Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 14. Sept. 2016 - 7 Sa 575/15

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2016:0914.7SA575.15.0A
bei uns veröffentlicht am14.09.2016

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Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 12. November 2015, Az. 7 Ca 583/15, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch außerordentliche Kündigungen vom 13. Juli 2015, hilfsweise vom 5. August 2015 aufgelöst worden ist.

2

Der 1980 geborene, getrennt lebende und gegenüber einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit April 2007 bei der Beklagten zunächst als Leiharbeitnehmer, sodann ab dem 1. August 2008 aufgrund des Arbeitsvertrags vom 7. Mai 2010 (Bl. 5 ff. d. A.) unmittelbar bei der Beklagten als Maschinenführer beschäftigt. Im Zeitraum vom 1. Januar 2012 bis zum 1. März 2012 war der Kläger als Schichtführer eingesetzt. Er erzielte ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von zuletzt 2.115,58 € bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden.

3

Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer in Vollzeit ausschließlich der Auszubildenden. Ein Betriebsrat besteht nicht.

4

Unter dem 13. Mai 2015, 15. Mai 2015 und 13. Mai 2015 mahnte die Beklagte den Kläger ab. Wegen des Inhalts dieser Abmahnungen wird auf Bl. 45 f., 47 f. und 49 f. d. A. Bezug genommen.

5

Am 9. Juli 2015 kam es zu einem Gespräch mit dem Kläger im Beisein des Geschäftsführers der Beklagen Herrn Z., des Produktionsleiters Herrn Y., des Schichtführers Herrn X. und des stellvertretenden Schichtleiters Herrn W.. Am Folgetag, dem 10. Juli 2015, gab es zu Schichtbeginn um 14.00 Uhr eine weitere Besprechung. Der Kläger erklärte, keine Aufhebungsvereinbarung abschließen zu wollen. Der weitere Verlauf dieses Gesprächs ist im Einzelnen zwischen den Parteien streitig. Der Kläger wollte in der Folge Schlüssel, Stempelchip und Werksausweis nicht zurückgeben und das Gelände nicht verlassen. Der Geschäftsführer der Beklagten benachrichtigte die Polizeiinspektion V.. Nach dem Eingreifen der Polizeibeamten übergab der Kläger die Staplerschlüssel, den Stempelchip sowie die Werksausweise und verließ in Begleitung der Polizisten das Gelände.

6

Mit Schreiben der Beklagtenvertreter vom 13. Juli 2015 (Bl. 10 ff. d. A.), dem Kläger zugegangen am 14. Juli 2015, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fristlos, hilfsweise "ordentlich zum nächstzulässigen Zeitpunkt". Gleichzeitig wurde dem Kläger Hausverbot erteilt.

7

Mit seiner am 21. Juli 2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen, der Beklagten am 28. Juli 2015 zugestellten Klage wandte sich der Kläger unter anderem gegen die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 13. Juli 2015.

8

Im Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 5. August 2015, dort auf Bl 8, wiederholte dieser „die Kündigung (…) hiermit höchstvorsorglich und hilfsweise (…) mit dem Arbeitszeitende 30.09.2015".

9

Der Kläger war - soweit im Berufungsverfahren noch von Bedeutung - der Ansicht,
ein außerordentlicher Kündigungsgrund liege nicht vor. Er hat vorgetragen, man habe ihn einen Aufhebungsvertrag unterzeichnen lassen wollen. Immer wieder sei die Drohungskulisse ihm gegenüber aufgebaut worden. Aber als er dazu nicht bereit gewesen wäre, habe man ihm mitgeteilt, dass er fristlos entlassen werde und freigestellt sei. Einen Grund habe man ihm nicht genannt. Man habe ihn aufgefordert, seine Schlüssel herauszugeben. Er habe die Schlüssel aber erst dann herausgeben wollen, wenn er eine (schriftliche) Kündigung erhalten habe, da er bereits zuvor zu Unrecht beschuldigt worden sei, sich vom Arbeitsplatz unentschuldigt entfernt zu haben. Auf der Seite der Beklagten seien vier Personen gewesen, er sei allein gewesen. Kaum habe er seine Besorgnis, sich nicht vom Arbeitsplatz entfernen zu wollen, geäußert gehabt, habe die Beklagte schon die Polizei gerufen. Es sei für ihn nicht nachvollziehbar gewesen: jetzt doch gekündigt zu werden, aber dann doch erst am Montag. Er sei in dieser Situation überfordert gewesen, habe nicht gewusst, ob er aufgrund seiner schlechten Deutschkenntnisse vielleicht etwas missverstehe. Er habe keine Möglichkeit gehabt zu reagieren oder gar jemanden dazu zu holen.

10

In acht Jahren Beschäftigung habe es keinen einzigen Grund zur Beanstandung gegeben. Er habe seine Aufgaben immer sorgfältig erledigt. Er habe seinen Arbeitsplatz nicht - wie ihm in der Abmahnung vom 15. Mai 2015 vorgeworfen - grundlos verlassen. Keiner habe ihm absichtliche Manipulationen vorgeworfen, er habe nicht Maschinen vorsätzlich zum Nachteil der Beklagten manipuliert. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei insoweit nicht gewahrt.

11

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

12

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13. Juli 2015 nicht aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht,

13

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 13. Juli 2015 nicht aufgelöst worden ist, sondern darüber hinaus fortbesteht,

14

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung per Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 5. August 2015 nicht aufgelöst worden ist,

15

4. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht,

16

5. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. und oder zu 2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Produktionsführer/Maschinenführer weiter zu beschäftigen.

17

Die Beklagte hat beantragt,

18

die Klage abzuweisen.

19

Die Beklagte hat vorgetragen,
in einem Gespräch am 1. März 2012 sei dem Kläger von seinem Vorgesetzten, dem Produktionsleiter und Zeugen Y., mitgeteilt worden, dass er mit sofortiger Wirkung von seiner Verantwortung als Schichtführer entbunden werde. Seitdem habe sich der Kläger immer wieder unkollegial gegenüber seinen Kollegen und Vorgesetzten verhalten, insbesondere aber seine Arbeit nicht ordentlich ausgeführt. Sie habe aus sozialen Gründen und wegen Mitarbeitermangels trotzdem versucht, das Arbeitsverhältnis fortzuführen. Das Verhalten des Klägers sei jedoch in der letzten Zeit untragbar geworden. Er habe offenbar versucht, eine Kündigung zu provozieren, um eine Abfindung durchzusetzen. Er habe die für den Arbeitsablauf, die Qualitätssicherung und -kontrolle erforderlichen Schichtprotokolle nicht ordnungsgemäß ausgefüllt, obwohl eine klare Arbeitsanweisung zur Führung der Protokolle bestanden habe. Als ihm dies von seinem Vorgesetzten A. U. vorgehalten worden sei, habe er diesem sogar unterstellt, dass dieser das Schichtprotokoll manipuliert hätte. Er habe sich auch geweigert, diese Daten nachzutragen. Mehrfachen Weisungen seiner Vorgesetzten, die Ausschussprodukte (7er, 8er und 10er Pfosten) auszusortieren und nicht auf den Paletten zu lagern, sei er nicht nachgekommen. Auch die Anweisung seines Schichtführers X., die 10er Pfosten auf einer Vorrichtung (Lock-OT-Lagerböcke) zum Abkühlen zu lagern, habe er nicht befolgt. Darüber hinaus habe er keine ordnungsgemäße Übergabe der Anlage beim Schichtwechsel vorgenommen. Er habe es auch verweigert, in Eigeninitiative Störungen zu beheben oder auf die Qualität der Produkte einzuwirken. Er störe den Betriebsablauf und -frieden vorsätzlich. Dann habe er in der Nachtschicht vom 13./14 Mai 2015 die Anlage bzw. seinen Arbeitsplatz verlassen. Aufgrund dieses Verhaltens habe kein Kollege noch mit ihm zusammenarbeiten wollen. Bei jeder Schichtübergabe habe es Probleme mit den Kollegen der übernehmenden Schicht gegeben. Die Mitarbeiter T. und R. hätten ihm sogar absichtliche Manipulationen vorgeworfen. Er habe sich daraufhin lachend vor seine Kollegen gestellt und alles abgewiegelt. Er sei schlicht unbelehrbar. Der Produktionsleiter Y. habe sich noch mehrfach bemüht, auf den Kläger einzuwirken und ihm noch eine Chance zu geben, seine Fehler zu beheben und mangelhafte Arbeiten zu beseitigen. Das habe der Kläger verweigert. Herr Y. habe in der Woche vor dem 9. Juli 2015 das Verhalten des Klägers mit der Personalleiterin Q. besprochen und in der E-Mail vom 9. Juli 2015 zusammengefasst. Aufgrund der Vorwürfe in dieser E-Mail hätte in jedem Fall eine ordentliche Kündigung ausgesprochen werden müssen, falls nicht sogar eine fristlose.

20

Im Gespräch vom 9. Juli 2015 habe der Kläger es nochmals abgelehnt, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Die Geschäftsführung habe trotzdem weiter versucht, sich mit ihm zu einigen. Um 16.00 Uhr sei ein weiteres ergebnisloses Gespräch geführt worden. Dem Kläger sei eine Bedenkzeit eingeräumt und ihm sei empfohlen worden, sich juristisch beraten zu lassen, da bei Fortsetzung seines Verhaltens eine fristlose Kündigung drohe. Am 10. Juli 2015 habe der Kläger mitgeteilt, dass er keine Aufhebungsvereinbarung abschließen, sondern gekündigt werden möchte. Ihr Geschäftsführer habe dann mitgeteilt, dass man diesem Kündigungswunsch entsprechen würde. Der Kläger werde am Montag die schriftliche Kündigung erhalten und man werde ihn dann auch mit sofortiger Wirkung freistellen. Zu diesem Zeitpunkt sei keine fristlose Kündigung ausgesprochen worden. Der Kläger habe hierauf erklärt, er bleibe bis Montag hier. Trotz mehrfachen Aufforderungen des Geschäftsführers habe er sich diesem widersetzt, selbst dann noch, als der Geschäftsführer ihm zu verstehen gegeben habe, dass er nunmehr Hausverbot habe und er ihn dann auch aufgefordert habe, Schlüssel des Staplers, Stempelchip und Werksausweis herauszugeben. Auch auf gutes Zureden habe der Kläger nicht reagiert, sondern schlicht einen Sitzstreik durchgeführt. Selbst nach der Ankündigung, die Polizei würde gerufen werden, sei der Kläger nicht gegangen, sondern habe sogar das Eintreffen der Polizei abgewartet. Der Kläger sei in dieser Situation auch nicht überfordert gewesen. Seine Deutschkenntnisse seien hervorragend.

21

Das Arbeitsgericht Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - hat durch Urteil vom 12. November 2015 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 13. Juli 2015 nicht vor Ablauf des 30. September 2015 aufgelöst worden ist, ferner nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 5. August 2015 (per Schriftsatz). Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt, die Kündigung sei insoweit begründet, als der Kläger sich gegen die außerordentliche fristlose Kündigung vom 13. Juli 2015 wende, im Übrigen sei sie unbegründet. Die Beklagte habe die außerordentliche Kündigung auf eine permanente provokative Verweigerung der Erfüllung von Arbeitspflichten gegenüber der Beklagten bis hin zur Verweigerung der Herausgabe von Betriebseigentum und des Verlassens des Geländes gestützt. Dieser Umstand sei bei hinreichender Konstanz und Schwere auch in den Augen eines ruhig und verständig urteilenden Arbeitgebers im Einzelfall geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu tragen. Allerdings sei vorliegend zu berücksichtigen, dass die Kündigung keine Sanktion für vergangenes Fehlverhalten sei, sondern Gestaltungsmittel im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses. Mithin sei eine außerordentliche Kündigung nur dann denkbar, wenn gravierende Gründe bestünden, die es dem Kündigenden unzumutbar machen, dass er das Arbeitsverhältnis noch für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist "ertrage". Vorliegend sei zu berücksichtigen gewesen, dass gegenüber dem Kläger bereits vor Entfernung der Person des Klägers aus dem Betrieb eine Freistellung ausgesprochen worden sei und er aufgefordert worden sei, das Betriebsgelände zu verlassen. Dass diese Freistellung irgendwelchen Einschränkungen unterlegen hätte, habe die Beklagte mit keinem Wort vorgetragen. Damit sei im Zusammenhang mit der dann doch erfolgten Übergabe der Betriebsschlüssel sichergestellt gewesen, dass der Kläger gegen den Willen der Beklagten das Betriebsgelände nicht mehr habe betreten und damit keinerlei Schäden während des Laufs der ordentlichen Kündigungsfrist habe mehr anrichten können. Darüber habe die Beklagte durch die Freistellung zu erkennen gegeben, dass der Aufwand an Vergütung für die Dauer der Kündigungsfrist ohne Gegenleistung seitens des Klägers ihr zuzumuten gewesen sei, da sie ansonsten die Freistellung nicht ausgesprochen hätte. Demgegenüber habe die ausgesprochene Kündigung allerdings als ordentliche das Arbeitsverhältnis mit dem 30. September 2015 beendet. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach (Bl. 88 ff. d. A.) Bezug genommen.

22

Das genannte Urteil ist der Beklagten am 26. November 2015 zugestellt worden. Die Beklagte hat hiergegen mit einem am 23. Dezember 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 22. Dezember 2015 Berufung eingelegt und diese mit am 16. Februar 2016 - innerhalb der durch Beschluss vom 27. Januar 2016 bis zum 16. Februar 2016 verlängerten Berufungsbegründungsfrist - beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag begründet.

23

Zur Begründung der Berufung macht die Beklagte nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie der Schriftsätze vom 27. April 2016 und 28. April 2016, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 115 ff.,150 f., 152 d. A.), zusammengefasst geltend,
die außerordentliche Kündigung vom 13. Juli 2015 bzw. hilfsweise die außerordentliche Kündigung vom 5. August 2015 habe das Arbeitsverhältnis fristlos zum 13. Juli 2015, hilfsweise zum 5. August 2015 fristlos aufgelöst, denn der Beklagten sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund im Sinn des § 626 BGB nicht weiter zumutbar.

24

Das Arbeitsgericht habe die Abmahnungen vom 13., 15. und 13. Mai 2015 und deren rechtliche Bedeutung nur unvollständig gewürdigt.

25

Sodann habe der Vorgesetzte Y. ausgeführt, dass es nach einem Personalgespräch mit dem Kläger zunächst etwas ruhiger geworden sei, es aber jetzt wieder so weit sei, dass sein Verhalten nicht mehr akzeptiert werden könne. Die Kollegen T. und R. hätten sogar absichtliche Manipulationen des Klägers zum Nachteil der Beklagten festgestellt. Der Kläger habe auf denen Vorwürfe jedoch ebenso wenig reagiert wie auf die Vorhaltungen des Schichtführers und des Vertreters, Herrn X. und Herrn W.. Er sei einfach unbelehrbar gewesen und habe den Betriebsfrieden so gestört, dass eine fristlose Kündigung gerechtfertigt sei. Der Kläger habe seine Schicht auch nach den Abmahnungen nicht in akzeptablem Zustand übergeben, habe schlechtes Material absichtlich im Vorlagesilo gelagert, Paletten nicht gebunden, Ausschussware auf die gute Palette gelegt und die Anlage und den Arbeitsplatz auch nicht aufgeräumt und sauber übergeben, wie dies seine Verpflichtung gewesen sei. Am 5. Juli 2015 habe er dann schlechte Pfosten wiederholt auf der Gut-Palette gelagert. Der Anweisung des Vorgesetzten X., diese auszusortieren und seinen Arbeitsplatz zu reinigen, sei er nicht nachgekommen. Die nochmalige Chance, diese Verweigerung am 8. Juli 2015 zu beseitigen, habe er nicht wahrgenommen. Der Zeuge Y. habe ausdrücklich dargelegt, dass er mit seinem Latein am Ende sei.

26

Am 10. Juli 2015 habe der Kläger nicht nur erklärt, er unterschreibe keinen Aufhebungsvertrag, sondern er wolle gekündigt werden. Daraufhin habe der Geschäftsführer erklärt, dass er am Montag die Kündigung erhalte und dann mit sofortiger Wirkung freigestellt/beurlaubt werde. Der Kläger habe sich daraufhin geäußert, er mache keinen Urlaub, er bleibe bis Montag hier. Der Geschäftsführer habe dann die Entscheidung mehrmals wiederholt. Der Kläger habe sich jedoch den Anweisungen widersetzt. Danach habe dann der Geschäftsführer dem Kläger unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er jetzt ein Hausverbot habe und ihn aufgefordert, Schlüssel, Stempelchip, Werksausweis etc. zurückzugeben und das Gelände zu verlassen. Der Kläger habe sich dann auch diesen Anweisungen widersetzt und auch die Herausgabe der Schlüssel verweigert. Sie ist der Ansicht, dieses Verhalten stelle eine Nötigung und einen Hausfriedenbruch dar und sei strafbar. Sie trägt weiter vor, erst nachdem der Kläger wörtlich in den Sitzstreik getreten sei, das Hausrecht ignoriert habe, das Verlassen des Betriebsgeländes und die Herausgabe von Betriebseigentum verweigert habe, habe die Polizei benachrichtigt werden müssen. Erst in einem sehr langen Gespräch hätten die Polizeibeamten der PI V. den Kläger überzeugen können, dass er den Anweisungen der Hausherren zu entsprechen habe. Der Kläger habe von den Polizisten auch persönlich hinausgeführt werden müssen. Die Polizisten hätten die Staplerschlüssel, den Stempelchip und zwei Werksausweise übergeben. Der Kläger hätte dann auch zum Umkleideraum an seinen Spind begleitet werden müssen, um seine persönlichen Dinge mitzunehmen und sei im Anschluss daran auch von der Polizei vom Betriebsgelände begleitet worden. Diese Dinge seien vor den Augen der kompletten Belegschaft geschehen.

27

Sie habe zu keinem Zeitpunkt erklärt, der Kläger werde unwiderruflich freigestellt. Für den Fall, dass es zu erheblichen Erkrankungen oder Urlaubsfällen oder zusätzlichen Aufträgen gekommen wäre, hätte der Kläger notfalls auch während der Freistellung eingesetzt werden können.

28

Die Beklagte beantragt,

29

das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - Az. 7 Ca 583/15, verkündet am 12. November 2015, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

30

Der Kläger beantragt,

31

die Berufung zurückzuweisen.

32

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe des Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 22. April 2016, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 146 f. d. A.), als rechtlich zutreffend.

33

Zum Zeitpunkt der ausgesprochenen Kündigungen hätten keine Kündigungsgründe vorgelegen. Er habe die ihm aufgetragenen Arbeiten stets entsprechend der geforderten Vorgaben ausgeführt. Es sei nicht richtig, dass er zum Schichtende seinen Arbeitsplatz wiederholt unsauber bzw. nicht ordnungsgemäß verlassen bzw. übergeben habe. Auch habe er Schichtprotokolle stets richtig ausgefüllt unter Angabe der produzierten Teile und unter Ausweisung des Ausschussanteils. Er habe nach bestem Wissen und Gewissen und nach eingehender Prüfung die Ausschussprodukte immer aussortiert und auf den entsprechenden Paletten gelagert. Störungen an den Maschinen, an denen er gearbeitet habe, habe er, soweit dies in dem ihm zugetragenen Verantwortungsbereich gestanden habe, stets beseitigt, soweit ihm das möglich gewesen sei. Ebenso wenig sei es richtig, dass er in der Nachschicht vom 13. auf den 14. Mai 2015 über einen längeren Zeitraum nicht am Arbeitsplatz anwesend gewesen sei.

34

Ein Hausfriedensbruch oder ein sonstiges von der Beklagten behauptetes strafbares Verhalten sei von ihm nicht begangen worden. Dies könne von der zuständigen Polizeidienststelle bestätigt werden.

35

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Sitzung vom 14. September 2016 (Bl. 156 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

36

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

B.

37

In der Sache hatte die Berufung der Beklagten keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch außerordentliche Kündigung, sondern erst aufgrund der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung vom 13. Juli 2015 mit Ablauf des 30. September 2015 seine Beendigung gefunden hat.

I.

38

Die außerordentliche Kündigung vom 13. Juli 2015 ist unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis nicht mit sofortiger Wirkung beendet. Es fehlt an einem wichtigen Grund im Sinn von § 626 Abs. 1 BGB.

1.

39

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten” Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich”, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr.; BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - NZA 2010, 1227, 1229 Rz. 16 m. w. N.).

2.

a)

40

Der vorliegende Sachverhalt ist - soweit Gegenstand die Weigerung des Klägers vom 10. Juli 2015 ist - „an sich“ als wichtiger Grund im Sinn von § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Die Weigerung, das Betriebsgelände zu verlassen und der Arbeitgeberin gehörende Gegenstände herauszugeben, stellt eine schwerwiegende Verhaltensweise eines Arbeitnehmers dar, die sich unter anderem gegen das Eigentum des Arbeitgebers richtet. Hierdurch verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB). Dies kann an sich grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. August 2015 - 6 Sa 30/15 - BeckRS 2015, 73697; LAG Hamm (Westfalen), Urteil vom 7. September 2012 - 13 Sa 572/12 - BeckRS 2012, 74963 m. w. N.).

41

Unstreitig hat der Kläger weder auf die vom Geschäftsführer der Beklagten ausgesprochene Freistellung noch auf ein ausgesprochenes Hausverbot bis zur Intervention von Polizeibeamten das Betriebsgelände verlassen. Auch Schlüssel, Stempelchip, Werksausweis etc. der Beklagten hat er zunächst nicht freiwillig herausgegeben. Selbst wenn der Kläger der irrigen Auffassung gewesen sein sollte, der Geschäftsführer habe ihn nicht oder zumindest nicht ohne schriftliche Bestätigung des Betriebes verweisen dürfen, stünde dies der erheblichen Pflichtverletzung nicht entgegen. Maßgebend für die Frage, ob das Verhalten des Arbeitnehmers eine erhebliche Vertragspflichtverletzung darstellt, ist die objektive Rechtslage (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. August 2015 - 6 Sa 30/15 - BeckRS 2015, 73697 Rz. 43). An die zu beachtenden Sorgfaltspflichten sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass sich die betreffende Partei ihre eigene Rechtsauffassung nach sorgfältiger Prüfung und sachgemäßer Beratung gebildet hat. Auf einen unverschuldeten Rechtsirrtum kann sie sich nur dann berufen, wenn sie mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte (BAG, Urteil vom 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - NZA 2014, 533, 535 Rz. 34 m. w. N.). Dass der Kläger sich in einem solchen unverschuldeten Rechtsirrtum befunden hätte, ist nicht ersichtlich.

b)

42

Dagegen ist das unvollständige und nicht ordnungsgemäße Ausfüllen des Schichtprotokolls vom Extruder 23 vom 6. Mai 2015 sowie der Vorwurf der Manipulation des Schichtprotokolls gegenüber dem Produktionsleiter U. kein geeigneter wichtiger Grund. Das gilt auch für die fehlenden Eintragungen in dem Schichtprotokoll von Extruder 8 vom 7. Mai 2015.

43

Eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzt regelmäßig eine einschlägige Abmahnung voraus. Beruht eine Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich auch für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - NZA 2015, 294, 296 Rz. 22). Liegt eine solche Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer gleichwohl erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch künftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Außerdem ist in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Abmahnung als milderes Mittel einer Kündigung vorzuziehen, wenn schon durch ihren Ausspruch das Ziel, die künftige Einhaltung der Vertragspflichten zu bewirken, erreicht werden kann (BAG, Urteil vom 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - NZA 2010, 823 Rz. 10 m. w. N.).

44

Der Arbeitgeber kann auf das Recht zum Ausspruch einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung durch eine entsprechende Willenserklärung einseitig verzichten. Im Ausspruch einer Abmahnung liegt regelmäßig der konkludente Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den in ihr gerügten Gründen. Der Arbeitgeber gibt mit einer Abmahnung zu erkennen, dass er das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört ansieht, als dass er es nicht mehr fortsetzen könnte (BAG, Urteil vom 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - NZA 2010, 823 f. Rz. 11 f. m. w. N.). Ein Verzicht kann allerdings nur dann angenommen werden, wenn die Vertragsrüge deutlich und unzweifelhaft zu erkennen gibt, dass der Arbeitgeber den vertraglichen Pflichtverstoß hiermit als ausreichend sanktioniert und die Sache als „erledigt” ansieht. Ein Verzicht auf ein Kündigungsrecht muss eindeutig sein, nur dann ist auch ein entsprechendes Vertrauen des Arbeitnehmers gerechtfertigt (BAG, Urteil vom 2. Februar 2006 - 2 AZR 222/05 - NJOZ 2006, 2017, 2622 Rz. 22 m. w. N.). Treten jedoch weitere Gründe zu den abgemahnten hinzu oder werden sie erst nach Ausspruch der Abmahnung bekannt, sind diese nicht vom Kündigungsverzicht nicht erfasst. Der Arbeitgeber kann sie zur Begründung einer Kündigung heranziehen und dabei auf die schon abgemahnten Gründe unterstützend zurückgreifen (BAG, Urteil vom 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - NZA 2010, 823, 824 Rz. 14).

45

Die Beklagte hat das unvollständige und nicht ordnungsgemäße Ausfüllen des Schichtprotokolls vom Extruder 23 vom 6. Mai 2015 sowie den Vorwurf der Manipulation des Schichtprotokolls gegenüber dem Produktionsleiter U. unter dem 13. Mai 2015 (Bl. 45 f. d. A.) abgemahnt und in dieser Abmahnung dem Kläger mitgeteilt, dass sie „im Wiederholungsfall“ kündigungsrechtliche Schritte einleiten wird. Damit hat sie zu erkennen gegeben, dass sie diesen vertraglichen Pflichtverstoß nicht zum Anlass einer Kündigung nehmen will. Dieses dem Kläger vorgeworfene Verhalten kann danach nicht mehr wichtiger Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB sein.

46

Auch ein - vom Kläger bestrittenes - Verlassen des Arbeitsplatzes in der Nachtschicht vom 13./.14. Mai 2015 hat die Beklagte mit einem Schreiben vom 15. Mai 2015 abgemahnt und für den Wiederholungsfall die Einleitung kündigungsrechtlicher Schritte angekündigt.

47

Schließlich hat die Beklagte auch die Nichtbefolgung von Anweisung betreffend das Aussortieren von Ausschussprodukten im Zeitraum vom 17. April bis 2. Mai 2015 sowie betreffend die Lagerung der 10er Pfosten zum Abkühlen auf einer Vorrichtung, die nicht ordnungsgemäße Übergabe der Anlagen beim Schichtwechsel, die Weigerung, eigeninitiativ Störungen zu beheben oder auf die Qualität der Produkte einzuwirken, mit Schreiben vom 13. Mai 2015 abgemahnt.

c)

48

Ein wichtiger Grund liegt auch nicht in weiteren Gründen, die zu den abgemahnten hinzugetreten sind und daher vom Kündigungsverzicht nicht umfasst sind. Soweit die Beklagte vorgetragen hat, aufgrund dieses Verhaltens habe kein Kollege noch mit dem Kläger zusammenarbeiten wollen, bei jeder Schichtübergabe habe es Probleme mit den Kollegen der übernehmenden Schicht gegeben, die Mitarbeiter T. und R. hätten ihm sogar absichtliche Manipulationen vorgeworfen, er habe sich daraufhin lachend vor seine Kollegen gestellt und alles abgewiegelt, ist der Vortrag der Beklagten nicht ausreichend substantiiert und einlassungsfähig. Das gilt auch für ihren Vortrag, der Produktionsleiter Y. habe sich noch mehrfach bemüht, auf den Kläger einzuwirken und ihm noch eine Chance zu geben, seine Fehler zu beheben und mangelhafte Arbeiten zu beseitigen.

d)

49

Lediglich hinsichtlich des 5. Juli 2015 hat die Beklagte zweitinstanzlich vorgetragen, der Kläger habe schlechte Pfosten wiederholt auf der Gutpalette gelagert. Er sei der Anweisung seines Vorgesetzten X., diese auszusortieren und seinen Arbeitsplatz zu reinigen, nicht nachgekommen und habe auch die nochmalige Chance, dies am 8. Juli 2015 nachzuholen, nicht wahrgenommen. Der Kläger hat diesen Vortrag der Beklagten nur pauschal bestritten. Zu diesen von der Beklagten vorgetragenen Vorfällen am 5. bzw. 8. Juli 2015 hat er nicht im Einzelnen Stellung genommen.

3.

50

Die fristlose Kündigung ist nach Auffassung der Kammer bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten des Klägers hätte jedenfalls die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung ausgereicht.

51

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können - je nach Lage des Falls - Bedeutung gewinnen. Sie sind jedenfalls bei der Interessenabwägung nicht generell ausgeschlossen und können zu berücksichtigen sein (BAG, Urteil vom 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - NZA 2013, 425, 428 Rz. 38 m. w. N.). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (BAG, Urteil vom 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - NZA 2015, 294, 296 Rz. 21; vom 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - NZA 2010, 1227, 1229 Rz. 34, jeweils m. w. N.).

52

Gemessen hieran war es der Beklagten zuzumuten, das Arbeitsverhältnis bis zum 30. September 2015 fortzusetzen. Zwar ist zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass der Kläger erst wenige Wochen vor dem Vorfall drei Mal schriftlich abgemahnt worden ist. Gegen diese Abmahnungen ist er vor dem 10. Juli 2015 nicht vorgegangen, im vorliegenden Rechtsstreit hat er die den Abmahnungen zugrunde liegenden Vorwürfe lediglich pauschal bestritten und sich mit ihnen nicht im Einzelnen auseinandergesetzt. Zu Gunsten der Beklagten hat die Kammer weiter berücksichtigt, dass der Kläger sich offen den Anweisungen des Geschäftsführers Z. widersetzt hat, sich auch von dem Anruf bei der Polizei nicht beeindrucken ließ und dies zu einem Ansehensverlust des Geschäftsführers vor der Belegschaft geführt haben könnte.

53

Dennoch überwiegen letztlich die zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigenden Umstände. Der gegenüber einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war im Kündigungszeitpunkt acht Jahre im Betrieb beschäftigt, zunächst als Leiharbeitnehmer. Abmahnungen wurden dem Kläger erst Mitte Mai 2015 ausgesprochen.

54

Die von der Beklagten vorgetragene Weigerung des Klägers, am 5. bzw. am 8. Juli 2015 seinen Arbeitsplatz zu säubern, war für sich betrachtet, nicht so schwerwiegend, so dass insoweit das mildere Mittel der ordentlichen Kündigung als Sanktion ausgereicht hätte. Auch die Beklagte hat im Laufe des Prozesses zu erkennen gegeben, dass ihr aufgrund dieses Verhaltens allein die Weiterbeschäftigung des Klägers nicht unzumutbar geworden ist. So hat sie ausgeführt, sie habe den Kläger aufgrund dieser Weigerung nicht unwiderruflich, sondern nur widerruflich freistellen wollen. Es habe für den Fall, dass es zu erheblichen Erkrankungen oder Urlaubsfällen oder zusätzlichen Aufträgen gekommen wäre, die Möglichkeit gegeben sein sollen, den Kläger auch während der Freistellung einzusetzen.

55

Aber auch in der Zusammenschau dieser Weigerung mit der Auseinandersetzung am 10. Juli 2015 überwiegen nach Ansicht der Kammer die zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigenden Umstände. Der Kläger hat im Rahmen dieser Auseinandersetzung eine schriftliche Erklärung verlangt und erklärt, bis zum Montag, das heißt dem Tag, für den die Beklagte die schriftliche Kündigung und die Freistellung des Klägers in Aussicht gestellt hatte, im Betrieb zu bleiben. Damit hat er nach Auffassung der Kammer zu erkennen gegeben, dass er sich nicht grundsätzlich gegen den Geschäftsführer auflehnen wollte, sondern dass er sich lediglich in der konkreten Streitsituation absichern wollte. Dabei hat die Kammer auch berücksichtigt, dass die eingesetzten Polizeibeamten ausweislich des Schreibens des Polizeipräsidiums P. - Polizeiwache V. - an die Klägervertreter vom 18. Juli 2015 (Bl. 81 d. A.) notiert haben, dass sich im Gespräch mit ihnen herausgestellt habe, dass der Mitarbeiter davon ausging, dass es besser für ihn sei, dass er solange in der Firma arbeitet, bis er eine schriftliche Kündigung erhält und er aus diesem Grund das Firmengelände nicht verlassen wollte. Nach diesem von der Polizei erfassten Eintrag hat der Kläger im Beisein der Polizisten nach detaillierter Schilderung der Rechtslage (Hausrecht, möglicher § 123 StGB usw.) seinen Spind leer geräumt, die Schlüssel und Ausweise abgegeben und schließlich im Beisein der Polizisten das Gelände verlassen.

56

Zu berücksichtigen ist auch, dass der Kläger an zwei aufeinanderfolgenden Tagen Gesprächen mit dem Ziel einer Auflösung seines Arbeitsverhältnisses ausgesetzt war. Er sah sich hierbei nicht nur dem Geschäftsführer Herrn Z., sondern am 9. Juli 2015 auch dem Produktionsleiter Herrn Y., dem Schichtführer Herrn X. und dem stellvertretenden Schichtleiter Herrn W. gegenüber. Auch am 10. Juli 2015 nahmen neben dem Geschäftsführer weitere Vertreter der Beklagten an dem Gespräch teil. Auf Seiten des Klägers war dagegen kein Zeuge bei den Gesprächen anwesend, ein Betriebsrat ist bei der Beklagten nicht gebildet. Erst kurz zuvor war der Kläger wegen unerlaubten Entfernens vom Arbeitsplatz abgemahnt worden, so dass nachvollziehbar ist, dass er sich einem solchen Vorwurf nicht erneut aussetzen und - vor dem Hintergrund der von der Beklagten angestrebten Auflösung des Arbeitsverhältnisses - einen Kündigungsgrund schaffen wollte. Hinzukommt, dass die Beklagte sich selbst nach ihrem eigenen Vortrag nicht klar hinsichtlich der Freistellung und beabsichtigten Kündigung geäußert hat. So hat die Beklagte nicht direkt gekündigt und freigestellt, sondern nur eine solche für Montag in Aussicht gestellt, obwohl der Geschäftsführer Z. der Beklagten selbst anwesend war und bei der Beklagten kein Betriebsrat gebildet ist, der hätte angehört werden müssen. Wie die Beklagte im Prozess betont hat, sollte auch keine unwiderrufliche, sondern nur eine widerrufliche Freistellung erfolgen. Seitens der Beklagten wurde auch ersichtlich nicht der Versuch unternommen, den Kläger durch eine schriftliche Erklärung (Kündigung, Freistellung oder Hausverbot) zum Verlassen des Geländes zu bewegen und hierdurch die Situation vor dem Hinzuziehen der Polizei zu klären. Das Verhalten des Klägers erscheint unter diesen Umständen in einem deutlich milderen Licht.

II.

57

Auch eine hilfsweise erklärte außerordentliche Kündigung vom 5. August 2015 hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht mit sofortiger Wirkung beendet. Auch insoweit ergibt die abschließend vorzunehmende Interessenabwägung ein Überwiegen des Interesses des Klägers an der Fortführung des Arbeitsverhältnisses zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist gegenüber demjenigen der Beklagten an dessen sofortiger Beendigung. Insoweit ist auch die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt.

C.

58

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

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(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt. (2) Die Berufung kann nur eingelegt werden, a) wenn sie in dem Urtei

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Tenor 1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

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(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 03. Dezember 2014 - 6 Ca 4819/13 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung und über eine Zeugnisberichtigung.

2

Die 1966 geborene, ledige Klägerin war beim Beklagten aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 29. Juli 2013 (im Folgenden: AV), wegen dessen Einzelheiten auf Bl. 26 ff. d. A. verwiesen wird, ab 1. November 2013 als Steuerberaterin und vereidigte Buchprüferin zu einem Bruttomonatsverdienst von 4.100 EUR beschäftigt. Der Beklagte ist - wie ua. sein Sohn, Rechtsanwalt und Steuerberater Marc R. C. - Partner der C. + Partner Steuerberater-Rechtsanwalt-Partner-gesellschaft, die sich die Räumlichkeiten mit der Einzelpraxis des Beklagten teilt und der der Beklagte auch zuarbeitet. Die Klägerin war während des Beschäftigungsverhältnisses auch für die C. + Partner Steuerberater-Rechtsanwalt-Partnergesellschaft tätig und unterlag Weisungen von deren Partnern.

3

Mit Schreiben vom 5. Dezember 2013 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit ordentlich zum 31. Januar 2014 und führte zur Begründung an, die Klägerin benötige für von ihr zu verrichtende Tätigkeiten zuviel Zeit. Nach Erhalt der Kündigung erklärte die Klägerin mit an den Beklagten gerichtetem Schreiben vom 7. Dezember 2013 unter Bezugnahme auf die Kündigung, sie werde weder auf seinen unseriösen Vortrag und die dargelegten Halbwahrheiten, noch darauf weiter eingehen, dass dem Beklagten als Einzelpraxis die im Kündigungsschreiben verwandte Wir-Form nicht zustehe. Sie teilte dem Beklagten weiter ua. mit, Überstunden künftig nur nach Vorankündigung und bei Festlegung des zeitlichen Rahmens leisten zu wollen und bat ihn unter Hinweis darauf, dass ihr privates Laptop lediglich 30 Sekunden zum Herunterfahren brauche, endlich die seit Arbeitsbeginn bestehende Langsamkeit des Arbeitslaptops von 10-15 Minuten beheben zu lassen.

4

Am 9. Dezember 2013 fragte der Sohn des Beklagten unter Hinweis auf ein bestehendes Weisungsrecht bei der Klägerin per E-Mail an, wann mit der Fertigstellung zweier von der Klägerin zu bearbeitender Vorgänge zu rechnen sei. Die Klägerin antwortete per E-Mail, Termine könne Sie ihm nicht nennen, sie werde jedoch an den mitgeteilten Planungspunkten weiterarbeiten, um die Unterlagen baldmöglichst zur Verfügung stellen zu können. Gegen Ende lautet die E-Mail wie folgt:

5

„P.S.: Kleiner Hinweis am Rande: Bei Berufsträgern (Verhältnis vBP zu StB/RA, etc.) ist hinsichtlich des Weisungsrechts das Berufsrecht maßgebend. Die Wirtschaftsprüferkammer in Berlin erteilt gerne nähere Auskünfte.“

6

Mit E-Mail vom 11. Dezember 2013 erinnerte die Klägerin den Beklagten an ihren für den 13. Dezember gestellten Urlaubsantrag zum Besuch der Arbeitsagentur unter gleichzeitigem Hinweis, dass der Beklagte als Arbeitgeber alleinig den Umstand ihrer baldigen Arbeitslosigkeit zu vertreten habe. Im von der Klägerin zu führenden Tagesprotokoll zur Zeiterfassung nahm sie im Hinblick auf eine zu diesem Punkt geführte Unterredung der Parteien die Formulierung „peinliche Befragung durch den Beklagten“ auf.

7

Am 12. Dezember 2013 bemängelte der Sohn des Beklagten, die Vorgehensweise der Klägerin hinsichtlich der Erstellung angewiesener Ausdrucke widerspreche der im Haus bestehenden Organisation. Die Klägerin antwortete per E-Mail, dass die von ihr dargelegte Ablauforganisation berufsüblichen Standards entspreche, wie sie sie in renommierten Wirtschaftsprüfergesellschaften kennengelernt habe.

8

Am selben Tag gegen Mittag gerieten der Beklagte und die Klägerin am Arbeitsplatz der Klägerin über deren Arbeitsleistung und das von ihr dabei gezeigte Verhalten erneut in Streit. Der Beklagte forderte die Klägerin im Laufe der Auseinandersetzung auf, umgehend das Büro zu verlassen. Die Klägerin weigerte sich und erklärte, dass sie ihre Arbeitsleistung erbringen müsse. Daraufhin erteilte der Beklagte der Klägerin ein Hausverbot. Auch danach verließ die Klägerin das Büro nicht, sondern forderte den Beklagten auf, ihr das schriftlich zu geben. Der Beklagte wiederholte seine Aufforderung unter Androhung der Zuhilfenahme der Polizei und bekräftigte das Hausverbot. Die Klägerin beharrte auf ihrem Standpunkt und forderte erneut eine schriftliche Erklärung. Daraufhin öffnete der Beklagte die Bürotür und rief seiner Sekretärin zu, dass sie die Polizei anrufen solle, da eine Mitarbeiterin sich weigere zu gehen. Der hinzugekommene Sohn des Beklagten forderte die Klägerin sodann ebenfalls mehrfach zum Gehen auf. Auch ihm gegenüber beharrte die Klägerin auf ihrer Ansicht, sie könne nicht einfach ihren Arbeitsplatz während der Arbeitszeit verlassen und benötige etwas Schriftliches. Als schließlich der Sohn des Beklagten hierauf antwortete, dass sie mit sofortiger Wirkung unter Fortzahlung der Bezüge von der Erbringung der Arbeitsleistung bis zum 31. Januar 2014 freigestellt sei, packte die Klägerin ihre persönlichen Sachen und bat nochmals um eine schriftliche Bestätigung. Diese wurde ihr vom Sohn des Beklagten zugesagt. Daraufhin bestellte die Sekretärin des Beklagten die Polizei ab und die Klägerin händigte vor Verlassen des Büros ihre Büroschlüssel gegen Quittung aus.

9

Mit Schreiben vom 12. Dezember 2013, das der Klägerin am 20. Dezember 2013 zuging, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich.

10

Die Klägerin hat am 30. Dezember 2013 beim Arbeitsgericht Koblenz Kündigungsschutzklage erhoben. Nachdem sie am 06. Februar 2014 die Erteilung eines einfachen Arbeitszeugnisses angemahnt hatte, erteilte der Beklagte ihr unter dem Datum des 12. März 2014 - nicht auf seinem vollständigen Briefbogen - ein Arbeitszeugnis folgenden Inhaltes:

11

„Frau A., A-Straße, A-Stadt, war bei mir in der Zeit vom 01. November 2013 bis zum 12. Dezember 2013 als Steuerberaterin und vereidigte Buchprüferin beschäftigt.

12

Für Ihren weiteren Berufs- und Lebensweg wünsche ich Frau A. alles Gute und weiterhin viel Erfolg.

13

C-Stadt, den 12. März 2014

14

C.
Steuerberater
Vereidigter Buchprüfer“

15

Die Klägerin, die mit dem Zeugnis nicht einverstanden ist, hat ihre Klage am 20. Juni 2014 um einen Zeugnisberichtigungsantrag erweitert.

16

Die Klägerin hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, sie habe sich weder im Vorfeld, noch anlässlich des Vorfalls vom 12. Dezember 2013 etwas zu Schulden kommen lassen, was eine außerordentliche Kündigung rechtfertige. Sie sei über das wutentbrannte Verhalten des Beklagten am 12. Dezember 2013, der behauptet habe, sie wolle bestimmen, wo es lang gehe und mit erhobenem Arm „Raus!! Raus!!“ gebrüllt habe, erschüttert gewesen, dennoch ruhig und sachlich geblieben und habe auf ihrem Standpunkt bestanden, etwas Schriftliches zu benötigen, um - da nach ihrer Wahrnehmung zumindest anfangs niemand weiteres im Büro gewesen sei - nicht später dem unberechtigten Vorwurf der Arbeitsverweigerung ausgesetzt zu sein. Das erteilte Zeugnis sei zu berichtigen, insbesondere müssten ihre in den diesbezüglichen Klageanträgen genannten Arbeiten Erwähnung finden.

17

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

18

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 12. Dezember 2013 aufgelöst worden ist,

19

2. den Beklagten zu verurteilen, dass der Klägerin unter dem Datum des 12. März 2014 erteilte Arbeitszeugnis wie folgt zu ändern:

20

- Das Zeugnis ist auf dem vollständigem Briefbogen des Beklagten unter Angabe der Adresse sowie der sonstigen Kontaktdaten zu erteilen;
- das Beendigungsdatum des Arbeitsverhältnisses ist auf den 31. Januar 2014 zu ändern;
- Zwischen dem ersten und dem zweiten Absatz ist folgender Absatz einzufügen:
Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit lag in der Steuerberatungsabteilung von C. & Partner StB RA mit der Aufstellung von Jahresabschlüssen von GmbH&Co.KG und GmbH und der Erstellung nebst Ausarbeitung von Steuererklärungen für diese Rechtsformen.
- Das Ausstellungsdatum ist auf den 6. Februar 2014 zu datieren.

21

Der Beklagte hat beantragt,

22

die Klage abzuweisen.

23

Er hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, die außerordentliche Kündigung sei gerechtfertigt, weil die Klägerin sich in der ihr eigenen Art uneinsichtig gezeigt und gegen das mehrfach ausgesprochene Hausverbot verstoßen habe. Sie habe es generell als lästig empfunden, Weisungen entgegenzunehmen. Daran ändere auch die durch seinen Sohn erfolgte Freistellung nichts, weil die Freistellung zur Erbringung der Arbeitsleistung und der Hausfriedensbruch unterschiedliche Voraussetzungen hätten und die Freistellung eine fristlose Kündigung allenfalls im Falle eines Verzichts auf die Abmahnung eines Hausfriedensbruchs „verbrauchen“ könne. Ihm sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin nicht zumutbar gewesen, da sie ihn mit ihrem Verhalten im Betrieb habe bloß stellen wollen, beleidigend gewesen sei und jeden Respekt habe vermissen lassen. Der Zeugnisberichtigungsantrag werde anerkannt, soweit es um die Erteilung des Zeugnisses auf seinem Briefbogen gehe.

24

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 03. Dezember 2014 der Kündigungsschutzklage und dem Zeugnisberichtigungsantrag weitgehend stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die außerordentliche Kündigung sei nicht gerechtfertigt. Die Nichtbefolgung einer wiederholten Aufforderung des Arbeitgebers, das Büro zu verlassen, stelle zwar eine schwerwiegende Pflichtverletzung dar, die an sich grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könne, die Kündigung halte jedoch nach Berücksichtigung der Einzelfallumstände einer Wirksamkeitsprüfung nicht stand. Die Klägerin habe sich in dem offen kommunizierten Irrtum befunden, im Hinblick auf die grundsätzliche Arbeitsverpflichtung etwas Schriftliches zu benötigen (was der Beklagte leicht habe erfüllen können) und sich nicht grundsätzlich der Weisung, das Büro zu verlassen, widersetzen wollen. Ihr Verhalten sei zwar nicht rechtlich entschuldbar, jedoch deutlich weniger schwerwiegend, als wenn sie mit ihrem Verweilen rechtswidrige oder völlig haltlose Ziele verfolgt hätte. Schließlich habe sie auch ohne Eingreifen der Polizei das Büro verlassen. Zudem hätte es einer Abmahnung bedurft, zumal der Sohn des Beklagten die Klägerin unwidersprochen bis Ende Januar 2014 freigestellt habe, so dass die Klägerin habe davon ausgehen dürfen, dass ihr keine weitergehenden rechtlichen Konsequenzen mehr drohen würden. Das Verhalten der Klägerin nach Ausspruch der ordentlichen Kündigung könne die fristlose Kündigung nicht rechtfertigen, weil der Beklagte selbst im Kündigungsschreiben vom 12. Dezember 2013 zu erkennen gegeben habe, bis zu dem Vorfall an diesem Tag nur die Freistellung beabsichtigt zu haben. Die Klägerin habe auch einen Anspruch auf Zeugnisberichtigung im ausgeurteilten Umfang; der weitergehenden Formulierung des Tätigkeitsinhalts wie beantragt bedürfe es allerdings nicht; sie könne auch keine Rückdatierung des Zeugnisses verlangen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf Bl. 168 bis 172 d. A. Bezug genommen.

25

Der Beklagte hat gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 16. Januar 2015 zugestellte Urteil mit am 02. Februar 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt und diese innerhalb verlängerter Frist mit Schriftsatz vom 16. April 2015, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, begründet.

26

Der Beklagte macht zweitinstanzlich nach Maßgabe seiner Berufungsbegründungsschrift (Bl. 199 ff. d. A.), auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird, im Wesentlichen geltend,
die fristlose Kündigung habe das Arbeitsverhältnis wirksam beendet, weil die Klägerin keinem - auch nicht vorgetragenen - Rechtsirrtum unterlegen sei, sie ihr perfides Spiel bis zum Letzten getrieben habe und erst die konkrete Drohung mit der Polizei zu ihrem Einlenken geführt habe. Der Klägerin sei mindestens zweimal Hausverbot erteilt worden, was in aller Kürze ausgesprochen werden könne und nicht schriftlich zu erteilen sei. Selbst wenn die Klägerin sich in dem Rechtsirrtum befunden haben solle, eine schriftliche Bestätigung zu benötigen, müsse sie sich fragen lassen, warum sie sich letztlich mit der mündlichen Äußerung seines Sohnes zufrieden gegeben habe, das spreche gegen einen Irrtum. Das Verhalten der Klägerin könne auch nicht isoliert ohne ihre Sticheleien, Beleidigungen und giftigen E-Mails aus den Tagen davor betrachtet werden. Auch aus einer nur das Austauschverhältnis und nicht den Bestand des Arbeitsverhältnis betreffenden Freistellung habe die Klägerin nicht schließen können, dass ihr weitere arbeitsrechtliche Konsequenzen nicht drohen, sonst könne ein Arbeitgeber bei einer Verdachtskündigung den Arbeitnehmer nicht zunächst freistellen und dann bei entsprechendem Ergebnis der Recherchen fristlos kündigen.

27

Der Beklagte beantragt,

28

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 03. Dezember 2014 - 6 Ca 4819/13, wird - soweit es der Klage stattgegeben hat - dahingehend abgeändert, dass die Klage insgesamt abgewiesen wird.

29

Die Klägerin beantragt,

30

die Berufung teilweise zu verwerfen und im Übrigen zurückzuweisen.

31

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 11. Juni 2015, wegen deren Einzelheiten auf Bl. 222 d. A. Bezug genommen wird, im Wesentlichen wie folgt,
die Berufung sei als unzulässig zu verwerfen, soweit damit eine Abweisung der Zeugnisberichtigungsklage verlangt werde, weil sich der Beklagte diesbezüglich nicht mit den Gründen der arbeitsgerichtlichen Entscheidung auseinandersetze. Die Kündigung habe das Arbeitsverhältnis nicht beendet, weil es bereits an einem wichtigen Grund an sich fehle. Sie habe sich nach der verfrühten und mit nicht erforderlicher Begründung versehenen Probezeitkündigung durch den unzutreffenden Vorwurf bezüglich ihres Arbeitstempos stigmatisiert gefühlt, sich daher besonders um Korrektheit bemüht und ihre Arbeiten trotz des Angebots eines Aufhebungsvertrages ordnungsgemäß zu Ende bringen wollen. Dass dies auf den Beklagten provozierend gewirkt haben könne, habe er nie, insbesondere nicht in Form einer Abmahnung erklärt. Sie habe in der eskalierten und für sie bedrohlichen Situation in der Mittagspause am 12. Dezember 2013 „ausgeharrt“, weil sie befürchtet habe, der Beklagte werde ihr Verlassen des Büros zum Anlass nehmen, ihr wegen unentschuldigten Fehlens fristlos zu kündigen. Den erforderlichen triftigen Grund für das Hausverbot habe es nicht gegeben und die wesentliche Vertragsbedingung der Freistellung habe der Beklagte entgegen § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 NachwG nicht schriftlich bestätigt. Jedenfalls habe sie mit dem Verlangen nach schriftlicher Bestätigung ein berechtigtes Interesse wahrgenommen. Hilfsweise sei die Kündigung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles unwirksam.

32

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes zweiter Instanz wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A

33

Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht erfolgreich.

I.

34

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 2 Buchstabe a, c ArbGG), wurde nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 16. Januar 2015 mit am gleichen Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 02. Februar 2015 form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 519 ZPO). Sie wurde innerhalb bis 16. April 2015 verlängerter Frist mit Schriftsatz vom 16. April 2015, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1, 2, 5, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 ZPO), entgegen der Auffassung der Berufungserwiderung auch im Hinblick auf den Zeugnisberichtigungsanspruch. Bezieht sich ein Rechtsmittel auf mehrere Ansprüche im prozessualen Sinn, ist zu jedem Anspruch eine ausreichende Rechtsmittelbegründung zu geben. Fehlen Ausführungen zu einem Anspruch, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig. Eine Auseinandersetzung mit der Hauptbegründung kann nur dann genügen, wenn die Begründetheit des einen Anspruchs von der des anderen abhängt (BAG 26. September 2007 - 5 AZR 870/06 - Rn. 16; 16. März 2004 - 9 AZR 323/03 - Rn. 61, jeweils zitiert nach juris). Ein derartiger Fall ist vorliegend gegeben. Zwar macht die Berufungsbegründung ausschließlich geltend, das Arbeitsverhältnis sei entgegen der Auffassung des Erstgerichts durch die außerordentliche Kündigung beendet worden und setzt sich nicht mit dem Ausspruch des Arbeitsgerichts zur Zeugnisberichtigung auseinander. Da der Beklagte jedoch ua. verurteilt wurde, das der Klägerin erteilte Zeugnis dahingehend zu korrigieren, dass das Arbeitsverhältnis erst mit dem 31. Januar 2014 - dem Ablauf der ordentlichen Probezeitkündigungsfrist - sein Ende gefunden hat, hängt die Begründetheit der Zeugnisberichtigungsklage zumindest insoweit von der Begründetheit der Kündigungsschutzklage ab. Vor diesem Hintergrund geht die Berufungskammer von einer ausreichenden Begründung der Berufung auch in Bezug auf den Anspruch der Klägerin auf Zeugnisberichtigung aus.

II.

35

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 12. Dezember 2013 das Arbeitsverhältnis nicht mit sofortiger Wirkung beendet hat und dass der Zeugnisberichtigungsanspruch der Klägerin - soweit nicht rechtskräftig abgewiesen - im ausgeurteilten Umfang besteht. Die Berufung des Beklagten unterlag insgesamt der Abweisung.

36

1. Die Kündigungsschutzklage der Klägerin ist begründet. Die außerordentliche, fristlose Kündigung des Beklagten vom 12. Dezember 2013, die die Klägerin fristgemäß nach § 4 Satz 1 KSchG angegriffen hat, hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht mit sofortiger Wirkung beendet, da es an einem außerordentlichen Kündigungsgrund iSd. § 626 Abs. 1 BGB fehlt.

37

1.1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war oder nicht (BAG 18. Dezember 2014 - 2 AZR 265/14 - Rn. 14; 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 39; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16; jeweils zitiert nach juris).

38

1.2. Ausgehend hiervon ist das Arbeitsgericht mit sorgfältiger und zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass die Kündigung des Beklagten vom 12. Dezember 2013 die Voraussetzungen nach § 626 Abs. 1 BGB nicht erfüllt. Die Berufungskammer folgt zur Vermeidung von Wiederholungen den diesbezüglichen Ausführungen des Arbeitsgerichts in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils unter I (S. 7 bis 10 = Bl. 168 bis 171 d. A.) und stellt dies ausdrücklich fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Die Angriffe der Berufung und das übrige Vorbringen der Parteien im Berufungsverfahren geben Anlass zu den nachfolgenden Erwägungen.

39

1.2.1. Entgegen der von der Berufungserwiderung vertretenen Auffassung hat die Klägerin sich - wie vom Arbeitsgericht zu Recht angenommen - durch ihr Verhalten gegenüber dem Beklagten am 12. Dezember 2013 einer erheblichen Pflichtverletzung schuldig gemacht, die einen an sich zur Begründung einer außerordentlichen Kündigung geeigneten Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellt.

40

a) Es kann dahinstehen, ob der Beklagte gegenüber der Klägerin anlässlich des Streits am 12. Dezember 2013 ein wirksames Hausverbot ausgesprochen hat.

41

aa) Das Hausrecht beruht auf dem Grundstückseigentum oder -besitz (§§ 858 ff., 903, 1004 BGB) und ermöglicht es seinem Inhaber, in der Regel frei darüber zu entscheiden, wem er den Zutritt gestattet und wem er ihn verwehrt; in ihm kommt insbesondere die - ihrerseits aus der grundrechtlichen Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) fließende - Befugnis des Eigentümers zum Ausdruck, mit der Sache grundsätzlich nach Belieben zu verfahren und andere von der Einwirkung auszuschließen (§ 903 Satz 1 BGB); darüber hinaus ist das Hausrecht Ausdruck der durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Privatautonomie, die die Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben schützt; dazu gehört, dass rechtlich erhebliche Willensentscheidungen in der Regel keiner Rechtfertigung bedürfen; das gilt in gleicher Weise für die Entscheidung, ob und in welchem Umfang einem Dritten der Zugang zu einer bestimmten Örtlichkeit gestattet wird (vgl. insgesamt BGH 09. März 2012 V ZR 115/11 Rn. 8, 10, mwN, LAG Köln 17. September 2014 - 5 Sa 292/14 -Rn. 43, jeweils zitiert nach juris). Allerdings unterliegt die Ausübung des Hausrechts Beschränkungen, wenn der Inhaber zur Gestattung des Aufenthalts vertraglich verpflichtet ist (vgl. BGH 09. März 2012 - V ZR 115/11 - Rn. 10, ArbG Stuttgart 09. Juli 2014 - 11 Ca 1767/14 - Rn. 47, jeweils zitiert nach juris). Die zivilrechtliche Bindung, durch deren Begründung der Inhaber des Hausrechts seine Interessen freiwillig - privatautonom - gestaltet hat, führt dazu, dass die Berufung auf die Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) und die unternehmerische Freiheit (Art. 12 GG) sowie die Ausübung der Eigentumsrechte (Art. 14 GG) deutlich an Gewicht verlieren; diese Grundrechte treten bei der gebotenen Abwägung hinter das Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) des von dem Hausverbot Betroffenen sowie das Diskriminierungsverbot (Art. 3 GG) zurück, da diese Regelungen insbesondere über die zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB ebenfalls mittelbar in das Zivilrecht einwirken; die Abwägung führt dazu, dass ein den Vertrag vereitelndes Hausverbot der Rechtfertigung durch besonders gewichtige Sachgründe bedarf (vgl. BGH 09. März 2012 - V ZR 115/11 - Rn. 14, aaO).

42

bb) Auch wenn man ausgehend von diesen Grundsätzen zugunsten der Klägerin annehmen wollte, dass der Beklagte für den Ausspruch des Hausverbotes am 12. Dezember 2013 gewichtiger Sachgründe bedurfte, da die Klägerin sich zu diesem Zeitpunkt im - zwar ordentlich gekündigten, aber noch - bestehenden Arbeitsverhältnis befand und sie zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung darauf angewiesen war, den Betrieb zu betreten, kann dahinstehen, ob der Streit zwischen den Parteien ein solches Ausmaß angenommen hatte, dass solche Gründe vorliegend bejaht werden können.

43

b) Die Klägerin hat sich einer erheblichen Pflichtverletzung iSd. § 626 Abs. 1 BGB bereits deshalb schuldig gemacht, weil der Beklagte jedenfalls - ohne wesentliche Änderung der wesentlichen Vertragsbedingungen insgesamt - berechtigt war, sie angesichts der Auseinandersetzung in der Mittagspause am 12. Dezember 2013, dem Tag der Auseinandersetzung der Parteien, des Büros zu verweisen. Nachdem die Parteien in nicht unerheblicher Weise persönlich in Streit geraten waren, hat der Beklagte die Arbeitsleistung der Klägerin durch seine mehrfache Aufforderung, sie solle das Büro verlassen, unmissverständlich abgelehnt, ohne dass dieser Verzicht der Schriftform bedurft hätte. Der Beklagte ist dadurch mit der Annahme der Leistung der Klägerin gemäß §§ 615 Satz 1, 293 ff. BGB in Gläubigerverzug geraten. Unabhängig davon, aus welchen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigenden Beweggründen - etwa um sich abzusichern oder zur Sicherung von Beweisen - die Klägerin trotz mehrmaliger Ablehnung durch den Beklagten ihre Arbeit am 12. Dezember 2013 trotzdem weiter erbringen wollte bzw. sie eine schriftliche Bestätigung der Anweisung verlangt hat, hat sie sich der Aufforderung des Beklagten jedenfalls nachhaltig widersetzt. Selbst wenn die Klägerin der irrigen Auffassung gewesen sein sollte, der Beklagte habe sie nicht oder zumindest nicht ohne schriftliche Bestätigung des Betriebes verweisen dürfen, stünde dies der erheblichen Pflichtverletzung nicht entgegen. Maßgebend für die Frage, ob das Verhalten des Arbeitnehmers eine beharrliche Arbeitsverweigerung und damit eine erhebliche Vertragspflichtverletzung darstellt, ist die objektive Rechtslage (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 32, zitiert nach juris). Dass die Klägerin sich in einem unverschuldeten Rechtsirrtum befunden hätte, der nur gegeben wäre, wenn die Klägerin mit einem Unterliegen in einem Rechtsstreit nicht hätte rechnen müssen (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 34, aaO), ist nicht ersichtlich.

44

1.2.2. Zutreffend hat das Arbeitsgericht auch angenommen, dass dem Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Probezeitkündigungsfrist zumutbar war.

45

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen.

46

aa) Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 21, zitiert nach juris; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15 mwN, jeweils zitiert nach juris).

47

bb) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 22; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16; aaO).

48

b) Gemessen hieran war es dem Beklagten zuzumuten, das Arbeitsverhältnis bis zum 31. Januar 2014, dem Zeitpunkt des Fristablaufs der bereits erklärten Probezeitkündigung, fortzusetzen. Zwar ist zu Gunsten des Beklagten zu berücksichtigen, dass die - noch nicht lange im Betrieb beschäftigte Klägerin - nach Ausspruch der Probezeitkündigung aus dahingestellten Gründen gegenüber dem Beklagten die Grenzen nur förmlichen Verhaltens möglicherweise überschritten hat, indem sie ihn schriftlich ua. des unseriösen Vortrags, der Äußerung von Halbwahrheiten, sowie der „peinlichen Befragung“ bezichtigte und ihn und den ihr gegenüber weisungsbefugten Sohn des Beklagten im Hinblick auf die Verwendung von Formulierungen, die Anwendung bestehenden Berufsrechts und die üblichen Abläufe in „renommierten Wirtschaftsprüfergesellschaften“ mit Belehrungen überzog. Auch wenn dieses einer Abmahnung zugängliche Verhalten der Klägerin, welches auch aus den vom Arbeitsgericht richtig festgehaltenen Gründen für sich genommen die außerordentliche Kündigung nicht begründen könnte, im Rahmen der Interessenabwägung nicht für die Klägerin spricht, überwiegen jedoch letztlich die zu ihren Gunsten zu berücksichtigenden Umstände, insbesondere im Hinblick auf den Kündigungsvorfall am 12. Dezember 2013. Die Klägerin hat - bereits vom Arbeitsgericht zutreffend herausgearbeitet - im Rahmen der Auseinandersetzung vom Beklagten die schriftliche Bestätigung über den Verzicht auf ihre Arbeitsleistung und später den Ausspruch des Hausverbots verlangt und damit deutlich zu erkennen gegeben, dass sie sich nicht unter Herabwürdigung des Beklagten notorisch weigern wollte, dessen Anweisungen nachzukommen, sondern sich lediglich in der konkreten Streitsituation - wohl auch infolge der von ihr für unzutreffend erachteten vorangegangenen Kündigungsvorwürfe - absichern wollte. Folgerichtig hat sie den Betrieb auch verlassen, nachdem der Sohn der Beklagten ihr eine schriftliche Erklärung zumindest mündlich zugesagt hatte. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang weiter die Tatsache, dass der Sohn des Beklagten die Klägerin zuvor zuletzt mit sofortiger Wirkung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unter Fortzahlung ihrer Vergütung von ihrer Arbeitsleistung freigestellt hat, ohne dass der Beklagte diesen in seinem Namen abgegebenen Erklärungen entgegengetreten wäre, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Probezeitkündigungsfrist dem Beklagten unzumutbar war. Nachdem es im gesamten vorherigen Streit ausschließlich darum gegangen war, dass die Klägerin den Betrieb nur bei einer schriftlichen Bestätigung des Verzichts auf ihre Arbeitsleistung bzw. des Hausverbots verlassen wollte, konnten die Äußerungen des Sohnes des Beklagten nur so verstanden werden, dass damit die Auseinandersetzung beendet und das Arbeitsverhältnis bis zu seiner Beendigung - am 31. Januar 2014 - befriedet werden sollte. Der von der Berufung gezogene Vergleich mit einer zunächst erfolgten Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung und einer nachfolgenden Verdachtskündigung nach entsprechendem Rechercheergebnis verfängt mangels vergleichbarer Situation nicht. Während im Falle der Erhärtung eines Verdachtes neue Tatsachen im Vergleich zur Situation bei der vorangegangenen Freistellung hinzutreten, sind vorliegend neue Gründe, die eine Kündigung stützen können, gerade nicht ersichtlich, sondern der Beklagte stützt die Kündigung auf den Vorfall, auf den arbeitgeberseits am 12. Dezember 2013 mit einer Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung bei gleichzeitiger Rückgabe des Betriebsschlüssels reagiert werden sollte. Es kann dahinstehen, ob in der erfolgten Freistellung bereits ein Verzicht auf ein Kündigungsrecht insgesamt zu sehen sein könnte, der eindeutig sein muss, um ein entsprechendes Vertrauen des Arbeitnehmers zu rechtfertigen (vgl. zur Abmahnung: BAG 02. Februar 2006 - 2 AZR 222/05 - Rn. 22, auch: 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 11, jeweils zitiert nach juris). Jedenfalls lässt die Freistellungserklärung unter Fortzahlung der Vergütung erkennen, dass der Beklagte sich trotz des Vorfalls vom 12. Dezember 2013 in der Lage sah, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin auf diese Weise bis zum 31. Januar 2014 fortzusetzen.

49

2. Der Zeugnisberichtigungsantrag der Klägerin ist - soweit noch Gegenstand des Berufungsverfahrens - begründet (§ 109 Abs. 1 Satz 1 GewO). Zur Vermeidung von Wiederholungen macht sich die Berufungskammer die diesbezüglichen zutreffenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils unter II (S. 10 f. des Urteils = Bl. 171 f. d. A.) vollumfänglich zu eigen und stellt dies ausdrücklich fest (§ 69 Abs. 1 ArbGG). Die Berufung hat über den im Wege der Kündigungsschutzklage streitigen Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses hinaus Einwendungen gegen die erstinstanzliche Entscheidung zur Zeugnisberichtigung nicht erhoben.

B

50

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

51

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. Februar 2012 - 4 Sa 1112/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen sowie einer hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.

2

Die Klägerin war bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin seit dem 1. Januar 2006, zuletzt am Standort Essen, als außertarifliche Mitarbeiterin zu einem Jahresgehalt von ca. 95.000,00 Euro brutto beschäftigt. Gemäß Ziff. 1 des Arbeitsvertrags war ihr die Tätigkeit einer Referentin in der Organisationseinheit „Gas Strategy / Market Analysis“ übertragen. Nach Ziff. 2 Abs. 5 des Vertrags war sie verpflichtet, „auch außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit tätig zu werden“.

3

Im Betrieb der Beklagten besteht eine „Betriebsvereinbarung 2009 zur Erfassung und Regelung der Arbeitszeit“ vom 31. März 2009. Dort heißt es:

        

㤠1 Geltungsbereich

        

Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Mitarbeiter (Tarif- und AT-Mitarbeiter) der Gesellschaft am Standort Essen mit Ausnahme der Leitenden Angestellten gemäß § 5 Absatz 3, 4 BetrVG sowie Auszubildenden, Werkstudenten, Praktikanten und Diplomanden.

        

§ 2 Arbeitszeit / Arbeitszeitrahmen / Servicezeit

        

1.    

Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für Tarifangestellte bestimmt sich nach dem jeweils geltenden Tarifvertrag (z. Zt.: Manteltarifvertrag Tarifgruppe RWE) und beträgt derzeit 38 Stunden für Vollzeitmitarbeiter. …

        

2.    

Die Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit erfolgt in der Regel auf die Wochentage Montag bis Freitag jeweils zwischen 6.00 Uhr und 20.00 Uhr. Die Mitarbeiter können die Lage der Arbeitszeit innerhalb dieses Rahmens unter Berücksichtigung der betrieblichen Erfordernisse und der Servicezeit gemäß nachfolgender Ziffer 3 in Abstimmung mit dem Vorgesetzten frei wählen.

        

…       

        
        

§ 5 Gleitzeit

        

1.    

Für jeden Mitarbeiter wird ein Gleitzeitkonto eingerichtet und geführt. Davon ausgenommen sind nur AT-Mitarbeiter, die gemäß Ziffer II. 2., 3. und 5. der Bonus-Betriebsvereinbarung vom 12. Februar 2008 in Verbindung mit Anlage 2 zur Bonus-Betriebsvereinbarung der Vergütungsgruppe „Commercial“ angehören. Für diese AT-Mitarbeiter wird kein Gleitzeitkonto geführt und kein Arbeitszeitsaldo gebildet; die Arbeitszeiten werden lediglich dokumentiert.

                 

…“    

4

Mit E-Mail vom 8. Oktober 2010 forderte die Beklagte die Klägerin auf, mindestens 7,6 Stunden täglich zu arbeiten. Am 15. Oktober 2010 wiederholte sie diese Aufforderung und bat die Klägerin um Mitteilung, wie sie ein dokumentiertes Arbeitszeitdefizit auszugleichen gedenke. Die Klägerin reagierte darauf nicht. Das Defizit betrug am 8. November 2010 - berechnet auf der Basis einer 38-Stunden-Woche - 686,44 Stunden. Mit Schreiben vom 10. November 2010 verlangte die Beklagte von der Klägerin, eine Wochenarbeitszeit von 38 Stunden einzuhalten. Sie wies zudem darauf hin, dass sie beginnend mit dem Monat November 2010 einen Teil des Gehalts einbehalten werde.

5

Am 7. Januar 2011 erhob die Klägerin Klage auf Feststellung, dass sie vertraglich nicht zur Ableistung einer 38-Stunden-Woche verpflichtet sei, und machte in jenem Verfahren zugleich die seitens der Beklagten einbehaltenen Gehaltsbeträge geltend. Das Verfahren ist durch - klageabweisendes - Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Mai 2013 (- 10 AZR 325/12 -) rechtskräftig abgeschlossen.

6

Am 11. Januar 2011 erhielt die Klägerin mehrere schriftliche Abmahnungen bezogen auf folgende Sachverhalte:

        

-       

unentschuldigtes Fehlen am 12. November 2010,

        

-       

in der 46. KW 2010 nur 21,99 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 47. KW 2010 nur 20,55 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 48. KW 2010 nur 10,70 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 49. KW 2010 nur 8,18 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 50. KW 2010 nur 3,07 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 52. KW 2010 nur 2,20 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 1. KW 2011 nur 3,18 Stunden gearbeitet,

        

-       

unentschuldigtes Fehlen an 13 im Einzelnen aufgeführten Tagen.

7

Am 20. Januar 2011 beantragte die Klägerin Urlaub für die Zeit bis zum 31. Januar 2011 wegen eines Trauerfalls. Dieser wurde ihr gewährt. Einen am 28. Januar 2011 eingereichten Urlaubsantrag für weitere 14 Tage lehnte die Beklagte ab. Die Klägerin erschien am 1. Februar 2011 von 14.52 bis 17.23 Uhr zur Arbeit, obwohl - wie ihr bekannt - bereits für 13.00 Uhr eine Besprechung mit ihrem Vorgesetzten wegen einer Zielvereinbarung anberaumt worden war. Am 2. Februar 2011 nahm sie ihre Arbeit um 13.17 Uhr auf und ging nach 3,63 Stunden. Am 3. Februar 2011 war sie 3,52 Stunden, am 4. Februar 2011 2,9 Stunden und am 7. Februar 2011 3,77 Stunden am Arbeitsplatz anwesend. Am 8. Februar 2011 erschien sie nicht zur Arbeit.

8

Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 16. Februar 2011 außerordentlich fristlos, mit Schreiben vom 22. Februar 2011 „hilfsweise ordentlich fristgerecht zum 30. September 2011“.

9

Mit ihrer rechtzeitig erhobenen Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigungen geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte beschäftige die außertariflichen Mitarbeiter nicht nach Maßgabe einer konkreten Wochenarbeitszeit, sondern erwarte von ihnen - im Rahmen einer Vertrauensarbeitszeit ohne Anwesenheitsverpflichtung - lediglich bestimmte Arbeitsergebnisse. Erst recht bestehe keine Verpflichtung, täglich mindestens 7,6 Stunden zu arbeiten. Die im Anstellungsvertrag getroffenen Regelungen seien unklar. Die Beklagte habe auch in der Vergangenheit nicht die Ableistung einer bestimmten Arbeitszeit verlangt.

10

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 16. Februar 2011 noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2011 aufgelöst worden ist.

11

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, aufzulösen. Sie hat gemeint, die Weiterbeschäftigung der Klägerin sei ihr nicht mehr zumutbar gewesen. Diese sei ihrer sowohl nach dem Arbeitsvertrag als auch nach der Betriebsvereinbarung 2009 bestehenden Verpflichtung, eine wöchentliche Arbeitszeit von 38 Stunden einzuhalten, bewusst nicht nachgekommen.

12

Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.

13

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision ist unbegründet.

15

I. Die Revision ist zulässig. Sie ist rechtzeitig eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.

16

1. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss die Revisionsbegründung den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Daher muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Dies erfordert die genaue Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (st. Rspr., zB BAG 27. September 2012 - 2 AZR 811/11 - Rn. 12; 16. November 2011 - 4 AZR 234/10 - Rn. 15).

17

2. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Die Klägerin wendet sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, sie sei vertraglich zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung am vereinbarten Dienstort im Umfang von 38 Stunden in der Woche verpflichtet gewesen. Sie legt ausführlich dar, weshalb die im Berufungsurteil vorgenommene Auslegung rechtsfehlerhaft sein soll. Die Sachrüge wäre im Falle ihrer Begründetheit geeignet, die angefochtene Entscheidung insgesamt zu Fall zu bringen. Das reicht als Revisionsangriff aus.

18

II. Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die außerordentliche Kündigung vom 16. Februar 2011 ist aus einem wichtigen Grund iSv. § 626 BGB gerechtfertigt.

19

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 14; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 21). Einen in diesem Sinne die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellt ua. die beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers dar, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (vgl. BAG 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 22; 5. April 2001 - 2 AZR 580/99 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 97, 276).

20

2. Danach ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das der Klägerin vorgeworfene Verhalten rechtfertige eine außerordentliche Kündigung, im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

21

a) Die Klägerin war vertraglich zur Erbringung einer Arbeitsleistung im Umfang von 38 Wochenstunden am vereinbarten Dienstort verpflichtet. Dies hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 15. Mai 2013 (- 10 AZR 325/12 -) rechtskräftig festgestellt. Daran ist der Senat gebunden.

22

aa) Die Rechtskraft einer in einem Vorprozess der Parteien ergangenen Entscheidung ist nicht nur bei Identität der Streitgegenstände, sondern auch dann in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten, wenn eine für den nachfolgenden Rechtsstreit entscheidungserhebliche Vorfrage im Vorprozess entschieden worden ist (BGH 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 - Rn. 9; Zöller/Vollkommer ZPO 29. Aufl. vor § 322 Rn. 22 ff.). Handelt es sich bei dem Vorprozess um eine negative Feststellungsklage, kommt einem klageabweisenden Urteil dieselbe Rechtskraftwirkung zu wie einem Urteil, das das Gegenteil dessen, was mit der negativen Feststellungsklage begehrt wird, positiv feststellt (BGH 17. März 1995 - V ZR 178/93 - zu II 1 a der Gründe; 17. Februar 1983 - III ZR 184/81 - zu III 3 c der Gründe).

23

bb) Das Bundesarbeitsgericht hat den Antrag der Klägerin festzustellen, dass sie keine arbeitsvertragliche Verpflichtung zur Ableistung einer 38-Stunden-Woche habe, rechtskräftig abgewiesen (Urteil vom 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 -). Damit steht mit präjudizieller Wirkung für den vorliegenden Rechtsstreit fest, dass die Klägerin vertraglich zur Einhaltung einer 38-Stunden-Woche (am vereinbarten Dienstort) verpflichtet war. Das gilt umso mehr, als es Ziel und Inhalt der im Vorprozess erhobenen negativen Feststellungsklage war, dem Verlangen der Beklagten auf Ableistung einer entsprechenden Arbeitszeit entgegen zu treten (vgl. dazu BGH 17. Februar 1983 - III ZR 184/81 - zu III 3 c der Gründe).

24

b) Die Klägerin hat ihre arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt, indem sie sich beharrlich geweigert hat, ihre Arbeitsleistung in diesem vertraglich geschuldeten zeitlichen Umfang zu erbringen.

25

aa) Die Klägerin hat jegliche Verpflichtung zur Ableistung eines in Zeitabschnitten bemessenen Mindestmaßes an Arbeit in Abrede gestellt. Dieses Verständnis der arbeitsvertraglichen Regelung hat sie zum einen dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie eine entsprechende negative Feststellungsklage erhoben hat. Zum anderen hat sie auch tatsächlich keine entsprechenden Arbeitsleistungen erbracht, obwohl sie dazu ausdrücklich angehalten worden war. So war sie etwa Ende 2010/Anfang 2011 trotz entgegenstehender Weisung der Beklagten, eine Arbeitszeit von 38 Stunden wöchentlich einzuhalten, über mehrere Wochen hinweg lediglich zwischen zwei und 23 Stunden im Betrieb der Beklagten anwesend.

26

bb) Ihrem Verhalten kann nicht entnommen werden, dass sie lediglich von einem ihr vermeintlich zustehenden Recht, die Lage ihrer Arbeitszeit flexibel zu gestalten, hätte Gebrauch machen wollen und dementsprechend zur Nachleistung bereit gewesen wäre (vgl. BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 - Rn. 40). Dies ergibt sich ohne Weiteres daraus, dass sie ihre Arbeitsleistung sowohl über einen langen Zeitraum hinweg als auch in einem erheblichen Umfang nicht erbracht hat. Angesichts der zeitlichen Ausmaße ist nicht erkennbar, wie eine Nachleistung - unter Beachtung der Vorgaben des ArbZG - möglich gewesen wäre. Die Klägerin hat ihrem mangelnden Willen zur Nachleistung auch dadurch Ausdruck verliehen, dass sie auf die Nachfrage der Beklagten, wie sie die aufgelaufenen Minusstunden auszugleichen gedenke, nicht reagiert hat.

27

cc) Für die kündigungsrechtliche Beurteilung kommt es nicht darauf an, ob die Weisung der Beklagten, die Klägerin möge eine wöchentliche Arbeitszeit von 38 Stunden einhalten, so zu verstehen war, dass diese nicht (mehr) von einer ihr bisher eröffneten Möglichkeit Gebrauch machen dürfe, ihre Arbeitszeit flexibel zu gestalten. Ebenso kann offen bleiben, ob eine solche Weisung individualrechtlich und kollektivrechtlich wirksam gewesen wäre (offengelassen auch in BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 - Rn. 13). Die Klägerin war unabhängig von der Lage der Arbeitszeit nicht bereit, ihre Arbeitskraft dem Umfang nach in vertragskonformer Weise anzubieten. Bereits darin liegt eine schwerwiegende Verletzung ihrer vertraglichen Pflichten.

28

dd) Die Weigerung war auch beharrlich.

29

(1) Ein Arbeitnehmer verweigert die angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachhaltig nicht leisten will (vgl. BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 54/12 - Rn. 39; 24. Februar 2011 - 2 AZR 636/09 - Rn. 15, BAGE 137, 164).

30

(2) Die Klägerin hat willentlich gegen ihre vertragliche Verpflichtung verstoßen. Selbst wenn die Beklagte in der Vergangenheit die Ableistung einer 38-Stunden-Woche nicht eingefordert haben sollte, hat sie jedenfalls ab November 2010 durch entsprechende Weisungen und die in der Folge ausgesprochenen Abmahnungen deutlich zum Ausdruck gebracht, wie sie die vertraglichen Vereinbarungen versteht und was sie von der Klägerin erwartete. Statt ihr Verhalten darauf einzustellen, hat die Klägerin - nachhaltig - darauf bestanden, jeglichen Zeitmaßes enthoben zu sein.

31

(3) Der Umstand, dass zwischen den Parteien - bezogen auf den zeitlichen Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung - Streit über die Auslegung des Arbeitsvertrags bestand, steht der Annahme einer erheblichen Pflichtverletzung nicht entgegen.

32

(a) Maßgebend für die Frage, ob das Verhalten des Arbeitnehmers eine beharrliche Arbeitsverweigerung und damit eine erhebliche Vertragspflichtverletzung darstellt, ist die objektive Rechtslage. Der Arbeitnehmer kann sich einem vertragsgemäßen Verlangen des Arbeitgebers nicht dadurch - vorläufig - entziehen, dass er ein gerichtliches Verfahren zur Klärung der umstrittenen Frage einleitet. Andernfalls würde das Weisungsrecht des Arbeitgebers - ggf. über Jahre - in nicht gerechtfertigter Weise eingeschränkt. Verweigert der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als fehlerhaft erweist.

33

(b) Auf einen unverschuldeten Rechtsirrtum kann sich die Klägerin nicht berufen. Sie musste bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt in Rechnung stellen, dass für sie die betriebsübliche Arbeitszeit - von 38 Stunden wöchentlich - galt (vgl. BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 - Rn. 16).

34

(aa) An die zu beachtenden Sorgfaltspflichten sind strenge Maßstäbe anzulegen (vgl. BAG 12. November 1992 - 8 AZR 503/91 - zu I 1 der Gründe mwN, BAGE 71, 350). Es reicht nicht aus, dass sich die betreffende Partei ihre eigene Rechtsauffassung nach sorgfältiger Prüfung und sachgemäßer Beratung gebildet hat. Unverschuldet ist ein Rechtsirrtum nur, wenn sie mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte (vgl. BGH 6. Dezember 2006 - IV ZR 34/05 - zu II 1 a aa der Gründe; 27. September 1989 - IVa ZR 156/88 -).

35

(bb) Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Klägerin musste schon mit Blick auf die im Arbeitsvertrag getroffenen Vereinbarungen damit rechnen, dass eine Arbeitsverpflichtung in einem bestimmten zeitlichen Umfang bestand. Sie war nach Ziff. 2 Abs. 5 Satz 1 des Arbeitsvertrags verpflichtet, im Rahmen ihrer Aufgabenstellung auch außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit tätig zu werden. Dies setzt bei verständiger Würdigung eine Bindung an die betriebsübliche Arbeitszeit voraus (vgl. BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 - Rn. 20, 22). Die Beklagte hatte der Klägerin überdies spätestens ab Herbst 2010 klar vor Augen geführt, wie sie die vertraglichen Abreden verstehe. Sie konnte sich mit ihrem Verlangen nach Einhaltung einer betriebsüblichen Arbeitszeit von 38 Wochenstunden sowohl auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 9. Dezember 1987 - 4 AZR 584/87 - BAGE 57, 130) als auch auf eine verbreitete Auffassung in der Literatur stützen (vgl. dazu die Nachweise bei BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 - Rn. 21). Auch „Vertrauensarbeitszeit“ und getroffene Zielvereinbarungen konnten die Klägerin nicht ernsthaft in der Annahme bestärken, sie sei einer Bindung an ein bestimmtes Zeitmaß enthoben. „Vertrauensarbeitszeit“ bedeutet grundsätzlich nur, dass der Arbeitgeber auf die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit verzichtet und darauf vertraut, der betreffende Arbeitnehmer werde seine Arbeitsverpflichtung in zeitlicher Hinsicht auch ohne Kontrolle erfüllen (so schon BAG 6. Mai 2003 - 1 ABR 13/02 - zu II 2 d cc (2) der Gründe, BAGE 106, 111; nunmehr auch BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 124/11 - Rn. 34). Dies war für die Klägerin ebenso erkennbar wie der Umstand, dass die Erreichung von Zielen nach dem Arbeitsvertrag lediglich für die Höhe ihrer variablen Vergütung relevant war. Indem sie bei einer derartigen Sach- und Rechtslage sämtliche gegen die Richtigkeit ihrer Rechtsauffassung sprechenden Gesichtspunkte sehenden Auges hintanstellte, handelte sie bewusst auf eigenes Risiko. Es kann deshalb dahinstehen, wie sich ein mangelndes Verschulden der Klägerin auf den Kündigungsgrund ausgewirkt hätte (zur Problematik vgl. BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 20, 22).

36

c) Die vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Interessen geht zu Lasten der Klägerin aus. Das gilt selbst dann, wenn zu ihren Gunsten unterstellt wird, dass die Beklagte aufgrund des vertraglichen Weisungsrechts (§ 106 Satz 1 GewO)nicht berechtigt war, ihr - der Klägerin - bei der Arbeitszeitgestaltung jegliche Flexibilität abzusprechen und die Ableistung von mindestens 7,6 Stunden arbeitstäglich zu verlangen. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass das Landesarbeitsgericht hierauf im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung entscheidend abgestellt hätte. Zum anderen stehen sämtliche relevanten Tatsachen fest. Unter dieser Voraussetzung ist es dem Senat möglich, die Interessenabwägung selbst vorzunehmen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, BAGE 134, 349).

37

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27).

38

bb) Daran gemessen war die Beklagte zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt.

39

(1) Das vertragswidrige Verhalten ist von erheblichem Gewicht. Die Klägerin hat trotz nachdrücklichen Verlangens der Beklagten, die betriebsübliche Arbeitszeit einzuhalten, kontinuierlich Arbeitsleistungen lediglich im Umfang von weit unter 38 Stunden wöchentlich erbracht. Im Kündigungszeitpunkt bestand die berechtigte Besorgnis, dass sie ihr Verhalten auch in der Zukunft fortsetzen und deshalb das Arbeitszeitdefizit, das sich bereits im November 2010 auf nahezu 700 Stunden belief, weiter anwachsen werde. Eine solche Zurückhaltung der Arbeitskraft brauchte die Beklagte nicht weiter hinzunehmen.

40

(2) Der mögliche Rechtsirrtum der Klägerin wirkt sich nicht entscheidend zu ihren Gunsten aus. Zwar kann im Rahmen der Interessenabwägung - abhängig vom Grad des Verschuldens - auch ein vermeidbarer Irrtum des Arbeitnehmers Bedeutung gewinnen (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 44; 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 4 der Gründe mwN). Die Klägerin trifft jedoch hinsichtlich eines ihr unterlaufenen Rechtsirrtums mit Blick auf die arbeitsvertraglichen Regelungen sowie die wiederholte, nachdrückliche Aufforderung seitens der Beklagten zur Einhaltung der betriebsüblichen Arbeitszeit ein nicht nur geringes Verschulden. Allein der Umstand, dass der von ihr beauftragte Rechtsanwalt sie in ihrem gegenteiligen Standpunkt bestärkt haben mag, ändert daran nichts.

41

(3) Ein milderes Mittel stand der Beklagten nicht zur Verfügung.

42

(a) Die Klägerin war im Kündigungszeitpunkt offensichtlich unter keinen Umständen bereit, eine Verpflichtung zur Einhaltung einer 38-Stunden-Woche anzuerkennen und ihre Arbeitskraft im vertraglich geschuldeten Umfang zur Verfügung zu stellen. Dies belegt der Umstand, dass sie weder auf die Weisung der Beklagten, noch auf die ihr erteilten Abmahnungen reagiert hat - ohne dass es auf deren Berechtigung in jedem Einzelfall ankäme. Die Kündigung erweist sich auch nicht mit Blick auf die Anzahl der Abmahnungen als unverhältnismäßig. Daraus konnte die Klägerin - zumal die Schreiben ihr allesamt am gleichen Tag überreicht wurden - nicht entnehmen, die Beklagte halte die beharrliche Nichteinhaltung der betriebsüblichen Arbeitszeit für nicht so schwerwiegend (zur Abschwächung der Warnfunktion einer Abmahnung vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 47; 15. November 2001 - 2 AZR 609/00 - zu II 3 b aa der Gründe, BAGE 99, 340).

43

(b) Die Beklagte war auch nicht gehalten, auf den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu verzichten und stattdessen weiterhin nur Teile der Arbeitsvergütung einzubehalten. Die Unzumutbarkeit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst für die Dauer der Kündigungsfrist ergibt sich bereits daraus, dass die Klägerin die vertragsgemäße Erbringung ihrer Hauptleistungspflicht verweigert und es der Beklagten damit unmöglich gemacht hat, mit ihrer Arbeitskraft zu planen. Abgesehen davon hätte der Einbehalt von Entgelt die Nachteile eines stetig anwachsenden Arbeitszeitdefizits allenfalls teilweise ausgeglichen. Darauf, ob und ggf. welche Arbeit aufgrund der Abwesenheit der Klägerin nicht erledigt worden ist, kommt es nicht an.

44

(4) Dem Alter der Klägerin von im Kündigungszeitpunkt 42 Jahren und ihrer Betriebszugehörigkeit von etwa fünf Jahren kommt angesichts der Beharrlichkeit sowie des Umfangs der Pflichtverletzung keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

45

3. Die Beklagte hat die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat ihre Kündigung damit begründet, die Klägerin sei nachhaltig nicht bereit, ihre Arbeitsleistung in dem vertraglich geschuldeten - nach Zeitabschnitten bemessenen - zeitlichen Umfang zu erbringen. Damit hat sie einen Dauertatbestand geltend gemacht, der sich fortlaufend neu verwirklichte (vgl. BAG 13. Mai 2004 - 2 AZR 36/04 - zu II 1 der Gründe; 18. Oktober 2000 - 2 AZR 627/99 - zu III der Gründe, BAGE 96, 65).

46

4. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung und der Auflösungsantrag fallen dem Senat nicht zur Entscheidung an.

47

III. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    Wolf    

        

    Torsten Falke    

                 

(1) Dauerschuldverhältnisse kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

(2) Besteht der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Vertrag, ist die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Für die Entbehrlichkeit der Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und für die Entbehrlichkeit einer Abmahnung findet § 323 Absatz 2 Nummer 1 und 2 entsprechende Anwendung. Die Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und eine Abmahnung sind auch entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Kündigung rechtfertigen.

(3) Der Berechtigte kann nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat.

(4) Die Berechtigung, Schadensersatz zu verlangen, wird durch die Kündigung nicht ausgeschlossen.

*

(1) Erbringt bei einem gegenseitigen Vertrag der Schuldner eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß, so kann der Gläubiger, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat, vom Vertrag zurücktreten.

(2) Die Fristsetzung ist entbehrlich, wenn

1.
der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert,
2.
der Schuldner die Leistung bis zu einem im Vertrag bestimmten Termin oder innerhalb einer im Vertrag bestimmten Frist nicht bewirkt, obwohl die termin- oder fristgerechte Leistung nach einer Mitteilung des Gläubigers an den Schuldner vor Vertragsschluss oder auf Grund anderer den Vertragsabschluss begleitenden Umstände für den Gläubiger wesentlich ist, oder
3.
im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen.

(3) Kommt nach der Art der Pflichtverletzung eine Fristsetzung nicht in Betracht, so tritt an deren Stelle eine Abmahnung.

(4) Der Gläubiger kann bereits vor dem Eintritt der Fälligkeit der Leistung zurücktreten, wenn offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden.

(5) Hat der Schuldner eine Teilleistung bewirkt, so kann der Gläubiger vom ganzen Vertrag nur zurücktreten, wenn er an der Teilleistung kein Interesse hat. Hat der Schuldner die Leistung nicht vertragsgemäß bewirkt, so kann der Gläubiger vom Vertrag nicht zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist.

(6) Der Rücktritt ist ausgeschlossen, wenn der Gläubiger für den Umstand, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist oder wenn der vom Schuldner nicht zu vertretende Umstand zu einer Zeit eintritt, zu welcher der Gläubiger im Verzug der Annahme ist.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 12. Juni 2013 - 7 Sa 1878/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.

2

Der Kläger ist bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin seit 1996 als Kfz-Mechaniker tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

3

Am 27. Juli 2012 betrat der Kläger die Sozialräume der Beklagten, um sich umzuziehen. Er traf dort auf die ihm bislang unbekannte Mitarbeiterin eines externen Reinigungsunternehmens. Bei seinem Eintreffen lehnte diese - Frau M. - in der Tür zwischen Wasch- und Umkleideraum und unterhielt sich mit zwei Kollegen des Klägers, die sich im Waschraum befanden. Dorthin begab sich auch der Kläger. Nachdem die beiden Kollegen die Räumlichkeiten verlassen hatten, führten der Kläger - während er sich Hände und Gesicht wusch - und Frau M. ein Gespräch. In dessen Verlauf stellte diese sich zunächst vor das Waschbecken und anschließend neben den Kläger. Der Kläger sagte zu ihr, sie habe einen schönen Busen und berührte sie an einer Brust. Frau M. erklärte, dass sie dies nicht wünsche. Der Kläger ließ sofort von ihr ab. Er zog sich um und verließ den Sozialraum. Frau M. arbeitete weiter. Sie schilderte den Vorfall später ihrem Arbeitgeber, der seinerseits an die Beklagte herantrat.

4

Am 31. Juli 2012 bat die Beklagte den Kläger zu einem Gespräch. Er gestand den Vorfall ein und erklärte, er habe sich eine Sekunde lang vergessen. „Die Sache“ tue ihm furchtbar leid. Er schäme sich, so etwas werde sich nicht wiederholen.

5

Mit Schreiben vom 31. Juli 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit sofortiger Wirkung.

6

In der Folge richtete der Kläger ein Entschuldigungsschreiben an Frau M. Er führte mit ihr unter Zahlung eines Schmerzensgelds einen Täter-Opfer-Ausgleich herbei. Frau M. nahm seine Entschuldigung an und versicherte, die Angelegenheit sei damit für sie erledigt. Sie habe kein Interesse mehr an einer Strafverfolgung. Das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

7

Der Kläger hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat vorgetragen, er habe - subjektiv unstreitig - den Eindruck gehabt, Frau M. habe mit ihm geflirtet. Dann sei es zu einem plötzlichen „Blackout“ gekommen und er habe sich zu dem im Rückblick unverständlichen Übergriff hinreißen lassen. So unentschuldbar sein Fehlverhalten sei, so rechtfertige es doch keine außerordentliche Kündigung. Es habe sich um einen einmaligen „Ausrutscher“ gehandelt. Eine Abmahnung sei als Reaktion der Beklagten ausreichend gewesen.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 31. Juli 2012 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe durch seine Bemerkung und die anschließende Berührung zwei eigenständige sexuelle Belästigungen begangen. Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzungen sei die fristlose Kündigung gerechtfertigt. Sie - die Beklagte - sei verpflichtet, sowohl ihr eigenes als auch das weibliche Personal des externen Unternehmens vor weiteren sexuellen Belästigungen durch den Kläger zu schützen. Dessen Entschuldigungen seien lediglich unter dem Druck der ausgesprochenen Kündigung erfolgt.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist unbegründet.

12

A. Die außerordentliche Kündigung vom 31. Juli 2012 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

13

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 39; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15, BAGE 146, 203).

14

II. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht einen „an sich“ wichtigen Grund angenommen. Der Kläger hat seine arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt. Er hat Frau M. sexuell belästigt.

15

1. Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den konkreten Umständen, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16 mwN).

16

2. Der Kläger hat Frau M. sowohl verbal als auch körperlich sexuell belästigt.

17

a) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein etwa von Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen(BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 18 mwN).

18

b) Bei der Aussage, Frau M. habe einen schönen Busen, handelte es sich nicht um ein sozialadäquates Kompliment, sondern um eine unangemessene Bemerkung sexuellen Inhalts. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen indes - entgegen der Ansicht der Revision - nicht die Annahme, der Kläger habe zum Ausdruck bringen wollen, Frau M. stelle in anzüglicher Weise ihre Reize zur Schau oder solle dies für ihn tun (zu einem solchen Fall vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 21). In der anschließenden Berührung lag ein sexuell bestimmter Eingriff in die körperliche Intimsphäre von Frau M. Sowohl die Bemerkung als auch die folgende Berührung waren objektiv unerwünscht. Dies war für den Kläger erkennbar (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 22). Unmaßgeblich ist, wie er selbst sein Verhalten zunächst eingeschätzt und empfunden haben mag und verstanden wissen wollte (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 24). Mit seinen erkennbar unerwünschten Handlungen hat der Kläger iSv. § 3 Abs. 4 AGG die Würde von Frau M. verletzt und sie zum Sexualobjekt erniedrigt.

19

III. Obschon der Kläger Frau M. sexuell belästigt hat, ist es der Beklagten zuzumuten, ihn weiter zu beschäftigen. Nach den Umständen des Streitfalls hätte eine Abmahnung als Reaktion von ihrer Seite ausgereicht.

20

1. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen.

21

a) Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15 mwN).

22

b) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16).

23

c) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird zudem durch § 12 Abs. 3 AGG konkretisiert. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen - wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung - zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen allerdings insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet iSd. Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 28 mwN).

24

d) Dem Berufungsgericht kommt bei der Prüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42 mwN).

25

2. Das Landesarbeitsgericht hat die Abwägung fehlerfrei vorgenommen. Es hat die Kündigung als unverhältnismäßig angesehen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, den Kläger vorrangig abzumahnen. Diese Würdigung liegt innerhalb des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums. Es liegen keine Umstände vor, die zu der Annahme berechtigten, selbst nach einer Abmahnung sei von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Die in Rede stehende Pflichtverletzung des Klägers wiegt auch nicht so schwer, dass eine Abmahnung aus diesem Grund entbehrlich gewesen wäre.

26

a) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass eine Abmahnung nicht deshalb verzichtbar war, weil bereits ex ante erkennbar gewesen wäre, dass eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung in Zukunft nicht zu erwarten stand.

27

aa) Es ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht unfähig sei, sein Verhalten zu ändern. Mit dem Hinweis auf einen unerklärlichen „Blackout“ wollte er ausdrücken, dass es sich bei seiner Handlungsweise um ein ihm wesensfremdes, einmaliges „Augenblicksversagen“ gehandelt habe. Es spricht nichts dafür, dass der Kläger sich noch einmal irrtümlich einbilden könnte, „angeflirtet“ zu werden, und auf eine solche Annahme erneut in vergleichbarer Weise reagieren müsste. Ersichtlich war er imstande, seine Fehleinschätzung sofort zu erkennen und entsprechend dieser Einsicht zu handeln, nämlich augenblicklich von Frau M. abzulassen.

28

bb) Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Kläger auch nicht unwillig sei, sein Verhalten zu ändern.

29

(1) Entgegen der Ansicht der Revision hat das Landesarbeitsgericht durchaus erkannt, dass es sich um eine mehraktige sexuelle Belästigung von sich steigernder Intensität gehandelt hat. Es ist allerdings angesichts des unstreitigen Geschehensablaufs von einer natürlichen Handlungseinheit ausgegangen und hat dem Kläger zugutegehalten, dass er sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt und dieses nach Erkennen seiner Fehleinschätzung sofort beendet habe. Daraus hat es den Schluss gezogen, der Kläger werde in dieser Weise künftig nicht mehr vorgehen und genauer zwischen eigenen Beobachtungen und subjektiven Schlussfolgerungen unterscheiden (vgl. dazu BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 43). Dies ist ohne Einschränkung vertretbar. Der Kläger hat nicht etwa notorisch Grenzen überschritten. Sein Verhalten ist nicht zu vergleichen mit dem des Klägers in der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 9. Juni 2011 (- 2 AZR 323/10 -). Dieser war bereits einschlägig abgemahnt und hatte einer Mitarbeiterin gleichwohl über mehrere Tage in immer neuen Varianten bei unterschiedlichsten Gelegenheiten trotz von ihm erkannter ablehnender Haltung zugesetzt und damit für diese ein Arbeitsumfeld geschaffen, in dem sie jederzeit mit weiteren entwürdigenden Anzüglichkeiten rechnen musste.

30

(2) Das Landesarbeitsgericht hat sich aufgrund der gesamten Umstände des Streitfalls die Überzeugung iSv. § 286 Abs. 1 ZPO gebildet, bereits durch eine Abmahnung werde eine Wiederholung iSv. § 12 Abs. 3 AGG „ausgeschlossen“. Es hat diese Überzeugung darauf gestützt, dass es sich um den ersten Vorfall nach langjähriger, beanstandungsfreier Beschäftigung gehandelt und der Kläger in dem Gespräch am 31. Juli 2012 sein Fehlverhalten ohne Zögern eingeräumt habe, obwohl er es aufgrund der „Vier-Augen-Situation“ im Waschraum möglicherweise erfolgreich hätte abstreiten können. Aus seiner Erklärung im Personalgespräch mit der Beklagten, der Vorfall tue ihm furchtbar leid und er schäme sich dafür, hat es den Schluss gezogen, dass der Kläger über sein Verhalten ehrlich erschrocken gewesen sei. In diese Richtung wiesen auch das Entschuldigungsschreiben und die Herbeiführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds.

31

(3) Die Revision setzt dieser vertretbaren Würdigung nur ihre eigene Bewertung entgegen. Rechtsfehler zeigt sie nicht auf. Ein solcher liegt nicht darin, dass das Landesarbeitsgericht entschuldigendes Verhalten berücksichtigt hat, das der Kläger erst auf Vorhalt der Beklagten und unter dem Eindruck einer - drohenden - Kündigung und eines - drohenden - Strafverfahrens gezeigt hat. Zwar wirkt sich „Nachtatverhalten“ vor Zugang der Kündigung unter diesen Umständen nur schwach entlastend aus (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 39). Jedoch kann es zumindest dann die Annahme fehlender Wiederholungsgefahr stützen, wenn es sich um die Fortsetzung einer zuvor gezeigten Einsicht handelt (zur Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände vgl. allgemein BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 53, BAGE 134, 349). Das Landesarbeitsgericht durfte aufgrund seines Verhaltens nach der Zurückweisung durch Frau M. davon ausgehen, dass der Kläger noch vor dem Gespräch mit der Beklagten sein Fehlverhalten und dessen Schwere erkannt und - auch ausweislich seiner späteren Bemühungen - seine „Lektion“ schon von sich aus so weit gelernt hatte, dass eine Abmahnung ihr Übriges zum Ausschluss einer Wiederholungsgefahr getan hätte.

32

b) Das Landesarbeitsgericht hat nicht ausdrücklich geprüft, ob es einer Abmahnung deshalb nicht bedurfte, weil es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelte, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar war. In der Sache hat es diese Prüfung bei der abschließenden Interessenabwägung vorgenommen. Eine eigene Beurteilung durch das Revisionsgericht ist insoweit möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und - wie hier - alle relevanten Tatsachen feststehen (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 31 mwN).

33

aa) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angeführt, dass es sich um eine einmalige Entgleisung gehandelt und der Kläger keinen Belästigungswillen gehabt habe. Er habe sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt (vgl. dazu BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 38).

34

bb) Entgegen der Annahme der Revision hat das Landesarbeitsgericht den Irrtum des Klägers nicht für unverschuldet erachtet oder gar Frau M. für diesen verantwortlich gemacht. Es hat weder den Gesprächsinhalt als verfänglich eingestuft, noch Frau M. die räumliche Annäherung vorgeworfen. Es ist nicht davon ausgegangen, dass sie ihrerseits die Privatsphäre des Klägers tangiert oder ein „Umschlagen“ der Situation provoziert habe. Das Landesarbeitsgericht durfte indes auch eine vermeidbare Fehleinschätzung zugunsten des Klägers berücksichtigen (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 44; 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 4 der Gründe).

35

c) Da eine Abmahnung schon aus diesem Grunde nicht entbehrlich war, kommt es nicht mehr darauf an, dass das Landesarbeitsgericht auch die weitere Interessenabwägung angesichts des Irrtums über die Unerwünschtheit seines Verhaltens, der langen, beanstandungsfreien Beschäftigungszeit, des Einräumens der Pflichtverletzung trotz des Fehlens von Zeugen, der Entschuldigung und der Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds rechtsfehlerfrei zugunsten des Klägers vorgenommen hat. Das Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegt nicht etwa aufgrund einer Drucksituation (vgl. dazu ErfK/Müller-Glöge 14. Aufl. § 626 BGB Rn. 185; ErfK/Oetker 14. Aufl. § 1 KSchG Rn. 142 ff.; Deinert RdA 2007, 275, 278). Es ist nicht ersichtlich, dass der Arbeitgeber von Frau M. als Auftragnehmer der Beklagten von dieser eine bestimmte Reaktion gegenüber dem Kläger gefordert hätte.

36

B. Eine Umdeutung (§ 140 BGB) in eine ordentliche Kündigung kommt nicht in Betracht. Eine solche wäre durch das Verhalten des Klägers nicht iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen (vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 38).

37

C. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. November 2011 - 12 Sa 956/11 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1957 geborene, verheiratete und vier Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 1. April 1987 bei der Beklagten als Hilfskraft im Tiefdruck beschäftigt. Sein monatliches Bruttoeinkommen betrug 3.200,00 Euro. Er war das erste Ersatzmitglied der „Alternativen Liste H“, deren ordentliches Mitglied in dem bei der Beklagten gebildeten Betriebsrat Herr H war.

3

Die Beklagte betreibt in M eine Druckerei. Beim Druckvorgang werden leicht entzündliche Lösungsmittel verwendet, die sich beim Trocknungsprozess mit Luft mischen. Ferner stellen der Papierstaub sowie die Papierprodukte Brandlasten dar. In der Vergangenheit kam es mehrfach zu Bränden mit ungeklärter Ursache. Im Betrieb der Beklagten bestand seit langem ein Rauchverbot, auf das durch entsprechende Aushänge hingewiesen wird. Zuletzt wurde es in der „Betriebsvereinbarung 1/2009 Rauchverbot und Raucherzonen“ näher geregelt, welche eine Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 1998 ersetzte. Das Rauchen war danach auf dem gesamten Betriebsgelände untersagt, sofern es nicht in bestimmten markierten Bereichen - den „Raucherzonen“ - ausdrücklich erlaubt war.

4

Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Werk der Beklagten betrug 35 Stunden, verteilt auf fünf Tage in der Regel von Montag bis Freitag. Im Bereich Tiefdruck waren pro Mitarbeiter und Jahr zusätzliche neun Samstagsschichten zulässig.

5

Die Beklagte erteilte dem Kläger mehrere Abmahnungen wegen Verstoßes gegen das betriebliche Rauchverbot. In den Abmahnungen vom 11. September 1996 und 7. Januar 2003 hieß es:

        

„Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, daß Sie im Wiederholungsfalle bei einem gleichgelagerten oder einem ähnlichen Verhalten mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen müssen.“

6

Die Abmahnungen vom 17. August 2007 und 22. September 2009 enthielten den Hinweis:

        

„Dieses Verhalten stellt eine Verletzung Ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten dar, die wir nicht akzeptieren können. Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass Sie im Wiederholungsfalle bei einem gleichgelagerten oder einem ähnlichen Verhalten mit weiteren arbeitsrechtlichen Schritten bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen müssen.“

7

Am 5. April 2011 wurde der Kläger gegen 17:30 Uhr erneut rauchend außerhalb der Raucherzone in der Halle mit der Rotationsmaschine 9 angetroffen. Am Dienstag, dem 12. April 2011 wurde er zur Betriebsratssitzung für Donnerstag, den 14. April 2011 geladen, weil Herr H an diesem Tag abwesend war.

8

Mit Schreiben vom 12. April 2011 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger an. Der Betriebsrat behandelte die Angelegenheit im Rahmen der wöchentlichen Betriebsratssitzung am 14. April 2011 ohne den Kläger. Am Vormittag des 15. April 2011 teilte die Betriebsratsvorsitzende der Geschäftsführung mit, der Betriebsrat habe beschlossen, keine Stellungnahme abzugeben. Auf eine weitere Äußerung brauche die Beklagte nicht zu warten.

9

Mit Schreiben vom 15. April 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich und fristlos. Das Schreiben wurde durch einen Boten am selben Tag um 15:10 Uhr in den Briefkasten des Klägers eingelegt.

10

Der Kläger arbeitete an diesem 15. April 2011 bis 14:00 Uhr in der Frühschicht, Herr H in der Spätschicht von 14:00 Uhr bis 22:00 Uhr. Für den folgenden Tag, einen Samstag, war der Kläger ebenfalls zur Arbeit eingeteilt, Herr H nicht. Ab Montag, dem 18. April 2011, hatte Herr H für mehrere Wochen Urlaub.

11

Der Kläger hat mit seiner Kündigungsschutzklage geltend gemacht, die Kündigung sei mangels Zustimmung des Betriebsrats unwirksam. Er sei wegen des Urlaubs von Herrn H fortlaufend dafür vorgesehen gewesen, an Betriebsratssitzungen teilzunehmen und das Amt aktiv wahrzunehmen. Ihm habe deshalb der volle Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG iVm. § 103 BetrVG zugestanden. Maßgebend seien die Verhältnisse am 12. April 2011, dem Zeitpunkt der Anhörung des Betriebsrats. Selbst wenn es auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ankomme, ergebe sich nichts anderes. Der Zugang sei nicht am Freitag, dem 15. April 2011 erfolgt. Seinen Hausbriefkasten leere er im Falle seines Einsatzes in der Frühschicht regelmäßig unmittelbar bei Rückkehr von der Arbeit, und im Falle seiner Einteilung in der Spätschicht vor Schichtbeginn. Zu dieser Zeit seien die Tagespost und auch die Post der privaten Zusteller regelmäßig schon eingegangen. So habe er erstmals am Samstagmorgen im Betrieb von der Kündigung erfahren. An diesem Tag habe ihm der Schutz des § 103 BetrVG zugestanden. Es habe sich um einen mit regelmäßiger Arbeitszeit belegten Tag gehandelt. Herr Heisters, der nicht zur Arbeit eingeteilt gewesen sei, habe seinen ab dem 18. April 2011 bewilligten Urlaub tatsächlich bereits am 16. April 2011 angetreten und sei von da an verhindert gewesen, Betriebsratstätigkeiten zu verrichten.

12

Es fehle zudem an einem wichtigen Grund zur Kündigung. Er habe nicht in einem Gefahrenbereich geraucht und damit seine arbeitsvertraglichen Pflichten jedenfalls nicht erheblich verletzt. Auch bei dem der letzten Abmahnung vom 22. September 2009 zugrunde liegenden Verstoß gegen das Rauchverbot habe es sich allenfalls um eine geringfügige Pflichtverletzung gehandelt. Er habe sich in der Raucherecke in Halle 7 befunden. Dort sei er vom Maschinenführer angesprochen worden mit der Bitte, sich kurz den Arbeitsablauf anzusehen. Daraufhin habe er sich höchstens zwei Meter aus der Raucherecke zur Maschine hin bewegt und dabei die Zigarette nicht aus der Hand gelegt, sondern zur Seite gehalten, als der Produktionsleiter dies bemerkt habe. Aufgrund des Inhalts der beiden letzten Abmahnungen habe er nicht ohne Weiteres mit einer Kündigung rechnen müssen. Außerdem hätten die Abmahnungen angesichts ihrer Häufung ihre Warnfunktion verloren. Ohne eindringliche letzte Warnung sei die Kündigung unverhältnismäßig. Jedenfalls die Interessenabwägung müsse zu seinen Gunsten ausfallen. Im Übrigen hat der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats gerügt.

13

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 15. April 2011 beendet wurde.

14

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, es habe keiner Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung bedurft. Entscheidend hierfür sei der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Dieser sei - auch unter Berücksichtigung einer gewandelten Verkehrsüblichkeit bei den Postzustellzeiten - bereits am 15. April 2011 erfolgt. Selbst wenn die Kündigung erst am 16. April 2011 zugegangen sei, stehe dem Kläger nicht der volle Sonderkündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG zu, weil Herr H an diesem Tag noch keinen Urlaub gehabt habe und der Kläger deshalb noch nicht - wieder - in den Betriebsrat nachgerückt gewesen sei. Die Voraussetzungen des § 626 BGB lägen vor. Insoweit hat die Beklagte behauptet, außerhalb der Raucherbereiche sei keine ordnungsgemäße Entsorgung der Zigaretten gewährleistet. Am 5. April 2011 sei der Kläger etwa 15 bis 20 Meter entfernt von der Raucherecke rauchend angetroffen worden. Er habe dabei das bedruckte Papier gestapelt. Die Kündigungsandrohung sei nicht wegen zu vieler Abmahnungen entwertet gewesen. Die außerordentliche Kündigung habe auch nicht konkret angekündigt werden müssen.

15

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die fristlose Kündigung der Beklagten vom 15. April 2011 zu Recht als wirksam angesehen.

17

I. Die Kündigung ist nicht gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG iVm. § 103 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Dem Kläger stand im maßgebenden Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nur der nachwirkende Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu. Dieser verlangt nicht die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung.

18

1. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist die Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrats unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist.Dieser besondere Kündigungsschutz gilt auch für Ersatzmitglieder, soweit und solange sie ein verhindertes ordentliches Betriebsratsmitglied vertreten ( BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3 ).

19

2. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 BetrVG rückt ein Ersatzmitglied in den Betriebsrat nach, sofern ein ordentliches Mitglied aus diesem ausscheidet. Das gilt nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG entsprechend für die Dauer der Stellvertretung eines zeitweilig verhinderten ordentlichen Mitglieds. Eine zeitweilige Verhinderung in diesem Sinne liegt vor, wenn ein Betriebsratsmitglied aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht in der Lage ist, sein Amt auszuüben ( BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 24, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3; 23. August 1984 - 2 AZR 391/83  - zu B II 1 a der Gründe, BAGE 46, 258 ). Diese Voraussetzung ist während des Erholungsurlaubs eines Betriebsratsmitglieds jedenfalls dann erfüllt, wenn es nicht zuvor seine Bereitschaft angezeigt hat, trotz des Urlaubs für Betriebsratstätigkeiten zur Verfügung zu stehen ( BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - aaO). Dem Betriebsratsmitglied wird zwar aufgrund des Erholungsurlaubs die Verrichtung seiner Amtspflichten nicht ohne Weiteres objektiv unmöglich, grundsätzlich aber unzumutbar. Das beurlaubte Betriebsratsmitglied gilt zumindest so lange als zeitweilig verhindert, bis es seine Bereitschaft, gleichwohl Betriebsratstätigkeiten zu verrichten, positiv anzeigt (BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 29, aaO ).

20

3. Für die Frage, ob Sonderkündigungsschutz nach § 103 Abs. 1 BetrVG besteht, ist auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB abzustellen( BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 43, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3; Raab GK-BetrVG 9. Aufl. Bd. II § 103 Rn. 19; Richardi/Thüsing BetrVG 13. Aufl. § 103 Rn. 16; Schwarze/Eylert/Schrader/Eylert KSchG § 15 Rn. 34; Fischermeier ZTR 1998, 433).

21

a) Bei der Kündigung handelt es sich um ein einseitiges empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft (BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 794/09 - Rn. 40, BAGE 136, 131; 20. August 1997 - 2 AZR 518/96 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 11 = EzA BGB § 174 Nr. 12). Dieses bleibt unvollständig und entfaltet keine Wirksamkeit, solange die Kündigungserklärung nicht gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen ist(BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 794/09 - aaO ).

22

b) Die Anknüpfung an den Zugangszeitpunkt entspricht Sinn und Zweck des Zustimmungserfordernisses.

23

aa) Das Zustimmungserfordernis nach § 103 Abs. 1 BetrVG dient primär dem Schutz der Arbeit und Funktionsfähigkeit der betriebsverfassungsrechtlichen Organe, welche vor Eingriffen des Arbeitgebers bewahrt werden sollen( BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3; 17. März 2005 - 2 AZR 275/04 - zu B II 1 der Gründe, AP BetrVG 1972 § 27 Nr. 6 = EzA BetrVG 2001 § 28 Nr. 1 ). Es soll verhindern, dass das demokratisch gewählte Gremium durch den Verlust einzelner Mitglieder in seiner Funktionsfähigkeit und in der Kontinuität seiner Amtsführung beeinträchtigt wird.

24

bb) Einen Eingriff in die Zusammensetzung des Betriebsrats stellt die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines ordentlichen oder nachgerückten Mitglieds erst mit ihrem Zugang dar. Davor entfaltet sie keine Rechtswirkungen. Soweit das Landesarbeitsgericht (ebenso Fitting 26. Aufl. § 103 Rn. 9; KR-Etzel 9. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 62) demgegenüber auf den Zeitpunkt abstellen will, zu dem die Kündigung den Machtbereich des Arbeitgebers verlässt, überzeugt dies nicht. Der Schutz des Gremiums erfordert das Eingreifen des Zustimmungserfordernisses nach § 103 BetrVG in Fällen, in denen das Ersatzmitglied im Zugangszeitpunkt ein verhindertes ordentliches Mitglied vertritt, unabhängig davon, ob der Vertretungsfall schon zu dem Zeitpunkt vorlag, zu dem die Kündigung den Machtbereich des Arbeitgebers verlassen hat. Darin liegt auch keine unzumutbare Benachteiligung des Arbeitgebers, der ein Nachrücken im Zwischenzeitraum bis zum Zugang der Kündigung uU nicht vorhersehen kann. Als der die Kündigung Erklärende trägt der Arbeitgeber das Risiko einer Veränderung der maßgeblichen Umstände zwischen Abgabe und Zugang der Kündigungserklärung. Er hat es dabei in der Hand, den Zugang zeitnah sicherzustellen und dadurch das Risiko zu begrenzen. Der Gefahr eines Rechtsmissbrauchs auf Seiten des Ersatzmitglieds kann mit Hilfe von § 242 BGB sachgerecht begegnet werden. Danach kann die Berufung auf den besonderen Kündigungsschutz im Einzelfall ausgeschlossen sein. Davon wäre in der Regel auszugehen, wenn ein Verhinderungsfall kollusiv zu dem Zweck herbeigeführt würde, dem Ersatzmitglied den besonderen Kündigungsschutz zu verschaffen (vgl. BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 39, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3; 12. Februar 2004 - 2 AZR 163/03 - zu B I 2 der Gründe, AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 1 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 56).

25

cc) Etwas anderes folgt nicht daraus, dass eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG abgeschlossen sein muss, bevor die Kündigung den Machtbereich des Arbeitgebers verlässt. Die Anhörung soll eine Beeinflussung der Willensbildung des Arbeitgebers vor Ausspruch der Kündigung ermöglichen (BAG 27. November 2003 - 2 AZR 654/02 - zu B I der Gründe, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 136 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 6; 8. April 2003 - 2 AZR 515/02 - zu II 1 a und c aa der Gründe, BAGE 106, 14; Fischermeier ZTR 1998, 433, 434). Diese Möglichkeit muss während des gesamten Laufs der Äußerungsfrist bestehen. Eine Willensbeeinflussung ist ab dem Zeitpunkt ausgeschlossen, zu dem die schriftliche Kündigung den Machtbereich des Arbeitgebers verlässt.

26

dd) Für das Eingreifen des Zustimmungserfordernisses nach § 103 BetrVG ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht auf den Zeitpunkt des Beginns der Anhörung des Betriebsrats abzustellen. Die Erwägung, das Ersatzmitglied sei anderenfalls unter dem Druck einer unmittelbar bevorstehenden außerordentlichen Kündigung in der Ausübung seines Amtes eingeschränkt, vermag dies nicht zu rechtfertigen. Seine Unabhängigkeit bei der Amtsführung ist durch § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG und den nachwirkenden Kündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG gesichert. Die letztgenannte Regelung gewährleistet eine „Abkühlungsphase“ in der Beziehung zwischen dem ehemaligen Betriebsratsmitglied und dem Arbeitgeber, indem sie für gewisse Zeit die ordentliche Kündigung - vorbehaltlich der Regelungen in § 15 Abs. 4 und Abs. 5 KSchG - ausschließt. Dieser Schutz steht auch Ersatzmitgliedern zu, soweit sie während der Vertretungszeit Betriebsratsaufgaben wahrgenommen haben (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 233/11 - Rn. 41, NZA 2012, 1449; 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 40, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3).

27

4. Danach bedurfte es im Streitfall keiner Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG. Unabhängig davon, ob die Kündigung dem Kläger gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB noch am 15. oder erst am 16. April 2011 zugegangen ist, bestand mangels Verhinderung des ordentlichen Betriebsratsmitglieds für den Kläger kein Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG.

28

a) Das Zustimmungserfordernis ergibt sich nicht schon aus der Betriebsratstätigkeit des Klägers am 14. April 2011. Der Verhinderungsfall, der dieser Tätigkeit zugrunde lag, nämlich die Ortsabwesenheit des ordentlichen Betriebsratsmitglieds Herrn H, endete mit diesem Tag. Am 15. April 2011 arbeitete Herr H wieder. Der Kläger konnte sich aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit am 14. April 2011 demzufolge nur auf den nachwirkenden Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG berufen, ohne dass es auch der Zustimmung des Betriebsrats bedurft hätte(vgl. BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 19, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3; 18. Mai 2006 - 6 AZR 627/05 - Rn. 22 f. mwN, AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 2 = EzA ArbGG 1979 § 69 Nr. 5).

29

b) Der Kläger war am 16. April 2011 noch nicht erneut in den Betriebsrat nachgerückt.

30

aa) Das Landesarbeitsgericht hat keine Umstände festgestellt, aufgrund derer am 16. April 2011 eine Verhinderung des ordentlichen Betriebsratsmitglieds Herrn H vorgelegen hätte. Herr H hatte Erholungsurlaub erst ab dem 18. April 2011. Dass er aus anderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen bereits am 16. April 2011 verhindert gewesen wäre, Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen, hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt. Sein Vorbringen erschöpft sich in der nicht näher substantiierten Behauptung, Herr H habe seinen Urlaub tatsächlich bereits am 16. April 2011 angetreten. Ab wann genau und in welcher Weise dies geschehen sei mit der Folge, dass Herr H an der Ausübung von Betriebsratstätigkeit gehindert gewesen sei, hat der Kläger nicht vorgetragen. Er hat - auch nachdem ihm das Landesarbeitsgericht Gelegenheit zur Substantiierung gegeben hatte - lediglich behauptet, Herr H habe sich „schon in Urlaub“ befunden und als Betriebsratsmitglied nicht mehr zur Verfügung gestanden. Dies genügt den an die Darlegung einer zeitweiligen Verhinderung iSv. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zu stellenden Anforderungen nicht.

31

bb) Herr H war am 16. April 2011 nicht deshalb iSv. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zeitweilig verhindert, weil er arbeitsfrei hatte. Anders als im Falle bewilligten Erholungsurlaubs ist einem Betriebsratsmitglied die Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben außerhalb der persönlichen Arbeitszeit nicht grundsätzlich unzumutbar (vgl. für den Fall der einseitigen Freistellung von der Arbeit BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 46, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3). Es muss vielmehr ein tatsächlicher Verhinderungsgrund vorliegen und vom Ersatzmitglied, das sich auf ein Nachrücken und das Eingreifen von Sonderkündigungsschutz gem. § 103 BetrVG beruft, dargelegt werden. Daran fehlt es im Streitfall.

32

c) Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte den Kläger lediglich im Hinblick auf den - wie ihr bekannt - ab 18. April 2011 erneut eintretenden Vertretungsfall gekündigt hätte, gibt es nicht. Die Beklagte hat sich auf den Verstoß des Klägers gegen das betriebliche Rauchverbot am 5. April 2011 berufen. Da die Kündigung dem Kläger in der Zeit zwischen zwei Vertretungsfällen zuging, war eine Zustimmung des Betriebsrats von Rechts wegen nicht erforderlich.

33

II. Die außerordentliche Kündigung vom 15. April 2011 erfolgte aus wichtigem Grund iSv. § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB. Dies hat das Landesarbeitsgericht fehlerfrei erkannt.

34

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann(zum Prüfungsmaßstab vgl. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 38; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10  - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Stützt der Arbeitgeber den wichtigen Grund bei einem Betriebsratsmitglied auf dessen Verhalten, muss dieses sich als Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen ( BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 39; 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08  - Rn. 15 f., AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67).

35

2. Danach hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, das Verhalten des Klägers rechtfertige „an sich“ eine außerordentliche Kündigung. Der Kläger hat gegen das Rauchverbot im Betrieb der Beklagten verstoßen und damit seine Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis erheblich verletzt. Umstände, aus denen sich die Unwirksamkeit des Verbots ergeben könnte, sind nicht dargetan. Sie sind auch objektiv nicht erkennbar (zur Eignung eines Verstoßes gegen ein wirksames Rauchverbot als wichtiger Grund vgl. ErfK/Müller-Glöge 12. Aufl. § 626 BGB Rn. 127; KR-Fischermeier 9. Aufl. § 626 Rn. 440). Es handelt sich um ein Rauchverbot aus Sicherheitsgründen. Die Beklagte hat eine aufgrund der Brandgefahr in ihrem Betrieb bestehende besondere Gefahrensituation zum Anlass genommen, unter Wahrung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats das Rauchverbot zu erlassen. Die dazu bestehenden Regelungen galten absolut. Danach war das Rauchen ausschließlich in den markierten Raucherzonen gestattet.

36

3. Die Kündigung ist auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt.

37

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen ( BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 42; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10  - Rn. 26, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36).

38

b) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf ( BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 43; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10  - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können - je nach Lage des Falls - Bedeutung gewinnen. Sie sind jedenfalls bei der Interessenabwägung nicht generell ausgeschlossen und können zu berücksichtigen sein ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10  - aaO; 16. Dezember 2004 -  2 ABR 7/04  - zu B II 3 b aa der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 191 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 7). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind ( BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 43; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10  - aaO).

39

c) Für die Beurteilung, ob Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber iSv. § 15 Abs. 1, Abs. 2 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB aus wichtigem Grund zur Kündigung berechtigen, ist auf die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist abzustellen. Ist eine Weiterbeschäftigung bis dahin zumutbar, ist die Kündigung unwirksam ( BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 44; 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08  - Rn. 17, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67).

40

d) Danach lässt die Einzelfallprüfung und Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts, bei der ihm ein Beurteilungsspielraum zukommt (dazu BAG 1 9. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 45; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10  - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36), keinen Rechtsfehler erkennen.

41

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, auch unter Berücksichtigung der Dauer der Betriebszugehörigkeit des Klägers, seines Alters und seiner Unterhaltspflichten überwögen die Interessen der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger habe selbst dann, wenn er entsprechend seiner Behauptung nur vier bis fünf Meter von der Raucherzone entfernt geraucht habe, die Markierung nicht nur versehentlich oder geringfügig übertreten, sondern bewusst gegen das Rauchverbot verstoßen. Auch wenn er dadurch konkret keine Brandgefahr ausgelöst habe, wiege der Verstoß schwer. Die Beklagte sei darauf angewiesen, dass die Raucherzonen eingehalten würden. Bei einem Brand drohten erhebliche Personen- und Sachschäden. Dennoch habe der Kläger beharrlich außerhalb der Raucherzone geraucht. Er habe bewusst seine eigene Einschätzung der Sicherheitserfordernisse an die Stelle derjenigen gesetzt, die von der Beklagten im Einvernehmen mit dem Sicherheitsbeauftragten und dem Betriebsrat gefunden worden sei. Im Kündigungszeitpunkt sei davon auszugehen gewesen, dass er dieses Verhalten wiederholen werde. Das habe die Beklagte zum Schutz der übrigen Belegschaft auch nur für den Lauf der fiktiven Kündigungsfrist nicht akzeptieren können. Der Kläger sei mehrfach einschlägig abgemahnt worden. Unter keinem Gesichtspunkt habe es einer weiteren Abmahnung bedurft, um ihm die sich aus einer Wiederholung des Verhaltens ergebenden nachteiligen Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses aufzuzeigen.

42

bb) Dies hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Landesarbeitsgericht hat alle relevanten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen.

43

(1) Ohne Rechtsfehler hat es eine Weiterbeschäftigung des Klägers auch nur bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist insbesondere aufgrund der Beharrlichkeit seiner Pflichtverletzungen und der nicht ausgeräumten Wiederholungsgefahr für unzumutbar gehalten. Zwar ist nicht festgestellt, dass das Verhalten des Klägers die Brandgefahr konkret erhöht hätte. Es ist aber nicht zu beanstanden, dem Interesse der Beklagten an der strikten Einhaltung des Rauchverbots und einer Beschränkung des Rauchens auf die erlaubten Zonen unabhängig hiervon allein wegen des im Betrieb gegebenen generell hohen Gefahrenpotenzials eine erhebliche Bedeutung beizumessen.

44

(2) Das Landesarbeitsgericht hat den Abmahnungen wegen früherer Verstöße des Klägers gegen das Rauchverbot zu Recht eine hinreichende Warnfunktion entnommen.

45

(a) Der Arbeitgeber muss für den Wiederholungsfall nicht ausdrücklich (auch) eine außerordentliche Kündigung androhen. Es reicht aus, dass der Arbeitnehmer erkennen kann, dass bei einem erneuten Verstoß der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 23, DB 2012, 2404). Dies war nach der nicht zu beanstandenden Würdigung des Landesarbeitsgerichts bei den dem Kläger wegen Verstoßes gegen das Rauchverbot erteilten Abmahnungen der Fall, weil darin ausdrücklich zumindest auch die Möglichkeit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses angedroht worden war.

46

(b) Die Warnfunktion der Kündigungsandrohung in den letzten beiden Abmahnungen ist nicht wegen der im Vergleich zu den früheren Abmahnungen anderen Wortwahl als geringer anzusehen. Nach beiden Formulierungen musste der Kläger im Wiederholungsfall mit einer Kündigung rechnen. In den letzten Abmahnungen wird zwar ausdrücklich auf die Möglichkeit anderer arbeitsrechtlicher Maßnahmen hingewiesen. Diese waren aber auch nach der früheren Formulierung nicht ausgeschlossen.

47

(c) Eine Abschwächung der Warnfunktion ist nicht dadurch eingetreten, dass die Beklagte den Kläger insgesamt vier Mal wegen Verstoßes gegen das Rauchverbot abgemahnt hat. Zwar können Abmahnungen ihre Warnfunktion einbüßen, wenn der Arbeitgeber trotz ständig neuer Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers weiterhin nur abmahnt. Der Arbeitnehmer muss die in der Abmahnung enthaltene Drohung noch ernst nehmen können; es darf sich nicht um eine „leere“ Drohung handeln (BAG 16. September 2004 - 2 AZR 406/03 - zu B I 4 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 50 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64; 15. November 2001 - 2 AZR 609/00 - zu II 3 a aa der Gründe, BAGE 99, 340). Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht aber im Streitfall einen solchen Sachverhalt nicht als gegeben angesehen, weil insbesondere zwischen den ersten beiden Abmahnungen ein erheblicher Zeitraum lag. Die Beklagte konnte bei Ausspruch der zweiten Abmahnung berechtigterweise annehmen, der Zeitablauf mache es erforderlich, dem Kläger die möglichen Folgen einer Missachtung des Rauchverbots nochmals vor Augen zu führen (vgl. zum Verlust der Warnfunktion einer Abmahnung nach längerer Zeit einwandfreier Führung des Arbeitnehmers BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 782/11 - Rn. 20, NZA 2013, 91; 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - zu II 5 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 4 ). Unter Einbeziehung der zweiten Abmahnung hat die Beklagte den Kläger bis zur Kündigung insgesamt drei Mal hinreichend zeitnah wegen einer Verletzung des Rauchverbots abgemahnt. Es hält sich im Bewertungsspielraum des Landesarbeitsgerichts, wenn es angenommen hat, bei dieser Anzahl könne die Drohung mit einer Kündigung noch nicht als „leer“ angesehen werden (vgl. auch BAG 16. September 2004 - 2 AZR 406/03 - zu B I 4 b bb (1) der Gründe, aaO). Das gilt umso mehr, als es sich bei dem mit der letzten Abmahnung vom 22. September 2009 gerügten Verstoß um eine schlichte Nachlässigkeit des Klägers gehandelt haben konnte und eine Kündigung zum damaligen Zeitpunkt mit dem Risiko der Unverhältnismäßigkeit behaftet gewesen wäre. Soweit die Beklagte dem Kläger wegen anderer Pflichtverletzungen in den Jahren 1998 bis 2005 vier zusätzliche Abmahnungen erteilt hatte, hat das Landesarbeitsgericht diesen im gegebenen Zusammenhang zu Recht keine Bedeutung beigemessen. Die Warnfunktion einer Abmahnung erstreckt sich nur auf gleichartige Pflichtverletzungen (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 31, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 41, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82). Sie wird durch Abmahnungen aus anderen Gründen regelmäßig nicht beeinträchtigt (vgl. auch BAG 16. September 2004 - 2 AZR 406/03 - zu B I 4 b aa der Gründe, aaO).

48

(3) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe beharrlich gegen das betriebliche Rauchverbot verstoßen, steht nicht im Widerspruch zu seiner Annahme, dem abgemahnten Verhalten vom 22. September 2009 könne schlichte Nachlässigkeit zugrunde gelegen haben. Der Kläger hatte das Rauchverbot außerdem schon drei weitere Male verletzt und dies trotz der Abmahnungen wiederholt.

49

(4) Soweit sich der Kläger im Revisionsverfahren darauf beruft, die vom Landesarbeitsgericht für gegeben erachtete negative Prognose decke sich nicht mit seiner „gelebten Einsicht“, hat er keine zulässige Verfahrensrüge erhoben. Er hat nicht dargelegt, aus welchen mit welchem Schriftsatz vorgetragenen Umständen sich bereits für den Zeitpunkt des Kündigungszugangs das Vorliegen einer solchen Einsicht ergeben habe.

50

III. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei durch die spätestens am 16. April 2011 zugegangene Kündigung eingehalten. Der Kläger hatte zuletzt am 5. April 2011 gegen das Rauchverbot verstoßen.

51

IV. Die Kündigung ist nicht wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Nachdem der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats in der Klageschrift gerügt hatte, hat die Beklagte hierzu im Einzelnen unter Bezugnahme auf die schriftliche Anhörung vom 12. April 2011 vorgetragen. Hierüber hätte sich der Kläger nach § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO im Einzelnen erklären müssen(vgl. BAG 23. Juni 2005 - 2 AZR 193/04 - zu II 1 b der Gründe, AP ZPO § 138 Nr. 11 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 12). Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, an solchem Vorbringen habe es im Streitfall gefehlt, so dass der Vortrag der Beklagten gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden zu gelten habe, greift die Revision nicht mit Verfahrensrügen an. Ein materieller Rechtsfehler ist angesichts der Schlüssigkeit des Vorbringens der Beklagten nicht zu erkennen (zum Erfordernis einer solchen Schlüssigkeitsprüfung vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 48 ff., NZA 2013, 137).

52

V. Die Kosten des Revisionsverfahrens hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tragen.

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    Gans    

        

    Pitsch    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 12. Juni 2013 - 7 Sa 1878/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.

2

Der Kläger ist bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin seit 1996 als Kfz-Mechaniker tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

3

Am 27. Juli 2012 betrat der Kläger die Sozialräume der Beklagten, um sich umzuziehen. Er traf dort auf die ihm bislang unbekannte Mitarbeiterin eines externen Reinigungsunternehmens. Bei seinem Eintreffen lehnte diese - Frau M. - in der Tür zwischen Wasch- und Umkleideraum und unterhielt sich mit zwei Kollegen des Klägers, die sich im Waschraum befanden. Dorthin begab sich auch der Kläger. Nachdem die beiden Kollegen die Räumlichkeiten verlassen hatten, führten der Kläger - während er sich Hände und Gesicht wusch - und Frau M. ein Gespräch. In dessen Verlauf stellte diese sich zunächst vor das Waschbecken und anschließend neben den Kläger. Der Kläger sagte zu ihr, sie habe einen schönen Busen und berührte sie an einer Brust. Frau M. erklärte, dass sie dies nicht wünsche. Der Kläger ließ sofort von ihr ab. Er zog sich um und verließ den Sozialraum. Frau M. arbeitete weiter. Sie schilderte den Vorfall später ihrem Arbeitgeber, der seinerseits an die Beklagte herantrat.

4

Am 31. Juli 2012 bat die Beklagte den Kläger zu einem Gespräch. Er gestand den Vorfall ein und erklärte, er habe sich eine Sekunde lang vergessen. „Die Sache“ tue ihm furchtbar leid. Er schäme sich, so etwas werde sich nicht wiederholen.

5

Mit Schreiben vom 31. Juli 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit sofortiger Wirkung.

6

In der Folge richtete der Kläger ein Entschuldigungsschreiben an Frau M. Er führte mit ihr unter Zahlung eines Schmerzensgelds einen Täter-Opfer-Ausgleich herbei. Frau M. nahm seine Entschuldigung an und versicherte, die Angelegenheit sei damit für sie erledigt. Sie habe kein Interesse mehr an einer Strafverfolgung. Das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

7

Der Kläger hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat vorgetragen, er habe - subjektiv unstreitig - den Eindruck gehabt, Frau M. habe mit ihm geflirtet. Dann sei es zu einem plötzlichen „Blackout“ gekommen und er habe sich zu dem im Rückblick unverständlichen Übergriff hinreißen lassen. So unentschuldbar sein Fehlverhalten sei, so rechtfertige es doch keine außerordentliche Kündigung. Es habe sich um einen einmaligen „Ausrutscher“ gehandelt. Eine Abmahnung sei als Reaktion der Beklagten ausreichend gewesen.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 31. Juli 2012 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe durch seine Bemerkung und die anschließende Berührung zwei eigenständige sexuelle Belästigungen begangen. Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzungen sei die fristlose Kündigung gerechtfertigt. Sie - die Beklagte - sei verpflichtet, sowohl ihr eigenes als auch das weibliche Personal des externen Unternehmens vor weiteren sexuellen Belästigungen durch den Kläger zu schützen. Dessen Entschuldigungen seien lediglich unter dem Druck der ausgesprochenen Kündigung erfolgt.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist unbegründet.

12

A. Die außerordentliche Kündigung vom 31. Juli 2012 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

13

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 39; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15, BAGE 146, 203).

14

II. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht einen „an sich“ wichtigen Grund angenommen. Der Kläger hat seine arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt. Er hat Frau M. sexuell belästigt.

15

1. Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den konkreten Umständen, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16 mwN).

16

2. Der Kläger hat Frau M. sowohl verbal als auch körperlich sexuell belästigt.

17

a) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein etwa von Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen(BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 18 mwN).

18

b) Bei der Aussage, Frau M. habe einen schönen Busen, handelte es sich nicht um ein sozialadäquates Kompliment, sondern um eine unangemessene Bemerkung sexuellen Inhalts. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen indes - entgegen der Ansicht der Revision - nicht die Annahme, der Kläger habe zum Ausdruck bringen wollen, Frau M. stelle in anzüglicher Weise ihre Reize zur Schau oder solle dies für ihn tun (zu einem solchen Fall vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 21). In der anschließenden Berührung lag ein sexuell bestimmter Eingriff in die körperliche Intimsphäre von Frau M. Sowohl die Bemerkung als auch die folgende Berührung waren objektiv unerwünscht. Dies war für den Kläger erkennbar (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 22). Unmaßgeblich ist, wie er selbst sein Verhalten zunächst eingeschätzt und empfunden haben mag und verstanden wissen wollte (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 24). Mit seinen erkennbar unerwünschten Handlungen hat der Kläger iSv. § 3 Abs. 4 AGG die Würde von Frau M. verletzt und sie zum Sexualobjekt erniedrigt.

19

III. Obschon der Kläger Frau M. sexuell belästigt hat, ist es der Beklagten zuzumuten, ihn weiter zu beschäftigen. Nach den Umständen des Streitfalls hätte eine Abmahnung als Reaktion von ihrer Seite ausgereicht.

20

1. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen.

21

a) Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15 mwN).

22

b) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16).

23

c) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird zudem durch § 12 Abs. 3 AGG konkretisiert. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen - wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung - zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen allerdings insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet iSd. Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 28 mwN).

24

d) Dem Berufungsgericht kommt bei der Prüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42 mwN).

25

2. Das Landesarbeitsgericht hat die Abwägung fehlerfrei vorgenommen. Es hat die Kündigung als unverhältnismäßig angesehen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, den Kläger vorrangig abzumahnen. Diese Würdigung liegt innerhalb des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums. Es liegen keine Umstände vor, die zu der Annahme berechtigten, selbst nach einer Abmahnung sei von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Die in Rede stehende Pflichtverletzung des Klägers wiegt auch nicht so schwer, dass eine Abmahnung aus diesem Grund entbehrlich gewesen wäre.

26

a) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass eine Abmahnung nicht deshalb verzichtbar war, weil bereits ex ante erkennbar gewesen wäre, dass eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung in Zukunft nicht zu erwarten stand.

27

aa) Es ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht unfähig sei, sein Verhalten zu ändern. Mit dem Hinweis auf einen unerklärlichen „Blackout“ wollte er ausdrücken, dass es sich bei seiner Handlungsweise um ein ihm wesensfremdes, einmaliges „Augenblicksversagen“ gehandelt habe. Es spricht nichts dafür, dass der Kläger sich noch einmal irrtümlich einbilden könnte, „angeflirtet“ zu werden, und auf eine solche Annahme erneut in vergleichbarer Weise reagieren müsste. Ersichtlich war er imstande, seine Fehleinschätzung sofort zu erkennen und entsprechend dieser Einsicht zu handeln, nämlich augenblicklich von Frau M. abzulassen.

28

bb) Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Kläger auch nicht unwillig sei, sein Verhalten zu ändern.

29

(1) Entgegen der Ansicht der Revision hat das Landesarbeitsgericht durchaus erkannt, dass es sich um eine mehraktige sexuelle Belästigung von sich steigernder Intensität gehandelt hat. Es ist allerdings angesichts des unstreitigen Geschehensablaufs von einer natürlichen Handlungseinheit ausgegangen und hat dem Kläger zugutegehalten, dass er sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt und dieses nach Erkennen seiner Fehleinschätzung sofort beendet habe. Daraus hat es den Schluss gezogen, der Kläger werde in dieser Weise künftig nicht mehr vorgehen und genauer zwischen eigenen Beobachtungen und subjektiven Schlussfolgerungen unterscheiden (vgl. dazu BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 43). Dies ist ohne Einschränkung vertretbar. Der Kläger hat nicht etwa notorisch Grenzen überschritten. Sein Verhalten ist nicht zu vergleichen mit dem des Klägers in der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 9. Juni 2011 (- 2 AZR 323/10 -). Dieser war bereits einschlägig abgemahnt und hatte einer Mitarbeiterin gleichwohl über mehrere Tage in immer neuen Varianten bei unterschiedlichsten Gelegenheiten trotz von ihm erkannter ablehnender Haltung zugesetzt und damit für diese ein Arbeitsumfeld geschaffen, in dem sie jederzeit mit weiteren entwürdigenden Anzüglichkeiten rechnen musste.

30

(2) Das Landesarbeitsgericht hat sich aufgrund der gesamten Umstände des Streitfalls die Überzeugung iSv. § 286 Abs. 1 ZPO gebildet, bereits durch eine Abmahnung werde eine Wiederholung iSv. § 12 Abs. 3 AGG „ausgeschlossen“. Es hat diese Überzeugung darauf gestützt, dass es sich um den ersten Vorfall nach langjähriger, beanstandungsfreier Beschäftigung gehandelt und der Kläger in dem Gespräch am 31. Juli 2012 sein Fehlverhalten ohne Zögern eingeräumt habe, obwohl er es aufgrund der „Vier-Augen-Situation“ im Waschraum möglicherweise erfolgreich hätte abstreiten können. Aus seiner Erklärung im Personalgespräch mit der Beklagten, der Vorfall tue ihm furchtbar leid und er schäme sich dafür, hat es den Schluss gezogen, dass der Kläger über sein Verhalten ehrlich erschrocken gewesen sei. In diese Richtung wiesen auch das Entschuldigungsschreiben und die Herbeiführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds.

31

(3) Die Revision setzt dieser vertretbaren Würdigung nur ihre eigene Bewertung entgegen. Rechtsfehler zeigt sie nicht auf. Ein solcher liegt nicht darin, dass das Landesarbeitsgericht entschuldigendes Verhalten berücksichtigt hat, das der Kläger erst auf Vorhalt der Beklagten und unter dem Eindruck einer - drohenden - Kündigung und eines - drohenden - Strafverfahrens gezeigt hat. Zwar wirkt sich „Nachtatverhalten“ vor Zugang der Kündigung unter diesen Umständen nur schwach entlastend aus (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 39). Jedoch kann es zumindest dann die Annahme fehlender Wiederholungsgefahr stützen, wenn es sich um die Fortsetzung einer zuvor gezeigten Einsicht handelt (zur Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände vgl. allgemein BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 53, BAGE 134, 349). Das Landesarbeitsgericht durfte aufgrund seines Verhaltens nach der Zurückweisung durch Frau M. davon ausgehen, dass der Kläger noch vor dem Gespräch mit der Beklagten sein Fehlverhalten und dessen Schwere erkannt und - auch ausweislich seiner späteren Bemühungen - seine „Lektion“ schon von sich aus so weit gelernt hatte, dass eine Abmahnung ihr Übriges zum Ausschluss einer Wiederholungsgefahr getan hätte.

32

b) Das Landesarbeitsgericht hat nicht ausdrücklich geprüft, ob es einer Abmahnung deshalb nicht bedurfte, weil es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelte, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar war. In der Sache hat es diese Prüfung bei der abschließenden Interessenabwägung vorgenommen. Eine eigene Beurteilung durch das Revisionsgericht ist insoweit möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und - wie hier - alle relevanten Tatsachen feststehen (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 31 mwN).

33

aa) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angeführt, dass es sich um eine einmalige Entgleisung gehandelt und der Kläger keinen Belästigungswillen gehabt habe. Er habe sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt (vgl. dazu BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 38).

34

bb) Entgegen der Annahme der Revision hat das Landesarbeitsgericht den Irrtum des Klägers nicht für unverschuldet erachtet oder gar Frau M. für diesen verantwortlich gemacht. Es hat weder den Gesprächsinhalt als verfänglich eingestuft, noch Frau M. die räumliche Annäherung vorgeworfen. Es ist nicht davon ausgegangen, dass sie ihrerseits die Privatsphäre des Klägers tangiert oder ein „Umschlagen“ der Situation provoziert habe. Das Landesarbeitsgericht durfte indes auch eine vermeidbare Fehleinschätzung zugunsten des Klägers berücksichtigen (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 44; 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 4 der Gründe).

35

c) Da eine Abmahnung schon aus diesem Grunde nicht entbehrlich war, kommt es nicht mehr darauf an, dass das Landesarbeitsgericht auch die weitere Interessenabwägung angesichts des Irrtums über die Unerwünschtheit seines Verhaltens, der langen, beanstandungsfreien Beschäftigungszeit, des Einräumens der Pflichtverletzung trotz des Fehlens von Zeugen, der Entschuldigung und der Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds rechtsfehlerfrei zugunsten des Klägers vorgenommen hat. Das Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegt nicht etwa aufgrund einer Drucksituation (vgl. dazu ErfK/Müller-Glöge 14. Aufl. § 626 BGB Rn. 185; ErfK/Oetker 14. Aufl. § 1 KSchG Rn. 142 ff.; Deinert RdA 2007, 275, 278). Es ist nicht ersichtlich, dass der Arbeitgeber von Frau M. als Auftragnehmer der Beklagten von dieser eine bestimmte Reaktion gegenüber dem Kläger gefordert hätte.

36

B. Eine Umdeutung (§ 140 BGB) in eine ordentliche Kündigung kommt nicht in Betracht. Eine solche wäre durch das Verhalten des Klägers nicht iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen (vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 38).

37

C. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

(1) Wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.