Landgericht Hamburg Beschluss, 23. Apr. 2018 - 606 Qs 8/18

bei uns veröffentlicht am23.04.2018

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Zeugen F. M. vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. W. vom 05.04.2018 wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 28.03.2018 (Az.: 250 Ds 111/17) aufgehoben.

2. Der Beschwerdeführer wird als Nebenkläger zugelassen.

3. Dem Beschwerdeführer ist die Anklageschrift zu übermitteln. Ihm wird Akteneinsicht durch seinen Vertreter gewährt.

4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

1

Den Angeklagten wird durch die zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift Beleidigung sowie den Angeklagten B., v. M. und V. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen. Der Angeklagte v. M. ist überdies wegen fahrlässiger Körperverletzung zu Lasten des Beschwerdeführers M. angeklagt (vgl. Anklageschrift Fall 3, Bl. 157 ff. d.A.). Die zur Last gelegten Taten sollen sich während eines Einsatzes am 29.05.2016 kurz vor Mitternacht auf dem Bahnsteig St. Pauli in Hamburg zugetragen haben, an dem auch der Beschwerdeführer als Polizeibeamter im Dienst teilnahm. Mit Beschluss vom 28.03.2018 hat das Amtsgericht den Antrag auf Zulassung der Nebenklage sowie die Anträge auf Übersendung der Anklage und Akteneinsicht abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 395 Abs. 1, 2 und 3 StPO lägen nicht vor, insbesondere seien gemäß § 395 Abs. 3 StPO schwere Folgen der Tat weder vorgetragen noch sonst aus dem Akteninhalt ersichtlich. Eine Anklage sei dem Beschwerdeführer nicht gemäß § 201 Satz 2 StPO zuzusenden, da er nicht nebenklagebefugt sei. Die begehrte Akteneinsicht sei auf Grund der andernfalls bestehenden Gefahr für den Untersuchungszweck gemäß § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO abzulehnen. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seines Vertreters vom 05.04.2018. Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Akten über die Staatsanwaltschaft dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

2

Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

1.

3

Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist die Entscheidung über die Akteneinsicht des Verletzten nach § 406e Abs. 1 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 StPO nach Eröffnung des Hauptverfahrens entsprechend § 406e Abs. 4 Satz 4 StPO mit der Beschwerde anfechtbar (§ 304 StPO). Dem steht § 305 Satz 1 StPO mangels Verweisung in § 406e Abs. 4 Satz 3 StPO nicht entgegen (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 24.10.2014 - 1 Ws 110/14, NStZ 2015, 105, m. Anm. Radtke, a. a. O., 108, und v. 22.7.2015 - 1 Ws 88/15, Stra-Fo 2015, 328; KG, Beschl. v. 2.10.2015 - 4 Ws 83/15 – juris).

2.

4

Die Beschwerde ist auch in der Sache begründet.

a)

5

Der Beschwerdeführer ist als verletzte Person einer rechtswidrigen Tat nebenklageberechtigt gemäß §§ 395 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO, 223 StGB. Die Nebenklagebefugnis aus § 395 Abs. 1 StPO besteht schon dann, wenn nach der Sachlage oder aufgrund des tatsächlichen Vorbringens des Antragstellers die Verurteilung des Angeklagten rechtlich möglich erscheint (vgl. RGSt 69, 244; BGH MDR (H) 1978, 461; BGH NStZ-RR 2002, 340; BGH NStZ-RR 2008, 352; LG Koblenz NJW 2004, 305; OLG Düsseldorf NStZ 1997, 204, 205; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 396 Rn. 10). In den Fällen des § 395 Abs. 1 Nr. 3 StPO genügt es deshalb, wenn nach dem von der Anklage umfassten Sachverhalt (§§ 155, 264 StPO) die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung materiell-rechtlich in Betracht kommt (BGH a. a. O., OLG Düsseldorf a. a. O.; OLG Celle NJW 1969, 945; OLG Frankfurt/M. NJW 1979, 994, 995). Die Nebenklagebefugnis setzt dagegen keinen dringenden oder auch nur hinreichenden Tatverdacht für eine zum Anschluss berechtigende Tat voraus (RGSt 69, 244, 246; BGH MDR (H) 1978, 461; BGH NStZ-RR 2002, 340; BGH NStZ-RR 2008, 352; LG Koblenz NJW 2004, 305; OLG Düsseldorf NStZ 1997, 204, 205; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 396 Rn. 10); sie besteht sogar dann, wenn die tatsächliche Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Verurteilung gering ist (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.4.2010 – 1 Ws 54/10). Die Nebenklage ist bereits dann zuzulassen, wenn auch nur die geringe Möglichkeit vorhanden ist, dass der Angeklagte nach der Sachlage oder aufgrund des tatsächlichen Vorbringens des Beschwerdeführers wegen einer Nebenklagestraftat verurteilt wird (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 340; OLG Düsseldorf, NStZ 1997, 204). Ob diese Möglichkeit gegeben ist, ist unabhängig davon zu beurteilen, ob die Anklage die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat in rechtlicher Hinsicht als eine Nebenklagestraftat bewertet hat oder ob die Voraussetzungen eines Nebenklagedelikts im Eröffnungsbeschluss bejaht oder verneint worden sind (OLG Düsseldorf, a. a. O.).

6

In Ansehung der vorstehenden Grundsätze ist die Nebenklage hier zuzulassen. Nach Ansicht der Kammer besteht auf Grundlage des von der Anklage mitgeteilten Sachverhalts, dem tatsächlichen Vorbringen des Beschwerdeführers, der weiteren Zeugen sowie den vorliegenden Videoaufzeichnungen und Lichtbildern durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung des Angeklagten v. M. wegen vorsätzlicher Körperverletzung nach § 223 StGB zum Nachteil des Beschwerdeführers.

7

Der Beschwerdeführer hat in seinem Vermerk vom 05.06.2016 ausführlich seine Eindrücke vom Tatgeschehen geschildert (vgl. Bl. 16 ff. d.A.). Auch die mit ihm im Einsatz gewesenen Polizeibeamten T., S. und P. haben Einsatzberichte zur angeklagten prozessualen Tat niedergeschrieben (vgl. Bl. 2 ff., 8 ff. und 14 ff. d.A.). Der Beschwerdeführer hat bekundet, der Angeklagte v. M. habe bei dem Versuch sich aus seinem Griff zu lösen mehrfach nach der rechten Hand und dem Zeigefinger der rechten Hand des Beschwerdeführers gegriffen und daran gezogen. Der Beschwerdeführer habe daraufhin Schmerzen in diesem Bereich verspürt. Die Beamten S. und T. seien dem Beschwerdeführer zur Hilfe geeilt und dieser habe dann von dem Angeklagten v. M. ablassen können. Nach dieser Auseinandersetzung habe der Zeigefinger des Beschwerdeführers im unteren Bereich widernatürlich abgestanden und sei stark angeschwollen gewesen. Ein ebenfalls in der Akte befindliche Arzt- und Operationsbericht diagnostiziert eine Zeigefingergrundglied-Spiralfraktur rechts (vgl. Bl. 64 ff. d.A.). Unter Zugrundelegung dieses Sachverhalts liegt eine Verurteilung des Angeklagten v. M. wegen vorsätzlicher Körperverletzung nicht fern. Dass Anklage und Eröffnungsbeschluss von fahrlässiger Körperverletzung ausgehen, hat wie dargelegt für die Beurteilung, ob eine nebenklageberechtigte Tat vorliegt, keine Bedeutung. Es ist nach dem in der Anklage dargestellten Sachverhalt und insbesondere den Ausführungen des Beschwerdeführers möglich, dass der Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung nach § 223 StGB und mithin einem nebenklagefähigen Delikt nach § 395 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO verurteilt wird.

b)

8

Dem Beschwerdeführer ist nach § 201 Abs. 1 Satz 2 StPO die Anklageschrift zu übermitteln. Ihm wird Akteneinsicht nach § 406e Abs. 1 Satz 1 StPO durch seinen Rechtsanwalt gewährt.

9

Dem Beschwerdeführer steht als Nebenkläger nach § 406e Abs. 1 Satz 1 StPO über seinen Rechtsanwalt auch ohne Darlegung eines berechtigten Interesses Akteneinsicht zu (vgl. § 406e Abs. 1 Satz 2 StPO). Der Versagungsgrund nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO greift hier nicht ein. Danach kann die Akteneinsicht versagt werden, soweit der Untersuchungszweck, auch in einem anderen Strafverfahren gefährdet erscheint.

10

Der Untersuchungszweck im Sinne dieses gesetzlichen Versagungsgrundes ist gefährdet, wenn durch die Aktenkenntnis des Verletzten eine Beeinträchtigung der gerichtlichen Sachaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) zu besorgen ist (vgl. BT-Drucks. 10/5305, S. 18). Zwar steht den mit der Sache befassten Gerichten hierbei ein weiter Entscheidungsspielraum zu (vgl. BGH, Beschl. v. 11.1.2005 - 1 StR 498/04, NJW 2005, 1519, 1520). Die durch das Akteneinsichtsrecht des Verletzten stets begründete Gefahr einer anhand des Akteninhalts präparierten Zeugenaussage reicht für sich zur Versagung nicht aus (OLG Koblenz, Beschl. v. 30.5.1988 - 2 VAs 3/88, StV 1988, 332, 334; OLG Hamburg, Beschl. v. 24.10.2014 -1 Ws 110/14, NStZ 2015, 105, m. Anm. Radtke, a. a. O., 108, und v. 22.6.2015 -1 Ws 88/15, StraFo 2015, 328; KG, Beschl. v. 2.10.2015 - 4 Ws 83/15 -juris). Für die Prüfung der abstrakten Gefährdung des Untersuchungszwecks ist vielmehr eine Würdigung der Verfahrens- und Rechtslage im Einzelfall vorzunehmen (vgl. OLG Koblenz, a. a. O.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 406e Rn. 6a). Eine diesen Maßgaben verpflichtete Bewertung der Beweiskonstellation ist hier nicht anzunehmen.

11

Mangels einer Aussage-gegen-Aussage Konstellation erzwingt die Beweislage insbesondere keine Ermessensreduktion auf Null. Die Beweiskonstellation von Aussage-gegen-Aussage erfährt ihr Gepräge durch eine Abweichung der Tatschilderung des Zeugen von der eines Angeklagten, ohne dass ergänzend auf weitere unmittelbar tatbezogene Beweismittel, etwa belastende Indizien wie Zeugenaussagen über Geräusche oder Verletzungsbilder zurückgegriffen werden kann (vgl. Sander, StV 2000, 45, 46; Schmandt, StraFo 2010, 446, 448 m. w. N.). So liegt es hier gerade nicht. Von der angeklagten Tat existieren Videoaufzeichnungen des HVV und dazugehörige Lichtbilder (Bl. 100 ff. d.A.) und Videoaufzeichnungen des Smartphones des Zeugen K. (Bl. 145 d.A). Es gibt mehrere Zeugen (vgl. Aktenverweis der Anklageschrift, Bl 157 ff. d.A.): Neben den drei weiteren Polizeibeamten, die gemeinsam mit dem Beschwerdeführer am Einsatz beteiligt waren, der Zeuge d. S. L. (vgl. Bl. 73 d.A.). Erkennbar stehen also nicht die Angaben des Angeklagten v. M. (Verfahrenskonstellation Aussage-gegen-Aussage auch möglich, wenn Angeklagter sich durch Schweigen verteidigt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 6.12.2012 - 4 StR 360/12, NStZ, 2013, 180, 181)) und des Beschwerdeführers allein gegenüber, sondern werden ergänzt durch Wahrnehmungen zahlreicher weiterer Beweispersonen sowie Videoaufzeichnungen und Lichtbilder. Auch das vom Amtsgericht vorgebrachte Argument, die Akteneinsicht des Beschwerdeführers würde den Untersuchungszweck gefährden, namentlich die Gewährleistung einer unbeeinflussten Aussage des Beschwerdeführers und die Würdigung dieser Aussage im Rahmen der Hauptverhandlung (vgl. Beschl. AG Hamburg v. 28.03.2018, Bl. 248 d. A.) führt nicht dazu, dass ein Versagungsgrund anzunehmen ist. Eine derartige Gefahr ist stets begründet und kann nicht dazu führen, dass Akteneinsichtsrecht nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO zu versagen. Andernfalls würde das Akteneinsichtsrecht des Nebenklägers einen unzulässigen Ausnahmecharakter bekommen. Es gäbe kaum Sachverhalte, in denen es zu gewähren wäre.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 467 StPO.

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(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Strafprozeßordnung - StPO | § 467 Kosten und notwendige Auslagen bei Freispruch, Nichteröffnung und Einstellung


(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zu

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(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig,

Strafgesetzbuch - StGB | § 223 Körperverletzung


(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

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(1) Der erhobenen öffentlichen Klage oder dem Antrag im Sicherungsverfahren kann sich mit der Nebenklage anschließen, wer verletzt ist durch eine rechtswidrige Tat nach 1. den §§ 174 bis 182, 184i bis 184k des Strafgesetzbuches,2. den §§ 211 und 212

Strafprozeßordnung - StPO | § 406e Akteneinsicht


(1) Für den Verletzten kann ein Rechtsanwalt die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der öffentlichen Klage vorzulegen wären, einsehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigen, soweit er hierfür ein berechtigtes

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Entscheidungen der erkennenden Gerichte, die der Urteilsfällung vorausgehen, unterliegen nicht der Beschwerde. Ausgenommen sind Entscheidungen über Verhaftungen, die einstweilige Unterbringung, Beschlagnahmen, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaub

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Strafprozeßordnung - StPO | § 155 Umfang der gerichtlichen Untersuchung und Entscheidung


(1) Die Untersuchung und Entscheidung erstreckt sich nur auf die in der Klage bezeichnete Tat und auf die durch die Klage beschuldigten Personen. (2) Innerhalb dieser Grenzen sind die Gerichte zu einer selbständigen Tätigkeit berechtigt und verpf

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(1) Der erhobenen öffentlichen Klage oder dem Antrag im Sicherungsverfahren kann sich mit der Nebenklage anschließen, wer verletzt ist durch eine rechtswidrige Tat nach

1.
den §§ 174 bis 182, 184i bis 184k des Strafgesetzbuches,
2.
den §§ 211 und 212 des Strafgesetzbuches, die versucht wurde,
3.
den §§ 221, 223 bis 226a und 340 des Strafgesetzbuches,
4.
den §§ 232 bis 238, 239 Absatz 3, §§ 239a, 239b und 240 Absatz 4 des Strafgesetzbuches,
5.
§ 4 des Gewaltschutzgesetzes,
6.
§ 142 des Patentgesetzes, § 25 des Gebrauchsmustergesetzes, § 10 des Halbleiterschutzgesetzes, § 39 des Sortenschutzgesetzes, den §§ 143 bis 144 des Markengesetzes, den §§ 51 und 65 des Designgesetzes, den §§ 106 bis 108b des Urheberrechtsgesetzes, § 33 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie, § 16 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und § 23 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen.

(2) Die gleiche Befugnis steht Personen zu,

1.
deren Kinder, Eltern, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner durch eine rechtswidrige Tat getötet wurden oder
2.
die durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 172) die Erhebung der öffentlichen Klage herbeigeführt haben.

(3) Wer durch eine andere rechtswidrige Tat, insbesondere nach den §§ 185 bis 189, 229, 244 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 4, §§ 249 bis 255 und 316a des Strafgesetzbuches, verletzt ist, kann sich der erhobenen öffentlichen Klage mit der Nebenklage anschließen, wenn dies aus besonderen Gründen, insbesondere wegen der schweren Folgen der Tat, zur Wahrnehmung seiner Interessen geboten erscheint.

(4) Der Anschluss ist in jeder Lage des Verfahrens zulässig. Er kann nach ergangenem Urteil auch zur Einlegung von Rechtsmitteln geschehen.

(5) Wird die Verfolgung nach § 154a beschränkt, so berührt dies nicht das Recht, sich der erhobenen öffentlichen Klage als Nebenkläger anzuschließen. Wird der Nebenkläger zum Verfahren zugelassen, entfällt eine Beschränkung nach § 154a Absatz 1 oder 2, soweit sie die Nebenklage betrifft.

(1) Der Vorsitzende des Gerichts teilt die Anklageschrift dem Angeschuldigten mit und fordert ihn zugleich auf, innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu erklären, ob er die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens beantragen oder Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen wolle. Die Anklageschrift ist auch dem Nebenkläger und dem Nebenklagebefugten, der dies beantragt hat, zu übersenden; § 145a Absatz 1 und 3 gilt entsprechend.

(2) Über Anträge und Einwendungen beschließt das Gericht. Die Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Für den Verletzten kann ein Rechtsanwalt die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der öffentlichen Klage vorzulegen wären, einsehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigen, soweit er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt. In den in § 395 genannten Fällen bedarf es der Darlegung eines berechtigten Interesses nicht.

(2) Die Einsicht in die Akten ist zu versagen, soweit überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen entgegenstehen. Sie kann versagt werden, soweit der Untersuchungszweck, auch in einem anderen Strafverfahren, gefährdet erscheint. Sie kann auch versagt werden, wenn durch sie das Verfahren erheblich verzögert würde, es sei denn, dass die Staatsanwaltschaft in den in § 395 genannten Fällen den Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt hat.

(3) Der Verletzte, der nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten wird, ist in entsprechender Anwendung der Absätze 1 und 2 befugt, die Akten einzusehen und amtlich verwahrte Beweisstücke unter Aufsicht zu besichtigen. Werden die Akten nicht elektronisch geführt, können ihm an Stelle der Einsichtnahme in die Akten Kopien aus den Akten übermittelt werden. § 480 Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten auch für die in § 403 Satz 2 Genannten.

(5) Über die Gewährung der Akteneinsicht entscheidet im vorbereitenden Verfahren und nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens die Staatsanwaltschaft, im übrigen der Vorsitzende des mit der Sache befaßten Gerichts. Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach Satz 1 kann gerichtliche Entscheidung durch das nach § 162 zuständige Gericht beantragt werden. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und 473a gelten entsprechend. Die Entscheidung des Gerichts ist unanfechtbar, solange die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Diese Entscheidungen werden nicht mit Gründen versehen, soweit durch deren Offenlegung der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte.

(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.

(2) Auch Zeugen, Sachverständige und andere Personen können gegen Beschlüsse und Verfügungen, durch die sie betroffen werden, Beschwerde erheben.

(3) Gegen Entscheidungen über Kosten oder notwendige Auslagen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.

(4) Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Bundesgerichtshofes ist keine Beschwerde zulässig. Dasselbe gilt für Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte; in Sachen, in denen die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug zuständig sind, ist jedoch die Beschwerde zulässig gegen Beschlüsse und Verfügungen, welche

1.
die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Unterbringung zur Beobachtung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 oder § 101a Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen,
2.
die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen oder das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen,
3.
die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (§ 231a) anordnen oder die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung aussprechen,
4.
die Akteneinsicht betreffen oder
5.
den Widerruf der Strafaussetzung, den Widerruf des Straferlasses und die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 453 Abs. 2 Satz 3), die Anordnung vorläufiger Maßnahmen zur Sicherung des Widerrufs (§ 453c), die Aussetzung des Strafrestes und deren Widerruf (§ 454 Abs. 3 und 4), die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 372 Satz 1) oder die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung nach den §§ 435, 436 Absatz 2 in Verbindung mit § 434 Absatz 2 und § 439 betreffen;
§ 138d Abs. 6 bleibt unberührt.

(5) Gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichts (§ 169 Abs. 1) ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen.

Entscheidungen der erkennenden Gerichte, die der Urteilsfällung vorausgehen, unterliegen nicht der Beschwerde. Ausgenommen sind Entscheidungen über Verhaftungen, die einstweilige Unterbringung, Beschlagnahmen, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, das vorläufige Berufsverbot oder die Festsetzung von Ordnungs- oder Zwangsmitteln sowie alle Entscheidungen, durch die dritte Personen betroffen werden.

(1) Für den Verletzten kann ein Rechtsanwalt die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der öffentlichen Klage vorzulegen wären, einsehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigen, soweit er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt. In den in § 395 genannten Fällen bedarf es der Darlegung eines berechtigten Interesses nicht.

(2) Die Einsicht in die Akten ist zu versagen, soweit überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen entgegenstehen. Sie kann versagt werden, soweit der Untersuchungszweck, auch in einem anderen Strafverfahren, gefährdet erscheint. Sie kann auch versagt werden, wenn durch sie das Verfahren erheblich verzögert würde, es sei denn, dass die Staatsanwaltschaft in den in § 395 genannten Fällen den Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt hat.

(3) Der Verletzte, der nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten wird, ist in entsprechender Anwendung der Absätze 1 und 2 befugt, die Akten einzusehen und amtlich verwahrte Beweisstücke unter Aufsicht zu besichtigen. Werden die Akten nicht elektronisch geführt, können ihm an Stelle der Einsichtnahme in die Akten Kopien aus den Akten übermittelt werden. § 480 Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten auch für die in § 403 Satz 2 Genannten.

(5) Über die Gewährung der Akteneinsicht entscheidet im vorbereitenden Verfahren und nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens die Staatsanwaltschaft, im übrigen der Vorsitzende des mit der Sache befaßten Gerichts. Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach Satz 1 kann gerichtliche Entscheidung durch das nach § 162 zuständige Gericht beantragt werden. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und 473a gelten entsprechend. Die Entscheidung des Gerichts ist unanfechtbar, solange die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Diese Entscheidungen werden nicht mit Gründen versehen, soweit durch deren Offenlegung der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 31. Januar 2014 gegen den Beschluss der 37. großen Strafkammer – Schwurgericht – des Landgerichts Dortmund vom 22. Januar 2014 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 06. März 2014

nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie des Verurteilten und seines Verteidigers beschlossen:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten als unbegründet zurückgewiesen.


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Tenor

1. Auf die Beschwerde des Nebenklägers wird die Verfügung des Strafkammervorsitzenden vom 8. Juli 2015 mit der Maßgabe aufgehoben, dass dem Beistand des Nebenklägers Akteneinsicht in folgende Bestandteile der Verfahrensakten gewährt wird:

Leitakte

Bl. 19

Bl. 24-26

Bl. 30-31

Bl. 38-40

Bl. 56-59

Bl. 70-73

Bl. 89-97

Bl. 100-108

Bl. 120

Bl. 143-145

Bl. 157

Bl. 171

Bl. 190

Bl. 192-197

Bl. 226-247

Bl. 260-306

2. Die weitergehende Beschwerde wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

1

Dem Angeklagten wird durch die zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift vorgeworfen, in Hamburg am 28. Februar 2015 einen versuchten Totschlag zum Nachteil des Beschwerdeführers begangen zu haben. Der Beschwerdeführer hat nach Anklageerhebung seinen Anschluss als Nebenkläger erklärt und Akteneinsicht beantragt. Die begehrte Akteneinsicht hat der Strafkammervorsitzende durch die in der Beschlussformel benannte Entscheidung unter Hinweis auf die anderenfalls bestehende Gefahr für den Untersuchungszweck nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Nebenkläger mit seiner „(sofortigen) Beschwerde“; der Strafkammervorsitzende hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen. Die Generalsstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel kostenpflichtig zu verwerfen.

II.

2

1. Die Beschwerde ist zulässig. Die Entscheidung über die Akteneinsicht des Verletzten nach § 406e Abs. 1 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 StPO ist nach Eröffnung des Hauptverfahrens entsprechend § 406e Abs. 4 Satz 4 StPO mit der Beschwerde anfechtbar (§ 304 StPO). Dem steht § 305 Satz 1 StPO mangels Verweisung in § 406e Abs. 4 Satz 3 StPO nicht entgegen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 24. Oktober 2014 – 1 Ws 110/14, NStZ 2015, 105 mit Anm. Radtke, und vom 24. November 2014 – 1 Ws 120/14, BeckRS 2015, 00700; ferner Lauterwein, Akteneinsicht und -auskünfte für den Verletzten, Privatpersonen und sonstige Stellen §§ 406e und § 475 StPO [2011], S. 161; Löwe/Rosenberg/Wenske, 26. Aufl., Nachtr. § 406e Rn. 8).

3

2. In der Sache bleibt dem Rechtsmittel indes der Erfolg ganz überwiegend versagt. Es liegt der Versagungsgrund des § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO vor. Mildere Mittel zur Verhinderung einer Gefährdung des Untersuchungszwecks sind weder ersichtlich noch vorgetragen.

4

a) Zwar steht dem Nebenkläger grundsätzlich nach § 406e Abs. 1 Satz 1 StPO über seinen Rechtsanwalt auch ohne Darlegung eines berechtigten Interesses Aktensicht zu (vgl. § 406e Abs. 1 Satz 2 StPO). Dieses Recht war hier indes in weiten Teilen nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO zu versagen und auf den in der Beschlussformel benannten Inhalt zu begrenzen. Hiernach kann die Akteneinsicht des Berechtigten versagt werden, soweit der Untersuchungszweck, auch in einem anderen Verfahren, gefährdet erscheint.

5

aa) Der Untersuchungszweck im Sinne dieses gesetzlichen Versagungsgrundes ist gefährdet, wenn durch die Aktenkenntnis des Verletzten eine Beeinträchtigung der gerichtlichen Sachaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) zu besorgen ist (vgl. nur BT-Drucks. 10/5305, S. 18). Zwar steht den mit der Sache befassten Gerichten hierbei ein weiter Entscheidungsspielraum zu (vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. Januar 2005 – 1 StR 498/04, NJW 2005, 1519, 1520). Die durch das Akteneinsichtsrecht des Verletzten stets begründete Gefahr einer anhand des Akteninhalts präparierten Zeugenaussage (zu hierin liegenden Gefahren etwa Schwenn, StV 2010, 705, 708; BeckOK-StPO/Eschelbach, 21. Ed., § 261 Rn. 55.3), reicht – entgegen anderer Stimmen im Schrifttum (vgl. Schlothauer, StV 1987, 356, 357 m.w.N.; Riedel/Wallau, NStZ 2003, 393, 397) – für sich zur Versagung aber nicht aus (OLG Koblenz, Beschluss vom 30. Mai 1988 – 2 VAs 3/88, StV 1988, 332, 334; vgl. ferner BT-Drucks. 10/5305, S. 18). Für die Prüfung der – abstrakten (vgl. nur Löwe/Rosenberg/Hilger, 26. Aufl., § 406e Rn. 12 f.; SSW-StPO/Schöch, § 406e Rn. 12) – Gefährdung des Untersuchungszwecks ist vielmehr eine Würdigung der Verfahrens- und Rechtslage im Einzelfall vorzunehmen (vgl. OLG Koblenz, a.a.O.; Hilger, a.a.O. Rn. 13; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 406e Rn. 6a). Eine diesen Maßgaben verpflichtete Entscheidung führt hier wegen einer Reduzierung des gerichtlichen Ermessens auf Null zu einer weitgehenden Versagung der begehrten Akteneinsicht. Eine umfassende Einsicht in die Verfahrensakten ist dem Verletzten in aller Regel in solchen Konstellationen zu versagen, in denen seine Angaben zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt.

6

bb) Die Beweiskonstellation von Aussage-gegen-Aussage erfährt ihr Gepräge durch eine Abweichung der Tatschilderung des Zeugen von der eines Angeklagten, ohne dass ergänzend auf weitere unmittelbar tatbezogene Beweismittel, etwa belastende Indizien wie Zeugenaussagen über Geräusche oder Verletzungsbilder zurückgegriffen werden kann (vgl. nur Sander, StV 2000, 45, 46; ders. in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 261 Rn. 83d m.w.N.; Schmandt, StraFo 2010, 446, 448 m.w.N.). Dieselbe Verfahrenskonstellation ist allerdings auch gegeben, wenn der Angeklagte selbst keine eigenen Angaben zum Tatvorwurf macht, sondern sich durch Schweigen verteidigt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – 4 StR 360/12, NStZ, 2013, 180, 181; ferner Sander, a.a.O.; Schmandt, a.a.O., m.w.N.).

7

cc) So liegt es hier zumindest betreffend das – den mit Blick auf die Spontanäußerungen des Angeklagten (vgl. Bl. 3, 5, 6 und 55 d.A.) sowie angesichts von Zeugenaussagen (vgl. nur etwa die Aussage des Zeugen I., Bl. 128 ff. d.A.) sowie durch das beim Angeklagten sichergestellte Tatwerkzeug hochwahrscheinlich vorgenommenen versuchten Tötungshandlungen vorangegangene – Tatvorgeschehen. Hierzu gibt es über die Angaben des Beschwerdeführers hinaus keine weiteren Zeugenaussagen oder sonstigen Beweismittel. Der Beschwerdeführer nimmt jeden Anlass für den Angeklagten zu einem körperlichen Übergriff in Abrede. Einen solchen legen allerdings die durch den Angeklagten abgesetzten Notrufe (vgl. Bl. 32 d.A.) sowie Zeugenaussagen (vgl. etwa Bl. 112 d.A.) und das dokumentierte Verletzungsbild beim Angeklagten nahe. Diesem kommt für die vom Tatgericht zu würdigenden etwaigen Rechtfertigungsgründe aber auch für die Strafbemessung (vgl. § 213 StGB) maßgebliche Bedeutung zu.

8

dd) In diesen Fällen ist das gerichtliche Ermessen grundsätzlich auf Null reduziert. Eine unbeschränkte Akteneinsicht des Verletzten ist hier mit der gerichtlichen Pflicht zur bestmöglichen Sachaufklärung unvereinbar. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die auch hier anwendbaren rechtlichen Maßgaben seiner Beschlüsse vom 24. Oktober 2014 – 1 Ws 110/14, NStZ 2015, 105 mit Anm. Radtke, und vom 24. November 2014 – 1 Ws 120/14, BeckRS 2015, 00700; vgl. ferner BeckOK-StPO/Weiner, 21. Ed. § 406e Rn. 4). Soweit der Senat damit auch hier in einem Ausnahmefall der – namentlich den Angeklagten schützenden – gerichtlichen Wahrheitserforschungspflicht zur Herbeiführung einer materiell gerechten Entscheidung grundsätzlich den Vorrang vor den Informationsrechten eines Nebenklägers gewährt (vgl. hierzu auch Radtke, NStZ 2015, 108, 109), entspricht er einer auch aus dem Gesetzgebungsverfahren erkennbaren und überzeugenden Wertentscheidung des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 16/13671, S. 22; ferner Barton, StRR 2009, 404 ff.). Rechtspolitische Bestrebungen, dem Nebenkläger – im Zuge der mit dem Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz; BGBl. 2009 I S. 2280) erstrebten Entkopplung von Privat- und Nebenklage (vgl. hierzu Wenske, a.a.O., § 406e Rn. 1) – nach Abschluss der Ermittlungen (§ 169a StPO) ein unbeschränkbares Akteneinsichtsrecht zu gewährleisten (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 3. September 2009, BT-Drucks. 16/12098, S. 35) konnten sich im Gesetzgebungsverfahren gerade nicht durchsetzen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 1. Juli 2009, BT-Drucks. 16/13671, S. 22 sowie BT-Drucks. 16/12812, S. 15). Soweit die Gesetzesmaterialien als möglichen Anwendungsbereich des § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO das Akteneinsichtsgesuch eines der Tatbeteiligung verdächtigen Angehörigen eines Getöteten erkennen lassen (vgl. BT-Drucks. 16/13671, S. 22), handelt es sich ausdrücklich um eine Beispielskonstellation, die den – schon vom Wortlaut her nicht näher konkretisierten – Anwendungsbereich der Vorschrift nicht begrenzt.

9

b) Mangels näherer Ausführungen in der Antrags- und der Beschwerdeschrift des Nebenklägervertreters vermag der Senat über das allgemeine Informationsinteresse des Nebenklägers hinaus keine Gründe zu erkennen, die eine sofortige Akteneinsicht geböten. Ob und – bejahendenfalls – mit welchem Gewicht solche Umstände im Einzelfall in die hier vorgenommene Ermessensentscheidung einzustellen wären, braucht der Senat daher nicht zu entscheiden.

10

c) Auch mildere Mittel sind weder ersichtlich noch geltend gemacht. Eine Verpflichtungserklärung des Nebenklägervertreters, die Akteninhalte dem Nebenkläger nicht zur Kenntnis zu geben, ist weder durchsetzbar noch mit der gebotenen Sicherheit zu kontrollieren (vgl. Senatsbeschluss vom 24. November 2014 – 1 Ws 120/14, BeckRS 2015, 00700).

11

d) Der Senat hat daher den Umfang der Akteneinsicht auf den in der Beschlussformel ausgewiesenen Teil der Verfahrensakten beschränkt. Erfasst von der Versagung sind danach namentlich die dokumentierten Zeugenvernehmungen, die Äußerungen des Angeklagten sowie die hieran jeweils anschließenden Eindrucks- und Ermittlungsvermerke sowie die Auswertungen am Tatort gesicherter Spuren. Im Übrigen war die Akteneinsicht zu gewähren (vgl. BT-Drucks. 10/5305, S. 18).

(1) Der erhobenen öffentlichen Klage oder dem Antrag im Sicherungsverfahren kann sich mit der Nebenklage anschließen, wer verletzt ist durch eine rechtswidrige Tat nach

1.
den §§ 174 bis 182, 184i bis 184k des Strafgesetzbuches,
2.
den §§ 211 und 212 des Strafgesetzbuches, die versucht wurde,
3.
den §§ 221, 223 bis 226a und 340 des Strafgesetzbuches,
4.
den §§ 232 bis 238, 239 Absatz 3, §§ 239a, 239b und 240 Absatz 4 des Strafgesetzbuches,
5.
§ 4 des Gewaltschutzgesetzes,
6.
§ 142 des Patentgesetzes, § 25 des Gebrauchsmustergesetzes, § 10 des Halbleiterschutzgesetzes, § 39 des Sortenschutzgesetzes, den §§ 143 bis 144 des Markengesetzes, den §§ 51 und 65 des Designgesetzes, den §§ 106 bis 108b des Urheberrechtsgesetzes, § 33 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie, § 16 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und § 23 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen.

(2) Die gleiche Befugnis steht Personen zu,

1.
deren Kinder, Eltern, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner durch eine rechtswidrige Tat getötet wurden oder
2.
die durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 172) die Erhebung der öffentlichen Klage herbeigeführt haben.

(3) Wer durch eine andere rechtswidrige Tat, insbesondere nach den §§ 185 bis 189, 229, 244 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 4, §§ 249 bis 255 und 316a des Strafgesetzbuches, verletzt ist, kann sich der erhobenen öffentlichen Klage mit der Nebenklage anschließen, wenn dies aus besonderen Gründen, insbesondere wegen der schweren Folgen der Tat, zur Wahrnehmung seiner Interessen geboten erscheint.

(4) Der Anschluss ist in jeder Lage des Verfahrens zulässig. Er kann nach ergangenem Urteil auch zur Einlegung von Rechtsmitteln geschehen.

(5) Wird die Verfolgung nach § 154a beschränkt, so berührt dies nicht das Recht, sich der erhobenen öffentlichen Klage als Nebenkläger anzuschließen. Wird der Nebenkläger zum Verfahren zugelassen, entfällt eine Beschränkung nach § 154a Absatz 1 oder 2, soweit sie die Nebenklage betrifft.

(1) Die Untersuchung und Entscheidung erstreckt sich nur auf die in der Klage bezeichnete Tat und auf die durch die Klage beschuldigten Personen.

(2) Innerhalb dieser Grenzen sind die Gerichte zu einer selbständigen Tätigkeit berechtigt und verpflichtet; insbesondere sind sie bei Anwendung des Strafgesetzes an die gestellten Anträge nicht gebunden.

(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt.

(2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, nicht gebunden.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Der erhobenen öffentlichen Klage oder dem Antrag im Sicherungsverfahren kann sich mit der Nebenklage anschließen, wer verletzt ist durch eine rechtswidrige Tat nach

1.
den §§ 174 bis 182, 184i bis 184k des Strafgesetzbuches,
2.
den §§ 211 und 212 des Strafgesetzbuches, die versucht wurde,
3.
den §§ 221, 223 bis 226a und 340 des Strafgesetzbuches,
4.
den §§ 232 bis 238, 239 Absatz 3, §§ 239a, 239b und 240 Absatz 4 des Strafgesetzbuches,
5.
§ 4 des Gewaltschutzgesetzes,
6.
§ 142 des Patentgesetzes, § 25 des Gebrauchsmustergesetzes, § 10 des Halbleiterschutzgesetzes, § 39 des Sortenschutzgesetzes, den §§ 143 bis 144 des Markengesetzes, den §§ 51 und 65 des Designgesetzes, den §§ 106 bis 108b des Urheberrechtsgesetzes, § 33 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie, § 16 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und § 23 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen.

(2) Die gleiche Befugnis steht Personen zu,

1.
deren Kinder, Eltern, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner durch eine rechtswidrige Tat getötet wurden oder
2.
die durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 172) die Erhebung der öffentlichen Klage herbeigeführt haben.

(3) Wer durch eine andere rechtswidrige Tat, insbesondere nach den §§ 185 bis 189, 229, 244 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 4, §§ 249 bis 255 und 316a des Strafgesetzbuches, verletzt ist, kann sich der erhobenen öffentlichen Klage mit der Nebenklage anschließen, wenn dies aus besonderen Gründen, insbesondere wegen der schweren Folgen der Tat, zur Wahrnehmung seiner Interessen geboten erscheint.

(4) Der Anschluss ist in jeder Lage des Verfahrens zulässig. Er kann nach ergangenem Urteil auch zur Einlegung von Rechtsmitteln geschehen.

(5) Wird die Verfolgung nach § 154a beschränkt, so berührt dies nicht das Recht, sich der erhobenen öffentlichen Klage als Nebenkläger anzuschließen. Wird der Nebenkläger zum Verfahren zugelassen, entfällt eine Beschränkung nach § 154a Absatz 1 oder 2, soweit sie die Nebenklage betrifft.

(1) Der Vorsitzende des Gerichts teilt die Anklageschrift dem Angeschuldigten mit und fordert ihn zugleich auf, innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu erklären, ob er die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens beantragen oder Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen wolle. Die Anklageschrift ist auch dem Nebenkläger und dem Nebenklagebefugten, der dies beantragt hat, zu übersenden; § 145a Absatz 1 und 3 gilt entsprechend.

(2) Über Anträge und Einwendungen beschließt das Gericht. Die Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Für den Verletzten kann ein Rechtsanwalt die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der öffentlichen Klage vorzulegen wären, einsehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigen, soweit er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt. In den in § 395 genannten Fällen bedarf es der Darlegung eines berechtigten Interesses nicht.

(2) Die Einsicht in die Akten ist zu versagen, soweit überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen entgegenstehen. Sie kann versagt werden, soweit der Untersuchungszweck, auch in einem anderen Strafverfahren, gefährdet erscheint. Sie kann auch versagt werden, wenn durch sie das Verfahren erheblich verzögert würde, es sei denn, dass die Staatsanwaltschaft in den in § 395 genannten Fällen den Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt hat.

(3) Der Verletzte, der nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten wird, ist in entsprechender Anwendung der Absätze 1 und 2 befugt, die Akten einzusehen und amtlich verwahrte Beweisstücke unter Aufsicht zu besichtigen. Werden die Akten nicht elektronisch geführt, können ihm an Stelle der Einsichtnahme in die Akten Kopien aus den Akten übermittelt werden. § 480 Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten auch für die in § 403 Satz 2 Genannten.

(5) Über die Gewährung der Akteneinsicht entscheidet im vorbereitenden Verfahren und nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens die Staatsanwaltschaft, im übrigen der Vorsitzende des mit der Sache befaßten Gerichts. Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach Satz 1 kann gerichtliche Entscheidung durch das nach § 162 zuständige Gericht beantragt werden. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und 473a gelten entsprechend. Die Entscheidung des Gerichts ist unanfechtbar, solange die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Diese Entscheidungen werden nicht mit Gründen versehen, soweit durch deren Offenlegung der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
___________________________
Auch im Rahmen der vorrangigen Verpflichtung zur Wahrheitsermittlung ist auf
die Achtung der menschlichen Würde eines Zeugen Bedacht zu nehmen. Beweiserhebungen
zu dessen Privat- und Intimleben sind nur nach sorgfältiger
Prüfung ihrer Unerläßlichkeit statthaft. Dies ist bei der Leitung eines Sachverständigen
ebenso zu berücksichtigen wie bei der Zulassung von Fragen und
bei der Entscheidung über den Umfang der Beweisaufnahme.
BGH, Beschluß vom 11. Januar 2005 - 1 StR 498/04 - LG Baden-Baden

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 498/04
vom
11. Januar 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Januar 2005 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Baden-Baden vom 16. Februar 2004 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:


I.

1. Der Angeklagte gab der im selben Haus wie er wohnh aften Nebenklägerin im Oktober 2001 einen Zettel, auf den er "Ich liebe Sie von ganzem Herzen , wollen Sie mit mir gehen?" geschrieben hatte. Die gleichgeschlechtlich orientierte Nebenklägerin, die seit Jahren keine sexuellen Kontakte zu einem Mann gehabt hatte, hatte nicht reagiert und auch der Angeklagte war hierauf zunächst nicht zurückgekommen. Am 7. Dezember 2001 ließ ihn die Nebenklägerin in ihre Wohnung, weil er angeblich mit ihr reden wollte und sie glaubte, die ganze Angelegenheit ausräumen zu können. In der Wohnung bedrohte er sie mit einem Messer, schlug sie und vergewaltigte sie.
2. Noch am Tattag wurden Spermaspuren des Angeklagten in der Scheide der Nebenklägerin gesichert. Der Angeklagte wollte zwar "glauben machen", diese Spur stamme von einem anderen Mann, räumte aber doch Geschlechtsverkehr ein und gab an, er hätte seit Monaten ein Verhältnis mit der Nebenklägerin gehabt. Mit der Anzeige räche sie sich dafür, daß er nicht für sie seine Familie verlasse. Die Strafkammer hat die Behauptung eines schon länger bestehenden Verhältnisses als Erfindung bewertet, wegen des Zettels ebenso wie deshalb, weil ihm weder ihr Vorname noch die über 20 cm langen Narben unter ihren Brüsten bekannt waren. 3. Sie hat ihn wegen Vergewaltigung zu drei Jahren Freiheitsstrafe und zur Zahlung eines der Höhe nach noch nicht festgesetztes Schmerzensgeldes verurteilt. Die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

II.

Über die, durch die Erwiderung der Revision nicht entkr äfteten Darlegungen des Generalbundesanwalts hinaus bemerkt der Senat: 1. Da die Nebenklägerin es abgelehnt hat, sich (nochmal s) begutachten zu lassen, geht das hierauf bezogene Revisionsvorbringen ins Leere; die beantragte Begutachtung wäre unzulässig gewesen (st. Rspr. vgl. BGHSt 13, 394, 398; 14, 21, 23; w. Nachw. bei Senge in KK 5. Aufl. § 81c Rdn. 9).
2. Die Revision rügt eine Verletzung von "§§ 406e, 337 StPO", weil die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren dem Rechtsanwalt der Nebenklägerin Akteneinsicht gewährt hat. Später hat sich herausgestellt, daß die Nebenklägerin einigen auch als Zeugen gehörten Mitbewohnern Einsicht zumindest in Teile dieser Akten verschafft hat.
a) Hätte (erst) der Strafkammervorsitzende die Akteneinsi cht gewährt (§ 406e Abs. 4 Satz 1, 2. Halbsatz StPO), wäre eine hierauf gestützte Verfahrensrüge unstatthaft, ohne daß es auf weiteres ankäme (§ 406e Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz StPO i. V. m. § 336 Satz 2 StPO; vgl. Hilger in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 406e Rdn. 17; anders wohl Velten in SK-StPO § 406e Rdn. 20). Hier hat gemäß § 406e Abs. 4 Satz 1, 1. Halbsatz StPO die Staatsanwaltschaft entschieden. Der Beschuldigte hat (offenbar), aus welchen Gründen auch immer (etwa zunächst versagtes rechtliches Gehör kann nachgeholt werden, vgl. BGH NStZ 1991, 95), den zulässigen Rechtsbehelf nicht ergriffen. Dieser hätte zu einer nicht anfechtbaren richterlichen Entscheidung geführt, § 406 Abs. 4 Satz 2 StPO i. V. m. § 161a Abs. 3 Sätze 2 bis 4 StPO. Es kann aber offen bleiben, welchen Einfluß dieser Ver fahrensgang auf die Statthaftigkeit der Rüge hat, da sie hier auf keinen Fall Erfolg haben kann.
b) Wenn überhaupt, hätte hier Akteneinsicht gemäß § 4 06e Abs. 2 Satz 2 StPO versagt werden können. Hinsichtlich der Frage nach einer etwaigen Gefährdung des Untersuchungszwecks besteht ein weiter Entscheidungsspielraum (Hilger aaO Rdn. 12). Die danach gebotene (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) Mitteilung , ob und gegebenenfalls wie der Staatsanwalt seine Entscheidung begründet hat (vgl. § 406e Abs. 4 Satz 4 StPO) fehlt aber ebenso wie die Mitteilung des konkreten Ermittlungsstands bei Erteilung der Akteneinsicht. Nur dann könnte
beurteilt werden, ob eine Gefährdung des Untersuchungszwecks überhaupt in Betracht zu ziehen gewesen wäre. Auch zu der Frage, ob und warum zu diesem Zeitpunkt schon mit einer Weitergabe von Akten zu rechnen war (vgl. LG Bielefeld wistra 1995, 118, 120 m. w. N.), äußert sich die Revision nicht.
c) Unabhängig davon würde selbst ein in diesem Zusammenh ang unterlaufener Verfahrensverstoß zu keinem Beweisverwertungsverbot führen (so aber Velten aaO Rdn. 13; offen gelassen bei Hilger aaO Rdn. 18), da ein Beweisverwertungsverbot regelmäßig einen rechtswidrigen Beweiserhebungsakt voraussetzt. Die Gewährung von Akteneinsicht stellt aber keine Beweiserhebung dar (vgl. Stöckel in KMR § 406e Rdn. 18). Aktenkenntnis, im übrigen auch wenn sie auf zu Recht gewährte Akteneinsicht zurückgeht, ist erforderlichenfalls bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen (vgl. Stöckel aaO). Dabei spricht es offensichtlich nicht für die inhaltliche Unrichtigkeit einer Aussage, wenn der Zeuge nach Akteneinsicht seine bereits aktenkundige Aussage wiederholt. Die Aussagen der übrigen in Rede stehenden Zeugen haben für die zentrale Frage nach Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit des Geschlechtsverkehrs ohnehin eine allenfalls sehr untergeordnete Bedeutung. Sie sollten zahlreiche vom Angeklagten behauptete Details zum Zustandekommen seines näheren Kontaktes mit der Nebenklägerin bestätigen, haben aber keine seiner Behauptungen auch nur ansatzweise bestätigt. So hatte er behauptet, die Nebenklägerin habe ihm etwa sieben Monate vor der Tat im April 2001 im Hof angesprochen; sie habe damals im Hof mit ihrem Sohn Federball gespielt, er (der Angeklagte) habe dort zur gleichen Zeit mit dem Hausmeister Holz gehackt. All dies erwies sich als zweifelsfrei falsch, weil der Sohn zu jener Zeit Soldat in M. war und der Hausmeister im ganzen ersten Halbjahr 2001 schwer erkrankt war. Soweit für all dies das genannte Geschehen im Zusammenhang mit der Akteneinsicht überhaupt
von Bedeutung sein kann, hat es die Strafkammer in gebotenem Umfang gewürdigt.
d) Soweit die Revision schließlich bemängelt, der Vorsit zende habe in der Hauptverhandlung namens des Gerichts später nicht eingehaltene Zusagen zur Würdigung der genannten Aussagen gemacht, ist diesem Vorbringen schon deshalb nicht näher nachzugehen, weil es ausweislich der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden in tatsächlicher Hinsicht ins Leere geht. 3. Soweit die Revision zur Sachrüge ausführt, die Bewei swürdigung werde den Anforderungen bei "Aussage gegen Aussage" nicht gerecht, ist verkannt , daß diese vom Fehlen sonstiger Erkenntnisse gekennzeichnete Konstellation (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH NStZ 2004, 635, 636) nicht vorliegt. Es gibt nämlich, z. B. mit dem Zettel, den Spermaspuren und den Narben eine Reihe von Indizien, die die Strafkammer in die Würdigung der zentralen Aussagen des Angeklagten einbeziehen konnte. Rechtsfehler sind dabei nicht ersichtlich; praktisch jede Behauptung des Angeklagten hat sich als falsch erwiesen. 4. Die Strafkammer ist von einem minder schweren Fall i . S. d. § 177 Abs. 5 StGB ausgegangen. Diese Annahme, die sich zumindest nicht aufdrängt, ist nicht fallbezogen konkret begründet. Es wäre auch zulässig gewesen, bei der Strafzumessung die ebenso ehrenrührige wie haltlose Behauptung des Angeklagten zu berücksichtigen, die Nebenklägerin sei eine Gelegenheitsprostituierte , (vgl. nur BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 14, 19 jew. m. w. N.), zumal sie mit seinem Verteidigungsvorbringen - Geschlechtsverkehr im Rahmen einer Beziehung; Anzeige weil er seine Familie nicht verlassen wollte - in keinem erkennbaren Zusammenhang steht. Zumindest wäre dies zu erörtern gewesen. All dies hat den Angeklagten aber nur begünstigt.
5. Das Vorbringen, der Adhäsionsantrag sei wegen Pfand losigkeit des Angeklagten eine i. S. d. § 114 ZPO mutwillige Rechtsverfolgung, Prozeßkostenhilfe hätte daher (gemäß § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO) nicht gewährt werden dürfen, geht ins Leere. Die gemäß § 404 Abs. 5 Satz 3, 2. Halbsatz StPO unanfechtbare Entscheidung hierüber ist gemäß § 406a Abs. 2 Satz 1 StPO i. V. m. § 336 Satz 2 StPO im Revisionsverfahren nicht zu überprüfen. So wäre es im Ergebnis auch in einem Zivilprozess, § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO. 6. Die Revision bemängelt die Kostenentscheidung, (wohl nur) hinsichtlich der Adhäsionsentscheidung. Diese erstmals in der Revisionsbegründung vom 7. Mai 2004 (dort S. 87) enthaltenen, wenig spezifizierten Ausführungen können auf sich beruhen, weil sie verspätet sind. Einwände gegen die Kostenentscheidung wären im Rahmen einer zusätzlich zur Revision einzulegenden sofortigen Beschwerde (§ 464 Abs. 3 StPO, hier i. V. m. § 472a Abs. 1 StPO) innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist (§ 311 Abs. 2 StPO) anzubringen gewesen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Januar 2003 - 1 StR 357/02 m. w. N.).

III.

Der Senat sieht Anlaß zu folgendem Hinweis: Angesichts der Bedeutung der Aussage der Nebenklägerin f ür die Erweislichkeit eines schweren Verbrechens hat sich die Strafkammer zu Recht eingehend mit dieser Aussage auseinandergesetzt. Auch im Rahmen seiner vorrangigen Verpflichtung zur Wahrheitsermittlung hat das Gericht (ebenso wie auch die Ermittlungsbehörden) jedoch auf die Achtung der menschlichen Würde eines Zeugen, wie sie sich letztlich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt, Bedacht zu nehmen (vgl. nur BGHSt 48, 372 m. w. N.). "Aufgabe eines sozialen Rechtsstaates ist es nicht allein, darauf zu achten, daß die Straftat aufgeklärt und Schuld
oder Unschuld in einem rechtsstaatlichen Verfahren festgestellt werden, sondern auch, daß die Belange des Opfers gewahrt werden" (so die Materialien zum OpferRRG vom 24. Juni 2004, BGBl. I 1354 ff., BTDrucks. 15/1976 S. 7 Abschnitt A II vor 1.). Die besondere Bedeutung dieser Grundsätze wird auch in dem Rahmenbeschluß der Europäischen Union über die Stellung des Opfers im Strafverfahren vom 15. März 2001 (vgl. ABl. der Europäischen Gemeinschaft vom 22. März 2001, L 82/1 ff.) hervorgehoben, auf den die Materialien zum OpferRRG hinweisen (vgl. BTDrucks. 15/1976 und 15/2536 jeweils S. 1 Abschnitt A). In diesem Rahmenbeschluß wird unter anderem "das Recht auf eine Behandlung unter Achtung der Würde des Opfers" und dessen Recht "in den verschiedenen Phasen des Verfahrens geschützt zu werden" (vor Artikel 1, Abschnitt
8) betont. Dementsprechend heißt es in dem genannten Rahmenbeschluß weiter, daß sich die Mitgliedsstaaten "weiterhin nach Kräften (bemühen ), um zu gewährleisten, daß das Opfer während des Verfahrens mit der gebührenden Achtung seiner persönlichen Würde behandelt wird" (Art. 2 Abs. 1 Satz 2) und daß die Mitgliedsstaaten "die gebotenen Maßnahmen (ergreifen), damit ihre Behörden Opfer nur in dem für das Strafverfahren erforderlichen Umfang befragen" (Art. 3 Abs. 2). Aus alledem folgt etwa, daß Erörterungen und Beweiserhebungen zu Privat- und insbesondere auch Intimleben eines Zeugen, die zu dem Verfahrensgegenstand in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen , nur nach sorgfältiger Prüfung ihrer Unerläßlichkeit statthaft sind. Dies ist bei der Leitung der Tätigkeit eines Sachverständigen (§ 77 StPO) ebenso zu berücksichtigen, wie bei der Zulassung von Fragen (§§ 68a, 241 Abs. 2 StPO) und vor allem bei der Entscheidung über den Umfang der Beweisaufnahme (§ 244 Abs. 2 bis 4 StPO). Der Grundsatz, daß eine ausufernde Aufklärung nicht geboten ist (vgl. hierzu Meyer-Goßner StPO 47. Aufl. § 244 Rdn. 13 m. w. N.), hat in dem in Rede stehenden Zusammenhang besonderes Gewicht.
1. Die Strafkammer hat sich zur Aussagetüchtigkeit und zur Glaubhaftigkeit der Aussagen der Nebenklägerin psychiatrisch beraten lassen.
a) "Aussagetüchtigkeit" bedeutet die Fähigkeit eines Men schen zu einer richtigen und vollständigen Aussage (vgl. nur Schumacher in StV 2003, 641). Der Richter, der glaubt, hierüber ohne sachverständige Hilfe nicht befinden zu können, ist freilich in seiner Entscheidung frei, ob er einen Psychiater oder einen Psychologen beauftragt (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 1 Glaubwürdigkeitsgutachten 4 m. w. N.). Psychiatrische Beratung wird aber nur dann angezeigt sein, wenn die Zeugentüchtigkeit dadurch in Frage gestellt ist, daß der Zeuge an einer geistigen Erkrankung leidet oder sonst Hinweise darauf vorliegen , daß die Zeugentüchtigkeit durch aktuelle psychopathologische Ursachen beschränkt sein kann (vgl. BGH StV 2002, 293 m. w. N.). Ob für eine entsprechende Überprüfung überhaupt Anhaltspunkte bestehen, hat der Richter (im Ermittlungsverfahren der Staatsanwalt) zu entscheiden, der dem Sachverständigen die konkreten Gründe für die Notwendigkeit einer Begutachtung verdeutlichen sollte. Nur so kann vermieden werden, daß, wie hier, der Sachverständige zwar zum Ergebnis kommt, es gebe keinen psychisch auffälligen Befund, er aber gleichwohl eingehend untersucht und erörtert, ob die Nebenklägerin psychotisch , schwachsinnig oder sonst ernsthaft gestört sein könnte. Ebenso wenig ist angezeigt, im Hinblick auf eine mögliche Einschränkung der Aussagetüchtigkeit durch Alkoholismus, über Jahre zurück den nicht immer unproblematischen Umgang der Nebenklägerin mit Alkohol in allen Details und auch allen Peinlichkeiten - bis hin zur Frage eines Zusammenhangs zwischen Alkoholismus und dem zwar unaufgeräumten aber doch hygienisch einwandfreien Zustand ihrer Wohnung - zu ermitteln und auch sachverständig bewerten zu lassen, nur um dann zu dem Ergebnis zu kommen, jeder Zusammenhang zwischen Alkohol und der Aussage sei ausgeschlossen.

b) Bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage im übrigen ist letztlich nicht zwischen allgemeiner Glaubwürdigkeit und spezieller Glaubwürdigkeit unterschieden (vgl. schon BGH StV 1994, 64 m. w. N.; eingehend Boetticher in NJW Sonderheft für G. Schäfer 8, 12 m. w. N.); dementsprechend steht weniger die Frage nach einer allgemeinen Glaubwürdigkeit des Zeugen im Sinne einer dauerhaften personalen Eigenschaft (sein "Leumund") im Vordergrund, sondern vorrangig um die Analyse des Aussageinhalts, d. h. um eine methodische Beurteilung , ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben einem tatsächlichen Erleben des Zeugen entsprechen (vgl. BGHSt 45, 164; StV 2002, 639, 640). Scharfe Abgrenzungen sind nicht immer möglich, sondern richten sich nach den Umständen des Einzelfalles. So kann früheres Verhalten vor allem dann durchaus Schlußfolgerungen zulassen, wenn die entsprechenden Lebenssituationen mit der jetzigen vergleichbar sind. Fehlverhalten der Nebenklägerin bei oder nach der Beendigung privater Beziehungen könnte dann also etwa hier von Bedeutung sein, wenn auch hier die Beendigung einer privaten Beziehung im Raum stünde (vgl. etwa Maiwald in AK-StPO § 261 Rdn. 24). Dies ist jedoch, wie die Erheblichkeit jeder anderen Hilfstatsache, vorab zu klären. Es erscheint nicht angezeigt, vergleichbar der Frage nach dem Alkoholismus, mit Hilfe zahlreicher Zeugen die Beendigung einer Reihe von privater Beziehungen genauestens nachzuzeichnen, Fehlreaktionen und Fehlverhalten der Nebenklägerin dabei in allen Einzelheiten zum Gegenstand der Beweisaufnahme (und teilweise auch Begutachtung) zu machen, nur um dann zu dem Ergebnis zu kommen, all dies sei gleichgültig, weil es keinerlei Anhaltspunkte dafür gebe, daß zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin je irgendeine Beziehung bestanden hätte. 2. Noch weniger zu erkennen ist die Notwendigkeit, so, w ie geschehen, eingehend - ohne daß sich im übrigen irgend ein Anhaltspunkt ergeben hätte -
etwa darüber Beweis zu erheben, ob die Nebenklägerin mit den für das Haus zuständigen Briefträgern und (oder) Kaminkehrern Geschlechtsverkehr gehabt hat. Selbst wenn dies, sei es auch gegen Geld, so gewesen wäre und sie nicht bereit gewesen wäre, dies zuzugeben, hätte es vor solchen Beweisaufnahmen eingehender Überlegung bedurft, ob sich dies überhaupt auf die Entscheidung auswirken könnte. Von selbst versteht sich dies hier nicht. Für die ähnlich intensiv (und mit vergleichbarem Ergebnis) geprüfte Frage, ob die vor Jahren gegen die Nebenklägerin anonym vorgebrachte Beschuldigung einer Frau, die Nebenklägerin habe mit ihr eine zunehmend von Gewalt geprägte sexuelle Beziehung gehabt und der damals minderjährige Sohn der Nebenklägerin sei einbezogen gewesen, entgegen den damaligen polizeilichen Ermittlungen nicht doch einen wahren Kern haben könne, gilt nichts anderes. 3. Die Nebenklägerin war nicht bereit, sich nochmals beg utachten zu lassen (vgl. oben II. 1.). Die - unbeschadet aller rechtlichen Einzelheiten jedenfalls nicht wünschenswerte - Weitergabe der Akten durch die Nebenklägerin an ihr Umfeld (vgl. oben II. 2. vor a)) nach den eingehenden Ermittlungen in diesem Umfeld zu ihrem Privatleben deutet in ähnliche Richtung. Es liegt nahe, daß es sich bei alledem um Gegenreaktionen der Nebenklägerin darauf handelt, daß bei ihr der Eindruck erweckt wurde, nicht die Frage, ob sie Opfer einer Straftat wurde, stehe im Mittelpunkt des Verfahrens, sondern Ausforschung und Bewertung ihres Lebens ("erste lesbische Erfahrungen ca. 1985") mit all seinen Stärken ("Übersiedlung aus der DDR bewältigt") und Schwächen ("episodischer Alkoholmißbrauch" ). Auch wenn vorliegend weder ein Nutzen weiterer Begutachtung noch eine Beeinträchtigung des Werts wesentlicher Aussagen erkennbar ist,
wird durch das aufgezeigte Verhalten der Nebenklägerin im Verfahren doch deutlich, daß durch Art und Umfang der sie betreffenden Überprüfungen in der Tendenz selbst das Ziel der Wahrheitsermittlung eher gefährdet als gefördert wurde. Nack Wahl Hebenstreit Elf Graf

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 31. Januar 2014 gegen den Beschluss der 37. großen Strafkammer – Schwurgericht – des Landgerichts Dortmund vom 22. Januar 2014 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 06. März 2014

nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie des Verurteilten und seines Verteidigers beschlossen:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten als unbegründet zurückgewiesen.


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Tenor

1. Auf die Beschwerde des Nebenklägers wird die Verfügung des Strafkammervorsitzenden vom 8. Juli 2015 mit der Maßgabe aufgehoben, dass dem Beistand des Nebenklägers Akteneinsicht in folgende Bestandteile der Verfahrensakten gewährt wird:

Leitakte

Bl. 19

Bl. 24-26

Bl. 30-31

Bl. 38-40

Bl. 56-59

Bl. 70-73

Bl. 89-97

Bl. 100-108

Bl. 120

Bl. 143-145

Bl. 157

Bl. 171

Bl. 190

Bl. 192-197

Bl. 226-247

Bl. 260-306

2. Die weitergehende Beschwerde wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

1

Dem Angeklagten wird durch die zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift vorgeworfen, in Hamburg am 28. Februar 2015 einen versuchten Totschlag zum Nachteil des Beschwerdeführers begangen zu haben. Der Beschwerdeführer hat nach Anklageerhebung seinen Anschluss als Nebenkläger erklärt und Akteneinsicht beantragt. Die begehrte Akteneinsicht hat der Strafkammervorsitzende durch die in der Beschlussformel benannte Entscheidung unter Hinweis auf die anderenfalls bestehende Gefahr für den Untersuchungszweck nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Nebenkläger mit seiner „(sofortigen) Beschwerde“; der Strafkammervorsitzende hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen. Die Generalsstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel kostenpflichtig zu verwerfen.

II.

2

1. Die Beschwerde ist zulässig. Die Entscheidung über die Akteneinsicht des Verletzten nach § 406e Abs. 1 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 StPO ist nach Eröffnung des Hauptverfahrens entsprechend § 406e Abs. 4 Satz 4 StPO mit der Beschwerde anfechtbar (§ 304 StPO). Dem steht § 305 Satz 1 StPO mangels Verweisung in § 406e Abs. 4 Satz 3 StPO nicht entgegen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 24. Oktober 2014 – 1 Ws 110/14, NStZ 2015, 105 mit Anm. Radtke, und vom 24. November 2014 – 1 Ws 120/14, BeckRS 2015, 00700; ferner Lauterwein, Akteneinsicht und -auskünfte für den Verletzten, Privatpersonen und sonstige Stellen §§ 406e und § 475 StPO [2011], S. 161; Löwe/Rosenberg/Wenske, 26. Aufl., Nachtr. § 406e Rn. 8).

3

2. In der Sache bleibt dem Rechtsmittel indes der Erfolg ganz überwiegend versagt. Es liegt der Versagungsgrund des § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO vor. Mildere Mittel zur Verhinderung einer Gefährdung des Untersuchungszwecks sind weder ersichtlich noch vorgetragen.

4

a) Zwar steht dem Nebenkläger grundsätzlich nach § 406e Abs. 1 Satz 1 StPO über seinen Rechtsanwalt auch ohne Darlegung eines berechtigten Interesses Aktensicht zu (vgl. § 406e Abs. 1 Satz 2 StPO). Dieses Recht war hier indes in weiten Teilen nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO zu versagen und auf den in der Beschlussformel benannten Inhalt zu begrenzen. Hiernach kann die Akteneinsicht des Berechtigten versagt werden, soweit der Untersuchungszweck, auch in einem anderen Verfahren, gefährdet erscheint.

5

aa) Der Untersuchungszweck im Sinne dieses gesetzlichen Versagungsgrundes ist gefährdet, wenn durch die Aktenkenntnis des Verletzten eine Beeinträchtigung der gerichtlichen Sachaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) zu besorgen ist (vgl. nur BT-Drucks. 10/5305, S. 18). Zwar steht den mit der Sache befassten Gerichten hierbei ein weiter Entscheidungsspielraum zu (vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. Januar 2005 – 1 StR 498/04, NJW 2005, 1519, 1520). Die durch das Akteneinsichtsrecht des Verletzten stets begründete Gefahr einer anhand des Akteninhalts präparierten Zeugenaussage (zu hierin liegenden Gefahren etwa Schwenn, StV 2010, 705, 708; BeckOK-StPO/Eschelbach, 21. Ed., § 261 Rn. 55.3), reicht – entgegen anderer Stimmen im Schrifttum (vgl. Schlothauer, StV 1987, 356, 357 m.w.N.; Riedel/Wallau, NStZ 2003, 393, 397) – für sich zur Versagung aber nicht aus (OLG Koblenz, Beschluss vom 30. Mai 1988 – 2 VAs 3/88, StV 1988, 332, 334; vgl. ferner BT-Drucks. 10/5305, S. 18). Für die Prüfung der – abstrakten (vgl. nur Löwe/Rosenberg/Hilger, 26. Aufl., § 406e Rn. 12 f.; SSW-StPO/Schöch, § 406e Rn. 12) – Gefährdung des Untersuchungszwecks ist vielmehr eine Würdigung der Verfahrens- und Rechtslage im Einzelfall vorzunehmen (vgl. OLG Koblenz, a.a.O.; Hilger, a.a.O. Rn. 13; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 406e Rn. 6a). Eine diesen Maßgaben verpflichtete Entscheidung führt hier wegen einer Reduzierung des gerichtlichen Ermessens auf Null zu einer weitgehenden Versagung der begehrten Akteneinsicht. Eine umfassende Einsicht in die Verfahrensakten ist dem Verletzten in aller Regel in solchen Konstellationen zu versagen, in denen seine Angaben zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt.

6

bb) Die Beweiskonstellation von Aussage-gegen-Aussage erfährt ihr Gepräge durch eine Abweichung der Tatschilderung des Zeugen von der eines Angeklagten, ohne dass ergänzend auf weitere unmittelbar tatbezogene Beweismittel, etwa belastende Indizien wie Zeugenaussagen über Geräusche oder Verletzungsbilder zurückgegriffen werden kann (vgl. nur Sander, StV 2000, 45, 46; ders. in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 261 Rn. 83d m.w.N.; Schmandt, StraFo 2010, 446, 448 m.w.N.). Dieselbe Verfahrenskonstellation ist allerdings auch gegeben, wenn der Angeklagte selbst keine eigenen Angaben zum Tatvorwurf macht, sondern sich durch Schweigen verteidigt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – 4 StR 360/12, NStZ, 2013, 180, 181; ferner Sander, a.a.O.; Schmandt, a.a.O., m.w.N.).

7

cc) So liegt es hier zumindest betreffend das – den mit Blick auf die Spontanäußerungen des Angeklagten (vgl. Bl. 3, 5, 6 und 55 d.A.) sowie angesichts von Zeugenaussagen (vgl. nur etwa die Aussage des Zeugen I., Bl. 128 ff. d.A.) sowie durch das beim Angeklagten sichergestellte Tatwerkzeug hochwahrscheinlich vorgenommenen versuchten Tötungshandlungen vorangegangene – Tatvorgeschehen. Hierzu gibt es über die Angaben des Beschwerdeführers hinaus keine weiteren Zeugenaussagen oder sonstigen Beweismittel. Der Beschwerdeführer nimmt jeden Anlass für den Angeklagten zu einem körperlichen Übergriff in Abrede. Einen solchen legen allerdings die durch den Angeklagten abgesetzten Notrufe (vgl. Bl. 32 d.A.) sowie Zeugenaussagen (vgl. etwa Bl. 112 d.A.) und das dokumentierte Verletzungsbild beim Angeklagten nahe. Diesem kommt für die vom Tatgericht zu würdigenden etwaigen Rechtfertigungsgründe aber auch für die Strafbemessung (vgl. § 213 StGB) maßgebliche Bedeutung zu.

8

dd) In diesen Fällen ist das gerichtliche Ermessen grundsätzlich auf Null reduziert. Eine unbeschränkte Akteneinsicht des Verletzten ist hier mit der gerichtlichen Pflicht zur bestmöglichen Sachaufklärung unvereinbar. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die auch hier anwendbaren rechtlichen Maßgaben seiner Beschlüsse vom 24. Oktober 2014 – 1 Ws 110/14, NStZ 2015, 105 mit Anm. Radtke, und vom 24. November 2014 – 1 Ws 120/14, BeckRS 2015, 00700; vgl. ferner BeckOK-StPO/Weiner, 21. Ed. § 406e Rn. 4). Soweit der Senat damit auch hier in einem Ausnahmefall der – namentlich den Angeklagten schützenden – gerichtlichen Wahrheitserforschungspflicht zur Herbeiführung einer materiell gerechten Entscheidung grundsätzlich den Vorrang vor den Informationsrechten eines Nebenklägers gewährt (vgl. hierzu auch Radtke, NStZ 2015, 108, 109), entspricht er einer auch aus dem Gesetzgebungsverfahren erkennbaren und überzeugenden Wertentscheidung des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 16/13671, S. 22; ferner Barton, StRR 2009, 404 ff.). Rechtspolitische Bestrebungen, dem Nebenkläger – im Zuge der mit dem Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz; BGBl. 2009 I S. 2280) erstrebten Entkopplung von Privat- und Nebenklage (vgl. hierzu Wenske, a.a.O., § 406e Rn. 1) – nach Abschluss der Ermittlungen (§ 169a StPO) ein unbeschränkbares Akteneinsichtsrecht zu gewährleisten (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 3. September 2009, BT-Drucks. 16/12098, S. 35) konnten sich im Gesetzgebungsverfahren gerade nicht durchsetzen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 1. Juli 2009, BT-Drucks. 16/13671, S. 22 sowie BT-Drucks. 16/12812, S. 15). Soweit die Gesetzesmaterialien als möglichen Anwendungsbereich des § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO das Akteneinsichtsgesuch eines der Tatbeteiligung verdächtigen Angehörigen eines Getöteten erkennen lassen (vgl. BT-Drucks. 16/13671, S. 22), handelt es sich ausdrücklich um eine Beispielskonstellation, die den – schon vom Wortlaut her nicht näher konkretisierten – Anwendungsbereich der Vorschrift nicht begrenzt.

9

b) Mangels näherer Ausführungen in der Antrags- und der Beschwerdeschrift des Nebenklägervertreters vermag der Senat über das allgemeine Informationsinteresse des Nebenklägers hinaus keine Gründe zu erkennen, die eine sofortige Akteneinsicht geböten. Ob und – bejahendenfalls – mit welchem Gewicht solche Umstände im Einzelfall in die hier vorgenommene Ermessensentscheidung einzustellen wären, braucht der Senat daher nicht zu entscheiden.

10

c) Auch mildere Mittel sind weder ersichtlich noch geltend gemacht. Eine Verpflichtungserklärung des Nebenklägervertreters, die Akteninhalte dem Nebenkläger nicht zur Kenntnis zu geben, ist weder durchsetzbar noch mit der gebotenen Sicherheit zu kontrollieren (vgl. Senatsbeschluss vom 24. November 2014 – 1 Ws 120/14, BeckRS 2015, 00700).

11

d) Der Senat hat daher den Umfang der Akteneinsicht auf den in der Beschlussformel ausgewiesenen Teil der Verfahrensakten beschränkt. Erfasst von der Versagung sind danach namentlich die dokumentierten Zeugenvernehmungen, die Äußerungen des Angeklagten sowie die hieran jeweils anschließenden Eindrucks- und Ermittlungsvermerke sowie die Auswertungen am Tatort gesicherter Spuren. Im Übrigen war die Akteneinsicht zu gewähren (vgl. BT-Drucks. 10/5305, S. 18).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 360/12
vom
6. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. Dezember
2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Bender,
Reiter
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 23. April 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer hiergegen gerichteten Revision die Verletzung materiellen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage hatte dem Angeklagten zur Last gelegt, an jeweils unterschiedlichen, nicht mehr näher feststellbaren Tagen vor dem 30. Mai 2010 (Fälle 1 – 5) sowie am 30. Mai 2010 (Fall 6) sexuelle Übergriffe zu Lasten der am 1. April 1999 geborenen Nebenklägerin J. -D. B. begangen zu haben.
3
1. Der Angeklagte habe die Nebenklägerin, die ihn in seiner Wohnung häufiger allein besucht habe, aufgefordert, ihren Unterkörper zu entkleiden und sich mit dem Rücken auf den Esstisch im Wohnzimmer zu legen. Dem sei das Mädchen nachgekommen. Der Angeklagte habe sein Glied entblößt und dieses an der Scheide der Nebenklägerin gerieben, wobei er sich zugleich manuell bis zum Samenerguss befriedigt habe. Er habe auf den entblößten Bauch des Kindes ejakuliert und das Ejakulat später mit einem Küchentuch abgewischt.
4
2. In der Küche seiner Wohnung habe der Angeklagte die Nebenklägerin aufgefordert, sich hinzuknien und sein entblößtes Glied in den Mund zu nehmen. Dem habe die Nebenklägerin entsprochen. Sie habe den Angeklagten bis zum Samenerguss befriedigt.
5
3. Der Aufforderung des Angeklagten, ihren Unterkörper zu entblößen, sei die Nebenklägerin gefolgt. Sie habe sich anschließend auf das Sofa im Wohnzimmer gesetzt. Während sie ferngesehen habe, habe der Angeklagte sie im Genitalbereich gestreichelt.
6
4. Der Angeklagte habe die Nebenklägerin aufgefordert, ihren Unterkörper zu entkleiden und sich hinzuknien. Nachdem dies geschehen sei, habe er sein erigiertes Glied an der „Poritze“ der Geschädigten gerieben und sich hierbei manuell bis zum Samenerguss befriedigt.
7
5. Der Aufforderung des Angeklagten, seine Hoden zu berühren und ihn mit der Hand zu befriedigen, sei die Nebenklägerin bis zum Samenerguss nachgekommen.
8
6. Am 30. Mai 2010 sei die Nebenklägerin gegen Mittag zum letzten Mal allein in der Wohnung des Angeklagten gewesen, um von diesem geangelte Forellen abzuholen. Der Angeklagte habe im Hausflur sein Glied entblößt und vor der Geschädigten bis zum Samenerguss onaniert.
9
Hinsichtlich der Fälle 3 bis 6 ist das Verfahren in der Hauptverhandlung nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden.

II.


10
Der Angeklagte hat sich zum Tatvorwurf nicht geäußert. Das Landgericht hat ihn in den Fällen I. 1 und I. 2 aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
11
1. Es hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
12
Die Nebenklägerin, die eine Ganztagsförderschule besucht, lebte bis zu einem innerörtlichen Umzug im Jahre 2008 mit ihrer Familie in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Angeklagten. Auch nach dem Umzug besuchte sie den Angeklagten häufiger allein in dessen Wohnhaus. Bei ihren Besuchen beschenkte er die Nebenklägerin regelmäßig mit Süßigkeiten, Geldbeträgen (bis zu 20 €) und diversen Kleidungsstücken. Da den Eltern die Geschenke auffielen , sprachen sie ihre Tochter darauf an, die einen besonderen Grund hierfür verneinte. Die Besuche der Nebenklägerin erfolgten aus unterschiedlichen Anlässen : Des Öfteren holte sie geangelte Fische ab. Sie begab sich aber auch zum Angeklagten, um aus Langeweile fernzusehen, dort zu essen oder Geld- geschenke abzuholen. In ihrer Freizeit nutzt die Nebenklägerin, „die jederzeit Zugang zu Fernsehen und Internet hat“, diese Medien „ungewöhnlich oft und unbeaufsichtigt“ (UA S. 7). Im Sommer 2009 trennten sich die Eltern der Nebenklägerin vorübergehend. Bis November 2009 wohnte die Nebenklägerin zusammen mit ihrer Mutter bei deren neuem Freund. Das Landgericht konnte nicht ausschließen, dass die Nebenklägerin während dieser Zeit in einem Fall sexuelle Handlungen (zumindest Oralverkehr) zwischen ihrer Mutter und einem anderen Sexualpartner beobachtet hat. Im Januar 2010 fiel der Zeugin H. , die die Nebenklägerin seit dem Schuljahr 2008/2009 als Klassenlehrerin betreut, unvermittelt ein ungewöhnliches sexualisiertes Verhalten der damals Zehnjährigen auf. Diese setzte sich offen auf einen Tisch im Klassenzimmer, spreizte die Beine und forderte die Jungen auf, an ihre Scheide zu greifen. Zudem machte sie eindeutige Bewegungen und Laute wie beim Geschlechtsverkehr (UA S. 8). Nach einem zeitnah anberaumten Elterngespräch an der Schule gab sie ihrem Vater gegenüber an, dass nichts sei. In der Folgezeit zeigte sie in der Schule keine offenen sexuellen Handlungsweisen mehr. An dem Wochenende 29./30. Mai 2010 besuchte die Nebenklägerin den Angeklagten zum letzten Mal. Dieser hatte ihren Eltern selbst geangelte Fische angeboten. Die Nebenklägerin kehrte aufgeregt und ohne Fische zum Elternhaus zurück und erhob erstmals gegenüber ihren Eltern Missbrauchsvorwürfe gegen den Angeklagten (Fall I. 6). Das Landgericht konnte nicht feststellen, was sich an diesem Tag im Haus des Angeklagten zugetragen hat. Zu früheren Vorfällen berichtete die Nebenklägerin ihrem Vater zunächst keine Einzelheiten. Dieser erstattete am 15. Juni 2010 bei der Polizeiinspektion R. Strafanzeige gegen den Angeklagten.
13
Zu den persönlichen Verhältnissen des ledigen Angeklagten hat das Landgericht festgestellt, dass er allein ein Eigenheim bewohnt, Rentner ist und im Jahre 1999 durch das Amtsgericht R. wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden ist, deren Vollstreckung das Amtsgericht zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Strafe wurde mit Wirkung vom 27. September 2002 erlassen.
14
2. Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
15
Abweichend von der Einschätzung der Sachverständigen Dr. R. - J. seien die Angaben der Nebenklägerin insgesamt als nicht glaubhaft zu beurteilen. Die Sachverständige habe die Zweifel des Gerichts nicht ausräumen können. Die Aussage der Nebenklägerin weise gravierende Qualitätsmängel auf. Die Schilderung des unmittelbar handlungsrelevanten Geschehens sei detailarm sowie zum Teil unklar und widersprüchlich. Es sei nicht gelungen, die Taten nach Zeit oder Tathergang auch nur ansatzweise zu konkretisieren. Suggestive Abläufe seien wahrscheinlich. Das Landgericht konnte nicht aus- schließen, dass die Nebenklägerin „Erkenntnisse aus den Medien“ sowie Be- obachtungen von sexuellen Aktivitäten ihrer Mutter mit wechselnden Partnern auf den Angeklagten übertragen hat (UA S. 42).

III.


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Der Freispruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
17
Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrich- ters (§ 261 StPO), dessen Schlussfolgerungen nicht zwingend, sondern nur möglich sein müssen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 – 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151; Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen. Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich zudem ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt auch, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110 f.; vom 11. August 2011 – 4 StR 191/11; vom 26. April 2012 – 4 StR 599/11 und vom 8. August 2012 – 1 StR 88/12).
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Dem wird die Beweiswürdigung des Landgerichts in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
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1. Die Beweiswürdigung ist bereits deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht von dem in der Hauptverhandlung erstatteten aussagepsychologischen Gutachten der Sachverständigen Dr. R. -J. ohne hinreichende Begründung abweicht. Zwar war das Landgericht nicht gehindert, von dem Gutachten der Sachverständigen abzuweichen, da ein solches nur Grundlage der Überzeugungsbildung des Richters sein kann. Wenn der Tatrichter aber eine Frage, für die er geglaubt hat, des Rates eines Sachverständigen zu bedürfen, im Widerspruch zu dem Gutachten lösen will, muss er die maßgeblichen Darlegungen des Sachverständigen wiedergeben und seine Gegenansicht unter Auseinandersetzung mit diesen begründen, damit ersichtlich wird, dass er mit Recht das bessere Fachwissen für sich in Anspruch nimmt (BGH, Urteil vom 1. April 2009 – 2 StR 601/08, NStZ 2009, 571, und Beschluss vom 22. Mai 2012 – 5 StR 15/12, NStZ-RR 2012, 287, 288; KK-Schoreit, StPO, 6. Aufl., § 261 Rn. 33). Daran fehlt es hier. Nach dem im Urteil wiedergegebenen Inhalt der aussagepsychologischen Begutachtung ist die Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, dass sich in der Gesamtschau aller Anklagepunkte ein rundes Bild ergebe. Es lägen weder Widersprüche noch logische Brüche vor. Auch bei Anlegung eines strengen Maßstabs sei hinsichtlich der Fälle I. 1 und I. 2 mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Erfahrungshintergrund anzunehmen. Diese Übergriffe habe die Nebenklägerin immer erwähnt und dabei auch stimmige Ergänzungen vorgenommen. Eine Beeinflussung von außen könne ausgeschlossen werden. Demgegenüber stuft die Strafkammer die Angaben der Nebenklägerin insgesamt als unglaubhaft ein und stellt im Rahmen der Qualitätsanalyse der Aussage u.a. darauf ab, dass die Nebenklägerin einen unbedarften Eindruck vermittelt , keine Ängstlichkeit vor dem Angeklagten gezeigt und die sexuellen Übergriffe zu Beginn ihrer Vernehmung lediglich „stakkatoartig“ aufgelistet habe (UA S. 32). Das Kerngeschehen sei lediglich grob und detailarm geschildert worden, ohne dass eine Konkretisierung hinsichtlich Tatzeit, Tathergang und Anzahl der Vorfälle möglich gewesen sei (UA S. 34, 37). Dabei übergeht das Landgericht rechtsfehlerhaft die Ausführungen der Sachverständigen zur Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin. Diese verfügt mit einem Gesamt-IQ von 80 über eine knapp unterdurchschnittliche intellektuelle Leistungsfähigkeit, wobei ihr Vortrag naiv anmutet und Strukturierungsleistungen ihr besonders schwer fallen. Die Angaben der Nebenklägerin bestehen regelmäßig zunächst aus Auf- listungen mit knappen Inhalten, weil sie sich nicht besser äußern kann. Die fehlenden Angstgefühle gegenüber dem Angeklagten beruhen darauf, dass der Nebenklägerin die Tragweite des Geschehens bis heute nicht klar ist (UA S. 28). Mit diesen in der Persönlichkeit der Nebenklägerin begründeten Besonderheiten hätte sich das Landgericht im Rahmen der Aussageanalyse näher auseinandersetzen müssen.
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2. Die erforderliche Gesamtschau der Beweisergebnisse fehlt.
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In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. Mai 2011 – 4 StR 163/11, StraFo 2011, 400; Urteil vom 14. Dezember 2011 – 1 StR 501/11, NStZ-RR 2012, 148, 149; Beschluss vom 22. Mai 2012 – 5 StR 15/12, NStZ-RR 2012, 287, 288). Diese Grundsätze gelten auch, wenn der Angeklagte sich – wie hier – nicht zur Sache einlässt und der Aussage des einzigen Belastungszeugen ausschlaggebendes Gewicht zukommt (vgl. KK-Schoreit, StPO, 6. Aufl., § 261 Rn. 29 mwN). Das Landgericht hat die Aussage der Nebenklägerin vor allem mit Blick auf die Umstände, die nach seiner Auffassung der Glaubhaftigkeit der Angaben entgegenstehen, ausführlich erörtert und überprüft (UA S. 33 – 38), während die für die Glaubhaftigkeit der Angaben sprechenden Gesichtspunkte nur knapp und ohne erkennbare Würdigung aufgelistet werden (UA S. 32/33). Im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung aller entscheidungsrelevanten Umstände hätte das Landgericht auch darauf eingehen müssen, dass die im Urteil mitgeteilten Aussagen der Nebenklägerin (polizeiliche Vernehmung, Exploration durch die Sachverständige, Angaben in der Hauptverhandlung) eine angesichts ihres eingeschränkten Leistungsvermögens beachtliche inhaltliche Konstanz sowie einige originelle Details aufweisen (UA S. 19 – 26) und der Angeklagte wegen ähnlicher Vorfälle bereits vorgeahndet ist. Darüber hinaus hätte das Landgericht berücksichtigen müssen, dass auch die jüngere Schwester der Nebenklägerin von sexuellen Handlungen des Angeklagten („Zungenküsse“) berichtet hat(UA S. 48), die auffällige Häufung von Geld- und Sachgeschenken an die Nebenklägerin ohne äußeren Anlass erfolgt ist und die Nebenklägerin im Januar 2010 ein sexuell auffälliges Verhalten in der Schule gezeigt hat. Obwohl die Strafkammer der Zeugin H. (Klassenlehrerin) eine hohe Beweisbedeutung beimisst, unterbleibt eine Auseinandersetzung mit deren Einschätzung, dass die Nebenklägerin nicht in der Lage sei, die verfahrensgegenständlichen Vorfälle zu erfinden, „da sie nicht viel rede und sich nicht durch lange Geschichten produziere“ (UA S. 41). Hinzu kommt die Bestätigung durch die Großmutter der Nebenklägerin, dass ihre En- kelin „nicht darauf aus sei, einen anzulügen“ (UA S. 40). Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer umfassenden Gesamtschau auch der den Angeklagten belastenden Umstände den Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Nebenklägerin ein geringeres Gewicht beigemessen und sich von der Richtigkeit ihrer Angaben überzeugt hätte.
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3. Soweit das Landgericht suggestive Abläufe für wahrscheinlich hält, ist zu besorgen, dass die Anforderungen, die an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit zu stellen sind, überspannt wurden. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (Senatsurteile vom 11. August 2011 – 4 StR 191/11 und vom 26. April 2012 – 4 StR 599/11). Das Landgericht hält es lediglich für möglich, dass die Nebenklägerin Fernsehsendungen, Internet- seiten oder Zeitschriften mit pornografischen Inhalten zur Kenntnis genommen und deren Inhalte auf sich und den Angeklagten übertragen hat. Tragfähige Feststellungen dazu hat es nicht getroffen.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Bender Reiter

(1) Für den Verletzten kann ein Rechtsanwalt die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der öffentlichen Klage vorzulegen wären, einsehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigen, soweit er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt. In den in § 395 genannten Fällen bedarf es der Darlegung eines berechtigten Interesses nicht.

(2) Die Einsicht in die Akten ist zu versagen, soweit überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen entgegenstehen. Sie kann versagt werden, soweit der Untersuchungszweck, auch in einem anderen Strafverfahren, gefährdet erscheint. Sie kann auch versagt werden, wenn durch sie das Verfahren erheblich verzögert würde, es sei denn, dass die Staatsanwaltschaft in den in § 395 genannten Fällen den Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt hat.

(3) Der Verletzte, der nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten wird, ist in entsprechender Anwendung der Absätze 1 und 2 befugt, die Akten einzusehen und amtlich verwahrte Beweisstücke unter Aufsicht zu besichtigen. Werden die Akten nicht elektronisch geführt, können ihm an Stelle der Einsichtnahme in die Akten Kopien aus den Akten übermittelt werden. § 480 Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten auch für die in § 403 Satz 2 Genannten.

(5) Über die Gewährung der Akteneinsicht entscheidet im vorbereitenden Verfahren und nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens die Staatsanwaltschaft, im übrigen der Vorsitzende des mit der Sache befaßten Gerichts. Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach Satz 1 kann gerichtliche Entscheidung durch das nach § 162 zuständige Gericht beantragt werden. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und 473a gelten entsprechend. Die Entscheidung des Gerichts ist unanfechtbar, solange die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Diese Entscheidungen werden nicht mit Gründen versehen, soweit durch deren Offenlegung der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte.

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.