geeigneten Arbeitsplatz beschäftigt. Sie begehre die Gleichstellung zum Zwecke der Förderung des beruflichen Aufstiegs. Die Gleichstellung könne nicht begehrt werden, um Diskriminierungen zu beseitigen, die durch die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung bei der Bewerbung um die Übernahme in ein (anderes) Beamtenverhältnis entstehen. Insofern sei bei öffentlichen Arbeitgebern ein besonderes Verständnis für Menschen mit Behinderung vorauszusetzen. Ein Anspruch auf Gleichstellung ergebe sich auch nicht aus der UN-BRK.
- 8
-
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. September 2012 zurückzuweisen.
- 9
-
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
- 10
-
Das LSG sei nicht zur Aussetzung des Rechtsstreits verpflichtet gewesen. Die Klägerin habe Anspruch auf Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX. Durch die Gleichstellung komme sie bei der Prüfung der Übernahme in das Anwärterverhältnis in den Genuss des Eignungsmaßstabs, der für schwerbehinderte Beamtenanwärter gelte. Diese Einstellungsvoraussetzungen könne sie erfüllen. Ohne Gleichstellung könne sie den für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen.
- 11
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Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe
- 12
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Die Revision der Beklagten, über die der Senat nach erklärtem Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Sozialgerichtsgesetz
) , ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
- 13
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Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 18.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.2.2011, gegen den sich die Klägerin mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 56 SGG) wehrt (zur Klageart: BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4, RdNr 9; zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung dieser Klage vgl Senatsurteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R).
- 14
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1. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin durch feststellenden Verwaltungsakt einem behinderten Menschen gleichzustellen.
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Gemäß § 2 Abs 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können(zum Verfahren vgl § 68 Abs 2 S 1, § 69 SGB IX). Zu den Voraussetzungen einer Gleichstellung nach Maßgabe des § 2 Abs 3 SGB IX im Einzelnen wird auf die Parallelentscheidung des Senats vom 6.8.2014 (B 11 AL 16/13 R) verwiesen.
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Die Klägerin erstrebt die Gleichstellung, weil sie ohne diese den konkret angestrebten und für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann (Alt 1). Dagegen macht sie nicht geltend, den von ihr besetzten Arbeitsplatz behalten zu wollen (Alt 2), sodass hier nur Alt 1 der Vorschrift zu prüfen ist.
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2. a) Die Gleichstellung nach Maßgabe des Erlangungstatbestands (§ 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX) setzt voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will.
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Die Klägerin möchte einen Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen. Arbeitsplätze im Sinne der Vorschrift sind auch Stellen, auf denen Beamte und Beamtinnen sowie die zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellten beschäftigt werden. Der angestrebte Arbeitsplatz als Beamtin auf Widerruf im gehobenen Dienst der Steuerverwaltung erfüllt diese Voraussetzungen.
- 19
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Der Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) setzt weiter voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz anstrebt. Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung. Nach der zweiten Alternative des Gleichstellungstatbestands ("behalten können") hat eine Gleichstellung zu erfolgen, um dem behinderten Menschen das Behalten seines Arbeitsplatzes zu ermöglichen. Ziel dieser Regelung ist es, dass der behinderte Mensch den konkret von ihm besetzten und für ihn geeigneten Arbeitsplatz behalten kann. Auch für den Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) ist zu verlangen, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will. Dies ist schon geboten, um den Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX nicht zu überdehnen. Würde es genügen, dass es - abstrakt betrachtet - (irgendwelche) Arbeitsplätze gibt, für die der behinderte Mensch, der Gleichstellung bedürfte, um sie zu erlangen, wäre fast jeder behinderte Mensch mit GdB 30 oder 40 gleichzustellen. Denn der behinderte Mensch müsste nur Arbeitsplätze benennen, die er ohne Gleichstellung nicht erlangen kann.
- 20
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Auch im Wortlaut des § 2 Abs 3 iVm § 73 SGB IX ist eine Konkretisierung angelegt, wenn dort zur Voraussetzung erhoben wird, dass der behinderte Mensch kausal durch die Behinderung "einen" für ihn geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Weder die Frage der Kausalität noch die Frage der Eignung des Arbeitsplatzes kann abstrakt und allgemein für alle denkbaren Arbeitsplätze geprüft werden.
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Schließlich spricht der Zweck der Regelung, die Sicherung oder Herstellung von Teilhabe am Arbeitsleben, für diese Auslegung. Die Vorschrift will - wie das LSG zutreffend herausgearbeitet hat - damit auch die Freiheit der Berufswahl des behinderten Menschen schützen. Das Grundrecht aus Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) will diese Freiheit ua objektivrechtlich gewährleisten (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG 12. Aufl 2012, Vorb vor Art 1 RdNr 3 mwN). Auch Art 27 Abs 1 S 2 Lit a und e UN-BRK und Art 21, 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geben (EUGrdRCh) Hinweise zur Auslegung des § 2 Abs 3 SGB IX, denn nach diesen völkerrechtlichen und supranationalen Normen ist ein diskriminierungsfreier Zustand anzustreben. Dieser ist nicht bereits dadurch hergestellt, dass ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, vielmehr muss auch der Zugang zu anderen bzw der Wechsel von Berufsfeldern diskriminierungsfrei ermöglicht werden (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
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Andererseits knüpfen die Voraussetzungen der Gleichstellung nicht an einer abstrakten Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben an, sondern schützen das Erlangen von bestimmten Arbeitsplätzen (zu Alt 2 Bayerisches LSG Urteil vom 15.2.2001 - L 9 AL 381/99 - Juris RdNr 22; Bayerisches LSG Urteil vom 18.12.2013 - L 10 AL 104/11; aA Luthe in jurisPK-SGB IX, § 2 SGB IX RdNr 100 f). § 2 Abs 3 SGB IX versteht die angestrebte Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben also konkret.
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Die Tatsache, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz inne hat, steht dem Anspruch auf Gleichstellung zur Erlangung eines (anderen) Arbeitsplatzes nicht entgegen. Zwar bedarf die Klägerin keiner Gleichstellung, um ihren bisherigen Arbeitsplatz behalten zu können. Das Behalten des Arbeitsplatzes will sie mit diesem Rechtsstreit auch nicht erreichen. Sie möchte vielmehr (nur) einen neuen Arbeitsplatz erlangen. Hierauf hat sie ihr Begehren in zulässiger Weise beschränkt (BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4). Die Alternative 1 des § 2 Abs 3 SGB IX setzt aber schon seinem Wortlaut nach nur voraus, dass der behinderte Mensch ohne Gleichstellung einen Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Die Vorschrift hat nicht zur weiteren Voraussetzung, dass ein Antragsteller ohne Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz innehat.
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Das Recht auf Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes haben nicht nur arbeitslose behinderte Menschen, sondern auch behinderte Menschen, die sich beruflich verändern wollen. Denn ein diskriminierungsfreier Zustand ist nach Art 21 und Art 26 EUGrdRCh nicht bereits dann hergestellt, wenn ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, die regelmäßig im Beamtenverhältnis ausgeübt wird; vielmehr müssen Gesetzgeber und Dienstherr die Voraussetzungen zum Zugang zum Beamtenverhältnis in der Weise modifizieren, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausübung der entsprechenden Tätigkeit gerade im Beamtenverhältnis ermöglicht wird (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; Hessisches LSG Urteil vom 19.6.2013 - L 6 AL 116/12 - Juris).
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Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine Gleichstellung, denn sie hat sowohl ihren Wohnsitz als auch ihren Arbeitsplatz im Inland. Bei ihr ist ein GdB von 30 festgestellt. Sie möchte einen konkreten Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen, nämlich den einer Beamtin auf Widerruf bei der Finanzbehörde FHH für die Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin.
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Der angestrebte Arbeitsplatz ist für die Klägerin geeignet. Das LSG hat die Geeignetheit des angestrebten Arbeitsplatzes festgestellt, ohne dass die Beteiligten insoweit Verfahrensrügen erhoben hätten. Nachdem die Klägerin schon bisher die Anforderungen einer Vollzeittätigkeit auf einem Büroarbeitsplatz erfüllte, bestehen auch keine Zweifel, dass die angestrebte Tätigkeit für sie geeignet ist, sie also gesundheitlich auf Dauer nicht überfordert.
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Sie bedarf kausal wegen ihrer Behinderung der Gleichstellung, um den konkreten Arbeitsplatz erlangen zu können. Ohne die behinderungsbedingten Einschränkungen wäre sie für den angestrebten Arbeitsplatz eingestellt worden. Es spricht auch viel dafür, dass sie nach erfolgter Gleichstellung die gesundheitlichen Anforderungen für die Einstellung von Beamtinnen auf Widerruf erfüllen wird.
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Die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung von Bewerbern für das Beamtenverhältnis hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) jüngst konkretisiert. Danach erfüllt ein Beamtenbewerber die Voraussetzung der gesundheitlichen Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze Dienstunfähigkeit eintritt (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244). Das BVerwG hat damit die zuvor geltenden Anforderungen zwar gelockert, es hält aber weitere Modifikationen der Eignungsanforderungen für Bewerber, die weder schwerbehindert noch schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind, verfassungsrechtlich nicht für geboten (BVerwG aaO - Juris RdNr 34 f).
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Erfüllen Bewerber diese gesundheitlichen Anforderungen nicht, können sie in der FHH einen Arbeitsplatz im Beamtenverhältnis nur erlangen, wenn sie schwerbehindert sind oder schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Denn für diese Personengruppen bestimmt das hier einschlägige und vom LSG festgestellte Landesrecht (§ 9 Abs 5 S 3 der Verordnung über die Laufbahnen der hamburgischen Beamtinnen und Beamten vom 22.12.2009; HmbGVBl 2009, 511), dass von gleichgestellten Personen nur ein geringeres Maß körperlicher Eignung verlangt werden darf. Danach erfüllen schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Personen die gesundheitlichen Anforderungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis, wenn für etwa zehn Jahre eine höhere Wahrscheinlichkeit als 50 vH dafür spricht, dass der Beamte dienstfähig bleibt und in diesem Zeitraum keine krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als etwa zwei Monaten pro Jahr auftreten werden. Die Wahrscheinlichkeit einer einmaligen, längeren Ausfallzeit steht einer positiven Prognose nicht entgegen (vgl auch Hamburgisches OVG Urteil vom 26.9.2008 - 1 Bf 19/08, bestätigt durch BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris).
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Ob die Klägerin ohne Anerkennung einer Gleichstellung die Einstellungsanforderungen für Arbeitsplätze von Beamten im gehobenen Dienst erfüllt, wie sie das BVerwG formuliert hat (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244), erscheint fraglich. Die Entscheidung hierüber obliegt nicht dem Senat, sondern ist von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit in deren Zuständigkeit zu treffen. Bislang hat die Klägerin eine positive Entscheidung über ihre Einstellung jedenfalls nicht erlangt.
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Nach aktuellem Sachstand hat die Klägerin infolge der Behinderung einen Wettbewerbsnachteil; denn sie kann aufgrund ihrer Behinderung den angestrebten Arbeitsplatz nicht erlangen. Dieser Nachteil kann durch die Gleichstellung ausgeglichen werden; denn das LSG hat festgestellt, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz erlangen möchte und diesen (bisher) "infolge" ihrer Behinderung nicht erlangen kann. Dies genügt, um einen Anspruch auf Gleichstellung zu bejahen.
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Die Sorge der Beklagten, dass eine Gleichstellung in Fällen der vorliegenden Art zu einer Konturlosigkeit und Ausuferung der Gleichstellung führen würde, vermag der Senat nur bedingt zu teilen. Einerseits hat der Gleichstellungsanspruch nach § 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX eine Reihe von Voraussetzungen, die insbesondere im Parallelverfahren erläutert wurden(BSG Urteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R). Wenn die Beklagte trotz dieser Anforderungen künftig eine größere Zahl an Gleichstellungen vornehmen müsste, als dies bisher der Fall war, ist dies eine Folge der im Bundesrecht, aber auch im supranationalen Recht und Völkerrecht angelegten und ins Bundesrecht übernommenen Förderung der Teilhabe und Beseitigung der Diskriminierung von behinderten Menschen (vgl § 1 SGB IX).
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c) Ein Anspruch auf Gleichstellung scheitert schließlich nicht daran, dass die Beklagte über die Gleichstellung grundsätzlich nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie in anderen vergleichbaren Fällen - der BA ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt ihr nur dann die Möglichkeit, zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung zu gelangen, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Sofern ein solcher - wie hier - nicht vorliegt, ist die BA zur Gleichstellung verpflichtet (BSG Urteil vom 2.3.2000 - B 7 AL 46/99 R; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
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3. Die Verfahrensrüge der Beklagten ist unzulässig, weil die ihr zugrunde liegenden Tatsachen nicht in der nach § 164 Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise aufzeigt wurden.
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Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 S 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 19 mwN). Daran fehlt es hier.
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Es ist schon fraglich, ob die Beklagte eine Pflicht zur Aussetzung des Rechtsstreits hinreichend aufgezeigt hat. Zwar kann das Ermessen des Gerichts, einen Rechtsstreit auszusetzen, auf diese Entscheidung hin reduziert sein (zB BSG Beschluss vom 19.7.2006 - B 11a AL 7/06 B). Die Beklagte hat aber nicht dargetan, dass die Voraussetzungen der Aussetzung nach § 114 Abs 2 S 1 SGG vorlagen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Entscheidung des LSG von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhinge, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits - hier desjenigen beim OVG - bildete.
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Zwar entscheidet das OVG (irgendwann) über den Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis. Inwieweit die Entscheidung des LSG über die Gleichstellung von dem Ausgang des Rechtsstreits beim OVG abhängt, ist in der Revisionsbegründung nicht herausgearbeitet worden. Insoweit trifft zwar zu, dass sich der Rechtsstreit wegen Gleichstellung auf sonstige Weise hätte erledigen können, wenn die Klägerin dort die Einstellung auf den begehrten Arbeitsplatz erlangt hätte. Schon dies ist aber nicht zwingend. Würde das OVG die Einstellung dagegen ablehnen oder die potentielle Arbeitgeberin zu einer neuen Entscheidung über die Einstellung verpflichten, wäre für diesen Rechtsstreit weder positiv noch negativ etwas entschieden.
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Im Gegenteil könnte auch argumentiert werden, dass die Entscheidung dieses Rechtsstreits für denjenigen beim OVG präjudiziell ist, weil die Prüfung der gesundheitlichen Eignung der Bewerberin für die Stelle einer Beamtin auf Widerruf sich nach anderen beamtenrechtlichen Maßstäben richtet, wenn die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wäre (vgl BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris; BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244).
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Die Beklagte hat auch nicht aufgezeigt, dass die Entscheidung des LSG auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann (zu dieser Anforderung: Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 12c). Dabei muss deutlich werden, dass der Verfahrensfehler den Inhalt der Entscheidung beeinflusst hat (BSG Beschluss vom 7.7.2009 - B 11 AL 108/08 B). Daran fehlt es, wenn die Beklagte lediglich behauptet, das LSG hätte den Rechtsstreit aussetzen müssen. Dass und inwieweit die unterlassene Aussetzung die Sachentscheidung beeinflusst haben könnte, wird nicht dargetan.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 Abs 1 SGG.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 der Zivilprozeßordnung ergeht durch Beschluß.
(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn das Gericht dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses oder Gutachtens für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet.
(3) Der Vorsitzende kann das Auftreten eines Prozeßbevollmächtigten untersagen, solange die Partei trotz Anordnung ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird.
(1) Das Gericht kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet.
(2) Das Gericht kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.
(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.
(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.
(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.
(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes
- 1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder - 2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.
(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.
(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.
(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.
Mehrere Klagebegehren können vom Kläger in einer Klage zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist.
Tenor
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Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. April 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Im Streit ist ein Anspruch des Klägers auf Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten nach § 2 Abs 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).
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Der 1966 geborene Kläger ist Beamter auf Lebenszeit. Seit 1992 ist er bei der Deutschen Telekom AG beschäftigt und seit November 2002 als Transfermitarbeiter bei der Personal-Service-Agentur Vivento, einer 100 %-igen Tochter der Deutschen Telekom AG, eingesetzt. Die Personal-Service-Agentur Vivento bietet Outsourcing und Projektmanagement an und vermittelt Fachpersonal zu Unternehmen und Behörden. Das zuständige Versorgungsamt stellte zugunsten des Klägers einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 ua wegen eines psychischen Leidens fest (Bescheid vom 8.6.2005; Widerspruchsbescheid vom 11.7.2005).
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Den Antrag des Klägers vom 26.8.2005, ihn mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 25.1.2006; Widerspruchsbescheid vom 1.12.2006). Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Mainz vom 30.6.2008; Urteil des Landessozialgerichts . Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dass der Kläger angesichts der Unkündbarkeit als Beamter auf Lebenszeit keiner Konkurrenzsituation ausgesetzt sei, die eine Gleichstellung mit Schwerbehinderten rechtfertige. Nur in Ausnahmefällen könnten auch Arbeitsplätze von Beamten auf Lebenszeit gefährdet sein, beispielsweise, wenn die Behörde aufgelöst werde oder der Dienstherr ein Verfahren auf Zur-Ruhe-Setzung wegen Dienstunfähigkeit einleite. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Arbeitsplatz des Klägers auch nur abstrakt gefährdet sei. Deshalb bedürfe die Frage, ob er rechtmäßig als Transfermitarbeiter eingesetzt werde, keiner abschließenden Beurteilung. Unerheblich sei auch, ob die Personal-Service-Agentur Vivento ggf erwäge, den Kläger an eine andere Organisationseinheit zu versetzen. Der Kläger sei durch seinen Beamtenstatus hinreichend gegen widerrechtliche Versetzungen und den Verlust eines amtsangemessenen Arbeitsplatzes geschützt.Rheinland-Pfalz vom 30.4.2009)
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Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX, der grundsätzlich auch auf Beamte Anwendung finde. Dies gelte jedenfalls in Fällen, in denen - wie hier - ein Beamter aus dem klassischen Beamtenverhältnis gezwungenermaßen heraustrete, ihm kein Dienstposten mehr zugewiesen und er aufgefordert werde, sich zu bewerben. Betroffene Beamte müssten vielfach auf den offenen Arbeitsmarkt ausweichen bzw sollten durch Transfergesellschaften wie Vivento dauerhaft vermittelt werden und gerieten so in eine dem Beamtenverhältnis untypische Konkurrenzsituation. Das LSG habe seinen Vortrag verfahrensfehlerhaft unberücksichtigt gelassen und hierdurch sein rechtliches Gehör verletzt.
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 25.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.12.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn einem Schwerbehinderten gleichzustellen.
- 6
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz
) . Es fehlen hinreichende tatsächliche Feststellungen (§ 163 SGG) zu den Voraussetzungen für eine Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX.
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Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 25.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.12.2006 (§ 95 SGG), gegen den sich der Kläger mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, § 56 SGG) wehrt.
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Nach § 2 Abs 3 SGB IX(in der Normfassung des SGB IX vom 19.6.2001 - BGBl I 1056) sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen(mit einem GdB von wenigstens 50; § 2 Abs 2 SGB IX) gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können. § 2 Abs 2 SGB IX knüpft die Schwerbehinderung an einen GdB von 50 sowie den Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder die rechtmäßige Beschäftigung iS des § 73 SGB IX im Geltungsbereich dieses Gesetzes.
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Zwar erfüllt der Kläger die persönlichen Voraussetzungen eines anerkannten GdB von 30 und des Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland; jedoch ist der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG nicht in der Lage zu beurteilen, ob der Kläger infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht (behalten oder) erlangen kann. Ein Anspruch des Klägers ist jedenfalls nicht schon mangels Gefährdung seines Arbeitsplatzes ausgeschlossen.
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Die Gleichstellung Beamter (oder anderer unkündbarer Arbeitnehmer) scheidet zunächst - wovon auch das LSG ausgeht - nicht generell wegen deren Unkündbarkeit aus. Dies zeigt schon der Wortlaut des § 2 Abs 3 SGB IX in seiner Bezugnahme auf § 73 SGB IX, der den Begriff des Arbeitsplatzes als Stelle definiert, auf der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden. Auch Sinn und Zweck der Gleichstellung lassen nicht den Schluss zu, dass Beamte nicht dem Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX unterfallen. Die Gleichstellung dient dazu, die ungünstige Konkurrenzsituation des Behinderten am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und somit den Arbeitsplatz sicherer zu machen oder seine Vermittlungschancen zu erhöhen (BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-2870 § 2 Nr 1 S 6 f). Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen zwei Alternativen, nämlich der Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes (Alternative 2) sowie der Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 73 SGB IX (Alternative 1), die kumulativ, aber auch nur alternativ vorliegen können(BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-3870 § 2 Nr 1 S 6 f).
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Die Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes dient dazu, bei einer Arbeitsplatzgefährdung den Arbeitsplatz sicherer zu machen. Deshalb bedarf es - wie das LSG zu Recht annimmt - einer besonderen Prüfung bei Personengruppen mit einem "sicheren Arbeitsplatz", wie bei Beamten, Richtern auf Lebenszeit und Arbeitnehmern mit besonderem Kündigungsschutz (Backendorf/Ritz in Bihr/Fuchs/Krauskopf/Ritz, SGB IX, 2006, § 68 RdNr 39). Bei diesen Personengruppen können die allgemeinen Voraussetzungen der Gleichstellung wegen Arbeitsplatzgefährdung zwar vorliegen, es bedarf aber einer besonderen Begründung, warum trotz Kündigungsschutz der Arbeitsplatz nachvollziehbar unsicherer ist als bei einem nichtbehinderten Kollegen. Dies ist bei einem Beamten beispielsweise der Fall, wenn behinderungsbedingt die Versetzung in den Ruhestand (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.5.2002 - L 9 AL 241/01; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.11.1995 - L 6 AR 159/94 -, ZfS 1996, 375 ff; Luthe in jurisPraxiskommentar SGB IX, 2010, § 2 RdNr 102; Backendorf/Ritz, aaO, RdNr 39) oder die behinderungsbedingte Versetzung oder Umsetzung auf einen anderen nicht gleichwertigen Arbeitsplatz droht (Backendorf/Ritz aaO; Luthe aaO). Einen Gleichstellungsanspruch wegen Arbeitsplatzgefährdung nehmen Rechtsprechung und Literatur daneben auch dann an, wenn die Behörde aufgelöst wird (LSG Nordrhein-Westfalen aaO; Luthe aaO; Cramer, Schwerbehindertengesetz, 5. Aufl 1998, § 2 RdNr 5), obwohl in einem solchen Fall der Arbeitsplatz nicht (nur) gefährdet ist, sondern tatsächlich wegfällt und auch nicht zu erkennen ist, weshalb bei der Auflösung einer Behörde der Arbeitsplatz nachvollziehbar unsicherer ist als bei einem nichtbehinderten Kollegen. Hier wäre - wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes - eher an eine Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten (neuen) Arbeitsplatzes zu denken (siehe dazu unten).
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Das LSG hat einen drohenden Verlust des Arbeitsplatzes bezogen auf die Tätigkeit als "Transfermitarbeiter" bei der Vivento im Hinblick auf die Unkündbarkeit des Klägers zwar pauschal und ohne nähere Begründung verneint. Der Kläger hatte seinen ursprünglichen Arbeitsplatz mit dem Wechsel in diese Gesellschaft, bei der er seit November 2002 eingesetzt und als "Transfermitarbeiter" geführt wird, allerdings bereits verloren. Das LSG hätte sich deshalb nicht mit der Prüfung der 2. Alternative des § 2 Abs 3 SGB IX (Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes) begnügen dürfen. Vielmehr hätte es auch bei Unkündbarkeit des Klägers prüfen müssen, ob wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls die Voraussetzungen der 1. Alternative des § 2 Abs 3 SGB IX (Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes) vorliegen. Solche besonderen Umstände liegen vor, wenn der ursprüngliche Arbeitsplatz eines Beamten nicht mehr existiert, sei es, weil die Behörde aufgelöst wurde, sei es aus anderen Gründen, und der Beamte in eine andere Beschäftigung oder Tätigkeit vermittelt werden soll und selbst eine solche Vermittlung - unabhängig von der Frage eines Anspruchs auf eine amtsangemessene Beschäftigung - wünscht. Ob der Beamtenstatus hinreichend gegen (widerrechtliche) Versetzungen und den Verlust eines amtsangemessenen Arbeitsplatzes schützt, ist dabei ohne Bedeutung. Die Freiheit, auch als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, kann nämlich nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Arbeitnehmern bei der Arbeitsuche schlechter gestellt wird.
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Ob eine derartige Fallgestaltung vorliegt, kann den Feststellungen des LSG nicht entnommen werden. Danach hat der Betriebsrat zwar auf Anfrage der Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger "Transfermitarbeiter" sei und versucht werde, ihn auf einen Dauerarbeitsplatz zu vermitteln, wobei Schwerbehinderte und mit Schwerbehinderten gleichgestellte Menschen bei gleicher Eignung bei allen Stellenbesetzungen bevorzugt würden. Eigene Feststellungen des LSG hierzu fehlen jedoch. Diese wird es ggf nachzuholen haben. Um den Vermittlungswunsch des Beamten zu belegen, ist dabei schon der Antrag, einem Schwerbehinderten gleichgestellt zu werden, ausreichend. Ihm kann insoweit indizielle Bedeutung beigemessen werden, ohne dass es einer ausdrücklichen Erklärung des Beamten oder einer Glaubhaftmachung hinsichtlich des Vermittlungswunsches bedarf. Ein Anspruch auf Gleichstellung kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn der Kläger "infolge" seiner Behinderung (Kausalität) bei wertender Betrachtung (im Sinne einer wesentlichen Bedingung) in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Nichtbehinderten in besonderer Weise beeinträchtigt und deshalb nur schwer vermittelbar ist. Entscheidendes Kriterium für die Gleichstellung ist deshalb die mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Behinderten wegen seiner Behinderung auf dem Arbeitsmarkt, und zwar auf dem Arbeitsmarkt insgesamt, nicht etwa nur bezogen auf einen bestimmten Arbeitsplatz (BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-3870 § 2 Nr 1 S 6 f). Aus der besonders geregelten und geschützten Stellung des Beamten resultiert kein mangelnder Bezug zum Arbeitsmarkt, wie schon § 73 SGB IX zeigt (siehe oben). Die Konkurrenzfähigkeit des Klägers misst sich dabei nicht allein an seiner früheren - bis 2002 oder in der Vivento ausgeübten - Tätigkeit und seinen beruflichen Wünschen, sondern auch an den Tätigkeiten, auf die etwaige Vermittlungsbemühungen erstreckt werden. Entsprechende Feststellungen wird das LSG ggf nachzuholen haben (zum maßgebenden Zeitpunkt für die Beurteilung einer Gleichstellung vgl BSG, aaO).
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Sollte das LSG eine mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Klägers im dargestellten Sinne feststellen, hat der Kläger einen Anspruch ("soll") auf die Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes. Sie hat zur Folge, dass der Gleichgestellte auf die Pflichtplatzquote des Arbeitgebers angerechnet wird. Für einen potenziellen Arbeitgeber wird auf diese Weise ein Anreiz geschaffen, den Arbeitslosen einzustellen. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie auch in anderen vergleichbaren Fällen - der Arbeitsagentur ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt der Arbeitsagentur nur dann die Möglichkeit zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Auch insoweit hat das LSG ggf entsprechende Feststellungen nachzuholen. Im Übrigen wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
(1) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Dies gilt entsprechend, wenn der Antragsteller oder Leistungsberechtigte in anderer Weise absichtlich die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert.
(2) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung wegen Pflegebedürftigkeit, wegen Arbeitsunfähigkeit, wegen Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit, anerkannten Schädigungsfolgen oder wegen Arbeitslosigkeit beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 62 bis 65 nicht nach und ist unter Würdigung aller Umstände mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß deshalb die Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung, die Arbeits-, Erwerbs- oder Vermittlungsfähigkeit beeinträchtigt oder nicht verbessert wird, kann der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen.
(3) Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.
(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
- 1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, - 2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, - 3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder - 4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.
(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.
(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
Tenor
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Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
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Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
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Streitig ist, ob die Klägerin gemäß § 2 Abs 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen ist.
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Die 1982 geborene Klägerin ist seit September 2002 als Angestellte bei der J. (FHH) im mittleren Dienst vollzeitbeschäftigt. Bei ihr ist wegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa) seit 23.7.2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt.
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Am 24.9.2010 beantragte die Klägerin bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit (BA) die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Zwar sei ihr derzeitiges Beschäftigungsverhältnis unbefristet und ungekündigt. Auch könne sie ihre bisherige Tätigkeit ohne Einschränkung ausüben. Sie benötige die Gleichstellung aber, um ihre Vermittlungschancen für ein neues Arbeitsverhältnis bzw einen neuen Ausbildungsplatz zu verbessern. Im Juli 2009 bewarb sich die Klägerin bei der F. für eine Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin (gehobener Dienst). Nach erfolgreichem Vorstellungsgespräch bot ihr die F. zum 1.10.2009 die Einstellung unter dem Vorbehalt an, dass der personalärztliche Dienst diese befürworte. Später lehnte die F. die Einstellung ab (Bescheid vom 30.9.2009). Sie verwies auf ein Gutachten des ärztlichen Dienstes, wonach die Klägerin nicht über die für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf erforderliche gesundheitliche Eignung verfüge. Die Rechtsmittel der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid der F. sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid der FHH vom 27.9.2010; Urteil des Verwaltungsgerichts
Hamburg vom 11.1.2013 - 8 K 3007/10) . Das Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg (1 Bf 32/13) ist noch anhängig.
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Die Beklagte lehnte den Gleichstellungsantrag der Klägerin ab (Bescheid vom 18.10.2010) und wies den dagegen erhobenen Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 11.2.2011).
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Die Klägerin hat Klage zum Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und darauf verwiesen, Art 27 Abs 1 Lit e) und g) des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (BGBl 2008 II, S 1419; UN-Behindertenrechtskonvention, im Folgenden: UN-BRK) sei zu beachten. Danach habe sie als behinderter Mensch hinsichtlich ihres Berufs ein weitgehendes Wahlrecht; auch berufliche Aufstiegschancen seien zu berücksichtigen. Die Beklagte hat entgegnet, der berufliche Aufstieg könne nicht durch eine Gleichstellung gefördert werden. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.9.2012). Der Wunsch nach beruflichem Aufstieg falle nicht unter das "Erlangen" eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 2 Abs 3 SGB IX.
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Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen (Urteil vom 30.10.2013). Es müsse dem behinderten Menschen mittels Gleichstellung ermöglicht werden, einen Arbeitsplatz zu erlangen, der seinen beruflichen Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten entspreche. Die Freiheit, als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, dürfe nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Menschen bei der Gleichstellung schlechtergestellt werde.
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Die Beklagte rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision das Vorliegen eines Verfahrensfehlers. Das LSG habe den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des OVG Hamburg (1 Bf 32/13) wegen Übernahme in das Beamtenverhältnis aussetzen müssen. Die Entscheidung des OVG sei für die hier zu treffende Entscheidung präjudiziell. Zwar liege eine Aussetzung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen habe hier aber die Pflicht bestanden, den Rechtsstreit auszusetzen. Die Aussetzung sei auch geboten, weil das LSG die Beweise dahingehend gewürdigt habe, dass die Klägerin - jedenfalls nach Gleichstellung - gesundheitlich für eine Berufung in das Beamtenverhältnis geeignet sei. Die Beklagte rügt auch die Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX. Dessen Voraussetzungen seien nicht gegeben. Die Klägerin sei unbefristet auf einem geeigneten Arbeitsplatz beschäftigt. Sie begehre die Gleichstellung zum Zwecke der Förderung des beruflichen Aufstiegs. Die Gleichstellung könne nicht begehrt werden, um Diskriminierungen zu beseitigen, die durch die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung bei der Bewerbung um die Übernahme in ein (anderes) Beamtenverhältnis entstehen. Insofern sei bei öffentlichen Arbeitgebern ein besonderes Verständnis für Menschen mit Behinderung vorauszusetzen. Ein Anspruch auf Gleichstellung ergebe sich auch nicht aus der UN-BRK.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. September 2012 zurückzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
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Das LSG sei nicht zur Aussetzung des Rechtsstreits verpflichtet gewesen. Die Klägerin habe Anspruch auf Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX. Durch die Gleichstellung komme sie bei der Prüfung der Übernahme in das Anwärterverhältnis in den Genuss des Eignungsmaßstabs, der für schwerbehinderte Beamtenanwärter gelte. Diese Einstellungsvoraussetzungen könne sie erfüllen. Ohne Gleichstellung könne sie den für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen.
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Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten, über die der Senat nach erklärtem Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Sozialgerichtsgesetz
) , ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
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Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 18.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.2.2011, gegen den sich die Klägerin mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 56 SGG) wehrt (zur Klageart: BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4, RdNr 9; zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung dieser Klage vgl Senatsurteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R).
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1. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin durch feststellenden Verwaltungsakt einem behinderten Menschen gleichzustellen.
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Gemäß § 2 Abs 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können(zum Verfahren vgl § 68 Abs 2 S 1, § 69 SGB IX). Zu den Voraussetzungen einer Gleichstellung nach Maßgabe des § 2 Abs 3 SGB IX im Einzelnen wird auf die Parallelentscheidung des Senats vom 6.8.2014 (B 11 AL 16/13 R) verwiesen.
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Die Klägerin erstrebt die Gleichstellung, weil sie ohne diese den konkret angestrebten und für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann (Alt 1). Dagegen macht sie nicht geltend, den von ihr besetzten Arbeitsplatz behalten zu wollen (Alt 2), sodass hier nur Alt 1 der Vorschrift zu prüfen ist.
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2. a) Die Gleichstellung nach Maßgabe des Erlangungstatbestands (§ 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX) setzt voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will.
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Die Klägerin möchte einen Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen. Arbeitsplätze im Sinne der Vorschrift sind auch Stellen, auf denen Beamte und Beamtinnen sowie die zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellten beschäftigt werden. Der angestrebte Arbeitsplatz als Beamtin auf Widerruf im gehobenen Dienst der Steuerverwaltung erfüllt diese Voraussetzungen.
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Der Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) setzt weiter voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz anstrebt. Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung. Nach der zweiten Alternative des Gleichstellungstatbestands ("behalten können") hat eine Gleichstellung zu erfolgen, um dem behinderten Menschen das Behalten seines Arbeitsplatzes zu ermöglichen. Ziel dieser Regelung ist es, dass der behinderte Mensch den konkret von ihm besetzten und für ihn geeigneten Arbeitsplatz behalten kann. Auch für den Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) ist zu verlangen, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will. Dies ist schon geboten, um den Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX nicht zu überdehnen. Würde es genügen, dass es - abstrakt betrachtet - (irgendwelche) Arbeitsplätze gibt, für die der behinderte Mensch, der Gleichstellung bedürfte, um sie zu erlangen, wäre fast jeder behinderte Mensch mit GdB 30 oder 40 gleichzustellen. Denn der behinderte Mensch müsste nur Arbeitsplätze benennen, die er ohne Gleichstellung nicht erlangen kann.
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Auch im Wortlaut des § 2 Abs 3 iVm § 73 SGB IX ist eine Konkretisierung angelegt, wenn dort zur Voraussetzung erhoben wird, dass der behinderte Mensch kausal durch die Behinderung "einen" für ihn geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Weder die Frage der Kausalität noch die Frage der Eignung des Arbeitsplatzes kann abstrakt und allgemein für alle denkbaren Arbeitsplätze geprüft werden.
- 21
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Schließlich spricht der Zweck der Regelung, die Sicherung oder Herstellung von Teilhabe am Arbeitsleben, für diese Auslegung. Die Vorschrift will - wie das LSG zutreffend herausgearbeitet hat - damit auch die Freiheit der Berufswahl des behinderten Menschen schützen. Das Grundrecht aus Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) will diese Freiheit ua objektivrechtlich gewährleisten (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG 12. Aufl 2012, Vorb vor Art 1 RdNr 3 mwN). Auch Art 27 Abs 1 S 2 Lit a und e UN-BRK und Art 21, 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geben (EUGrdRCh) Hinweise zur Auslegung des § 2 Abs 3 SGB IX, denn nach diesen völkerrechtlichen und supranationalen Normen ist ein diskriminierungsfreier Zustand anzustreben. Dieser ist nicht bereits dadurch hergestellt, dass ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, vielmehr muss auch der Zugang zu anderen bzw der Wechsel von Berufsfeldern diskriminierungsfrei ermöglicht werden (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
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Andererseits knüpfen die Voraussetzungen der Gleichstellung nicht an einer abstrakten Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben an, sondern schützen das Erlangen von bestimmten Arbeitsplätzen (zu Alt 2 Bayerisches LSG Urteil vom 15.2.2001 - L 9 AL 381/99 - Juris RdNr 22; Bayerisches LSG Urteil vom 18.12.2013 - L 10 AL 104/11; aA Luthe in jurisPK-SGB IX, § 2 SGB IX RdNr 100 f). § 2 Abs 3 SGB IX versteht die angestrebte Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben also konkret.
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Die Tatsache, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz inne hat, steht dem Anspruch auf Gleichstellung zur Erlangung eines (anderen) Arbeitsplatzes nicht entgegen. Zwar bedarf die Klägerin keiner Gleichstellung, um ihren bisherigen Arbeitsplatz behalten zu können. Das Behalten des Arbeitsplatzes will sie mit diesem Rechtsstreit auch nicht erreichen. Sie möchte vielmehr (nur) einen neuen Arbeitsplatz erlangen. Hierauf hat sie ihr Begehren in zulässiger Weise beschränkt (BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4). Die Alternative 1 des § 2 Abs 3 SGB IX setzt aber schon seinem Wortlaut nach nur voraus, dass der behinderte Mensch ohne Gleichstellung einen Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Die Vorschrift hat nicht zur weiteren Voraussetzung, dass ein Antragsteller ohne Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz innehat.
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Das Recht auf Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes haben nicht nur arbeitslose behinderte Menschen, sondern auch behinderte Menschen, die sich beruflich verändern wollen. Denn ein diskriminierungsfreier Zustand ist nach Art 21 und Art 26 EUGrdRCh nicht bereits dann hergestellt, wenn ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, die regelmäßig im Beamtenverhältnis ausgeübt wird; vielmehr müssen Gesetzgeber und Dienstherr die Voraussetzungen zum Zugang zum Beamtenverhältnis in der Weise modifizieren, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausübung der entsprechenden Tätigkeit gerade im Beamtenverhältnis ermöglicht wird (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; Hessisches LSG Urteil vom 19.6.2013 - L 6 AL 116/12 - Juris).
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b) Die Klägerin erfüllt die genannten Voraussetzungen.
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Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine Gleichstellung, denn sie hat sowohl ihren Wohnsitz als auch ihren Arbeitsplatz im Inland. Bei ihr ist ein GdB von 30 festgestellt. Sie möchte einen konkreten Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen, nämlich den einer Beamtin auf Widerruf bei der Finanzbehörde FHH für die Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin.
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Der angestrebte Arbeitsplatz ist für die Klägerin geeignet. Das LSG hat die Geeignetheit des angestrebten Arbeitsplatzes festgestellt, ohne dass die Beteiligten insoweit Verfahrensrügen erhoben hätten. Nachdem die Klägerin schon bisher die Anforderungen einer Vollzeittätigkeit auf einem Büroarbeitsplatz erfüllte, bestehen auch keine Zweifel, dass die angestrebte Tätigkeit für sie geeignet ist, sie also gesundheitlich auf Dauer nicht überfordert.
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Sie bedarf kausal wegen ihrer Behinderung der Gleichstellung, um den konkreten Arbeitsplatz erlangen zu können. Ohne die behinderungsbedingten Einschränkungen wäre sie für den angestrebten Arbeitsplatz eingestellt worden. Es spricht auch viel dafür, dass sie nach erfolgter Gleichstellung die gesundheitlichen Anforderungen für die Einstellung von Beamtinnen auf Widerruf erfüllen wird.
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Die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung von Bewerbern für das Beamtenverhältnis hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) jüngst konkretisiert. Danach erfüllt ein Beamtenbewerber die Voraussetzung der gesundheitlichen Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze Dienstunfähigkeit eintritt (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244). Das BVerwG hat damit die zuvor geltenden Anforderungen zwar gelockert, es hält aber weitere Modifikationen der Eignungsanforderungen für Bewerber, die weder schwerbehindert noch schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind, verfassungsrechtlich nicht für geboten (BVerwG aaO - Juris RdNr 34 f).
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Erfüllen Bewerber diese gesundheitlichen Anforderungen nicht, können sie in der FHH einen Arbeitsplatz im Beamtenverhältnis nur erlangen, wenn sie schwerbehindert sind oder schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Denn für diese Personengruppen bestimmt das hier einschlägige und vom LSG festgestellte Landesrecht (§ 9 Abs 5 S 3 der Verordnung über die Laufbahnen der hamburgischen Beamtinnen und Beamten vom 22.12.2009; HmbGVBl 2009, 511), dass von gleichgestellten Personen nur ein geringeres Maß körperlicher Eignung verlangt werden darf. Danach erfüllen schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Personen die gesundheitlichen Anforderungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis, wenn für etwa zehn Jahre eine höhere Wahrscheinlichkeit als 50 vH dafür spricht, dass der Beamte dienstfähig bleibt und in diesem Zeitraum keine krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als etwa zwei Monaten pro Jahr auftreten werden. Die Wahrscheinlichkeit einer einmaligen, längeren Ausfallzeit steht einer positiven Prognose nicht entgegen (vgl auch Hamburgisches OVG Urteil vom 26.9.2008 - 1 Bf 19/08, bestätigt durch BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris).
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Ob die Klägerin ohne Anerkennung einer Gleichstellung die Einstellungsanforderungen für Arbeitsplätze von Beamten im gehobenen Dienst erfüllt, wie sie das BVerwG formuliert hat (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244), erscheint fraglich. Die Entscheidung hierüber obliegt nicht dem Senat, sondern ist von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit in deren Zuständigkeit zu treffen. Bislang hat die Klägerin eine positive Entscheidung über ihre Einstellung jedenfalls nicht erlangt.
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Nach aktuellem Sachstand hat die Klägerin infolge der Behinderung einen Wettbewerbsnachteil; denn sie kann aufgrund ihrer Behinderung den angestrebten Arbeitsplatz nicht erlangen. Dieser Nachteil kann durch die Gleichstellung ausgeglichen werden; denn das LSG hat festgestellt, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz erlangen möchte und diesen (bisher) "infolge" ihrer Behinderung nicht erlangen kann. Dies genügt, um einen Anspruch auf Gleichstellung zu bejahen.
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Die Sorge der Beklagten, dass eine Gleichstellung in Fällen der vorliegenden Art zu einer Konturlosigkeit und Ausuferung der Gleichstellung führen würde, vermag der Senat nur bedingt zu teilen. Einerseits hat der Gleichstellungsanspruch nach § 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX eine Reihe von Voraussetzungen, die insbesondere im Parallelverfahren erläutert wurden(BSG Urteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R). Wenn die Beklagte trotz dieser Anforderungen künftig eine größere Zahl an Gleichstellungen vornehmen müsste, als dies bisher der Fall war, ist dies eine Folge der im Bundesrecht, aber auch im supranationalen Recht und Völkerrecht angelegten und ins Bundesrecht übernommenen Förderung der Teilhabe und Beseitigung der Diskriminierung von behinderten Menschen (vgl § 1 SGB IX).
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c) Ein Anspruch auf Gleichstellung scheitert schließlich nicht daran, dass die Beklagte über die Gleichstellung grundsätzlich nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie in anderen vergleichbaren Fällen - der BA ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt ihr nur dann die Möglichkeit, zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung zu gelangen, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Sofern ein solcher - wie hier - nicht vorliegt, ist die BA zur Gleichstellung verpflichtet (BSG Urteil vom 2.3.2000 - B 7 AL 46/99 R; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
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3. Die Verfahrensrüge der Beklagten ist unzulässig, weil die ihr zugrunde liegenden Tatsachen nicht in der nach § 164 Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise aufzeigt wurden.
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Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 S 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 19 mwN). Daran fehlt es hier.
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Es ist schon fraglich, ob die Beklagte eine Pflicht zur Aussetzung des Rechtsstreits hinreichend aufgezeigt hat. Zwar kann das Ermessen des Gerichts, einen Rechtsstreit auszusetzen, auf diese Entscheidung hin reduziert sein (zB BSG Beschluss vom 19.7.2006 - B 11a AL 7/06 B). Die Beklagte hat aber nicht dargetan, dass die Voraussetzungen der Aussetzung nach § 114 Abs 2 S 1 SGG vorlagen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Entscheidung des LSG von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhinge, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits - hier desjenigen beim OVG - bildete.
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Zwar entscheidet das OVG (irgendwann) über den Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis. Inwieweit die Entscheidung des LSG über die Gleichstellung von dem Ausgang des Rechtsstreits beim OVG abhängt, ist in der Revisionsbegründung nicht herausgearbeitet worden. Insoweit trifft zwar zu, dass sich der Rechtsstreit wegen Gleichstellung auf sonstige Weise hätte erledigen können, wenn die Klägerin dort die Einstellung auf den begehrten Arbeitsplatz erlangt hätte. Schon dies ist aber nicht zwingend. Würde das OVG die Einstellung dagegen ablehnen oder die potentielle Arbeitgeberin zu einer neuen Entscheidung über die Einstellung verpflichten, wäre für diesen Rechtsstreit weder positiv noch negativ etwas entschieden.
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Im Gegenteil könnte auch argumentiert werden, dass die Entscheidung dieses Rechtsstreits für denjenigen beim OVG präjudiziell ist, weil die Prüfung der gesundheitlichen Eignung der Bewerberin für die Stelle einer Beamtin auf Widerruf sich nach anderen beamtenrechtlichen Maßstäben richtet, wenn die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wäre (vgl BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris; BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244).
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Die Beklagte hat auch nicht aufgezeigt, dass die Entscheidung des LSG auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann (zu dieser Anforderung: Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 12c). Dabei muss deutlich werden, dass der Verfahrensfehler den Inhalt der Entscheidung beeinflusst hat (BSG Beschluss vom 7.7.2009 - B 11 AL 108/08 B). Daran fehlt es, wenn die Beklagte lediglich behauptet, das LSG hätte den Rechtsstreit aussetzen müssen. Dass und inwieweit die unterlassene Aussetzung die Sachentscheidung beeinflusst haben könnte, wird nicht dargetan.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 Abs 1 SGG.
Tenor
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Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. April 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Im Streit ist ein Anspruch des Klägers auf Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten nach § 2 Abs 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).
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Der 1966 geborene Kläger ist Beamter auf Lebenszeit. Seit 1992 ist er bei der Deutschen Telekom AG beschäftigt und seit November 2002 als Transfermitarbeiter bei der Personal-Service-Agentur Vivento, einer 100 %-igen Tochter der Deutschen Telekom AG, eingesetzt. Die Personal-Service-Agentur Vivento bietet Outsourcing und Projektmanagement an und vermittelt Fachpersonal zu Unternehmen und Behörden. Das zuständige Versorgungsamt stellte zugunsten des Klägers einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 ua wegen eines psychischen Leidens fest (Bescheid vom 8.6.2005; Widerspruchsbescheid vom 11.7.2005).
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Den Antrag des Klägers vom 26.8.2005, ihn mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 25.1.2006; Widerspruchsbescheid vom 1.12.2006). Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Mainz vom 30.6.2008; Urteil des Landessozialgerichts . Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dass der Kläger angesichts der Unkündbarkeit als Beamter auf Lebenszeit keiner Konkurrenzsituation ausgesetzt sei, die eine Gleichstellung mit Schwerbehinderten rechtfertige. Nur in Ausnahmefällen könnten auch Arbeitsplätze von Beamten auf Lebenszeit gefährdet sein, beispielsweise, wenn die Behörde aufgelöst werde oder der Dienstherr ein Verfahren auf Zur-Ruhe-Setzung wegen Dienstunfähigkeit einleite. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Arbeitsplatz des Klägers auch nur abstrakt gefährdet sei. Deshalb bedürfe die Frage, ob er rechtmäßig als Transfermitarbeiter eingesetzt werde, keiner abschließenden Beurteilung. Unerheblich sei auch, ob die Personal-Service-Agentur Vivento ggf erwäge, den Kläger an eine andere Organisationseinheit zu versetzen. Der Kläger sei durch seinen Beamtenstatus hinreichend gegen widerrechtliche Versetzungen und den Verlust eines amtsangemessenen Arbeitsplatzes geschützt.Rheinland-Pfalz vom 30.4.2009)
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Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX, der grundsätzlich auch auf Beamte Anwendung finde. Dies gelte jedenfalls in Fällen, in denen - wie hier - ein Beamter aus dem klassischen Beamtenverhältnis gezwungenermaßen heraustrete, ihm kein Dienstposten mehr zugewiesen und er aufgefordert werde, sich zu bewerben. Betroffene Beamte müssten vielfach auf den offenen Arbeitsmarkt ausweichen bzw sollten durch Transfergesellschaften wie Vivento dauerhaft vermittelt werden und gerieten so in eine dem Beamtenverhältnis untypische Konkurrenzsituation. Das LSG habe seinen Vortrag verfahrensfehlerhaft unberücksichtigt gelassen und hierdurch sein rechtliches Gehör verletzt.
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 25.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.12.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn einem Schwerbehinderten gleichzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz
) . Es fehlen hinreichende tatsächliche Feststellungen (§ 163 SGG) zu den Voraussetzungen für eine Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX.
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Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 25.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.12.2006 (§ 95 SGG), gegen den sich der Kläger mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, § 56 SGG) wehrt.
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Nach § 2 Abs 3 SGB IX(in der Normfassung des SGB IX vom 19.6.2001 - BGBl I 1056) sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen(mit einem GdB von wenigstens 50; § 2 Abs 2 SGB IX) gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können. § 2 Abs 2 SGB IX knüpft die Schwerbehinderung an einen GdB von 50 sowie den Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder die rechtmäßige Beschäftigung iS des § 73 SGB IX im Geltungsbereich dieses Gesetzes.
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Zwar erfüllt der Kläger die persönlichen Voraussetzungen eines anerkannten GdB von 30 und des Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland; jedoch ist der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG nicht in der Lage zu beurteilen, ob der Kläger infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht (behalten oder) erlangen kann. Ein Anspruch des Klägers ist jedenfalls nicht schon mangels Gefährdung seines Arbeitsplatzes ausgeschlossen.
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Die Gleichstellung Beamter (oder anderer unkündbarer Arbeitnehmer) scheidet zunächst - wovon auch das LSG ausgeht - nicht generell wegen deren Unkündbarkeit aus. Dies zeigt schon der Wortlaut des § 2 Abs 3 SGB IX in seiner Bezugnahme auf § 73 SGB IX, der den Begriff des Arbeitsplatzes als Stelle definiert, auf der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden. Auch Sinn und Zweck der Gleichstellung lassen nicht den Schluss zu, dass Beamte nicht dem Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX unterfallen. Die Gleichstellung dient dazu, die ungünstige Konkurrenzsituation des Behinderten am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und somit den Arbeitsplatz sicherer zu machen oder seine Vermittlungschancen zu erhöhen (BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-2870 § 2 Nr 1 S 6 f). Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen zwei Alternativen, nämlich der Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes (Alternative 2) sowie der Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 73 SGB IX (Alternative 1), die kumulativ, aber auch nur alternativ vorliegen können(BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-3870 § 2 Nr 1 S 6 f).
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Die Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes dient dazu, bei einer Arbeitsplatzgefährdung den Arbeitsplatz sicherer zu machen. Deshalb bedarf es - wie das LSG zu Recht annimmt - einer besonderen Prüfung bei Personengruppen mit einem "sicheren Arbeitsplatz", wie bei Beamten, Richtern auf Lebenszeit und Arbeitnehmern mit besonderem Kündigungsschutz (Backendorf/Ritz in Bihr/Fuchs/Krauskopf/Ritz, SGB IX, 2006, § 68 RdNr 39). Bei diesen Personengruppen können die allgemeinen Voraussetzungen der Gleichstellung wegen Arbeitsplatzgefährdung zwar vorliegen, es bedarf aber einer besonderen Begründung, warum trotz Kündigungsschutz der Arbeitsplatz nachvollziehbar unsicherer ist als bei einem nichtbehinderten Kollegen. Dies ist bei einem Beamten beispielsweise der Fall, wenn behinderungsbedingt die Versetzung in den Ruhestand (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.5.2002 - L 9 AL 241/01; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.11.1995 - L 6 AR 159/94 -, ZfS 1996, 375 ff; Luthe in jurisPraxiskommentar SGB IX, 2010, § 2 RdNr 102; Backendorf/Ritz, aaO, RdNr 39) oder die behinderungsbedingte Versetzung oder Umsetzung auf einen anderen nicht gleichwertigen Arbeitsplatz droht (Backendorf/Ritz aaO; Luthe aaO). Einen Gleichstellungsanspruch wegen Arbeitsplatzgefährdung nehmen Rechtsprechung und Literatur daneben auch dann an, wenn die Behörde aufgelöst wird (LSG Nordrhein-Westfalen aaO; Luthe aaO; Cramer, Schwerbehindertengesetz, 5. Aufl 1998, § 2 RdNr 5), obwohl in einem solchen Fall der Arbeitsplatz nicht (nur) gefährdet ist, sondern tatsächlich wegfällt und auch nicht zu erkennen ist, weshalb bei der Auflösung einer Behörde der Arbeitsplatz nachvollziehbar unsicherer ist als bei einem nichtbehinderten Kollegen. Hier wäre - wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes - eher an eine Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten (neuen) Arbeitsplatzes zu denken (siehe dazu unten).
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Das LSG hat einen drohenden Verlust des Arbeitsplatzes bezogen auf die Tätigkeit als "Transfermitarbeiter" bei der Vivento im Hinblick auf die Unkündbarkeit des Klägers zwar pauschal und ohne nähere Begründung verneint. Der Kläger hatte seinen ursprünglichen Arbeitsplatz mit dem Wechsel in diese Gesellschaft, bei der er seit November 2002 eingesetzt und als "Transfermitarbeiter" geführt wird, allerdings bereits verloren. Das LSG hätte sich deshalb nicht mit der Prüfung der 2. Alternative des § 2 Abs 3 SGB IX (Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes) begnügen dürfen. Vielmehr hätte es auch bei Unkündbarkeit des Klägers prüfen müssen, ob wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls die Voraussetzungen der 1. Alternative des § 2 Abs 3 SGB IX (Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes) vorliegen. Solche besonderen Umstände liegen vor, wenn der ursprüngliche Arbeitsplatz eines Beamten nicht mehr existiert, sei es, weil die Behörde aufgelöst wurde, sei es aus anderen Gründen, und der Beamte in eine andere Beschäftigung oder Tätigkeit vermittelt werden soll und selbst eine solche Vermittlung - unabhängig von der Frage eines Anspruchs auf eine amtsangemessene Beschäftigung - wünscht. Ob der Beamtenstatus hinreichend gegen (widerrechtliche) Versetzungen und den Verlust eines amtsangemessenen Arbeitsplatzes schützt, ist dabei ohne Bedeutung. Die Freiheit, auch als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, kann nämlich nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Arbeitnehmern bei der Arbeitsuche schlechter gestellt wird.
- 15
-
Ob eine derartige Fallgestaltung vorliegt, kann den Feststellungen des LSG nicht entnommen werden. Danach hat der Betriebsrat zwar auf Anfrage der Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger "Transfermitarbeiter" sei und versucht werde, ihn auf einen Dauerarbeitsplatz zu vermitteln, wobei Schwerbehinderte und mit Schwerbehinderten gleichgestellte Menschen bei gleicher Eignung bei allen Stellenbesetzungen bevorzugt würden. Eigene Feststellungen des LSG hierzu fehlen jedoch. Diese wird es ggf nachzuholen haben. Um den Vermittlungswunsch des Beamten zu belegen, ist dabei schon der Antrag, einem Schwerbehinderten gleichgestellt zu werden, ausreichend. Ihm kann insoweit indizielle Bedeutung beigemessen werden, ohne dass es einer ausdrücklichen Erklärung des Beamten oder einer Glaubhaftmachung hinsichtlich des Vermittlungswunsches bedarf. Ein Anspruch auf Gleichstellung kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn der Kläger "infolge" seiner Behinderung (Kausalität) bei wertender Betrachtung (im Sinne einer wesentlichen Bedingung) in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Nichtbehinderten in besonderer Weise beeinträchtigt und deshalb nur schwer vermittelbar ist. Entscheidendes Kriterium für die Gleichstellung ist deshalb die mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Behinderten wegen seiner Behinderung auf dem Arbeitsmarkt, und zwar auf dem Arbeitsmarkt insgesamt, nicht etwa nur bezogen auf einen bestimmten Arbeitsplatz (BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-3870 § 2 Nr 1 S 6 f). Aus der besonders geregelten und geschützten Stellung des Beamten resultiert kein mangelnder Bezug zum Arbeitsmarkt, wie schon § 73 SGB IX zeigt (siehe oben). Die Konkurrenzfähigkeit des Klägers misst sich dabei nicht allein an seiner früheren - bis 2002 oder in der Vivento ausgeübten - Tätigkeit und seinen beruflichen Wünschen, sondern auch an den Tätigkeiten, auf die etwaige Vermittlungsbemühungen erstreckt werden. Entsprechende Feststellungen wird das LSG ggf nachzuholen haben (zum maßgebenden Zeitpunkt für die Beurteilung einer Gleichstellung vgl BSG, aaO).
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-
Sollte das LSG eine mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Klägers im dargestellten Sinne feststellen, hat der Kläger einen Anspruch ("soll") auf die Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes. Sie hat zur Folge, dass der Gleichgestellte auf die Pflichtplatzquote des Arbeitgebers angerechnet wird. Für einen potenziellen Arbeitgeber wird auf diese Weise ein Anreiz geschaffen, den Arbeitslosen einzustellen. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie auch in anderen vergleichbaren Fällen - der Arbeitsagentur ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt der Arbeitsagentur nur dann die Möglichkeit zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Auch insoweit hat das LSG ggf entsprechende Feststellungen nachzuholen. Im Übrigen wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
(1) Als Reisekosten werden die erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten übernommen, die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben stehen. Zu den Reisekosten gehören auch die Kosten
- 1.
für besondere Beförderungsmittel, deren Inanspruchnahme wegen der Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist, - 2.
für eine wegen der Behinderung erforderliche Begleitperson einschließlich des für die Zeit der Begleitung entstehenden Verdienstausfalls, - 3.
für Kinder, deren Mitnahme an den Rehabilitationsort erforderlich ist, weil ihre anderweitige Betreuung nicht sichergestellt ist sowie - 4.
für den erforderlichen Gepäcktransport.
(2) Während der Ausführung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden im Regelfall auch Reisekosten für zwei Familienheimfahrten je Monat übernommen. Anstelle der Kosten für die Familienheimfahrten können für Fahrten von Angehörigen vom Wohnort zum Aufenthaltsort der Leistungsempfänger und zurück Reisekosten übernommen werden.
(3) Reisekosten nach Absatz 2 werden auch im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation übernommen, wenn die Leistungen länger als acht Wochen erbracht werden.
(4) Fahrkosten werden in Höhe des Betrages zugrunde gelegt, der bei Benutzung eines regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittels der niedrigsten Beförderungsklasse des zweckmäßigsten öffentlichen Verkehrsmittels zu zahlen ist, bei Benutzung sonstiger Verkehrsmittel in Höhe der Wegstreckenentschädigung nach § 5 Absatz 1 des Bundesreisekostengesetzes. Bei Fahrpreiserhöhungen, die nicht geringfügig sind, hat auf Antrag des Leistungsempfängers eine Anpassung der Fahrkostenentschädigung zu erfolgen, wenn die Maßnahme noch mindestens zwei weitere Monate andauert. Kosten für Pendelfahrten können nur bis zur Höhe des Betrages übernommen werden, der unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Behinderung bei einer zumutbaren auswärtigen Unterbringung für Unterbringung und Verpflegung zu leisten wäre.
(1) Für die Berechnung des Übergangsgeldes während des Bezuges von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden 65 Prozent eines fiktiven Arbeitsentgelts zugrunde gelegt, wenn
- 1.
die Berechnung nach den §§ 66 und 67 zu einem geringeren Betrag führt, - 2.
Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen nicht erzielt worden ist oder - 3.
der letzte Tag des Bemessungszeitraums bei Beginn der Leistungen länger als drei Jahre zurückliegt.
(2) Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist der Leistungsempfänger der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die seiner beruflichen Qualifikation entspricht. Dafür gilt folgende Zuordnung:
- 1.
für eine Hochschul- oder Fachhochschulausbildung (Qualifikationsgruppe 1) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertstel der Bezugsgröße, - 2.
für einen Fachschulabschluss, den Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meisterin oder Meister oder einen Abschluss in einer vergleichbaren Einrichtung (Qualifikationsgruppe 2) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertsechzigstel der Bezugsgröße, - 3.
für eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf (Qualifikationsgruppe 3) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Vierhundertfünfzigstel der Bezugsgröße und - 4.
bei einer fehlenden Ausbildung (Qualifikationsgruppe 4) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Sechshundertstel der Bezugsgröße, mindestens jedoch ein Arbeitsentgelt in Höhe des Betrages, der sich ergibt, wenn der Mindestlohn je Zeitstunde nach § 1 Absatz 2 Satz 1 des Mindestlohngesetzes in Verbindung mit der auf der Grundlage des § 11 Absatz 1 Satz 1 des Mindestlohngesetzes jeweils erlassenen Verordnung mit einem Siebtel der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, die für Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst des Bundes gilt, vervielfacht wird.
Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.
(1) Als Reisekosten werden die erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten übernommen, die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben stehen. Zu den Reisekosten gehören auch die Kosten
- 1.
für besondere Beförderungsmittel, deren Inanspruchnahme wegen der Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist, - 2.
für eine wegen der Behinderung erforderliche Begleitperson einschließlich des für die Zeit der Begleitung entstehenden Verdienstausfalls, - 3.
für Kinder, deren Mitnahme an den Rehabilitationsort erforderlich ist, weil ihre anderweitige Betreuung nicht sichergestellt ist sowie - 4.
für den erforderlichen Gepäcktransport.
(2) Während der Ausführung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden im Regelfall auch Reisekosten für zwei Familienheimfahrten je Monat übernommen. Anstelle der Kosten für die Familienheimfahrten können für Fahrten von Angehörigen vom Wohnort zum Aufenthaltsort der Leistungsempfänger und zurück Reisekosten übernommen werden.
(3) Reisekosten nach Absatz 2 werden auch im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation übernommen, wenn die Leistungen länger als acht Wochen erbracht werden.
(4) Fahrkosten werden in Höhe des Betrages zugrunde gelegt, der bei Benutzung eines regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittels der niedrigsten Beförderungsklasse des zweckmäßigsten öffentlichen Verkehrsmittels zu zahlen ist, bei Benutzung sonstiger Verkehrsmittel in Höhe der Wegstreckenentschädigung nach § 5 Absatz 1 des Bundesreisekostengesetzes. Bei Fahrpreiserhöhungen, die nicht geringfügig sind, hat auf Antrag des Leistungsempfängers eine Anpassung der Fahrkostenentschädigung zu erfolgen, wenn die Maßnahme noch mindestens zwei weitere Monate andauert. Kosten für Pendelfahrten können nur bis zur Höhe des Betrages übernommen werden, der unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Behinderung bei einer zumutbaren auswärtigen Unterbringung für Unterbringung und Verpflegung zu leisten wäre.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
(1) Als Reisekosten werden die erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten übernommen, die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben stehen. Zu den Reisekosten gehören auch die Kosten
- 1.
für besondere Beförderungsmittel, deren Inanspruchnahme wegen der Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist, - 2.
für eine wegen der Behinderung erforderliche Begleitperson einschließlich des für die Zeit der Begleitung entstehenden Verdienstausfalls, - 3.
für Kinder, deren Mitnahme an den Rehabilitationsort erforderlich ist, weil ihre anderweitige Betreuung nicht sichergestellt ist sowie - 4.
für den erforderlichen Gepäcktransport.
(2) Während der Ausführung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden im Regelfall auch Reisekosten für zwei Familienheimfahrten je Monat übernommen. Anstelle der Kosten für die Familienheimfahrten können für Fahrten von Angehörigen vom Wohnort zum Aufenthaltsort der Leistungsempfänger und zurück Reisekosten übernommen werden.
(3) Reisekosten nach Absatz 2 werden auch im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation übernommen, wenn die Leistungen länger als acht Wochen erbracht werden.
(4) Fahrkosten werden in Höhe des Betrages zugrunde gelegt, der bei Benutzung eines regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittels der niedrigsten Beförderungsklasse des zweckmäßigsten öffentlichen Verkehrsmittels zu zahlen ist, bei Benutzung sonstiger Verkehrsmittel in Höhe der Wegstreckenentschädigung nach § 5 Absatz 1 des Bundesreisekostengesetzes. Bei Fahrpreiserhöhungen, die nicht geringfügig sind, hat auf Antrag des Leistungsempfängers eine Anpassung der Fahrkostenentschädigung zu erfolgen, wenn die Maßnahme noch mindestens zwei weitere Monate andauert. Kosten für Pendelfahrten können nur bis zur Höhe des Betrages übernommen werden, der unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Behinderung bei einer zumutbaren auswärtigen Unterbringung für Unterbringung und Verpflegung zu leisten wäre.
Tenor
-
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. April 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
- 1
-
Im Streit ist ein Anspruch des Klägers auf Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten nach § 2 Abs 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).
- 2
-
Der 1966 geborene Kläger ist Beamter auf Lebenszeit. Seit 1992 ist er bei der Deutschen Telekom AG beschäftigt und seit November 2002 als Transfermitarbeiter bei der Personal-Service-Agentur Vivento, einer 100 %-igen Tochter der Deutschen Telekom AG, eingesetzt. Die Personal-Service-Agentur Vivento bietet Outsourcing und Projektmanagement an und vermittelt Fachpersonal zu Unternehmen und Behörden. Das zuständige Versorgungsamt stellte zugunsten des Klägers einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 ua wegen eines psychischen Leidens fest (Bescheid vom 8.6.2005; Widerspruchsbescheid vom 11.7.2005).
- 3
-
Den Antrag des Klägers vom 26.8.2005, ihn mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 25.1.2006; Widerspruchsbescheid vom 1.12.2006). Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Mainz vom 30.6.2008; Urteil des Landessozialgerichts . Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dass der Kläger angesichts der Unkündbarkeit als Beamter auf Lebenszeit keiner Konkurrenzsituation ausgesetzt sei, die eine Gleichstellung mit Schwerbehinderten rechtfertige. Nur in Ausnahmefällen könnten auch Arbeitsplätze von Beamten auf Lebenszeit gefährdet sein, beispielsweise, wenn die Behörde aufgelöst werde oder der Dienstherr ein Verfahren auf Zur-Ruhe-Setzung wegen Dienstunfähigkeit einleite. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Arbeitsplatz des Klägers auch nur abstrakt gefährdet sei. Deshalb bedürfe die Frage, ob er rechtmäßig als Transfermitarbeiter eingesetzt werde, keiner abschließenden Beurteilung. Unerheblich sei auch, ob die Personal-Service-Agentur Vivento ggf erwäge, den Kläger an eine andere Organisationseinheit zu versetzen. Der Kläger sei durch seinen Beamtenstatus hinreichend gegen widerrechtliche Versetzungen und den Verlust eines amtsangemessenen Arbeitsplatzes geschützt.Rheinland-Pfalz vom 30.4.2009)
- 4
-
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX, der grundsätzlich auch auf Beamte Anwendung finde. Dies gelte jedenfalls in Fällen, in denen - wie hier - ein Beamter aus dem klassischen Beamtenverhältnis gezwungenermaßen heraustrete, ihm kein Dienstposten mehr zugewiesen und er aufgefordert werde, sich zu bewerben. Betroffene Beamte müssten vielfach auf den offenen Arbeitsmarkt ausweichen bzw sollten durch Transfergesellschaften wie Vivento dauerhaft vermittelt werden und gerieten so in eine dem Beamtenverhältnis untypische Konkurrenzsituation. Das LSG habe seinen Vortrag verfahrensfehlerhaft unberücksichtigt gelassen und hierdurch sein rechtliches Gehör verletzt.
- 5
-
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 25.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.12.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn einem Schwerbehinderten gleichzustellen.
- 6
-
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
- 7
-
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
- 8
-
Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz
) . Es fehlen hinreichende tatsächliche Feststellungen (§ 163 SGG) zu den Voraussetzungen für eine Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX.
- 9
-
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 25.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.12.2006 (§ 95 SGG), gegen den sich der Kläger mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, § 56 SGG) wehrt.
- 10
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Nach § 2 Abs 3 SGB IX(in der Normfassung des SGB IX vom 19.6.2001 - BGBl I 1056) sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen(mit einem GdB von wenigstens 50; § 2 Abs 2 SGB IX) gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können. § 2 Abs 2 SGB IX knüpft die Schwerbehinderung an einen GdB von 50 sowie den Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder die rechtmäßige Beschäftigung iS des § 73 SGB IX im Geltungsbereich dieses Gesetzes.
- 11
-
Zwar erfüllt der Kläger die persönlichen Voraussetzungen eines anerkannten GdB von 30 und des Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland; jedoch ist der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG nicht in der Lage zu beurteilen, ob der Kläger infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht (behalten oder) erlangen kann. Ein Anspruch des Klägers ist jedenfalls nicht schon mangels Gefährdung seines Arbeitsplatzes ausgeschlossen.
- 12
-
Die Gleichstellung Beamter (oder anderer unkündbarer Arbeitnehmer) scheidet zunächst - wovon auch das LSG ausgeht - nicht generell wegen deren Unkündbarkeit aus. Dies zeigt schon der Wortlaut des § 2 Abs 3 SGB IX in seiner Bezugnahme auf § 73 SGB IX, der den Begriff des Arbeitsplatzes als Stelle definiert, auf der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden. Auch Sinn und Zweck der Gleichstellung lassen nicht den Schluss zu, dass Beamte nicht dem Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX unterfallen. Die Gleichstellung dient dazu, die ungünstige Konkurrenzsituation des Behinderten am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und somit den Arbeitsplatz sicherer zu machen oder seine Vermittlungschancen zu erhöhen (BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-2870 § 2 Nr 1 S 6 f). Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen zwei Alternativen, nämlich der Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes (Alternative 2) sowie der Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 73 SGB IX (Alternative 1), die kumulativ, aber auch nur alternativ vorliegen können(BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-3870 § 2 Nr 1 S 6 f).
- 13
-
Die Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes dient dazu, bei einer Arbeitsplatzgefährdung den Arbeitsplatz sicherer zu machen. Deshalb bedarf es - wie das LSG zu Recht annimmt - einer besonderen Prüfung bei Personengruppen mit einem "sicheren Arbeitsplatz", wie bei Beamten, Richtern auf Lebenszeit und Arbeitnehmern mit besonderem Kündigungsschutz (Backendorf/Ritz in Bihr/Fuchs/Krauskopf/Ritz, SGB IX, 2006, § 68 RdNr 39). Bei diesen Personengruppen können die allgemeinen Voraussetzungen der Gleichstellung wegen Arbeitsplatzgefährdung zwar vorliegen, es bedarf aber einer besonderen Begründung, warum trotz Kündigungsschutz der Arbeitsplatz nachvollziehbar unsicherer ist als bei einem nichtbehinderten Kollegen. Dies ist bei einem Beamten beispielsweise der Fall, wenn behinderungsbedingt die Versetzung in den Ruhestand (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.5.2002 - L 9 AL 241/01; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.11.1995 - L 6 AR 159/94 -, ZfS 1996, 375 ff; Luthe in jurisPraxiskommentar SGB IX, 2010, § 2 RdNr 102; Backendorf/Ritz, aaO, RdNr 39) oder die behinderungsbedingte Versetzung oder Umsetzung auf einen anderen nicht gleichwertigen Arbeitsplatz droht (Backendorf/Ritz aaO; Luthe aaO). Einen Gleichstellungsanspruch wegen Arbeitsplatzgefährdung nehmen Rechtsprechung und Literatur daneben auch dann an, wenn die Behörde aufgelöst wird (LSG Nordrhein-Westfalen aaO; Luthe aaO; Cramer, Schwerbehindertengesetz, 5. Aufl 1998, § 2 RdNr 5), obwohl in einem solchen Fall der Arbeitsplatz nicht (nur) gefährdet ist, sondern tatsächlich wegfällt und auch nicht zu erkennen ist, weshalb bei der Auflösung einer Behörde der Arbeitsplatz nachvollziehbar unsicherer ist als bei einem nichtbehinderten Kollegen. Hier wäre - wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes - eher an eine Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten (neuen) Arbeitsplatzes zu denken (siehe dazu unten).
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Das LSG hat einen drohenden Verlust des Arbeitsplatzes bezogen auf die Tätigkeit als "Transfermitarbeiter" bei der Vivento im Hinblick auf die Unkündbarkeit des Klägers zwar pauschal und ohne nähere Begründung verneint. Der Kläger hatte seinen ursprünglichen Arbeitsplatz mit dem Wechsel in diese Gesellschaft, bei der er seit November 2002 eingesetzt und als "Transfermitarbeiter" geführt wird, allerdings bereits verloren. Das LSG hätte sich deshalb nicht mit der Prüfung der 2. Alternative des § 2 Abs 3 SGB IX (Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes) begnügen dürfen. Vielmehr hätte es auch bei Unkündbarkeit des Klägers prüfen müssen, ob wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls die Voraussetzungen der 1. Alternative des § 2 Abs 3 SGB IX (Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes) vorliegen. Solche besonderen Umstände liegen vor, wenn der ursprüngliche Arbeitsplatz eines Beamten nicht mehr existiert, sei es, weil die Behörde aufgelöst wurde, sei es aus anderen Gründen, und der Beamte in eine andere Beschäftigung oder Tätigkeit vermittelt werden soll und selbst eine solche Vermittlung - unabhängig von der Frage eines Anspruchs auf eine amtsangemessene Beschäftigung - wünscht. Ob der Beamtenstatus hinreichend gegen (widerrechtliche) Versetzungen und den Verlust eines amtsangemessenen Arbeitsplatzes schützt, ist dabei ohne Bedeutung. Die Freiheit, auch als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, kann nämlich nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Arbeitnehmern bei der Arbeitsuche schlechter gestellt wird.
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Ob eine derartige Fallgestaltung vorliegt, kann den Feststellungen des LSG nicht entnommen werden. Danach hat der Betriebsrat zwar auf Anfrage der Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger "Transfermitarbeiter" sei und versucht werde, ihn auf einen Dauerarbeitsplatz zu vermitteln, wobei Schwerbehinderte und mit Schwerbehinderten gleichgestellte Menschen bei gleicher Eignung bei allen Stellenbesetzungen bevorzugt würden. Eigene Feststellungen des LSG hierzu fehlen jedoch. Diese wird es ggf nachzuholen haben. Um den Vermittlungswunsch des Beamten zu belegen, ist dabei schon der Antrag, einem Schwerbehinderten gleichgestellt zu werden, ausreichend. Ihm kann insoweit indizielle Bedeutung beigemessen werden, ohne dass es einer ausdrücklichen Erklärung des Beamten oder einer Glaubhaftmachung hinsichtlich des Vermittlungswunsches bedarf. Ein Anspruch auf Gleichstellung kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn der Kläger "infolge" seiner Behinderung (Kausalität) bei wertender Betrachtung (im Sinne einer wesentlichen Bedingung) in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Nichtbehinderten in besonderer Weise beeinträchtigt und deshalb nur schwer vermittelbar ist. Entscheidendes Kriterium für die Gleichstellung ist deshalb die mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Behinderten wegen seiner Behinderung auf dem Arbeitsmarkt, und zwar auf dem Arbeitsmarkt insgesamt, nicht etwa nur bezogen auf einen bestimmten Arbeitsplatz (BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-3870 § 2 Nr 1 S 6 f). Aus der besonders geregelten und geschützten Stellung des Beamten resultiert kein mangelnder Bezug zum Arbeitsmarkt, wie schon § 73 SGB IX zeigt (siehe oben). Die Konkurrenzfähigkeit des Klägers misst sich dabei nicht allein an seiner früheren - bis 2002 oder in der Vivento ausgeübten - Tätigkeit und seinen beruflichen Wünschen, sondern auch an den Tätigkeiten, auf die etwaige Vermittlungsbemühungen erstreckt werden. Entsprechende Feststellungen wird das LSG ggf nachzuholen haben (zum maßgebenden Zeitpunkt für die Beurteilung einer Gleichstellung vgl BSG, aaO).
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Sollte das LSG eine mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Klägers im dargestellten Sinne feststellen, hat der Kläger einen Anspruch ("soll") auf die Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes. Sie hat zur Folge, dass der Gleichgestellte auf die Pflichtplatzquote des Arbeitgebers angerechnet wird. Für einen potenziellen Arbeitgeber wird auf diese Weise ein Anreiz geschaffen, den Arbeitslosen einzustellen. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie auch in anderen vergleichbaren Fällen - der Arbeitsagentur ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt der Arbeitsagentur nur dann die Möglichkeit zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Auch insoweit hat das LSG ggf entsprechende Feststellungen nachzuholen. Im Übrigen wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
(1) Als Reisekosten werden die erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten übernommen, die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben stehen. Zu den Reisekosten gehören auch die Kosten
- 1.
für besondere Beförderungsmittel, deren Inanspruchnahme wegen der Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist, - 2.
für eine wegen der Behinderung erforderliche Begleitperson einschließlich des für die Zeit der Begleitung entstehenden Verdienstausfalls, - 3.
für Kinder, deren Mitnahme an den Rehabilitationsort erforderlich ist, weil ihre anderweitige Betreuung nicht sichergestellt ist sowie - 4.
für den erforderlichen Gepäcktransport.
(2) Während der Ausführung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden im Regelfall auch Reisekosten für zwei Familienheimfahrten je Monat übernommen. Anstelle der Kosten für die Familienheimfahrten können für Fahrten von Angehörigen vom Wohnort zum Aufenthaltsort der Leistungsempfänger und zurück Reisekosten übernommen werden.
(3) Reisekosten nach Absatz 2 werden auch im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation übernommen, wenn die Leistungen länger als acht Wochen erbracht werden.
(4) Fahrkosten werden in Höhe des Betrages zugrunde gelegt, der bei Benutzung eines regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittels der niedrigsten Beförderungsklasse des zweckmäßigsten öffentlichen Verkehrsmittels zu zahlen ist, bei Benutzung sonstiger Verkehrsmittel in Höhe der Wegstreckenentschädigung nach § 5 Absatz 1 des Bundesreisekostengesetzes. Bei Fahrpreiserhöhungen, die nicht geringfügig sind, hat auf Antrag des Leistungsempfängers eine Anpassung der Fahrkostenentschädigung zu erfolgen, wenn die Maßnahme noch mindestens zwei weitere Monate andauert. Kosten für Pendelfahrten können nur bis zur Höhe des Betrages übernommen werden, der unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Behinderung bei einer zumutbaren auswärtigen Unterbringung für Unterbringung und Verpflegung zu leisten wäre.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17.10.2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
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(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 12. Juli 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
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(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
(1) Als Reisekosten werden die erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten übernommen, die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben stehen. Zu den Reisekosten gehören auch die Kosten
- 1.
für besondere Beförderungsmittel, deren Inanspruchnahme wegen der Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist, - 2.
für eine wegen der Behinderung erforderliche Begleitperson einschließlich des für die Zeit der Begleitung entstehenden Verdienstausfalls, - 3.
für Kinder, deren Mitnahme an den Rehabilitationsort erforderlich ist, weil ihre anderweitige Betreuung nicht sichergestellt ist sowie - 4.
für den erforderlichen Gepäcktransport.
(2) Während der Ausführung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden im Regelfall auch Reisekosten für zwei Familienheimfahrten je Monat übernommen. Anstelle der Kosten für die Familienheimfahrten können für Fahrten von Angehörigen vom Wohnort zum Aufenthaltsort der Leistungsempfänger und zurück Reisekosten übernommen werden.
(3) Reisekosten nach Absatz 2 werden auch im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation übernommen, wenn die Leistungen länger als acht Wochen erbracht werden.
(4) Fahrkosten werden in Höhe des Betrages zugrunde gelegt, der bei Benutzung eines regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittels der niedrigsten Beförderungsklasse des zweckmäßigsten öffentlichen Verkehrsmittels zu zahlen ist, bei Benutzung sonstiger Verkehrsmittel in Höhe der Wegstreckenentschädigung nach § 5 Absatz 1 des Bundesreisekostengesetzes. Bei Fahrpreiserhöhungen, die nicht geringfügig sind, hat auf Antrag des Leistungsempfängers eine Anpassung der Fahrkostenentschädigung zu erfolgen, wenn die Maßnahme noch mindestens zwei weitere Monate andauert. Kosten für Pendelfahrten können nur bis zur Höhe des Betrages übernommen werden, der unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Behinderung bei einer zumutbaren auswärtigen Unterbringung für Unterbringung und Verpflegung zu leisten wäre.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
Tenor
-
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
-
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
- 1
-
Streitig ist, ob die Klägerin gemäß § 2 Abs 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen ist.
- 2
-
Die 1982 geborene Klägerin ist seit September 2002 als Angestellte bei der J. (FHH) im mittleren Dienst vollzeitbeschäftigt. Bei ihr ist wegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa) seit 23.7.2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt.
- 3
-
Am 24.9.2010 beantragte die Klägerin bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit (BA) die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Zwar sei ihr derzeitiges Beschäftigungsverhältnis unbefristet und ungekündigt. Auch könne sie ihre bisherige Tätigkeit ohne Einschränkung ausüben. Sie benötige die Gleichstellung aber, um ihre Vermittlungschancen für ein neues Arbeitsverhältnis bzw einen neuen Ausbildungsplatz zu verbessern. Im Juli 2009 bewarb sich die Klägerin bei der F. für eine Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin (gehobener Dienst). Nach erfolgreichem Vorstellungsgespräch bot ihr die F. zum 1.10.2009 die Einstellung unter dem Vorbehalt an, dass der personalärztliche Dienst diese befürworte. Später lehnte die F. die Einstellung ab (Bescheid vom 30.9.2009). Sie verwies auf ein Gutachten des ärztlichen Dienstes, wonach die Klägerin nicht über die für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf erforderliche gesundheitliche Eignung verfüge. Die Rechtsmittel der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid der F. sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid der FHH vom 27.9.2010; Urteil des Verwaltungsgerichts
Hamburg vom 11.1.2013 - 8 K 3007/10) . Das Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg (1 Bf 32/13) ist noch anhängig.
- 4
-
Die Beklagte lehnte den Gleichstellungsantrag der Klägerin ab (Bescheid vom 18.10.2010) und wies den dagegen erhobenen Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 11.2.2011).
- 5
-
Die Klägerin hat Klage zum Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und darauf verwiesen, Art 27 Abs 1 Lit e) und g) des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (BGBl 2008 II, S 1419; UN-Behindertenrechtskonvention, im Folgenden: UN-BRK) sei zu beachten. Danach habe sie als behinderter Mensch hinsichtlich ihres Berufs ein weitgehendes Wahlrecht; auch berufliche Aufstiegschancen seien zu berücksichtigen. Die Beklagte hat entgegnet, der berufliche Aufstieg könne nicht durch eine Gleichstellung gefördert werden. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.9.2012). Der Wunsch nach beruflichem Aufstieg falle nicht unter das "Erlangen" eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 2 Abs 3 SGB IX.
- 6
-
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen (Urteil vom 30.10.2013). Es müsse dem behinderten Menschen mittels Gleichstellung ermöglicht werden, einen Arbeitsplatz zu erlangen, der seinen beruflichen Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten entspreche. Die Freiheit, als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, dürfe nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Menschen bei der Gleichstellung schlechtergestellt werde.
- 7
-
Die Beklagte rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision das Vorliegen eines Verfahrensfehlers. Das LSG habe den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des OVG Hamburg (1 Bf 32/13) wegen Übernahme in das Beamtenverhältnis aussetzen müssen. Die Entscheidung des OVG sei für die hier zu treffende Entscheidung präjudiziell. Zwar liege eine Aussetzung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen habe hier aber die Pflicht bestanden, den Rechtsstreit auszusetzen. Die Aussetzung sei auch geboten, weil das LSG die Beweise dahingehend gewürdigt habe, dass die Klägerin - jedenfalls nach Gleichstellung - gesundheitlich für eine Berufung in das Beamtenverhältnis geeignet sei. Die Beklagte rügt auch die Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX. Dessen Voraussetzungen seien nicht gegeben. Die Klägerin sei unbefristet auf einem geeigneten Arbeitsplatz beschäftigt. Sie begehre die Gleichstellung zum Zwecke der Förderung des beruflichen Aufstiegs. Die Gleichstellung könne nicht begehrt werden, um Diskriminierungen zu beseitigen, die durch die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung bei der Bewerbung um die Übernahme in ein (anderes) Beamtenverhältnis entstehen. Insofern sei bei öffentlichen Arbeitgebern ein besonderes Verständnis für Menschen mit Behinderung vorauszusetzen. Ein Anspruch auf Gleichstellung ergebe sich auch nicht aus der UN-BRK.
- 8
-
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. September 2012 zurückzuweisen.
- 9
-
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
- 10
-
Das LSG sei nicht zur Aussetzung des Rechtsstreits verpflichtet gewesen. Die Klägerin habe Anspruch auf Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX. Durch die Gleichstellung komme sie bei der Prüfung der Übernahme in das Anwärterverhältnis in den Genuss des Eignungsmaßstabs, der für schwerbehinderte Beamtenanwärter gelte. Diese Einstellungsvoraussetzungen könne sie erfüllen. Ohne Gleichstellung könne sie den für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen.
- 11
-
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe
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-
Die Revision der Beklagten, über die der Senat nach erklärtem Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Sozialgerichtsgesetz
) , ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
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Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 18.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.2.2011, gegen den sich die Klägerin mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 56 SGG) wehrt (zur Klageart: BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4, RdNr 9; zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung dieser Klage vgl Senatsurteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R).
- 14
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1. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin durch feststellenden Verwaltungsakt einem behinderten Menschen gleichzustellen.
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Gemäß § 2 Abs 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können(zum Verfahren vgl § 68 Abs 2 S 1, § 69 SGB IX). Zu den Voraussetzungen einer Gleichstellung nach Maßgabe des § 2 Abs 3 SGB IX im Einzelnen wird auf die Parallelentscheidung des Senats vom 6.8.2014 (B 11 AL 16/13 R) verwiesen.
- 16
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Die Klägerin erstrebt die Gleichstellung, weil sie ohne diese den konkret angestrebten und für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann (Alt 1). Dagegen macht sie nicht geltend, den von ihr besetzten Arbeitsplatz behalten zu wollen (Alt 2), sodass hier nur Alt 1 der Vorschrift zu prüfen ist.
- 17
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2. a) Die Gleichstellung nach Maßgabe des Erlangungstatbestands (§ 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX) setzt voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will.
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Die Klägerin möchte einen Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen. Arbeitsplätze im Sinne der Vorschrift sind auch Stellen, auf denen Beamte und Beamtinnen sowie die zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellten beschäftigt werden. Der angestrebte Arbeitsplatz als Beamtin auf Widerruf im gehobenen Dienst der Steuerverwaltung erfüllt diese Voraussetzungen.
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Der Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) setzt weiter voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz anstrebt. Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung. Nach der zweiten Alternative des Gleichstellungstatbestands ("behalten können") hat eine Gleichstellung zu erfolgen, um dem behinderten Menschen das Behalten seines Arbeitsplatzes zu ermöglichen. Ziel dieser Regelung ist es, dass der behinderte Mensch den konkret von ihm besetzten und für ihn geeigneten Arbeitsplatz behalten kann. Auch für den Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) ist zu verlangen, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will. Dies ist schon geboten, um den Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX nicht zu überdehnen. Würde es genügen, dass es - abstrakt betrachtet - (irgendwelche) Arbeitsplätze gibt, für die der behinderte Mensch, der Gleichstellung bedürfte, um sie zu erlangen, wäre fast jeder behinderte Mensch mit GdB 30 oder 40 gleichzustellen. Denn der behinderte Mensch müsste nur Arbeitsplätze benennen, die er ohne Gleichstellung nicht erlangen kann.
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Auch im Wortlaut des § 2 Abs 3 iVm § 73 SGB IX ist eine Konkretisierung angelegt, wenn dort zur Voraussetzung erhoben wird, dass der behinderte Mensch kausal durch die Behinderung "einen" für ihn geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Weder die Frage der Kausalität noch die Frage der Eignung des Arbeitsplatzes kann abstrakt und allgemein für alle denkbaren Arbeitsplätze geprüft werden.
- 21
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Schließlich spricht der Zweck der Regelung, die Sicherung oder Herstellung von Teilhabe am Arbeitsleben, für diese Auslegung. Die Vorschrift will - wie das LSG zutreffend herausgearbeitet hat - damit auch die Freiheit der Berufswahl des behinderten Menschen schützen. Das Grundrecht aus Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) will diese Freiheit ua objektivrechtlich gewährleisten (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG 12. Aufl 2012, Vorb vor Art 1 RdNr 3 mwN). Auch Art 27 Abs 1 S 2 Lit a und e UN-BRK und Art 21, 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geben (EUGrdRCh) Hinweise zur Auslegung des § 2 Abs 3 SGB IX, denn nach diesen völkerrechtlichen und supranationalen Normen ist ein diskriminierungsfreier Zustand anzustreben. Dieser ist nicht bereits dadurch hergestellt, dass ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, vielmehr muss auch der Zugang zu anderen bzw der Wechsel von Berufsfeldern diskriminierungsfrei ermöglicht werden (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
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Andererseits knüpfen die Voraussetzungen der Gleichstellung nicht an einer abstrakten Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben an, sondern schützen das Erlangen von bestimmten Arbeitsplätzen (zu Alt 2 Bayerisches LSG Urteil vom 15.2.2001 - L 9 AL 381/99 - Juris RdNr 22; Bayerisches LSG Urteil vom 18.12.2013 - L 10 AL 104/11; aA Luthe in jurisPK-SGB IX, § 2 SGB IX RdNr 100 f). § 2 Abs 3 SGB IX versteht die angestrebte Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben also konkret.
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Die Tatsache, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz inne hat, steht dem Anspruch auf Gleichstellung zur Erlangung eines (anderen) Arbeitsplatzes nicht entgegen. Zwar bedarf die Klägerin keiner Gleichstellung, um ihren bisherigen Arbeitsplatz behalten zu können. Das Behalten des Arbeitsplatzes will sie mit diesem Rechtsstreit auch nicht erreichen. Sie möchte vielmehr (nur) einen neuen Arbeitsplatz erlangen. Hierauf hat sie ihr Begehren in zulässiger Weise beschränkt (BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4). Die Alternative 1 des § 2 Abs 3 SGB IX setzt aber schon seinem Wortlaut nach nur voraus, dass der behinderte Mensch ohne Gleichstellung einen Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Die Vorschrift hat nicht zur weiteren Voraussetzung, dass ein Antragsteller ohne Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz innehat.
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Das Recht auf Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes haben nicht nur arbeitslose behinderte Menschen, sondern auch behinderte Menschen, die sich beruflich verändern wollen. Denn ein diskriminierungsfreier Zustand ist nach Art 21 und Art 26 EUGrdRCh nicht bereits dann hergestellt, wenn ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, die regelmäßig im Beamtenverhältnis ausgeübt wird; vielmehr müssen Gesetzgeber und Dienstherr die Voraussetzungen zum Zugang zum Beamtenverhältnis in der Weise modifizieren, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausübung der entsprechenden Tätigkeit gerade im Beamtenverhältnis ermöglicht wird (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; Hessisches LSG Urteil vom 19.6.2013 - L 6 AL 116/12 - Juris).
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b) Die Klägerin erfüllt die genannten Voraussetzungen.
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Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine Gleichstellung, denn sie hat sowohl ihren Wohnsitz als auch ihren Arbeitsplatz im Inland. Bei ihr ist ein GdB von 30 festgestellt. Sie möchte einen konkreten Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen, nämlich den einer Beamtin auf Widerruf bei der Finanzbehörde FHH für die Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin.
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Der angestrebte Arbeitsplatz ist für die Klägerin geeignet. Das LSG hat die Geeignetheit des angestrebten Arbeitsplatzes festgestellt, ohne dass die Beteiligten insoweit Verfahrensrügen erhoben hätten. Nachdem die Klägerin schon bisher die Anforderungen einer Vollzeittätigkeit auf einem Büroarbeitsplatz erfüllte, bestehen auch keine Zweifel, dass die angestrebte Tätigkeit für sie geeignet ist, sie also gesundheitlich auf Dauer nicht überfordert.
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Sie bedarf kausal wegen ihrer Behinderung der Gleichstellung, um den konkreten Arbeitsplatz erlangen zu können. Ohne die behinderungsbedingten Einschränkungen wäre sie für den angestrebten Arbeitsplatz eingestellt worden. Es spricht auch viel dafür, dass sie nach erfolgter Gleichstellung die gesundheitlichen Anforderungen für die Einstellung von Beamtinnen auf Widerruf erfüllen wird.
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Die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung von Bewerbern für das Beamtenverhältnis hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) jüngst konkretisiert. Danach erfüllt ein Beamtenbewerber die Voraussetzung der gesundheitlichen Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze Dienstunfähigkeit eintritt (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244). Das BVerwG hat damit die zuvor geltenden Anforderungen zwar gelockert, es hält aber weitere Modifikationen der Eignungsanforderungen für Bewerber, die weder schwerbehindert noch schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind, verfassungsrechtlich nicht für geboten (BVerwG aaO - Juris RdNr 34 f).
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Erfüllen Bewerber diese gesundheitlichen Anforderungen nicht, können sie in der FHH einen Arbeitsplatz im Beamtenverhältnis nur erlangen, wenn sie schwerbehindert sind oder schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Denn für diese Personengruppen bestimmt das hier einschlägige und vom LSG festgestellte Landesrecht (§ 9 Abs 5 S 3 der Verordnung über die Laufbahnen der hamburgischen Beamtinnen und Beamten vom 22.12.2009; HmbGVBl 2009, 511), dass von gleichgestellten Personen nur ein geringeres Maß körperlicher Eignung verlangt werden darf. Danach erfüllen schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Personen die gesundheitlichen Anforderungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis, wenn für etwa zehn Jahre eine höhere Wahrscheinlichkeit als 50 vH dafür spricht, dass der Beamte dienstfähig bleibt und in diesem Zeitraum keine krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als etwa zwei Monaten pro Jahr auftreten werden. Die Wahrscheinlichkeit einer einmaligen, längeren Ausfallzeit steht einer positiven Prognose nicht entgegen (vgl auch Hamburgisches OVG Urteil vom 26.9.2008 - 1 Bf 19/08, bestätigt durch BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris).
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Ob die Klägerin ohne Anerkennung einer Gleichstellung die Einstellungsanforderungen für Arbeitsplätze von Beamten im gehobenen Dienst erfüllt, wie sie das BVerwG formuliert hat (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244), erscheint fraglich. Die Entscheidung hierüber obliegt nicht dem Senat, sondern ist von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit in deren Zuständigkeit zu treffen. Bislang hat die Klägerin eine positive Entscheidung über ihre Einstellung jedenfalls nicht erlangt.
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Nach aktuellem Sachstand hat die Klägerin infolge der Behinderung einen Wettbewerbsnachteil; denn sie kann aufgrund ihrer Behinderung den angestrebten Arbeitsplatz nicht erlangen. Dieser Nachteil kann durch die Gleichstellung ausgeglichen werden; denn das LSG hat festgestellt, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz erlangen möchte und diesen (bisher) "infolge" ihrer Behinderung nicht erlangen kann. Dies genügt, um einen Anspruch auf Gleichstellung zu bejahen.
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Die Sorge der Beklagten, dass eine Gleichstellung in Fällen der vorliegenden Art zu einer Konturlosigkeit und Ausuferung der Gleichstellung führen würde, vermag der Senat nur bedingt zu teilen. Einerseits hat der Gleichstellungsanspruch nach § 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX eine Reihe von Voraussetzungen, die insbesondere im Parallelverfahren erläutert wurden(BSG Urteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R). Wenn die Beklagte trotz dieser Anforderungen künftig eine größere Zahl an Gleichstellungen vornehmen müsste, als dies bisher der Fall war, ist dies eine Folge der im Bundesrecht, aber auch im supranationalen Recht und Völkerrecht angelegten und ins Bundesrecht übernommenen Förderung der Teilhabe und Beseitigung der Diskriminierung von behinderten Menschen (vgl § 1 SGB IX).
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c) Ein Anspruch auf Gleichstellung scheitert schließlich nicht daran, dass die Beklagte über die Gleichstellung grundsätzlich nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie in anderen vergleichbaren Fällen - der BA ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt ihr nur dann die Möglichkeit, zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung zu gelangen, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Sofern ein solcher - wie hier - nicht vorliegt, ist die BA zur Gleichstellung verpflichtet (BSG Urteil vom 2.3.2000 - B 7 AL 46/99 R; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
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3. Die Verfahrensrüge der Beklagten ist unzulässig, weil die ihr zugrunde liegenden Tatsachen nicht in der nach § 164 Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise aufzeigt wurden.
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Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 S 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 19 mwN). Daran fehlt es hier.
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Es ist schon fraglich, ob die Beklagte eine Pflicht zur Aussetzung des Rechtsstreits hinreichend aufgezeigt hat. Zwar kann das Ermessen des Gerichts, einen Rechtsstreit auszusetzen, auf diese Entscheidung hin reduziert sein (zB BSG Beschluss vom 19.7.2006 - B 11a AL 7/06 B). Die Beklagte hat aber nicht dargetan, dass die Voraussetzungen der Aussetzung nach § 114 Abs 2 S 1 SGG vorlagen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Entscheidung des LSG von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhinge, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits - hier desjenigen beim OVG - bildete.
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Zwar entscheidet das OVG (irgendwann) über den Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis. Inwieweit die Entscheidung des LSG über die Gleichstellung von dem Ausgang des Rechtsstreits beim OVG abhängt, ist in der Revisionsbegründung nicht herausgearbeitet worden. Insoweit trifft zwar zu, dass sich der Rechtsstreit wegen Gleichstellung auf sonstige Weise hätte erledigen können, wenn die Klägerin dort die Einstellung auf den begehrten Arbeitsplatz erlangt hätte. Schon dies ist aber nicht zwingend. Würde das OVG die Einstellung dagegen ablehnen oder die potentielle Arbeitgeberin zu einer neuen Entscheidung über die Einstellung verpflichten, wäre für diesen Rechtsstreit weder positiv noch negativ etwas entschieden.
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Im Gegenteil könnte auch argumentiert werden, dass die Entscheidung dieses Rechtsstreits für denjenigen beim OVG präjudiziell ist, weil die Prüfung der gesundheitlichen Eignung der Bewerberin für die Stelle einer Beamtin auf Widerruf sich nach anderen beamtenrechtlichen Maßstäben richtet, wenn die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wäre (vgl BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris; BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244).
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Die Beklagte hat auch nicht aufgezeigt, dass die Entscheidung des LSG auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann (zu dieser Anforderung: Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 12c). Dabei muss deutlich werden, dass der Verfahrensfehler den Inhalt der Entscheidung beeinflusst hat (BSG Beschluss vom 7.7.2009 - B 11 AL 108/08 B). Daran fehlt es, wenn die Beklagte lediglich behauptet, das LSG hätte den Rechtsstreit aussetzen müssen. Dass und inwieweit die unterlassene Aussetzung die Sachentscheidung beeinflusst haben könnte, wird nicht dargetan.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 Abs 1 SGG.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
Tenor
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Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
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Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
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Streitig ist, ob die Klägerin gemäß § 2 Abs 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen ist.
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Die 1982 geborene Klägerin ist seit September 2002 als Angestellte bei der J. (FHH) im mittleren Dienst vollzeitbeschäftigt. Bei ihr ist wegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa) seit 23.7.2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt.
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Am 24.9.2010 beantragte die Klägerin bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit (BA) die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Zwar sei ihr derzeitiges Beschäftigungsverhältnis unbefristet und ungekündigt. Auch könne sie ihre bisherige Tätigkeit ohne Einschränkung ausüben. Sie benötige die Gleichstellung aber, um ihre Vermittlungschancen für ein neues Arbeitsverhältnis bzw einen neuen Ausbildungsplatz zu verbessern. Im Juli 2009 bewarb sich die Klägerin bei der F. für eine Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin (gehobener Dienst). Nach erfolgreichem Vorstellungsgespräch bot ihr die F. zum 1.10.2009 die Einstellung unter dem Vorbehalt an, dass der personalärztliche Dienst diese befürworte. Später lehnte die F. die Einstellung ab (Bescheid vom 30.9.2009). Sie verwies auf ein Gutachten des ärztlichen Dienstes, wonach die Klägerin nicht über die für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf erforderliche gesundheitliche Eignung verfüge. Die Rechtsmittel der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid der F. sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid der FHH vom 27.9.2010; Urteil des Verwaltungsgerichts
Hamburg vom 11.1.2013 - 8 K 3007/10) . Das Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg (1 Bf 32/13) ist noch anhängig.
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Die Beklagte lehnte den Gleichstellungsantrag der Klägerin ab (Bescheid vom 18.10.2010) und wies den dagegen erhobenen Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 11.2.2011).
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Die Klägerin hat Klage zum Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und darauf verwiesen, Art 27 Abs 1 Lit e) und g) des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (BGBl 2008 II, S 1419; UN-Behindertenrechtskonvention, im Folgenden: UN-BRK) sei zu beachten. Danach habe sie als behinderter Mensch hinsichtlich ihres Berufs ein weitgehendes Wahlrecht; auch berufliche Aufstiegschancen seien zu berücksichtigen. Die Beklagte hat entgegnet, der berufliche Aufstieg könne nicht durch eine Gleichstellung gefördert werden. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.9.2012). Der Wunsch nach beruflichem Aufstieg falle nicht unter das "Erlangen" eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 2 Abs 3 SGB IX.
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Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen (Urteil vom 30.10.2013). Es müsse dem behinderten Menschen mittels Gleichstellung ermöglicht werden, einen Arbeitsplatz zu erlangen, der seinen beruflichen Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten entspreche. Die Freiheit, als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, dürfe nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Menschen bei der Gleichstellung schlechtergestellt werde.
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Die Beklagte rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision das Vorliegen eines Verfahrensfehlers. Das LSG habe den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des OVG Hamburg (1 Bf 32/13) wegen Übernahme in das Beamtenverhältnis aussetzen müssen. Die Entscheidung des OVG sei für die hier zu treffende Entscheidung präjudiziell. Zwar liege eine Aussetzung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen habe hier aber die Pflicht bestanden, den Rechtsstreit auszusetzen. Die Aussetzung sei auch geboten, weil das LSG die Beweise dahingehend gewürdigt habe, dass die Klägerin - jedenfalls nach Gleichstellung - gesundheitlich für eine Berufung in das Beamtenverhältnis geeignet sei. Die Beklagte rügt auch die Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX. Dessen Voraussetzungen seien nicht gegeben. Die Klägerin sei unbefristet auf einem geeigneten Arbeitsplatz beschäftigt. Sie begehre die Gleichstellung zum Zwecke der Förderung des beruflichen Aufstiegs. Die Gleichstellung könne nicht begehrt werden, um Diskriminierungen zu beseitigen, die durch die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung bei der Bewerbung um die Übernahme in ein (anderes) Beamtenverhältnis entstehen. Insofern sei bei öffentlichen Arbeitgebern ein besonderes Verständnis für Menschen mit Behinderung vorauszusetzen. Ein Anspruch auf Gleichstellung ergebe sich auch nicht aus der UN-BRK.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. September 2012 zurückzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
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Das LSG sei nicht zur Aussetzung des Rechtsstreits verpflichtet gewesen. Die Klägerin habe Anspruch auf Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX. Durch die Gleichstellung komme sie bei der Prüfung der Übernahme in das Anwärterverhältnis in den Genuss des Eignungsmaßstabs, der für schwerbehinderte Beamtenanwärter gelte. Diese Einstellungsvoraussetzungen könne sie erfüllen. Ohne Gleichstellung könne sie den für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen.
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Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten, über die der Senat nach erklärtem Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Sozialgerichtsgesetz
) , ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
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Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 18.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.2.2011, gegen den sich die Klägerin mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 56 SGG) wehrt (zur Klageart: BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4, RdNr 9; zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung dieser Klage vgl Senatsurteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R).
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1. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin durch feststellenden Verwaltungsakt einem behinderten Menschen gleichzustellen.
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Gemäß § 2 Abs 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können(zum Verfahren vgl § 68 Abs 2 S 1, § 69 SGB IX). Zu den Voraussetzungen einer Gleichstellung nach Maßgabe des § 2 Abs 3 SGB IX im Einzelnen wird auf die Parallelentscheidung des Senats vom 6.8.2014 (B 11 AL 16/13 R) verwiesen.
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Die Klägerin erstrebt die Gleichstellung, weil sie ohne diese den konkret angestrebten und für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann (Alt 1). Dagegen macht sie nicht geltend, den von ihr besetzten Arbeitsplatz behalten zu wollen (Alt 2), sodass hier nur Alt 1 der Vorschrift zu prüfen ist.
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2. a) Die Gleichstellung nach Maßgabe des Erlangungstatbestands (§ 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX) setzt voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will.
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Die Klägerin möchte einen Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen. Arbeitsplätze im Sinne der Vorschrift sind auch Stellen, auf denen Beamte und Beamtinnen sowie die zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellten beschäftigt werden. Der angestrebte Arbeitsplatz als Beamtin auf Widerruf im gehobenen Dienst der Steuerverwaltung erfüllt diese Voraussetzungen.
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Der Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) setzt weiter voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz anstrebt. Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung. Nach der zweiten Alternative des Gleichstellungstatbestands ("behalten können") hat eine Gleichstellung zu erfolgen, um dem behinderten Menschen das Behalten seines Arbeitsplatzes zu ermöglichen. Ziel dieser Regelung ist es, dass der behinderte Mensch den konkret von ihm besetzten und für ihn geeigneten Arbeitsplatz behalten kann. Auch für den Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) ist zu verlangen, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will. Dies ist schon geboten, um den Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX nicht zu überdehnen. Würde es genügen, dass es - abstrakt betrachtet - (irgendwelche) Arbeitsplätze gibt, für die der behinderte Mensch, der Gleichstellung bedürfte, um sie zu erlangen, wäre fast jeder behinderte Mensch mit GdB 30 oder 40 gleichzustellen. Denn der behinderte Mensch müsste nur Arbeitsplätze benennen, die er ohne Gleichstellung nicht erlangen kann.
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Auch im Wortlaut des § 2 Abs 3 iVm § 73 SGB IX ist eine Konkretisierung angelegt, wenn dort zur Voraussetzung erhoben wird, dass der behinderte Mensch kausal durch die Behinderung "einen" für ihn geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Weder die Frage der Kausalität noch die Frage der Eignung des Arbeitsplatzes kann abstrakt und allgemein für alle denkbaren Arbeitsplätze geprüft werden.
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Schließlich spricht der Zweck der Regelung, die Sicherung oder Herstellung von Teilhabe am Arbeitsleben, für diese Auslegung. Die Vorschrift will - wie das LSG zutreffend herausgearbeitet hat - damit auch die Freiheit der Berufswahl des behinderten Menschen schützen. Das Grundrecht aus Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) will diese Freiheit ua objektivrechtlich gewährleisten (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG 12. Aufl 2012, Vorb vor Art 1 RdNr 3 mwN). Auch Art 27 Abs 1 S 2 Lit a und e UN-BRK und Art 21, 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geben (EUGrdRCh) Hinweise zur Auslegung des § 2 Abs 3 SGB IX, denn nach diesen völkerrechtlichen und supranationalen Normen ist ein diskriminierungsfreier Zustand anzustreben. Dieser ist nicht bereits dadurch hergestellt, dass ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, vielmehr muss auch der Zugang zu anderen bzw der Wechsel von Berufsfeldern diskriminierungsfrei ermöglicht werden (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
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Andererseits knüpfen die Voraussetzungen der Gleichstellung nicht an einer abstrakten Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben an, sondern schützen das Erlangen von bestimmten Arbeitsplätzen (zu Alt 2 Bayerisches LSG Urteil vom 15.2.2001 - L 9 AL 381/99 - Juris RdNr 22; Bayerisches LSG Urteil vom 18.12.2013 - L 10 AL 104/11; aA Luthe in jurisPK-SGB IX, § 2 SGB IX RdNr 100 f). § 2 Abs 3 SGB IX versteht die angestrebte Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben also konkret.
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Die Tatsache, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz inne hat, steht dem Anspruch auf Gleichstellung zur Erlangung eines (anderen) Arbeitsplatzes nicht entgegen. Zwar bedarf die Klägerin keiner Gleichstellung, um ihren bisherigen Arbeitsplatz behalten zu können. Das Behalten des Arbeitsplatzes will sie mit diesem Rechtsstreit auch nicht erreichen. Sie möchte vielmehr (nur) einen neuen Arbeitsplatz erlangen. Hierauf hat sie ihr Begehren in zulässiger Weise beschränkt (BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4). Die Alternative 1 des § 2 Abs 3 SGB IX setzt aber schon seinem Wortlaut nach nur voraus, dass der behinderte Mensch ohne Gleichstellung einen Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Die Vorschrift hat nicht zur weiteren Voraussetzung, dass ein Antragsteller ohne Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz innehat.
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Das Recht auf Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes haben nicht nur arbeitslose behinderte Menschen, sondern auch behinderte Menschen, die sich beruflich verändern wollen. Denn ein diskriminierungsfreier Zustand ist nach Art 21 und Art 26 EUGrdRCh nicht bereits dann hergestellt, wenn ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, die regelmäßig im Beamtenverhältnis ausgeübt wird; vielmehr müssen Gesetzgeber und Dienstherr die Voraussetzungen zum Zugang zum Beamtenverhältnis in der Weise modifizieren, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausübung der entsprechenden Tätigkeit gerade im Beamtenverhältnis ermöglicht wird (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; Hessisches LSG Urteil vom 19.6.2013 - L 6 AL 116/12 - Juris).
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b) Die Klägerin erfüllt die genannten Voraussetzungen.
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Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine Gleichstellung, denn sie hat sowohl ihren Wohnsitz als auch ihren Arbeitsplatz im Inland. Bei ihr ist ein GdB von 30 festgestellt. Sie möchte einen konkreten Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen, nämlich den einer Beamtin auf Widerruf bei der Finanzbehörde FHH für die Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin.
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Der angestrebte Arbeitsplatz ist für die Klägerin geeignet. Das LSG hat die Geeignetheit des angestrebten Arbeitsplatzes festgestellt, ohne dass die Beteiligten insoweit Verfahrensrügen erhoben hätten. Nachdem die Klägerin schon bisher die Anforderungen einer Vollzeittätigkeit auf einem Büroarbeitsplatz erfüllte, bestehen auch keine Zweifel, dass die angestrebte Tätigkeit für sie geeignet ist, sie also gesundheitlich auf Dauer nicht überfordert.
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Sie bedarf kausal wegen ihrer Behinderung der Gleichstellung, um den konkreten Arbeitsplatz erlangen zu können. Ohne die behinderungsbedingten Einschränkungen wäre sie für den angestrebten Arbeitsplatz eingestellt worden. Es spricht auch viel dafür, dass sie nach erfolgter Gleichstellung die gesundheitlichen Anforderungen für die Einstellung von Beamtinnen auf Widerruf erfüllen wird.
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Die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung von Bewerbern für das Beamtenverhältnis hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) jüngst konkretisiert. Danach erfüllt ein Beamtenbewerber die Voraussetzung der gesundheitlichen Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze Dienstunfähigkeit eintritt (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244). Das BVerwG hat damit die zuvor geltenden Anforderungen zwar gelockert, es hält aber weitere Modifikationen der Eignungsanforderungen für Bewerber, die weder schwerbehindert noch schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind, verfassungsrechtlich nicht für geboten (BVerwG aaO - Juris RdNr 34 f).
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Erfüllen Bewerber diese gesundheitlichen Anforderungen nicht, können sie in der FHH einen Arbeitsplatz im Beamtenverhältnis nur erlangen, wenn sie schwerbehindert sind oder schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Denn für diese Personengruppen bestimmt das hier einschlägige und vom LSG festgestellte Landesrecht (§ 9 Abs 5 S 3 der Verordnung über die Laufbahnen der hamburgischen Beamtinnen und Beamten vom 22.12.2009; HmbGVBl 2009, 511), dass von gleichgestellten Personen nur ein geringeres Maß körperlicher Eignung verlangt werden darf. Danach erfüllen schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Personen die gesundheitlichen Anforderungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis, wenn für etwa zehn Jahre eine höhere Wahrscheinlichkeit als 50 vH dafür spricht, dass der Beamte dienstfähig bleibt und in diesem Zeitraum keine krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als etwa zwei Monaten pro Jahr auftreten werden. Die Wahrscheinlichkeit einer einmaligen, längeren Ausfallzeit steht einer positiven Prognose nicht entgegen (vgl auch Hamburgisches OVG Urteil vom 26.9.2008 - 1 Bf 19/08, bestätigt durch BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris).
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Ob die Klägerin ohne Anerkennung einer Gleichstellung die Einstellungsanforderungen für Arbeitsplätze von Beamten im gehobenen Dienst erfüllt, wie sie das BVerwG formuliert hat (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244), erscheint fraglich. Die Entscheidung hierüber obliegt nicht dem Senat, sondern ist von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit in deren Zuständigkeit zu treffen. Bislang hat die Klägerin eine positive Entscheidung über ihre Einstellung jedenfalls nicht erlangt.
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Nach aktuellem Sachstand hat die Klägerin infolge der Behinderung einen Wettbewerbsnachteil; denn sie kann aufgrund ihrer Behinderung den angestrebten Arbeitsplatz nicht erlangen. Dieser Nachteil kann durch die Gleichstellung ausgeglichen werden; denn das LSG hat festgestellt, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz erlangen möchte und diesen (bisher) "infolge" ihrer Behinderung nicht erlangen kann. Dies genügt, um einen Anspruch auf Gleichstellung zu bejahen.
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Die Sorge der Beklagten, dass eine Gleichstellung in Fällen der vorliegenden Art zu einer Konturlosigkeit und Ausuferung der Gleichstellung führen würde, vermag der Senat nur bedingt zu teilen. Einerseits hat der Gleichstellungsanspruch nach § 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX eine Reihe von Voraussetzungen, die insbesondere im Parallelverfahren erläutert wurden(BSG Urteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R). Wenn die Beklagte trotz dieser Anforderungen künftig eine größere Zahl an Gleichstellungen vornehmen müsste, als dies bisher der Fall war, ist dies eine Folge der im Bundesrecht, aber auch im supranationalen Recht und Völkerrecht angelegten und ins Bundesrecht übernommenen Förderung der Teilhabe und Beseitigung der Diskriminierung von behinderten Menschen (vgl § 1 SGB IX).
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c) Ein Anspruch auf Gleichstellung scheitert schließlich nicht daran, dass die Beklagte über die Gleichstellung grundsätzlich nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie in anderen vergleichbaren Fällen - der BA ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt ihr nur dann die Möglichkeit, zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung zu gelangen, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Sofern ein solcher - wie hier - nicht vorliegt, ist die BA zur Gleichstellung verpflichtet (BSG Urteil vom 2.3.2000 - B 7 AL 46/99 R; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
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3. Die Verfahrensrüge der Beklagten ist unzulässig, weil die ihr zugrunde liegenden Tatsachen nicht in der nach § 164 Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise aufzeigt wurden.
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Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 S 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 19 mwN). Daran fehlt es hier.
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Es ist schon fraglich, ob die Beklagte eine Pflicht zur Aussetzung des Rechtsstreits hinreichend aufgezeigt hat. Zwar kann das Ermessen des Gerichts, einen Rechtsstreit auszusetzen, auf diese Entscheidung hin reduziert sein (zB BSG Beschluss vom 19.7.2006 - B 11a AL 7/06 B). Die Beklagte hat aber nicht dargetan, dass die Voraussetzungen der Aussetzung nach § 114 Abs 2 S 1 SGG vorlagen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Entscheidung des LSG von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhinge, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits - hier desjenigen beim OVG - bildete.
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Zwar entscheidet das OVG (irgendwann) über den Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis. Inwieweit die Entscheidung des LSG über die Gleichstellung von dem Ausgang des Rechtsstreits beim OVG abhängt, ist in der Revisionsbegründung nicht herausgearbeitet worden. Insoweit trifft zwar zu, dass sich der Rechtsstreit wegen Gleichstellung auf sonstige Weise hätte erledigen können, wenn die Klägerin dort die Einstellung auf den begehrten Arbeitsplatz erlangt hätte. Schon dies ist aber nicht zwingend. Würde das OVG die Einstellung dagegen ablehnen oder die potentielle Arbeitgeberin zu einer neuen Entscheidung über die Einstellung verpflichten, wäre für diesen Rechtsstreit weder positiv noch negativ etwas entschieden.
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Im Gegenteil könnte auch argumentiert werden, dass die Entscheidung dieses Rechtsstreits für denjenigen beim OVG präjudiziell ist, weil die Prüfung der gesundheitlichen Eignung der Bewerberin für die Stelle einer Beamtin auf Widerruf sich nach anderen beamtenrechtlichen Maßstäben richtet, wenn die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wäre (vgl BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris; BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244).
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Die Beklagte hat auch nicht aufgezeigt, dass die Entscheidung des LSG auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann (zu dieser Anforderung: Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 12c). Dabei muss deutlich werden, dass der Verfahrensfehler den Inhalt der Entscheidung beeinflusst hat (BSG Beschluss vom 7.7.2009 - B 11 AL 108/08 B). Daran fehlt es, wenn die Beklagte lediglich behauptet, das LSG hätte den Rechtsstreit aussetzen müssen. Dass und inwieweit die unterlassene Aussetzung die Sachentscheidung beeinflusst haben könnte, wird nicht dargetan.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 Abs 1 SGG.
Tenor
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Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. April 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Im Streit ist ein Anspruch des Klägers auf Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten nach § 2 Abs 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).
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Der 1966 geborene Kläger ist Beamter auf Lebenszeit. Seit 1992 ist er bei der Deutschen Telekom AG beschäftigt und seit November 2002 als Transfermitarbeiter bei der Personal-Service-Agentur Vivento, einer 100 %-igen Tochter der Deutschen Telekom AG, eingesetzt. Die Personal-Service-Agentur Vivento bietet Outsourcing und Projektmanagement an und vermittelt Fachpersonal zu Unternehmen und Behörden. Das zuständige Versorgungsamt stellte zugunsten des Klägers einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 ua wegen eines psychischen Leidens fest (Bescheid vom 8.6.2005; Widerspruchsbescheid vom 11.7.2005).
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Den Antrag des Klägers vom 26.8.2005, ihn mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 25.1.2006; Widerspruchsbescheid vom 1.12.2006). Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Mainz vom 30.6.2008; Urteil des Landessozialgerichts . Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dass der Kläger angesichts der Unkündbarkeit als Beamter auf Lebenszeit keiner Konkurrenzsituation ausgesetzt sei, die eine Gleichstellung mit Schwerbehinderten rechtfertige. Nur in Ausnahmefällen könnten auch Arbeitsplätze von Beamten auf Lebenszeit gefährdet sein, beispielsweise, wenn die Behörde aufgelöst werde oder der Dienstherr ein Verfahren auf Zur-Ruhe-Setzung wegen Dienstunfähigkeit einleite. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Arbeitsplatz des Klägers auch nur abstrakt gefährdet sei. Deshalb bedürfe die Frage, ob er rechtmäßig als Transfermitarbeiter eingesetzt werde, keiner abschließenden Beurteilung. Unerheblich sei auch, ob die Personal-Service-Agentur Vivento ggf erwäge, den Kläger an eine andere Organisationseinheit zu versetzen. Der Kläger sei durch seinen Beamtenstatus hinreichend gegen widerrechtliche Versetzungen und den Verlust eines amtsangemessenen Arbeitsplatzes geschützt.Rheinland-Pfalz vom 30.4.2009)
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Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX, der grundsätzlich auch auf Beamte Anwendung finde. Dies gelte jedenfalls in Fällen, in denen - wie hier - ein Beamter aus dem klassischen Beamtenverhältnis gezwungenermaßen heraustrete, ihm kein Dienstposten mehr zugewiesen und er aufgefordert werde, sich zu bewerben. Betroffene Beamte müssten vielfach auf den offenen Arbeitsmarkt ausweichen bzw sollten durch Transfergesellschaften wie Vivento dauerhaft vermittelt werden und gerieten so in eine dem Beamtenverhältnis untypische Konkurrenzsituation. Das LSG habe seinen Vortrag verfahrensfehlerhaft unberücksichtigt gelassen und hierdurch sein rechtliches Gehör verletzt.
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 25.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.12.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn einem Schwerbehinderten gleichzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz
) . Es fehlen hinreichende tatsächliche Feststellungen (§ 163 SGG) zu den Voraussetzungen für eine Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX.
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Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 25.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.12.2006 (§ 95 SGG), gegen den sich der Kläger mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, § 56 SGG) wehrt.
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Nach § 2 Abs 3 SGB IX(in der Normfassung des SGB IX vom 19.6.2001 - BGBl I 1056) sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen(mit einem GdB von wenigstens 50; § 2 Abs 2 SGB IX) gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können. § 2 Abs 2 SGB IX knüpft die Schwerbehinderung an einen GdB von 50 sowie den Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder die rechtmäßige Beschäftigung iS des § 73 SGB IX im Geltungsbereich dieses Gesetzes.
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Zwar erfüllt der Kläger die persönlichen Voraussetzungen eines anerkannten GdB von 30 und des Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland; jedoch ist der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG nicht in der Lage zu beurteilen, ob der Kläger infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht (behalten oder) erlangen kann. Ein Anspruch des Klägers ist jedenfalls nicht schon mangels Gefährdung seines Arbeitsplatzes ausgeschlossen.
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Die Gleichstellung Beamter (oder anderer unkündbarer Arbeitnehmer) scheidet zunächst - wovon auch das LSG ausgeht - nicht generell wegen deren Unkündbarkeit aus. Dies zeigt schon der Wortlaut des § 2 Abs 3 SGB IX in seiner Bezugnahme auf § 73 SGB IX, der den Begriff des Arbeitsplatzes als Stelle definiert, auf der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden. Auch Sinn und Zweck der Gleichstellung lassen nicht den Schluss zu, dass Beamte nicht dem Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX unterfallen. Die Gleichstellung dient dazu, die ungünstige Konkurrenzsituation des Behinderten am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und somit den Arbeitsplatz sicherer zu machen oder seine Vermittlungschancen zu erhöhen (BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-2870 § 2 Nr 1 S 6 f). Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen zwei Alternativen, nämlich der Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes (Alternative 2) sowie der Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 73 SGB IX (Alternative 1), die kumulativ, aber auch nur alternativ vorliegen können(BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-3870 § 2 Nr 1 S 6 f).
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Die Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes dient dazu, bei einer Arbeitsplatzgefährdung den Arbeitsplatz sicherer zu machen. Deshalb bedarf es - wie das LSG zu Recht annimmt - einer besonderen Prüfung bei Personengruppen mit einem "sicheren Arbeitsplatz", wie bei Beamten, Richtern auf Lebenszeit und Arbeitnehmern mit besonderem Kündigungsschutz (Backendorf/Ritz in Bihr/Fuchs/Krauskopf/Ritz, SGB IX, 2006, § 68 RdNr 39). Bei diesen Personengruppen können die allgemeinen Voraussetzungen der Gleichstellung wegen Arbeitsplatzgefährdung zwar vorliegen, es bedarf aber einer besonderen Begründung, warum trotz Kündigungsschutz der Arbeitsplatz nachvollziehbar unsicherer ist als bei einem nichtbehinderten Kollegen. Dies ist bei einem Beamten beispielsweise der Fall, wenn behinderungsbedingt die Versetzung in den Ruhestand (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.5.2002 - L 9 AL 241/01; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.11.1995 - L 6 AR 159/94 -, ZfS 1996, 375 ff; Luthe in jurisPraxiskommentar SGB IX, 2010, § 2 RdNr 102; Backendorf/Ritz, aaO, RdNr 39) oder die behinderungsbedingte Versetzung oder Umsetzung auf einen anderen nicht gleichwertigen Arbeitsplatz droht (Backendorf/Ritz aaO; Luthe aaO). Einen Gleichstellungsanspruch wegen Arbeitsplatzgefährdung nehmen Rechtsprechung und Literatur daneben auch dann an, wenn die Behörde aufgelöst wird (LSG Nordrhein-Westfalen aaO; Luthe aaO; Cramer, Schwerbehindertengesetz, 5. Aufl 1998, § 2 RdNr 5), obwohl in einem solchen Fall der Arbeitsplatz nicht (nur) gefährdet ist, sondern tatsächlich wegfällt und auch nicht zu erkennen ist, weshalb bei der Auflösung einer Behörde der Arbeitsplatz nachvollziehbar unsicherer ist als bei einem nichtbehinderten Kollegen. Hier wäre - wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes - eher an eine Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten (neuen) Arbeitsplatzes zu denken (siehe dazu unten).
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Das LSG hat einen drohenden Verlust des Arbeitsplatzes bezogen auf die Tätigkeit als "Transfermitarbeiter" bei der Vivento im Hinblick auf die Unkündbarkeit des Klägers zwar pauschal und ohne nähere Begründung verneint. Der Kläger hatte seinen ursprünglichen Arbeitsplatz mit dem Wechsel in diese Gesellschaft, bei der er seit November 2002 eingesetzt und als "Transfermitarbeiter" geführt wird, allerdings bereits verloren. Das LSG hätte sich deshalb nicht mit der Prüfung der 2. Alternative des § 2 Abs 3 SGB IX (Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes) begnügen dürfen. Vielmehr hätte es auch bei Unkündbarkeit des Klägers prüfen müssen, ob wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls die Voraussetzungen der 1. Alternative des § 2 Abs 3 SGB IX (Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes) vorliegen. Solche besonderen Umstände liegen vor, wenn der ursprüngliche Arbeitsplatz eines Beamten nicht mehr existiert, sei es, weil die Behörde aufgelöst wurde, sei es aus anderen Gründen, und der Beamte in eine andere Beschäftigung oder Tätigkeit vermittelt werden soll und selbst eine solche Vermittlung - unabhängig von der Frage eines Anspruchs auf eine amtsangemessene Beschäftigung - wünscht. Ob der Beamtenstatus hinreichend gegen (widerrechtliche) Versetzungen und den Verlust eines amtsangemessenen Arbeitsplatzes schützt, ist dabei ohne Bedeutung. Die Freiheit, auch als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, kann nämlich nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Arbeitnehmern bei der Arbeitsuche schlechter gestellt wird.
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Ob eine derartige Fallgestaltung vorliegt, kann den Feststellungen des LSG nicht entnommen werden. Danach hat der Betriebsrat zwar auf Anfrage der Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger "Transfermitarbeiter" sei und versucht werde, ihn auf einen Dauerarbeitsplatz zu vermitteln, wobei Schwerbehinderte und mit Schwerbehinderten gleichgestellte Menschen bei gleicher Eignung bei allen Stellenbesetzungen bevorzugt würden. Eigene Feststellungen des LSG hierzu fehlen jedoch. Diese wird es ggf nachzuholen haben. Um den Vermittlungswunsch des Beamten zu belegen, ist dabei schon der Antrag, einem Schwerbehinderten gleichgestellt zu werden, ausreichend. Ihm kann insoweit indizielle Bedeutung beigemessen werden, ohne dass es einer ausdrücklichen Erklärung des Beamten oder einer Glaubhaftmachung hinsichtlich des Vermittlungswunsches bedarf. Ein Anspruch auf Gleichstellung kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn der Kläger "infolge" seiner Behinderung (Kausalität) bei wertender Betrachtung (im Sinne einer wesentlichen Bedingung) in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Nichtbehinderten in besonderer Weise beeinträchtigt und deshalb nur schwer vermittelbar ist. Entscheidendes Kriterium für die Gleichstellung ist deshalb die mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Behinderten wegen seiner Behinderung auf dem Arbeitsmarkt, und zwar auf dem Arbeitsmarkt insgesamt, nicht etwa nur bezogen auf einen bestimmten Arbeitsplatz (BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-3870 § 2 Nr 1 S 6 f). Aus der besonders geregelten und geschützten Stellung des Beamten resultiert kein mangelnder Bezug zum Arbeitsmarkt, wie schon § 73 SGB IX zeigt (siehe oben). Die Konkurrenzfähigkeit des Klägers misst sich dabei nicht allein an seiner früheren - bis 2002 oder in der Vivento ausgeübten - Tätigkeit und seinen beruflichen Wünschen, sondern auch an den Tätigkeiten, auf die etwaige Vermittlungsbemühungen erstreckt werden. Entsprechende Feststellungen wird das LSG ggf nachzuholen haben (zum maßgebenden Zeitpunkt für die Beurteilung einer Gleichstellung vgl BSG, aaO).
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Sollte das LSG eine mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Klägers im dargestellten Sinne feststellen, hat der Kläger einen Anspruch ("soll") auf die Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes. Sie hat zur Folge, dass der Gleichgestellte auf die Pflichtplatzquote des Arbeitgebers angerechnet wird. Für einen potenziellen Arbeitgeber wird auf diese Weise ein Anreiz geschaffen, den Arbeitslosen einzustellen. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie auch in anderen vergleichbaren Fällen - der Arbeitsagentur ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt der Arbeitsagentur nur dann die Möglichkeit zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Auch insoweit hat das LSG ggf entsprechende Feststellungen nachzuholen. Im Übrigen wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Tenor
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Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
-
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
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Streitig ist, ob die Klägerin gemäß § 2 Abs 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen ist.
- 2
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Die 1982 geborene Klägerin ist seit September 2002 als Angestellte bei der J. (FHH) im mittleren Dienst vollzeitbeschäftigt. Bei ihr ist wegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa) seit 23.7.2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt.
- 3
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Am 24.9.2010 beantragte die Klägerin bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit (BA) die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Zwar sei ihr derzeitiges Beschäftigungsverhältnis unbefristet und ungekündigt. Auch könne sie ihre bisherige Tätigkeit ohne Einschränkung ausüben. Sie benötige die Gleichstellung aber, um ihre Vermittlungschancen für ein neues Arbeitsverhältnis bzw einen neuen Ausbildungsplatz zu verbessern. Im Juli 2009 bewarb sich die Klägerin bei der F. für eine Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin (gehobener Dienst). Nach erfolgreichem Vorstellungsgespräch bot ihr die F. zum 1.10.2009 die Einstellung unter dem Vorbehalt an, dass der personalärztliche Dienst diese befürworte. Später lehnte die F. die Einstellung ab (Bescheid vom 30.9.2009). Sie verwies auf ein Gutachten des ärztlichen Dienstes, wonach die Klägerin nicht über die für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf erforderliche gesundheitliche Eignung verfüge. Die Rechtsmittel der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid der F. sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid der FHH vom 27.9.2010; Urteil des Verwaltungsgerichts
Hamburg vom 11.1.2013 - 8 K 3007/10) . Das Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg (1 Bf 32/13) ist noch anhängig.
- 4
-
Die Beklagte lehnte den Gleichstellungsantrag der Klägerin ab (Bescheid vom 18.10.2010) und wies den dagegen erhobenen Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 11.2.2011).
- 5
-
Die Klägerin hat Klage zum Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und darauf verwiesen, Art 27 Abs 1 Lit e) und g) des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (BGBl 2008 II, S 1419; UN-Behindertenrechtskonvention, im Folgenden: UN-BRK) sei zu beachten. Danach habe sie als behinderter Mensch hinsichtlich ihres Berufs ein weitgehendes Wahlrecht; auch berufliche Aufstiegschancen seien zu berücksichtigen. Die Beklagte hat entgegnet, der berufliche Aufstieg könne nicht durch eine Gleichstellung gefördert werden. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.9.2012). Der Wunsch nach beruflichem Aufstieg falle nicht unter das "Erlangen" eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 2 Abs 3 SGB IX.
- 6
-
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen (Urteil vom 30.10.2013). Es müsse dem behinderten Menschen mittels Gleichstellung ermöglicht werden, einen Arbeitsplatz zu erlangen, der seinen beruflichen Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten entspreche. Die Freiheit, als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, dürfe nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Menschen bei der Gleichstellung schlechtergestellt werde.
- 7
-
Die Beklagte rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision das Vorliegen eines Verfahrensfehlers. Das LSG habe den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des OVG Hamburg (1 Bf 32/13) wegen Übernahme in das Beamtenverhältnis aussetzen müssen. Die Entscheidung des OVG sei für die hier zu treffende Entscheidung präjudiziell. Zwar liege eine Aussetzung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen habe hier aber die Pflicht bestanden, den Rechtsstreit auszusetzen. Die Aussetzung sei auch geboten, weil das LSG die Beweise dahingehend gewürdigt habe, dass die Klägerin - jedenfalls nach Gleichstellung - gesundheitlich für eine Berufung in das Beamtenverhältnis geeignet sei. Die Beklagte rügt auch die Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX. Dessen Voraussetzungen seien nicht gegeben. Die Klägerin sei unbefristet auf einem geeigneten Arbeitsplatz beschäftigt. Sie begehre die Gleichstellung zum Zwecke der Förderung des beruflichen Aufstiegs. Die Gleichstellung könne nicht begehrt werden, um Diskriminierungen zu beseitigen, die durch die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung bei der Bewerbung um die Übernahme in ein (anderes) Beamtenverhältnis entstehen. Insofern sei bei öffentlichen Arbeitgebern ein besonderes Verständnis für Menschen mit Behinderung vorauszusetzen. Ein Anspruch auf Gleichstellung ergebe sich auch nicht aus der UN-BRK.
- 8
-
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. September 2012 zurückzuweisen.
- 9
-
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
- 10
-
Das LSG sei nicht zur Aussetzung des Rechtsstreits verpflichtet gewesen. Die Klägerin habe Anspruch auf Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX. Durch die Gleichstellung komme sie bei der Prüfung der Übernahme in das Anwärterverhältnis in den Genuss des Eignungsmaßstabs, der für schwerbehinderte Beamtenanwärter gelte. Diese Einstellungsvoraussetzungen könne sie erfüllen. Ohne Gleichstellung könne sie den für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen.
- 11
-
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe
- 12
-
Die Revision der Beklagten, über die der Senat nach erklärtem Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Sozialgerichtsgesetz
) , ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
- 13
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Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 18.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.2.2011, gegen den sich die Klägerin mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 56 SGG) wehrt (zur Klageart: BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4, RdNr 9; zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung dieser Klage vgl Senatsurteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R).
- 14
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1. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin durch feststellenden Verwaltungsakt einem behinderten Menschen gleichzustellen.
- 15
-
Gemäß § 2 Abs 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können(zum Verfahren vgl § 68 Abs 2 S 1, § 69 SGB IX). Zu den Voraussetzungen einer Gleichstellung nach Maßgabe des § 2 Abs 3 SGB IX im Einzelnen wird auf die Parallelentscheidung des Senats vom 6.8.2014 (B 11 AL 16/13 R) verwiesen.
- 16
-
Die Klägerin erstrebt die Gleichstellung, weil sie ohne diese den konkret angestrebten und für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann (Alt 1). Dagegen macht sie nicht geltend, den von ihr besetzten Arbeitsplatz behalten zu wollen (Alt 2), sodass hier nur Alt 1 der Vorschrift zu prüfen ist.
- 17
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2. a) Die Gleichstellung nach Maßgabe des Erlangungstatbestands (§ 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX) setzt voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will.
- 18
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Die Klägerin möchte einen Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen. Arbeitsplätze im Sinne der Vorschrift sind auch Stellen, auf denen Beamte und Beamtinnen sowie die zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellten beschäftigt werden. Der angestrebte Arbeitsplatz als Beamtin auf Widerruf im gehobenen Dienst der Steuerverwaltung erfüllt diese Voraussetzungen.
- 19
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Der Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) setzt weiter voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz anstrebt. Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung. Nach der zweiten Alternative des Gleichstellungstatbestands ("behalten können") hat eine Gleichstellung zu erfolgen, um dem behinderten Menschen das Behalten seines Arbeitsplatzes zu ermöglichen. Ziel dieser Regelung ist es, dass der behinderte Mensch den konkret von ihm besetzten und für ihn geeigneten Arbeitsplatz behalten kann. Auch für den Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) ist zu verlangen, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will. Dies ist schon geboten, um den Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX nicht zu überdehnen. Würde es genügen, dass es - abstrakt betrachtet - (irgendwelche) Arbeitsplätze gibt, für die der behinderte Mensch, der Gleichstellung bedürfte, um sie zu erlangen, wäre fast jeder behinderte Mensch mit GdB 30 oder 40 gleichzustellen. Denn der behinderte Mensch müsste nur Arbeitsplätze benennen, die er ohne Gleichstellung nicht erlangen kann.
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Auch im Wortlaut des § 2 Abs 3 iVm § 73 SGB IX ist eine Konkretisierung angelegt, wenn dort zur Voraussetzung erhoben wird, dass der behinderte Mensch kausal durch die Behinderung "einen" für ihn geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Weder die Frage der Kausalität noch die Frage der Eignung des Arbeitsplatzes kann abstrakt und allgemein für alle denkbaren Arbeitsplätze geprüft werden.
- 21
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Schließlich spricht der Zweck der Regelung, die Sicherung oder Herstellung von Teilhabe am Arbeitsleben, für diese Auslegung. Die Vorschrift will - wie das LSG zutreffend herausgearbeitet hat - damit auch die Freiheit der Berufswahl des behinderten Menschen schützen. Das Grundrecht aus Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) will diese Freiheit ua objektivrechtlich gewährleisten (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG 12. Aufl 2012, Vorb vor Art 1 RdNr 3 mwN). Auch Art 27 Abs 1 S 2 Lit a und e UN-BRK und Art 21, 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geben (EUGrdRCh) Hinweise zur Auslegung des § 2 Abs 3 SGB IX, denn nach diesen völkerrechtlichen und supranationalen Normen ist ein diskriminierungsfreier Zustand anzustreben. Dieser ist nicht bereits dadurch hergestellt, dass ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, vielmehr muss auch der Zugang zu anderen bzw der Wechsel von Berufsfeldern diskriminierungsfrei ermöglicht werden (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
- 22
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Andererseits knüpfen die Voraussetzungen der Gleichstellung nicht an einer abstrakten Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben an, sondern schützen das Erlangen von bestimmten Arbeitsplätzen (zu Alt 2 Bayerisches LSG Urteil vom 15.2.2001 - L 9 AL 381/99 - Juris RdNr 22; Bayerisches LSG Urteil vom 18.12.2013 - L 10 AL 104/11; aA Luthe in jurisPK-SGB IX, § 2 SGB IX RdNr 100 f). § 2 Abs 3 SGB IX versteht die angestrebte Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben also konkret.
- 23
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Die Tatsache, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz inne hat, steht dem Anspruch auf Gleichstellung zur Erlangung eines (anderen) Arbeitsplatzes nicht entgegen. Zwar bedarf die Klägerin keiner Gleichstellung, um ihren bisherigen Arbeitsplatz behalten zu können. Das Behalten des Arbeitsplatzes will sie mit diesem Rechtsstreit auch nicht erreichen. Sie möchte vielmehr (nur) einen neuen Arbeitsplatz erlangen. Hierauf hat sie ihr Begehren in zulässiger Weise beschränkt (BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4). Die Alternative 1 des § 2 Abs 3 SGB IX setzt aber schon seinem Wortlaut nach nur voraus, dass der behinderte Mensch ohne Gleichstellung einen Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Die Vorschrift hat nicht zur weiteren Voraussetzung, dass ein Antragsteller ohne Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz innehat.
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Das Recht auf Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes haben nicht nur arbeitslose behinderte Menschen, sondern auch behinderte Menschen, die sich beruflich verändern wollen. Denn ein diskriminierungsfreier Zustand ist nach Art 21 und Art 26 EUGrdRCh nicht bereits dann hergestellt, wenn ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, die regelmäßig im Beamtenverhältnis ausgeübt wird; vielmehr müssen Gesetzgeber und Dienstherr die Voraussetzungen zum Zugang zum Beamtenverhältnis in der Weise modifizieren, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausübung der entsprechenden Tätigkeit gerade im Beamtenverhältnis ermöglicht wird (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; Hessisches LSG Urteil vom 19.6.2013 - L 6 AL 116/12 - Juris).
- 25
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b) Die Klägerin erfüllt die genannten Voraussetzungen.
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Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine Gleichstellung, denn sie hat sowohl ihren Wohnsitz als auch ihren Arbeitsplatz im Inland. Bei ihr ist ein GdB von 30 festgestellt. Sie möchte einen konkreten Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen, nämlich den einer Beamtin auf Widerruf bei der Finanzbehörde FHH für die Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin.
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Der angestrebte Arbeitsplatz ist für die Klägerin geeignet. Das LSG hat die Geeignetheit des angestrebten Arbeitsplatzes festgestellt, ohne dass die Beteiligten insoweit Verfahrensrügen erhoben hätten. Nachdem die Klägerin schon bisher die Anforderungen einer Vollzeittätigkeit auf einem Büroarbeitsplatz erfüllte, bestehen auch keine Zweifel, dass die angestrebte Tätigkeit für sie geeignet ist, sie also gesundheitlich auf Dauer nicht überfordert.
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Sie bedarf kausal wegen ihrer Behinderung der Gleichstellung, um den konkreten Arbeitsplatz erlangen zu können. Ohne die behinderungsbedingten Einschränkungen wäre sie für den angestrebten Arbeitsplatz eingestellt worden. Es spricht auch viel dafür, dass sie nach erfolgter Gleichstellung die gesundheitlichen Anforderungen für die Einstellung von Beamtinnen auf Widerruf erfüllen wird.
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Die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung von Bewerbern für das Beamtenverhältnis hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) jüngst konkretisiert. Danach erfüllt ein Beamtenbewerber die Voraussetzung der gesundheitlichen Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze Dienstunfähigkeit eintritt (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244). Das BVerwG hat damit die zuvor geltenden Anforderungen zwar gelockert, es hält aber weitere Modifikationen der Eignungsanforderungen für Bewerber, die weder schwerbehindert noch schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind, verfassungsrechtlich nicht für geboten (BVerwG aaO - Juris RdNr 34 f).
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Erfüllen Bewerber diese gesundheitlichen Anforderungen nicht, können sie in der FHH einen Arbeitsplatz im Beamtenverhältnis nur erlangen, wenn sie schwerbehindert sind oder schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Denn für diese Personengruppen bestimmt das hier einschlägige und vom LSG festgestellte Landesrecht (§ 9 Abs 5 S 3 der Verordnung über die Laufbahnen der hamburgischen Beamtinnen und Beamten vom 22.12.2009; HmbGVBl 2009, 511), dass von gleichgestellten Personen nur ein geringeres Maß körperlicher Eignung verlangt werden darf. Danach erfüllen schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Personen die gesundheitlichen Anforderungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis, wenn für etwa zehn Jahre eine höhere Wahrscheinlichkeit als 50 vH dafür spricht, dass der Beamte dienstfähig bleibt und in diesem Zeitraum keine krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als etwa zwei Monaten pro Jahr auftreten werden. Die Wahrscheinlichkeit einer einmaligen, längeren Ausfallzeit steht einer positiven Prognose nicht entgegen (vgl auch Hamburgisches OVG Urteil vom 26.9.2008 - 1 Bf 19/08, bestätigt durch BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris).
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Ob die Klägerin ohne Anerkennung einer Gleichstellung die Einstellungsanforderungen für Arbeitsplätze von Beamten im gehobenen Dienst erfüllt, wie sie das BVerwG formuliert hat (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244), erscheint fraglich. Die Entscheidung hierüber obliegt nicht dem Senat, sondern ist von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit in deren Zuständigkeit zu treffen. Bislang hat die Klägerin eine positive Entscheidung über ihre Einstellung jedenfalls nicht erlangt.
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Nach aktuellem Sachstand hat die Klägerin infolge der Behinderung einen Wettbewerbsnachteil; denn sie kann aufgrund ihrer Behinderung den angestrebten Arbeitsplatz nicht erlangen. Dieser Nachteil kann durch die Gleichstellung ausgeglichen werden; denn das LSG hat festgestellt, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz erlangen möchte und diesen (bisher) "infolge" ihrer Behinderung nicht erlangen kann. Dies genügt, um einen Anspruch auf Gleichstellung zu bejahen.
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Die Sorge der Beklagten, dass eine Gleichstellung in Fällen der vorliegenden Art zu einer Konturlosigkeit und Ausuferung der Gleichstellung führen würde, vermag der Senat nur bedingt zu teilen. Einerseits hat der Gleichstellungsanspruch nach § 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX eine Reihe von Voraussetzungen, die insbesondere im Parallelverfahren erläutert wurden(BSG Urteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R). Wenn die Beklagte trotz dieser Anforderungen künftig eine größere Zahl an Gleichstellungen vornehmen müsste, als dies bisher der Fall war, ist dies eine Folge der im Bundesrecht, aber auch im supranationalen Recht und Völkerrecht angelegten und ins Bundesrecht übernommenen Förderung der Teilhabe und Beseitigung der Diskriminierung von behinderten Menschen (vgl § 1 SGB IX).
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c) Ein Anspruch auf Gleichstellung scheitert schließlich nicht daran, dass die Beklagte über die Gleichstellung grundsätzlich nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie in anderen vergleichbaren Fällen - der BA ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt ihr nur dann die Möglichkeit, zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung zu gelangen, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Sofern ein solcher - wie hier - nicht vorliegt, ist die BA zur Gleichstellung verpflichtet (BSG Urteil vom 2.3.2000 - B 7 AL 46/99 R; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
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3. Die Verfahrensrüge der Beklagten ist unzulässig, weil die ihr zugrunde liegenden Tatsachen nicht in der nach § 164 Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise aufzeigt wurden.
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Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 S 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 19 mwN). Daran fehlt es hier.
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Es ist schon fraglich, ob die Beklagte eine Pflicht zur Aussetzung des Rechtsstreits hinreichend aufgezeigt hat. Zwar kann das Ermessen des Gerichts, einen Rechtsstreit auszusetzen, auf diese Entscheidung hin reduziert sein (zB BSG Beschluss vom 19.7.2006 - B 11a AL 7/06 B). Die Beklagte hat aber nicht dargetan, dass die Voraussetzungen der Aussetzung nach § 114 Abs 2 S 1 SGG vorlagen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Entscheidung des LSG von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhinge, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits - hier desjenigen beim OVG - bildete.
- 38
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Zwar entscheidet das OVG (irgendwann) über den Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis. Inwieweit die Entscheidung des LSG über die Gleichstellung von dem Ausgang des Rechtsstreits beim OVG abhängt, ist in der Revisionsbegründung nicht herausgearbeitet worden. Insoweit trifft zwar zu, dass sich der Rechtsstreit wegen Gleichstellung auf sonstige Weise hätte erledigen können, wenn die Klägerin dort die Einstellung auf den begehrten Arbeitsplatz erlangt hätte. Schon dies ist aber nicht zwingend. Würde das OVG die Einstellung dagegen ablehnen oder die potentielle Arbeitgeberin zu einer neuen Entscheidung über die Einstellung verpflichten, wäre für diesen Rechtsstreit weder positiv noch negativ etwas entschieden.
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Im Gegenteil könnte auch argumentiert werden, dass die Entscheidung dieses Rechtsstreits für denjenigen beim OVG präjudiziell ist, weil die Prüfung der gesundheitlichen Eignung der Bewerberin für die Stelle einer Beamtin auf Widerruf sich nach anderen beamtenrechtlichen Maßstäben richtet, wenn die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wäre (vgl BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris; BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244).
- 40
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Die Beklagte hat auch nicht aufgezeigt, dass die Entscheidung des LSG auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann (zu dieser Anforderung: Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 12c). Dabei muss deutlich werden, dass der Verfahrensfehler den Inhalt der Entscheidung beeinflusst hat (BSG Beschluss vom 7.7.2009 - B 11 AL 108/08 B). Daran fehlt es, wenn die Beklagte lediglich behauptet, das LSG hätte den Rechtsstreit aussetzen müssen. Dass und inwieweit die unterlassene Aussetzung die Sachentscheidung beeinflusst haben könnte, wird nicht dargetan.
- 41
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 Abs 1 SGG.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
Tenor
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Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
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Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
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Streitig ist, ob die Klägerin gemäß § 2 Abs 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen ist.
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Die 1982 geborene Klägerin ist seit September 2002 als Angestellte bei der J. (FHH) im mittleren Dienst vollzeitbeschäftigt. Bei ihr ist wegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa) seit 23.7.2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt.
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Am 24.9.2010 beantragte die Klägerin bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit (BA) die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Zwar sei ihr derzeitiges Beschäftigungsverhältnis unbefristet und ungekündigt. Auch könne sie ihre bisherige Tätigkeit ohne Einschränkung ausüben. Sie benötige die Gleichstellung aber, um ihre Vermittlungschancen für ein neues Arbeitsverhältnis bzw einen neuen Ausbildungsplatz zu verbessern. Im Juli 2009 bewarb sich die Klägerin bei der F. für eine Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin (gehobener Dienst). Nach erfolgreichem Vorstellungsgespräch bot ihr die F. zum 1.10.2009 die Einstellung unter dem Vorbehalt an, dass der personalärztliche Dienst diese befürworte. Später lehnte die F. die Einstellung ab (Bescheid vom 30.9.2009). Sie verwies auf ein Gutachten des ärztlichen Dienstes, wonach die Klägerin nicht über die für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf erforderliche gesundheitliche Eignung verfüge. Die Rechtsmittel der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid der F. sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid der FHH vom 27.9.2010; Urteil des Verwaltungsgerichts
Hamburg vom 11.1.2013 - 8 K 3007/10) . Das Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg (1 Bf 32/13) ist noch anhängig.
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Die Beklagte lehnte den Gleichstellungsantrag der Klägerin ab (Bescheid vom 18.10.2010) und wies den dagegen erhobenen Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 11.2.2011).
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Die Klägerin hat Klage zum Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und darauf verwiesen, Art 27 Abs 1 Lit e) und g) des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (BGBl 2008 II, S 1419; UN-Behindertenrechtskonvention, im Folgenden: UN-BRK) sei zu beachten. Danach habe sie als behinderter Mensch hinsichtlich ihres Berufs ein weitgehendes Wahlrecht; auch berufliche Aufstiegschancen seien zu berücksichtigen. Die Beklagte hat entgegnet, der berufliche Aufstieg könne nicht durch eine Gleichstellung gefördert werden. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.9.2012). Der Wunsch nach beruflichem Aufstieg falle nicht unter das "Erlangen" eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 2 Abs 3 SGB IX.
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Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen (Urteil vom 30.10.2013). Es müsse dem behinderten Menschen mittels Gleichstellung ermöglicht werden, einen Arbeitsplatz zu erlangen, der seinen beruflichen Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten entspreche. Die Freiheit, als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, dürfe nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Menschen bei der Gleichstellung schlechtergestellt werde.
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Die Beklagte rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision das Vorliegen eines Verfahrensfehlers. Das LSG habe den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des OVG Hamburg (1 Bf 32/13) wegen Übernahme in das Beamtenverhältnis aussetzen müssen. Die Entscheidung des OVG sei für die hier zu treffende Entscheidung präjudiziell. Zwar liege eine Aussetzung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen habe hier aber die Pflicht bestanden, den Rechtsstreit auszusetzen. Die Aussetzung sei auch geboten, weil das LSG die Beweise dahingehend gewürdigt habe, dass die Klägerin - jedenfalls nach Gleichstellung - gesundheitlich für eine Berufung in das Beamtenverhältnis geeignet sei. Die Beklagte rügt auch die Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX. Dessen Voraussetzungen seien nicht gegeben. Die Klägerin sei unbefristet auf einem geeigneten Arbeitsplatz beschäftigt. Sie begehre die Gleichstellung zum Zwecke der Förderung des beruflichen Aufstiegs. Die Gleichstellung könne nicht begehrt werden, um Diskriminierungen zu beseitigen, die durch die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung bei der Bewerbung um die Übernahme in ein (anderes) Beamtenverhältnis entstehen. Insofern sei bei öffentlichen Arbeitgebern ein besonderes Verständnis für Menschen mit Behinderung vorauszusetzen. Ein Anspruch auf Gleichstellung ergebe sich auch nicht aus der UN-BRK.
- 8
-
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. September 2012 zurückzuweisen.
- 9
-
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
- 10
-
Das LSG sei nicht zur Aussetzung des Rechtsstreits verpflichtet gewesen. Die Klägerin habe Anspruch auf Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX. Durch die Gleichstellung komme sie bei der Prüfung der Übernahme in das Anwärterverhältnis in den Genuss des Eignungsmaßstabs, der für schwerbehinderte Beamtenanwärter gelte. Diese Einstellungsvoraussetzungen könne sie erfüllen. Ohne Gleichstellung könne sie den für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen.
- 11
-
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe
- 12
-
Die Revision der Beklagten, über die der Senat nach erklärtem Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Sozialgerichtsgesetz
) , ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
- 13
-
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 18.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.2.2011, gegen den sich die Klägerin mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 56 SGG) wehrt (zur Klageart: BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4, RdNr 9; zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung dieser Klage vgl Senatsurteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R).
- 14
-
1. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin durch feststellenden Verwaltungsakt einem behinderten Menschen gleichzustellen.
- 15
-
Gemäß § 2 Abs 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können(zum Verfahren vgl § 68 Abs 2 S 1, § 69 SGB IX). Zu den Voraussetzungen einer Gleichstellung nach Maßgabe des § 2 Abs 3 SGB IX im Einzelnen wird auf die Parallelentscheidung des Senats vom 6.8.2014 (B 11 AL 16/13 R) verwiesen.
- 16
-
Die Klägerin erstrebt die Gleichstellung, weil sie ohne diese den konkret angestrebten und für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann (Alt 1). Dagegen macht sie nicht geltend, den von ihr besetzten Arbeitsplatz behalten zu wollen (Alt 2), sodass hier nur Alt 1 der Vorschrift zu prüfen ist.
- 17
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2. a) Die Gleichstellung nach Maßgabe des Erlangungstatbestands (§ 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX) setzt voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will.
- 18
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Die Klägerin möchte einen Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen. Arbeitsplätze im Sinne der Vorschrift sind auch Stellen, auf denen Beamte und Beamtinnen sowie die zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellten beschäftigt werden. Der angestrebte Arbeitsplatz als Beamtin auf Widerruf im gehobenen Dienst der Steuerverwaltung erfüllt diese Voraussetzungen.
- 19
-
Der Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) setzt weiter voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz anstrebt. Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung. Nach der zweiten Alternative des Gleichstellungstatbestands ("behalten können") hat eine Gleichstellung zu erfolgen, um dem behinderten Menschen das Behalten seines Arbeitsplatzes zu ermöglichen. Ziel dieser Regelung ist es, dass der behinderte Mensch den konkret von ihm besetzten und für ihn geeigneten Arbeitsplatz behalten kann. Auch für den Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) ist zu verlangen, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will. Dies ist schon geboten, um den Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX nicht zu überdehnen. Würde es genügen, dass es - abstrakt betrachtet - (irgendwelche) Arbeitsplätze gibt, für die der behinderte Mensch, der Gleichstellung bedürfte, um sie zu erlangen, wäre fast jeder behinderte Mensch mit GdB 30 oder 40 gleichzustellen. Denn der behinderte Mensch müsste nur Arbeitsplätze benennen, die er ohne Gleichstellung nicht erlangen kann.
- 20
-
Auch im Wortlaut des § 2 Abs 3 iVm § 73 SGB IX ist eine Konkretisierung angelegt, wenn dort zur Voraussetzung erhoben wird, dass der behinderte Mensch kausal durch die Behinderung "einen" für ihn geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Weder die Frage der Kausalität noch die Frage der Eignung des Arbeitsplatzes kann abstrakt und allgemein für alle denkbaren Arbeitsplätze geprüft werden.
- 21
-
Schließlich spricht der Zweck der Regelung, die Sicherung oder Herstellung von Teilhabe am Arbeitsleben, für diese Auslegung. Die Vorschrift will - wie das LSG zutreffend herausgearbeitet hat - damit auch die Freiheit der Berufswahl des behinderten Menschen schützen. Das Grundrecht aus Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) will diese Freiheit ua objektivrechtlich gewährleisten (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG 12. Aufl 2012, Vorb vor Art 1 RdNr 3 mwN). Auch Art 27 Abs 1 S 2 Lit a und e UN-BRK und Art 21, 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geben (EUGrdRCh) Hinweise zur Auslegung des § 2 Abs 3 SGB IX, denn nach diesen völkerrechtlichen und supranationalen Normen ist ein diskriminierungsfreier Zustand anzustreben. Dieser ist nicht bereits dadurch hergestellt, dass ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, vielmehr muss auch der Zugang zu anderen bzw der Wechsel von Berufsfeldern diskriminierungsfrei ermöglicht werden (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
- 22
-
Andererseits knüpfen die Voraussetzungen der Gleichstellung nicht an einer abstrakten Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben an, sondern schützen das Erlangen von bestimmten Arbeitsplätzen (zu Alt 2 Bayerisches LSG Urteil vom 15.2.2001 - L 9 AL 381/99 - Juris RdNr 22; Bayerisches LSG Urteil vom 18.12.2013 - L 10 AL 104/11; aA Luthe in jurisPK-SGB IX, § 2 SGB IX RdNr 100 f). § 2 Abs 3 SGB IX versteht die angestrebte Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben also konkret.
- 23
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Die Tatsache, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz inne hat, steht dem Anspruch auf Gleichstellung zur Erlangung eines (anderen) Arbeitsplatzes nicht entgegen. Zwar bedarf die Klägerin keiner Gleichstellung, um ihren bisherigen Arbeitsplatz behalten zu können. Das Behalten des Arbeitsplatzes will sie mit diesem Rechtsstreit auch nicht erreichen. Sie möchte vielmehr (nur) einen neuen Arbeitsplatz erlangen. Hierauf hat sie ihr Begehren in zulässiger Weise beschränkt (BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4). Die Alternative 1 des § 2 Abs 3 SGB IX setzt aber schon seinem Wortlaut nach nur voraus, dass der behinderte Mensch ohne Gleichstellung einen Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Die Vorschrift hat nicht zur weiteren Voraussetzung, dass ein Antragsteller ohne Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz innehat.
- 24
-
Das Recht auf Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes haben nicht nur arbeitslose behinderte Menschen, sondern auch behinderte Menschen, die sich beruflich verändern wollen. Denn ein diskriminierungsfreier Zustand ist nach Art 21 und Art 26 EUGrdRCh nicht bereits dann hergestellt, wenn ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, die regelmäßig im Beamtenverhältnis ausgeübt wird; vielmehr müssen Gesetzgeber und Dienstherr die Voraussetzungen zum Zugang zum Beamtenverhältnis in der Weise modifizieren, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausübung der entsprechenden Tätigkeit gerade im Beamtenverhältnis ermöglicht wird (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; Hessisches LSG Urteil vom 19.6.2013 - L 6 AL 116/12 - Juris).
- 25
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b) Die Klägerin erfüllt die genannten Voraussetzungen.
- 26
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Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine Gleichstellung, denn sie hat sowohl ihren Wohnsitz als auch ihren Arbeitsplatz im Inland. Bei ihr ist ein GdB von 30 festgestellt. Sie möchte einen konkreten Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen, nämlich den einer Beamtin auf Widerruf bei der Finanzbehörde FHH für die Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin.
- 27
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Der angestrebte Arbeitsplatz ist für die Klägerin geeignet. Das LSG hat die Geeignetheit des angestrebten Arbeitsplatzes festgestellt, ohne dass die Beteiligten insoweit Verfahrensrügen erhoben hätten. Nachdem die Klägerin schon bisher die Anforderungen einer Vollzeittätigkeit auf einem Büroarbeitsplatz erfüllte, bestehen auch keine Zweifel, dass die angestrebte Tätigkeit für sie geeignet ist, sie also gesundheitlich auf Dauer nicht überfordert.
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Sie bedarf kausal wegen ihrer Behinderung der Gleichstellung, um den konkreten Arbeitsplatz erlangen zu können. Ohne die behinderungsbedingten Einschränkungen wäre sie für den angestrebten Arbeitsplatz eingestellt worden. Es spricht auch viel dafür, dass sie nach erfolgter Gleichstellung die gesundheitlichen Anforderungen für die Einstellung von Beamtinnen auf Widerruf erfüllen wird.
- 29
-
Die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung von Bewerbern für das Beamtenverhältnis hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) jüngst konkretisiert. Danach erfüllt ein Beamtenbewerber die Voraussetzung der gesundheitlichen Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze Dienstunfähigkeit eintritt (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244). Das BVerwG hat damit die zuvor geltenden Anforderungen zwar gelockert, es hält aber weitere Modifikationen der Eignungsanforderungen für Bewerber, die weder schwerbehindert noch schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind, verfassungsrechtlich nicht für geboten (BVerwG aaO - Juris RdNr 34 f).
- 30
-
Erfüllen Bewerber diese gesundheitlichen Anforderungen nicht, können sie in der FHH einen Arbeitsplatz im Beamtenverhältnis nur erlangen, wenn sie schwerbehindert sind oder schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Denn für diese Personengruppen bestimmt das hier einschlägige und vom LSG festgestellte Landesrecht (§ 9 Abs 5 S 3 der Verordnung über die Laufbahnen der hamburgischen Beamtinnen und Beamten vom 22.12.2009; HmbGVBl 2009, 511), dass von gleichgestellten Personen nur ein geringeres Maß körperlicher Eignung verlangt werden darf. Danach erfüllen schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Personen die gesundheitlichen Anforderungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis, wenn für etwa zehn Jahre eine höhere Wahrscheinlichkeit als 50 vH dafür spricht, dass der Beamte dienstfähig bleibt und in diesem Zeitraum keine krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als etwa zwei Monaten pro Jahr auftreten werden. Die Wahrscheinlichkeit einer einmaligen, längeren Ausfallzeit steht einer positiven Prognose nicht entgegen (vgl auch Hamburgisches OVG Urteil vom 26.9.2008 - 1 Bf 19/08, bestätigt durch BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris).
- 31
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Ob die Klägerin ohne Anerkennung einer Gleichstellung die Einstellungsanforderungen für Arbeitsplätze von Beamten im gehobenen Dienst erfüllt, wie sie das BVerwG formuliert hat (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244), erscheint fraglich. Die Entscheidung hierüber obliegt nicht dem Senat, sondern ist von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit in deren Zuständigkeit zu treffen. Bislang hat die Klägerin eine positive Entscheidung über ihre Einstellung jedenfalls nicht erlangt.
- 32
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Nach aktuellem Sachstand hat die Klägerin infolge der Behinderung einen Wettbewerbsnachteil; denn sie kann aufgrund ihrer Behinderung den angestrebten Arbeitsplatz nicht erlangen. Dieser Nachteil kann durch die Gleichstellung ausgeglichen werden; denn das LSG hat festgestellt, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz erlangen möchte und diesen (bisher) "infolge" ihrer Behinderung nicht erlangen kann. Dies genügt, um einen Anspruch auf Gleichstellung zu bejahen.
- 33
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Die Sorge der Beklagten, dass eine Gleichstellung in Fällen der vorliegenden Art zu einer Konturlosigkeit und Ausuferung der Gleichstellung führen würde, vermag der Senat nur bedingt zu teilen. Einerseits hat der Gleichstellungsanspruch nach § 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX eine Reihe von Voraussetzungen, die insbesondere im Parallelverfahren erläutert wurden(BSG Urteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R). Wenn die Beklagte trotz dieser Anforderungen künftig eine größere Zahl an Gleichstellungen vornehmen müsste, als dies bisher der Fall war, ist dies eine Folge der im Bundesrecht, aber auch im supranationalen Recht und Völkerrecht angelegten und ins Bundesrecht übernommenen Förderung der Teilhabe und Beseitigung der Diskriminierung von behinderten Menschen (vgl § 1 SGB IX).
- 34
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c) Ein Anspruch auf Gleichstellung scheitert schließlich nicht daran, dass die Beklagte über die Gleichstellung grundsätzlich nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie in anderen vergleichbaren Fällen - der BA ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt ihr nur dann die Möglichkeit, zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung zu gelangen, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Sofern ein solcher - wie hier - nicht vorliegt, ist die BA zur Gleichstellung verpflichtet (BSG Urteil vom 2.3.2000 - B 7 AL 46/99 R; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
- 35
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3. Die Verfahrensrüge der Beklagten ist unzulässig, weil die ihr zugrunde liegenden Tatsachen nicht in der nach § 164 Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise aufzeigt wurden.
- 36
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Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 S 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 19 mwN). Daran fehlt es hier.
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Es ist schon fraglich, ob die Beklagte eine Pflicht zur Aussetzung des Rechtsstreits hinreichend aufgezeigt hat. Zwar kann das Ermessen des Gerichts, einen Rechtsstreit auszusetzen, auf diese Entscheidung hin reduziert sein (zB BSG Beschluss vom 19.7.2006 - B 11a AL 7/06 B). Die Beklagte hat aber nicht dargetan, dass die Voraussetzungen der Aussetzung nach § 114 Abs 2 S 1 SGG vorlagen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Entscheidung des LSG von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhinge, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits - hier desjenigen beim OVG - bildete.
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Zwar entscheidet das OVG (irgendwann) über den Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis. Inwieweit die Entscheidung des LSG über die Gleichstellung von dem Ausgang des Rechtsstreits beim OVG abhängt, ist in der Revisionsbegründung nicht herausgearbeitet worden. Insoweit trifft zwar zu, dass sich der Rechtsstreit wegen Gleichstellung auf sonstige Weise hätte erledigen können, wenn die Klägerin dort die Einstellung auf den begehrten Arbeitsplatz erlangt hätte. Schon dies ist aber nicht zwingend. Würde das OVG die Einstellung dagegen ablehnen oder die potentielle Arbeitgeberin zu einer neuen Entscheidung über die Einstellung verpflichten, wäre für diesen Rechtsstreit weder positiv noch negativ etwas entschieden.
- 39
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Im Gegenteil könnte auch argumentiert werden, dass die Entscheidung dieses Rechtsstreits für denjenigen beim OVG präjudiziell ist, weil die Prüfung der gesundheitlichen Eignung der Bewerberin für die Stelle einer Beamtin auf Widerruf sich nach anderen beamtenrechtlichen Maßstäben richtet, wenn die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wäre (vgl BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris; BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244).
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Die Beklagte hat auch nicht aufgezeigt, dass die Entscheidung des LSG auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann (zu dieser Anforderung: Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 12c). Dabei muss deutlich werden, dass der Verfahrensfehler den Inhalt der Entscheidung beeinflusst hat (BSG Beschluss vom 7.7.2009 - B 11 AL 108/08 B). Daran fehlt es, wenn die Beklagte lediglich behauptet, das LSG hätte den Rechtsstreit aussetzen müssen. Dass und inwieweit die unterlassene Aussetzung die Sachentscheidung beeinflusst haben könnte, wird nicht dargetan.
- 41
-
4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 Abs 1 SGG.
(1) Als Reisekosten werden die erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten übernommen, die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben stehen. Zu den Reisekosten gehören auch die Kosten
- 1.
für besondere Beförderungsmittel, deren Inanspruchnahme wegen der Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist, - 2.
für eine wegen der Behinderung erforderliche Begleitperson einschließlich des für die Zeit der Begleitung entstehenden Verdienstausfalls, - 3.
für Kinder, deren Mitnahme an den Rehabilitationsort erforderlich ist, weil ihre anderweitige Betreuung nicht sichergestellt ist sowie - 4.
für den erforderlichen Gepäcktransport.
(2) Während der Ausführung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden im Regelfall auch Reisekosten für zwei Familienheimfahrten je Monat übernommen. Anstelle der Kosten für die Familienheimfahrten können für Fahrten von Angehörigen vom Wohnort zum Aufenthaltsort der Leistungsempfänger und zurück Reisekosten übernommen werden.
(3) Reisekosten nach Absatz 2 werden auch im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation übernommen, wenn die Leistungen länger als acht Wochen erbracht werden.
(4) Fahrkosten werden in Höhe des Betrages zugrunde gelegt, der bei Benutzung eines regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittels der niedrigsten Beförderungsklasse des zweckmäßigsten öffentlichen Verkehrsmittels zu zahlen ist, bei Benutzung sonstiger Verkehrsmittel in Höhe der Wegstreckenentschädigung nach § 5 Absatz 1 des Bundesreisekostengesetzes. Bei Fahrpreiserhöhungen, die nicht geringfügig sind, hat auf Antrag des Leistungsempfängers eine Anpassung der Fahrkostenentschädigung zu erfolgen, wenn die Maßnahme noch mindestens zwei weitere Monate andauert. Kosten für Pendelfahrten können nur bis zur Höhe des Betrages übernommen werden, der unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Behinderung bei einer zumutbaren auswärtigen Unterbringung für Unterbringung und Verpflegung zu leisten wäre.
Tenor
-
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
-
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
- 1
-
Streitig ist, ob die Klägerin gemäß § 2 Abs 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen ist.
- 2
-
Die 1982 geborene Klägerin ist seit September 2002 als Angestellte bei der J. (FHH) im mittleren Dienst vollzeitbeschäftigt. Bei ihr ist wegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa) seit 23.7.2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt.
- 3
-
Am 24.9.2010 beantragte die Klägerin bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit (BA) die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Zwar sei ihr derzeitiges Beschäftigungsverhältnis unbefristet und ungekündigt. Auch könne sie ihre bisherige Tätigkeit ohne Einschränkung ausüben. Sie benötige die Gleichstellung aber, um ihre Vermittlungschancen für ein neues Arbeitsverhältnis bzw einen neuen Ausbildungsplatz zu verbessern. Im Juli 2009 bewarb sich die Klägerin bei der F. für eine Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin (gehobener Dienst). Nach erfolgreichem Vorstellungsgespräch bot ihr die F. zum 1.10.2009 die Einstellung unter dem Vorbehalt an, dass der personalärztliche Dienst diese befürworte. Später lehnte die F. die Einstellung ab (Bescheid vom 30.9.2009). Sie verwies auf ein Gutachten des ärztlichen Dienstes, wonach die Klägerin nicht über die für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf erforderliche gesundheitliche Eignung verfüge. Die Rechtsmittel der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid der F. sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid der FHH vom 27.9.2010; Urteil des Verwaltungsgerichts
Hamburg vom 11.1.2013 - 8 K 3007/10) . Das Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg (1 Bf 32/13) ist noch anhängig.
- 4
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Die Beklagte lehnte den Gleichstellungsantrag der Klägerin ab (Bescheid vom 18.10.2010) und wies den dagegen erhobenen Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 11.2.2011).
- 5
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Die Klägerin hat Klage zum Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und darauf verwiesen, Art 27 Abs 1 Lit e) und g) des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (BGBl 2008 II, S 1419; UN-Behindertenrechtskonvention, im Folgenden: UN-BRK) sei zu beachten. Danach habe sie als behinderter Mensch hinsichtlich ihres Berufs ein weitgehendes Wahlrecht; auch berufliche Aufstiegschancen seien zu berücksichtigen. Die Beklagte hat entgegnet, der berufliche Aufstieg könne nicht durch eine Gleichstellung gefördert werden. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.9.2012). Der Wunsch nach beruflichem Aufstieg falle nicht unter das "Erlangen" eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 2 Abs 3 SGB IX.
- 6
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Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen (Urteil vom 30.10.2013). Es müsse dem behinderten Menschen mittels Gleichstellung ermöglicht werden, einen Arbeitsplatz zu erlangen, der seinen beruflichen Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten entspreche. Die Freiheit, als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, dürfe nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Menschen bei der Gleichstellung schlechtergestellt werde.
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Die Beklagte rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision das Vorliegen eines Verfahrensfehlers. Das LSG habe den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des OVG Hamburg (1 Bf 32/13) wegen Übernahme in das Beamtenverhältnis aussetzen müssen. Die Entscheidung des OVG sei für die hier zu treffende Entscheidung präjudiziell. Zwar liege eine Aussetzung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen habe hier aber die Pflicht bestanden, den Rechtsstreit auszusetzen. Die Aussetzung sei auch geboten, weil das LSG die Beweise dahingehend gewürdigt habe, dass die Klägerin - jedenfalls nach Gleichstellung - gesundheitlich für eine Berufung in das Beamtenverhältnis geeignet sei. Die Beklagte rügt auch die Verletzung des § 2 Abs 3 SGB IX. Dessen Voraussetzungen seien nicht gegeben. Die Klägerin sei unbefristet auf einem geeigneten Arbeitsplatz beschäftigt. Sie begehre die Gleichstellung zum Zwecke der Förderung des beruflichen Aufstiegs. Die Gleichstellung könne nicht begehrt werden, um Diskriminierungen zu beseitigen, die durch die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung bei der Bewerbung um die Übernahme in ein (anderes) Beamtenverhältnis entstehen. Insofern sei bei öffentlichen Arbeitgebern ein besonderes Verständnis für Menschen mit Behinderung vorauszusetzen. Ein Anspruch auf Gleichstellung ergebe sich auch nicht aus der UN-BRK.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. September 2012 zurückzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
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Das LSG sei nicht zur Aussetzung des Rechtsstreits verpflichtet gewesen. Die Klägerin habe Anspruch auf Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB IX. Durch die Gleichstellung komme sie bei der Prüfung der Übernahme in das Anwärterverhältnis in den Genuss des Eignungsmaßstabs, der für schwerbehinderte Beamtenanwärter gelte. Diese Einstellungsvoraussetzungen könne sie erfüllen. Ohne Gleichstellung könne sie den für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen.
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Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
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Die Revision der Beklagten, über die der Senat nach erklärtem Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Sozialgerichtsgesetz
) , ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
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Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 18.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.2.2011, gegen den sich die Klägerin mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 56 SGG) wehrt (zur Klageart: BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4, RdNr 9; zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung dieser Klage vgl Senatsurteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R).
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1. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin durch feststellenden Verwaltungsakt einem behinderten Menschen gleichzustellen.
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Gemäß § 2 Abs 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können(zum Verfahren vgl § 68 Abs 2 S 1, § 69 SGB IX). Zu den Voraussetzungen einer Gleichstellung nach Maßgabe des § 2 Abs 3 SGB IX im Einzelnen wird auf die Parallelentscheidung des Senats vom 6.8.2014 (B 11 AL 16/13 R) verwiesen.
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Die Klägerin erstrebt die Gleichstellung, weil sie ohne diese den konkret angestrebten und für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann (Alt 1). Dagegen macht sie nicht geltend, den von ihr besetzten Arbeitsplatz behalten zu wollen (Alt 2), sodass hier nur Alt 1 der Vorschrift zu prüfen ist.
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2. a) Die Gleichstellung nach Maßgabe des Erlangungstatbestands (§ 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX) setzt voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will.
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Die Klägerin möchte einen Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen. Arbeitsplätze im Sinne der Vorschrift sind auch Stellen, auf denen Beamte und Beamtinnen sowie die zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellten beschäftigt werden. Der angestrebte Arbeitsplatz als Beamtin auf Widerruf im gehobenen Dienst der Steuerverwaltung erfüllt diese Voraussetzungen.
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Der Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) setzt weiter voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz anstrebt. Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung. Nach der zweiten Alternative des Gleichstellungstatbestands ("behalten können") hat eine Gleichstellung zu erfolgen, um dem behinderten Menschen das Behalten seines Arbeitsplatzes zu ermöglichen. Ziel dieser Regelung ist es, dass der behinderte Mensch den konkret von ihm besetzten und für ihn geeigneten Arbeitsplatz behalten kann. Auch für den Erlangungs-Tatbestand (Alt 1) ist zu verlangen, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will. Dies ist schon geboten, um den Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 SGB IX nicht zu überdehnen. Würde es genügen, dass es - abstrakt betrachtet - (irgendwelche) Arbeitsplätze gibt, für die der behinderte Mensch, der Gleichstellung bedürfte, um sie zu erlangen, wäre fast jeder behinderte Mensch mit GdB 30 oder 40 gleichzustellen. Denn der behinderte Mensch müsste nur Arbeitsplätze benennen, die er ohne Gleichstellung nicht erlangen kann.
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Auch im Wortlaut des § 2 Abs 3 iVm § 73 SGB IX ist eine Konkretisierung angelegt, wenn dort zur Voraussetzung erhoben wird, dass der behinderte Mensch kausal durch die Behinderung "einen" für ihn geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Weder die Frage der Kausalität noch die Frage der Eignung des Arbeitsplatzes kann abstrakt und allgemein für alle denkbaren Arbeitsplätze geprüft werden.
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Schließlich spricht der Zweck der Regelung, die Sicherung oder Herstellung von Teilhabe am Arbeitsleben, für diese Auslegung. Die Vorschrift will - wie das LSG zutreffend herausgearbeitet hat - damit auch die Freiheit der Berufswahl des behinderten Menschen schützen. Das Grundrecht aus Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) will diese Freiheit ua objektivrechtlich gewährleisten (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG 12. Aufl 2012, Vorb vor Art 1 RdNr 3 mwN). Auch Art 27 Abs 1 S 2 Lit a und e UN-BRK und Art 21, 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geben (EUGrdRCh) Hinweise zur Auslegung des § 2 Abs 3 SGB IX, denn nach diesen völkerrechtlichen und supranationalen Normen ist ein diskriminierungsfreier Zustand anzustreben. Dieser ist nicht bereits dadurch hergestellt, dass ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, vielmehr muss auch der Zugang zu anderen bzw der Wechsel von Berufsfeldern diskriminierungsfrei ermöglicht werden (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
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Andererseits knüpfen die Voraussetzungen der Gleichstellung nicht an einer abstrakten Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben an, sondern schützen das Erlangen von bestimmten Arbeitsplätzen (zu Alt 2 Bayerisches LSG Urteil vom 15.2.2001 - L 9 AL 381/99 - Juris RdNr 22; Bayerisches LSG Urteil vom 18.12.2013 - L 10 AL 104/11; aA Luthe in jurisPK-SGB IX, § 2 SGB IX RdNr 100 f). § 2 Abs 3 SGB IX versteht die angestrebte Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben also konkret.
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Die Tatsache, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz inne hat, steht dem Anspruch auf Gleichstellung zur Erlangung eines (anderen) Arbeitsplatzes nicht entgegen. Zwar bedarf die Klägerin keiner Gleichstellung, um ihren bisherigen Arbeitsplatz behalten zu können. Das Behalten des Arbeitsplatzes will sie mit diesem Rechtsstreit auch nicht erreichen. Sie möchte vielmehr (nur) einen neuen Arbeitsplatz erlangen. Hierauf hat sie ihr Begehren in zulässiger Weise beschränkt (BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4). Die Alternative 1 des § 2 Abs 3 SGB IX setzt aber schon seinem Wortlaut nach nur voraus, dass der behinderte Mensch ohne Gleichstellung einen Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Die Vorschrift hat nicht zur weiteren Voraussetzung, dass ein Antragsteller ohne Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz innehat.
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Das Recht auf Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes haben nicht nur arbeitslose behinderte Menschen, sondern auch behinderte Menschen, die sich beruflich verändern wollen. Denn ein diskriminierungsfreier Zustand ist nach Art 21 und Art 26 EUGrdRCh nicht bereits dann hergestellt, wenn ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, die regelmäßig im Beamtenverhältnis ausgeübt wird; vielmehr müssen Gesetzgeber und Dienstherr die Voraussetzungen zum Zugang zum Beamtenverhältnis in der Weise modifizieren, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausübung der entsprechenden Tätigkeit gerade im Beamtenverhältnis ermöglicht wird (vgl OVG Niedersachsen Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 - Juris; Hessisches LSG Urteil vom 19.6.2013 - L 6 AL 116/12 - Juris).
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b) Die Klägerin erfüllt die genannten Voraussetzungen.
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Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine Gleichstellung, denn sie hat sowohl ihren Wohnsitz als auch ihren Arbeitsplatz im Inland. Bei ihr ist ein GdB von 30 festgestellt. Sie möchte einen konkreten Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 SGB IX erlangen, nämlich den einer Beamtin auf Widerruf bei der Finanzbehörde FHH für die Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin.
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Der angestrebte Arbeitsplatz ist für die Klägerin geeignet. Das LSG hat die Geeignetheit des angestrebten Arbeitsplatzes festgestellt, ohne dass die Beteiligten insoweit Verfahrensrügen erhoben hätten. Nachdem die Klägerin schon bisher die Anforderungen einer Vollzeittätigkeit auf einem Büroarbeitsplatz erfüllte, bestehen auch keine Zweifel, dass die angestrebte Tätigkeit für sie geeignet ist, sie also gesundheitlich auf Dauer nicht überfordert.
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Sie bedarf kausal wegen ihrer Behinderung der Gleichstellung, um den konkreten Arbeitsplatz erlangen zu können. Ohne die behinderungsbedingten Einschränkungen wäre sie für den angestrebten Arbeitsplatz eingestellt worden. Es spricht auch viel dafür, dass sie nach erfolgter Gleichstellung die gesundheitlichen Anforderungen für die Einstellung von Beamtinnen auf Widerruf erfüllen wird.
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Die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung von Bewerbern für das Beamtenverhältnis hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) jüngst konkretisiert. Danach erfüllt ein Beamtenbewerber die Voraussetzung der gesundheitlichen Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze Dienstunfähigkeit eintritt (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244). Das BVerwG hat damit die zuvor geltenden Anforderungen zwar gelockert, es hält aber weitere Modifikationen der Eignungsanforderungen für Bewerber, die weder schwerbehindert noch schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind, verfassungsrechtlich nicht für geboten (BVerwG aaO - Juris RdNr 34 f).
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Erfüllen Bewerber diese gesundheitlichen Anforderungen nicht, können sie in der FHH einen Arbeitsplatz im Beamtenverhältnis nur erlangen, wenn sie schwerbehindert sind oder schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Denn für diese Personengruppen bestimmt das hier einschlägige und vom LSG festgestellte Landesrecht (§ 9 Abs 5 S 3 der Verordnung über die Laufbahnen der hamburgischen Beamtinnen und Beamten vom 22.12.2009; HmbGVBl 2009, 511), dass von gleichgestellten Personen nur ein geringeres Maß körperlicher Eignung verlangt werden darf. Danach erfüllen schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Personen die gesundheitlichen Anforderungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis, wenn für etwa zehn Jahre eine höhere Wahrscheinlichkeit als 50 vH dafür spricht, dass der Beamte dienstfähig bleibt und in diesem Zeitraum keine krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als etwa zwei Monaten pro Jahr auftreten werden. Die Wahrscheinlichkeit einer einmaligen, längeren Ausfallzeit steht einer positiven Prognose nicht entgegen (vgl auch Hamburgisches OVG Urteil vom 26.9.2008 - 1 Bf 19/08, bestätigt durch BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris).
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Ob die Klägerin ohne Anerkennung einer Gleichstellung die Einstellungsanforderungen für Arbeitsplätze von Beamten im gehobenen Dienst erfüllt, wie sie das BVerwG formuliert hat (BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244), erscheint fraglich. Die Entscheidung hierüber obliegt nicht dem Senat, sondern ist von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit in deren Zuständigkeit zu treffen. Bislang hat die Klägerin eine positive Entscheidung über ihre Einstellung jedenfalls nicht erlangt.
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Nach aktuellem Sachstand hat die Klägerin infolge der Behinderung einen Wettbewerbsnachteil; denn sie kann aufgrund ihrer Behinderung den angestrebten Arbeitsplatz nicht erlangen. Dieser Nachteil kann durch die Gleichstellung ausgeglichen werden; denn das LSG hat festgestellt, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz erlangen möchte und diesen (bisher) "infolge" ihrer Behinderung nicht erlangen kann. Dies genügt, um einen Anspruch auf Gleichstellung zu bejahen.
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Die Sorge der Beklagten, dass eine Gleichstellung in Fällen der vorliegenden Art zu einer Konturlosigkeit und Ausuferung der Gleichstellung führen würde, vermag der Senat nur bedingt zu teilen. Einerseits hat der Gleichstellungsanspruch nach § 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX eine Reihe von Voraussetzungen, die insbesondere im Parallelverfahren erläutert wurden(BSG Urteil vom 6.8.2014 - B 11 AL 16/13 R). Wenn die Beklagte trotz dieser Anforderungen künftig eine größere Zahl an Gleichstellungen vornehmen müsste, als dies bisher der Fall war, ist dies eine Folge der im Bundesrecht, aber auch im supranationalen Recht und Völkerrecht angelegten und ins Bundesrecht übernommenen Förderung der Teilhabe und Beseitigung der Diskriminierung von behinderten Menschen (vgl § 1 SGB IX).
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c) Ein Anspruch auf Gleichstellung scheitert schließlich nicht daran, dass die Beklagte über die Gleichstellung grundsätzlich nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 SGB IX hat der Gesetzgeber - wie in anderen vergleichbaren Fällen - der BA ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die Sollvorschrift gibt ihr nur dann die Möglichkeit, zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung zu gelangen, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Sofern ein solcher - wie hier - nicht vorliegt, ist die BA zur Gleichstellung verpflichtet (BSG Urteil vom 2.3.2000 - B 7 AL 46/99 R; BSG Urteil vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
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3. Die Verfahrensrüge der Beklagten ist unzulässig, weil die ihr zugrunde liegenden Tatsachen nicht in der nach § 164 Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise aufzeigt wurden.
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Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 S 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 19 mwN). Daran fehlt es hier.
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Es ist schon fraglich, ob die Beklagte eine Pflicht zur Aussetzung des Rechtsstreits hinreichend aufgezeigt hat. Zwar kann das Ermessen des Gerichts, einen Rechtsstreit auszusetzen, auf diese Entscheidung hin reduziert sein (zB BSG Beschluss vom 19.7.2006 - B 11a AL 7/06 B). Die Beklagte hat aber nicht dargetan, dass die Voraussetzungen der Aussetzung nach § 114 Abs 2 S 1 SGG vorlagen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Entscheidung des LSG von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhinge, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits - hier desjenigen beim OVG - bildete.
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Zwar entscheidet das OVG (irgendwann) über den Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis. Inwieweit die Entscheidung des LSG über die Gleichstellung von dem Ausgang des Rechtsstreits beim OVG abhängt, ist in der Revisionsbegründung nicht herausgearbeitet worden. Insoweit trifft zwar zu, dass sich der Rechtsstreit wegen Gleichstellung auf sonstige Weise hätte erledigen können, wenn die Klägerin dort die Einstellung auf den begehrten Arbeitsplatz erlangt hätte. Schon dies ist aber nicht zwingend. Würde das OVG die Einstellung dagegen ablehnen oder die potentielle Arbeitgeberin zu einer neuen Entscheidung über die Einstellung verpflichten, wäre für diesen Rechtsstreit weder positiv noch negativ etwas entschieden.
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Im Gegenteil könnte auch argumentiert werden, dass die Entscheidung dieses Rechtsstreits für denjenigen beim OVG präjudiziell ist, weil die Prüfung der gesundheitlichen Eignung der Bewerberin für die Stelle einer Beamtin auf Widerruf sich nach anderen beamtenrechtlichen Maßstäben richtet, wenn die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wäre (vgl BVerwG Beschluss vom 23.4.2009 - 2 B 79/08 - veröffentlicht bei Juris; BVerwG Urteil vom 25.7.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244).
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Die Beklagte hat auch nicht aufgezeigt, dass die Entscheidung des LSG auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann (zu dieser Anforderung: Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 12c). Dabei muss deutlich werden, dass der Verfahrensfehler den Inhalt der Entscheidung beeinflusst hat (BSG Beschluss vom 7.7.2009 - B 11 AL 108/08 B). Daran fehlt es, wenn die Beklagte lediglich behauptet, das LSG hätte den Rechtsstreit aussetzen müssen. Dass und inwieweit die unterlassene Aussetzung die Sachentscheidung beeinflusst haben könnte, wird nicht dargetan.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 Abs 1 SGG.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 der Zivilprozeßordnung ergeht durch Beschluß.
(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn das Gericht dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses oder Gutachtens für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet.
(3) Der Vorsitzende kann das Auftreten eines Prozeßbevollmächtigten untersagen, solange die Partei trotz Anordnung ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird.
(1) Das Gericht kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet.
(2) Das Gericht kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.