Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 02. März 2018 - 1 Sa 197/17

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2018:0302.1Sa197.17.00
bei uns veröffentlicht am02.03.2018

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 01.02.2016, Az. 10 Ca 919/16, abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche fristlose Verdachtskündigung der Beklagten vom 03.06.2016 aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 46.746,00 € brutto, abzgl. 880,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank wie folgt zu zahlen:

a)  aus 7.791,00 € brutto Juni 2016 abzgl. 880,00 € netto seit 01.07.2016,

b)  aus 7.791,00 € brutto für Juli 2016 abzgl. 880,00 € netto seit 01.08.2016,

c)  aus 7.791,00 € brutto für August 2016 abzgl. 880,00 € netto seit 01.09.2016,

d)  aus 7.791,00 € brutto für September 2016 abzgl. 880,00 € netto seit 01.10.2016,

e)  aus 7.791,00 € brutto für Oktober 2016 abzgl.880,00 € netto seit 01.11.2016,

f)  aus 7.791,00 € brutto für November 2016 abzgl. 880,00 € netto seit 01.12.2016,

g)  aus 7.791,00 € brutto für Dezember 2016 abzgl. 880,00 € netto seit 01.01.2017.

4. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für das Jahr 2016 ein Weihnachtsgeld in Höhe von 7.791,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit 01.01.2017 zu zahlen

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten auch im Berufungsverfahren über den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses aus Anlass der außerordentlichen Kündigung der Beklagten mit Datum vom 03.06.2016 sowie über Zahlungsansprüche aus Annahmeverzug und ein 13. Monatsgehalt.

2

Die Beklagte ist eine durch die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Rheinland-Pfalz getragene Arbeitsgemeinschaft in Form einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes. Organe der Beklagten sind der Verwaltungsrat, der durch die Vertreterversammlung der Krankenkassen gewählt wird, und der Geschäftsführer, für dessen Wahl der Verwaltungsrat zuständig ist. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne des § 23 KSchG. Es existiert ein Personalrat.

3

Der 1963 geborene Kläger ist seit dem 01.05.2001 bei der Beklagten beschäftigt. Nachdem der Kläger bei der Beklagten zunächst als Leiter des Referats Personal tätig war, war er seit Mai 2006 auch Leiter des Referats Finanzen und seit 2008 Stellvertreter des stellvertretenden Geschäftsführers der Beklagten Herrn M.. Dieser war bis 31.12.2011 stellvertretender Geschäftsführer der Beklagten. Seit 1.1.2012 steht er nicht in Diensten der Beklagten, sondern ist Geschäftsführer des MDK im S.. Geschäftsführer der Beklagten war bis zum 16.10.2013 Herr Dr. Z.. Am 16.10.2013 wurde dieser als Geschäftsführer abberufen und sein mit der Beklagten bestehender Vertrag fristlos gekündigt.

4

In den Jahren 2011 und 2012 sprach die Beklagte insgesamt 6 Kündigungen des Arbeitsverhältnisses des Klägers aus, die jeweils unwirksam waren (Verfahren des Arbeitsgerichts Mainz, Az. 3 Ca 2040/11, 3 Ca 1077/12 und 11 Ca 309/12). Nachfolgend wurde der Kläger aufgrund vergleichsweiser Regelung zuletzt als Leiter des Referats Personalentwicklung beschäftigt. Seine Vergütung beläuft sich auf monatlich 7.791,00 € brutto.

5

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag für die Beschäftigten des MDK Rheinland-Pfalz (MDK-T-RLP) Anwendung, der in § 33 auszugsweise wie folgt lautet:

6

"……§ 33 Einschränkungen der Kündigung

7

(1) Nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren gemäß § 14 MDK-T-RLP, frühestens jedoch nach Vollendung des 40. Lebensjahres kann dem Beschäftigten nur noch aus einem in ihrer Person oder in ihrem Verhalten liegenden wichtigen Grund gekündigt werden."

8

Mit Datum vom 23.10.2013 (Bl. 96 d. A.) existiert eine E-Mail, die von dem E-Mail-Account des Klägers an Herrn J. M. versandt wurde, für deren Inhalt auf Bl. 96 d. A. verwiesen wird.

9

Am 28.10.2013 nahm Herr J. M. den Inhalt dieser E-Mail zum Anlass, gegen Herrn Dr. Z. Strafanzeige (vgl. Bl. 97f. d.A.) zu erstatten. Das diesbezügliche Strafverfahren wurde am 07.01.2014 gemäß § 154 StPO von der Staatsanwaltschaft vorläufig eingestellt. Mittlerweile hat Herr M. im Nachgang eine Unterlassungserklärung gegenüber Herrn Dr. Z. abgegeben.

10

Die Beklagte nahm Einsicht in die Akten des Ermittlungsverfahrens, in welchen sich auch die genannte E-Mail befand. Der Inhalt dieser E-Mail vom 23.10.2013 und der Strafanzeige vom 28.10.2013 veranlassten den Verwaltungsrat der Beklagten, nachdem dieser hiervon Kenntnis erlangt hatte, unter dem Datum vom 16.10.2015 gegenüber Herrn Dr. Z. während und innerhalb des mit diesem anhängigen Rechtsstreits über die zuvor ausgesprochene außerordentliche Kündigung im Verfahren Landgericht Mainz, Az. 2 O 329/13, eine (weitere) Kündigung auszusprechen.

11

Am 20.05.2016 fand beim Landgericht zu besagtem Aktenzeichen mündliche Verhandlung zur Beweisaufnahme statt, zu der auch der Kläger als Zeuge geladen war. Das Protokoll der mündlichen Verhandlung des Landgerichtes vom 20.05.2016 (Bl. 100 bis 117 d. A.) enthält auch die Zeugenaussage des Klägers (Bl. 114 bis 116 d. A.), der verkürzt dargestellt zum Ausdruck brachte, er könne sich an eine E-Mail aus Oktober 2013 an den Zeugen M. nicht mehr erinnern. Wenn es diese denn gäbe, sei er jedenfalls zwischen dem 18.10.2011 und 07.03.2014 wegen depressiver Erkrankung krankgeschrieben gewesen, weil er 6 aufeinanderfolgende Kündigungen erhalten habe und sich verfolgt gefühlt habe. Die in der E-Mail seinerseits Herrn Dr. Z. unterstellten Äußerungen ihm gegenüber hätten tatsächlich nicht stattgefunden.

12

Die am 20.05.2016 beim Landgericht anwesenden Prozessbevollmächtigten der Beklagten teilten der stellvertretenden Geschäftsführerin der Beklagten am 20.05.2016 den Inhalt der Aussage des Klägers beim Landgericht mit. Daraufhin lud die Beklagte den Kläger ohne Nennung des Themas mit Schreiben vom Vormittag des 25.05.2016 am 25.05.2016 zu einem Anhörungsgespräch ein. Hierüber fertigte der Justiziar der Beklagten ein Protokoll vom 25.05.2016 (Bl. 118 und 119 d. A.).

13

Unter dem Datum vom 25.05.2016 (Bl. 120 bis 122 d. A.) hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Personalrat zur außerordentlichen Verdachtskündigung gegenüber dem Kläger an. Der Personalrat hat mit Schreiben vom 31.05.2016, bei der Beklagten eingegangen am 01.06.2016 (Bl. 124 und 125 d. A.), zur Kündigung Stellung genommen. Mit Schreiben vom 3.6.2016 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts und des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird gem. §§ 69 Abs. 2, 3 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 1.2.2016, Az. 10 ca 919/16 (Bl. 665 ff. d.A.).

15

Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht die gegen die Kündigung der Beklagten vom 3.6.2016, auf Weiterbeschäftigung sowie Zahlung von Annahmeverzugsvergütung und Weihnachtsgeld 2016 (jeweils nebst Zinsen) gerichtete Klage abgewiesen. Das Arbeitsgericht hat über die Behauptung der Beklagten, der Kläger sei am 25.5.2016 zum Verdacht einer Falschaussage im Verfahren des Landgerichts Mainz, alternativ zur falschen Tatsachendarstellung in der E-Mail vom 23.3.2013 angehört worden, Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung. Insoweit wird Bezug genommen auf den Beweisbeschluss soowie die Sitzungsniederschrift vom 1.2.2017 (Bl. 650 ff. d.A.).

16

Zur Begründung der Klageabweisung hat das Arbeitsgericht zusammengefasst ausgeführt:

17

Die Kündigung habe das Arbeitsverhältnis außerordentlich beendet. Die Kündigung sei dem Kläger wirksam am 3.6.2016 zugegangen. Die vom Kläger erhobene Rüge nach § 174 BGB greife nicht. Die erforderliche Anhörung des Klägers sei ausreichend erfolgt. Ebenso sei die Anhörung des Personalrats nicht zu beanstanden und die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Die Voraussetzungen einer außerordentlichen fristlosen Verdachtskündigung des aufgrund des § 33 Abs. 1 MDK-T-RLP ordentlich nicht mehr kündbaren Klägers seien erfüllt: Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass der Kläger entweder in der E-Mail vom 23.10.2013 oder bei seiner Aussage vom 20.05.2016 falsche Tatsachen behauptet habe. Welche der Schilderungen des Klägers zutreffend sei, lasse sich nicht verlässlich aufklären. Wenn der Kläger im landgerichtlichen Verfahren falsch ausgesagt habe, stelle dies eine einen eklatanten, auch ohne Abmahnung zur Kündigung berechtigenden Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Treuepflicht dar. Gleiches gelte, wenn nicht die Zeugenaussage, sondern der Inhalt der E-Mail vom 23.10.2013 falsch gewesen sein sollte. Wenn der Kläger in dieser Mail den ehemaligen Geschäftsführer Z. unzulässiger Verhaltensweisen bezichtige und den Mitarbeiter M. darin bestärke, gegen diesen vorzugehen, könne nicht davon ausgegangen werden, dass falsche Verdächtigungen, selbst gegenüber einem gekündigten Beschäftigten, geduldet werden würden. Jedenfalls hätte es dem Kläger oblegen, die Beklagte spätestens als er als Zeuge vor Gericht geladen worden war, darauf hinzuweisen, dass er die Dr. Z. vorgeworfenen Geschehnisse nicht bestätigen könne. Auch die Instrumenatlisierung des Herrn M. durch die Zusage, er stehe als Belastungszeuge zur Verfügung, sei als erhebliche Pflichtverletzung vorwerfbar. Dies sei auch nicht durch einen Parallelsachverhalt, der eine Kündigung ausschließen würde, erklärbar. Auch die abschließende Interessenabwägung falle zu Lasten des Klägers aus. Zu berücksichtigen sei, dass die Beklagte den Kläger andernfalls bis zur voraussichtlichen Verrentung weiter beschäftigen müsse, was auch unter Berücksichtigung der langen bisherigen Beschäftigungsdauer nicht zumutbar sei.

18

Zahlungsansprüche bestünden wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht. Die Voraussetzungen eines zumindest zeitanteiligen Anspruchs auf Weihnachtsgeld des Jahres 2016 bis zum Zugang der Kündigung nach dem pro rata temporis - Grundsatz lägen nicht vor.

19

Das Urteil ist dem Kläger am 18.4.2017 zugestellt worden. Er hat hiergegen mit einem am 2.5.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der mit Beschluss vom 16.6.2017 bis zum 19.7.2017 mit am gleichen Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 19.7.2017 begründet.

20

Zur Begründung des Rechtsmittels macht der Kläger mit dem genannen Schriftsatz sowie mit weiterem Schriftsatz vom 11.12.2017, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 760 ff., 889 ff. d.A.), zusammengefasst geltend:

21

Die auf eine angebliche Falschaussage im Prozess vor dem Landgericht gestützte Kündigung sei rechtsmissbräuchlich, da die Beklagte selbst diese Aussage - die der Wahrheit entspreche- ohne Befragung des Klägers vor dessen Benennung als Zeuge veranlasst habe, zumal der Beklagten die bestehende psychische Erkrankung zum Zeitpunkt der E-Mail bekannt gewesen sei und erhebliche Zeit zurückgelegen habe. Dies gelte umso mehr in Ansehung einer von der Beklagten veranlassten Stellungnahme des Herrn M. aus dem Jahre 2012 (Bl. 900 ff. d.A.). Eine Hinweispflicht des Klägers vor dessen Aussage darauf, dass der Inhalt der Mail unzutreffend sei, habe nicht bestanden. Ihm sei nicht mitgeteilt worden, dass die Mail aus dem Jahr 2013 Gegenstand des Verfahrens sei. Auch aus der Ladung habe sich dies nicht ergeben. Es fehle auch an einem für eine Schädigung der Beklagten kausalen Beitrag, da der Kläger nicht davon habe ausgehen müssen, dass die Beklagte von der schon zum damaligen Zeitpunkt an einen nicht mehr bei ihr beschäftigten Mitarbeiter gerichteten E-Mail Kenntnis erhält. Auch sei die Personalratsanhörung unzureichend. Wenn das Arbeitsgericht die Tarifliche Unkündbarkeit im Rahmen der Interessenabwägung zu Lasten des Klägers berücksichtige, ohne die Gewährung einer (fiktiven) Kündigungsfrist in Erwägung zu ziehen, sei dies rechtsfehlerhaft. Im Hinblick auf den Vorwurf der Falschaussage vor dem Landgericht habe das Arbeitsgericht zu geringe Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts gestellt. Der Verdacht eines unzutreffenden Inhalts der Mail wiege genauso schwer, wobei dieser aber eine außerordentliche Kündigung nicht rechtfertigen könne. Im Rahmen der Interessenabwägung seien entlastende Umstände nicht berücksichtigt worden. Insbesondere gelte dies für die durch 6 Kündigungen bedingte oder begünstigte psychische Erkrankung zum Zeitpunkt der Mail, den Zeitraum zwischen Mail und Aussage vor dem Landgericht, den privaten Charakter der Mail an den mit ihm sehr freundschaftlich verbundenen Herrn M. Eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht. Wenn überhaupt, wäre nur eine Kündigung mit Auslauffrist verhältnismäßig gewesen.

22

Der Kläger beantragt,

23

das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 01.02.2017, Az: 10 Ca 919/16, abzuändern und

24

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche fristlose Verdachtskündigung der Beklagten vom 03. Juni 2016 außerordentlich und fristlos aus wichtigem Grund beendet wurde,

25

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen

26

3. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 46.746,00 € brutto, abzgl. 880,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank wie folgt zu zahlen:

27

a) aus 7.791,00 € brutto Juni 2016 abzgl. 880,00 € netto seit 01.07.2016,

28

b) aus 7.791,00 € brutto für Juli 2016 abzgl. 880,00 € netto seit 01.08.2016,

29

c) aus 7.791,00 € brutto für August 2016 abzgl. 880,00 € netto seit 01.09.2016,

30

d) aus 7.791,00 € brutto für September 2016 abzgl. 880,00 € netto seit 01.10.2016,

31

e) aus 7.791,00 € brutto für Oktober 2016 abzgl.880,00 € netto seit 01.11.2016,

32

f) aus 7.791,00 € brutto für November 2016 abzgl. 880,00 € netto seit 01.12.2016,

33

g) aus 7.791,00 € brutto für Dezember 2016 abzgl. 880,00 € netto seit 01.01.2017

34

4. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für das Jahr 2016 ein Weihnachtsgeld in Höhe von 7.791,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit 01.01.2017 zu zahlen

35

Die Beklagte beantragt,

36

die Berufung zurückzuweisen.

37

Sie verteidigt das angefochtene Urteil mit ihrer Berufungserwiderung gemäß Schriftsatz vom 25.9.2017 und weiterem Schriftsatz vom 21.2.2018, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 818 ff., 934 ff. d.A.), als zutreffend und macht im Wesentlichen geltend:

38

Durch die Verwendung der Mail sei das Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht verletzt, da die Kenntnis hiervon aus einer Akteneinsicht im Rahmen des Ermittlungsverfahrens erlangt worden sei. Eine Aufklärungspflicht vor Bennennung des Klägers als Zeugen habe nicht bestanden. Insbesondere hätten keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass eine psychische Erkrankung die Steuerungsfähigkeit des Klägers ausgeschlossen habe. Zweifel an der Richtigkeit der Mail seien erst nach der Aussage des Klägers im landgerichtlichen Verfahren aufgekommen. Zutreffend sei das Arbeitsgericht auch davon ausgegangen, dass die Mail des Klägers den erforderlichen Bezug zum Arbeitsverhältnis aufweise und habe dieses Vorgehen des Klägers zu Recht als eklatanten Pflichtverstoß gewertet, zumal sich die in der Mail geschilderten (angeblichen) Verfehlungen des Dr. Z. zu einer Zeit ereignet haben sollen, als dieser noch ungekündigt Geschäftsführer gewesen sei. Für den Kläger sei auch vorhersehbar gewesen, dass diese Mail Anlass für eine Kündigung des Geschäftsführers werden könne.

39

Die Anhörung des Personalrats sei nicht zu beanstanden. Das Arbeitsgericht sei auch nicht davon ausgegangen, dass die ordentliche Unkündbarkeit zu einer Herabsetzung der Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung führen würde. Unschädlich sei auch, dass das Arbeitsgericht von einer Kündigungsfrist von 7, statt von 12 Monaten ausgegangen sei. Wenn es schon die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer einer kürzeren Kündigungsfrist für unzumutbar halte, gelte dies erst recht bei einer noch längeren Kündigungsfrist. Das Arbeitsgericht sei auch keinesfalls davon ausgegangen, dass der Verdacht der Falschaussage im Prozess schwerer wiege als der des unzutreffenden Inhalts der Mail, sondern habe zutreffend beide Varianten als die Verdachtskündigung rechtfertigenden Grund behandelt. Der ergänzende Sachvortrag des Klägers in seinem Schriftsatz vom 11.12.2017 sei verspätet und nicht schlüssig.

40

Im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

41

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Das Rechtsmittel ist an sich statthaft. Die Berufung wurde auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Eine ausreichende Berufungsbegründung im Sinne von § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO liegt auch hinsichtlich der Zahlungsanträge vor. Das Arbeitsgericht hat die Abweisung der Klage insoweit damit begründet, dass zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis über den Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung bestanden habe. Wenn der Kläger sich mit seiner Berufungsbegründung argumentativ ausführlich mit der Begründung des Arbeitsgerichts zu der von diesem angenommenen Wirksamkeit der Kündigung befasst, setzt er sich hiermit zugleich auch mit der Begründung für das Nicht-Bestehen der geltend gemachten Zahlungsansprüche auseinander.

B.

42

Die Berufung des Klägers ist begründet.

I.

43

Die streitgegenständliche Kündigung des Beklagten vom 03.06.2016 ist rechtsunwirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet.

44

Die Voraussetzungen einer außerordentlichen Verdachtskündigung sind nicht erfüllt. Es fehlt an einem dringenden Tatverdacht.

1.

45

Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann eine Kündigung, je nach Lage des Falles auch eine außerordentliche Kündigung bedingen. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 16). Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn starke, auf objektive Tatsachen gründende Verdachtsmomente vorliegen, die geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 20). Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte.Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus. Eine Verdachtskündigung ist auch als ordentliche Kündigung nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Dies gilt zum einen für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. In dieser Hinsicht bestehen keine Unterschiede zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung. Für beide Kündigungsarten muss der Verdacht gleichermaßen erdrückend sein. Dies gilt zum anderen für die inhaltliche Bewertung des fraglichen Verhaltens und die Interessenabwägung. Auch im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG müssen sie zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist, - wäre es erwiesen - sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt hätte. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Kündigung schon durch den bloßen Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens „bedingt“ (BAG, Urteil vom 18. Juni 2015 – 2 AZR 256/14 –, Rn. 22, juris).

2.

46

Ausgehend hiervon fehlt es an einem dringenden Verdacht, weil die Umstände, die ihn begründen, ebenso durch ein Geschehen erklärbar sind, welches eine außerordentliche Kündigung vorliegend nicht rechtfertigen könnte.

47

Das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass vorliegend nicht nur in Betracht kommt, dass der Kläger im Verfahren vor dem Landgericht Mainz falsch ausgesagt hat, sondern ebenso, dass der Inhalt der E-Mail des Klägers an Herrn M. vom 23.10.2013 falsch war.

48

Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Variante einer Falschaussage im gerichtlichen Verfahren besteht nicht. Gegen eine solche überwiegende Wahrscheinlichkeit, also gegen einen "dringenderen" Verdacht zugunsten dieser denkbaren Sachverhaltsvariante spricht zum einen, dass die ebenfalls im landgerichtlichen Verfahren vernommene Zeugin T. die in der Mail behaupteten Gesprächsinhalte nicht bestätigt hat. Soweit der ebenfalls vernommene Herr M. bekundet hat, der Kläger habe auch nach der Mail in Telefonaten sinngemäß die Inhalte der Mail bestätigt, spricht dies nicht für die Richtigkeit der in der Mail behaupteten Sachverhalte, sondern kann ebenso plausibel darin begründet sein, dass der Kläger stringent an den unrichtigen Behauptungen festhalten wollte.

49

Das Arbeitsgericht hat deshalb auch im Ausgangspunkt zutreffend hinsichtlich beider in Betracht kommender Varianten geprüft, ob jede für sich genommen als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht kommen. Wäre dies der Fall, könnte im Sinne einer "Wahlfeststellung" (vgl. LAG Berlin 03.08.1998 -9 TaBV 4/98-, juris, Rn. 49) offen bleiben, ob und für welche Variante eine größere Wahrscheinlichkeit besteht.

3.

50

Die Berufungskammer folgt dem arbeitsgerichtlichen Urteil insoweit, als ein dringender Verdacht der Falschaussage zu Lasten des Arbeitgebers in einem Prozess desselben gegen einen Dritten an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen.

4.

51

Anders als das Arbeitsgericht scheidet aber hinsichtlich des denkbaren Alternativverhaltens (Mail an Herrn M. mit unzutreffendem Inhalt) eine außerordentliche (Verdachts-)Kündigung aus.

52

Die Übersendung der Mail vom 23.10.2013 an Herrn M. ist -einen nicht den Tatsachen entsprechenden Inhalt in Bezug auf die behaupteten Äußerungen des Herrn Z. unterstellt- nicht geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Damit bezieht sich der Verdacht nicht auf eine Pflichtverletzung, die, läge sie tatsächlich vor, eine außerordentliche, fristlose (Tat-)Kündigung gerechtfertigt hätte.

a.

53

Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 40; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19). Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - aaO; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - aaO.). Eine in diesem Sinne erhebliche Pflichtverletzung stellen ua. bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen durch den Arbeitnehmer über seinen Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen dar, insbesondere dann, wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG 18. Dezember 2014 – 2 AZR 265/14 –, Rn. 16, juris).

54

Der Arbeitnehmer ist auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Die Pflicht zur Rücksichtnahme kann deshalb auch durch außerdienstliches Verhalten verletzt werden. Allerdings kann ein außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers die berechtigten Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer grundsätzlich nur beeinträchtigen, wenn es einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat .Das ist der Fall, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat Fehlt ein solcher Zusammenhang, scheidet eine Pflichtverletzung regelmäßig aus (BAG 27. Januar 2011 – 2 AZR 825/09 –, Rn. 31, juris).

b.

55

Unterstellt der Inhalt der E-Mail war in Bezug auf die dort geschilderten Verhaltensweisen bzw. Äußerungen des Dr. Z. falsch, ist festzuhalten, dass es sich um ein außerdienstliches Verhalten des Klägers handelte. Diesem fehlt schon der nach obigen Rechtsgrundsätzen erforderliche Bezug zum Arbeitsverhältnis. Jedenfalls aber würde nach Auffassung der Berufungskammer eine außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles an der abschließend vorzunehmenden Interessenabwägung scheitern. Der Schwere des ggfs. vorliegenden Pflichtverstoßes stehen zu Gunsten des Klägers sprechende Gesichtspunkte mit überwiegendem Gewicht entgegen.

56

Herr M. war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Arbeitnehmer oder Organ des Beklagten, sondern ab 01.01.2012 Geschäftsführer des MDK im S.. Herr Z. war als Geschäftsführer abberufen und dessen Vertragsverhältnis gekündigt. Ein Vorwurf dahingehend, der Kläger habe mit der E-Mail ggfs. innerhalb der Beklagten versucht, den stellvertretenden Geschäftsführer gegen den Geschäftsführer des Beklagten auszuspielen, kann damit nicht erhoben werden. Worin vorliegend negative Auswirkungen auf den Betrieb des Beklagten liegen sollen, ist nicht ersichtlich: Herr Z. war zum Zeitpunkt der Mail bereits als Geschäftsführer abberufen und sein Vertrag außerordentlich gekündigt. Unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen hat der Kläger somit nicht aufgestellt. Zum Zeitpunkt der E-Mail stand zwar nicht fest, ob die außerordentliche Kündigung des Vertrages des Herrn Z. rechtlichen Bestand haben würde. Gegenstand der außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrages des Herrn Z. waren erhebliche verhaltensbedingte Vorwürfe der Beklagten. Die rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Beklagten und Herrn Z. dauern an. Woraus unter diesen Umständen zum Zeitpunkt des Zugangs der hier streitgegenständlichen Kündigung noch ein Interesse des Beklagten folgen soll, sich schützend vor Herrn Z. gegenüber unberechtigten Vorwürfen zu stellen, ist nicht erkennbar.

57

Jedenfalls aber würde bei einer unterstellten Pflichtwidrigkeit aufgrund unzutreffenden Inhalts der E-Mail die abschließend vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des Klägers ausfallen.

58

Unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles wiegt eine eventuelle Pflichtverletzung des Klägers nicht so schwer, dass diese ohne vorherige Abmahnung eine außerordentliche fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt hätte. Hierbei kann unterstellt werden, dass dem Kläger bewusst war oder hätte bewusst sein müssen, dass Herr M. die dort enthaltenen Tatsachenbehauptungen zum Anlass nehmen würde, gegen Herrn Z. eine Strafanzeige zu stellen oder die Beklagte von den Vorwürfen zu unterrichten.

59

In dem (unterstellten) Verhalten des Klägers kommt aber nicht zum Ausdruck, dass dieser generell bereit ist, andere Arbeitnehmer oder Repräsentanten der Beklagten mit unzutreffenden Vorwürfen zu diskreditieren, was die Beklagte in der Tat nicht hinnehmen müsste. Wie sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ergibt, war der Kläger -von Herrn Z. verantwortet- insgesamt 6 im Ergebnis nicht rechtmäßigen Kündigungen ausgesetzt, wodurch das Arbeitsverhältnis erheblich belastet war. Ferner steht fest, dass zumindest mitursächlich hierdurch die Gesundheit des Klägers in Form einer psychischen Erkrankung mit der Folge erheblicher Arbeitsunfähigkeitszeiten beeinträchtigt wurde. Es kann offenbleiben, ob diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen zum Zeitpunkt der E-Mail zu einem Entfall der Steuerungsfähigkeit des Klägers geführt haben und es deshalb an einem Verschulden fehlen würde. Jedenfalls ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass dem Kläger kein schwerer Schuldvorwurf zu machen ist, da er von Herrn Z. verantwortet mehrfach unberechtigt gekündigt wurde und insoweit eine besondere, auch der Beklagten zurechenbare Konfliktsituation bestand, die sich unter der Geschäftsführerschaft des Herrn Z. entwickelte und untrennbar mit der Person des Herrn Dr. Z. verknüpft war. Eine auf andere Personen gerichtete Wiederholungsgefahr besteht nicht.

60

Welchen Nachteil die Beklagte im Rahmen des landgerichtlichen Verfahrens oder in Bezug auf die von ihr gegenüber Herrn Dr. Z. verfolgten Interessen erlitten haben soll, ist nicht ersichtlich. Die Beklagte hat nicht erstmals das Vertragsverhältnis mit Dr. Z. aufgrund der in der Mail behaupteten Sachverhalte gekündigt, sondern während des laufenden Verfahrens wegen einer anderweitigen Kündigung eine weitere Kündigung ausgesprochen. Sie ist also nicht ursächlich durch die Mail zu einer allein hierauf gestützten Kündigung mit der Folge der Verwicklung in einen aussichtslosen Prozess veranlasst worden.

61

Unter Berücksichtigung dieser Umstände und des langjährigen Bestands des Arbeitsverhältnisses sowie der auch unter Berücksichtigung des Lebensalters des Klägers eher negativ zu beurteilenden Aussicht, eine angemessene vergleichbare Beschäftigung zu finden, war der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar.

c.

62

Soweit die Beklagte darauf abstellt, der Kläger wäre dann, wenn der Inhalt der E-Mail unzutreffend war, jedenfalls gehalten gewesen, sie spätestens nach Erhalt der Zeugenladung darauf hinzuweisen, dass er die in der Mail aufgestellten Behauptungen nicht zeugenschaftlich bestätigen werde können, ist zutreffend, dass den Arbeitnehmer als Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) die Pflicht trifft, den Arbeitgeber im Rahmen des zumutbaren auch unaufgefordert über solche Umstände aufzuklären, die für die Wahrung der berechtigten Interessen des Arbeitgebers von nicht nur unerheblicher Bedeutung sind (vgl. BAG 28.8.2008 -2 AZR 15/07-, juris).

63

Voraussetzung für die Annahme einer solchen Pflicht im vorliegenden Fall wäre aber, dass für den Kläger erkennbar war, dass die Beklagte ihre im Prozess mit Dr. Z. getroffenen Behauptungen auf die E-Mail aus dem Jahr 2013 stützte. Dies lässt sich dem Sachvortrag der Beklagten nicht entnehmen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, ob und in welcher Konkretisierung dem Kläger das voraussichtliche Beweisthema mitgeteilt worden ist.

II.

64

Soweit der Kläger beantragt, ihn zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen, hat die Berufung ebenfalls Erfolg. Der Antrag ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, welche Tätigkeit der Kläger arbeitsvertraglich auszuüben hat. In der Sache folgt der Weiterbeschäftigungsanspruch als arbeitsvertraglicher Anspruch daraus, dass -wie ausgeführt- die streitgegenständliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat.

III.

65

Ebenfalls stehen dem Kläger die geltend gemachten Zahlungsansprüche (Anträge zu 3., 4.) unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu, § 615 Satz 1 BGB, § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. § 293 ff. BGB. Aufgrund unwirksamer außerordentlicher Kündigung geriet die Beklagte auch ohne wörtliches oder tatsächliches Arbeitsangebot in Annahmneverzug (vgl. nur BAG 24.10.2013 -2 AZR 1078/12-, juris, Rn. 55 ff.). Der jeweils geltend gemachte Zinsanspruch folgt aus Verzug, §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB, § 614 BGB.

C.

66

Auf die Berufung des Klägers war daher das angefochtene Urteil wie aus dem Tenor ersichtlich abzuändern. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.

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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund


(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unte

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(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis


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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 615 Vergütung bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko


Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch de

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(1) Die Vorschriften des Ersten und Zweiten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten und des öffentlichen Rechts, vorbehaltlich der Vorschriften des § 24 für die Seeschiffahrts-, Binnenschiffahrts- und Luftverkehrsbetriebe. Die Vo

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 174 Einseitiges Rechtsgeschäft eines Bevollmächtigten


Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die

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Die Vergütung ist nach der Leistung der Dienste zu entrichten. Ist die Vergütung nach Zeitabschnitten bemessen, so ist sie nach dem Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten.

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(1) Die Vorschriften des Ersten und Zweiten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten und des öffentlichen Rechts, vorbehaltlich der Vorschriften des § 24 für die Seeschiffahrts-, Binnenschiffahrts- und Luftverkehrsbetriebe. Die Vorschriften des Ersten Abschnitts gelten mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden. In Betrieben und Verwaltungen, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden, gelten die Vorschriften des Ersten Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2003 begonnen hat; diese Arbeitnehmer sind bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach Satz 2 bis zur Beschäftigung von in der Regel zehn Arbeitnehmern nicht zu berücksichtigen. Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach den Sätzen 2 und 3 sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen.

(2) Die Vorschriften des Dritten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten Rechts sowie für Betriebe, die von einer öffentlichen Verwaltung geführt werden, soweit sie wirtschaftliche Zwecke verfolgen.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.

(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.

(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.

Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

Tenor

1. Die Anschlussrevision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. Juli 2011 - 10 Sa 1781/10 - wird zurückgewiesen.

2. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 29. Juni 2010 - 1 Ca 2998/09 - zurückgewiesen hat.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revisionsinstanz - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten.

2

Die Beklagte ist ein Einzelhandelsunternehmen. Die 1967 geborene Klägerin war - unter Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten - seit 1991 bei ihr beschäftigt. Zuletzt war sie im Getränkemarkt des Einkaufsmarkts G tätig. Im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung erzielte sie einen monatlichen Bruttoverdienst iHv. 1.406,92 Euro. In dem Markt beschäftigt die Beklagte insgesamt weit mehr als zehn Arbeitnehmer, für die ein 7-köpfiger Betriebsrat errichtet ist.

3

In dem Getränkemarkt waren drei Kassen eingerichtet. Über eine Kasse erfolgte die Leergutannahme. Soweit sie nicht zu besetzen waren, wurde den Kassen der Geräteeinsatz mit dem Wechselgeld entnommen. Ursprünglich wurden die Einsätze im zentralen Kassenbüro des Einkaufsmarkts aufbewahrt. Das brachte es mit sich, dass die Kassenmitarbeiter des Getränkemarkts den Einsatz bei Dienstantritt im Kassenbüro abholen und nach Dienstschluss dorthin zurückbringen mussten. Im Kassenbüro erhielten sie auch das Wechselgeld. Diese Gänge entfielen ab Mitte August 2009, nachdem die Beklagte im Getränkemarkt einen Tresor für die Aufbewahrung der Einsätze und des Wechselgelds hatte installieren lassen.

4

Der Umgang mit Geld war für alle Märkte in sog. Kassenanweisungen geregelt. Deren Erhalt hatte die Klägerin mit ihrer Unterschrift bestätigt. Nach den zuletzt gültigen Regelungen war es Kassenmitarbeitern untersagt, Bargeld in der Dienstkleidung oder im Schubfach des Kassentischs aufzubewahren, Geld aus der Kasse zu entnehmen oder es sich leihweise selbst oder anderen zur Verfügung zu stellen. Geld durfte weder zwischen den Kassenkräften untereinander gewechselt noch nach Geschäftsschluss in den Schubfächern der Kassen aufbewahrt werden. Die Herausgabe zusätzlichen Wechselgelds hatte durch die Marktleitung zu erfolgen. Geldwechselgeschäfte mit Kunden waren untersagt. Geld, das von Kunden liegengelassen wurde, war unmittelbar der Marktleitung auszuhändigen; anschließend sollte es im Büro/Tresor deponiert werden. Im August 2009 erließ die Beklagte zusätzlich eine „Ablaufbeschreibung Kassenbüro“. Danach sollten „Kassierdifferenzen“ täglich dem Geschäftsleiter gemeldet werden. „Fundgeld“ sollte einmal monatlich „in die 99-er Kasse eingezahlt“, „Klüngelgeld“ einmal pro Woche „auf WGR 700“ gebucht werden.

5

Im Getränkemarkt war seit jeher eine Videokamera installiert. Darüber waren die Mitarbeiter in Kenntnis gesetzt worden. Die Kamera ermöglichte die Überwachung des Kassenbereichs sowie der Ein- und Ausgänge. Die eigentlichen Kassiervorgänge wurden nicht erfasst.

6

Zur Mitte des Jahres 2009 stellte die Beklagte anlässlich einer Revision fest, dass in der ersten Jahreshälfte Leergutdifferenzen iHv. mehr als 7.000,00 Euro aufgetreten waren. Nachdem Kontrollen des Lagerbestands und des Warenausgangs keine Hinweise auf Unregelmäßigkeiten ergeben hatten, vermutete sie deren Ursache im Kassenbereich. Sie ging von der Möglichkeit aus, dass dort ohne Entgegennahme von Leergut „falsche“ Bons gedruckt und entsprechende Gelder der Kasse entnommen würden. Am 7. Juli 2009 vereinbarte sie mit dem Vorsitzenden des Betriebsrats für die Dauer von vier Wochen die Durchführung einer verdeckten Videoüberwachung des Kassenbereichs. Sie beauftragte eine Fachfirma, die in der Zeit vom 13. Juli bis 3. August 2009 die Kassenvorgänge mittels Videokamera aufzeichnete. Die der Firma gleichfalls übertragene Auswertung der Aufzeichnungen einschließlich der Erstellung eines Zusammenschnitts und einer Dokumentation war am 3. September 2009 abgeschlossen. Aus den Aufzeichnungen ging hervor, dass sich unter der Leergutkasse des Getränkemarkts ein Plastikbehälter befand, in dem Geld aufbewahrt wurde. Außerdem war zu erkennen, dass die Klägerin am 16. Juli 2009 gegen 8:45 Uhr, am 22. Juli 2009 gegen 16:13 Uhr und am 23. Juli 2009 gegen 18:34 Uhr diesem Behältnis Geld entnahm und in ihre Hosentasche steckte. Die Vorgänge als solche sind unstreitig.

7

Am 14. August 2009 hatte die Beklagte der Klägerin wegen eines Verhaltens vom 11. Juli 2009 eine Abmahnung erteilt. An diesem Tag hatte die Klägerin nach Dienstschluss Wechselgeld iHv. 300,00 Euro mit nach Hause genommen, statt es weisungsgemäß im Kassenbüro abzugeben. Die Klägerin hatte sich in einem noch am selben Abend geführten Telefonat auf ein Versehen berufen und das Geld am 12. Juli 2009 bei der Beklagten abgeliefert.

8

Noch am 3. September 2009 führte die Beklagte im Getränkemarkt eine Kontrolle des Kassenbereichs durch; der dort vorgefundene Plastikbehälter enthielt Münzen im Wert von 12,35 Euro. Am 4. September 2009 hörte sie die Klägerin zur Existenz dieser sog. Klüngelgeld-Kasse an und konfrontierte sie mit dem Vorwurf, hieraus Geld für eigene Zwecke entnommen zu haben. Mit Schreiben vom 8. September 2009 bat sie den Betriebsrat um Stellungnahme zu einer beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung wegen des Verdachts der Untreue und Unterschlagung. Mit Schreiben vom 11. September 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010“.

9

Die Klägerin hat mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage geltend gemacht, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSd. § 626 BGB liege nicht vor. Eine ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. „Klüngelgeld-Kassen“ existierten in sämtlichen Bereichen des Einkaufsmarkts. Sie dienten dazu, Wechselgeld aufzubewahren, das Kunden partout nicht hätten mitnehmen wollen. Sie selbst habe Geld, das sie dieser Kasse entnommen habe, dafür verwendet - wie in vergleichbaren Fällen andere Kassenkräfte auch -, morgens einen Einkaufswagen auszulösen, um damit zugleich mehrere im Getränkemarkt benötigte Kasseneinsätze zu transportieren. Teilweise habe sie dafür zunächst ein eigenes Geldstück benutzt und dies später über die „Klüngelgeld-Kasse“ ausgeglichen. Teilweise sei Kleingeld aus dieser Kasse gegen Geld im Kasseneinsatz getauscht worden, um nicht noch kurz vor Kassenschluss eine neue Wechselgeldrolle öffnen zu müssen. Ihr Verhalten rechtfertige keine Kündigung. Die Zusammenschnitte der Videoaufnahmen, die ohnehin einem Beweisverwertungsverbot unterlägen, böten keinen tauglichen Beweis dafür, dass sie sich Geld aus der fraglichen Kasse rechtswidrig zugeeignet habe. Überdies sei die Betriebsratsanhörung fehlerhaft. Die Klägerin hat Lohnforderungen für die Zeit von September 2009 bis einschließlich Mai 2010 erhoben.

10

Sie hat - soweit noch von Interesse - beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 11. September 2009 nicht aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, sie bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie 13.506,28 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diversen Teilbeträgen seit unterschiedlichen Zeitpunkten zu zahlen;

4. die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Warengutschein über 275,00 Euro auszustellen und auszuhändigen;

5. die Beklagte zu verurteilen, ihr ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen.

11

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgebracht, die Klägerin habe ihre Vertragspflichten schon durch das unerlaubte Führen einer „schwarzen Kasse“ erheblich verletzt. Darüber hinaus habe sie der fraglichen Kasse Geld in der offenkundigen Absicht entnommen, es für sich zu behalten. Zumindest sei sie einer solchen Tat dringend verdächtig. Die Klägerin habe sich - wie aus den Videoaufnahmen ersichtlich - vor jeder Geldentnahme vergewissert, dass ihr niemand zusehe. Dessen habe es bei redlichem Vorgehen nicht bedurft. Ihre Einlassung, sie habe Geldstücke für den Transport der Kasseneinsätze benötigt, stelle eine Schutzbehauptung dar. Für entsprechende Zwecke habe ein Einkaufswagen bereitgestanden, der nicht eigens habe ausgelöst werden müssen. Im Übrigen ergebe sich aus dem Videomaterial nicht, dass die Klägerin mitgeführte Geldstücke je in die „Klüngelgeld-Kasse“ zurückgelegt habe. Die Videoaufzeichnungen seien rechtlich verwertbar. Im Zeitpunkt der Beobachtung habe ein hinreichend eingegrenzter Verdacht dahingehend bestanden, dass Leergutdifferenzen durch Unregelmäßigkeiten im Kassenbereich des Getränkemarkts entstünden. Mildere Mittel zur Aufklärung des Verdachts hätten nicht zur Verfügung gestanden.

12

Das Arbeitsgericht hat die Videoaufzeichnungen zu Beweiszwecken in Augenschein genommen und die Klage - soweit noch von Interesse - in vollem Umfang abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach erneuter Beweisaufnahme auf die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung erkannt. Zudem hat es die Beklagte zur Zahlung von Vergütung nebst Zinsen für die Zeit bis zum 31. März 2010 und zur Aushändigung eines Warengutscheins verurteilt. Die weitergehende Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren hinsichtlich der ordentlichen Kündigung und davon abhängiger Ansprüche weiter. Mit ihrer Anschlussrevision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

13

Die Anschlussrevision der Beklagten ist unbegründet. Die außerordentliche Kündigung vom 11. September 2009 ist unwirksam. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), soweit dieses die Berufung der Klägerin zurückgewiesen hat.

14

I. Die Anschlussrevision der Beklagten, soweit sie sich gegen die Entscheidung über das Feststellungsbegehren der Klägerin richtet, hat keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung vom 11. September 2009 nicht aufgelöst worden.

15

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 13; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

16

2. Als wichtiger Grund „an sich“ geeignet sind nicht nur erhebliche Pflichtverletzungen im Sinne von nachgewiesenen Taten. Auch der dringende, auf objektive Tatsachen gestützte Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (zu den Voraussetzungen vgl. nur BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 13 mwN).

17

3. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung oder eines dahingehenden dringenden Verdachts jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24). Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist ua. die ordentliche Kündigung (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 35, aaO).

18

4. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass gegen die Klägerin ein dringender Verdacht bestand, sich mehrfach Geldstücke aus der „Klüngelgeld-Kasse“ rechtswidrig zugeeignet zu haben, und deshalb „an sich“ ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vorlag. Im Rahmen seiner Beurteilung, selbst dann sei es der Beklagten bei Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien nicht unzumutbar gewesen, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten, hat das Landesarbeitsgericht alle für und gegen dieses Ergebnis sprechenden Aspekte berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen.

19

a) Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin zugutegehalten, dass sie durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit über rund 18 Jahre hinweg als Verkäuferin und Kassiererin Loyalität zur Beklagten gezeigt habe. Dies hält sich - auch in Anbetracht der Abmahnung vom 14. August 2009 - im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum. Die Beklagte ist der Behauptung der Klägerin, sie habe am 11. Juli 2009 die Ablieferung des Wechselgeldes aufgrund hohen Arbeitsanfalls schlicht vergessen, nicht entgegengetreten. Bei dem gerügten Verhalten handelt es sich mithin um einen - unbewussten - Ordnungsverstoß, der die Annahme, die Klägerin habe sich bis zu den umstrittenen Geldentnahmen aus der „Klüngelgeld-Kasse“ als vertrauenswürdig erwiesen, nicht, schon gar nicht zwingend infrage zu stellen vermochte.

20

b) Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht zugunsten der Klägerin berücksichtigt, dass der Beklagten allenfalls ein geringfügiger Schaden entstanden sei. Hat der Arbeitnehmer die Integrität von Eigentum oder Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich verletzt oder ist er einer solchen Tat dringend verdächtig, beeinträchtigt dies zwar die für die Durchführung der Vertragsbeziehung notwendige Vertrauensgrundlage grundsätzlich unabhängig vom Wert des betroffenen Gegenstands (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 27, BAGE 134, 349). Das schließt es aber nicht aus, bei der Gewichtung des Kündigungssachverhalts auf die Höhe eines eingetretenen Schadens Bedacht zu nehmen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184). Die im Berufungsurteil getroffene Interessenabwägung ist - anders als die Beklagte meint - nicht deshalb zu beanstanden, weil sich in der fraglichen Kasse am 4. September 2009 Münzen im Wert von etwas mehr als zwölf Euro befanden. Unbeschadet der Frage, ob bei einem Vermögensnachteil in dieser Höhe eine „Geringfügigkeitsschwelle“ überschritten wäre, ist nicht festgestellt, dass die Klägerin im Verdacht stand, sich Geld in diesem Umfang rechtswidrig zugeeignet oder hierzu doch unmittelbar angesetzt zu haben. Im Übrigen handelte es sich bei dem Umgang mit „Klüngelgeld“ um einen Bereich am Rande der Kassentätigkeit, den die Beklagte ausweislich der im August 2009 erlassenen „Ablaufbeschreibung Kassenbüro“ offenbar selbst für nicht ausreichend geregelt hielt. Auch wenn dieser Gesichtspunkt nicht geeignet ist, das dem - unterstellten - Verdacht zugrundeliegende Verhalten zu rechtfertigen, durfte das Landesarbeitsgericht ihn zugunsten der Klägerin in seine Gesamtbetrachtung einbeziehen.

21

c) Das Landesarbeitsgericht hat die Heimlichkeit des dem Verdacht zugrundeliegenden - unterstellten - Verhaltens nicht außer Acht gelassen, wie die Beklagte gemeint hat. Es hat in ihr lediglich keinen Umstand gesehen, der im vorliegenden Fall die Weiterbeschäftigung der Klägerin für die Dauer der Kündigungsfrist ausgeschlossen hätte. Das hält sich ebenso im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum wie die Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung der Klägerin gegenüber ihrem Kind.

22

II. Ob das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest. Zwar geht das Landesarbeitsgericht zutreffend von einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats aus (1.). Es durfte aber nicht annehmen, die ordentliche Kündigung sei auch materiell-rechtlich als Verdachtskündigung rechtswirksam, weil sie zwar nicht den Voraussetzungen von § 626 Abs. 1 BGB, wohl aber denen des § 1 Abs. 2 KSchG genüge. Ist der Arbeitnehmer eines Verhaltens verdächtig, das, wäre es erwiesen, nicht auch eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB, sondern lediglich eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG zu rechtfertigen vermöchte, ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses - trotz des Verdachts - nicht unzumutbar(2.). Da das Landesarbeitsgericht die ordentliche Kündigung bereits als Verdachtskündigung für wirksam gehalten hat, hat es nicht geprüft, ob eine ordentliche Kündigung wegen erwiesener Pflichtwidrigkeiten berechtigt wäre. Dies wird es nachzuholen haben. Dabei darf es den Inhalt der Videoaufzeichnungen nicht berücksichtigen. Deren Verwertung ist prozessual unzulässig (3.).

23

1. Die Rüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht habe § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG fehlerhaft angewandt, ist unbegründet.

24

a) Für die Mitteilung der Kündigungsgründe iSd. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“(BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 41; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 45; jeweils mwN). Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er schon aus seiner eigenen Sicht dem Betriebsrat einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt (BAG 12. August 2010 - 2 AZR 945/08 - Rn. 18; 7. November 2002 - 2 AZR 599/01 - zu B I 1 a der Gründe mwN).

25

b) Danach ist die Anhörung inhaltlich ordnungsgemäß erfolgt.

26

aa) Die Beklagte hat den Betriebsrat am 8. September 2009 schriftlich von ihrer Absicht unterrichtet, das Arbeitsverhältnis der Parteien wegen des „Verdachts einer Untreue und Unterschlagung“ hilfsweise auch ordentlich zu kündigen. Sie hat ihm dabei die Sozialdaten der Klägerin und die Dauer der einzuhaltenden Kündigungsfrist mitgeteilt. Außerdem hat sie den Anlass, den Zeitraum und das Ergebnis der Videoüberwachung dargestellt. Selbst wenn sich einzelne Angaben als unzutreffend herausgestellt haben sollten - etwa weil die für den 24. Juli 2009 mitgeteilte Geldentnahme tatsächlich nicht die Klägerin, sondern eine Kollegin betrifft und weder die „Speisung“ der Kasse noch die Geldentnahme vom 22. Juli 2009 in Zusammenhang mit der Entgegennahme von Leergut gestanden haben mögen - genügt die Anhörung den gesetzlichen Anforderungen. Es liegen keine Anhaltspunkte für eine bewusst unrichtige oder irreführende Unterrichtung des Betriebsrats vor. Beruhen die falschen Angaben auf einer Verwechslung von Daten oder fehlerhaften Deutung von Äußerungen der Klägerin im Anhörungsgespräch vom 4. September 2009, ist dies im Rahmen von § 102 Abs. 1 BetrVG unschädlich. Entscheidend ist, dass dem Betriebsrat der Kern des Kündigungsvorwurfs zutreffend mitgeteilt wurde. Maßgebend für den Kündigungsentschluss der Beklagten war, dass die Klägerin entgegen eindeutigen Vorgaben Geld, das entweder ihr - der Beklagten - oder ihren Kunden zustand, in einem Plastikbehälter neben der Kasse im Getränkemarkt aufbewahrte, und der damit in Zusammenhang stehende Verdacht, aus diesem Behälter gelegentlich Geld für eigene Zwecke entnommen zu haben. Darauf, ob die Klägerin dies zweimal oder dreimal tat, kam es der Beklagten nicht an. Gleiches gilt für die Frage, ob die Geldentnahme in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Bedienung eines Kunden stand.

27

bb) Die Beklagte brauchte den Betriebsrat nicht darüber zu unterrichten, dass die Überwachung mittels Videokamera - wie die Klägerin gemeint hat - unrechtmäßig war. Davon ging sie subjektiv nicht aus. Soweit die Klägerin nähere Angaben zur Interessenabwägung vermisst, ist dies ohne rechtlichen Belang. Die Anhörung zu ihrer Absicht, das Arbeitsverhältnis der Parteien zu kündigen, impliziert die von der Beklagten zu ihren - der Klägerin - Lasten getroffene Abwägung. Eine nähere Begründung war vor dem Hintergrund des Grundsatzes der subjektiven Determinierung nicht erforderlich. Die Klägerin übersieht, dass die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht so weit reicht wie seine Darlegungslast im Prozess(vgl. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 45; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 163/07 - Rn. 19 mwN).

28

cc) Den Feststellungen im Berufungsurteil zufolge hat der Betriebsrat am 10. September 2009 erklärt, er habe die Kündigungsabsicht zur Kenntnis genommen. Das Landesarbeitsgericht hat darin fehlerfrei eine abschließende Stellungnahme erblickt, die es der Beklagten betriebsverfassungsrechtlich ermöglichte, die ordentliche Kündigung am 11. September 2009 zu erklären.

29

2. Dagegen trägt die Begründung, mit der das Landesarbeitsgericht die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 auch materiell-rechtlich für wirksam angesehen hat, seine Würdigung nicht.

30

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin komme zwar nicht als Verursacherin der Leergutdifferenzen in Betracht. Sie stehe aber im dringenden Verdacht, sich fremdes Geld aus der „Klüngelgeld-Kasse“ rechtswidrig zugeeignet zu haben. Am 16. Juli und am 22. Juli 2009 habe sie einzelne daraus entnommene Geldstücke in ihre Hosentasche gesteckt. Durch die in Augenschein genommenen Videosequenzen sei bewiesen, dass sie sich bei diesen Handlungen jeweils „versichernd“ in mehrere Richtungen umgesehen habe. Damit habe sie sicherstellen wollen, nicht beobachtet zu werden. Das heimliche Vorgehen spreche für eine Zueignungsabsicht. Zugleich widerlege es ihre Einlassung, die Geldstücke für das Auslösen eines Einkaufswagens benötigt zu haben. Erhärtet werde der Verdacht auf eine Zueignungsabsicht dadurch, dass die Klägerin am 23. Juli 2009 gegen 18:34 Uhr der fraglichen Kasse mehrere Geldstücke entnommen und gegen Geld aus der Scannerkasse „getauscht“ habe. Überdies sei die Höhe des am 3. September 2009 in dem fraglichen Behälter vorgefundenen Geldbetrags nicht mit dem nur gelegentlichen Auslösen eines Einkaufswagens zu erklären. Gestützt auf diese tatsächlichen Umstände ist das Landesarbeitsgericht zu der Auffassung gelangt, die Kündigung vom 11. September 2009 sei „durch Gründe, die im Verhalten der Klägerin liegen, bedingt“. Das Vertrauen der Beklagten in die Zuverlässigkeit der Klägerin sei „durch die erwiesenen Verdachtsmomente“ irreparabel erschüttert. Die ordentliche Kündigung sei deshalb als gegenüber der außerordentlichen Kündigung milderes Mittel sozial gerechtfertigt.

31

b) Diese Würdigung ist rechtsfehlerhaft. Das Landesarbeitsgericht hat die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 11. September 2009 erkennbar als die einer Verdachtskündigung bejaht. Als solche genügt sie den gesetzlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen nicht. Zwar kann eine Verdachtskündigung vom Arbeitgeber auch als ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist erklärt werden und muss nicht notwendig eine außerordentliche Kündigung sein. Sie unterliegt in diesem Fall jedoch keinen geringeren materiell-rechtlichen Anforderungen.

32

aa) Eine Verdachtskündigung ist auch als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten (vgl. BAG 27. November 2008 - 2 AZR 98/07 - Rn. 22; Krause in vHH/L 15. Aufl. § 1 Rn. 470; Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. § 1 Rn. 276). Dies gilt zum einen für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. In dieser Hinsicht bestehen keine Unterschiede zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung. Für beide Kündigungsarten muss der Verdacht gleichermaßen erdrückend sein (vorausgesetzt in BAG 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 42; Bader/Bram-Bram KSchG § 1 Rn. 251). Dies gilt zum anderen für die inhaltliche Bewertung des fraglichen Verhaltens und die Interessenabwägung. Auch im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG müssen sie zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist, - wäre es erwiesen - sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würde. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Kündigung schon durch den bloßen Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens iSv. § 1 Abs. 2 KSchG „bedingt“.

33

bb) Angesichts der jeweils aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden, gegensätzlichen Grundrechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien bedarf das Rechtsinstitut der Verdachtskündigung der besonderen verfassungsrechtlichen Legitimation. Sie beruht auf der Erwägung, dass dem Arbeitgeber von der Rechtsordnung die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses unter dem dringenden Verdacht auf ein Verhalten des Arbeitnehmers, das ihn zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würde, nicht zugemutet werden kann. Besteht dagegen der Verdacht auf das Vorliegen eines solchen Grundes nicht, weil selbst erwiesenes Fehlverhalten des Arbeitnehmers die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen könnte, überwiegt bei der Güterabwägung im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers. In einem solchen Fall nimmt die Rechtsordnung das Risiko, einen „Unschuldigen“ zu treffen, nicht in Kauf.

34

cc) Ist der Arbeitnehmer eines Verhaltens verdächtig, dass selbst als erwiesenes nur eine ordentliche Kündigung zu stützen vermöchte, ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses deshalb trotz des entsprechenden Verdachts zuzumuten. Weder liegt ein Grund im Verhalten des Arbeitnehmers, noch liegt ein Grund in der Person des Arbeitnehmers vor, der die Kündigung „bedingen“ könnte. Ein pflichtwidriges Verhalten ist - wie stets bei der Verdachtskündigung - nicht erwiesen und der bloße Verdacht auf ein lediglich die ordentliche Kündigung rechtfertigendes Verhalten führt nicht zu einem Eignungsmangel.

35

c) Das Landesarbeitsgericht hat im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB angenommen, dass das Verhalten, dessen die Klägerin verdächtig ist, eine außerordentliche Kündigung nicht zu stützen vermöchte. Diese Würdigung hält, wie dargelegt, der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Damit steht zugleich fest, dass eine Verdachtskündigung auch als ordentliche Kündigung nicht in Betracht kommt.

36

3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Dem Senat ist eine abschließende Entscheidung nicht möglich. Das angefochtene Urteil stellt sich nicht deshalb als im Ergebnis richtig dar, weil die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 zwar nicht als Verdachts-, aber doch als sog. Tatkündigung wirksam wäre. Als solche ist sie nicht schon auf der Grundlage des eigenen Vortrags der Klägerin sozial gerechtfertigt. Um dies auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten beurteilen zu können, fehlt es an Feststellungen und deren Würdigung durch das Landesarbeitsgericht. Diese sind nicht deshalb entbehrlich, weil sich die Beklagte auf eine erwiesene Pflichtverletzung als Kündigungsgrund prozessual nicht berufen hat und der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung unter diesem Aspekt überdies § 102 Abs. 1 BetrVG entgegenstünde.

37

a) Das Vorbringen der Klägerin selbst trägt die Kündigung nicht. Die Klägerin hat sich für die Existenz der „Klüngelgeld-Kasse“ auf eine in verschiedenen Abteilungen des Betriebs geübte Praxis und überdies darauf berufen, diese sei der Beklagten - zumindest rudimentär - bekannt gewesen. Trifft dies zu, liegt in dem Vorhalten der fraglichen Kasse für sich genommen kein Verhalten, das die Kündigung ohne vorausgehende Abmahnung rechtfertigen könnte. Dass die Klägerin, wie sie einräumt, dieser Kasse gelegentlich einzelne Geldstücke entnommen und außerdem darin enthaltene Münzen gegen im Kasseneinsatz befindliche Geldstücke gewechselt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Dass sie Geldstücke an sich genommen habe, um sich diese rechtswidrig zuzueignen, hat die Klägerin stets in Abrede gestellt.

38

b) Auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten ist die Sache nicht zur Endentscheidung reif. Auch wenn die Beklagte neben dem Führen der „Klüngelgeld-Kasse“ als solchem nur den Verdacht auf die rechtswidrige Zueignung von Geldstücken als Kündigungsgrund in den Prozess eingeführt hat, ist das Landesarbeitsgericht nicht gehindert, aufgrund der objektiven Verdachtsumstände ggf. zu der Überzeugung zu gelangen, der Verdacht habe sich in der Weise bestätigt, dass die fragliche Pflichtwidrigkeit nachgewiesen sei.

39

aa) Das Landesarbeitsgericht würde auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigen, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, BAGE 131, 155). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 26, BAGE 137, 54; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, BAGE 134, 349).

40

bb) Das Landesarbeitsgericht hat sich insoweit ersichtlich weder eine positive noch eine negative Überzeugung gebildet, weil es schon den Verdacht auf eine Zueignungsabsicht der Klägerin als Grund für die ordentliche Kündigung hat ausreichen lassen. Die Beklagte darf nach Aufhebung des für sie günstigen Berufungsurteils nicht um die prozessuale Chance gebracht werden, dass das Landesarbeitsgericht auf der Basis der Rechtsauffassung des Senats die mögliche Erwiesenheit einer Pflichtwidrigkeit der Klägerin geprüft und dabei eine für sie - die Beklagte - günstige Überzeugung gewonnen hätte.

41

c) Der Umstand, dass der Betriebsrat von der Beklagten nur zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht einer Wirksamkeit der Kündigung wegen eines nachgewiesenen Pflichtenverstoßes nicht notwendig entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des fraglichen Geschehens als erwiesene Tat setzt allerdings voraus, dass dem Betriebsrat am 8. September 2009 sämtliche Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur - möglichen - Überzeugung des Landesarbeitsgerichts auch den Tatvorwurf begründen (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24, BAGE 134, 349; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, BAGE 131, 155). In diesem Fall wäre dem Normzweck des § 102 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat würde dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt dem Betriebsrat sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24, aaO; 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 217).

42

d) Bei der Prüfung, ob die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 wegen erwiesener Pflichtwidrigkeiten der Klägerin sozial gerechtfertigt ist, darf das Landesarbeitsgericht seine Überzeugung nicht auf den Inhalt der in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen stützen. Deren Verwertung ist prozessual unzulässig. Ob dies unmittelbar aus § 6b BDSG oder doch § 32 BDSG folgt, kann im Ergebnis offen bleiben. Ein Verwertungsverbot ergibt sich in jedem Fall aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG, die nicht durch überwiegende Beweisinteressen der Beklagten gerechtfertigt ist.

43

aa) Allerdings kennt die Zivilprozessordnung selbst für rechtswidrig erlangte Informationen oder Beweismittel kein - ausdrückliches - prozessuales Verwendungs- bzw. Beweisverwertungsverbot. Aus § 286 ZPO iVm. Art. 103 Abs. 1 GG folgt vielmehr die grundsätzliche Verpflichtung der Gerichte, den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen(BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96 ua. - Rn. 60, BVerfGE 106, 28; BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 30 mwN). Dementsprechend bedarf es für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots, das zugleich die Erhebung der angebotenen Beweise hindert, einer besonderen Legitimation und gesetzlichen Grundlage (vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 37; Musielak/Foerste ZPO 10. Aufl. § 284 Rn. 23; MüKoZPO/Prütting 4. Aufl. § 284 Rn. 64).

44

bb) Im gerichtlichen Verfahren tritt der Richter den Verfahrensbeteiligten in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Er ist daher nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteilsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet(BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 93 mwN, BVerfGE 117, 202). Dabei können sich auch aus materiellen Grundrechten wie Art. 2 Abs. 1 GG Anforderungen an das gerichtliche Verfahren ergeben, wenn es um die Offenbarung und Verwertung von persönlichen Daten geht, die grundrechtlich vor der Kenntnis durch Dritte geschützt sind. Das Gericht hat deshalb zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - aaO; BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 21). Dieses Recht schützt nicht allein die Privat- und Intimsphäre, sondern schützt in seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch die Befugnis eines Menschen, selbst darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise gegen ihn verwendet werden dürfen (BAG 26. August 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 15, BAGE 127, 276). Auch wenn keine spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen ist, greift die Verwertung von personenbezogenen Daten in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden (BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 ua. - BVerfGE 120, 378). Der Achtung dieses Rechts dient zudem Art. 8 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten(EMRK) (BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 14).

45

cc) Die Bestimmungen des BDSG über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild. Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe in diese Rechtspositionen zulässig sind (für das DSG NRW vgl. BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 16). Dies stellt § 1 BDSG ausdrücklich klar. Liegt keine Einwilligung des Betroffenen vor, ist die Datenverarbeitung nach dem Gesamtkonzept des BDSG nur zulässig, wenn eine verfassungsgemäße Rechtsvorschrift sie erlaubt. Fehlt es an der erforderlichen Ermächtigungsgrundlage oder liegen deren Voraussetzungen nicht vor, ist die Erhebung, Verarbeitung und/oder Nutzung personenbezogener Daten verboten. Dieser Grundsatz des § 4 Abs. 1 BDSG prägt das deutsche Datenschutzrecht(Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 4 Rn. 3; ErfK/Franzen 13. Aufl. § 4 BDSG Rn. 1; Simitis/Sokol BDSG 7. Aufl. § 4 Rn. 1).

46

(1) In diesem Sinne regelt § 6b BDSG die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen. Die Bestimmung gilt ua. für Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Verkaufsräumen (BT-Drucks. 14/4329, S. 38). Unerheblich ist, ob das Ziel der Beobachtung die Allgemeinheit ist oder die dort beschäftigten Arbeitnehmer sind (vgl. BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 36). Nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ist die Überwachung nur zulässig, wenn und soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.

47

(2) Gemäß dem zum 1. September 2009 in Kraft getretenen § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach dessen Begründung für seine Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Nach Abs. 1 Satz 2 der Regelung dürfen zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zu deren Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten am Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.

48

dd) Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kassen des Getränkemarkts vom übrigen Verkaufsraum abgegrenzt waren und die verdeckte Videoüberwachung deshalb keinen „öffentlichen Raum“ iSd. § 6b BDSG betraf(zur Problematik Simitis/Scholz BDSG 7. Aufl. § 6b Rn. 51; Bayreuther NZA 2005, 1038). Im Ergebnis kommt es darauf nicht an. Ebenso kann offen bleiben, ob § 32 BDSG auf Überwachungen Anwendung findet, die vor seinem Inkrafttreten bereits beendet waren, und wie der Anwendungsbereich dieser Vorschrift zu dem des § 6b BDSG abzugrenzen ist(dazu ErfK/Franzen 13. Aufl. § 6b BDSG Rn. 2; Simitis/Scholz aaO; Bayreuther DB 2012, 2222). Schließlich kann dahinstehen, ob Videoaufzeichnungen, die nicht von den Erlaubnistatbeständen des BDSG gedeckt sind, ohne Weiteres einem prozessualen Beweisverwertungsverbot unterliegen oder ob es für ein solches Verbot einer weitergehenden Abwägung der betroffenen Grundrechte bedarf, in die freilich die im Bundesdatenschutzgesetz getroffene Interessenabwägung einzubeziehen wäre (dazu Bayreuther DB 2012, 2222, 2225; Grimm/Schiefer RdA 2009, 329, 349; Lunk NZA 2009, 457; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13). Die Verwertung des verdeckt gewonnenen Videomaterials allein für den Beweis der Richtigkeit der Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe sich bei der - als solcher unstreitigen - Entnahme von „Klüngelgeld“ „versichernd umgeschaut“, ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zulässig.

49

(1) Greift die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Prozesspartei ein, überwiegt das Interesse an der Verwertung der Videoaufnahmen und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege das Interesse am Schutz dieses Grundrechts nur dann, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutreten. Das Interesse, sich ein Beweismittel zu sichern, reicht für sich allein nicht aus (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - BVerfGE 117, 202). Vielmehr muss sich gerade diese Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt erweisen (BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 - zu C II 4 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 29; 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 36 mwN).

50

(2) Dementsprechend sind Eingriffe in das Recht des Arbeitnehmers am eigenen Bild durch heimliche Videoüberwachung und die Verwertung entsprechender Aufzeichnungen dann zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist (grundlegend BAG 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b cc der Gründe, BAGE 105, 356; 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 30 - beide Male vor Inkrafttreten des § 32 BDSG ). Der Verdacht muss sich in Bezug auf eine konkrete strafbare Handlung oder andere schwere Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richten. Er darf sich einerseits nicht auf die allgemeine Mutmaßung beschränken, es könnten Straftaten begangen werden. Er muss sich andererseits nicht notwendig nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten. Auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen müssen weniger einschneidende Mittel als eine verdeckte Videoüberwachung zuvor ausgeschöpft worden sein (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - aaO; 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b dd (1) der Gründe, aaO).

51

(3) Das in § 6b Abs. 2 BDSG normierte Kennzeichnungsgebot steht einer Verwertung von Daten, die aus einer verdeckten Videoüberwachung gewonnen wurden, nicht zwingend entgegen(BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 41; Bauer/Schansker NJW 2012, 3537; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13; wohl auch Bayreuther DB 2012, 2222 ff.). Das gegenteilige Normverständnis, das zu einem absoluten, nur durch bereichsspezifische Spezialregelungen (etwa durch § 100c, § 100h StPO)eingeschränkten Verbot verdeckter Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Räumen führte, begegnete mit Blick auf die durch Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Integritätsinteressen des Arbeitgebers verfassungsrechtlichen Bedenken.

52

(4) Die Regelung des § 32 BDSG baut auf den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätzen auf. Nach der Gesetzesbegründung sollte sie diese nicht ändern, sondern lediglich zusammenfassen (vgl. BT-Drucks. 16/13657, S. 21). Dementsprechend setzt § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG voraus, dass die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten zur Aufdeckung einer Straftat erforderlich ist, und verlangt insoweit eine am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierte, die Interessen des Arbeitgebers und des Beschäftigten abwägende Einzelfallentscheidung. Diese muss zumindest den schon bisher geltenden Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer heimlichen Videoüberwachung entsprechen (Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13; Wybitul BB 2010, 2235).

53

(5) Es kann dahinstehen, ob § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG weitergehend verlangt, dass sich der Verdacht auf ein strafbares Verhalten richtet und deshalb auch der Verdacht auf schwere Pflichtverletzungen, ohne dass zugleich ihre Strafbarkeit feststünde, die Beobachtung nicht rechtfertigen könnte. Ebenso kann offenbleiben, ob die Regelung zusätzliche Anforderungen an die personelle Konkretisierung des Verdachts sowie dessen Dokumentation stellt (zweifelnd Bauer/Schansker NJW 2012, 3537, 3539; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13). Hier fehlt es schon an der Erfüllung der bisher geltenden Anforderungen an die Zulässigkeit einer verdeckten Videoüberwachung und der Verwertung des daraus gewonnenen Materials. Damit liegt auch ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand nicht vor.

54

(a) Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme, für die verdeckte Beobachtung des Kassenbereichs habe ein hinreichender Anlass bestanden. Zwar ist - mangels zulässiger Verfahrensrügen der Revision - davon auszugehen, dass im ersten Halbjahr 2009 im Getränkemarkt Leergutdifferenzen iHv. insgesamt 7.081,63 Euro zu verzeichnen waren. Es ist weder dargetan noch festgestellt, durch welche konkreten Maßnahmen die Beklagte ausgeschlossen haben will, dass Leergut nicht etwa aus dem Lager entwendet worden ist. Ihr Vorbringen, sie habe „keine Fehlbestände an Leergut im Lager und im Kassenbereich festgestellt“ bleibt im Allgemeinen haften. Es lässt nicht erkennen, dass sie stichprobenartige Kontrollen ausreichend oft durchgeführt hätte. Überdies macht ihr Vortrag nicht deutlich, ob vergleichbare Fehlbestände schon früher aufgetreten, ob diese ggf. als „auflaufender Posten“ in die Berechnungen des Jahres 2009 eingeflossen sind und wie Fehlbuchungen als mögliche Ursache ausgeschlossen wurden. Selbst wenn die Beklagte die Ursache der Leergutdifferenzen berechtigterweise im Kassenbereich hätte vermuten dürfen, fehlt es an Vortrag und Feststellungen dazu, weshalb die Videoüberwachung das praktisch einzig verbliebene Mittel gewesen sein soll, die Unregelmäßigkeiten aufzuklären oder doch den Verdacht in personeller Hinsicht weiter einzugrenzen. So ist nicht erkennbar, weshalb nicht stichprobenartige Überprüfungen der Menge des an der - einzigen - Leergutkasse abgegebenen Pfandguts und der jeweiligen Kassenabschlüsse zusammen mit Kontrollen der Mitarbeiter beim Verlassen des Arbeitsplatzes geeignete Maßnahmen hätten sein können.

55

(b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt im Übrigen nicht ausreichend, dass der fragliche Kündigungssachverhalt der Beklagten nur „zufällig“ bekannt geworden ist. Auf seine Entdeckung war die heimliche Videoüberwachung nicht gerichtet.

56

(aa) Zwar mögen solche „Zufallsfunde“ - unbeschadet der Regelung in § 6b Abs. 3 BDSG - nicht in jedem Fall deshalb unverwertbar sein, weil sie außerhalb des Beobachtungszwecks liegen(vgl. Grimm/Schiefer RdA 2009, 329, 340; aA wohl Bergwitz NZA 2012, 353, 358). Auch bezogen auf „Zufallserkenntnisse“ muss aber das Beweisinteresse des Arbeitgebers höher zu gewichten sein als das Interesse des Arbeitnehmers an der Achtung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Das ist nur anzunehmen, wenn das mittels Videodokumentation zu beweisende Verhalten eine wenn nicht strafbare, so doch schwerwiegende Pflichtverletzung zum Gegenstand hat und die verdeckte Videoüberwachung nicht selbst dann noch unverhältnismäßig ist. Erreicht das in Rede stehende Verhalten diesen Erheblichkeitsgrad nicht, muss die Verwertung des Videomaterials unterbleiben.

57

(bb) So liegt es hier. Zwischen den Parteien ist die Existenz der „Klüngelgeld-Kasse“ ebenso unstreitig wie der Umstand, dass die Klägerin daraus gelegentlich kleinere Geldstücke entnommen hat. Die Beweisaufnahme durch Augenschein sollte allein dem Nachweis dienen, dass sich die Klägerin bei der Geldentnahme „versichernd umgesehen“ hat und deshalb vermutlich Zueignungsabsicht besaß. Das rechtfertigt keine Verwertung der heimlichen Videoaufzeichnungen. Zum einen hat die Beklagte nicht dargelegt, dass die Verwertung erforderlich war, um die Einlassung der Klägerin zum Fehlen ihrer Zueignungsabsicht zu widerlegen. Zum anderen ist die heimliche Videoüberwachung zum Nachweis der Absicht, sich einige Münzen im Wert von Centbeträgen zuzueignen, schlechthin unverhältnismäßig.

58

(cc) Es erscheint nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass das Landesarbeitsgericht im Rahmen einer nochmaligen Beweiswürdigung auch ohne Berücksichtigung des Inhalts der Videoaufzeichnungen zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin habe das fragliche Geld aus der „Klüngelgeld-Kasse“ entnommen, um es für sich zu behalten. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang unter Antritt von Zeugenbeweis vorgetragen, für das Auslösen eines Einkaufswagens mit Hilfe von „Klüngelgeld“ habe keinerlei dienstliches Bedürfnis bestanden. Zum Zweck des Transports der Kasseneinsätze sei stets ein frei zugänglicher Wagen bereitgestellt worden.

59

III. Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegt die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch hinsichtlich der Zahlungsansprüche, die von der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung abhängen. Wegen der der Klägerin für die Zeit bis zum 31. März 2010 zugesprochenen Vergütungsansprüche hat die Entscheidung dagegen Bestand. Die gegen sie gerichtete Anschlussrevision der Beklagten bleibt auch insoweit ohne Erfolg.

60

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortbestanden. Der für diese Zeit geltend gemachte Vergütungsanspruch folgt aus § 615 Satz 1 BGB, § 13 Abs. 1 Satz 5 KSchG iVm. § 11 Nr. 3 KSchG. Er ist der Höhe nach ebenso unstreitig wie die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung des begehrten Warengutscheins.

61

2. Der entsprechende Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB iVm. § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 291 BGB. Sowohl der betreffende Antrag der Klägerin als auch der Tenor des Berufungsurteils sind dahin auszulegen, dass - im Hinblick auf den gesetzlichen Anspruchsübergang - Zinsen nur aus den jeweiligen Bruttobeträgen abzüglich des für den jeweiligen Monat in Anrechnung gebrachten Arbeitslosengelds verlangt bzw. geschuldet sind.

62

IV. Die Zurückverweisung erfasst ferner die Anträge auf vorläufige Weiterbeschäftigung und auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Beide Anträge verfolgt die Klägerin nur für den Fall des Obsiegens mit ihrem Feststellungsbegehren.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Berger    

        

        

        

    B. Schipp    

        

    Söller    

                 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 31. August 2011 - 3 Sa 29/11 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Verdachtskündigung.

2

Die Beklagte betreibt Tankstellen. Der Kläger war bei ihr seit Juli 2003 als Bezirksleiter für den Vertrieb im Außendienst beschäftigt.

3

Im August 2010 entstand bei der Beklagten der Verdacht, der Kläger könne an betrügerischen Auftragsvergaben zu ihren Lasten beteiligt gewesen sein. Am 20. August und 30. September 2010 hörte sie den Kläger zu den aus ihrer Sicht verdachtsbegründenden Umständen an. Er bestritt die Vorwürfe.

4

Mit Schreiben vom 5. Oktober 2010 sprach die Beklagte eine fristlose, hilfsweise ordentliche Verdachtskündigung aus. Gegen sie erhob der Kläger fristgerecht die vorliegende Klage. Am 14. Januar 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut fristlos. Auch dagegen erhob der Kläger - in einem eigenständigen Verfahren - Klage.

5

Am 28. Juli 2011 stellte ein Mitarbeiter der Beklagten weitere Unregelmäßigkeiten fest. Im November 2009 hatte eine Baugesellschaft der Beklagten für ein Bauvorhaben an einer Tankstelle 8.929,52 Euro in Rechnung gestellt. Darin waren ua. die Lieferung und das Verlegen von Terrassenplatten (terracotta, 40 x 40 für 80,64 m²) mit 2.056,32 Euro ausgewiesen. Aus den beigefügten Bautagesberichten, Gesprächsnotizen, Lieferangeboten, Aufträgen, Aufmaßskizzen und Lieferscheinen für das Bauvorhaben war ersichtlich, dass entsprechende Leistungen nicht auf einem Tankstellengelände der Beklagten, sondern auf dem Wohngrundstück des Klägers ausgeführt worden waren. Mit Schriftsatz vom 22. August 2011 hat die Beklagte diese tatsächlichen Erkenntnisse ohne erneute Anhörung des Klägers in den vorliegenden Rechtsstreit eingeführt.

6

Der Kläger hat bestritten, dass er auf Kosten der Beklagten Terrassenplatten in seiner Grundstücksauffahrt habe verlegen lassen. Die abgerechneten Leistungen der Baugesellschaft ständen in keiner Verbindung zu seiner Wohnanschrift. Dies ergebe sich aus den Mengenangaben und dem Gesamtarbeitsaufwand. Im Übrigen hat der Kläger gemeint, weil sie ihn dazu zuvor nicht angehört habe, vermöge die Beklagte die Kündigung auf diesen Vorwurf ohnehin nicht zu stützen.

7

Der Kläger hat im vorliegenden Verfahren beantragt

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 5. Oktober 2010 nicht beendet worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgebracht, der Kläger habe sich betrügerisch zu ihren Lasten bereichert. Er habe auf seinem Privatgrundstück Baumaßnahmen ausführen lassen, die als Umbau einer Tankstelle deklariert worden seien. Den auf diesen tatsächlichen Umständen beruhenden Kündigungsgrund habe sie nachträglich in den Rechtsstreit einführen können, ohne dass sie den Kläger zuvor habe anhören müssen.

9

Das Arbeitsgericht hat der vorliegenden Klage mit Urteil vom 13. Januar 2011, der Klage gegen die Kündigung vom 14. Januar 2011 mit Urteil vom 17. März 2011 stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat über die Berufungen der Beklagten in getrennten Verfahren am selben Tag verhandelt. Nach Verhandlung und Durchführung einer Beweisaufnahme im vorliegenden Verfahren hat es beschlossen, eine Entscheidung am Ende der Sitzung zu verkünden. In der sich anschließenden Verhandlung im Verfahren über die Kündigung vom 14. Januar 2011 hat es darauf hingewiesen, dass es sich bei dieser um eine unzulässige Wiederholungskündigung handeln dürfte. Die Beklagte hat daraufhin die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 17. März 2011 zurückgenommen. Der Kläger hat der Rücknahme ausdrücklich zugestimmt.

10

Im vorliegenden Rechtsstreit hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung. Er bringt vor, der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung vom 5. Oktober 2010 stehe schon die durch die Berufungsrücknahme eingetretene Rechtskraft der Entscheidung vom 17. März 2011 entgegen. Diese enthalte mittelbar die Feststellung, dass bei Zugang der Kündigung vom 14. Januar 2011 ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten noch bestanden habe.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung der Beklagten vom 5. Oktober 2010 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet. Das Landesarbeitsgericht war trotz der Rechtskraft des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 17. März 2011 nicht gehindert, die Wirksamkeit der Kündigung vom 5. Oktober 2010 zu überprüfen (I.). Seine Annahme, die nachgeschobenen Kündigungsgründe trügen diese Kündigung, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (II.).

12

I. Die Rechtskraft der Entscheidung des Arbeitsgerichts vom 17. März 2011, derzufolge die Kündigung vom 14. Januar 2011 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet hat, steht der Annahme nicht entgegen, das Arbeitsverhältnis sei schon durch die Kündigung vom 5. Oktober 2010 beendet worden.

13

1. Der Umfang der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung im Kündigungsschutzprozess bestimmt sich nach dem Streitgegenstand. Streitgegenstand einer Kündigungsschutzklage mit einem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG ist, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien aus Anlass einer bestimmten Kündigung zu dem in ihr vorgesehenen Termin aufgelöst worden ist. Die begehrte Feststellung erfordert nach dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung eine Entscheidung über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der Kündigung. Mit der Rechtskraft des der Klage stattgebenden Urteils steht deshalb regelmäßig zugleich fest, dass jedenfalls im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zwischen den streitenden Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat, das nicht schon zuvor durch andere Ereignisse aufgelöst worden ist (BAG 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 19; 5. Oktober 1995 - 2 AZR 909/94 - zu II 1 der Gründe, BAGE 81, 111). Die Rechtskraft schließt gemäß § 322 ZPO im Verhältnis der Parteien zueinander eine hiervon abweichende gerichtliche Feststellung in einem späteren Verfahren aus(BAG 22. November 2012 - 2 AZR 732/11- Rn. 19; 27. Januar 2011 - 2 AZR 826/09 - Rn. 13).

14

2. Zu berücksichtigen ist aber, dass der Gegenstand der Kündigungsschutzklage und damit der Umfang der Rechtskraft eines ihr stattgebenden Urteils auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die konkret angegriffene Kündigung beschränkt, dh. das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt des Wirksamwerdens oder Zugangs der Kündigung einer Entscheidung entzogen werden kann (BAG 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 20; 26. März 2009 - 2 AZR 633/07 - Rn. 16, BAGE 130, 166). Eine solche Einschränkung des Streitgegenstands und Umfangs der Rechtskraft bedarf deutlicher Anhaltspunkte, die sich aus dem Antrag und der Entscheidung selbst ergeben müssen. Dabei ist nicht ausgeschlossen, für die Bestimmung des Streitgegenstands und des Umfangs der Rechtskraft Umstände heranzuziehen, die schon mit der Entscheidungsfindung zusammenhängen. So kann für die „Ausklammerung“ der Rechtsfolgen einer eigenständigen, zeitlich früher wirkenden Kündigung aus dem Gegenstand der Klage gegen eine später wirkende Kündigung der Umstand sprechen, dass dieselbe Kammer des (Landes-)Arbeitsgerichts am selben Tag über beide Kündigungen entscheidet. In einem solchen Fall wollen regelmäßig weder der Kläger noch das Gericht das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses bei Zugang der späteren Kündigung zum Gegenstand des über deren Wirksamkeit geführten Rechtsstreits machen (vgl. BAG 20. Mai 1999 - 2 AZR 278/98 - zu I der Gründe).

15

3. Im Streitfall kann dahinstehen, wie weit die Rechtskraft des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 17. März 2011 reicht. Die Parteien haben mit der Zurücknahme der Berufung durch die Beklagte und der Annahme dieser Erklärung durch den Kläger nicht nur ihren Rechtsstreit mit der Folge beendet, dass die Unwirksamkeit der Kündigung vom 14. Januar 2011 feststeht. Ihre Prozesserklärungen haben vielmehr zugleich einen materiellrechtlichen Inhalt. Der Kläger soll aus der rechtskräftig gewordenen Entscheidung über die Kündigung vom 14. Januar 2011 keine Rechte herleiten können, die einer inhaltlich eigenständigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über die Kündigung vom 5. Oktober 2010 entgegenstünden. Das ergibt die Auslegung der beiderseitigen Erklärungen (§§ 133, 157 BGB).

16

a) Die Wirkungen der materiellen Rechtskraft unterliegen zwar nicht der Disposition der Parteien (vgl. BGH 28. Januar 1987 - IVb ZR 12/86 - zu 2 a der Gründe; Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht 17. Aufl. § 152 Rn. 17; Stein/Jonas/Leipold ZPO 22. Aufl. § 322 Rn. 212; MünchKommZPO/Gottwald 3. Aufl. § 322 Rn. 58). Die Parteien können diese Wirkungen aber durch Vereinbarungen beeinflussen. Bei solchen Abreden handelt es sich nicht um unzulässige „Eingriffe“ in die Rechtskraft, sondern um zulässige, ggf. nachträgliche Regelungen ihrer materiellen Folgen, die der Verfügung der Parteien unterliegen (vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald aaO Rn. 18; Zöller/Vollkommer ZPO 29. Aufl. § 325 Rn. 43a).

17

b) Die Beklagte hat mit ihrer Berufungsrücknahme zum Ausdruck gebracht, sie sei bereit, die Unwirksamkeit der zweiten Kündigung hinzunehmen. Sie hat damit aus Sicht eines objektiven Empfängers - für den Kläger ohne Weiteres erkennbar - nicht zugleich erklärt, sie wolle auch den ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses bis zum Zugang der Kündigung vom 14. Januar 2011 anerkennen. Damit hätte sie dem nach wie vor anhängigen Rechtsstreit über die Kündigung vom 5. Oktober 2010 die Grundlage entzogen. Dies war ersichtlich nicht gewollt. Beide Parteien erwarteten insoweit vielmehr eine Sachentscheidung des Landesarbeitsgerichts. In den Prozesserklärungen der Parteien liegt danach die materiellrechtliche Abrede, den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses allein von der Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung vom 5. Oktober 2010 abhängig machen zu wollen. Der Kläger kann sich bereits aus diesem Grund nicht darauf berufen, es stehe rechtskräftig fest, dass das Arbeitsverhältnis noch im Januar 2011 bestanden habe.

18

II. Das Landesarbeitsgericht hat die außerordentliche Kündigung vom 5. Oktober 2010 zu Recht als wirksam angesehen.

19

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

20

a) Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 13; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 16).

21

b) Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 14; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 17).

22

2. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei unter Berücksichtigung des im zweitinstanzlichen Verfahren „nachgeschobenen“ Kündigungsgrundes einer schwerwiegenden Pflichtverletzung dringend verdächtig, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

23

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die erstinstanzlich gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe trügen die Kündigung vom 5. Oktober 2010 nicht. Es bestehe aber der - die Kündigung rechtfertigende - dringende Verdacht, der Kläger habe auf Kosten der Beklagten Terrassenplatten an seine Privatanschrift liefern und dort verlegen lassen.

24

b) Das Landesarbeitsgericht durfte die entsprechenden, von der Beklagten in zweiter Instanz in das Verfahren eingeführten Indiztatsachen seiner Würdigung zugrunde legen.

25

aa) In einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung sind nicht nur die dem Arbeitgeber bei Kündigungsausspruch bekannten tatsächlichen Umstände von Bedeutung. So sind auch solche später bekannt gewordenen Umstände zu berücksichtigen - zumindest wenn sie bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen -, die den ursprünglichen Verdacht abschwächen oder verstärken (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 41). Daneben können selbst solche Tatsachen in den Prozess eingeführt werden, die den Verdacht eines eigenständigen - neuen - Kündigungsvorwurfs begründen. Voraussetzung ist, dass der neue Kündigungsgrund bei Ausspruch der Kündigung objektiv schon gegeben, dem Arbeitgeber nur noch nicht bekannt war (vgl. BAG 6. September 2007 - 2 AZR 264/06 - Rn. 21; 4. Juni 1997 - 2 AZR 362/96 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 86, 88).

26

bb) Danach durfte das Landesarbeitsgericht auf die von der Beklagten nachgetragenen, den Verdacht auf einen eigenständigen Vertragsverstoß begründenden Tatsachen abstellen.

27

(1) Die Verlegung der Terrassenplatten auf dem Grundstück des Klägers war der Beklagten im Zeitpunkt der Kündigung bereits in Rechnung gestellt und von ihr beglichen worden. Dies wurde ihr jedoch erst im Juli 2011 bekannt.

28

(2) Es bedurfte für die Beachtlichkeit des Vorbringens keiner neuerlichen Anhörung des Klägers.

29

(a) Führt der Arbeitgeber lediglich verdachtserhärtende neue Tatsachen in den Rechtsstreit ein, bedarf es dazu schon deshalb keiner vorherigen Anhörung des Arbeitnehmers, weil dieser zu dem Kündigungsvorwurf als solchem bereits gehört worden ist. Er kann sich gegen den verstärkten Tatverdacht ohne Weiteres im bereits anhängigen Kündigungsschutzprozess verteidigen (vgl. BAG 29. November 2007 - 2 AZR 1067/06 - Rn. 34).

30

(b) Führt der Arbeitgeber neue Tatsachen in das Verfahren ein, die den Verdacht einer weiteren Pflichtverletzung begründen, bedarf es der - erneuten - Anhörung des Arbeitnehmers ebenfalls nicht (noch offengelassen in BAG 13. September 1995 - 2 AZR 587/94 - zu II 5 der Gründe, BAGE 81, 27; wie hier: KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 216; aA Höland Anm. AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 25; Moll/Schulte MAH Arbeitsrecht 3. Aufl. § 44 Rn. 110; Ittmann ArbR 2011, 6; wohl auch Hoefs Die Verdachtskündigung S. 215). Das ergibt sich aus Sinn und Zweck des Anhörungserfordernisses.

31

(aa) Die Notwendigkeit der Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch einer Verdachtskündigung ist Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Sie gründet in der Verpflichtung des Arbeitgebers, sich um eine Aufklärung des Sachverhalts zu bemühen. Sie soll den Arbeitgeber vor voreiligen Entscheidungen bewahren und der Gefahr begegnen, dass ein Unschuldiger von der Kündigung betroffen wird (vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 51, BAGE 131, 155). Ist aber - wie beim „Nachschieben“ von Kündigungsgründen - die Kündigung dem Arbeitnehmer bereits zugegangen, kann dessen Stellungnahme sie in keinem Fall mehr verhindern. Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist damit auch mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht unverzichtbar. Die Rechte des Arbeitnehmers werden gleichermaßen dadurch gewahrt, dass er sich im anhängigen Kündigungsschutzprozess gegen den neuen Tatverdacht verteidigen kann (KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 216).

32

(bb) Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zu dem Erfordernis, den Betriebsrat analog § 102 Abs. 1 BetrVG zu den erweiterten Kündigungsgründen anzuhören(BAG 4. Juni 1997 - 2 AZR 362/96 - zu II 4 der Gründe, BAGE 86, 88; 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - zu B I 2 der Gründe, BAGE 49, 39). Die Anhörung des Betriebsrats dient - anders als die Anhörung des Arbeitnehmers - nicht (nur) der Aufklärung des Sachverhalts. Sie soll dem Betriebsrat vielmehr Gelegenheit geben, auf den auf einem bestimmten Sachverhalt beruhenden Kündigungsentschluss des Arbeitgebers aktiv einzuwirken (vgl. BAG 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - aaO). Das lässt sich bezogen auf nachgeschobene Gründe nur erreichen, wenn diese dem - anders als der Arbeitnehmer am Rechtsstreit nicht beteiligten - Betriebsrat vor ihrer Einführung in den laufenden Prozess zur Kenntnis gebracht werden. Zwar kann auch der Betriebsrat die schon erfolgte Kündigung als solche nicht mehr verhindern. Er kann aber nur so seine - den Arbeitnehmer uU entlastende - Sicht der Dinge zu Gehör bringen.

33

(3) § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB steht der Berücksichtigung nachgeschobener Tatsachen nicht entgegen. Neu bekannt gewordene, bei Kündigungsausspruch objektiv aber bereits gegebene Gründe können noch nach Ablauf der Zweiwochenfrist in den Prozess eingeführt werden. Diese Frist gilt nach dem Wortlaut der Bestimmung allein für die Ausübung des Kündigungsrechts. Ist die Kündigung als solche rechtzeitig erklärt, schließt § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ein Nachschieben nachträglich bekannt gewordener Gründe nicht aus(BAG 4. Juni 1997 - 2 AZR 362/96 - zu II 3 b der Gründe, BAGE 86, 88).

34

c) Die Würdigung des Kündigungssachverhalts durch das Berufungsgericht ist, soweit sie auf tatsächlichem Gebiet liegt, vom Revisionsgericht nur daraufhin zu überprüfen, ob sie in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 29; 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - Rn. 30). Einen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts dieser Art hat der Kläger nicht aufgezeigt. Das Landesarbeitsgericht hat aus dem Umstand, dass hinsichtlich der von der Baugesellschaft gelieferten Materialien der Lieferort, die Flächen, die Art der Pflasterung und Bauskizzen mit der Auffahrt des Klägers übereinstimmten, widerspruchsfrei gefolgert, es bestehe der dringende Verdacht, der Kläger habe sich auf Kosten der Beklagten rechtswidrig bereichert. Es hat nachvollziehbar angenommen, jedenfalls ein Teil der den Bautagesberichten zu entnehmenden Arbeitsstunden habe sich auf das Bauprojekt auf dem Grundstück des Klägers bezogen. Der Kläger ist den tatsächlichen Grundlagen dieses Verdachts nicht substanziiert entgegengetreten. Seinem Vortrag lässt sich auch nicht etwa entnehmen, er habe die auf seinem Grundstück ausgeführten Arbeiten selbst bezahlt.

35

d) Die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts ist frei von Rechtsfehlern. Es hat alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen.

36

III. Die Kosten des Revisionsverfahrens hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

        

        

    Beckerle    

        

    Torsten Falke    

                 

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 15. Januar 2014 - 2 Sa 66/12 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie es ihre Berufung gegen die Entscheidung über den Kündigungsschutz- und den Weiterbeschäftigungsantrag in dem Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 19. Januar 2012 - 7 Ca 7039/11 - zurückgewiesen hat.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte vertrieb Schienen und anderes für den Gleisbau benötigtes Material. Mit diesen Produkten belieferte sie die D AG. In den Jahren 2011 und 2012 beschäftigte sie regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Bei ihr war - für den „Bereich B“ - ein Betriebsrat gebildet. Die im Rahmen der Auftragsabwicklung benötigten Schienen bezog die Beklagte von der TSTG GmbH & Co. KG (im Folgenden: TSTG) - einem dem V-Konzern angehörenden Unternehmen mit Sitz in D. Sie stand im Wettbewerb zur V K B GmbH. Diese bezog ihre Schienen für die Auftragsabwicklung in Deutschland von der V S GmbH, die ein Schienenwerk in Ö betreibt.

3

Der 1950 geborene Kläger war seit August 1967 bei der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin tätig. Seit 1993 war er Leiter des Verkaufsbüros B. Zu seinen Aufgaben gehörte die Bestellung von Baumaterialien zur Durchführung von Kundenaufträgen. Sein Bruttomonatsverdienst belief sich zuletzt auf rund 15.300,00 Euro.

4

Im Jahr 2001 schloss die Beklagte mit der TSTG einen Rahmenvertrag über die Belieferung von Schienen. Daneben existierte zwischen einzelnen Mitarbeitern dieser beiden Unternehmen sowie Mitarbeitern der V K B GmbH und der V S GmbH ein „Absprachesystem“ über den Vertrieb von Schienen an Nahverkehrskunden, Regionalbahnen, Industriebahnen und Bauunternehmen, die entsprechende Produkte angefragt oder eine Ausschreibung gemacht hatten. Danach sollte die Beklagte den Vertrieb der TSTG - im Widerspruch zu dem bestehenden Rahmenvertrag - nahezu exklusiv abwickeln. Gegenstand der Absprachen waren außerdem Abstimmungen über anzubietende Preise, um hierüber die Auftragsvergabe potentieller Kunden an die Wettbewerber zu steuern. Ob der Kläger an derartigen Abmachungen beteiligt war, ist zwischen den Parteien streitig.

5

Im Jahr 2003 beauftragte die D AG eine Arbeitsgemeinschaft (ARGE) mit Gleisbauarbeiten für die Strecke H/B. Zu den Baumaterialien, die von der Beklagten geliefert werden sollten, gehörten sog. Zwischenlagen. Dabei handelt es sich um Teile, die Schienen mit Schwellen verbinden. Der Kläger bestellte Zwischenlagen bei verschiedenen Herstellern. Wenigstens 80.000 Stück orderte er bei der Firma S C SRL (im Folgenden: C) - einem in Rumänien ansässigen Unternehmen. Jedenfalls im Zeitpunkt ihrer Bestellung waren die Zwischenlagen durch die D AG nicht zugelassen oder zertifiziert. Auch waren die in Rumänien georderten Produkte etwas teurer als die daneben bei deutschen Herstellern angeforderten - und bereits zertifizierten - Zwischenlagen.

6

Von den bei C bestellten Zwischenlagen wurden 20.000 Stück an eine deutsche Firma, die Baumaterialien für die ARGE lagerte, geliefert und seitens der ARGE bezahlt. Verbaut wurde im Rahmen des Projekts H/B jedoch keine einzige von ihnen. Zollamtlich wurde darüber hinaus die Einfuhr weiterer Zwischenlagen aus Rumänien bescheinigt.

7

C stellte der Beklagten in den Jahren 2003 und 2004 drei Rechnungen über die Lieferung von insgesamt 80.000 Zwischenlagen, die einen Gesamtpreis von 74.000,00 Euro auswiesen. Die Forderungen wurden, nachdem sie im Verkaufsbüro B vorgeprüft und durch die Sekretärin des Klägers paraphiert worden waren, aus der Zentrale der Beklagten in E beglichen.

8

Im Rahmen interner Recherchen stieß die Beklagte Ende des Jahres 2010 auf den Vorgang „C“. Mit dem Kläger führte sie hierüber am 24. Januar, am 4. und am 9. Februar 2011 Gespräche. Am 11. Februar 2011 hörte sie den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers an, von der sie im Zuge von Verhandlungen der Parteien über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags wieder Abstand nahm. Nach Scheitern dieser Bemühungen und erneuter Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 9. März 2011 ordentlich zum 31. Dezember 2011. Dagegen erhob der Kläger fristgerecht die vorliegende Klage.

9

Am 5. Juli 2012 erließ das Bundeskartellamt wegen kartellrechtswidrigen Verhaltens von Mitarbeitern und organschaftlichen Vertretern der Beklagten im Zusammenhang mit dem Komplex „D Schiene“ einen Bescheid über ein Bußgeld von 103 Millionen Euro. Mit Bescheid vom 18. Juli 2013 setzte es zusätzlich ein Bußgeld in Höhe von 88 Millionen Euro fest. In diesem - zweiten - Bescheid ist der Kläger in seiner Eigenschaft als Leiter des Verkaufsbüros B als mutmaßlicher Beteiligter an wettbewerbswidrigen Absprachen namentlich genannt. Die Staatsanwaltschaft Bo führte anschließend gegen ihn strafrechtliche Ermittlungen.

10

Mit Schreiben vom 12. September 2012 hörte die Beklagte den Kläger ergänzend zu dem Vorwurf an, er habe sich im Zuge des Projekts „A/G“, das er im Jahr 2006 betreut habe, an kartellrechtswidrigen Preisabsprachen beteiligt. Den Sachverhalt führte sie - nach Anhörung des Betriebsrats - in den vorliegenden Rechtsstreit ein. Mit Schreiben vom 25. September 2012 kündigte sie das Arbeitsverhältnis der Parteien erneut - nunmehr fristlos. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger Klage in einem eigenständigen, derzeit ausgesetzten Verfahren.

11

Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigung vom 9. März 2011 sei weder als Tat- noch als Verdachtskündigung gerechtfertigt. Die bei C georderten Zwischenlagen seien vollständig geliefert und lediglich wegen geänderter Anforderungen der D AG nicht verwendet worden. Die rumänische Firma habe bei Auftragserteilung schriftlich bestätigt, sie werde die erforderliche Zertifizierung erhalten. Darauf habe er vertrauen und überdies annehmen dürfen, anfängliche Mehrkosten würden sich im Rahmen der von C angestrebten langfristigen Geschäftsbeziehung amortisieren. Für die Begleichung der Rechnungen sei er nicht verantwortlich. Deren Prüfung sei in E erfolgt. An kartellrechtswidrigen Preisabsprachen habe er sich nicht beteiligt. Er habe auch nicht an Gesprächen teilgenommen, die solche Absprachen zum Gegenstand gehabt hätten. Bei dem Projekt A/G habe er ein Angebot auf der Basis von Preisen abgegeben, die ihm durch die Zentrale der Beklagten vorgegeben worden seien. Soweit die Kündigung auf Verdachtsmomente gestützt werde, sei er zu diesen nicht wirksam angehört worden. Ebenso wenig sei eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats erfolgt.

12

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass die Kündigung vom 9. März 2011 unwirksam ist und hierdurch das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Leiter des Verkaufsbüros B weiterzubeschäftigen.

13

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgebracht, der Kläger habe sich im Zusammenhang mit der Bestellung der Zwischenlagen bei C der Untreue schuldig gemacht, zumindest bestehe ein dahingehender Verdacht. Die Materialien seien nicht benötigt und qualitativ völlig unbrauchbar gewesen. Bereits vor der Auftragsvergabe sei eine ausreichende Menge an zertifizierten Zwischenlagen bei anderen Herstellern geordert worden. Dies sei dem Kläger bekannt gewesen. Im Übrigen widerspreche es einem ordnungsgemäßen Geschäftsgebaren, Materialien einzukaufen, die teurer als üblich seien. Nachvollziehbare Gründe dafür habe der Kläger nicht benannt. Seine anfängliche Einlassung, er habe die Produkte zu Prüfzwecken geordert, sei mit Blick auf die bestellte Menge nicht glaubhaft. Wenigstens 60.000 Zwischenlagen seien überhaupt nicht geliefert worden. Allein daraus sei ihr ein Schaden iHv. 54.000,00 Euro entstanden. Dem Kläger sei bekannt gewesen, dass in der Zentrale keine sachliche Prüfung von Rechnungen mehr erfolge, wenn diese - wie im Streitfall geschehen - durch das Verkaufsbüro abgezeichnet worden seien. Ein möglicher Anspruch auf Nachlieferung der Zwischenlagen sei wertlos, da sie keine Chance hätten, zertifiziert zu werden. Sämtliche Indizien sprächen dafür, dass der Kläger im Zusammenhang mit dem Vorgang „C“ vorsätzlich seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt und ihr - der Beklagten - bewusst Schaden zugefügt habe. Auf die Motive des Klägers komme es nicht an.

14

Ein weiterer Kündigungsgrund liege in der Beteiligung des Klägers an wettbewerbswidrigen Handlungen. Der Kläger habe zumindest gegen seine Verpflichtung verstoßen, ihr gegenüber entsprechende, ihm bekannt gewordene Verstöße zu offenbaren. Im Zusammenhang mit dem Projekt A/G habe ein Treffen zwischen Vertretern verschiedener Firmen stattgefunden, an dem der Kläger teilgenommen habe. Gemäß einer dort getroffenen Absprache habe die V K B GmbH etwa 50.000,00 Euro als Kompensation dafür erhalten sollen, dass sie das Projekt nicht übernehme. Der Betrag sei nicht ausgezahlt, sondern mit anderen „Kompensationen“ verrechnet worden. Von diesen Umständen habe sie zwar erst im Lauf des Prozesses Kenntnis erlangt, sie hätten aber bei Kündigungszugang im März 2011 objektiv schon vorgelegen.

15

Sie habe dem Kläger außerhalb des Rechtsstreits ausreichend Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Einer Anhörung des Betriebsrats habe es wegen dessen Stellung als leitender Angestellter iSv. § 5 Abs. 3 BetrVG nicht bedurft. Gleichwohl habe sie den Betriebsrat über die Kündigungsgründe - auch den nachgeschobenen Sachverhalt - vorsorglich und inhaltlich umfassend unterrichtet.

16

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage - soweit noch rechtshängig - abzuweisen.

Entscheidungsgründe

17

Die zulässige Revision ist begründet. Mit der bisherigen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage - soweit sie in der Revision zur Entscheidung angefallen ist - nicht stattgeben (I.). Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen kann der Senat nicht abschließend beurteilen, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 9. März 2011 aufgelöst worden ist. Dies führt - im Umfang der Anfechtung - zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO)(II.).

18

I. Die bisherigen Feststellungen tragen nicht das Ergebnis, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG.

19

1. Eine Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers „bedingt“, wenn dieser seine Vertragspflichten erheblich - in der Regel schuldhaft - verletzt hat und eine dauerhafte störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten ist. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die - fristgemäße - Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Im Vergleich mit einer fristgemäßen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere Versetzung und Abmahnung in Betracht. Ein in diesem Sinne kündigungsrelevantes Verhalten liegt nicht nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer eine Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt hat. Auch die erhebliche Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht kann eine Kündigung sozial rechtfertigen (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 13 mwN; 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 20 mwN).

20

2. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann eine Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingen. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 16, BAGE 146, 303).

21

a) Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn starke, auf objektive Tatsachen gründende Verdachtsmomente vorliegen, die geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 20; 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 21, BAGE 142, 188). Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus (BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 21; 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - aaO; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 17).

22

b) Eine Verdachtskündigung ist auch als ordentliche Kündigung nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Dies gilt zum einen für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. In dieser Hinsicht bestehen keine Unterschiede zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung. Für beide Kündigungsarten muss der Verdacht gleichermaßen erdrückend sein. Dies gilt zum anderen für die inhaltliche Bewertung des fraglichen Verhaltens und die Interessenabwägung. Auch im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG müssen sie zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist, - wäre es erwiesen - sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt hätte. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Kündigung schon durch den bloßen Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens „bedingt“ (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 32, BAGE 146, 303).

23

3. Von diesen Grundsätzen ist das Landesarbeitsgericht zwar im Ausgangspunkt - zutreffend - ausgegangen. Es hat sie aber nicht fehlerfrei auf den Streitfall zur Anwendung gebracht. Das gilt schon für seine Annahme, das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit dem Geschäftsvorgang „C“ rechtfertige selbst eine Verdachtskündigung nicht.

24

a) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, wegen der Bestellung der Zwischenlagen komme allenfalls eine Verdachtskündigung in Betracht. Die Beklagte greift dies nicht an. Ein materieller Rechtsfehler ist auch objektiv nicht erkennbar. Die Beklagte hat sich für ihre Behauptung, der Kläger habe mit der Bestellung unnützer und untauglicher Zwischenlagen ihren Vermögensinteressen bewusst zuwider gehandelt, auf Indizien berufen. Das Landesarbeitsgericht war in den Grenzen des § 286 ZPO frei in der Beurteilung, welche Beweiskraft es den behaupteten Hilfstatsachen im Einzelnen und in der Gesamtschau für seine Überzeugungsbildung beimisst(vgl. allgemein zum Indizienbeweis BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 480/14 - Rn. 35; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 43). Es hat auf der Grundlage schon des Vorbringens der Beklagten für nicht erwiesen erachtet, dass der Kläger tatsächlich - im Sinne einer nachgewiesenen Pflichtverletzung - vorsätzlich deren Vermögensinteressen zuwider gehandelt und diese bewusst geschädigt habe. Mit dieser Würdigung hat es den ihm zukommenden tatrichterlichen Beurteilungsspielraum nicht überschritten.

25

b) Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht angenommen, das in Rede stehende mögliche Verhalten des Klägers sei grundsätzlich geeignet, sogar eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Handelt der Arbeitnehmer bewusst den Vermögensinteressen seines Arbeitgebers zuwider, liegt darin eine erhebliche Pflichtverletzung, die den Arbeitgeber - unterstellt, sie läge vor - grundsätzlich zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt. Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer zumindest bedingt vorsätzlich gegen seine aus § 241 Abs. 2 BGB abzuleitende Pflicht verstößt, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren drohende Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden(zu dieser Pflicht vgl. BAG 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 35; 28. August 2008 - 2 AZR 15/07 - Rn. 21 mwN). Darauf, ob die Pflichtverletzung, auf die sich der Verdacht bezieht, als Untreue (§ 266 StGB) strafbar wäre, kommt es nicht an. Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden(BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 20; 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 21 mwN, BAGE 142, 188).

26

c) Rechtsfehlerfrei hat das Landesarbeitsgericht außerdem angenommen, ein die Kündigung rechtfertigender, dringender Verdacht ergebe sich nicht aus der Behauptung der Beklagten, der Kläger habe die Bezahlung aller georderten Zwischenlagen veranlasst, obwohl deren überwiegender Teil gar nicht geliefert worden sei. Ebenso wenig ist es zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht die weitere Behauptung der Beklagten, der Kläger habe die Bestellungen ausgelöst, obwohl im Rahmen des Bauvorhabens kein Bedarf an weiteren Zwischenlagen bestanden habe, als nicht tragfähig angesehen hat. Die Beklagte hat insoweit ihrer Darlegungslast nicht genügt.

27

aa) Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast auch dafür, dass solche Tatsachen nicht vorgelegen haben, die das Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen lassen. Der gebotene Umfang der Darlegungen hängt davon ab, wie sich der Arbeitnehmer auf den anfänglichen Vortrag des Arbeitgebers einlässt. Nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast darf sich der Arbeitgeber zunächst darauf beschränken, den objektiven Tatbestand einer Arbeitspflichtverletzung aufzuzeigen. Er muss nicht jeden erdenklichen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund vorbeugend ausschließen (BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 23; LAG Rheinland-Pfalz 3. Juli 2014 - 5 Sa 27/14 -). Vielmehr ist es regelmäßig Sache des Arbeitnehmers, einen solchen Grund ins Verfahren einzuführen.

28

bb) Eine sekundäre Darlegungslast der primär nicht darlegungsbelasteten Partei kommt dann in Betracht, wenn es dieser zuzumuten ist, ihrem Prozessgegner die Darlegung der nur zu ihrem Wahrnehmungsbereich gehörenden Verhältnisse durch nähere Angaben zu ermöglichen, weil sie, anders als der außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs stehende Gegner, die wesentlichen Tatsachen kennt (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 52, BAGE 142, 188; 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 31; 28. August 2008 - 2 AZR 15/07 - Rn. 23). Kommt der sekundär Darlegungspflichtige in einer solchen Prozesslage seiner Vortragslast nicht nach, gilt die Behauptung des primär Darlegungspflichtigen iSd. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden(BAG 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - aaO). An die sekundäre Behauptungslast des gekündigten Arbeitnehmers dürfen allerdings keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Sie dient lediglich dazu, es dem kündigenden Arbeitgeber als primär darlegungspflichtiger Partei zu ermöglichen, weitere Nachforschungen anzustellen und ggf. seinerseits substantiiert zum möglichen Entlastungsgrund vorzutragen und Beweis für sein Nichtvorliegen anzutreten. Genügt das Vorbringen des Arbeitnehmers diesen Anforderungen, ist es Sache des Arbeitgebers, den geltend gemachten Kündigungsgrund nachzuweisen (BAG 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 33).

29

cc) Nach diesen Maßstäben hat das Landesarbeitsgericht die Darlegungslast der Beklagten weder grundlegend verkannt, noch hat es überzogene Anforderungen an ihren Sachvortrag gestellt. Zu Recht hat es die Auffassung vertreten, die Beklagte habe zum Umfang der Lieferungen und zum Verbleib der Zwischenlagen weiter vortragen müssen. Es ist nicht dargetan, weshalb es dieser nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre, der - von ihm in das Wissen eines Zeugen gestellten - Behauptung des Klägers weiter nachzugehen, alle georderten Zwischenlagen seien bei einer konkret bezeichneten Drittfirma angekommen und dort für die ARGE eingelagert worden. Entsprechendes gilt für das Vorbringen der Beklagten, für die Bestellung von Zwischenlagen in der bei C georderten Menge habe von vorneherein kein Bedarf bestanden. Diesem Vorwurf ist der Kläger mit der Behauptung entgegen getreten, die D AG habe sich erst nach der Beauftragung von C entschieden, keine hochelastischen Zwischenlagen zu verwenden; solche habe er in Rumänien aber bestellt. Zwar hat der Kläger zu diesem Sachverhalt keine näheren Einzelheiten vorgetragen. Dies ist aber unschädlich. Das Vorbringen der Beklagten lässt nicht erkennen, dass es ihr unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre, den Sachverhalt anhand der ihr zur Verfügung stehenden Unterlagen weiter aufzuklären. Das gilt umso mehr, als ihr - wovon das Landesarbeitsgericht - rügelos - ausgegangen ist - die auf Seiten der ARGE verantwortlichen Verhandlungspartner des Klägers bekannt sind. Vor diesem Hintergrund ist eine andere Bewertung auch nicht deshalb angezeigt, weil der Kläger zur Begründung dafür, weshalb die rumänischen Zwischenlagen sukzessive bestellt worden seien, vorgebracht hat, während der Bauphase der Strecke H/B sei festgestellt worden, dass die anfänglich bei anderen Herstellern georderte Menge an Zwischenlagen nicht ausreichen werde. Das Vorbringen steht nicht in einem unauflöslichen Widerspruch zu der nachfolgenden Einlassung des Klägers, die zusätzlich angeforderten Teile seien am Ende wegen einer veränderten Planung doch nicht benötigt worden.

30

dd) Soweit die Beklagte die Würdigung ihres Vorbringens zum Umfang der Lieferungen und zu einem von der ARGE angemeldeten Zusatzbedarf an Zwischenlagen mit Verfahrensrügen nach § 286 ZPO angreift, erachtet der Senat diese - nach Prüfung - nicht für durchgreifend. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

31

d) Nicht frei von formellen Rechtsfehlern ist jedoch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Verdachtskündigung sei auch vor dem Hintergrund der Behauptung der Beklagten nicht gerechtfertigt, der Kläger habe die Zwischenlagen bei C bestellt, obwohl sie mangels Zertifizierung bei dem Bauvorhaben keine Verwendung hätten finden können.

32

aa) Das Vorbringen ist nicht von vorneherein unbeachtlich. Das Landesarbeitsgericht geht selbst davon aus, dass die Verdachtskündigung „an sich“ begründet wäre, wenn der Kläger die rumänischen Zwischenlagen im Bewusstsein bestellt hätte, eine rechtzeitige, den Anforderungen der D AG genügende Zertifizierung sei nicht gesichert. Die Erwägung trifft zu. Unterstellt, die von C angebotenen Zwischenlagen wären objektiv ungeeignet gewesen und der Kläger hätte dies im Zeitpunkt der Auftragsvergabe positiv gewusst oder zumindest billigend in Kauf genommen, läge darin ein gewichtiges Indiz, das jedenfalls den dringenden Verdacht einer vorsätzlichen - schadensgleichen - Gefährdung des Vermögens der Beklagten zu begründen vermöchte. Zum anderen läge es vor diesem Hintergrund - auch angesichts des Preises der rumänischen Produkte und der Zertifizierung anderer am Markt verfügbarer Zwischenlagen - nahe anzunehmen, dass die Auftragsvergabe an C von sachfremden Erwägungen des Klägers getragen war. Dem steht nicht entgegen, dass es keine konkreten Anhaltspunkte für eine persönliche Vorteilsnahme gibt.

33

bb) Danach durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, ein möglicher Verdacht richte sich auch mit Blick auf die Qualität der in Rumänien georderten Zwischenlagen nicht auf eine schwerwiegende Vertragspflichtverletzung. Die Beklagte rügt mit Recht, die Würdigung beruhe auf einer Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

34

(1) Art. 103 Abs. 1 GG sichert - iVm. Art. 2 Abs. 1 GG und dem in Art. 20 Abs. 3 GG gewährleisteten Rechtsstaatsprinzip - den Anspruch einer Partei auf rechtliches Gehör vor Gericht und das mit ihm im Zusammenhang stehende Recht auf Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes und fairen Prozesses. Dies gebietet ein Ausmaß an rechtlichem Gehör, das sachangemessen ist, um den in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten bestehenden Anforderungen an einen solchen Rechtsschutz gerecht zu werden. Zu den insoweit unerlässlichen Verfahrensregeln gehört, dass das Gericht über die Richtigkeit streitiger Tatsachenbehauptungen nicht ohne hinreichende Prüfung entscheidet. Ohne eine solche Prüfung fehlt es an einer dem Rechtsstaatsprinzip genügenden Entscheidungsgrundlage (vgl. BVerfG 21. Februar 2001 - 2 BvR 140/00 - zu III 1 a der Gründe; BAG 10. März 2015 - 3 AZR 56/14 - Rn. 57 mwN).

35

(2) Im Streitfall ist der Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt.

36

(a) Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, von einer vorsätzlichen, den Vermögensinteressen der Beklagten zuwider laufenden Handlung des Klägers könne nicht ausgegangen werden. Die Beklagte habe es versäumt aufzuzeigen, dass der Kläger über einschlägige Erfahrungen mit dem Zertifizierungsverfahren verfüge und deshalb nicht auf Zusicherungen der rumänischen Firma habe vertrauen dürfen, es werde in dieser Hinsicht keine Schwierigkeiten geben.

37

(b) Damit hat es seiner Entscheidung ohne Weiteres die Behauptung des Klägers zugrunde gelegt, die betreffende Firma habe ihm die Zertifizierungsfähigkeit zugesichert, obwohl die Beklagte eine solche Erklärung ausdrücklich in Abrede gestellt hatte. Es hat damit streitiges Vorbringen als unstreitiges behandelt.

38

(aa) Der Kläger hatte behauptet, das rumänische Unternehmen habe bei den Vertragsverhandlungen schriftlich bestätigt, dass es die Zulassung gemäß „UIC-Kodex“ besitze und die „D-Zulassung“ als „Q1-Lieferant der D-AG“, wenn es sie beantrage, sofort erhalten werde. Das Landesarbeitsgericht hat diese Behauptung im Tatbestand seiner Entscheidung als streitig dargestellt.

39

(bb) Der gleichfalls als streitig angeführte Gegenvortrag der Beklagten ist im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast schlüssig. Die Beklagte hatte geltend gemacht, die Unterlagen zum Projekt H/B seien nach Schließung der Niederlassung B komplett in die Niederlassung Ha verbracht und dort archiviert worden. In den Akten sei kein Hinweis auf eine entsprechende „Zusicherung“ der rumänischen Firma zu finden. Hierfür hatte sie sich auf das Zeugnis einer Mitarbeiterin berufen, die von ihr beauftragt worden sei, die Schriftstücke auf die Behauptung des Klägers hin zu sichten. Vor diesem Hintergrund durfte das Landesarbeitsgericht nicht ohne weitere Sachaufklärung annehmen, die umstrittene schriftliche Bestätigung habe es tatsächlich gegeben. Das gilt umso mehr, als der Kläger sich nicht etwa darauf berufen hat, er habe die fragliche Zusage nicht zu den Akten genommen.

40

II. Der Rechtsfehler ist entscheidungserheblich. Der Senat kann mangels ausreichender Sachaufklärung nicht abschließend beurteilen, ob die Klage begründet ist. Dies führt zur Zurückverweisung. Das angefochtene Urteil stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

41

1. Das Landesarbeitsgericht hat - ausgehend von der vermeintlichen Zusicherung - angenommen, die Vereinbarungen mit C könnten ein „Risikogeschäft“ sein, bei dessen Abschluss der Kläger lediglich - wenn auch grob fahrlässig - seine Pflicht verletzt habe, die Wahrscheinlichkeit einer Verwirklichung der Risiken hinreichend sorgfältig zu prüfen. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass das Landesarbeitsgericht zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, wenn sich die Behauptungen über die Zusagen des rumänischen Unternehmens als unzutreffend erwiesen hätten. Soweit es dem Kläger angesichts vorhandener „Unschärfen“ in seinem Sachvortrag den zeitlichen Abstand zu dem Geschehen und eine darauf beruhende „Verblassung“ seines Erinnerungsvermögens zugutegehalten hat, entspricht eine solche Annahme zwar der allgemeinen Lebenserfahrung (vgl. dazu bspw. BGH 13. Dezember 2012 - I ZR 182/11 - Rn. 38; 9. Juli 2007 - II ZR 222/06 - zu 1 der Gründe; Baumgärtel/Laumen/Prütting Handbuch der Beweislast - Grundlagen 2. Aufl. § 5 Rn. 46). Die Ausführungen des Urteils zu den möglichen Erinnerungslücken beziehen sich aber nicht - zumindest nicht zweifelsfrei - auf die Zusagen zur Zertifizierungsfähigkeit der rumänischen Zwischenlagen, wie sie der Kläger behauptet hat. Andernfalls wäre nicht nachvollziehbar, worin die „Unschärfen“ bestehen sollten. Der Kläger hat klar die Position bezogen, es habe eine schriftliche Bestätigung der Zertifizierungsfähigkeit gegeben, und er hat deren Details geschildert. Sollte sich ein entsprechendes Schriftstück nicht bei den Akten befinden, wäre es - im Rahmen der ihn treffenden sekundären Darlegungslast - zunächst Sache des Klägers gewesen aufzuzeigen, wann ungefähr und durch welche Person die Bestätigung erfolgt sein soll. Zumindest hätte er seine maßgebenden Gesprächspartner benennen müssen, um der Beklagten weitergehende Nachforschungen zu ermöglichen. Dieser wäre es dann unbenommen geblieben, sich für ihre Behauptung, die fragliche Zusage habe es nie gegeben, auf das Zeugnis der betreffenden Personen zu berufen (zu einer solchen Möglichkeit vgl. BAG 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 33 mwN). Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lassen nicht erkennen, dass der Kläger seiner Vortragslast unter Ausschöpfung seines Erinnerungsvermögens nachgekommen wäre.

42

2. Das Landesarbeitsgericht hat sich mit der Frage, ob die Beklagte den Kläger vor der Kündigung ordnungsgemäß zu dem gegen ihn erhobenen Verdacht angehört hat, nicht befasst. Ebenso wenig hat es Feststellungen dazu getroffen, ob der Betriebsrat - unterstellt, es hätte mit Blick auf § 5 Abs. 3, Abs. 4 BetrVG seiner Unterrichtung bedurft - nach § 102 BetrVG ordnungsgemäß zur Kündigung angehört worden ist. Dies wird es ggf. nachzuholen haben. Eine Unwirksamkeit der Kündigung drängt sich dabei unter beiden Gesichtspunkten nicht auf.

43

3. Kommt es auf den nachgeschobenen Kündigungsgrund an, ist auch die ihn betreffende Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht frei von Rechtsfehlern.

44

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die durchgeführte Beweisaufnahme habe nicht den erforderlichen Beweis dafür erbracht, dass der Kläger an einem „Kompensationsgeschäft“ zwischen Vertretern ihres Unternehmens und der V K B GmbH - aktiv oder passiv - beteiligt gewesen sei. „Bestätigt“ habe sich zwar der Verdacht seiner Beteiligung an „illegalen Preisabsprachen“. Hierauf könne die Beklagte die Kündigung vom 9. März 2011 aber zumindest deshalb nicht stützen, weil ihrem vormaligen Geschäftsführer, der die Kündigung erklärt habe, die „Absprachen mit der V Gruppe“ bekannt gewesen seien. In den schon anhängigen Rechtsstreit wiederum habe die Beklagte - jedenfalls mit Blick auf § 102 BetrVG - nur solche Tatsachen als Kündigungsgrund nachträglich einführen können, die sie im Kündigungszeitpunkt noch nicht gekannt habe.

45

b) Diese Würdigung steht mit § 1 Abs. 2 KSchG, § 102 BetrVG nicht in Einklang.

46

aa) Auch in einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung sind nicht nur die dem Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt bekannten tatsächlichen Umstände von Bedeutung. Vielmehr können ebenso Umstände, die ihm erst später bekannt wurden, in den Prozess eingeführt werden, zumindest dann, wenn sie bei Kündigungszugang objektiv schon gegeben waren. Dies gilt auch für Umstände, die den Verdacht eines eigenständigen - neuen - Kündigungsvorwurfs begründen (vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 644/13 - Rn. 21; 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 25; 6. September 2007 - 2 AZR 264/06 - Rn. 21). Da es für die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung allein auf die objektive Rechtslage zum Zeitpunkt ihres Zugangs ankommt und der Arbeitgeber weder nach § 1 KSchG noch nach § 626 Abs. 1 BGB zur (abschließenden) Angabe der Kündigungsgründe verpflichtet ist, ergeben sich aus dem KSchG oder dem BGB für ein Nachschieben von Kündigungsgründen grundsätzlich keine Beschränkungen, auch nicht aus § 626 Abs. 2 BGB(vgl. BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 33; 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - zu B I 1 der Gründe, BAGE 49, 39; KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 245; SES/Schwarze KSchG § 1 Rn. 68; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 95). Ohne Bedeutung ist insbesondere, ob ein sachlicher oder zeitlicher Zusammenhang mit den schon bekannten Kündigungsgründen besteht (vgl. BAG 18. Januar 1980 - 7 AZR 260/78 - zu 2 b der Gründe).

47

bb) Soweit vor Ausspruch der Kündigung eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG erforderlich ist, ist ein Nachschieben von Kündigungsgründen, die dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung bereits bekannt waren, von denen er dem Gremium aber keine Mitteilung gemacht hat, unzulässig. Das hat zur Folge, dass diese Gründe im schon laufenden Kündigungsschutzprozess keine Berücksichtigung finden können. Dies folgt aus Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens. Dem Betriebsrat soll Gelegenheit gegeben werden, vor Erklärung der Kündigung auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers im Hinblick auf die diesem bekannten und deshalb seine Absicht beeinflussenden Umstände einzuwirken. Diesem Zweck widerspricht es, dem Arbeitgeber zu gestatten, sich im späteren Kündigungsschutzprozess auf „neue“ Gründe zu berufen, die zwar seinen Kündigungsentschluss womöglich mit beeinflusst haben, hinsichtlich derer er jedoch dem Betriebsrat keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 576/09 - Rn. 11; grundlegend 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - zu B I 2 a der Gründe, BAGE 49, 39; für die Beteiligung des Personalrats nach § 79 Abs. 1 Satz 1 BPersVG BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 21). Gestützt auf erst nachträglich bekannt gewordene Umstände ist ein Nachschieben von Kündigungsgründen dagegen möglich, wenn - in analoger Anwendung von § 102 BetrVG - der Betriebsrat zu ihnen angehört worden ist(BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 32; 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - zu B I 2 b ee der Gründe, BAGE 49, 39).

48

cc) Für die Beurteilung, ob ein nachgeschobener Sachverhalt dem Arbeitgeber schon im Kündigungszeitpunkt bekannt war, kommt es auf den Wissensstand des Kündigungsberechtigten an. Zu fordern ist in sachlicher Hinsicht - wie im Rahmen von § 626 Abs. 2 BGB - eine positive, vollständige Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen. In personeller Hinsicht kommt es hier - wie bei § 626 Abs. 2 BGB - auf die entsprechende Kenntnis in der Person des Kündigungsberechtigten an. Handelt es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person, ist grundsätzlich maßgeblich die Kenntnis des gesetzlich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs (BAG 5. Mai 1977 - 2 AZR 297/76 - zu II 3 der Gründe, BAGE 29, 158). Sind für den Arbeitgeber mehrere Personen gemeinsam vertretungsberechtigt, genügt grundsätzlich die Kenntnis schon eines der Gesamtvertreter (für die Zurechnung im Rahmen von § 626 Abs. 2 BGB vgl. BAG 28. November 2007 - 6 AZR 1108/06 - Rn. 53, BAGE 125, 70; 20. September 1984 - 2 AZR 73/83 - zu B II 2 a der Gründe, BAGE 46, 386; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 349).

49

dd) Ein entsprechendes Wissen muss sich der Arbeitgeber regelmäßig auch dann zurechnen lassen, wenn das Organmitglied oder der sonstige Vertreter bei der Behandlung des Sachverhalts eigene Pflichten ihm gegenüber verletzt hat (zum Einstehenmüssen der Gesellschaft für satzungswidrige Handlungen ihrer Geschäftsführer vgl. BAG 5. April 2001 - 2 AZR 696/99 - zu II 3 der Gründe). Etwas anderes kann gelten, wenn es um die Kenntnis von Handlungen geht, die der Vertreter im kollusiven Zusammenwirken mit dem Arbeitnehmer gegen die Interessen der Gesellschaft vorgenommen hat (vgl. HaKo-KSchR/Gieseler 5. Aufl. § 626 BGB Rn. 136; KR/Fischermeier § 626 BGB Rn. 349, 361, 364).

50

ee) Im Hinblick auf § 102 BetrVG ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass die Einschränkungen, die sich aus dem Anhörungsverfahren für die Möglichkeit des Nachschiebens von Kündigungsgründen ergeben, auch dem Schutz kollektiver Interessen dienen. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 102 BetrVG ist es unter diesem Aspekt, den Betriebsrat zu befähigen, sein Anhörungsrecht sachgerecht auszuüben und seinen Einfluss auf die Zusammensetzung der Belegschaft zu sichern (BAG 28. August 2003 - 2 AZR 377/02 - zu B I 4 a der Gründe, BAGE 107, 221; 27. Juni 1985 - 2 AZR 412/84 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 49, 136). Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn der Vertreter des Arbeitgebers seine Informationen auch intern vollständig weitergibt und die Bereitschaft mitbringt, für eine sachgerechte Unterrichtung des Betriebsrats Sorge zu tragen. Das ist regelmäßig nicht der Fall, wenn der Vertreter seinerseits in die Handlungen gegen die Interessen des Arbeitgebers verstrickt ist und bei Offenlegung des Kündigungssachverhalts Nachteile für sich selbst befürchten müsste. Handelt es sich objektiv um eine solche Situation, ist es - auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG(zu dessen Berücksichtigung im Rahmen von § 102 BetrVG vgl. BAG 28. August 2003 - 2 AZR 377/02 - aaO; 27. Juni 1985 - 2 AZR 412/84 - zu II 1 c bb der Gründe, aaO) - gerechtfertigt, für die Kenntnis des Arbeitgebers nicht auf den Wissensstand des „verstrickten“, sondern auf den eines „undolosen“ Vertreters oder Organmitglieds abzustellen. Die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats werden dadurch nicht ausgehöhlt, weil er vor einem „Nachschieben“ der Kündigungsgründe in den Prozess allemal nach § 102 BetrVG anzuhören ist.

51

ff) Danach ist die vom Landesarbeitsgericht gegebene Begründung nicht tragfähig. Es hat aus den Feststellungen im Bescheid des Bundeskartellamts vom 18. Juli 2013 und aus dem dort erhobenen Vorwurf, ein im Juli 2011 aus der Geschäftsführung ausgeschiedener Geschäftsführer habe zumindest im Zeitraum von 2001 bis Mai 2011 vorsätzlich dem Verbot wettbewerbswidriger Vereinbarungen zuwider gehandelt, auf eine Kenntnis der Geschäftsführung von der fraglichen „Absprachepraxis“ geschlossen. Außerdem hat es auf das Eingeständnis des früheren Geschäftsführers abgestellt, wonach er „von Absprachen mit der V Gruppe … gewusst habe“. Ob das Landesarbeitsgericht damit gemeint hat, der frühere Geschäftsführer sei selbst in das „Absprachesystem“ aktiv oder passiv eingebunden gewesen, ist nicht klar. Ggf. wird es dazu weitere Feststellungen zu treffen haben.

52

gg) Auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung kommt es indessen nur an, wenn der Kläger kein leitender Angestellter iSd. § 5 Abs. 3 BetrVG war. Andernfalls war der Betriebsrat nicht zu beteiligen. Zu diesem - nach seiner eigenen Begründungslinie erheblichen - Punkt hat das Landesarbeitsgericht bisher keine Feststellungen getroffen, obwohl die Beklagte zur Stellung des Klägers als leitender Angestellter - ua. in ihren Schriftsätzen vom 20. März 2013 und vom 4. Juni 2013 - Vortrag gehalten hat. Das Vorbringen ist nach den bisherigen Feststellungen auch nicht etwa von vorneherein unbeachtlich.

53

c) Das Landesarbeitsgericht hat dahinstehen lassen, ob der nach seiner Überzeugung durch die Beweisaufnahme „bestätigte“ Verdacht einer Beteiligung des Klägers an illegalen Preisabsprachen hinreichend stark war. Eine eigene Beurteilung ist dem Senat schon deshalb verwehrt, weil das Landesarbeitsgericht zu Art und Umfang der fraglichen „Beteiligung“ keine abschließenden Feststellungen getroffen hat.

54

aa) Die Mitwirkung eines Arbeitnehmers an einer (Kartell-)Straftat - sei es in Täterschaft oder Teilnahme - ist grundsätzlich geeignet, eine (außerordentliche) Kündigung zu rechtfertigen. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung kommt es entscheidend auf das Gewicht der Pflichtverletzung an, das sich maßgeblich nach Art und Ausmaß der Mitwirkung des Arbeitnehmers bestimmt. Je nach der Qualität der Pflichtverletzung und der Stellung des Arbeitnehmers im Unternehmen kann überdies Bedeutung gewinnen, ob er Anlass hatte anzunehmen, die wettbewerbswidrigen Handlungen seien dem Arbeitgeber bekannt und würden von ihm ausdrücklich gebilligt oder unterstützt (vgl. BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 32, BAGE 142, 188; 28. August 2008 - 2 AZR 15/07 - Rn. 22).

55

bb) In welchem Rahmen der Kläger überhaupt - ggf. außerhalb des Gesprächs aus dem Jahr 2006 - an kartellrechtswidrigen Absprachen beteiligt gewesen sein soll, und ob es unter Berücksichtigung der bei der Beklagten bestehenden Antikorruptions- und Kartellrichtlinien möglich ist, dass er im Fall seiner Beteiligung annehmen durfte, nicht pflichtwidrig zu handeln, ist den bisherigen Feststellungen nicht zu entnehmen, unterliegt der tatrichterlichen Würdigung und kann der Senat nicht selbst prüfen.

56

d) Die zahlreichen Verfahrensrügen, mit denen die Beklagte sich gegen die Würdigung des Landesarbeitsgerichts wendet, dem Kläger sei eine aktive Beteiligung an dem von ihr behaupteten „Kompensationsgeschäft“ - im Sinne einer Tat - nicht vorzuwerfen, bedürfen wegen der gebotenen Zurückverweisung keiner abschließenden Behandlung. Für das weitere Verfahren sieht sich der Senat lediglich zu folgenden Hinweisen veranlasst:

57

aa) Es stellt keinen Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze dar, dass das Landesarbeitsgericht nach dem bisherigen Sach- und Streitstand davon ausgegangen ist, der Kläger könne an dem fraglichen, das Projekt A/G betreffenden Termin im Jahr 2006 als solchem teilgenommen haben, ohne von Vereinbarungen über die Zahlung einer „monetären“ Kompensation an die V K B GmbH unmittelbar Kenntnis erlangt zu haben. Die Lebenserfahrung zeigt, dass kartellrechtswidrige Absprachen nicht offen erörtert und für jedermann erkennbar getroffen werden. Es liegt typischerweise im Interesse der an einer solchen Absprache beteiligten Personen, den Kreis der „Eingeweihten“ möglichst klein zu halten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass - nach der Aussage des Zeugen K - Gegenstand des Treffens keineswegs allein die Herbeiführung einer wettbewerbswidrigen Absprache gewesen sein soll. Vielmehr soll es - unter anderem - um die Klärung der Fragen gegangen sein, ob genügend Material beschafft und wie der Auftrag durchgeführt werden könne. Der Würdigung des Landesarbeitsgerichts, es fehle am Tatnachweis, steht auch nicht die (leitende) Position des Klägers entgegen. Nach seinem - insoweit nicht bestrittenen - Vorbringen hat den Preis für sein Angebot nicht er selbst bestimmt und war an dem Gespräch mit Vertretern der Wettbewerberin mindestens noch ein weiterer Mitarbeiter der Beklagten - der Zeuge W - beteiligt.

58

bb) Das Landesarbeitsgericht musste die Aussageverweigerung durch den Zeugen W nicht als zwingendes Indiz dafür werten, dass der Kläger an der in Rede stehenden „Kompensationsvereinbarung“ - aktiv oder im Sinne einer bewussten Duldung - tatsächlich mitgewirkt habe. Aus der Weigerung, vor Gericht Zeugnis abzulegen, kann - für sich genommen - nicht geschlossen werden, die in das Wissen des Zeugen gestellte Behauptung sei wahr. Es kommt allenfalls in Betracht, die Weigerung in Verbindung mit anderen Beweisergebnissen zu würdigen (BGH 21. September 2011 - IV ZR 38/09 - Rn. 18; OLG München 10. November 2009 - 5 U 5130/08 - Rn. 18; Musielak/Voit/Huber ZPO 12. Aufl. § 384 Rn. 2; MüKoZPO/Damrau 4. Aufl. § 384 Rn. 4). Darin sind die Tatsachengerichte iSv. § 286 ZPO grundsätzlich frei.

59

cc) Das Landesarbeitsgericht hat - anders als die Beklagte meint - keine widersprüchlichen Feststellungen getroffen, soweit es einerseits der Auffassung war, es sei nicht erwiesen, dass sich der Kläger in dem fraglichen Gespräch an konkreten Preisabsprachen beteiligt habe, andererseits aber den Verdacht, er sei in solche Absprachen verwickelt gewesen, als „bestätigt“ angesehen hat. Damit hat es lediglich der von ihm für wahr erachteten Teilnahme des Klägers an einem Gespräch mit potentiellen Mitbewerbern der Beklagten über den Auftrag A/G nicht die Indizwirkung beigemessen, die ihr nach Auffassung der Beklagten zukommt. Darin liegt kein Verstoß gegen § 286 ZPO.

60

dd) Das Landesarbeitsgericht hat der namentlichen Erwähnung des Klägers in dem Bescheid des Bundeskartellamts mit Recht eine verdachtsverstärkende Bedeutung zuerkannt. Es musste allein aus ihr aber nicht schließen - und durfte dies nicht einmal -, der Kläger habe sich nachweislich an wettbewerbswidrigen Preisabsprachen beteiligt (vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 644/13 - Rn. 21; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 16 mwN, BAGE 143, 244). Ein solcher Schluss könnte allenfalls aus den tatsächlichen Ergebnissen des kartellamtlichen Verfahrens gezogen werden, soweit die Beklagte diese zu ihrem eigenen Vortrag gemacht haben sollte.

61

III. Der Zurückverweisung unterliegt auch der - als uneigentlicher Hilfsantrag zu verstehende - Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Beckerle    

        

    Grimberg    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. März 2013 - 13 Sa 6/13 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 3. September 2012 - 3 Ca 319/12 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 15. März 2012 nicht aufgelöst worden ist.

3. Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und einer binnen der Kündigungsfrist erklärten außerordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte produziert Wellpappe für Verpackungen und Displays. Sie beschäftigte zuletzt etwa 210 Arbeitnehmer. Der 1984 geborene Kläger stand vom 18. Mai bis 15. September 2009 und ab dem 9. November 2010 in ihren Diensten, zuletzt als Produktionsmitarbeiter.

3

Am 10. Februar 2012 fand auf Einladung der Gewerkschaft ver.di in dem bisher betriebsratslosen Betrieb der Beklagten eine Betriebsversammlung zum Zweck der Wahl eines Wahlvorstands statt. Zu der für den Beginn der Versammlung angesetzten Uhrzeit waren hauptamtliche Gewerkschaftssekretäre noch nicht anwesend. Gleichwohl wurde ein Versammlungsleiter gewählt. Laut des von diesem verfassten Protokolls beschlossen die Teilnehmer einstimmig, keinen Wahlvorstand zu wählen. Die Versammlung wurde geschlossen. Die zwischenzeitlich eingetroffenen Gewerkschaftssekretäre versuchten, die Anwesenden zum Bleiben zu bewegen. Teilweise gelang dies. An einer anschließend durchgeführten Abstimmung über die Wahl eines Wahlvorstands beteiligten sich etwa 50 Arbeitnehmer. Auf den Kläger als Kandidaten von ver.di entfielen 33 Stimmen. Die Zahl der bei der Abstimmung insgesamt anwesenden Arbeitnehmer ließ sich später nicht mehr feststellen.

4

Mit Schreiben vom 17. Februar 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. März 2012. Sie warf dem Kläger vor, er sei am Vortag 15 Minuten zu spät zur Arbeit erschienen. Bereits am 7. April 2011 und am 27. Oktober 2011 hatte sie den Kläger - im einen Fall wegen einer behaupteten Verspätung von 22 Minuten, im anderen Fall wegen Nichterscheinens zur Nachtschicht - abgemahnt.

5

In den Tagen nach Zugang der Kündigung nahm der Kläger an einem Treffen gewerkschaftlich organisierter Beschäftigter der Beklagten teil. Anlässlich der Zusammenkunft wurde durch „Streik.TV“ - einer im Auftrag von ver.di produzierten online-TV-Sendung für gewerkschaftsrelevante Themen - unter dem Aufmacher „[Die Beklagte] behindert die Bildung eines Betriebsrats“ ein Video-Interview erstellt. Darin schilderte ein „Hintergrundsprecher“, bei der Beklagten habe ein Wahlvorstand zur Einleitung einer Betriebsratswahl gewählt werden sollen. Sodann äußerte sich der Kläger mit den Worten: „Wir haben Probleme mit den Arbeitszeiten, mit Urlaubszeiten, mit Pausenzeiten. Dann haben wir viele Probleme, dass das Vertrauen zu den Mitarbeitern fehlt, da großer Druck von oben aufgebaut ist. Viele Sicherheitsvorkehrungen fehlen an einzelnen Maschinen. Ich möchte fast behaupten, dass keine Maschine zu 100 Prozent ausgerüstet ist. Das Problem ist, dass keine Fachkräfte vorhanden sind und dass das Beherrschen der Maschinen nicht zu 100 Prozent erfüllt wird.“

6

Das Video wurde am 22. Februar 2012 in das Internet eingestellt und war bei „YouTube“ zu sehen. Der Kläger selbst verbreitete es über seinen „Facebook“-Account. Mit Schreiben vom 15. März 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „fristlos, hilfsweise fristgerecht“.

7

Auf Antrag von ver.di bestellte das Arbeitsgericht am 21. März 2012 - rechtskräftig - einen fünfköpfigen Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebsratswahl im Betrieb der Beklagten. Der Kläger, den ver.di als Kandidaten benannt hatte, wurde nicht eingesetzt.

8

Der Kläger hat gegen die Kündigungen rechtzeitig Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, aufgrund seiner Kandidatur für den Wahlvorstand habe er besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG genossen. Die außerordentliche Kündigung sei demzufolge unwirksam, weil sie ohne die erforderliche Zustimmung iSd. § 103 BetrVG erklärt worden sei, die ordentlichen Kündigungen seien wegen seines Sonderkündigungsschutzes ausgeschlossen gewesen. Abgesehen davon fehle es an Kündigungsgründen. Mit seinen Äußerungen in dem Video, für die er sich auf sein Recht auf Meinungsfreiheit berufen könne, habe er seine vertraglichen Pflichten nicht verletzt. Am 16. Februar 2012 sei er lediglich drei Minuten zu spät zur Arbeit erschienen und dies witterungsbedingt.

9

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung der Beklagten vom 17. Februar 2012 noch durch die Kündigung der Beklagten vom 15. März 2012 aufgelöst worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen für den vom Kläger angenommenen Sonderkündigungsschutz lägen nicht vor. Die fristlose Kündigung sei aus wichtigem Grund gerechtfertigt. Die Äußerungen des Klägers in dem Video-Interview, soweit mit ihnen das Fehlen von Fachkräften behauptet werde, seien „verleumderisch“. Sie erfüllten überdies den Tatbestand der Kreditgefährdung. Sie seien geeignet gewesen, Kunden und mögliche Stellenbewerber abzuschrecken. Mit der Billigung seines Verhaltens habe der Kläger nicht rechnen dürfen. Zumindest habe das Arbeitsverhältnis aufgrund einer der ordentlichen Kündigungen sein Ende gefunden. Was die Kündigung vom 17. Februar 2012 angehe, so sei der Kläger am Tag zuvor mit erheblicher Verspätung zur Arbeit erschienen, ohne dies genügend entschuldigt zu haben.

11

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 562 Abs. 1 ZPO)und zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Feststellungsantrag des Klägers ist begründet, soweit er sich gegen die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 richtet. Dies kann der Senat abschließend entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Hinsichtlich des weitergehenden Feststellungsbegehrens war die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 17. Februar 2012 zum 31. März 2012 aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest. Damit kommt derzeit eine Sachentscheidung über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 15. März 2012, die zu einem nach dem 31. März 2012 liegenden Zeitpunkt wirken würde, nicht in Betracht.

13

A. Die Revision des Klägers ist zulässig. Zwar enthält die Revisionsbegründung keinen förmlichen Antrag. Dies ist jedoch unschädlich.

14

I. Nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ZPO muss die Revisionsbegründung eine Erklärung darüber enthalten, inwieweit das angegriffene Urteil angefochten und seine Aufhebung beantragt werde. Dafür ist nicht erforderlich, dass dieser Revisionsantrag gesondert hervorgehoben und ausdrücklich formuliert wird. Es genügt, dass sein Inhalt aus der Begründung zweifelsfrei ersichtlich wird (BAG 31. Januar 2008 - 8 AZR 11/07 - Rn. 27; BGH 25. März 2014 - II ZB 3/13 - Rn. 7).

15

II. Das Begehren des Klägers wird aus der Revisionsbegründung hinreichend deutlich. Der Kläger rügt, das Landesarbeitsgericht habe die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 zu Unrecht als wirksam angesehen und habe es deshalb rechtsfehlerhaft versäumt, über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigungen zu befinden. Darin kommt sein Begehren zum Ausdruck, das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben und seiner Berufung in vollem Umfang stattzugeben. Das genügt.

16

B. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben. Das Landesarbeitsgericht durfte die Klage nicht mit der Begründung abweisen, das Arbeitsverhältnis sei durch die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 aufgelöst worden. Diese Kündigung ist unwirksam.

17

I. Der Kläger hat mit seinem gegen „die Kündigung vom 15. März 2012“ gerichteten Feststellungsantrag die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG sowohl hinsichtlich der fristlosen, als auch hinsichtlich der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung von diesem Tag gewahrt. Der betreffende Schriftsatz ist am 23. März 2012 bei Gericht eingegangen. Der Antrag ist ausreichend bestimmt, auch wenn in ihm nicht förmlich zwischen beiden Kündigungen unterschieden wird. Die beigegebene Begründung lässt deutlich erkennen, dass der Kläger keine der Kündigungserklärungen vom 15. März 2012 gegen sich gelten lassen will (zur Problematik vgl. BAG 16. November 1970 - 2 AZR 33/70 - zu III der Gründe; HaKo/Gallner KSchR 4. Aufl. § 4 Rn. 64).

18

II. Die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 ist nicht schon deshalb unwirksam, weil es zu ihrer Wirksamkeit - entsprechend § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG, § 103 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG - der vorherigen gerichtlichen Zustimmung bedurft hätte. Dem Kläger stand im maßgebenden Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung der geltend gemachte Sonderkündigungsschutz aus § 15 Abs. 3 KSchG nicht zu(zum Beurteilungszeitpunkt vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 20 mwN). Der Kläger war weder Mitglied des Wahlvorstands noch „Wahlbewerber“ im Sinne dieser Bestimmung.

19

1. Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist die Kündigung eines Mitglieds des Wahlvorstands vom Zeitpunkt seiner Bestellung an, die Kündigung eines „Wahlbewerbers“ vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an, jeweils bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist.

20

2. Der Kläger war bei Zugang der Kündigung nicht Mitglied eines Wahlvorstands iSv. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 KSchG, § 103 BetrVG. In Betracht kommt allenfalls, dass er am 10. Februar 2012 in ein solches Amt gewählt worden wäre. Das war jedoch nicht der Fall. Eine Wahl iSv. § 17 Abs. 2 BetrVG hat nicht stattgefunden.

21

a) Die Bestellung des Wahlvorstands bestimmt sich nach den Vorschriften des BetrVG, hier nach § 17 BetrVG. Nach Absatz 2 der Vorschrift wird der Wahlvorstand in Betrieben, in denen kein Betriebsrat besteht, unter den dort genannten Voraussetzungen in einer Betriebsversammlung von der Mehrheit der anwesenden Arbeitnehmer gewählt. Zu dieser Betriebsversammlung kann nach § 17 Abs. 3 BetrVG ua. eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft einladen und dabei Vorschläge für die Zusammensetzung des Gremiums machen. Im Übrigen gelten für diese Betriebsversammlung die Vorschriften der §§ 42 ff. BetrVG, soweit sie nicht das Bestehen eines Betriebsrats voraussetzen (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 185/08 - Rn. 11, BAGE 132, 293; 24. März 1988 - 2 AZR 629/87 - zu II 2 a der Gründe mwN).

22

b) Da es sich um bloße Vorbereitungshandlungen zur Wahl eines Betriebsrats handelt, ist zwar ein „übertriebener Formalismus“ mit Blick auf die Einhaltung der einschlägigen Verfahrensvorschriften fehl am Platz, solange nicht gegen die Grundprinzipien einer demokratischen Wahl verstoßen wird (BAG 24. März 1988 - 2 AZR 629/87 - zu II 4 b aa der Gründe). Unverzichtbare Mindestanforderung ist aber, dass die Wahl in einer Betriebsversammlung erfolgte und das erforderliche Quorum erreicht ist. Jeder für den Wahlvorstand vorgesehene Arbeitnehmer muss mit der Mehrheit der Stimmen der bei der Betriebsversammlung anwesenden Arbeitnehmer gewählt werden; die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt nicht (statt vieler: Fitting BetrVG 27. Aufl. § 17 Rn. 29; Richardi/Thüsing BetrVG 12. Aufl. § 17 Rn. 25). Ohne die Beachtung dieser Voraussetzungen liegt keine rechtsgültige Wahl vor.

23

c) Danach wurde der Kläger am 10. Februar 2012 nicht zum Mitglied eines Wahlvorstands gewählt. Es ist bereits zweifelhaft, ob die hierüber durchgeführte Abstimmung, nachdem die Versammlung zuvor offenbar „geschlossen“ worden war, „in einer Betriebsversammlung“ erfolgte. Im Ergebnis kann dies offenbleiben. Die Zahl der bei der Abstimmung anwesenden Arbeitnehmer ist nicht ermittelt worden. Es kann deshalb nicht festgestellt werden, ob tatsächlich eine im Sinne des Gesetzes repräsentative Wahl des Klägers erfolgt ist. Dieser erhielt zwar 33 von etwa 50 abgegebenen Stimmen. Ob aber nicht im Zeitpunkt der Wahl insgesamt mehr als 65 Teilnehmer anwesend waren, so dass der Kläger nicht von deren Mehrheit gewählt worden wäre, lässt sich nicht mehr feststellen. Dies geht zu Lasten des Klägers. Der Arbeitnehmer, der sich auf einen Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG beruft, hat die dafür erforderlichen Tatsachen darzulegen und ggf. zu beweisen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 31).

24

3. Der Kläger wurde aufgrund seiner am 10. Februar 2012 auf der Versammlung erklärten Bereitschaft, für das Amt des Wahlvorstands zu „kandidieren“, nicht „Wahlbewerber“ iSv. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 KSchG. „Wahlbewerber“ wurde er auch nicht aufgrund des Umstands, dass er seit dem 23. Februar 2012 in einem Antrag nach § 17 Abs. 4 BetrVG für eine gerichtliche Bestellung zum Wahlvorstand vorgeschlagen worden war. Dementsprechend kam für ihn weder ab dem 10. noch ab dem 23. Februar 2012 (nachwirkender) Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG in Betracht.

25

a) Im Schrifttum sind die Meinungen zu dieser Problematik geteilt. Einige Stimmen nehmen an, Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands seien - unabhängig vom Weg, auf dem sie in das Amt gelangen sollen - als „Wahlbewerber“ iSd. § 15 Abs. 3 KSchG, § 103 Abs. 1 BetrVG anzusehen(vgl. KR/Etzel 10. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 13; Stein AuR 1975, 201, 202). Die Mehrzahl der Stimmen lehnt ein solches Begriffsverständnis ab (vgl. nur APS/Linck 4. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 2; Fitting BetrVG 27. Aufl. § 103 Rn. 10; GK/Raab BetrVG 8. Aufl. § 103 Rn. 6; HWGNRH/Huke BetrVG 9. Aufl. § 103 Rn. 13; Kittner/Däubler/Zwanziger/Deinert KSchR 8. Aufl. § 15 Rn. 17; Richardi/Thüsing BetrVG 12. Aufl. § 103 Rn. 8; SES/Eylert KSchG § 15 Rn. 22; WPK/Preis BetrVG 4. Aufl. § 103 Rn. 6; Grau/Schaut BB 2014, 757; Fischermeier ZTR 1998, 433, 434; Nägele/Nestel BB 2002, 354, 356).

26

b) Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend. Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands sind keine „Wahlbewerber“.

27

aa) Seinem Wortlaut nach bezieht sich § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG mit dem Ausdruck „Wahlbewerber“ auf Personen, die sich im Rahmen einer Wahl für ein Amt „bewerben“. Mitglieder des Wahlvorstands erlangen ihr Amt dagegen vielfach gerade nicht durch Wahl. Ihre Bestellung durch den Betriebsrat (§ 16 BetrVG), den Gesamt- oder den Konzernbetriebsrat (§ 17 Abs. 1 BetrVG) oder das Gericht (§ 17 Abs. 4 BetrVG) ist weder sprachlich noch inhaltlich vom Begriff „Wahl“ gedeckt. Auch „bewerben“ sich die Kandidaten bei dem jeweiligen Gremium, das zur Bestellung des Wahlvorstands berufen ist, nicht um das Amt. Das zuständige Gremium setzt vielmehr die Personen, die es für geeignet hält, in eigener Verantwortung als Mitglieder des Wahlvorstands ein.

28

bb) Systematische Gesichtspunkte stützen dieses Verständnis.

29

(1) Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 KSchG sind Wahlbewerber „vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an … bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses“ vor Kündigungen besonders geschützt. Dieser Schutz ist ersichtlich an die Durchführung eines Wahlverfahrens geknüpft; dieses wiederum verlangt für die „Aufstellung“ eines Wahlvorschlags und damit für eine „Bewerbung“ die Einhaltung einer bestimmten Form (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 13; 7. Juli 2011 - 2 AZR 377/10 - Rn. 24). Mit Blick auf die Wahl des Betriebsrats etwa ist erforderlich, dass ein schriftlicher Wahlvorschlag existiert, der den in § 14 Abs. 4 BetrVG und in der Wahlordnung normierten Voraussetzungen genügt, insbesondere die erforderliche Mindestzahl von Stützunterschriften aufweist(BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 12, 13). Durch die in § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorausgesetzte Aufstellung eines Wahlvorschlags wird der Begriff des „Wahlbewerbers“ jedenfalls kündigungsschutzrechtlich auf Kandidaten beschränkt, die sich einem formalisierten Wahlverfahren stellen. Auf die Benennung von Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands trifft dies nicht zu. Ein strukturiertes Verfahren, in dessen Rahmen „Wahlvorschläge aufgestellt“ würden, ist selbst für den Weg der Wahl in einer Betriebsversammlung iSv. § 17 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht vorgesehen(BAG 24. März 1988 - 2 AZR 629/87 - zu II 4 b aa der Gründe). Schon die zweifelsfreie Feststellung des Beginns des Sonderkündigungsschutzes wäre damit nicht möglich.

30

(2) Es kommt hinzu, dass mit einem Verständnis der Kandidatur für den Wahlvorstand als „Wahlbewerbung“ die Möglichkeit einer Erstreckung des Sonderkündigungsschutzes auf alle Belegschaftsmitglieder verbunden wäre. Soll die Wahl des Wahlvorstands in einer Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 2 BetrVG erfolgen, könnte jeder Anwesende sich zum Kandidaten erklären oder könnte von anderen Belegschaftsmitgliedern oder der einladenden Gewerkschaft dazu erklärt werden. Soll der Wahlvorstand nach ergebnisloser Betriebsversammlung durch das Gericht bestellt werden, könnten die Antragsteller zahlenmäßig unbegrenzte Bestellungsvorschläge unterbreiten, aus denen das Gericht die zu bestellenden Mitglieder aussuchen möge. Dies vertrüge sich systematisch nicht mit der Regelung in § 15 Abs. 3a KSchG. Danach ist der besondere Schutz für Belegschaftsmitglieder, die zu einer Betriebsversammlung iSv. § 17 Abs. 3 BetrVG einladen oder den Antrag iSv. § 17 Abs. 4 BetrVG stellen, auf die ersten drei in der Einladung bzw. der Antragstellung aufgeführten Arbeitnehmer begrenzt.

31

Für - umgekehrt - eine analoge Anwendung von § 15 Abs. 3a KSchG auf die Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands wiederum fehlt es an der erforderlichen Ähnlichkeit der Sachverhalte. Weder sind die „Aktivitäten“ der Initiatoren bzw. Antragsteller und die der (bloßen) Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands vergleichbar, noch macht eine zahlenmäßige Begrenzung auf die „ersten“ drei Kandidaten Sinn - zumal der Wahlvorstand aus mehr als drei Personen bestehen kann.

32

cc) Auch Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes gebieten es nicht, Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands als „Wahlbewerber“ iSv. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 KSchG, § 103 Abs. 1 BetrVG anzusehen.

33

(1) Die Erstreckung des besonderen Kündigungsschutzes in § 15 Abs. 3 KSchG auf Mitglieder des Wahlvorstands und Wahlbewerber dient der Erleichterung der Wahl der Betriebsverfassungsorgane und der Sicherung der Kontinuität ihrer Arbeit(BT-Drs. VI/1786 S. 59). Das gleiche Ziel verfolgt die entsprechende Regelung in § 103 Abs. 1 BetrVG. Das Zustimmungserfordernis soll verhindern, geschützte Personen faktisch zunächst einmal aus dem Betrieb zu entfernen und durch die Länge eines möglichen Kündigungsschutzverfahrens der Belegschaft zu entfremden (vgl. BT-Drs. VI/1786 S. 53).

34

(2) Diese Zwecke verlangen nicht danach, Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands als „Wahlbewerber“ anzusehen.

35

(a) Zwar sind schon im Vorfeld der Betriebsratswahl spezifische Konflikte zwischen betroffenen Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber denkbar. Aus diesem Grund sind sowohl die Mitglieder des tatsächlich gewählten oder bestellten Wahlvorstands, die nunmehr die Wahl des Betriebsrats aktiv zu betreiben haben, als auch die Bewerber um das Betriebsratsamt als solches durch § 15 Abs. 3 KSchG besonders geschützt. Ohne diesen Schutz hat der Gesetzgeber das Ziel einer möglichst reibungslosen und erfolgreichen Wahl des Betriebsrats erkennbar als gefährdet angesehen.

36

(b) Dieses Ziel verlangt aber nicht nach dem gleichen Schutz schon für die Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands. Aus einer solchen Kandidatur erwachsen typischerweise keine Konfliktlagen, die mit denen aus dem späteren Amt als tatsächlich gewählter/bestellter Wahlvorstand oder aus einer Bewerbung um das Amt des Betriebsrats selbst vergleichbar wären. Zum einen dauert die Kandidatur für den Wahlvorstand in der Regel nur eine kurze Zeitspanne - etwa die Zeit zwischen der Einladung zur Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 3 BetrVG, soweit die Kandidatur darin überhaupt bekanntgegeben wird, und der Durchführung der Versammlung oder die Zeit zwischen Antragstellung und Entscheidung des Gerichts nach § 17 Abs. 4 BetrVG. Geht es um die Bestellung der Mitglieder des Wahlvorstands durch ein Betriebsratsgremium lässt sich zudem schon von einer „Kandidatur“ kaum sprechen. Zum anderen tritt der Kandidat für das Amt des Wahlvorstands auch im Rahmen des Wegs über § 17 Abs. 2 BetrVG in der Regel nicht werbend in Erscheinung, um gegenüber Konkurrenten mit bestimmten inhaltlichen Vorschlägen zu überzeugen. Anlässe und Angriffsflächen für Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers sind damit nicht zu erwarten. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses von Kandidaten für den Wahlvorstand erscheint demnach nicht schon wegen ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Rolle als besonders gefährdet. Sind die Kandidaten zugleich die Initiatoren der Wahl iSv. § 15 Abs. 3a KSchG iVm. § 17 Abs. 3, Abs. 4 BetrVG, sind sie in dieser Rolle durch § 15 Abs. 3a KSchG ohnehin geschützt. Damit ergeben sich aus Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 Abs. 3 KSchG keine Gründe, die eine mit dem Wortsinn „Wahlbewerber“ nicht zu vereinbarende und in Widersprüche zur Systematik der Gesamtregelung geratende Auslegung dieses Begriffs dahin rechtfertigen könnten, dass er auch Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands erfasse.

37

(3) Sollte der Arbeitgeber mit der Kündigung eines Arbeitnehmers dennoch das Ziel verfolgen, dessen Wahl oder Bestellung zum Mitglied eines Wahlvorstands zu verhindern, stellte dies eine verbotene Wahlbehinderung dar. Die Kündigung wäre nach § 20 Abs. 1 BetrVG iVm. § 134 BGB nichtig(vgl. auch BAG 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu II 3 a der Gründe). Im Übrigen finden zugunsten der Kandidaten allemal die allgemeinen kündigungsschutzrechtlichen Bestimmungen Anwendung.

38

III. Die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 ist gleichwohl unwirksam. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Der Kläger hat mit seinen Äußerungen in dem durch „Streik.TV“ produzierten Video seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB nicht verletzt. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, er habe in dem Beitrag bewusst geschäftsschädigende Tatsachenbehauptungen aufgestellt, beruht auf einer fehlerhaften Auslegung der fraglichen Äußerungen und schenkt dem Grundrecht des Klägers auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) keine genügende Beachtung. Darauf, ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist, kommt es nicht an.

39

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15 mwN, BAGE 146, 303).

40

2. Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 29, BAGE 137, 54). Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - aaO mwN).

41

3. Eine in diesem Sinne erhebliche Pflichtverletzung liegt regelmäßig vor, wenn der Arbeitnehmer über seinen Arbeitgeber, seine Vorgesetzten oder Kollegen bewusst wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen aufstellt, insbesondere wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22). Auch eine bewusste und gewollte Geschäftsschädigung, die geeignet ist, bei Geschäftspartnern des Arbeitgebers Misstrauen in dessen Zuverlässigkeit hervorzurufen, kann einen wichtigen Grund zur Kündigung bilden. Das gilt auch dann, wenn es sich um einen einmaligen Vorgang handelt (BAG 26. September 2013 - 2 AZR 741/12 - Rn. 15; 6. Februar 1997 - 2 AZR 38/96 - zu II 1 e der Gründe).

42

4. Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). Darauf kann sich auch ein Arbeitnehmer berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 b aa der Gründe mwN). Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (vgl. BVerfG 28. November 2011 - 1 BvR 917/09 - Rn. 18 mwN).

43

5. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet, sondern gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35; 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - zu B III 2 a der Gründe). Die Verfassung gibt das Ergebnis einer solchen Abwägung nicht vor. Das gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - auch auf Seiten des Arbeitgebers eine grundrechtlich geschützte Position betroffen ist. Durch Art. 12 GG wird die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers geschützt, die durch geschäftsschädigende Äußerungen verletzt sein kann. Auch gehört § 241 Abs. 2 BGB zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden - und umgekehrt (vgl. BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 20; 25. Oktober 2005 - 1 BvR 1696/98 - BVerfGE 114, 339).

44

6. Danach hat der Kläger seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange der Beklagten nicht verletzt.

45

a) Sowohl für die Beurteilung, ob es sich bei einer Aussage um eine Tatsachenbehauptung oder um ein Werturteil handelt, als auch für die Bewertung, ob eine vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasste Äußerung die Grenzen der Meinungsfreiheit überschreitet, kommt es entscheidend auf den Sinngehalt der fraglichen Erklärung an(vgl. BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18; BAG 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - zu B III 2 a cc der Gründe). Dessen Ermittlung hat vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, darf aber den sprachlichen Kontext, in dem sie steht, sowie die für den Empfänger erkennbaren Begleitumstände, unter denen sie gefallen ist, nicht unberücksichtigt lassen. Die isolierte Betrachtung nur eines Teils der Äußerung wird diesen Anforderungen in der Regel nicht gerecht (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40; BGH 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 - zu II 2 der Gründe).

46

b) Um der Meinungsfreiheit gerecht zu werden, dürfen Gerichte einer Äußerung keine Bedeutung beilegen, die sie objektiv nicht hat. Bei Mehrdeutigkeit dürfen Äußerungen wegen eines möglichen Inhalts nicht zu nachteiligen Folgen führen, ohne dass eine Deutung, die zu einem von der Meinungsfreiheit gedeckten Ergebnis führen würde, mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden ist (bspw. BVerfG 25. Oktober 2005 - 1 BvR 1696/98 - Rn. 33, BVerfGE 114, 339; 25. März 1992 - 1 BvR 514/90 - zu B I 2 a der Gründe, BVerfGE 86, 1).

47

c) Die Einhaltung dieser Grundsätze kann das Revisionsgericht uneingeschränkt überprüfen (BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15 mwN, BAGE 138, 312). Ihnen genügt die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Sinnermittlung nicht.

48

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe mit seiner Erklärung, bei der Beklagten seien „keine Fachkräfte vorhanden“, zum Ausdruck gebracht, diese beschäftige keine Arbeitnehmer, die innerhalb ihres erlernten Berufs über die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten verfügten. Damit habe er dem Großteil der bei der Beklagten tätigen Arbeitnehmer, die in Wirklichkeit sehr wohl über eine einschlägige Facharbeiterausbildung zB als Schlosser, Elektriker oder im Bereich Verpackungsmittelmechanik verfügten, die Kompetenz abgesprochen, eine ausbildungsadäquate Tätigkeit zu verrichten. Er habe insoweit eine objektiv unwahre Tatsachenbehauptung aufgestellt.

49

bb) Diese Auslegung wird dem Sinn der Äußerung schon deshalb nicht gerecht, weil sie mit der beanstandeten Passage nur einen Teil in den Blick nimmt und sich außerdem allein am allgemeinen Verständnis des Begriffs „Fachkraft“ orientiert. Eine Fachkraft ist danach eine Person, die innerhalb ihres Berufs oder ihres Fachgebiets über die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt (Duden Deutsches Universalwörterbuch 7. Aufl.; Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl.). Auf diese Weise lässt das Landesarbeitsgericht - wie der Kläger zu Recht rügt - den gedanklichen Zusammenhang, in den die Äußerung gestellt ist, außer Betracht und berücksichtigt nicht hinreichend ihren äußeren Bezugsrahmen.

50

(1) Der Kläger bezieht sich in erster Linie auf „Probleme“ mit Arbeitszeiten, Urlaubszeiten und Pausenzeiten. Er spricht damit Sachverhalte an, die - je nach den konkreten Umständen - einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5 BetrVG unterliegen können. Anschließend bemängelt er ein unzureichendes Vertrauen in die Mitarbeiter und den Umstand, dass „viele Sicherheitsvorkehrungen“ an „einzelnen Maschinen“ fehlten. Daran schließt sich der Hinweis, es seien „keine Fachkräfte vorhanden“ unmittelbar an. Noch im selben Satz äußert der Kläger sodann, er möge „fast“ behaupten, dass keine Maschine zu „100 Prozent ausgerüstet“ sei. Diese enge textliche und sachliche Verknüpfung mit den angesprochenen Sicherheitsaspekten legt es unmittelbar nahe anzunehmen, der Kläger habe nicht auf das Fehlen von Fachkräften im Allgemeinen, sondern auf Defizite in Sachen Arbeitssicherheit hinweisen wollen.

51

(2) Für ein solches Verständnis spricht ferner der situative Kontext der Aussage. Das fragliche Video wurde aus Anlass der Ereignisse vom 10. Februar 2012 erstellt. Vor der beanstandeten Äußerung berichtet ein „Hintergrundsprecher“ von der auf einen Mitarbeiterwunsch zurückgehenden Einladung der Gewerkschaft ver.di zu einer Betriebsversammlung bei der Beklagten, in der ein Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebsratswahl habe gewählt werden sollen. Im Anschluss an die Erklärung des Klägers äußert der Hintergrundsprecher weiter: „Die Betriebsversammlung lief alles andere als gut. Zu einer Wahl kam es nicht“. Eingebettet in diesen Sachzusammenhang waren die Äußerungen des Klägers in ihrer Gesamtheit erkennbar darauf angelegt, für die Wahl eines Betriebsrats zu „werben“. An keiner Stelle des Interviews wird deutlich, dass der Kläger der Beklagten hätte absprechen wollen, Mitarbeiter zu beschäftigen, die über eine qualifizierte Berufsausbildung verfügen und in der Lage sind, in ihrem Beruf erworbene Fähigkeiten und Kenntnisse adäquat anzuwenden. Gegenstand seiner Stellungnahme waren vielmehr „Probleme“, derer sich ein Betriebsrat würde annehmen können.

52

Der von der Beklagten als geschäftsschädigend angesehene Eindruck, sie setze bei der Herstellung ihrer Produkte durchweg kein ausgebildetes Fachpersonal ein, konnte bei einem Zuschauer nicht wirklich entstehen. Insbesondere mussten ihre (potentiellen) Kunden oder an einer Beschäftigung bei ihr interessierte Arbeitnehmer aufgrund der Äußerungen des Klägers nicht annehmen, die von der Beklagten hergestellten Waren seien minderwertig oder erfüllten nicht die Qualitätserwartungen. Ein verständiger Betrachter des Videos konnte allenfalls den Eindruck gewinnen, bei der Beklagten sei aus Sicht des Klägers eine gefahrlose Bedienung der Maschinen mangels hierfür spezifisch aus- oder weitergebildeter Kräfte nicht ausnahmslos gewährleistet.

53

Angesichts dessen bleibt für die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung kein Raum. Selbst wenn es sich aber um eine nicht gänzlich auszuschließende Deutungsvariante handeln würde, müsste der hier dargelegten und zumindest ebenso naheliegenden Auslegung zum Schutz der Meinungsfreiheit der Vorrang eingeräumt werden.

54

cc) Ist die Äußerung des Klägers als Hinweis auf das Fehlen von „Fachkräften“ in Bezug auf die Arbeitssicherheit zu verstehen, kann sie - selbst bei isolierter Betrachtung - nicht als Tatsachenbehauptung eingestuft werden. Der Kläger beschreibt nicht das Fehlen einer wirklichen Qualifikation, deren (Nicht-)Vorhandensein ggf. einem Wahrheitsbeweis zugänglich wäre. Er äußert sich vielmehr pauschal über eine seiner Einschätzung nach unzureichend gewährleistete Sicherheit bei der Bedienung der im Betrieb eingesetzten Maschinen. Dafür macht er Defizite sowohl im technischen als auch im personellen Bereich verantwortlich.

55

dd) Selbst wenn die Äußerung des Klägers auch tatsächliche Behauptungen implizieren würde, so hat sie doch zumindest teilweise wertenden Charakter. Eine Trennung von tatsächlichen und wertenden Bestandteilen einer Äußerung wiederum ist nur zulässig, wenn dadurch deren Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies der Fall wäre, muss die Erklärung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18; 19. Dezember 1990 - 1 BvR 389/90 - zu B I der Gründe; jeweils mwN). So liegt es hier. Schon die einleitenden Worte des Klägers: „Wir haben Probleme …“ bringen den Charakter der nachfolgenden Äußerungen als subjektive Wertung klar zum Ausdruck. Dem gesamten Kontext nach ist sein Beitrag davon geprägt, aus Arbeitnehmersicht die Bedeutung der Wahl einer betrieblichen Interessenvertretung hervorzuheben. Die fraglichen Äußerungen unterfallen damit insgesamt - unabhängig von ihrer sachlichen Berechtigung - dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG.

56

d) Die im Rahmen von § 241 Abs. 2 BGB vorzunehmende Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien ergibt, dass die Meinungsfreiheit des Klägers nicht hinter die Belange der Beklagten zurückzutreten hat. Das vermag der Senat selbst zu beurteilen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der für die erforderliche (Grundrechte-)Abwägung maßgebliche Sachverhalt ist durch das Landesarbeitsgericht festgestellt. Weitergehender Sachvortrag steht insoweit nicht zu erwarten.

57

aa) Der Kläger hat keine Behauptungen aufgestellt, die geeignet wären, Repräsentanten der Beklagten oder ihre Mitarbeiter in ihrer Ehre zu verletzen. Dafür fehlt es am erforderlichen Personenbezug.

58

bb) Als Meinungsäußerungen, die dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG unterfallen, werden die von der Beklagten angegriffenen Aussagen nicht vom Tatbestand der Kreditgefährdung(§ 824 BGB) erfasst.

59

cc) Die Äußerungen verletzen die Beklagte auch nicht in ihrem allgemeinen „Persönlichkeitsrecht“ als Unternehmen. Zwar steht das Recht der persönlichen Ehre und auf Achtung ihres öffentlichen Ansehens auch juristischen Personen zu (vgl. BGH 22. September 2009 - VI ZR 19/08 - Rn. 10 mwN). Eine dieses Recht regelmäßig verletzende Schmähkritik (vgl. dazu BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - BVerfGE 93, 266; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36 mwN) liegt hier aber nicht vor. Die beanstandete Aussage ist nicht auf eine Diffamierung der Beklagten angelegt. Sie hat erkennbar einen sachlichen Bezug.

60

dd) Der Kläger hat seine Vertragspflichten nicht aufgrund des Umstands verletzt, dass das Interview nicht nur einem begrenzten Empfängerkreis zugänglich war.

61

(1) Den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zufolge wurde das fragliche Video auf der Seite „Streik.TV“ in das Internet gestellt. Der Zugriff auf die Plattform unterlag keinen personellen Beschränkungen, sondern war jedem Internetnutzer möglich. Der Kläger hat nicht behauptet, ihm sei der Verwendungszweck des Videos unbekannt gewesen. Für die rechtliche Beurteilung kommt es deshalb nicht darauf an, ob er selbst den Beitrag bei „YouTube“ eingestellt hat oder ob dies durch Dritte erfolgt ist. Ebenso wenig ist von Belang, ob er zusätzlich eine gewisse Öffentlichkeit durch dessen Verbreitung über „Facebook“ hergestellt hat (zur Problematik vgl. Bauer/Günther NZA 2013, 67, 68).

62

(2) Dieser Verbreitungsgrad reicht unter den gegebenen Umständen nicht aus, um einen Verstoß gegen § 241 Abs. 2 BGB zu begründen.

63

(a) Allerdings sind Arbeitnehmer grundsätzlich gehalten, innerbetriebliche Kommunikationswege zu nutzen, bevor sie mögliche Missstände im Betrieb nach Außen tragen (vgl. Hinrichs/Hörtz NJW 2013, 648, 651; Wiese NZA 2012, 1, 4; zu den Grenzen der Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit Anzeigen gegen den Arbeitgeber vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 37; 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - Rn. 18; vgl. ferner EGMR 21. Juli 2011 - 28274/08 - [Heinisch] Rn. 62 ff.). Der Arbeitnehmer kann Beschwerden direkt beim Arbeitgeber oder beim Betriebsrat erheben (§ 85 BetrVG). Das Recht der freien Meinungsäußerung endet aber nicht an der Betriebsgrenze (ErfK/Schmidt 14. Aufl. Art. 5 GG Rn. 37). Es kann Fälle geben, in denen eine innerbetriebliche Klärung nicht zu erwarten steht oder ein entsprechender Versuch dem Arbeitnehmer nicht zuzumuten ist (BAG 3. Juli 2003 - 2 AZR 235/02 - zu II 3 b dd (2) der Gründe, BAGE 107, 36). Im Übrigen ist die Wahl des Mediums zur Kundgabe einer Meinungsäußerung lediglich einer von mehreren Gesichtspunkten bei Abwägung der gegenläufigen Interessen (so zu Recht Wiese NZA 2012, 1, 8).

64

(b) Die Interessen der Beklagten werden durch die beanstandete Aussage lediglich in geringem Maße tangiert. Ein verständiger Betrachter konnte sie, wie dargelegt, nicht ernsthaft dahin verstehen, der Kläger wolle behaupten, die Beklagte setze bei der Produktion kein Fachpersonal ein. Die geäußerte Kritik am Fehlen von „Fachkräften“ für die sichere Bedienung der Maschinen enthielt zudem keine näheren Angaben. Mit ihr war deshalb keine massive Geschäftsschädigung verbunden. Ebenso wenig gibt es Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Betriebsfriedens. Die beanstandete Aussage steht überdies im thematischen Zusammenhang mit dem Verlauf der Betriebsversammlung vom 10. Februar 2012. Der Video-Beitrag diente der Aufbereitung des gescheiterten Wahlvorgangs. Mit Blick auf die Intention des Klägers, die Bedeutung der Wahl eines Betriebsrats aufzuzeigen, kam es nicht infrage, vorab in Gespräche mit der Beklagten einzutreten.

65

Es kommt hinzu, dass die Äußerungen des Klägers zwar einem unbegrenzten Teilnehmerkreis zugänglich, aber nicht auf eine größtmögliche Verbreitung angelegt waren. Das Video wurde auf einer Internet-Platform eingestellt, die sich gewerkschaftlicher Themen annimmt und bei der zu erwarten stand, dass sie lediglich von einem daran interessierten Publikum aufgerufen würde. Auch die Beklagte ist nach ihrem Vorbringen nur zufällig auf das Interview gestoßen. Unter diesen Umständen hat ihr Interesse, in der Öffentlichkeit nicht mit vermeintlichen Defiziten bei der Einhaltung von Sicherheitsstandards in Verbindung gebracht zu werden, hinter das Recht des Klägers auf freie Meinungsäußerung zurückzutreten.

66

IV. Hinsichtlich der Klage gegen die ordentlichen Kündigungen vom 17. Februar und 15. März 2012 ist der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif. In diesem Umfang war die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

67

1. Das Recht der Beklagten, das Arbeitsverhältnis ordentlich zu kündigen, unterlag im jeweiligen Kündigungszeitpunkt keinen Beschränkungen aus § 15 Abs. 3, Abs. 3a KSchG. Der Kläger genoss, wie gezeigt, nach den dortigen Bestimmungen keinen (nachwirkenden) besonderen Kündigungsschutz.

68

2. Der Senat vermag nicht zu beurteilen, ob die Kündigung vom 17. Februar 2012 iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist oder nicht. Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Das Landesarbeitsgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent - nicht geprüft, ob die Kündigung durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist und hat dazu keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachzuholen haben. Die Beklagte macht geltend, der Kläger sei am 16. Februar 2012 trotz einschlägiger vorheriger Abmahnungen verspätet zur Arbeit erschienen. Darin kann, falls sich der Vorwurf bestätigt, ein Grund für eine ordentliche Kündigung liegen (vgl. BAG 16. September 2004 - 2 AZR 406/03 -; 15. November 2001 - 2 AZR 609/00 - BAGE 99, 340). Sollte es auf das Vorbringen des Klägers ankommen, er habe den Arbeitsplatz witterungsbedingt nicht rechtzeitig erreichen können, wird ihm Gelegenheit zu geben sein, diesen Vortrag zu substantiieren. Bisher ist nicht konkret dargetan, welche Hindernisse vorlagen und weshalb er deshalb seine Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllen konnte (vgl. dazu BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 23; 18. Oktober 1990 - 2 AZR 204/90 -).

69

3. Ist über die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung vom 15. März 2012 zu entscheiden, wird das Landesarbeitsgericht von deren Unwirksamkeit ausgehen können. Der Kläger hat, wie ausgeführt, durch seine Äußerungen in dem bei „Streik.TV“ eingestellten Video seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzt. Damit ist kein Grund ersichtlich, der geeignet wäre, die ordentliche Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial zu rechtfertigen.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Bartz    

        

    Perreng    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 13. November 2012 - 14 Sa 1178/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betrieb bis April 2013 Handel mit Kfz-Ersatzteilen. Im Jahr 2012 beschäftigte sie regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Der 1963 geborene Kläger war bei ihr seit August 1988 tätig, zuletzt als Leiter der Finanzbuchhaltung. Sein Bruttomonatsverdienst betrug rund 3.900,00 Euro.

3

Im Juni 2011 übernahm eine Gesellschafterin der Beklagten Aufgaben im Bereich Buchhaltung. Daraus erwuchsen Unstimmigkeiten zwischen den Parteien. Eine dem Kläger am 3. Januar 2012 erteilte Abmahnung wegen behaupteter Arbeitsverweigerung hielt die Beklagte unter Hinweis auf Beweisschwierigkeiten nicht aufrecht.

4

Mit Schreiben vom 24. Februar 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. September 2012. Zur Begründung gab sie an, ihre Gesellschafterin habe zwischenzeitlich die Arbeitsaufgaben des Klägers vollständig übernommen. Dessen Arbeitsplatz sei weggefallen.

5

Der Kläger hat gegen die Kündigung Klage erhoben. Nachdem die Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht erfolglos geblieben war, fertigte sein Prozessbevollmächtigter unter dem 9. Mai 2012 eine Replik auf die Klageerwiderung der Beklagten. Darin heißt es, die Kündigung sei willkürlich erfolgt. Der Beklagten sei es lediglich darum gegangen, den Kläger als „lästigen Mitwisser“ zweifelhafter Geschäfte loszuwerden. Sie habe private Aufwendungen ihres Gesellschafters und seiner Ehefrau sowie des Lebensgefährten einer Gesellschafterin als Betriebsausgaben verbucht. Die Kündigung sei erfolgt, nachdem der Kläger nicht bereit gewesen sei, diese Handlungen zu dulden und/oder mit zu tragen. Der Schriftsatz ging der Beklagten zunächst außergerichtlich als Entwurf zu. In einem Begleitschreiben vom 14. Mai 2012 führte der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, absprachegemäß sollten „nochmal“ die Möglichkeiten einer einvernehmlichen Regelung „erörtert werden“. Falls „in den nächsten Tagen“ keine Rückäußerung erfolge, werde die Replik bei Gericht eingereicht.

6

Der Kläger verfuhr, nachdem eine Antwort der Beklagten ausgeblieben war, wie angekündigt. Mit Schreiben vom 23. Mai 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, „hilfsweise“ ordentlich. Der Kläger hat auch diese Kündigung im Wege einer Klageerweiterung fristgerecht angegriffen.

7

Nach - rechtskräftiger - Abweisung der Klage gegen die Kündigung vom 24. Februar 2012 hat sich der Kläger nur noch gegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die fristlose Kündigung gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB liege nicht vor. Im Schriftsatz vom 9. Mai 2012 habe er den Sachverhalt lediglich aus seiner Sicht dargelegt. Mit dem Begleitschreiben habe er keinen unzulässigen Druck auf die Beklagte ausgeübt.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Kläger habe mit der unüblichen und nicht abgesprochenen Vorabübersendung seines Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 das Ziel verfolgt, sie hinsichtlich der angestrebten gütlichen Einigung „gefügig zu machen“. In der Ankündigung einer Offenbarung angeblicher „Unregelmäßigkeiten“ liege der Versuch einer Erpressung oder Nötigung. Zudem habe der Kläger die Unterlagen, die dem Schriftsatz beigefügt gewesen seien, unbefugt kopiert, um ein Druckmittel gegen sie zu haben. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist sei ihr unzumutbar gewesen.

10

Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage auch insoweit abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht mit sofortiger Wirkung beendet worden ist. Es hat bis zum Termin der ordentlichen Kündigung vom 24. Februar 2012, dh. bis zum 30. September 2012 fortbestanden.

12

I. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für das Rechtsmittelverfahren ist gegeben.

13

1. Neben der Beschwer stellt das Rechtsschutzinteresse im Allgemeinen keine besonders zu prüfende Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels dar; typischerweise folgt es aus ihr (vgl. BAG 2. März 1982 - 1 AZR 694/79 - zu I 1 der Gründe, BAGE 38, 85; BLAH 70. Aufl. Grundz. § 511 Rn. 14, 16 mwN). Ausnahmsweise kann das Rechtsschutzinteresse fehlen, wenn sich etwa die Einlegung des Rechtsmittels trotz Vorliegens einer Beschwer als unnötig, zweckwidrig oder missbräuchlich erweist (BAG 2. März 1982 - 1 AZR 694/79 - aaO).

14

2. Derartige Umstände sind hier nicht ersichtlich. Zwar hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich für die Zeit bis zum 30. September 2012 abgerechnet und den sich aus den Abrechnungen ergebenden Nettoverdienst an den Kläger ausgekehrt. Damit hat sie aber nicht - auch nicht konkludent - erklärt, sie werde aus der fristlosen Kündigung gegenüber dem Kläger keine Rechte mehr herleiten. In ihrem Verhalten liegt auch kein - konkludenter - Verzicht auf die Revision. Darauf, ob die Beklagte bei einer Klageabweisung die Rückzahlung überschießender Vergütung beanspruchen will und kann, kommt es nicht an.

15

II. In der Sache bleibt die Revision ohne Erfolg. Die Klage gegen die fristlose Kündigung vom 23. Mai 2012 ist begründet. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.

16

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

17

2. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 17; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14 mwN). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24). Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist ua. die ordentliche Kündigung (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 35, aaO).

18

3. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagten war es weder aufgrund der Erklärungen im anwaltlichen Schreiben vom 14. Mai 2012 und der Übersendung des Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 im Entwurf, noch wegen des Fotokopierens betrieblicher Unterlagen durch den Kläger unzumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum 30. September 2012 - dem Termin der vorausgegangenen ordentlichen Kündigung - fortzusetzen.

19

a) Als wichtiger Grund ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 29, BAGE 137, 54; 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 - Rn. 30). Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 19; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, BAGE 132, 72).

20

b) Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann darin - je nach den Umständen des Einzelfalls - ein erheblicher, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen (vgl. KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 408). Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nachteilige Folgen mit dem Ziel androht, dieser solle von einer beabsichtigten oder bereits erklärten Kündigung Abstand nehmen (ähnlich BAG 11. März 1999 - 2 AZR 507/98 - zu II 1 b aa der Gründe; 30. März 1984 - 2 AZR 362/82 - zu B I der Gründe; jeweils zur Androhung von Presseveröffentlichungen). Eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung setzt regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob das Verhalten den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt. Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden(BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 21 mwN, BAGE 142, 188).

21

c) Hier hat der Kläger seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme durch die Erklärungen im Schreiben vom 14. Mai 2012 selbst dann nicht verletzt, wenn er sich die Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten aufgrund der erteilten Prozessvollmacht (§ 81 ZPO) uneingeschränkt nach § 85 Abs. 1 ZPO zurechnen lassen muss(zur Problematik vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 297/09 - Rn. 13 ff.; 28. März 1963 - 2 AZR 379/62 - BAGE 14, 147; Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. § 85 Rn. 7). Das Ansinnen einer gütlichen Einigung hinsichtlich der ordentlichen Kündigung vom 24. Februar 2012 war auch in Anbetracht der Ankündigung, im Falle der Nichtäußerung den im Entwurf beigefügten Schriftsatz vom 9. Mai 2012 bei Gericht einzureichen, nicht widerrechtlich. Darauf, ob sich die Parteien zuvor über das Procedere verständigt hatten, kommt es nicht an.

22

aa) Eine Drohung setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 418/10 - Rn. 14). Sie muss nicht ausdrücklich ausgesprochen werden. Die Drohung kann auch versteckt erfolgen, beispielsweise durch eine Warnung oder einen Hinweis auf nachteilige Folgen (vgl. BAG 9. März 1995 - 2 AZR 644/94 - zu 2 der Gründe; BGH 22. November 1995 - XII ZR 227/94 - zu 2 der Gründe). Als Übel genügt jeder Nachteil. Das In-Aussicht-Stellen eines zukünftigen Übels ist widerrechtlich, wenn entweder das Mittel, dh. das angedrohte Verhalten, oder der Zweck, dh. die erwartete Willenserklärung, oder jedenfalls der Einsatz des fraglichen Mittels zu dem fraglichen Zweck von der Rechtsordnung nicht gedeckt ist (vgl. BAG 22. Oktober 1998 - 8 AZR 457/97 - zu I 4 d bb der Gründe).

23

bb) Die Einführung des Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 in den laufenden Kündigungsschutzprozess mag für die Beklagte ein empfindliches Übel gewesen sein. Das Vorgehen des Klägers war aber nicht widerrechtlich. Es war ihm - ebenso wie seine Ankündigung - erlaubt.

24

(1) Parteien dürfen zur Verteidigung ihrer Rechte schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37 mwN). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt jedenfalls so lange, wie er die Grenzen der Wahrheitspflicht achtet (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22; 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12).

25

(a) Dass der Kläger in dem der Beklagten vorab übermittelten Schriftsatz vom 9. Mai 2012 leichtfertig unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt hätte, ist nicht ersichtlich. Das Landesarbeitsgericht hat sein Vorbringen zur Verbuchung privater Aufwendungen und Erstattungsleistungen einer Versicherung mangels ausreichenden Bestreitens der Beklagten nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden angesehen. Die Würdigung wird von der Beklagten nicht angegriffen. Ein Rechtsfehler ist auch objektiv nicht erkennbar.

26

(b) Der Kläger hat nicht in rechtswidriger Weise gegen seine aus § 241 Abs. 2 BGB resultierende, durch § 17 UWG ergänzte Verpflichtung verstoßen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einschließlich der ihm aufgrund seiner Tätigkeit bekannt gewordenen privaten Geheimnisse der Beklagten zu wahren(zur Eignung solcher Verstöße als wichtiger Grund vgl. BAG 18. März 1982 - 2 AZR 940/79 - zu A IV 1 der Gründe). Es kommt nicht darauf an, ob sich die Beklagte hinsichtlich der in Rede stehenden „Betriebsinterna“ überhaupt auf ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse berufen könnte (zur Problematik vgl. Schaub/Linck ArbR-Hdb 15. Aufl. § 53 Rn. 55). Der Kläger war jedenfalls im Rahmen des Kündigungsrechtsstreits zur Offenlegung der betreffenden Tatsachen gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten und dem Gericht befugt. Er handelte in Wahrnehmung berechtigter Interessen. Er wollte auf diese Weise unlautere Motive der Beklagten für die angeblich betriebsbedingte Kündigung dartun. Dass er die Informationen an andere Personen oder Stellen weitergegeben hätte, ist nicht dargetan.

27

(2) Der bezweckte Erfolg - eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits - war ebenso wenig widerrechtlich. Das gilt unabhängig davon, ob der Kläger seine Weiterbeschäftigung bei der Beklagten oder die Zahlung einer Abfindung anstrebte. Durch einen Vergleich sollen der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt werden (§ 779 Abs. 1 Satz 1 BGB). Sein Abschluss ist in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten - vorbehaltlich eines sittenwidrigen Inhalts der Einigung - grundsätzlich erlaubt (vgl. BAG 20. November 1969 - 2 AZR 51/69 - zu I der Gründe).

28

(3) Das Vorgehen des Klägers stellt sich auch nicht wegen eines zwischen dem Inhalt des eingereichten Schriftsatzes und der angestrebten Einigung hergestellten Zusammenhangs - der Zweck-Mittel-Relation - als widerrechtlich dar.

29

(a) Wer sich bei zweifelhafter Rechtslage seinem Vertragspartner gegenüber auf einen objektiv vertretbaren Rechtsstandpunkt stellt, handelt nicht rechtswidrig, wenn er damit den Gegner zum Einlenken veranlassen will. Das gilt auch dann, wenn für den Fall der Nichteinigung eine bestimmte Verteidigungsstrategie angekündigt wird. Eine solche Offenlegung eines beabsichtigten Prozessverhaltens ist - sowohl im Vorfeld einer Klageerhebung als auch im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens - jedenfalls dann rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie weder mutwillig erfolgt, noch zu einer über die Erhebung oder das Bestreiten bestimmter Ansprüche hinausgehenden Belastung des anderen Teils führt (vgl. BGH 19. April 2005 - X ZR 15/04 - zu II 5 a der Gründe). Anders als die Beklagte meint, reicht es für die Widerrechtlichkeit der Verknüpfung von Mittel und Zweck nicht aus, dass eine Partei auf den Abschluss eines Vergleichs keinen Rechtsanspruch hat (so schon RG 11. Dezember 1925 - VI 406/25 - RGZ 112, 226).

30

(b) Die Ankündigung des Klägers, bei einer Nichteinigung einen dem Entwurf der Replik entsprechenden Schriftsatz bei Gericht einzureichen, wäre allenfalls dann widerrechtlich, wenn sein darin ausgedrückter rechtlicher Standpunkt gänzlich unvertretbar wäre. Das ist nicht der Fall. Der Kläger musste nicht von der Wirksamkeit der Kündigung vom 24. Februar 2012 ausgehen. Er durfte sich mit der Behauptung verteidigen, die angestrebte Auflösung des Arbeitsverhältnisses beruhe auf seiner ablehnenden Haltung gegenüber bestimmten buchhalterischen Vorgängen. Seine Anregung, sich vor diesem Hintergrund auf eine einvernehmliche Beilegung des Rechtsstreits zu verständigen, erfolgte im Vertrauen auf eine nicht etwa gänzlich aussichtslose Rechtsposition.

31

d) Die Beklagte war nicht deshalb zur fristlosen Kündigung berechtigt, weil der Kläger Fotokopien von Geschäftsunterlagen hergestellt und diese bei Gericht eingereicht hatte. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, insoweit liege keine Verletzung vertraglicher Pflichten vor. Zumindest sei es der Beklagten nicht unzumutbar gewesen, die Kündigungsfrist einzuhalten. Die Würdigung hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

32

aa) Dem Arbeitnehmer ist es aufgrund der dem Arbeitsvertrag immanenten Pflicht zur Rücksichtnahme verwehrt, sich ohne Einverständnis des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen. Betreffen die Unterlagen ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, ist die Herstellung einer verkörperten Wiedergabe gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) UWG sogar strafbewehrt, wenn dies zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht geschieht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen. Verstößt der Arbeitnehmer rechtswidrig und schuldhaft gegen diese Vorgaben, kann darin ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liegen. Ob eine außerordentliche Kündigung berechtigt ist, hängt insbesondere von der Motivation des Arbeitnehmers und möglichen nachteiligen Folgen für den Arbeitgeber ab (vgl. BAG 18. März 1982 - 2 AZR 940/79 - zu A IV 1 der Gründe).

33

bb) Im Streitfall hat der Kläger ohne Einverständnis der Beklagten Fotokopien verschiedener, den Geschäftsbetrieb der Beklagten betreffender Rechnungen und Schecks hergestellt, ohne dass hierfür ein dienstliches Bedürfnis bestanden hätte. Selbst wenn er die Kopien ausschließlich zu seiner Rechtsverteidigung hat verwenden wollen und verwandt hat, durfte das Landesarbeitsgericht daraus nicht ohne Weiteres auf eine Wahrnehmung berechtigter Interessen schließen. Dem Rechtsschutzinteresse einer Partei, die sich nicht im Besitz prozessrelevanter Urkunden befindet, trägt das Gesetz mit den Regelungen zur Vorlagepflicht in § 142 ZPO und § 424 ZPO Rechnung. Besondere Umstände, aufgrund derer der Kläger hätte annehmen dürfen, ein entsprechendes prozessuales Vorgehen sei von vorneherein aussichtslos, sind nicht festgestellt.

34

cc) Es kann dahinstehen, ob sich der Kläger für die Rechtfertigung seines Verhaltens auf eine Beweisnot berufen könnte (zur Eignung eines solchen Sachverhalts als Rechtfertigungsgrund vgl. Haller BB 1997, 202, 203). Sein Verhalten wiegt den Umständen nach jedenfalls nicht so schwer, dass der Beklagten - auch unter Berücksichtigung ihrer eigenen Interessen - ein Festhalten am Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen wäre.

35

(1) Das Berufungsgericht hat bei der Interessenabwägung einen gewissen Beurteilungsspielraum. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz (nur) daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Verfahrensgrundsätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16).

36

(2) Einen solchen Rechtsfehler zeigt die Beklagte nicht auf.

37

(a) Das Landesarbeitsgericht hat zugunsten des Klägers dessen Dauer der Betriebszugehörigkeit von mehr als zwanzig Jahren berücksichtigt. Von dieser hat es angenommen, sie sei beanstandungsfrei verlaufen. Die Würdigung ist angesichts der „Rücknahme“ einer vorausgehenden Abmahnung des Klägers nachvollziehbar. Sonstige Beanstandungen sind nicht dargetan. Die Berücksichtigung des Lebensalters zugunsten des Klägers hat das Landesarbeitsgericht mit zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Arbeitsvermittlung begründet. Es durfte außerdem bedenken, dass der Kläger die fraglichen Fotokopien nicht zu Wettbewerbszwecken oder zu dem Zweck hergestellt hat, der Beklagten zu schaden. Er hat sie - soweit ersichtlich - nur an seinen Rechtsanwalt und damit an eine ihrerseits zur Verschwiegenheit verpflichtete Person mit dem Ziel weitergegeben, sie bei Gericht einzureichen. Auf diese Weise wollte er sein Vorbringen zur Unsachlichkeit der Kündigung verdeutlichen und ihm stärkeres Gewicht verleihen. Diese Umstände schließen - wie aufgezeigt - die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zwar nicht aus. Sie lassen es aber in einem milderen Licht erscheinen. Hinzu kommt, dass es sich um eine singuläre Pflichtverletzung handelte, der erkennbar die - irrige - Vorstellung des Klägers zugrunde lag, zur Selbsthilfe berechtigt zu sein.

38

(b) Aufgrund dieser Erwägungen war es ohne Weiteres vertretbar, dem Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses - zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist - Vorrang vor dem Beendigungsinteresse der Beklagten einzuräumen.

39

III. Das Landesarbeitsgericht hat unausgesprochen angenommen, die ordentliche Kündigung vom 23. Mai 2012 gehe ins Leere, da das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits anderweitig zum 30. September 2012 aufgelöst worden sei. Dagegen erhebt die Beklagte keine Einwände. Ein Rechtsfehler ist nicht ersichtlich.

40

IV. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Pitsch    

                 

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. März 2013 - 13 Sa 6/13 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 3. September 2012 - 3 Ca 319/12 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 15. März 2012 nicht aufgelöst worden ist.

3. Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und einer binnen der Kündigungsfrist erklärten außerordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte produziert Wellpappe für Verpackungen und Displays. Sie beschäftigte zuletzt etwa 210 Arbeitnehmer. Der 1984 geborene Kläger stand vom 18. Mai bis 15. September 2009 und ab dem 9. November 2010 in ihren Diensten, zuletzt als Produktionsmitarbeiter.

3

Am 10. Februar 2012 fand auf Einladung der Gewerkschaft ver.di in dem bisher betriebsratslosen Betrieb der Beklagten eine Betriebsversammlung zum Zweck der Wahl eines Wahlvorstands statt. Zu der für den Beginn der Versammlung angesetzten Uhrzeit waren hauptamtliche Gewerkschaftssekretäre noch nicht anwesend. Gleichwohl wurde ein Versammlungsleiter gewählt. Laut des von diesem verfassten Protokolls beschlossen die Teilnehmer einstimmig, keinen Wahlvorstand zu wählen. Die Versammlung wurde geschlossen. Die zwischenzeitlich eingetroffenen Gewerkschaftssekretäre versuchten, die Anwesenden zum Bleiben zu bewegen. Teilweise gelang dies. An einer anschließend durchgeführten Abstimmung über die Wahl eines Wahlvorstands beteiligten sich etwa 50 Arbeitnehmer. Auf den Kläger als Kandidaten von ver.di entfielen 33 Stimmen. Die Zahl der bei der Abstimmung insgesamt anwesenden Arbeitnehmer ließ sich später nicht mehr feststellen.

4

Mit Schreiben vom 17. Februar 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. März 2012. Sie warf dem Kläger vor, er sei am Vortag 15 Minuten zu spät zur Arbeit erschienen. Bereits am 7. April 2011 und am 27. Oktober 2011 hatte sie den Kläger - im einen Fall wegen einer behaupteten Verspätung von 22 Minuten, im anderen Fall wegen Nichterscheinens zur Nachtschicht - abgemahnt.

5

In den Tagen nach Zugang der Kündigung nahm der Kläger an einem Treffen gewerkschaftlich organisierter Beschäftigter der Beklagten teil. Anlässlich der Zusammenkunft wurde durch „Streik.TV“ - einer im Auftrag von ver.di produzierten online-TV-Sendung für gewerkschaftsrelevante Themen - unter dem Aufmacher „[Die Beklagte] behindert die Bildung eines Betriebsrats“ ein Video-Interview erstellt. Darin schilderte ein „Hintergrundsprecher“, bei der Beklagten habe ein Wahlvorstand zur Einleitung einer Betriebsratswahl gewählt werden sollen. Sodann äußerte sich der Kläger mit den Worten: „Wir haben Probleme mit den Arbeitszeiten, mit Urlaubszeiten, mit Pausenzeiten. Dann haben wir viele Probleme, dass das Vertrauen zu den Mitarbeitern fehlt, da großer Druck von oben aufgebaut ist. Viele Sicherheitsvorkehrungen fehlen an einzelnen Maschinen. Ich möchte fast behaupten, dass keine Maschine zu 100 Prozent ausgerüstet ist. Das Problem ist, dass keine Fachkräfte vorhanden sind und dass das Beherrschen der Maschinen nicht zu 100 Prozent erfüllt wird.“

6

Das Video wurde am 22. Februar 2012 in das Internet eingestellt und war bei „YouTube“ zu sehen. Der Kläger selbst verbreitete es über seinen „Facebook“-Account. Mit Schreiben vom 15. März 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „fristlos, hilfsweise fristgerecht“.

7

Auf Antrag von ver.di bestellte das Arbeitsgericht am 21. März 2012 - rechtskräftig - einen fünfköpfigen Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebsratswahl im Betrieb der Beklagten. Der Kläger, den ver.di als Kandidaten benannt hatte, wurde nicht eingesetzt.

8

Der Kläger hat gegen die Kündigungen rechtzeitig Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, aufgrund seiner Kandidatur für den Wahlvorstand habe er besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG genossen. Die außerordentliche Kündigung sei demzufolge unwirksam, weil sie ohne die erforderliche Zustimmung iSd. § 103 BetrVG erklärt worden sei, die ordentlichen Kündigungen seien wegen seines Sonderkündigungsschutzes ausgeschlossen gewesen. Abgesehen davon fehle es an Kündigungsgründen. Mit seinen Äußerungen in dem Video, für die er sich auf sein Recht auf Meinungsfreiheit berufen könne, habe er seine vertraglichen Pflichten nicht verletzt. Am 16. Februar 2012 sei er lediglich drei Minuten zu spät zur Arbeit erschienen und dies witterungsbedingt.

9

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung der Beklagten vom 17. Februar 2012 noch durch die Kündigung der Beklagten vom 15. März 2012 aufgelöst worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen für den vom Kläger angenommenen Sonderkündigungsschutz lägen nicht vor. Die fristlose Kündigung sei aus wichtigem Grund gerechtfertigt. Die Äußerungen des Klägers in dem Video-Interview, soweit mit ihnen das Fehlen von Fachkräften behauptet werde, seien „verleumderisch“. Sie erfüllten überdies den Tatbestand der Kreditgefährdung. Sie seien geeignet gewesen, Kunden und mögliche Stellenbewerber abzuschrecken. Mit der Billigung seines Verhaltens habe der Kläger nicht rechnen dürfen. Zumindest habe das Arbeitsverhältnis aufgrund einer der ordentlichen Kündigungen sein Ende gefunden. Was die Kündigung vom 17. Februar 2012 angehe, so sei der Kläger am Tag zuvor mit erheblicher Verspätung zur Arbeit erschienen, ohne dies genügend entschuldigt zu haben.

11

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 562 Abs. 1 ZPO)und zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Feststellungsantrag des Klägers ist begründet, soweit er sich gegen die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 richtet. Dies kann der Senat abschließend entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Hinsichtlich des weitergehenden Feststellungsbegehrens war die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 17. Februar 2012 zum 31. März 2012 aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest. Damit kommt derzeit eine Sachentscheidung über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 15. März 2012, die zu einem nach dem 31. März 2012 liegenden Zeitpunkt wirken würde, nicht in Betracht.

13

A. Die Revision des Klägers ist zulässig. Zwar enthält die Revisionsbegründung keinen förmlichen Antrag. Dies ist jedoch unschädlich.

14

I. Nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ZPO muss die Revisionsbegründung eine Erklärung darüber enthalten, inwieweit das angegriffene Urteil angefochten und seine Aufhebung beantragt werde. Dafür ist nicht erforderlich, dass dieser Revisionsantrag gesondert hervorgehoben und ausdrücklich formuliert wird. Es genügt, dass sein Inhalt aus der Begründung zweifelsfrei ersichtlich wird (BAG 31. Januar 2008 - 8 AZR 11/07 - Rn. 27; BGH 25. März 2014 - II ZB 3/13 - Rn. 7).

15

II. Das Begehren des Klägers wird aus der Revisionsbegründung hinreichend deutlich. Der Kläger rügt, das Landesarbeitsgericht habe die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 zu Unrecht als wirksam angesehen und habe es deshalb rechtsfehlerhaft versäumt, über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigungen zu befinden. Darin kommt sein Begehren zum Ausdruck, das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben und seiner Berufung in vollem Umfang stattzugeben. Das genügt.

16

B. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben. Das Landesarbeitsgericht durfte die Klage nicht mit der Begründung abweisen, das Arbeitsverhältnis sei durch die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 aufgelöst worden. Diese Kündigung ist unwirksam.

17

I. Der Kläger hat mit seinem gegen „die Kündigung vom 15. März 2012“ gerichteten Feststellungsantrag die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG sowohl hinsichtlich der fristlosen, als auch hinsichtlich der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung von diesem Tag gewahrt. Der betreffende Schriftsatz ist am 23. März 2012 bei Gericht eingegangen. Der Antrag ist ausreichend bestimmt, auch wenn in ihm nicht förmlich zwischen beiden Kündigungen unterschieden wird. Die beigegebene Begründung lässt deutlich erkennen, dass der Kläger keine der Kündigungserklärungen vom 15. März 2012 gegen sich gelten lassen will (zur Problematik vgl. BAG 16. November 1970 - 2 AZR 33/70 - zu III der Gründe; HaKo/Gallner KSchR 4. Aufl. § 4 Rn. 64).

18

II. Die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 ist nicht schon deshalb unwirksam, weil es zu ihrer Wirksamkeit - entsprechend § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG, § 103 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG - der vorherigen gerichtlichen Zustimmung bedurft hätte. Dem Kläger stand im maßgebenden Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung der geltend gemachte Sonderkündigungsschutz aus § 15 Abs. 3 KSchG nicht zu(zum Beurteilungszeitpunkt vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 20 mwN). Der Kläger war weder Mitglied des Wahlvorstands noch „Wahlbewerber“ im Sinne dieser Bestimmung.

19

1. Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist die Kündigung eines Mitglieds des Wahlvorstands vom Zeitpunkt seiner Bestellung an, die Kündigung eines „Wahlbewerbers“ vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an, jeweils bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist.

20

2. Der Kläger war bei Zugang der Kündigung nicht Mitglied eines Wahlvorstands iSv. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 KSchG, § 103 BetrVG. In Betracht kommt allenfalls, dass er am 10. Februar 2012 in ein solches Amt gewählt worden wäre. Das war jedoch nicht der Fall. Eine Wahl iSv. § 17 Abs. 2 BetrVG hat nicht stattgefunden.

21

a) Die Bestellung des Wahlvorstands bestimmt sich nach den Vorschriften des BetrVG, hier nach § 17 BetrVG. Nach Absatz 2 der Vorschrift wird der Wahlvorstand in Betrieben, in denen kein Betriebsrat besteht, unter den dort genannten Voraussetzungen in einer Betriebsversammlung von der Mehrheit der anwesenden Arbeitnehmer gewählt. Zu dieser Betriebsversammlung kann nach § 17 Abs. 3 BetrVG ua. eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft einladen und dabei Vorschläge für die Zusammensetzung des Gremiums machen. Im Übrigen gelten für diese Betriebsversammlung die Vorschriften der §§ 42 ff. BetrVG, soweit sie nicht das Bestehen eines Betriebsrats voraussetzen (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 185/08 - Rn. 11, BAGE 132, 293; 24. März 1988 - 2 AZR 629/87 - zu II 2 a der Gründe mwN).

22

b) Da es sich um bloße Vorbereitungshandlungen zur Wahl eines Betriebsrats handelt, ist zwar ein „übertriebener Formalismus“ mit Blick auf die Einhaltung der einschlägigen Verfahrensvorschriften fehl am Platz, solange nicht gegen die Grundprinzipien einer demokratischen Wahl verstoßen wird (BAG 24. März 1988 - 2 AZR 629/87 - zu II 4 b aa der Gründe). Unverzichtbare Mindestanforderung ist aber, dass die Wahl in einer Betriebsversammlung erfolgte und das erforderliche Quorum erreicht ist. Jeder für den Wahlvorstand vorgesehene Arbeitnehmer muss mit der Mehrheit der Stimmen der bei der Betriebsversammlung anwesenden Arbeitnehmer gewählt werden; die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt nicht (statt vieler: Fitting BetrVG 27. Aufl. § 17 Rn. 29; Richardi/Thüsing BetrVG 12. Aufl. § 17 Rn. 25). Ohne die Beachtung dieser Voraussetzungen liegt keine rechtsgültige Wahl vor.

23

c) Danach wurde der Kläger am 10. Februar 2012 nicht zum Mitglied eines Wahlvorstands gewählt. Es ist bereits zweifelhaft, ob die hierüber durchgeführte Abstimmung, nachdem die Versammlung zuvor offenbar „geschlossen“ worden war, „in einer Betriebsversammlung“ erfolgte. Im Ergebnis kann dies offenbleiben. Die Zahl der bei der Abstimmung anwesenden Arbeitnehmer ist nicht ermittelt worden. Es kann deshalb nicht festgestellt werden, ob tatsächlich eine im Sinne des Gesetzes repräsentative Wahl des Klägers erfolgt ist. Dieser erhielt zwar 33 von etwa 50 abgegebenen Stimmen. Ob aber nicht im Zeitpunkt der Wahl insgesamt mehr als 65 Teilnehmer anwesend waren, so dass der Kläger nicht von deren Mehrheit gewählt worden wäre, lässt sich nicht mehr feststellen. Dies geht zu Lasten des Klägers. Der Arbeitnehmer, der sich auf einen Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG beruft, hat die dafür erforderlichen Tatsachen darzulegen und ggf. zu beweisen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 31).

24

3. Der Kläger wurde aufgrund seiner am 10. Februar 2012 auf der Versammlung erklärten Bereitschaft, für das Amt des Wahlvorstands zu „kandidieren“, nicht „Wahlbewerber“ iSv. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 KSchG. „Wahlbewerber“ wurde er auch nicht aufgrund des Umstands, dass er seit dem 23. Februar 2012 in einem Antrag nach § 17 Abs. 4 BetrVG für eine gerichtliche Bestellung zum Wahlvorstand vorgeschlagen worden war. Dementsprechend kam für ihn weder ab dem 10. noch ab dem 23. Februar 2012 (nachwirkender) Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG in Betracht.

25

a) Im Schrifttum sind die Meinungen zu dieser Problematik geteilt. Einige Stimmen nehmen an, Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands seien - unabhängig vom Weg, auf dem sie in das Amt gelangen sollen - als „Wahlbewerber“ iSd. § 15 Abs. 3 KSchG, § 103 Abs. 1 BetrVG anzusehen(vgl. KR/Etzel 10. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 13; Stein AuR 1975, 201, 202). Die Mehrzahl der Stimmen lehnt ein solches Begriffsverständnis ab (vgl. nur APS/Linck 4. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 2; Fitting BetrVG 27. Aufl. § 103 Rn. 10; GK/Raab BetrVG 8. Aufl. § 103 Rn. 6; HWGNRH/Huke BetrVG 9. Aufl. § 103 Rn. 13; Kittner/Däubler/Zwanziger/Deinert KSchR 8. Aufl. § 15 Rn. 17; Richardi/Thüsing BetrVG 12. Aufl. § 103 Rn. 8; SES/Eylert KSchG § 15 Rn. 22; WPK/Preis BetrVG 4. Aufl. § 103 Rn. 6; Grau/Schaut BB 2014, 757; Fischermeier ZTR 1998, 433, 434; Nägele/Nestel BB 2002, 354, 356).

26

b) Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend. Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands sind keine „Wahlbewerber“.

27

aa) Seinem Wortlaut nach bezieht sich § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG mit dem Ausdruck „Wahlbewerber“ auf Personen, die sich im Rahmen einer Wahl für ein Amt „bewerben“. Mitglieder des Wahlvorstands erlangen ihr Amt dagegen vielfach gerade nicht durch Wahl. Ihre Bestellung durch den Betriebsrat (§ 16 BetrVG), den Gesamt- oder den Konzernbetriebsrat (§ 17 Abs. 1 BetrVG) oder das Gericht (§ 17 Abs. 4 BetrVG) ist weder sprachlich noch inhaltlich vom Begriff „Wahl“ gedeckt. Auch „bewerben“ sich die Kandidaten bei dem jeweiligen Gremium, das zur Bestellung des Wahlvorstands berufen ist, nicht um das Amt. Das zuständige Gremium setzt vielmehr die Personen, die es für geeignet hält, in eigener Verantwortung als Mitglieder des Wahlvorstands ein.

28

bb) Systematische Gesichtspunkte stützen dieses Verständnis.

29

(1) Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 KSchG sind Wahlbewerber „vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an … bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses“ vor Kündigungen besonders geschützt. Dieser Schutz ist ersichtlich an die Durchführung eines Wahlverfahrens geknüpft; dieses wiederum verlangt für die „Aufstellung“ eines Wahlvorschlags und damit für eine „Bewerbung“ die Einhaltung einer bestimmten Form (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 13; 7. Juli 2011 - 2 AZR 377/10 - Rn. 24). Mit Blick auf die Wahl des Betriebsrats etwa ist erforderlich, dass ein schriftlicher Wahlvorschlag existiert, der den in § 14 Abs. 4 BetrVG und in der Wahlordnung normierten Voraussetzungen genügt, insbesondere die erforderliche Mindestzahl von Stützunterschriften aufweist(BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 12, 13). Durch die in § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorausgesetzte Aufstellung eines Wahlvorschlags wird der Begriff des „Wahlbewerbers“ jedenfalls kündigungsschutzrechtlich auf Kandidaten beschränkt, die sich einem formalisierten Wahlverfahren stellen. Auf die Benennung von Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands trifft dies nicht zu. Ein strukturiertes Verfahren, in dessen Rahmen „Wahlvorschläge aufgestellt“ würden, ist selbst für den Weg der Wahl in einer Betriebsversammlung iSv. § 17 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht vorgesehen(BAG 24. März 1988 - 2 AZR 629/87 - zu II 4 b aa der Gründe). Schon die zweifelsfreie Feststellung des Beginns des Sonderkündigungsschutzes wäre damit nicht möglich.

30

(2) Es kommt hinzu, dass mit einem Verständnis der Kandidatur für den Wahlvorstand als „Wahlbewerbung“ die Möglichkeit einer Erstreckung des Sonderkündigungsschutzes auf alle Belegschaftsmitglieder verbunden wäre. Soll die Wahl des Wahlvorstands in einer Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 2 BetrVG erfolgen, könnte jeder Anwesende sich zum Kandidaten erklären oder könnte von anderen Belegschaftsmitgliedern oder der einladenden Gewerkschaft dazu erklärt werden. Soll der Wahlvorstand nach ergebnisloser Betriebsversammlung durch das Gericht bestellt werden, könnten die Antragsteller zahlenmäßig unbegrenzte Bestellungsvorschläge unterbreiten, aus denen das Gericht die zu bestellenden Mitglieder aussuchen möge. Dies vertrüge sich systematisch nicht mit der Regelung in § 15 Abs. 3a KSchG. Danach ist der besondere Schutz für Belegschaftsmitglieder, die zu einer Betriebsversammlung iSv. § 17 Abs. 3 BetrVG einladen oder den Antrag iSv. § 17 Abs. 4 BetrVG stellen, auf die ersten drei in der Einladung bzw. der Antragstellung aufgeführten Arbeitnehmer begrenzt.

31

Für - umgekehrt - eine analoge Anwendung von § 15 Abs. 3a KSchG auf die Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands wiederum fehlt es an der erforderlichen Ähnlichkeit der Sachverhalte. Weder sind die „Aktivitäten“ der Initiatoren bzw. Antragsteller und die der (bloßen) Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands vergleichbar, noch macht eine zahlenmäßige Begrenzung auf die „ersten“ drei Kandidaten Sinn - zumal der Wahlvorstand aus mehr als drei Personen bestehen kann.

32

cc) Auch Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes gebieten es nicht, Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands als „Wahlbewerber“ iSv. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 KSchG, § 103 Abs. 1 BetrVG anzusehen.

33

(1) Die Erstreckung des besonderen Kündigungsschutzes in § 15 Abs. 3 KSchG auf Mitglieder des Wahlvorstands und Wahlbewerber dient der Erleichterung der Wahl der Betriebsverfassungsorgane und der Sicherung der Kontinuität ihrer Arbeit(BT-Drs. VI/1786 S. 59). Das gleiche Ziel verfolgt die entsprechende Regelung in § 103 Abs. 1 BetrVG. Das Zustimmungserfordernis soll verhindern, geschützte Personen faktisch zunächst einmal aus dem Betrieb zu entfernen und durch die Länge eines möglichen Kündigungsschutzverfahrens der Belegschaft zu entfremden (vgl. BT-Drs. VI/1786 S. 53).

34

(2) Diese Zwecke verlangen nicht danach, Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands als „Wahlbewerber“ anzusehen.

35

(a) Zwar sind schon im Vorfeld der Betriebsratswahl spezifische Konflikte zwischen betroffenen Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber denkbar. Aus diesem Grund sind sowohl die Mitglieder des tatsächlich gewählten oder bestellten Wahlvorstands, die nunmehr die Wahl des Betriebsrats aktiv zu betreiben haben, als auch die Bewerber um das Betriebsratsamt als solches durch § 15 Abs. 3 KSchG besonders geschützt. Ohne diesen Schutz hat der Gesetzgeber das Ziel einer möglichst reibungslosen und erfolgreichen Wahl des Betriebsrats erkennbar als gefährdet angesehen.

36

(b) Dieses Ziel verlangt aber nicht nach dem gleichen Schutz schon für die Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands. Aus einer solchen Kandidatur erwachsen typischerweise keine Konfliktlagen, die mit denen aus dem späteren Amt als tatsächlich gewählter/bestellter Wahlvorstand oder aus einer Bewerbung um das Amt des Betriebsrats selbst vergleichbar wären. Zum einen dauert die Kandidatur für den Wahlvorstand in der Regel nur eine kurze Zeitspanne - etwa die Zeit zwischen der Einladung zur Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 3 BetrVG, soweit die Kandidatur darin überhaupt bekanntgegeben wird, und der Durchführung der Versammlung oder die Zeit zwischen Antragstellung und Entscheidung des Gerichts nach § 17 Abs. 4 BetrVG. Geht es um die Bestellung der Mitglieder des Wahlvorstands durch ein Betriebsratsgremium lässt sich zudem schon von einer „Kandidatur“ kaum sprechen. Zum anderen tritt der Kandidat für das Amt des Wahlvorstands auch im Rahmen des Wegs über § 17 Abs. 2 BetrVG in der Regel nicht werbend in Erscheinung, um gegenüber Konkurrenten mit bestimmten inhaltlichen Vorschlägen zu überzeugen. Anlässe und Angriffsflächen für Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers sind damit nicht zu erwarten. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses von Kandidaten für den Wahlvorstand erscheint demnach nicht schon wegen ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Rolle als besonders gefährdet. Sind die Kandidaten zugleich die Initiatoren der Wahl iSv. § 15 Abs. 3a KSchG iVm. § 17 Abs. 3, Abs. 4 BetrVG, sind sie in dieser Rolle durch § 15 Abs. 3a KSchG ohnehin geschützt. Damit ergeben sich aus Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 Abs. 3 KSchG keine Gründe, die eine mit dem Wortsinn „Wahlbewerber“ nicht zu vereinbarende und in Widersprüche zur Systematik der Gesamtregelung geratende Auslegung dieses Begriffs dahin rechtfertigen könnten, dass er auch Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands erfasse.

37

(3) Sollte der Arbeitgeber mit der Kündigung eines Arbeitnehmers dennoch das Ziel verfolgen, dessen Wahl oder Bestellung zum Mitglied eines Wahlvorstands zu verhindern, stellte dies eine verbotene Wahlbehinderung dar. Die Kündigung wäre nach § 20 Abs. 1 BetrVG iVm. § 134 BGB nichtig(vgl. auch BAG 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu II 3 a der Gründe). Im Übrigen finden zugunsten der Kandidaten allemal die allgemeinen kündigungsschutzrechtlichen Bestimmungen Anwendung.

38

III. Die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 ist gleichwohl unwirksam. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Der Kläger hat mit seinen Äußerungen in dem durch „Streik.TV“ produzierten Video seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB nicht verletzt. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, er habe in dem Beitrag bewusst geschäftsschädigende Tatsachenbehauptungen aufgestellt, beruht auf einer fehlerhaften Auslegung der fraglichen Äußerungen und schenkt dem Grundrecht des Klägers auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) keine genügende Beachtung. Darauf, ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist, kommt es nicht an.

39

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15 mwN, BAGE 146, 303).

40

2. Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 29, BAGE 137, 54). Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - aaO mwN).

41

3. Eine in diesem Sinne erhebliche Pflichtverletzung liegt regelmäßig vor, wenn der Arbeitnehmer über seinen Arbeitgeber, seine Vorgesetzten oder Kollegen bewusst wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen aufstellt, insbesondere wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22). Auch eine bewusste und gewollte Geschäftsschädigung, die geeignet ist, bei Geschäftspartnern des Arbeitgebers Misstrauen in dessen Zuverlässigkeit hervorzurufen, kann einen wichtigen Grund zur Kündigung bilden. Das gilt auch dann, wenn es sich um einen einmaligen Vorgang handelt (BAG 26. September 2013 - 2 AZR 741/12 - Rn. 15; 6. Februar 1997 - 2 AZR 38/96 - zu II 1 e der Gründe).

42

4. Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). Darauf kann sich auch ein Arbeitnehmer berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 b aa der Gründe mwN). Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (vgl. BVerfG 28. November 2011 - 1 BvR 917/09 - Rn. 18 mwN).

43

5. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet, sondern gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35; 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - zu B III 2 a der Gründe). Die Verfassung gibt das Ergebnis einer solchen Abwägung nicht vor. Das gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - auch auf Seiten des Arbeitgebers eine grundrechtlich geschützte Position betroffen ist. Durch Art. 12 GG wird die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers geschützt, die durch geschäftsschädigende Äußerungen verletzt sein kann. Auch gehört § 241 Abs. 2 BGB zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden - und umgekehrt (vgl. BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 20; 25. Oktober 2005 - 1 BvR 1696/98 - BVerfGE 114, 339).

44

6. Danach hat der Kläger seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange der Beklagten nicht verletzt.

45

a) Sowohl für die Beurteilung, ob es sich bei einer Aussage um eine Tatsachenbehauptung oder um ein Werturteil handelt, als auch für die Bewertung, ob eine vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasste Äußerung die Grenzen der Meinungsfreiheit überschreitet, kommt es entscheidend auf den Sinngehalt der fraglichen Erklärung an(vgl. BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18; BAG 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - zu B III 2 a cc der Gründe). Dessen Ermittlung hat vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, darf aber den sprachlichen Kontext, in dem sie steht, sowie die für den Empfänger erkennbaren Begleitumstände, unter denen sie gefallen ist, nicht unberücksichtigt lassen. Die isolierte Betrachtung nur eines Teils der Äußerung wird diesen Anforderungen in der Regel nicht gerecht (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40; BGH 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 - zu II 2 der Gründe).

46

b) Um der Meinungsfreiheit gerecht zu werden, dürfen Gerichte einer Äußerung keine Bedeutung beilegen, die sie objektiv nicht hat. Bei Mehrdeutigkeit dürfen Äußerungen wegen eines möglichen Inhalts nicht zu nachteiligen Folgen führen, ohne dass eine Deutung, die zu einem von der Meinungsfreiheit gedeckten Ergebnis führen würde, mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden ist (bspw. BVerfG 25. Oktober 2005 - 1 BvR 1696/98 - Rn. 33, BVerfGE 114, 339; 25. März 1992 - 1 BvR 514/90 - zu B I 2 a der Gründe, BVerfGE 86, 1).

47

c) Die Einhaltung dieser Grundsätze kann das Revisionsgericht uneingeschränkt überprüfen (BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15 mwN, BAGE 138, 312). Ihnen genügt die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Sinnermittlung nicht.

48

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe mit seiner Erklärung, bei der Beklagten seien „keine Fachkräfte vorhanden“, zum Ausdruck gebracht, diese beschäftige keine Arbeitnehmer, die innerhalb ihres erlernten Berufs über die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten verfügten. Damit habe er dem Großteil der bei der Beklagten tätigen Arbeitnehmer, die in Wirklichkeit sehr wohl über eine einschlägige Facharbeiterausbildung zB als Schlosser, Elektriker oder im Bereich Verpackungsmittelmechanik verfügten, die Kompetenz abgesprochen, eine ausbildungsadäquate Tätigkeit zu verrichten. Er habe insoweit eine objektiv unwahre Tatsachenbehauptung aufgestellt.

49

bb) Diese Auslegung wird dem Sinn der Äußerung schon deshalb nicht gerecht, weil sie mit der beanstandeten Passage nur einen Teil in den Blick nimmt und sich außerdem allein am allgemeinen Verständnis des Begriffs „Fachkraft“ orientiert. Eine Fachkraft ist danach eine Person, die innerhalb ihres Berufs oder ihres Fachgebiets über die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt (Duden Deutsches Universalwörterbuch 7. Aufl.; Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl.). Auf diese Weise lässt das Landesarbeitsgericht - wie der Kläger zu Recht rügt - den gedanklichen Zusammenhang, in den die Äußerung gestellt ist, außer Betracht und berücksichtigt nicht hinreichend ihren äußeren Bezugsrahmen.

50

(1) Der Kläger bezieht sich in erster Linie auf „Probleme“ mit Arbeitszeiten, Urlaubszeiten und Pausenzeiten. Er spricht damit Sachverhalte an, die - je nach den konkreten Umständen - einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5 BetrVG unterliegen können. Anschließend bemängelt er ein unzureichendes Vertrauen in die Mitarbeiter und den Umstand, dass „viele Sicherheitsvorkehrungen“ an „einzelnen Maschinen“ fehlten. Daran schließt sich der Hinweis, es seien „keine Fachkräfte vorhanden“ unmittelbar an. Noch im selben Satz äußert der Kläger sodann, er möge „fast“ behaupten, dass keine Maschine zu „100 Prozent ausgerüstet“ sei. Diese enge textliche und sachliche Verknüpfung mit den angesprochenen Sicherheitsaspekten legt es unmittelbar nahe anzunehmen, der Kläger habe nicht auf das Fehlen von Fachkräften im Allgemeinen, sondern auf Defizite in Sachen Arbeitssicherheit hinweisen wollen.

51

(2) Für ein solches Verständnis spricht ferner der situative Kontext der Aussage. Das fragliche Video wurde aus Anlass der Ereignisse vom 10. Februar 2012 erstellt. Vor der beanstandeten Äußerung berichtet ein „Hintergrundsprecher“ von der auf einen Mitarbeiterwunsch zurückgehenden Einladung der Gewerkschaft ver.di zu einer Betriebsversammlung bei der Beklagten, in der ein Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebsratswahl habe gewählt werden sollen. Im Anschluss an die Erklärung des Klägers äußert der Hintergrundsprecher weiter: „Die Betriebsversammlung lief alles andere als gut. Zu einer Wahl kam es nicht“. Eingebettet in diesen Sachzusammenhang waren die Äußerungen des Klägers in ihrer Gesamtheit erkennbar darauf angelegt, für die Wahl eines Betriebsrats zu „werben“. An keiner Stelle des Interviews wird deutlich, dass der Kläger der Beklagten hätte absprechen wollen, Mitarbeiter zu beschäftigen, die über eine qualifizierte Berufsausbildung verfügen und in der Lage sind, in ihrem Beruf erworbene Fähigkeiten und Kenntnisse adäquat anzuwenden. Gegenstand seiner Stellungnahme waren vielmehr „Probleme“, derer sich ein Betriebsrat würde annehmen können.

52

Der von der Beklagten als geschäftsschädigend angesehene Eindruck, sie setze bei der Herstellung ihrer Produkte durchweg kein ausgebildetes Fachpersonal ein, konnte bei einem Zuschauer nicht wirklich entstehen. Insbesondere mussten ihre (potentiellen) Kunden oder an einer Beschäftigung bei ihr interessierte Arbeitnehmer aufgrund der Äußerungen des Klägers nicht annehmen, die von der Beklagten hergestellten Waren seien minderwertig oder erfüllten nicht die Qualitätserwartungen. Ein verständiger Betrachter des Videos konnte allenfalls den Eindruck gewinnen, bei der Beklagten sei aus Sicht des Klägers eine gefahrlose Bedienung der Maschinen mangels hierfür spezifisch aus- oder weitergebildeter Kräfte nicht ausnahmslos gewährleistet.

53

Angesichts dessen bleibt für die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung kein Raum. Selbst wenn es sich aber um eine nicht gänzlich auszuschließende Deutungsvariante handeln würde, müsste der hier dargelegten und zumindest ebenso naheliegenden Auslegung zum Schutz der Meinungsfreiheit der Vorrang eingeräumt werden.

54

cc) Ist die Äußerung des Klägers als Hinweis auf das Fehlen von „Fachkräften“ in Bezug auf die Arbeitssicherheit zu verstehen, kann sie - selbst bei isolierter Betrachtung - nicht als Tatsachenbehauptung eingestuft werden. Der Kläger beschreibt nicht das Fehlen einer wirklichen Qualifikation, deren (Nicht-)Vorhandensein ggf. einem Wahrheitsbeweis zugänglich wäre. Er äußert sich vielmehr pauschal über eine seiner Einschätzung nach unzureichend gewährleistete Sicherheit bei der Bedienung der im Betrieb eingesetzten Maschinen. Dafür macht er Defizite sowohl im technischen als auch im personellen Bereich verantwortlich.

55

dd) Selbst wenn die Äußerung des Klägers auch tatsächliche Behauptungen implizieren würde, so hat sie doch zumindest teilweise wertenden Charakter. Eine Trennung von tatsächlichen und wertenden Bestandteilen einer Äußerung wiederum ist nur zulässig, wenn dadurch deren Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies der Fall wäre, muss die Erklärung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18; 19. Dezember 1990 - 1 BvR 389/90 - zu B I der Gründe; jeweils mwN). So liegt es hier. Schon die einleitenden Worte des Klägers: „Wir haben Probleme …“ bringen den Charakter der nachfolgenden Äußerungen als subjektive Wertung klar zum Ausdruck. Dem gesamten Kontext nach ist sein Beitrag davon geprägt, aus Arbeitnehmersicht die Bedeutung der Wahl einer betrieblichen Interessenvertretung hervorzuheben. Die fraglichen Äußerungen unterfallen damit insgesamt - unabhängig von ihrer sachlichen Berechtigung - dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG.

56

d) Die im Rahmen von § 241 Abs. 2 BGB vorzunehmende Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien ergibt, dass die Meinungsfreiheit des Klägers nicht hinter die Belange der Beklagten zurückzutreten hat. Das vermag der Senat selbst zu beurteilen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der für die erforderliche (Grundrechte-)Abwägung maßgebliche Sachverhalt ist durch das Landesarbeitsgericht festgestellt. Weitergehender Sachvortrag steht insoweit nicht zu erwarten.

57

aa) Der Kläger hat keine Behauptungen aufgestellt, die geeignet wären, Repräsentanten der Beklagten oder ihre Mitarbeiter in ihrer Ehre zu verletzen. Dafür fehlt es am erforderlichen Personenbezug.

58

bb) Als Meinungsäußerungen, die dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG unterfallen, werden die von der Beklagten angegriffenen Aussagen nicht vom Tatbestand der Kreditgefährdung(§ 824 BGB) erfasst.

59

cc) Die Äußerungen verletzen die Beklagte auch nicht in ihrem allgemeinen „Persönlichkeitsrecht“ als Unternehmen. Zwar steht das Recht der persönlichen Ehre und auf Achtung ihres öffentlichen Ansehens auch juristischen Personen zu (vgl. BGH 22. September 2009 - VI ZR 19/08 - Rn. 10 mwN). Eine dieses Recht regelmäßig verletzende Schmähkritik (vgl. dazu BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - BVerfGE 93, 266; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36 mwN) liegt hier aber nicht vor. Die beanstandete Aussage ist nicht auf eine Diffamierung der Beklagten angelegt. Sie hat erkennbar einen sachlichen Bezug.

60

dd) Der Kläger hat seine Vertragspflichten nicht aufgrund des Umstands verletzt, dass das Interview nicht nur einem begrenzten Empfängerkreis zugänglich war.

61

(1) Den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zufolge wurde das fragliche Video auf der Seite „Streik.TV“ in das Internet gestellt. Der Zugriff auf die Plattform unterlag keinen personellen Beschränkungen, sondern war jedem Internetnutzer möglich. Der Kläger hat nicht behauptet, ihm sei der Verwendungszweck des Videos unbekannt gewesen. Für die rechtliche Beurteilung kommt es deshalb nicht darauf an, ob er selbst den Beitrag bei „YouTube“ eingestellt hat oder ob dies durch Dritte erfolgt ist. Ebenso wenig ist von Belang, ob er zusätzlich eine gewisse Öffentlichkeit durch dessen Verbreitung über „Facebook“ hergestellt hat (zur Problematik vgl. Bauer/Günther NZA 2013, 67, 68).

62

(2) Dieser Verbreitungsgrad reicht unter den gegebenen Umständen nicht aus, um einen Verstoß gegen § 241 Abs. 2 BGB zu begründen.

63

(a) Allerdings sind Arbeitnehmer grundsätzlich gehalten, innerbetriebliche Kommunikationswege zu nutzen, bevor sie mögliche Missstände im Betrieb nach Außen tragen (vgl. Hinrichs/Hörtz NJW 2013, 648, 651; Wiese NZA 2012, 1, 4; zu den Grenzen der Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit Anzeigen gegen den Arbeitgeber vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 37; 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - Rn. 18; vgl. ferner EGMR 21. Juli 2011 - 28274/08 - [Heinisch] Rn. 62 ff.). Der Arbeitnehmer kann Beschwerden direkt beim Arbeitgeber oder beim Betriebsrat erheben (§ 85 BetrVG). Das Recht der freien Meinungsäußerung endet aber nicht an der Betriebsgrenze (ErfK/Schmidt 14. Aufl. Art. 5 GG Rn. 37). Es kann Fälle geben, in denen eine innerbetriebliche Klärung nicht zu erwarten steht oder ein entsprechender Versuch dem Arbeitnehmer nicht zuzumuten ist (BAG 3. Juli 2003 - 2 AZR 235/02 - zu II 3 b dd (2) der Gründe, BAGE 107, 36). Im Übrigen ist die Wahl des Mediums zur Kundgabe einer Meinungsäußerung lediglich einer von mehreren Gesichtspunkten bei Abwägung der gegenläufigen Interessen (so zu Recht Wiese NZA 2012, 1, 8).

64

(b) Die Interessen der Beklagten werden durch die beanstandete Aussage lediglich in geringem Maße tangiert. Ein verständiger Betrachter konnte sie, wie dargelegt, nicht ernsthaft dahin verstehen, der Kläger wolle behaupten, die Beklagte setze bei der Produktion kein Fachpersonal ein. Die geäußerte Kritik am Fehlen von „Fachkräften“ für die sichere Bedienung der Maschinen enthielt zudem keine näheren Angaben. Mit ihr war deshalb keine massive Geschäftsschädigung verbunden. Ebenso wenig gibt es Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Betriebsfriedens. Die beanstandete Aussage steht überdies im thematischen Zusammenhang mit dem Verlauf der Betriebsversammlung vom 10. Februar 2012. Der Video-Beitrag diente der Aufbereitung des gescheiterten Wahlvorgangs. Mit Blick auf die Intention des Klägers, die Bedeutung der Wahl eines Betriebsrats aufzuzeigen, kam es nicht infrage, vorab in Gespräche mit der Beklagten einzutreten.

65

Es kommt hinzu, dass die Äußerungen des Klägers zwar einem unbegrenzten Teilnehmerkreis zugänglich, aber nicht auf eine größtmögliche Verbreitung angelegt waren. Das Video wurde auf einer Internet-Platform eingestellt, die sich gewerkschaftlicher Themen annimmt und bei der zu erwarten stand, dass sie lediglich von einem daran interessierten Publikum aufgerufen würde. Auch die Beklagte ist nach ihrem Vorbringen nur zufällig auf das Interview gestoßen. Unter diesen Umständen hat ihr Interesse, in der Öffentlichkeit nicht mit vermeintlichen Defiziten bei der Einhaltung von Sicherheitsstandards in Verbindung gebracht zu werden, hinter das Recht des Klägers auf freie Meinungsäußerung zurückzutreten.

66

IV. Hinsichtlich der Klage gegen die ordentlichen Kündigungen vom 17. Februar und 15. März 2012 ist der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif. In diesem Umfang war die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

67

1. Das Recht der Beklagten, das Arbeitsverhältnis ordentlich zu kündigen, unterlag im jeweiligen Kündigungszeitpunkt keinen Beschränkungen aus § 15 Abs. 3, Abs. 3a KSchG. Der Kläger genoss, wie gezeigt, nach den dortigen Bestimmungen keinen (nachwirkenden) besonderen Kündigungsschutz.

68

2. Der Senat vermag nicht zu beurteilen, ob die Kündigung vom 17. Februar 2012 iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist oder nicht. Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Das Landesarbeitsgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent - nicht geprüft, ob die Kündigung durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist und hat dazu keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachzuholen haben. Die Beklagte macht geltend, der Kläger sei am 16. Februar 2012 trotz einschlägiger vorheriger Abmahnungen verspätet zur Arbeit erschienen. Darin kann, falls sich der Vorwurf bestätigt, ein Grund für eine ordentliche Kündigung liegen (vgl. BAG 16. September 2004 - 2 AZR 406/03 -; 15. November 2001 - 2 AZR 609/00 - BAGE 99, 340). Sollte es auf das Vorbringen des Klägers ankommen, er habe den Arbeitsplatz witterungsbedingt nicht rechtzeitig erreichen können, wird ihm Gelegenheit zu geben sein, diesen Vortrag zu substantiieren. Bisher ist nicht konkret dargetan, welche Hindernisse vorlagen und weshalb er deshalb seine Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllen konnte (vgl. dazu BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 23; 18. Oktober 1990 - 2 AZR 204/90 -).

69

3. Ist über die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung vom 15. März 2012 zu entscheiden, wird das Landesarbeitsgericht von deren Unwirksamkeit ausgehen können. Der Kläger hat, wie ausgeführt, durch seine Äußerungen in dem bei „Streik.TV“ eingestellten Video seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzt. Damit ist kein Grund ersichtlich, der geeignet wäre, die ordentliche Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial zu rechtfertigen.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Bartz    

        

    Perreng    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 13. November 2012 - 14 Sa 1178/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betrieb bis April 2013 Handel mit Kfz-Ersatzteilen. Im Jahr 2012 beschäftigte sie regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Der 1963 geborene Kläger war bei ihr seit August 1988 tätig, zuletzt als Leiter der Finanzbuchhaltung. Sein Bruttomonatsverdienst betrug rund 3.900,00 Euro.

3

Im Juni 2011 übernahm eine Gesellschafterin der Beklagten Aufgaben im Bereich Buchhaltung. Daraus erwuchsen Unstimmigkeiten zwischen den Parteien. Eine dem Kläger am 3. Januar 2012 erteilte Abmahnung wegen behaupteter Arbeitsverweigerung hielt die Beklagte unter Hinweis auf Beweisschwierigkeiten nicht aufrecht.

4

Mit Schreiben vom 24. Februar 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. September 2012. Zur Begründung gab sie an, ihre Gesellschafterin habe zwischenzeitlich die Arbeitsaufgaben des Klägers vollständig übernommen. Dessen Arbeitsplatz sei weggefallen.

5

Der Kläger hat gegen die Kündigung Klage erhoben. Nachdem die Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht erfolglos geblieben war, fertigte sein Prozessbevollmächtigter unter dem 9. Mai 2012 eine Replik auf die Klageerwiderung der Beklagten. Darin heißt es, die Kündigung sei willkürlich erfolgt. Der Beklagten sei es lediglich darum gegangen, den Kläger als „lästigen Mitwisser“ zweifelhafter Geschäfte loszuwerden. Sie habe private Aufwendungen ihres Gesellschafters und seiner Ehefrau sowie des Lebensgefährten einer Gesellschafterin als Betriebsausgaben verbucht. Die Kündigung sei erfolgt, nachdem der Kläger nicht bereit gewesen sei, diese Handlungen zu dulden und/oder mit zu tragen. Der Schriftsatz ging der Beklagten zunächst außergerichtlich als Entwurf zu. In einem Begleitschreiben vom 14. Mai 2012 führte der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, absprachegemäß sollten „nochmal“ die Möglichkeiten einer einvernehmlichen Regelung „erörtert werden“. Falls „in den nächsten Tagen“ keine Rückäußerung erfolge, werde die Replik bei Gericht eingereicht.

6

Der Kläger verfuhr, nachdem eine Antwort der Beklagten ausgeblieben war, wie angekündigt. Mit Schreiben vom 23. Mai 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, „hilfsweise“ ordentlich. Der Kläger hat auch diese Kündigung im Wege einer Klageerweiterung fristgerecht angegriffen.

7

Nach - rechtskräftiger - Abweisung der Klage gegen die Kündigung vom 24. Februar 2012 hat sich der Kläger nur noch gegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die fristlose Kündigung gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB liege nicht vor. Im Schriftsatz vom 9. Mai 2012 habe er den Sachverhalt lediglich aus seiner Sicht dargelegt. Mit dem Begleitschreiben habe er keinen unzulässigen Druck auf die Beklagte ausgeübt.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Kläger habe mit der unüblichen und nicht abgesprochenen Vorabübersendung seines Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 das Ziel verfolgt, sie hinsichtlich der angestrebten gütlichen Einigung „gefügig zu machen“. In der Ankündigung einer Offenbarung angeblicher „Unregelmäßigkeiten“ liege der Versuch einer Erpressung oder Nötigung. Zudem habe der Kläger die Unterlagen, die dem Schriftsatz beigefügt gewesen seien, unbefugt kopiert, um ein Druckmittel gegen sie zu haben. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist sei ihr unzumutbar gewesen.

10

Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage auch insoweit abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht mit sofortiger Wirkung beendet worden ist. Es hat bis zum Termin der ordentlichen Kündigung vom 24. Februar 2012, dh. bis zum 30. September 2012 fortbestanden.

12

I. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für das Rechtsmittelverfahren ist gegeben.

13

1. Neben der Beschwer stellt das Rechtsschutzinteresse im Allgemeinen keine besonders zu prüfende Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels dar; typischerweise folgt es aus ihr (vgl. BAG 2. März 1982 - 1 AZR 694/79 - zu I 1 der Gründe, BAGE 38, 85; BLAH 70. Aufl. Grundz. § 511 Rn. 14, 16 mwN). Ausnahmsweise kann das Rechtsschutzinteresse fehlen, wenn sich etwa die Einlegung des Rechtsmittels trotz Vorliegens einer Beschwer als unnötig, zweckwidrig oder missbräuchlich erweist (BAG 2. März 1982 - 1 AZR 694/79 - aaO).

14

2. Derartige Umstände sind hier nicht ersichtlich. Zwar hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich für die Zeit bis zum 30. September 2012 abgerechnet und den sich aus den Abrechnungen ergebenden Nettoverdienst an den Kläger ausgekehrt. Damit hat sie aber nicht - auch nicht konkludent - erklärt, sie werde aus der fristlosen Kündigung gegenüber dem Kläger keine Rechte mehr herleiten. In ihrem Verhalten liegt auch kein - konkludenter - Verzicht auf die Revision. Darauf, ob die Beklagte bei einer Klageabweisung die Rückzahlung überschießender Vergütung beanspruchen will und kann, kommt es nicht an.

15

II. In der Sache bleibt die Revision ohne Erfolg. Die Klage gegen die fristlose Kündigung vom 23. Mai 2012 ist begründet. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.

16

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

17

2. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 17; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14 mwN). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24). Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist ua. die ordentliche Kündigung (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 35, aaO).

18

3. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagten war es weder aufgrund der Erklärungen im anwaltlichen Schreiben vom 14. Mai 2012 und der Übersendung des Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 im Entwurf, noch wegen des Fotokopierens betrieblicher Unterlagen durch den Kläger unzumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum 30. September 2012 - dem Termin der vorausgegangenen ordentlichen Kündigung - fortzusetzen.

19

a) Als wichtiger Grund ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 29, BAGE 137, 54; 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 - Rn. 30). Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 19; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, BAGE 132, 72).

20

b) Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann darin - je nach den Umständen des Einzelfalls - ein erheblicher, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen (vgl. KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 408). Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nachteilige Folgen mit dem Ziel androht, dieser solle von einer beabsichtigten oder bereits erklärten Kündigung Abstand nehmen (ähnlich BAG 11. März 1999 - 2 AZR 507/98 - zu II 1 b aa der Gründe; 30. März 1984 - 2 AZR 362/82 - zu B I der Gründe; jeweils zur Androhung von Presseveröffentlichungen). Eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung setzt regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob das Verhalten den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt. Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden(BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 21 mwN, BAGE 142, 188).

21

c) Hier hat der Kläger seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme durch die Erklärungen im Schreiben vom 14. Mai 2012 selbst dann nicht verletzt, wenn er sich die Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten aufgrund der erteilten Prozessvollmacht (§ 81 ZPO) uneingeschränkt nach § 85 Abs. 1 ZPO zurechnen lassen muss(zur Problematik vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 297/09 - Rn. 13 ff.; 28. März 1963 - 2 AZR 379/62 - BAGE 14, 147; Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. § 85 Rn. 7). Das Ansinnen einer gütlichen Einigung hinsichtlich der ordentlichen Kündigung vom 24. Februar 2012 war auch in Anbetracht der Ankündigung, im Falle der Nichtäußerung den im Entwurf beigefügten Schriftsatz vom 9. Mai 2012 bei Gericht einzureichen, nicht widerrechtlich. Darauf, ob sich die Parteien zuvor über das Procedere verständigt hatten, kommt es nicht an.

22

aa) Eine Drohung setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 418/10 - Rn. 14). Sie muss nicht ausdrücklich ausgesprochen werden. Die Drohung kann auch versteckt erfolgen, beispielsweise durch eine Warnung oder einen Hinweis auf nachteilige Folgen (vgl. BAG 9. März 1995 - 2 AZR 644/94 - zu 2 der Gründe; BGH 22. November 1995 - XII ZR 227/94 - zu 2 der Gründe). Als Übel genügt jeder Nachteil. Das In-Aussicht-Stellen eines zukünftigen Übels ist widerrechtlich, wenn entweder das Mittel, dh. das angedrohte Verhalten, oder der Zweck, dh. die erwartete Willenserklärung, oder jedenfalls der Einsatz des fraglichen Mittels zu dem fraglichen Zweck von der Rechtsordnung nicht gedeckt ist (vgl. BAG 22. Oktober 1998 - 8 AZR 457/97 - zu I 4 d bb der Gründe).

23

bb) Die Einführung des Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 in den laufenden Kündigungsschutzprozess mag für die Beklagte ein empfindliches Übel gewesen sein. Das Vorgehen des Klägers war aber nicht widerrechtlich. Es war ihm - ebenso wie seine Ankündigung - erlaubt.

24

(1) Parteien dürfen zur Verteidigung ihrer Rechte schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37 mwN). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt jedenfalls so lange, wie er die Grenzen der Wahrheitspflicht achtet (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22; 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12).

25

(a) Dass der Kläger in dem der Beklagten vorab übermittelten Schriftsatz vom 9. Mai 2012 leichtfertig unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt hätte, ist nicht ersichtlich. Das Landesarbeitsgericht hat sein Vorbringen zur Verbuchung privater Aufwendungen und Erstattungsleistungen einer Versicherung mangels ausreichenden Bestreitens der Beklagten nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden angesehen. Die Würdigung wird von der Beklagten nicht angegriffen. Ein Rechtsfehler ist auch objektiv nicht erkennbar.

26

(b) Der Kläger hat nicht in rechtswidriger Weise gegen seine aus § 241 Abs. 2 BGB resultierende, durch § 17 UWG ergänzte Verpflichtung verstoßen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einschließlich der ihm aufgrund seiner Tätigkeit bekannt gewordenen privaten Geheimnisse der Beklagten zu wahren(zur Eignung solcher Verstöße als wichtiger Grund vgl. BAG 18. März 1982 - 2 AZR 940/79 - zu A IV 1 der Gründe). Es kommt nicht darauf an, ob sich die Beklagte hinsichtlich der in Rede stehenden „Betriebsinterna“ überhaupt auf ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse berufen könnte (zur Problematik vgl. Schaub/Linck ArbR-Hdb 15. Aufl. § 53 Rn. 55). Der Kläger war jedenfalls im Rahmen des Kündigungsrechtsstreits zur Offenlegung der betreffenden Tatsachen gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten und dem Gericht befugt. Er handelte in Wahrnehmung berechtigter Interessen. Er wollte auf diese Weise unlautere Motive der Beklagten für die angeblich betriebsbedingte Kündigung dartun. Dass er die Informationen an andere Personen oder Stellen weitergegeben hätte, ist nicht dargetan.

27

(2) Der bezweckte Erfolg - eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits - war ebenso wenig widerrechtlich. Das gilt unabhängig davon, ob der Kläger seine Weiterbeschäftigung bei der Beklagten oder die Zahlung einer Abfindung anstrebte. Durch einen Vergleich sollen der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt werden (§ 779 Abs. 1 Satz 1 BGB). Sein Abschluss ist in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten - vorbehaltlich eines sittenwidrigen Inhalts der Einigung - grundsätzlich erlaubt (vgl. BAG 20. November 1969 - 2 AZR 51/69 - zu I der Gründe).

28

(3) Das Vorgehen des Klägers stellt sich auch nicht wegen eines zwischen dem Inhalt des eingereichten Schriftsatzes und der angestrebten Einigung hergestellten Zusammenhangs - der Zweck-Mittel-Relation - als widerrechtlich dar.

29

(a) Wer sich bei zweifelhafter Rechtslage seinem Vertragspartner gegenüber auf einen objektiv vertretbaren Rechtsstandpunkt stellt, handelt nicht rechtswidrig, wenn er damit den Gegner zum Einlenken veranlassen will. Das gilt auch dann, wenn für den Fall der Nichteinigung eine bestimmte Verteidigungsstrategie angekündigt wird. Eine solche Offenlegung eines beabsichtigten Prozessverhaltens ist - sowohl im Vorfeld einer Klageerhebung als auch im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens - jedenfalls dann rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie weder mutwillig erfolgt, noch zu einer über die Erhebung oder das Bestreiten bestimmter Ansprüche hinausgehenden Belastung des anderen Teils führt (vgl. BGH 19. April 2005 - X ZR 15/04 - zu II 5 a der Gründe). Anders als die Beklagte meint, reicht es für die Widerrechtlichkeit der Verknüpfung von Mittel und Zweck nicht aus, dass eine Partei auf den Abschluss eines Vergleichs keinen Rechtsanspruch hat (so schon RG 11. Dezember 1925 - VI 406/25 - RGZ 112, 226).

30

(b) Die Ankündigung des Klägers, bei einer Nichteinigung einen dem Entwurf der Replik entsprechenden Schriftsatz bei Gericht einzureichen, wäre allenfalls dann widerrechtlich, wenn sein darin ausgedrückter rechtlicher Standpunkt gänzlich unvertretbar wäre. Das ist nicht der Fall. Der Kläger musste nicht von der Wirksamkeit der Kündigung vom 24. Februar 2012 ausgehen. Er durfte sich mit der Behauptung verteidigen, die angestrebte Auflösung des Arbeitsverhältnisses beruhe auf seiner ablehnenden Haltung gegenüber bestimmten buchhalterischen Vorgängen. Seine Anregung, sich vor diesem Hintergrund auf eine einvernehmliche Beilegung des Rechtsstreits zu verständigen, erfolgte im Vertrauen auf eine nicht etwa gänzlich aussichtslose Rechtsposition.

31

d) Die Beklagte war nicht deshalb zur fristlosen Kündigung berechtigt, weil der Kläger Fotokopien von Geschäftsunterlagen hergestellt und diese bei Gericht eingereicht hatte. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, insoweit liege keine Verletzung vertraglicher Pflichten vor. Zumindest sei es der Beklagten nicht unzumutbar gewesen, die Kündigungsfrist einzuhalten. Die Würdigung hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

32

aa) Dem Arbeitnehmer ist es aufgrund der dem Arbeitsvertrag immanenten Pflicht zur Rücksichtnahme verwehrt, sich ohne Einverständnis des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen. Betreffen die Unterlagen ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, ist die Herstellung einer verkörperten Wiedergabe gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) UWG sogar strafbewehrt, wenn dies zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht geschieht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen. Verstößt der Arbeitnehmer rechtswidrig und schuldhaft gegen diese Vorgaben, kann darin ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liegen. Ob eine außerordentliche Kündigung berechtigt ist, hängt insbesondere von der Motivation des Arbeitnehmers und möglichen nachteiligen Folgen für den Arbeitgeber ab (vgl. BAG 18. März 1982 - 2 AZR 940/79 - zu A IV 1 der Gründe).

33

bb) Im Streitfall hat der Kläger ohne Einverständnis der Beklagten Fotokopien verschiedener, den Geschäftsbetrieb der Beklagten betreffender Rechnungen und Schecks hergestellt, ohne dass hierfür ein dienstliches Bedürfnis bestanden hätte. Selbst wenn er die Kopien ausschließlich zu seiner Rechtsverteidigung hat verwenden wollen und verwandt hat, durfte das Landesarbeitsgericht daraus nicht ohne Weiteres auf eine Wahrnehmung berechtigter Interessen schließen. Dem Rechtsschutzinteresse einer Partei, die sich nicht im Besitz prozessrelevanter Urkunden befindet, trägt das Gesetz mit den Regelungen zur Vorlagepflicht in § 142 ZPO und § 424 ZPO Rechnung. Besondere Umstände, aufgrund derer der Kläger hätte annehmen dürfen, ein entsprechendes prozessuales Vorgehen sei von vorneherein aussichtslos, sind nicht festgestellt.

34

cc) Es kann dahinstehen, ob sich der Kläger für die Rechtfertigung seines Verhaltens auf eine Beweisnot berufen könnte (zur Eignung eines solchen Sachverhalts als Rechtfertigungsgrund vgl. Haller BB 1997, 202, 203). Sein Verhalten wiegt den Umständen nach jedenfalls nicht so schwer, dass der Beklagten - auch unter Berücksichtigung ihrer eigenen Interessen - ein Festhalten am Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen wäre.

35

(1) Das Berufungsgericht hat bei der Interessenabwägung einen gewissen Beurteilungsspielraum. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz (nur) daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Verfahrensgrundsätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16).

36

(2) Einen solchen Rechtsfehler zeigt die Beklagte nicht auf.

37

(a) Das Landesarbeitsgericht hat zugunsten des Klägers dessen Dauer der Betriebszugehörigkeit von mehr als zwanzig Jahren berücksichtigt. Von dieser hat es angenommen, sie sei beanstandungsfrei verlaufen. Die Würdigung ist angesichts der „Rücknahme“ einer vorausgehenden Abmahnung des Klägers nachvollziehbar. Sonstige Beanstandungen sind nicht dargetan. Die Berücksichtigung des Lebensalters zugunsten des Klägers hat das Landesarbeitsgericht mit zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Arbeitsvermittlung begründet. Es durfte außerdem bedenken, dass der Kläger die fraglichen Fotokopien nicht zu Wettbewerbszwecken oder zu dem Zweck hergestellt hat, der Beklagten zu schaden. Er hat sie - soweit ersichtlich - nur an seinen Rechtsanwalt und damit an eine ihrerseits zur Verschwiegenheit verpflichtete Person mit dem Ziel weitergegeben, sie bei Gericht einzureichen. Auf diese Weise wollte er sein Vorbringen zur Unsachlichkeit der Kündigung verdeutlichen und ihm stärkeres Gewicht verleihen. Diese Umstände schließen - wie aufgezeigt - die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zwar nicht aus. Sie lassen es aber in einem milderen Licht erscheinen. Hinzu kommt, dass es sich um eine singuläre Pflichtverletzung handelte, der erkennbar die - irrige - Vorstellung des Klägers zugrunde lag, zur Selbsthilfe berechtigt zu sein.

38

(b) Aufgrund dieser Erwägungen war es ohne Weiteres vertretbar, dem Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses - zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist - Vorrang vor dem Beendigungsinteresse der Beklagten einzuräumen.

39

III. Das Landesarbeitsgericht hat unausgesprochen angenommen, die ordentliche Kündigung vom 23. Mai 2012 gehe ins Leere, da das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits anderweitig zum 30. September 2012 aufgelöst worden sei. Dagegen erhebt die Beklagte keine Einwände. Ein Rechtsfehler ist nicht ersichtlich.

40

IV. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Pitsch    

                 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 26. November 2013 - 7 Sa 444/12 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung und über einen Auflösungsantrag des beklagten Landkreises.

2

Die Klägerin ist Dipl.-Verwaltungswirtin. Sie war bei dem beklagten Landkreis seit Oktober 2010 als Angestellte beschäftigt. Ihr war die Leitung der Erhebungsstelle Zensus übertragen. Auf das Arbeitsverhältnis fand aufgrund arbeitsvertraglicher Verweisung der TVöD-VKA Anwendung.

3

Am 22. April 2012 fand die Wahl des Landrats statt. Der Amtsinhaber stellte sich zur Wiederwahl. Die parteilose Klägerin kandidierte ebenfalls. Sie warb mit einem Flyer für sich. In diesem stellte sie die „Säulen“ ihrer Politik vor, als welche sie „Transparenz in der Verwaltung“, „Bürgernahe Politik“ und „Jugend, Familien und Senioren“ bezeichnete. Zum Punkt „Transparenz in der Verwaltung“ hieß es in dem Flyer:

        

„Wie der jüngste Umweltskandal in [B.] und der Subventionsbetrug am [Rathaus in C.] beweist, deckt der amtierende Landrat sogar die Betrügereien im Kreis. Ich stehe für eine transparente Politik, die Gesetze einhält und die Pflichtaufgaben des Landkreises überprüft.“

4

Der Flyer lag einem lokalen Anzeigenblatt bei, das am 18. April 2012 mit einer Auflage von 28.700 verteilt wurde.

5

Nach Beteiligung des Personalrats kündigte der beklagte Landkreis das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 21. April 2012 außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2012. Er warf der Klägerin üble Nachrede und Beleidigung seines Repräsentanten vor.

6

Gegen die Kündigung hat die Klägerin rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Sie hat gemeint, es sei weder ein Grund für die außerordentliche noch für die ordentliche Kündigung gegeben. Sie habe sich nicht im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses geäußert, sondern als Kandidatin im Wahlkampf. Ihr Flyer werde missverstanden. Es sei ihr nicht darum gegangen, den amtierenden Landrat persönlich zu diffamieren, einer Straftat zu bezichtigen oder gar zu beleidigen. Sie habe vielmehr zum Ausdruck bringen wollen, dass der Landrat im Hinblick auf den Umweltskandal in B. und die Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Sanierung des Rathauses in C. nichts unternommen habe und stattdessen transparenter und in der Öffentlichkeit aktiver mit diesem Thema hätte umgehen müssen. Das sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Im Übrigen habe sie nur Vorwürfe wiederholt, die zuvor in der Presse erhoben worden seien. Die Klägerin hat zudem die Personalratsbeteiligung als fehlerhaft gerügt.

7

Sie hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 21. April 2012 aufgelöst wurde;

        

2.    

den beklagten Landkreis zu verurteilen, sie als Sachbearbeiterin zu den Bedingungen des Arbeitsvertrags vom 27. September 2010 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiter zu beschäftigten.

8

Der beklagte Landkreis hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2012 gegen Zahlung einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Abfindung aufzulösen.

9

Er hat die Kündigung für wirksam gehalten. Die Klägerin habe dem Landrat wider besseres Wissen unterstellt, dieser decke Betrügereien, sei also aktiv am Vertuschen von Straftaten beteiligt und erfülle damit den Straftatbestand der Strafvereitelung. Die Unterstellung krimineller Machenschaften sei eine von der Meinungsfreiheit nicht gedeckte grobe Beleidigung und üble Nachrede. Der Landrat müsse dies auch im Wahlkampf nicht hinnehmen. Solche Vorwürfe habe es in der Presse nicht gegeben. Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Zumindest sei das Arbeitsverhältnis nach § 9 KSchG aufzulösen. Der Betriebsfrieden sei nachhaltig gestört. Schon früher habe es wegen einer Konkurrentenklage Spannungen mit der Klägerin gegeben. Diese müsse sich außerdem das Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen. Der habe die Landratswahl angefochten. Seine verbalen Ausfälle gegen den Kreiswahlleiter und die Mitarbeiter des Kreiswahlbüros zeigten deutlich, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit auch mit der Klägerin nicht mehr möglich sei.

10

Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben, den Auflösungsantrag des Beklagten hat es abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der beklagte Landkreis die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat richtig entschieden.

13

I. Die fristlose Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

14

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war oder nicht (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 39; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16).

15

2. Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 40; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19). Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - aaO; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - aaO mwN).

16

3. Eine in diesem Sinne erhebliche Pflichtverletzung stellen ua. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen aufstellt, insbesondere dann, wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 41; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - aaO).

17

a) Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). Darauf kann sich auch ein Arbeitnehmer berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 42; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 24 mwN). Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (vgl. BVerfG 28. November 2011 - 1 BvR 917/09 - Rn. 18 mwN).

18

b) Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Es ist gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden (BVerfG 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 7, 198; BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 42; 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35). Auch § 241 Abs. 2 BGB gehört zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden - und umgekehrt (vgl. BVerfG 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - aaO; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] aaO).

19

aa) Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1). Handelt es sich bei einem Werturteil um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 - zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 61, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 4 der Gründe, BVerfGE 7, 198).

20

bb) Erweist sich das in einer Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik, muss die Meinungsfreiheit regelmäßig zurücktreten (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 23; 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266). Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Dafür muss hinzutreten, das bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - aaO; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, BAGE 138, 312; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe).

21

4. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe ihre Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB nicht verletzt, nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, bei den Äußerungen der Klägerin in dem Wahl-Werbeflyer habe es sich um eine vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützte Meinungsäußerung gehandelt. Diese habe die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten und gehe, da sie im Wahlkampf erfolgt sei, der Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber dem beklagten Landkreis vor.

22

a) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, die Aussagen der Klägerin in dem am 18. April 2012 verteilten Flyer stellten nicht schon deshalb keine Vertragspflichtverletzung dar, weil sie außerdienstlich und überdies im Wahlkampf gefallen seien. Die Klägerin hat die Amtswahrnehmung des Landrats kritisiert. Das berührt unmittelbar die Belange auch des beklagten Landkreises.

23

b) Das vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegte Verständnis der Äußerungen in dem Flyer ist nicht zu beanstanden. Das Gericht hat angenommen, die Wahlwerbung sei nicht zwingend dahin zu verstehen, die Klägerin habe dem amtierenden Landrat kriminelles Verhalten vorgeworfen. Ebenso gut sei eine mildere, politische Deutung möglich. Danach habe die Klägerin dem Landrat den Vorwurf gemacht, bei Betrügereien im Landkreis das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen und damit demokratische Kontrolle zu behindern. Insofern handele es sich um eine Meinungsäußerung, die dem Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG unterfalle. Die dagegen vom beklagten Landkreis vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.

24

aa) Ob der Sinn einer Meinungsäußerung vom Berufungsgericht zutreffend erfasst worden ist, ist vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 47; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15, BAGE 138, 312).

25

(1) Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht ausreichend. Vielmehr sind der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15, BAGE 138, 312; vgl. auch BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 3 der Gründe). Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von ihr Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 20; 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 - Rn. 31). Mehrdeutige Äußerungen dürfen wegen eines möglichen Inhalts nicht zu nachteiligen Folgen führen, ohne dass eine Deutung, die zu einem von der Meinungsfreiheit gedeckten Ergebnis führen würde, mit schlüssigen, überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden ist (BVerfG 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 - aaO mwN; BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 46).

26

(2) Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40). Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich dem Beweis zugänglich (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21; 13. April 1994 - 1 BvR 23/94 - zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241). Gilt für Meinungsäußerungen, insbesondere im öffentlichen Meinungskampf, bei der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Rechtsgut, in dessen Interesse sie durch ein allgemeines Gesetz eingeschränkt werden kann, eine Vermutung zu Gunsten der freien Rede, gilt dies für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18 mwN). Ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, beurteilt sich nach dem Gesamtkontext, in dem sie steht (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Auch eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung ist nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Wo dies der Fall wäre, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden. Anderenfalls drohte eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtschutzes (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO mwN).

27

(3) In der Verwendung eines Rechtsbegriffs liegt nur dann eine Tatsachenbehauptung, wenn die Beurteilung nicht als bloße Rechtsauffassung kenntlich gemacht ist, sondern beim Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingebetteten tatsächlichen Vorgängen hervorruft, die als solche einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich sind. Dabei kommt es auch hier entscheidend auf den Zusammenhang an, in dem der Rechtsbegriff verwendet wird (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 28; BGH 27. April 1999 - VI ZR 174/97 - zu II 2 a der Gründe; 22. Juni 1982 - VI ZR 255/80 - zu 2 b der Gründe).

28

bb) Danach enthält die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es sei ein - verglichen mit der Deutung des Beklagten - milderes, nämlich politisches Verständnis der Äußerung der Klägerin ohne Weiteres möglich, keinen Rechtsfehler. Das Landesarbeitsgericht hat den möglichen Aussagegehalt der fraglichen Äußerung nach ihrem Kontext beurteilt und dabei berücksichtigt, dass es sich um eine Äußerung im Rahmen von Wahlwerbung, also als Teil der politischen Auseinandersetzung mit einem Gegenkandidaten handelte. Die Aussage über dessen Amtswahrnehmung war in das eigene „Drei-Säulen-Programm“ der Klägerin eingebettet. Mit der Formulierung, der amtierende Landrat „decke“ Betrügereien im Landkreis, war deshalb nicht notwendigerweise der Vorwurf verbunden, der Landrat habe sich selbst - etwa der Strafvereitelung - strafbar gemacht. Ebenso gut lässt sich die Äußerung dahin verstehen, der Landrat habe politisch nicht genügend zur Aufklärung der aufgeführten - angeblichen - Missstände unternommen. Diese Deutung liegt angesichts der von der Klägerin an gleicher Stelle hervorgehobenen Bedeutung von Transparenz im Verwaltungshandeln sogar näher. Daran ändern der Fettdruck und die farbige Gestaltung des Flyers unter Nutzung von Fotomaterial nichts. Der Vorwurf wiegt politisch schwer genug, um als ein aus Sicht der Klägerin maßgebliches und gestalterisch zu unterstreichendes Argument in der Auseinandersetzung mit ihrem Gegenkandidaten betont zu werden.

29

cc) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht in der Äußerung der Klägerin über den amtierenden Landrat ihrem Schwerpunkt nach ein Werturteil gesehen, und nicht eine dem Wahrheits- oder Unwahrheitsbeweis zugängliche Tatsachenbehauptung.

30

(1) Der Vorwurf, nicht genug zur Aufklärung - vermeintlicher - Betrügereien im öffentlichen Bereich getan zu haben, umschreibt kein spezifisches, einem objektiven Wahrheitsbeweis zugängliches Verhalten (für den Begriff „decken“ als Teil der Passage: „Besonders gefährlich sind die …, die [Herr] F.G. deckt“ ebenso EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 50). Der Vorwurf kann im vorliegenden Zusammenhang vielmehr schon das Unterlassen höherer Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts oder auch nur mangelndes Interesse daran zum Gegenstand haben. Die Gründe dafür, schon in bloßer Passivität politisch ein „Decken“ von Missständen zu erblicken, können unterschiedlich sein und hängen erkennbar von der subjektiven Einschätzung des Betrachters ab. Der Vorwurf, etwas zu „decken“, bringt daher vor allem die Meinung zum Ausdruck, der Betreffende habe nicht alles von ihm zu Fordernde zur Aufklärung unternommen. Ob eine solche Wertung berechtigt erscheint, ist eine Frage des Dafürhaltens und Meinens ohne konkret fassbaren Tatsachenkern.

31

(2) Dies gilt auch dann, wenn man in die Auslegung einbezieht, dass die Klägerin dem Landrat vorgeworfen hat, „Betrügereien“ im Landkreis zu decken, wie der jüngste „Umweltskandal“ in B. und der „Subventionsbetrug“ am Rathaus in C. bewiesen. Aus der Bezugnahme auf die solcherart umschriebenen Vorgänge ergibt sich zwar erst die Relevanz des Vorwurfs. Hätte die Klägerin neutraler von bloßen „Vorgängen“ gesprochen, hätte der Vorhalt, nicht genug zu deren Aufklärung getan zu haben, nicht das gleiche Gewicht gehabt. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht aber auch in der Verwendung dieser Begriffe keine dem Beweis zugänglichen Tatsachenbehauptungen gesehen. Die Ausdrücke „Umweltskandal“ und „Betrügereien“ sind dafür zu unbestimmt. Der Terminus „Subventionsbetrug“ ist zwar ein Rechtsbegriff, der den Straftatbestand des § 264 StGB bezeichnet. Ein verständiger Leser verknüpft mit seiner Verwendung in dem Wahl-Werbeflyer der Klägerin aber nicht die Vorstellung von konkreten, strafrechtlich relevanten Vorgängen, die einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich wären. Die von der Klägerin verwendeten Formulierungen dienten im Rahmen des Wahlkampfs ersichtlich als pointierte Schlagworte zur Beschreibung der von ihr ausgemachten Missstände, um die Leser ggf. dazu zu animieren, sich über die fraglichen Vorgänge selbst näher zu unterrichten. Soweit die Klägerin von „Subventionsbetrug“ spricht, ist damit erkennbar allenfalls eine pauschale Umschreibung gemeint, ohne dass diese einen fassbaren Tatsachenkern zum Gegenstand hätte. Es kommt daher nicht darauf an, ob es, wie der Beklagte im Revisionsverfahren geltend gemacht hat, „unstreitig“ feststeht, dass es „derartige Straftaten“ weder in B. noch in C. gegeben habe. Das Landesarbeitsgericht hat im Übrigen eine solche Feststellung nicht getroffen; einen Antrag nach § 320 Abs. 1 ZPO hat der Beklagte nicht gestellt, eine zulässige Verfahrensrüge hat er nicht erhoben.

32

(3) Der Ausdruck, die genannten Vorgänge „bewiesen“, dass der amtierende Landrat Betrügereien im Landkreis decke, ändert nichts am Charakter der Aussage als Meinungsäußerung. „Beweisen“ steht im gegebenen Zusammenhang für „belegen“ oder „zeigen“. Die Klägerin erklärt damit, sie halte das von ihr kritisierte Verhalten des Landrats durch die angesprochenen Vorfälle für belegt oder erwiesen. Ob dies gerechtfertigt ist, ist erneut eine Frage des Dafürhaltens und Meinens, ohne dass konkret fassbare Tatsachen behauptet würden. Selbst im Rechtssinne erfordert die Frage, ob etwas „bewiesen“ ist, eine wertende Betrachtung. In einem nicht juristischen Kontext wie hier liegt erst recht ein wertender Gebrauch nahe (vgl. zu den Begriffen „absichtlich“ und „bewusst“ BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 19).

33

(4) Ein anderes Verständnis verlangt auch nicht die anschließende Formulierung, die Klägerin stehe für eine transparente Politik, die „Gesetze einhält und die Pflichtaufgaben des Landkreises überprüft“. Damit wird dem bisherigen Landrat nicht implizit und zwingend vorgeworfen, die Gesetze verletzt zu haben. Ebenso gut lässt sich die Aussage dahin verstehen, die Klägerin wolle hervorheben, dass sie als Landrätin möglichen Gesetzesverstößen konsequenter und transparenter nachgehe. Auch dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem Zusammenhang der Äußerung mit der von ihr so bezeichneten Säule ihrer Politik „Transparenz in der Verwaltung“.

34

dd) Das Landesarbeitsgericht hat die an die Öffentlichkeit gerichteten schriftlichen Aussagen der Klägerin zu Recht aus der objektiven Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums ausgelegt. Entgegen der Auffassung des beklagten Landkreises kommt es nicht darauf an, ob der Flyer überwiegend politisch interessierte oder desinteressierte Empfänger erreichte und ob diese um den Erhalt der Informationen gebeten hatten oder nicht. Die von dem Beklagten angestellten Schlussfolgerungen sind überdies nicht zwingend. Gerade ein nur flüchtiger, politisch desinteressierter und möglicherweise außerhalb des Wahlkampfgebiets ansässiger Leser des Flyers wird dessen Aussagen kaum auf einen konkreten Tatsachenkern bezogen haben.

35

c) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht der Meinungsfreiheit der Klägerin Vorrang vor ihrer Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Beklagten eingeräumt.

36

aa) Allerdings kann es die vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB gebieten, dass es ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes unterlässt, die Amtswahrnehmung von Repräsentanten seines Arbeitgebers in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen. Unter welchen Voraussetzungen dies anzunehmen ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Die Klägerin hat ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des beklagten Landkreises deshalb nicht verletzt, weil deren Reichweite ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit bestimmt werden muss.

37

bb) Bei der Würdigung der fraglichen Erklärungen fällt entscheidend ins Gewicht, dass es sich um Äußerungen der Klägerin über einen Gegenkandidaten im laufenden Wahlkampf gehandelt hat. Ein Wahlbewerber muss sich in einer solchen Situation ggf. auch überzogener Kritik stellen. Die Grenzen zulässiger Kritik sind gegenüber einem Politiker weiter gefasst als gegenüber einer Privatperson (zu Art. 10 Abs. 1 EMRK vgl. EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 41). Auch als Beschäftigte des betroffenen Landkreises durfte die Klägerin für das Amt des Landrats kandidieren und sich im Rahmen ihrer Wahlwerbung mit der Amtsausübung des seinerseits kandidierenden Landrats auseinandersetzen. Durch ihre Kandidatur und ihre öffentlichen Äußerungen setzte sich die Klägerin gleichermaßen selbst der kritischen Überprüfung aus (vgl. zu diesem Kriterium EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 39). In einem öffentlichen Wahlkampf ist auch ein Arbeitnehmer nicht darauf verwiesen, Kritik an der Amtsausübung eines Gegenkandidaten, der zugleich Repräsentant seines Arbeitgebers ist, zunächst nur intern zu äußern. Es geht gerade um den öffentlichen Meinungskampf, in dessen Rahmen ansonsten zu beachtende vertragliche Pflichten zur Rücksichtnahme, soweit im Interesse der Meinungsfreiheit erforderlich, zurücktreten müssen. Die Klägerin war als Leiterin der Erhebungsstelle Zensus nicht unmittelbar persönlich für den amtierenden Landrat tätig. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob von ihr anderenfalls eine weitergehende Zurückhaltung auch in einem öffentlichen Wahlkampf hätte verlangt werden können.

38

cc) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Grenzen zur Schmähkritik seien nicht überschritten. Bei den Äußerungen der Klägerin stand nicht die persönliche Diffamierung des amtierenden Landrats im Vordergrund. Die Klägerin hat nach dem vom Berufungsgericht zutreffend zugrunde gelegten Verständnis ihrer Erklärungen nicht dem Landrat selbst „kriminelle Machenschaften“ unterstellt. Sie hat vielmehr, wenn auch in zugespitzter Form, Kritik an dessen Amtswahrnehmung geübt und damit ein bereits zuvor in der Öffentlichkeit diskutiertes Thema aufgegriffen (vgl. bspw. die Pressemitteilung der Deutschen Umwelthilfe vom 2. November 2011 als Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 28. Januar 2013: „Das Landratsamt verharmlost … und blockiert…“). Es ging - entgegen der Auffassung des Beklagten - um eine politische Frage von öffentlichem Interesse (vgl. zu diesem Kriterium EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 42), hier das Erfordernis transparenten Verwaltungshandelns.

39

dd) Die Klägerin hat die Kritik an der Amtswahrnehmung ihres Gegenkandidaten nicht ins Blaue hinein erhoben. An einem solchen Beitrag bestünde auch im politischen Wahlkampf kein anerkennenswertes Interesse. Sie hat sich vielmehr darauf berufen, in der Presse veröffentlichte Berichte und öffentlich diskutierte Vorgänge aufgegriffen zu haben. Ihrer kritischen Bewertung der Amtsausübung des Landrats lag damit zumindest die Tatsache zugrunde, dass die Vorgänge in B. und C. und die Rolle des Landratsamts in der Öffentlichkeit als aufklärungsbedürftig angesehen worden waren. Der beklagte Landkreis mag zwar zutreffend geltend gemacht haben, der Landrat sei in der Presse nicht „krimineller Machenschaften“ bezichtigt worden. Ein solcher Aussagegehalt kommt aber - wie ausgeführt - auch dem Flyer der Klägerin nicht zu. Handelt es sich stattdessen um ein Werturteil - hier über die Amtsausübung des Landrats - und bei diesem um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, spricht eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 - zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 61, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 4 der Gründe, BVerfGE 7, 198). Sie beschränkt sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht auf spontane, mündliche Äußerungen. Vielmehr schützt Art. 5 Abs. 1 GG die freie Meinungsäußerung „in Wort, Schrift und Bild“(vgl. BVerfG 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] aaO: ua. schriftlicher Boykottaufruf; 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 -: Veröffentlichung eines „Denkzettels“ im Internet). Bei einer spontanen, mündlichen Erklärung mag außerdem die mögliche Unbedachtheit einer gewählten Formulierung zu berücksichtigen sein.

40

ee) Die Äußerung der Klägerin ging nach Form und Zeitpunkt nicht über das in einem Wahlkampf hinzunehmende Maß hinaus.

41

(1) Der beklagte Landkreis hat geltend gemacht, die Klägerin habe offensichtlich um jeden Preis potentielle Wähler für sich gewinnen wollen. Dabei lässt er außer Acht, dass sie dies nicht durch eine persönliche Diffamierung des amtierenden Landrats, sondern durch eine politische Stellungnahme zu dessen Amtswahrnehmung versucht hat. Dass sie damit zugleich beabsichtigt haben dürfte, die Wähler gegen den amtierenden Landrat und für sich selbst einzunehmen, ist nicht zu missbilligender Zweck eines Wahlkampfs.

42

(2) Ob der Vorgang anders zu beurteilen wäre, wenn die Klägerin zur Unterstützung ihrer Äußerungen ihren Dienst beim Beklagten in die Waagschale geworfen und den Lesern zB das Vorhandensein darauf beruhender besonderer Einblicke in die Zusammenhänge suggeriert hätte, bedarf keiner Entscheidung. Ein Hinweis auf ihre Beschäftigung bei dem beklagten Landkreis war dem Flyer nicht zu entnehmen.

43

(3) Dass der Flyer über das Gebiet des beklagten Landkreises hinaus verbreitet worden wäre, ist vom Landesarbeitsgericht weder festgestellt worden, noch würde dies ein anderes Ergebnis rechtfertigen. Das Anzeigenblatt, dem der Flyer beigelegt war, ist jedenfalls auch in dem Gebiet des beklagten Landkreises verteilt worden. Die Klägerin musste von dieser Möglichkeit seiner Verbreitung nicht deshalb absehen, weil das Blatt einen über den Landkreis hinausreichenden Einzugsbereich hatte.

44

(4) Soweit der Beklagte geltend gemacht hat, die Klägerin habe bewusst einen so späten Zeitpunkt für die Veröffentlichung gewählt, dass dem amtierenden Landrat vor der Wahl keine Reaktion mehr möglich gewesen sei, ist dies bereits unschlüssig. Das Anzeigenblatt wurde am 18. April 2012 verteilt, die Landratswahl fand am 22. April 2012 statt.

45

II. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung ist sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG. Die Klägerin hat - wie ausgeführt - ihre Vertragspflichten nicht verletzt.

46

III. Den Auflösungsantrag des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zu Recht abgewiesen. Der beklagte Landkreis hat keine Umstände dargelegt, die einer weiteren gedeihlichen Zusammenarbeit der Parteien nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG entgegenstünden. Weder genügen frühere Spannungen aufgrund einer Konkurrentenklage als Auflösungsgrund, noch ist ersichtlich, warum sich die Klägerin ein Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen müsste.

47

IV. Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Das Kündigungsschutzverfahren ist rechtskräftig abgeschlossen.

48

V. Als unterlegene Partei hat der beklagte Landkreis gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    F. Löllgen     

        

    Gerschermann    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. August 2009 - 19/3 Sa 575/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 6. März 2008 - 19 Ca 9432/06 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über eine fristlose Verdachtskündigung.

2

Der im Jahr 1961 geborene Kläger war bei der beklagten Stadt seit dem 1. September 1989 als Orchestermusiker (2. Hornist) gegen ein Bruttomonatsgehalt von zuletzt 4.580,79 Euro beschäftigt. Nach den anzuwendenden Bestimmungen des Tarifvertrags für Musiker in Kulturorchestern (TVK) sind Arbeitnehmer, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und mehr als 15 Jahre beschäftigt sind, ordentlich nicht mehr kündbar.

3

Ihren Eigenbetrieb der städtischen Bühnen leitete die Beklagte mit Wirkung zum 1. September 2004 auf die S GmbH (nachfolgend S GmbH) über. Der Kläger widersprach einem Übergang seines Arbeitsverhältnisses. In der Folge wies die Beklagte den Kläger - ebenso wie die übrigen Mitarbeiter, die einer Überleitung widersprochen hatten - aufgrund eines mit der S GmbH geschlossenen Personalgestellungsvertrags dieser zur Dienstausübung zu. Im Februar 2005 fand eine Betriebsratswahl für einen von der Beklagten und der S GmbH gemeinsam geführten Betrieb „Städtische Bühnen“ statt. In dem von der S GmbH eingeleiteten Wahlanfechtungsverfahren wurde der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Wahl rechtskräftig abgewiesen. Mit - weiterem - Beschluss vom 19. Februar 2009 erklärte das Hessische Landesarbeitsgericht die Wahl für „ungültig“.

4

Der Kläger war mit einem Kollegen aus dem Orchester befreundet. Dieser hat zwei Töchter, geboren 1990 und 1994. Der Kläger berührte das ältere der Mädchen - damals fünf- bis sechsjährig - bei Besuchen im Haus des Freundes in den Jahren 1995 und 1996 unsittlich, das jüngere - damals acht bis neun Jahre alt - mehrmals bei Besuchen bei der inzwischen allein lebenden Mutter in den Jahren 2002 und 2003. Am 22. September 2004 erstattete die Mutter Anzeige. Gegen den Kläger wurde daraufhin ein Ermittlungsverfahren ua. wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern eingeleitet. Gegenstand des Verfahrens war auch der Vorwurf, der Kläger habe im Jahr 1994 ein weiteres, damals elf Jahre altes Mädchen sexuell missbraucht.

5

Am 20. Oktober 2004 wurde die Beklagte durch den Vater der Mädchen über die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe informiert. In einem Gespräch der Beklagten mit den übrigen Hornbläsern am 22. November 2004 offenbarte einer der Musiker, dass sich der Kläger auch seinem Sohn unsittlich genähert habe und ein strafrechtliches Verfahren gegen Zahlung eines Bußgelds eingestellt worden sei. Er und andere Mitglieder der Stimmgruppe der Hornisten erklärten, mit dem Kläger nicht mehr zusammenarbeiten zu können.

6

Am 13. Dezember 2004 hörte die Beklagte den Kläger zu den Vorwürfen an. Dieser bestritt deren Berechtigung. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2004 sprach die Beklagte eine auf den Verdacht der Tatbegehungen gestützte fristlose Kündigung aus. Der dagegen erhobenen Klage gab das Hessische Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 9. Oktober 2006 mit der Begründung - rechtskräftig - statt, dass die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt habe.

7

Nachdem die Beklagte im Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 9. Oktober 2006 erfahren hatte, dass gegen den Kläger Anklage erhoben worden war, bemühte sie sich vergeblich um Akteneinsicht. In einem Telefonat mit dem zuständigen Richter am 30. November 2006 erfuhr sie, dass die Anklageerhebung auf dem ihr bekannten Inhalt der Ermittlungsakte beruhe. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2006 lud sie den Kläger erneut zu einem Anhörungsgespräch am 11. Dezember 2006. Der Kläger teilte ihr am 8. Dezember 2006 mit, dass er nicht erscheinen werde. Nach Anhörung des - trotz Wahlanfechtung weiterhin amtierenden - Betriebsrats sprach die Beklagte am 21. Dezember 2006 erneut eine außerordentliche, fristlose Verdachtskündigung aus. Dagegen erhob der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage.

8

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei mangels Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Die Frist sei spätestens am 3. Dezember 2004 abgelaufen. Die Kündigung sei eine unzulässige Wiederholungskündigung. Die von ihm begangenen Straftaten könnten als außerdienstliches Verhalten die Kündigung ohnehin nicht rechtfertigen. Der Kläger hat bestritten, dass es zu einem Vertrauensverlust bei seinen Kollegen gekommen sei und seine Anwesenheit die künstlerische Qualität des Orchesters beeinträchtige. Seine sexuellen Neigungen seien seit Anfang der 90-er Jahre im Orchester bekannt gewesen. Er befinde sich seit 1992 in therapeutischer Behandlung. Deswegen bestehe keine Wiederholungsgefahr. Seine Taten seien Folge einer psychischen Disposition. Die Kündigung sei deshalb nach den Grundsätzen der krankheitsbedingten Kündigung zu beurteilen und mangels negativer Prognose unwirksam. Außerdem habe statt des Betriebsrats der zuständige Personalrat angehört werden müssen.

9

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. Dezember 2006 nicht beendet worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, mit der Erhebung der Anklage sei ein wesentlicher Einschnitt im Strafverfahren verbunden gewesen. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei erneut in Gang gesetzt worden, als sie von der Anklageerhebung Kenntnis erhalten habe. Wegen des dringenden Verdachts der Begehung der fraglichen Straftaten sei die Kündigung auch materiell gerechtfertigt. Das Verhalten des Klägers weise einen hinreichenden dienstlichen Bezug auf. Das Vertrauensverhältnis zu den Mitgliedern des Orchesters, insbesondere zu den Hornbläsern, sei zerstört. Die Anwesenheit des Klägers beeinträchtige die künstlerische Qualität bei Proben und Vorstellungen. Die Neigungen des Klägers seien keineswegs allgemein im Orchester bekannt gewesen. Es bestehe ein unkalkulierbares Risiko, dass er wieder einschlägig auffällig werde. Im Hinblick darauf, dass sie in der Komparserie und im Rahmen von Praktika minderjährige Kinder beschäftige, sei ihr eine Weiterbeschäftigung nicht zuzumuten. Die Beteiligung des Personalrats sei nicht erforderlich gewesen.

11

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO)und zur Abweisung der Klage. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt(I.). Die Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Dies kann der Senat selbst entscheiden, da die maßgeblichen Tatsachen feststehen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt vor(II.). Die Kündigung ist nicht mangels Anhörung des Personalrats unwirksam (III.).

13

I. Die Kündigung vom 21. Dezember 2006 ist nicht nach § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Die Beklagte hat die gesetzliche Frist zur Erklärung der Kündigung gewahrt.

14

1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

15

a) Dies ist dann der Fall, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (Senat 25. November 2010 - 2 AZR 171/09 - Rn. 15 mwN, NZA-RR 2011, 177; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 18, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7). Grob fahrlässige Unkenntnis ist insoweit ohne Bedeutung (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 319 mwN). Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - aaO). Solange er die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, läuft die Ausschlussfrist nicht an (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - zu B I 3 der Gründe, aaO). Um den Lauf der Frist nicht länger als notwendig hinauszuschieben, muss eine Anhörung allerdings innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Die Frist darf im Allgemeinen, und ohne dass besondere Umstände vorlägen, nicht mehr als eine Woche betragen (Senat 2. März 2006 - 2 AZR 46/05 - Rn. 24, BAGE 117, 168).

16

b) Geht es um ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers, darf der Arbeitgeber den Aus- oder Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten und in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt kündigen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 25, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7; 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9; Bader/Bram/Dörner/Kriebel-Bader KSchG Stand Dezember 2010 § 626 BGB Rn. 77; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 321). Für den betreffenden Zeitpunkt bedarf es eines sachlichen Grundes. Wenn etwa der Kündigungsberechtigte neue Tatsachen erfahren oder neue Beweismittel erlangt hat und nunmehr einen - neuen - ausreichenden Erkenntnisstand für eine Kündigung zu haben glaubt, kann er dies zum Anlass für den Ausspruch der Kündigung nehmen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 20, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7; 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9).

17

c) Der Arbeitgeber kann sich auch für die Überlegung, ob er eine Verdachtskündigung aussprechen soll, am Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens orientieren (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7). Dort gewonnene Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörden können die Annahme verstärken, der Vertragspartner habe die Pflichtverletzung begangen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - aaO; vgl. HaKo-Gieseler 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 106; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 711). Eine solche den Verdacht intensivierende Wirkung kann auch die Erhebung der öffentlichen Klage haben (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - aaO; AnwK-ArbR/Bröhl 2. Aufl. Bd. 1 § 626 BGB Rn. 102; HaKo-Gieseler aaO; SPV/Preis aaO). Zwar kann die Erhebung der öffentlichen Klage für sich genommen keinen dringenden Verdacht im kündigungsrechtlichen Sinne begründen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 27, aaO; 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5). Sie bedeutet aber einen Einschnitt, der in der Lage ist, die anderweitig schon genährte Überzeugung des Arbeitgebers zu verstärken. Während die Einleitung des Ermittlungsverfahrens lediglich einen Anfangsverdacht erfordert, ist die Erhebung der öffentlichen Klage nach der Strafprozessordnung an das Bestehen eines „hinreichenden“ Verdachts gebunden. Der Verdacht erhält damit eine andere Qualität. Dies rechtfertigt es, die Erhebung der öffentlichen Klage als einen Umstand anzusehen, bei dessen Eintritt der Arbeitgeber einen sachlichen Grund hat, das Kündigungsverfahren einzuleiten (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - aaO; AnwK-ArbR/Bröhl aaO; HaKo-Gieseler aaO; SPV/Preis aaO).

18

d) Der Arbeitgeber hat nicht nur zwei Möglichkeiten, dem sich mit der Zeit entwickelnden Zuwachs an Erkenntnissen durch eine außerordentliche Kündigung zu begegnen. Es gibt nicht lediglich zwei objektiv genau bestimmbare Zeitpunkte, zu denen die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begönne: einen Zeitpunkt für den Ausspruch einer Verdachts-, einen weiteren für den Ausspruch einer Tatkündigung. Im Laufe des Aufklärungszeitraums kann es vielmehr mehrere Zeitpunkte geben, in denen der Verdacht „dringend“ genug ist, um eine Verdachtskündigung darauf zu stützen. Dabei steht dem Kündigungsberechtigten ein gewisser Beurteilungsspielraum zu (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 22 ff., AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7).

19

e) Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt demnach erneut zu laufen, wenn der Arbeitgeber eine neue, den Verdacht der Tatbegehung verstärkende Tatsache zum Anlass für eine Kündigung nimmt. Eine den Verdacht verstärkende Tatsache kann die Anklageerhebung im Strafverfahren darstellen, selbst wenn sie nicht auf neuen Erkenntnissen beruht. Der Umstand, dass eine unbeteiligte Stelle mit weiterreichenden Ermittlungsmöglichkeiten, als sie dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen, einen hinreichenden Tatverdacht bejaht, ist geeignet, den gegen den Arbeitnehmer gehegten Verdacht zu verstärken. Der Arbeitgeber kann ihn auch dann zum Anlass für den Ausspruch einer Verdachtskündigung nehmen, wenn er eine solche schon zuvor erklärt hatte. Da die neuerliche Kündigung auf einem neuen, nämlich um die Tatsache der Anklageerhebung ergänzten Sachverhalt beruht, handelt es sich nicht etwa um eine unzulässige Wiederholungskündigung. Ebenso wenig ist das Recht, eine weitere Verdachtskündigung auszusprechen, mit dem Ausspruch einer ersten Verdachtskündigung verbraucht. Der Arbeitgeber hat sich dadurch, dass er eine Verdachtskündigung bereits vor Anklageerhebung ausgesprochen hat, auch nicht dahin gebunden, vor Ausspruch einer weiteren Kündigung den Ausgang des Ermittlungs- oder Strafverfahrens abzuwarten. Für die Annahme eines solchen Verzichts auf ein - noch nicht absehbares späteres - Kündigungsrecht gibt es keine Grundlage. Zwar bezieht sich der Verdacht jeweils auf dieselbe Tat, der zur Kündigung führende Sachverhalt ist aber gerade nicht identisch. Die zweite Kündigung stützt sich auf eine erweiterte, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB neu in Gang setzende Tatsachengrundlage.

20

2. Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte mit Ausspruch der Kündigung am 21. Dezember 2006 die Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Diese begann am 8. Dezember 2006 erneut zu laufen. Die Kündigung vom 21. Dezember 2006 erfolgte innerhalb von zwei Wochen.

21

a) Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB begann erneut in dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem die Beklagte vollständige Kenntnis davon erhielt, dass gegen den Kläger Anklage wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern eines Kollegen erhoben worden war und neue entlastende Gesichtspunkte nicht zu ermitteln waren. Der Verdacht bezieht sich zwar auf dieselbe Tat wie der, welcher der Kündigung vom 23. Dezember 2004 zugrunde lag. Der Sachverhalt ist aber deshalb nicht identisch, weil sich die Beklagte zusätzlich auf die Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft beruft.

22

b) Vollständige positive Kenntnis von den den Verdacht verstärkenden Umständen hatte die Beklagte erst am 8. Dezember 2006. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hatte sie zwar bereits während der mündlichen Verhandlung am 9. Oktober 2006 Kenntnis davon erhalten, dass gegen den Kläger Anklage erhoben worden war. Sie hatte aber erst aufgrund des Gesprächs mit dem zuständigen Richter am 30. November 2006 erfahren, dass die Anklage auf dem ihr bekannten Inhalt der Ermittlungsakte beruhte und damit ua. die Vorwürfe zum Gegenstand hatte, die den von ihr gehegten Verdacht gegen den Kläger betrafen. Ihre vorausgegangenen Bemühungen, Akteneinsicht zu erhalten, waren erfolglos geblieben. Die Beklagte durfte anschließend dem Kläger Gelegenheit geben, neue entlastende Umstände vorzubringen. Mit der Einladung zu einem Anhörungstermin am 11. Dezember 2006 ist sie diese Maßnahme zur Aufklärung des Sachverhalts auch hinreichend zügig angegangen. Zwar war die dafür in der Regel zu veranschlagende Wochenfrist am 11. Dezember überschritten. Die Beklagte ging gleichwohl mit der gebotenen Eile vor. Der 30. November 2006 war ein Donnerstag. Das Einladungsschreiben vom 4. Dezember wurde am auf ihn folgenden zweiten Arbeitstag verfasst. Dies ist zumindest angesichts der Besonderheit, dass sie schon zuvor eine Verdachtskündigung ausgesprochen hatte und die Notwendigkeit einer weiteren Anhörung des Klägers damit nicht unmittelbar auf der Hand lag, nicht zu beanstanden. Dass die Beklagte den Termin erst auf eine weitere Woche später anberaumte, ist ihr ebenso wenig vorzuhalten. Sie berücksichtigte damit in angemessener Weise das Interesse des im Betrieb nicht mehr beschäftigten Klägers an einer Ankündigungszeit. Mit dem Erhalt von dessen Nachricht am 8. Dezember 2006, er werde den Anhörungstermin nicht wahrnehmen, stand sodann fest, dass sich neue entlastende Umstände durch eine Anhörung des Klägers nicht ergeben würden.

23

II. Die Kündigung vom 21. Dezember 2006 beruht auf einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.

24

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220).

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt des sexuellen Missbrauchs von Kindern eines Kollegen ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet.

26

a) Die Beklagte hat sich zur Rechtfertigung der Kündigung zwar nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen. Obwohl der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund darstellt (st. Rspr., Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8), stehen beide Gründe aber nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, aaO ). Ergibt sich nach tatrichterlicher Würdigung das tatsächliche Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen; es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, aaO; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - mwN, aaO). Nichts anderes gilt für das Revisionsgericht, wenn das Berufungsgericht zwar nicht selbst geprüft hat, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gegeben ist, aber gem. § 559 Abs. 2 ZPO bindend festgestellt hat, dass die Pflichtwidrigkeit tatsächlich begangen wurde.

27

b) Dies ist hier der Fall. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass der Kläger sowohl während mehrerer Besuche im Haus der Familie seines Kollegen in den Jahren 1995/1996 die ältere von dessen Töchtern, damals fünf- bis sechsjährig, unsittlich berührte als auch mehrmals in den Jahren 2002 und 2003 die jüngere Tochter, damals acht bis neun Jahre alt, anlässlich von Besuchen im Haus der inzwischen allein lebenden Ehefrau. Das Landesarbeitsgericht hat darüber hinaus festgestellt, dass ein weiterer Kollege der Beklagten während eines Gesprächs am 22. November 2004 mitgeteilt hatte, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen des Vorwurfs, dieser habe sich dem Sohn des Kollegen unsittlich genähert, sei eingestellt worden. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erklärten der betreffende Kollege und andere Mitglieder der Hornisten-Gruppe, mit dem Kläger wegen dieser Vorwürfe nicht mehr zusammenarbeiten zu können.

28

c) Der Umstand, dass der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht einer gerichtlichen Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat nicht entgegen. In diesem Zusammenhang bedarf es keiner Entscheidung, ob der ungültig gewählte, aber während des Wahlanfechtungsverfahrens weiter amtierende Betriebsrat überhaupt nach § 102 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen war. Ausreichend ist jedenfalls, wenn dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung Genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Danach ist der Betriebsrat hier ausreichend unterrichtet worden. Die vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen sind auch Gegenstand des Anhörungsschreibens vom 15. Dezember 2006.

29

d) Eine schwere und schuldhafte Vertragspflichtverletzung kann ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Das gilt auch für die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten (Senat 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 - Rn. 30, EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Arbeitnehmervertreter Nr. 1; 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8).

30

e) Der Kläger hat seine Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB, auf die berechtigten Interessen der Beklagten Rücksicht zu nehmen, durch den sexuellen Missbrauch von Kindern eines Kollegen in erheblichem Maße verletzt. Darauf, ob sich aus § 5 Abs. 1 TVK aF noch weiter gehende Pflichten zur Rücksichtnahme ergaben, kommt es nicht an.

31

aa) Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 19, NZA 2011, 112; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 77). Der Arbeitnehmer ist auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - aaO). Die Pflicht zur Rücksichtnahme kann deshalb auch durch außerdienstliches Verhalten verletzt werden (vgl. ErfK/Müller-Glöge 11. Aufl. § 626 BGB Rn. 83). Allerdings kann ein außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers die berechtigten Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer grundsätzlich nur beeinträchtigen, wenn es einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 21, aaO). Das ist der Fall, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat (Senat 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 22, aaO; 27. November 2008 -  2 AZR 98/07  - Rn. 21, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 90 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 4). Fehlt ein solcher Zusammenhang, scheidet eine Pflichtverletzung regelmäßig aus (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 21, aaO; SPV/Preis Rn. 642).

32

bb) Die von dem Kläger außerdienstlich begangenen Straftaten haben einen solchen Bezug zum Arbeitsverhältnis.

33

(1) Dieser Bezug besteht zunächst darin, dass Opfer der Straftaten des Klägers die Kinder eines Kollegen waren.

34

(2) Die von dem Kläger an den Kollegenkindern begangenen Sexualstraftaten hatten zudem negative Auswirkungen auf das betriebliche Miteinander. So haben mehrere Mitglieder der Stimmgruppe des Klägers in dem Gespräch am 22. November 2004 gegenüber der Beklagten erklärt, mit dem Kläger nicht mehr zusammenarbeiten zu können. Der Einwand des Klägers, in dem Orchester herrsche ohnehin keine Atmosphäre des Vertrauens, sondern eine Atmosphäre der Angst, ist unbeachtlich. Er ändert nichts daran, dass im vorliegenden Zusammenhang allein der Kläger für die Störung des Betriebsfriedens verantwortlich ist.

35

cc) Die Straftaten des Klägers haben das kollegiale Miteinander und damit das Arbeitsverhältnis schwer belastet. Der Kläger hat das Vertrauen seines Kollegen und von dessen Familie wiederholt massiv missbraucht. Aus eben diesem Grund haben mehrere Kollegen aus seiner Stimmgruppe ausgeschlossen, mit ihm weiter zusammenarbeiten zu können.

36

Der Kläger hat vorsätzlich gehandelt. Soweit er seine sexuellen Neigungen im Laufe des Rechtsstreits auf krankhafte Störungen zurückgeführt hat, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Der Kläger hat nicht behauptet, dass es ihm unmöglich gewesen sei, sein Verhalten zu steuern. Die Grundsätze einer personenbedingten Kündigung finden keine Anwendung.

37

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gerechtfertigt. Der Beklagten war es unzumutbar, den Kläger auch nur bis zum Ablauf einer - fiktiven - Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen.

38

a) Obwohl das Landesarbeitsgericht - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - eine Interessenabwägung nicht vorgenommen hat, ist eine eigene Abwägung durch den Senat möglich. Der dem Berufungsgericht in der Rechtsprechung des Senats zugestandene Beurteilungsspielraum (vgl. Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5) schränkt lediglich die revisionsrechtliche Überprüfung der Interessenabwägung ein. Hat das Berufungsgericht eine Interessenabwägung vorgenommen, ist - wenn sämtliche relevanten Tatsachen feststehen - eine eigene Interessenabwägung des Revisionsgerichts nur dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist (vgl. Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 35 f., AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Fehlt es indessen an einer Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts, ist es - wenn alle relevanten Tatsachen festgestellt sind - nicht erforderlich, dem Landesarbeitsgericht Gelegenheit zu geben, zunächst eine eigene Abwägung vorzunehmen. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB ist zwar in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, aaO).

39

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 f. mwN).

40

c) Danach ist die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. Dezember 2006 gerechtfertigt.

41

aa) Der Kläger hat wiederholt die Kinder eines Kollegen sexuell missbraucht und dadurch bewirkt, dass sich mehrere Mitglieder seiner Stimmgruppe weigerten, mit ihm weiter zusammenzuarbeiten. Ohne erhebliche Auswirkungen auf den Betriebsfrieden war eine Mitwirkung des Klägers in seiner Stimmgruppe damit nicht mehr vorstellbar. Zwar war der betreffende Kollege zum Zeitpunkt der Kündigung bereits aus dem Orchester ausgeschieden. Der zweite betroffene Kollege und weitere Mitglieder, die an dem Gespräch am 22. November 2004 teilgenommen hatten, waren aber auch im Dezember 2006 noch beschäftigt. Unerheblich ist, ob die sexuellen Neigungen des Klägers schon länger im Orchester bekannt waren. Der Kläger hat nicht behauptet, es sei auch bekannt gewesen, dass er tatsächlich Straftaten an Kollegenkindern beging.

42

bb) Für die Beklagte war es nicht zumutbar, den Kläger unter Inkaufnahme einer fortbestehenden Störung des Betriebsfriedens weiterzubeschäftigen. Anders als in einer Drucksituation, der kein Verhalten des Arbeitnehmers und kein personenbedingter Grund zugrunde liegt, war die Beklagte nicht gehalten, sich etwa schützend vor den Kläger zu stellen und zu versuchen, die Kollegen von ihrer Weigerung, weiter mit dem Kläger zusammenzuarbeiten, abzubringen (vgl. dazu Senat 19. Juni 1986 - 2 AZR 563/85 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 33 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 39). Der Kläger hatte durch sein Verhalten die Betriebsstörung vielmehr selbst herbeigeführt. Er hat das ihm von einem Kollegen und dessen Familie entgegengebrachte Vertrauen in schwerwiegender Weise mehrfach missbraucht. Dass auch anderen Kollegen angesichts dessen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr möglich erschien, ist objektiv nachvollziehbar. Sexueller Missbrauch von Kindern ist ein die Integrität der Opfer in schwerwiegender Weise verletzendes Delikt. Geschützt ist die Entwicklung der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung (Fischer StGB 58. Aufl. § 176 Rn. 2 mwN). Äußere, fremdbestimmte Eingriffe in die kindliche Sexualität sind in besonderer Weise geeignet, diese Entwicklung zu stören. Die Tat birgt die Gefahr von nachhaltigen Schädigungen des Kindes (Fischer Rn. 36 mwN, aaO). Sie ist nach § 176 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht.

43

cc) Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es nicht. Angesichts der Schwere seiner Pflichtverletzungen war deren - auch nur erstmalige - Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich ausgeschlossen (vgl. zu diesem Maßstab Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

44

dd) Nicht entscheidend ist, ob zu erwarten stand, der Kläger werde weiterhin sexuelle Straftaten an (Kollegen-)Kindern begehen. Die von dem Kläger vorgetragenen Therapiebemühungen und der Umstand, dass er strafrechtlich nur zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt wurde, rechtfertigen deshalb ebenso wenig eine andere Bewertung wie Gesichtspunkte der Resozialisierung. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Beklagte angesichts der Erklärungen von Mitgliedern der Stimmgruppe des Klägers davon ausgehen musste, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen diesem und seinen Kollegen nicht mehr zu erwarten war. Soweit der Kläger geltend gemacht hat, nicht alle Orchestermusiker hätten sich geweigert, mit ihm zusammenzuarbeiten, kann die Richtigkeit dieser Behauptung dahinstehen. Der Kläger bestreitet nicht, dass mehrere Mitglieder seiner Stimmgruppe nicht mehr zu einer Zusammenarbeit bereit waren. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die musikalische Qualität von Proben oder Vorstellungen bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers tatsächlich gelitten hätte. Der Beklagten war es angesichts der Taten des Klägers schon nicht zumutbar, von seinen Kollegen eine weitere Zusammenarbeit überhaupt zu fordern. Darauf, ob der Kläger im Dienst Kontakt zu Kindern hatte, kommt es ebenfalls nicht an.

45

ee) An dem Ergebnis der Interessenabwägung ändert sich auch dann nichts, wenn die Behauptung des Klägers zutrifft, erst eine als Krankheit anzusehende Ausprägung seiner sexuellen Neigungen habe ihn straffällig werden lassen. Der Beklagten ist es auch unter dieser Voraussetzung nicht zuzumuten, von den Kollegen des Klägers die weitere Zusammenarbeit zu verlangen. Die durch das Verhalten des Klägers verursachte Störung des Betriebsfriedens wird dadurch nicht geringer.

46

ff) Disziplinarrechtliche Maßstäbe zur Beurteilung von Dienstvergehen eines Beamten sind für den Streitfall ohne Bedeutung. Die Sachverhalte, die den vom Kläger herangezogenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zugrunde liegen, sind zudem schon deshalb nicht vergleichbar, weil es dabei nicht um den Missbrauch von Kollegenkindern ging. Der Kläger will überdies aus dem Umstand, dass die Beklagte Opernaufführungen mit sexuellen Bezügen inszeniert, eine Bereitschaft zur Toleranz von Kindesmissbrauch ableiten. Dies ist abwegig. Soweit er darüber hinaus meint, seine Taten hätten einen Bezug zu seiner Tätigkeit als bildender Künstler, bleibt unklar, welchen Schluss er daraus ableitet. Er kann schwerlich gemeint haben, die Kunstfreiheit rechtfertige Kindesmissbrauch.

47

gg) Beschäftigungsdauer und Lebensalter des Klägers rechtfertigen kein anderes Ergebnis. An der Schwere der Pflichtverletzungen und Störung des Betriebsfriedens ändern sie nichts.

48

hh) Der Umstand, dass der Kläger ordentlich unkündbar war, hat auf die Interessenabwägung keinen gesonderten Einfluss. Ist es dem Arbeitgeber - wie hier - nicht zumutbar, den tariflich unkündbaren Arbeitnehmer bis zum Ablauf der „fiktiven“ Frist einer ordentlichen Beendigungskündigung weiterzubeschäftigen, ist eine außerordentliche fristlose Kündigung auch des tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers gerechtfertigt (Senat 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 5 b der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; 15. November 2001 -  2 AZR 605/00  - BAGE 99, 331).

49

III. Die Kündigung ist nicht mangels Beteiligung eines für den Kläger zuständigen Personalrats nach § 78 Abs. 2 des Hessischen Personalvertretungsgesetzes vom 24. März 1988 (HPVG) unwirksam.

50

1. Bei einer außerordentlichen Kündigung sieht § 78 Abs. 2 HPVG eine Anhörung des Personalrats vor. Soweit der Kläger das Unterbleiben einer Beteiligung nach § 77 HPVG gerügt hat, handelt es sich offensichtlich um eine Falschbezeichnung. § 77 Nr. 2 Buchst. i HPVG betrifft die Mitbestimmung bei ordentlichen Kündigungen (außerhalb der Probezeit). Eine Anhörung war im Streitfall nicht etwa nach § 104 Abs. 3 Satz 1 HPVG entbehrlich. Nach dieser Bestimmung entfallen zwar die Mitbestimmung und Mitwirkung des Personalrats in Personalangelegenheiten der in § 104 Abs. 1 HPVG genannten Orchestermitglieder. Das Beteiligungsrecht bei außerordentlichen Kündigungen wird aber als bloßes Anhörungsrecht von dem Ausschluss nicht erfasst (Burkholz HPVG 2. Aufl. § 104 zu 3.2; ders. in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 104 HPVG Rn. 17).

51

2. Indessen sind aus dem Parteivorbringen keine Umstände dafür ersichtlich, dass zum Zeitpunkt der Kündigung vom 21. Dezember 2006 ein Personalrat im Amt gewesen wäre, der nach § 78 Abs. 2 HPVG hätte angehört werden müssen.

52

a) Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe, da in Wirklichkeit kein gemeinsamer Betrieb bestanden habe, nicht den für diesen gewählten Betriebsrat, sondern „den zuständigen Personalrat“ beteiligen müssen. Nach ihrem Vorbringen im Rechtsstreit über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 23. Dezember 2004 hatte die Beklagte vor Ausspruch dieser Kündigung den Personalrat des „Restamts Städtische Bühnen“ angehört. Dabei handelte es sich um denjenigen Personalrat, der für die von der Beklagten zuvor als Eigenbetrieb geführten Städtischen Bühnen gewählt war. Im Konsens aller Beteiligten sollte dieser ein „Übergangsmandat“ für die bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter bis zur Wahl eines eigenen Betriebsrats wahrnehmen (vgl. Hessisches LAG 19. Februar 2009 - 9 TaBV 202/08 - zu I der Gründe).

53

b) Die Amtszeit dieses Personalrats hatte mit Ablauf des 31. August 2004 geendet. Auf die Frage, ob nicht bis zur Rechtskraft der die Betriebsratswahl vom Februar 2005 für ungültig erklärenden gerichtlichen Entscheidung ohnehin nur der für den - vermeintlichen - Gemeinschaftsbetrieb gebildete Betriebsrat zu beteiligen gewesen wäre, kommt es deshalb nicht an.

54

aa) Das Amt des für den Eigenbetrieb gewählten Personalrats endete mit Ablauf des 31. August 2004. Der Eigenbetrieb als Dienststelle der Beklagten wurde durch die Überleitung des Betriebs auf die S GmbH mit Wirkung zum 1. September 2004 iSv. § 81 Abs. 2 HPVG aufgelöst. Im Falle einer Privatisierung endet das Amt des Personalrats (Fitting 25. Aufl. § 130 Rn. 10, 15). Die Änderung der Rechtsform des Trägers der Betriebsorganisation hat den Verlust der bisherigen personalvertretungsrechtlichen Repräsentation zur Folge (Fitting aaO Rn. 15). Die Überführung in eine privatrechtliche Trägerschaft stellt eine Auflösung der Dienststelle im personalvertretungsrechtlichen Sinne dar (Burkholz HPVG 2. Aufl. § 1 zu 4 aE; Hohmann in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 81 HPVG Rn. 276 mwN; v.Roetteken in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 1 HPVG Rn. 158). Hieran ändert im Streitfall nichts, dass zusammen mit dem Kläger eine Vielzahl weiterer Arbeitnehmer der Überleitung ihrer Arbeitsverhältnisse auf die S GmbH widersprochen hatten. Damit blieben sie zwar Arbeitnehmer der Beklagten. Auch mag diese sie in einer Organisationseinheit „Restamt Städtische Bühnen“ zusammengefasst haben. Darin lag aber keine Aufrechterhaltung der Dienststelle des Eigenbetriebs „Städtische Bühnen“. Dieser war auf die S GmbH übergeleitet und damit aufgelöst worden. Dies ergibt sich auch aus einer Organisationsverfügung der Oberbürgermeisterin der Beklagten vom 28. September 2004. Ihr zufolge wurden die bisherigen Organisationseinheiten der Städtischen Bühnen mit Wirkung vom 1. September 2004 aufgelöst und gleichzeitig eine neue Organisationseinheit „Restamt Städtische Bühnen“ eingerichtet (vgl. die Entscheidung des BAG im Verfahren über die Anfechtung der Wahl des Betriebsrats im vermeintlichen Gemeinschaftsbetrieb vom 16. April 2008 - 7 ABR 4/07 - zu A der Gründe, AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 32 = EzA BetrVG 2001 § 1 Nr. 7). Der Kläger behauptet nicht, dass für diese Organisationseinheit bis zum Ausspruch der Kündigung ein neuer Personalrat gewählt worden sei.

55

bb) Der Personalrat der bisherigen Dienststelle „Städtische Bühnen“ blieb nicht deshalb über die Privatisierung zum 1. September 2004 hinaus im Amt, weil im Personalgestellungsvertrag zwischen der Beklagten und der S GmbH vom 1. April 2004 geregelt war, dass der Personalrat gemäß § 103 HPVG die zuständige Interessenvertretung für die gestellten Arbeitnehmer sei(vgl. Hessisches LAG 19. Februar 2009 - 9 TaBV 202/08 - zu I der Gründe). § 103 HPVG bestimmt, dass öffentliche Theater und selbständige Orchester Dienststellen im Sinne des HPVG sind. Diese gesetzliche Fiktion dient vor allem der Klarstellung (Burkholz in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 103 HPVG Rn. 7). Zu den Folgen der Auflösung einer Dienststelle durch ihre Privatisierung verhält sich § 103 HPVG nicht. Durch vertragliche Vereinbarung wiederum kann der gesetzliche Anwendungsbereich des Personalvertretungsrechts nicht wirksam verändert werden.

56

cc) Ein gesetzlich vorgesehenes Übergangsmandat des Personalrats, wie es zB für die Umwandlung eines Universitätsklinikums in § 98 Abs. 6 HPVG geregelt ist, bestand im Streitfall nicht. Wenn der Personalrat zur Schließung dieser möglichen Schutzlücke (vgl. dazu Fitting 25. Aufl. § 130 Rn. 15) ein Übergangsmandat für die bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter wahrnahm (vgl. Hessisches LAG 19. Februar 2009 - 9 TaBV 202/08 -), dauerte dieses allenfalls bis zur Wahl des Betriebsrats, längstens sechs Monate (vgl. Fitting aaO Rn. 17). Zudem gilt ein Personalrat, der in Privatisierungsfällen ein Übergangsmandat wahrnimmt, als Betriebsrat und hat Rechte und Pflichten aus dem Betriebsverfassungs-, nicht dem Personalvertretungsgesetz (vgl. Fitting aaO Rn. 18 f.).

57

3. Für die Anhörung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers war nicht ein bei der Beklagten errichteter Gesamtpersonalrat zuständig. Bei individuellen Maßnahmen ist der Gesamtpersonalrat, unabhängig von der Entscheidungsbefugnis des Dienststellenleiters, gem. § 83 Abs. 4 iVm. Abs. 1 und Abs. 2 HPVG unzuständig (Hohmann in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 83 HPVG Rn. 96). Bei der Anhörung zu einer außerordentlichen Kündigung nach § 78 Abs. 2 HPVG gibt es zudem kein Stufenverfahren, so dass eine Beteiligung des Gesamtpersonalrats nach § 52 Abs. 2 HPVG ebenfalls nicht in Betracht kommt.

58

IV. Als unterlegene Partei hat der Kläger gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    Beckerle    

        

    B. Schipp    

                 

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.

(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.

(2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 4. September 2012 - 17 Sa 1010/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten und über Vergütungsansprüche des Klägers.

2

Die Beklagte ist die Spitzenorganisation der Betriebskrankenkassen und ihrer Landesverbände. Sie beschäftigt mehr als 100 Arbeitnehmer. Der Kläger war bei ihr seit 1989 als Angestellter beschäftigt. Mit Wirkung vom 1. Januar 2004 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag, demzufolge der Kläger zum außertariflichen Angestellten wurde. Der Vertrag wurde mehrfach geändert. Zuletzt war der Kläger als Leiter des Stabsbereichs Unternehmensstrategie und Beteiligungscontrolling zu einem Bruttojahresgehalt von ca. 137.195,00 Euro zuzüglich Dienstwagen tätig.

3

Bis zum 31. Dezember 2008 wurde die Beklagte als vormalige Körperschaft des öffentlichen Rechts durch ihren hauptamtlichen Vorstand - ua. Herrn S - und den ehrenamtlichen Verwaltungsrat vertreten. Der Vorstand führte die laufenden Geschäfte einschließlich der Personalverwaltung. Er hatte die Letztverantwortung für die Ausgestaltung der Arbeitsverträge und vertrat die Beklagte gerichtlich und außergerichtlich. Seit Januar 2009 ist die Beklagte aufgrund gesetzlicher Anordnung gemäß § 212 SGB V eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, vertreten durch ihren Geschäftsführer.

4

Die Beklagte, der Bundesverband der Innungskrankenkassen, die DAK sowie weitere Ersatz- und Betriebskrankenkassen gründeten als Gemeinschaftsunternehmen die B GmbH. Diese diente nach dem Gesellschaftsvertrag aus dem Jahr 2008 den Belangen der Sozialversicherung und hatte bei ihrer Tätigkeit die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten. Ihre Gesellschafter wurden satzungsgemäß durch einen Aufsichtsrat vertreten, in den auch die Beklagte einen Vertreter entsandte. Von Juni 2008 bis zum 6. Oktober 2009 war Herr S Vorsitzender des Aufsichtsrats.

5

Im August 2008 schlossen der Kläger und die B GmbH mit Wirkung vom 1. September 2008 einen Geschäftsführer-Dienstvertrag. Der Vertrag war bis zum 31. August 2013 befristet und sah für den Kläger ein Jahresbruttogehalt von 193.000,00 Euro sowie einen Bonus von bis zu 25 vH des Grundgehalts vor. Der Vertrag war von dem bis dahin einzigen Geschäftsführer der B GmbH, Herrn K, erstellt, von einer Rechtsanwaltskanzlei überarbeitet und auf Seiten der B GmbH von Herrn S als Vorsitzendem des Aufsichtsrats sowie dessen beiden Stellvertretern unterschrieben worden. In dem Vertrag heißt es ua.:

        

§ 1 Aufgaben und Tätigkeitsbereich

        

…       

        

5.    

Der Geschäftsführer ist verpflichtet, der Gesellschaft sein ganzes Wissen und Können sowie seine volle Arbeitskraft zu widmen. Jede Aufnahme einer Nebentätigkeit sowie … bedürfen der vorherigen Zustimmung des Präsidiums und des Aufsichtsrates der Gesellschaft.

        

6.    

Die folgenden Tätigkeiten gelten als genehmigt:

                 

…       

                 

Dem Geschäftsführer werden nach seinem freien Ermessen Tätigkeiten für den Bundesverband der Betriebskrankenkassen gestattet. Eine solche Tätigkeit ist zunächst bis zum 31.12.2008 vorgesehen.

        

…       

        
        

§ 11 Vertragsdauer

        

1.    

Dieser Vertrag beginnt am 01.09.2008.

        

2.    

Der Vertrag wird auf fünf Jahre fest abgeschlossen und endet mit Ablauf des 31.08.2013. Das ordentliche Kündigungsrecht der Gesellschaft ist während der festen Laufzeit des Vertrages ausgeschlossen. Das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund bleibt unberührt. Über eine mögliche Verlängerung werden die Parteien sich gegenseitig bis spätestens zwölf Monate vor Ablauf des Vertrages schriftlich informieren.

        

3.    

In Ausnahme zu Abs. 2 gilt während der Festlaufzeit des Vertrages Folgendes: Bei vorzeitiger organschaftlicher Abberufung des Geschäftsführers der B GmbH endet der vorliegende Anstellungsvertrag mit dem Wirksamwerden der Abberufung. In diesem Fall erhält der Geschäftsführer eine Abfindung. Die Höhe der Abfindung entspricht den Bezügen gemäß § 3 dieses Vertrages, d. h. dem Jahresgrundgehalt sowie der jährlichen Tantieme in voller Höhe sowie der Überlassung des Firmenwagens bis zum Ende der Vertragslaufzeit gemäß Abs. 2 oder bei entsprechender Vertragsverlängerung bis zum Ablauf der laufenden Vertragsperiode. …“

6

Mit Schreiben vom 23. Dezember 2008 bat der Kläger Herrn S unter Bezug auf ein Gespräch vom 2. Juli 2008 darum, folgende Vereinbarung über das Ruhen seines - des Klägers - Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten während seiner Tätigkeit als Geschäftsführer für die B GmbH zu bestätigen:

        

„(1)   

Der BKK Bundesverband und der Unterzeichner sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Anstellungsverhältnis ab dem 31. Dezember 2008 ruht.

                 

…       

        

(2)     

…       

        

(3)     

Während des Ruhens des Anstellungsverhältnisses ist eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen. Die Ruhensvereinbarung ist bis zum 31. Dezember 2014 befristet.

        

(4)     

Die Hauptpflichten aus dem Vertrag mit dem BKK Bundesverband leben wieder auf, wenn die Anstellungs- und/oder Geschäftsführertätigkeit des Mitarbeiters bei der B oder verbundenen Unternehmen vollständig rechtlich beendet ist, gleich von welcher Seite, gleich aus welchem Grund.

        

(5)     

Mit Beendigung des Anstellungs- und Dienstverhältnisses des Mitarbeiters zur B und verbundenen Unternehmen wird der BKK Bundesverband dem Mitarbeiter eine seiner bisherigen Beschäftigung beim BKK Bundesverband gleichwertige Beschäftigung anbieten. Die gegenseitigen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen leben dann entsprechend auf.

        

…“    

        
7

Mit Schreiben vom 29. Dezember 2008 bestätigte Herr S den Inhalt der Vereinbarung wie folgt:

        

„Ich habe die Formulierungen Ihres vorgenannten Schreibens anhand meiner Aufzeichnungen über unser Gespräch vom 25.08.2008 geprüft und bestätige durch meine Handzeichen auf dem wieder beigefügten Schreiben, dass sie unseren seinerzeitigen Absprachen vollumfänglich entsprechen.“

8

Von September bis Dezember 2008 zahlten dem Kläger sowohl die Beklagte als auch die B GmbH jeweils die vertraglich vereinbarten Bezüge.

9

Mit Schreiben vom 12. März 2010 kündigte die Beklagte „vorsorglich“ ein zwischen den Parteien bestehendes Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht. Sie hielt ihm Untreue zu ihren Lasten vor. Durch einstimmigen Beschluss des Aufsichtsrats der B GmbH vom 17. März 2010 wurde der Kläger als deren Geschäftsführer abberufen.

10

Unter dem 17. März 2010 erstattete die Beklagte gegen den Kläger und Herrn S Strafanzeige wegen des Verdachts der Untreue. Im Juni 2011 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Auf die Beschwerde der Beklagten verfügte sie im Juli 2011 dessen Wiederaufnahme. Im März 2012 wurde das Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Tatverdachts erneut eingestellt.

11

Gegen die Kündigung vom 12. März 2010 hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben; er hat ferner Weiterbeschäftigung und Zahlung seiner monatlichen Vergütung ab April 2010 begehrt. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, es fehle an einem (wichtigen) Grund für die Kündigung und an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats. Der Vorwurf, er habe für den Zeitraum von September bis Dezember 2008 doppelt Vergütung bezogen, entbehre der inneren Berechtigung. Er habe in dieser Zeit sowohl für die Beklagte als auch für die B GmbH Arbeitsleistungen erbracht. Schon seit dem Frühjahr 2008 sei er mit Genehmigung von Herrn S neben seiner Tätigkeit für die Beklagte am Aufbau der B-Unternehmensgruppe beteiligt gewesen. Hierfür habe er bis September 2008 keine Vergütung bezogen, habe aber seine Dienstpflichten unter Verzicht auf einen wesentlichen Teil des Jahresurlaubs erfüllt und Arbeiten während des Urlaubs und an Wochenenden durchgeführt. Grund für seine Doppeltätigkeit sei gewesen, dass er sich im System des Bundesverbands der gesetzlichen Krankenkassen bestens ausgekannt habe, während sich ein Dritter in die komplexe und umfangreiche Materie erst hätte einarbeiten müssen. Von einem Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung könne nicht die Rede sein. Die Zahlungen seien überdies mit ausdrücklichem Einverständnis von Herrn S erfolgt.

12

Er habe die Vereinbarungen für den Fall seines Ausscheidens bei der B GmbH nicht in der Absicht getroffen, sich eine unangemessene Überversorgung auf Kosten der Beklagten zu verschaffen. Die Gespräche über die Ruhensvereinbarung seien im April/Mai 2008 aufgenommen worden, als abzusehen gewesen sei, dass er einer der Geschäftsführer der B GmbH werden solle. Sein Anstellungsvertrag habe eine Kündigungsfrist von sechs Jahren zum Jahresende vorgesehen. Er habe die Sicherheit einer Beschäftigung bei der Beklagten nicht gegen eine unsichere Anstellung als Geschäftsführer der B GmbH eintauschen wollen. Beide Parteien seien von einer interessengerechten und wirtschaftlichen Angemessenheit der Vereinbarung ausgegangen. Ein möglicher Missbrauch der Vertretungsmacht durch Herrn S sei für ihn nicht erkennbar gewesen.

13

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose Kündigung vom 12. März 2010 beendet worden ist noch durch die fristgerechte Kündigung vom 12. März 2010 beendet werden wird;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn am 30. April 2010 sowie an jedem letzten Tag der Folgemonate, die vor rechtskräftiger Entscheidung der vorstehenden Klageanträge liegen, 11.432,94 Euro brutto zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen;

        

3.    

die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits als Leiter Stabsbereich Unternehmensstrategie/Beteiligungscontrolling oder in gleichwertiger Position zu beschäftigen.

14

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, zwischen den Parteien habe seit dem Wechsel des Klägers zur B GmbH kein Arbeitsverhältnis mehr bestanden. Es sei durch die Ruhensvereinbarung auch nicht wieder aufgelebt. Diese sei sittenwidrig im Sinne des § 138 BGB. Der Kläger habe zusammen mit Herrn S planmäßig und bewusst zu ihrem Nachteil gehandelt. Dies ergebe sich aus der Zusammenschau aller Indizien, insbesondere aus der Kombination der Verträge. Diese stellten eine Rundumabsicherung des Klägers dar, die ihre Vermögenslage erheblich beeinträchtige. Wegen des vorgesehenen Wiederauflebens der bisherigen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen trage sie das volle wirtschaftliche Risiko der Beendigung des Vertrags mit der B GmbH. Von dieser wiederum erhalte der Kläger selbst bei einer Abberufung wegen Nichteignung die gesamten Bezüge für die Restlaufzeit seines Vertrags als Geschäftsführer. Gleichzeitig lebe der Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu den alten Bezügen bei ihr, der Beklagten, wieder auf, ohne dass die Anrechnung von Abfindungszahlungen vorgesehen wäre. Bereits daraus ergebe sich die Sittenwidrigkeit der Verträge. Dem Kläger sei überdies bekannt gewesen - zumindest habe ihm bekannt sein müssen -, dass ihr damaliger Vorstand bei Abschluss der Verträge seine Vertretungsmacht missbraucht habe. Dabei sei zu berücksichtigen, dass sie gemäß § 69 SGB IV nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu handeln habe. Dieses Gebot sei nicht nur bei der Aufstellung des Haushaltsplans, sondern auch bei der Ausführung des Haushalts und damit bei Abschluss aller Verträge zu beachten.

15

In jedem Fall sei das Arbeitsverhältnis durch die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 12. März 2010 beendet worden. Es liege ein wichtiger Grund vor. Ihr seit September 2009 bestellter neuer Geschäftsführer - zugleich Mitglied des Aufsichtsrats der B GmbH - habe erstmals am 5. März 2010 erfahren, dass der Kläger von September bis Dezember 2008 Gehaltszahlungen sowohl von der B GmbH als auch von ihr erhalten habe. Ein solches Verhalten sei inakzeptabel. Der Kläger sei verpflichtet gewesen, seine ganze Arbeitskraft ihr zur Verfügung zu stellen und dabei ggf. auch über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus tätig zu werden. Das habe er ersichtlich nicht getan. Niemand sei in der Lage, seine volle Arbeitskraft zeitgleich zweimal zur Verfügung zu stellen. Im Übrigen sei der Kläger zu den Tätigkeiten für die B GmbH im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses mit ihr ohnehin verpflichtet gewesen. Dass er während des Urlaubs und an Wochenenden zusätzliche Arbeiten erbracht habe, hat die Beklagte bestritten. Die Billigung der Zahlungen durch ihren damaligen Vorstand sei ohne Bedeutung. Die Gesamtumstände ließen nur die Annahme eines gemeinschaftlichen kollusiven Verhaltens zu ihrem Nachteil zu. Auf die Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen komme es kündigungsrechtlich nicht an.

16

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht dem Zahlungsantrag unter der Bedingung, „dass das Arbeitsverhältnis besteht, der Kläger nicht zusammenhängend mehr als sechs Wochen krankgeschrieben war, kein unbezahlter Urlaub genommen wurde und keine unentschuldigten Fehlzeiten vorliegen“. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

17

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

18

I. Die Kündigungsschutzklage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 12. März 2010 beendet worden, noch wird es durch die fristgerechte Kündigung von diesem Tage zum Ende des Jahres 2016 beendet werden.

19

1. Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bestand zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis.

20

a) Einer Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG kann nur stattgegeben werden, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht bereits aufgrund anderer Beendigungstatbestände aufgelöst ist. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ist Voraussetzung für die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst wurde (BAG 22. November 2012 - 2 AZR 738/11 - Rn. 9; 27. Januar 2011 - 2 AZR 826/09 - Rn. 13).

21

b) Der Kläger war bei der Beklagten als Angestellter, zuletzt aufgrund der Änderungsvereinbarung vom 18. Dezember 2007 als Leiter des Stabsbereichs Unternehmensstrategie und Beteiligungscontrolling, beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war im Zeitpunkt der Kündigung vom 12. März 2010 nicht beendet. Es fehlt an einem formwirksamen Beendigungstatbestand, der es vor Zugang der Kündigung aufgelöst haben könnte.

22

aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob die zwischen dem Kläger und ihrem damaligen Vorstand geschlossene Ruhensvereinbarung wirksam war. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, hätte das Arbeitsverhältnis - dann erst recht - fortbestanden. Für seinen rechtlichen Bestand ist es unerheblich, ob die Hauptleistungspflichten ruhten oder nicht.

23

bb) Der Geschäftsführer-Dienstvertrag des Klägers mit der B GmbH enthielt keine dem Formerfordernis des § 623 BGB genügende Vereinbarung über die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Dies gilt unabhängig davon, ob nicht die Ruhensvereinbarung ohnehin gegen einen Beendigungswillen der Parteien sprach.

24

(1) Zwar liegt in dem Abschluss eines Geschäftsführer-Dienstvertrags durch einen Mitarbeiter im Zweifel die konkludente Aufhebung des bisherigen Arbeitsverhältnisses (BAG 3. Februar 2009 - 5 AZB 100/08 - Rn. 8). Nach dem Willen der vertragschließenden Parteien soll in aller Regel neben dem Dienstverhältnis nicht noch ein Arbeitsverhältnis - ruhend - fortbestehen. Etwas anderes ist nur in Ausnahmefällen anzunehmen, für die deutliche Anhaltspunkte vorliegen müssen (BAG 3. Februar 2009 - 5 AZB 100/08 - aaO; 14. Juni 2006 -  5 AZR 592/05  - Rn. 18, BAGE 118, 278 ). Der schriftliche Geschäftsführer-Dienstvertrag wahrt regelmäßig das Formerfordernis des § 623 BGB für den Vertrag über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses(BAG 3. Februar 2009 - 5 AZB 100/08 - aaO; vgl. auch 19. Juli 2007 - 6 AZR 774/06  - Rn. 23 , BAGE 123, 294).

25

(2) Dies gilt aber nur, wenn - wie in den vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fällen - die Parteien des Geschäftsführer-Dienstvertrags zugleich die Parteien des Arbeitsvertrags sind. Anderenfalls gibt es kein schriftliches Rechtsgeschäft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, in dem die Vereinbarung über die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses liegen kann. Soweit das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 14. Juni 2006 (- 5 AZR 592/05 - Rn. 18, BAGE 118, 278) angenommen hat, es komme nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer den Geschäftsführer-Dienstvertrag mit einer anderen Gesellschaft oder mit seinem Arbeitgeber abschließe, betraf dies die konkludente Aufhebung des bisherigen Arbeitsverhältnisses und fand § 623 BGB noch keine Anwendung.

26

(3) Der zwischen dem Kläger und der B GmbH geschlossene Geschäftsführer-Dienstvertrag datiert vom 25. August 2008. § 623 BGB ist am 1. Mai 2000 in Kraft getreten. Eine Aufhebungsvereinbarung zwischen dem Kläger und der Beklagten bedurfte deshalb der Schriftform. Sie ist durch den Geschäftsführer-Dienstvertrag mit der B GmbH nicht gewahrt. An diesem waren ausschließlich der Kläger und die B GmbH beteiligt. Die Beklagte hat nicht etwa geltend gemacht, es habe sich in Wirklichkeit um einen dreiseitigen Vertrag gehandelt, bei dessen Abschluss sie zwecks Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger durch die B GmbH vertreten worden sei. Im Übrigen wäre dies aus dem Vertrag nicht ersichtlich. § 126 BGB verlangt jedoch, dass die Parteien und etwaige Vertretungsverhältnisse in der Vertragsurkunde benannt sind(vgl. RG 30. September 1919 - II 105/19 - RGZ 96, 286, 289; APS/Greiner 4. Aufl. § 623 BGB Rn. 30).

27

2. Die fristlose Kündigung der Beklagten vom 12. März 2010 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, es fehle an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB. Ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist und der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört wurde, bedarf keiner Entscheidung.

28

a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses angesichts der konkreten Umstände des Falls und bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht ( BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 32/11 - Rn. 13; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 14 ).

29

b) Ein wichtiger Grund lag im Streitfall nicht vor. Es fehlt an einem pflichtwidrigen Verhalten des Klägers.

30

aa) Der Kläger hat nicht dadurch gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen, dass er eine der doppelten Gehaltszahlungen für die Zeit von September bis Dezember 2008 nicht zurückwies. Er hatte nicht offensichtlich auf eine der beiden Leistungen keinen Anspruch. Zugunsten der Beklagten kann dabei unterstellt werden, dass diese aufgrund ihrer Stellung als Mitgesellschafterin auch durch Zahlungsverpflichtungen der B GmbH nicht unerheblich belastet wurde.

31

(1) Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestand während des fraglichen Zeitraums fort. Der Kläger hat auch tatsächlich bis Ende Dezember 2008 für die Beklagte Aufgaben im Zusammenhang mit den sog. Finanzhilfeverfahren erledigt. Seinem entsprechenden Vorbringen ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung diesen Sachverhalt zugrunde gelegt. Verfahrensrügen hat die Beklagte insoweit nicht erhoben. Daneben hatte der Kläger ab September 2008 die Tätigkeit als Geschäftsführer der B GmbH aufgenommen.

32

(2) Dass ihm offensichtlich eines der gezahlten Gehälter nicht zugestanden hätte, ist weder nachvollziehbar vorgetragen noch objektiv ersichtlich. Die Beklagte hat nicht dargelegt, inwiefern der Kläger seinen Verpflichtungen ihr oder der B GmbH gegenüber zumindest teilweise nicht nachgekommen sei. Sie hat allein geltend gemacht, er habe seine Arbeitskraft zur gleichen Zeit nicht zweimal in vollem Umfang zur Verfügung stellen können. Daraus folgt nicht, dass er auf eines der Gehälter offensichtlich keinen Anspruch gehabt hätte.

33

(a) Die Vereinbarungen des Klägers mit der Beklagten und der B GmbH ließen das Entstehen eines solchen Doppelanspruchs zu. Der Kläger sollte ab dem 1. September 2008 als Geschäftsführer für die B GmbH tätig sein, obwohl ein Ruhen seines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten erst mit Wirkung ab Januar 2009 vorgesehen war. § 1 Ziffer 6 Abs. 2 des Geschäftsführer-Dienstvertrags gestattete ihm ausdrücklich, die Tätigkeit für die Beklagte noch bis Ende Dezember 2008 weiter auszuüben.

34

(b) Auch wenn der Kläger nach dem Arbeitsvertrag der Parteien der Beklagten seine volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen hatte, erlaubten die zuletzt getroffenen Vereinbarungen die Annahme, es bestehe Einigkeit, dass die Aufgaben, die er noch bis Ende des Jahres 2008 für sie zu erledigen hätte, es rechtfertigten, ihm den vollen Vergütungsanspruch zu belassen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wusste die Beklagte, dass der Kläger ab September 2008 seine Tätigkeit als Geschäftsführer der B GmbH aufnehmen würde. Dennoch hat sie sich mit ihm darauf verständigt, das Ruhen des Arbeitsverhältnisses erst ab Januar 2009 eintreten zu lassen und bis dahin von einer Kürzung seines Gehalts abzusehen. Der Umstand, dass sowohl die Beklagte als auch die B GmbH nach § 69 SGB IV an die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gebunden sind, lässt nicht erkennen, dass der Kläger insoweit Pflichten verletzt haben könnte. Bei der Gestaltung seiner Verträge mit der Beklagten und der B GmbH handelte er ausschließlich für sich selbst und nicht als Vertreter seines jeweiligen Vertragspartners. Die Wahrung der Grundsätze des § 69 SGB IV oblag in diesem Zusammenhang allein den für die Beklagte bzw. die B GmbH handelnden Personen.

35

(c) Dem Kläger musste nicht bewusst sein, dass er deshalb keinen Anspruch auf die doppelten Gehaltszahlungen habe, weil er sie im kollusiven Zusammenwirken mit dem damaligen Vorstand der Beklagten zu deren Nachteil erwirkt hätte oder es sich ihm aufdrängen musste, dieser habe seine Vertretungsmacht zum Nachteil der Beklagten überschritten.

36

(aa) Für ein bewusstes gemeinsames Handeln des Klägers und des Vorstands zum Nachteil der Beklagten fehlt es an Anhaltspunkten. Dass Letzterer von den Vereinbarungen mit dem Kläger irgendeinen eigenen Vorteil hatte, hat die Beklagte nicht behauptet. Es ist auch nicht ersichtlich, aus welchen Gründen er sonst bewusst Abreden zum Nachteil der Beklagten hätte treffen sollen.

37

(bb) Es ist weder dargelegt noch objektiv ersichtlich, dass die erfolgten Zahlungen in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den vom Kläger in den Monaten September bis Dezember 2008 für die Beklagte bzw. die B GmbH erbrachten Arbeitsleistungen gestanden hätten. Unerheblich ist, ob der Kläger, wie er behauptet hat, schon vor September 2008 überobligationsmäßige Tätigkeiten für die B GmbH erbrachte. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, waren die doppelten Gehaltszahlungen schon deshalb nicht offensichtlich unberechtigt, weil der Kläger in der fraglichen Zeit tatsächlich für beide Gesellschaften tätig war.

38

(cc) Die Ruhensvereinbarung mit der Beklagten war nicht deshalb offensichtlich einseitig zu deren Nachteil, weil sie erst ab Januar 2009 gelten sollte, obwohl der Kläger seine Geschäftsführertätigkeit für die B GmbH bereits am 1. September 2008 aufnahm. Zwar hätte der Kläger nicht zur selben Zeit für die Beklagte und die B GmbH tätig werden und dementsprechend doppeltes Gehalt beziehen können, wenn die Parteien das Ruhen des Arbeitsverhältnisses bereits ab September 2008 vereinbart hätten. Für den Beginn ab Januar 2009 gab es nach dem Vorbringen des Klägers jedoch sachliche Gründe. Es sei erforderlich gewesen, dass er näher erläuterte Tätigkeiten noch bis Ende 2008 für die Beklagte erledigte. Dem ist die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob andere (ehemalige) Geschäftsführer der B GmbH ihre Dienstverträge so geschlossen oder die Vereinbarungen mit ihren früheren Arbeitgebern so getroffen hatten, dass kein paralleler Gehaltsbezug eintreten konnte.

39

bb) Der Kläger hat seine Pflichten zur Rücksichtnahme auf die Belange der Beklagten aus § 241 Abs. 2 BGB nicht dadurch verletzt, dass er im kollusiven Zusammenwirken mit dem Vorstand oder weil er hätte erkennen müssen, dass dieser seine Vertretungsmacht missbrauche, für die Zeit nach einer Beendigung seiner Geschäftsführertätigkeit Vereinbarungen getroffen hätte, die einseitig zum Nachteil der Beklagten ausfielen. Auch insoweit kann unterstellt werden, dass die Beklagte als Gesellschafterin der B GmbH durch deren Zahlungsverpflichtungen ebenfalls belastet wurde.

40

(1) Für ein vorsätzliches gemeinsames Handeln des Klägers und des ehemaligen Vorstands der Beklagten bzw. Aufsichtsratsvorsitzenden der B GmbH fehlt es erneut an Anhaltspunkten. Auch aus den nachträglich eingetretenen Umständen lässt sich nicht auf eine mögliche Schädigungsabsicht schließen. So hat nicht etwa der Kläger selbst die Beendigung seiner Tätigkeit als Geschäftsführer veranlasst. Vielmehr hat die B GmbH ihn als solchen abberufen und dadurch das Entstehen des Abfindungsanspruchs und das Wiederaufleben des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten ausgelöst. Dass dem Kläger Vertragsverletzungen vorzuwerfen gewesen wären, die seine Abberufung erforderlich gemacht hätten, hat die Beklagte nicht behauptet. Ebenso wenig hat sie vorgetragen oder ist objektiv ersichtlich, dass Herr S auf die im März 2010 beschlossene Abberufung des Klägers Einfluss gehabt hätte. Vorsitzender des Aufsichtsrats der B GmbH war er nur bis Anfang Oktober 2009.

41

(2) Die Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, aufgrund derer der Kläger notwendig davon hätte ausgehen müssen, dass Herr S ihm unter Überschreitung seiner Vertretungsmacht einseitig Vorteile zu ihren Lasten gewähre.

42

(a) Im Ausgangspunkt durfte der Kläger annehmen, die getroffenen Vereinbarungen seien nicht nur für ihn günstig, sondern lägen auch im Interesse der Beklagten und der B GmbH, da diese ihnen anderenfalls nicht hätten zuzustimmen brauchen.

43

(b) Dass Herr S seine Vertretungsmacht missbraucht haben musste, ergab sich weder aus dem Inhalt der Ruhensvereinbarung als solcher noch aus einer Zusammenschau mit der Abfindungsregelung im Geschäftsführer-Dienstvertrag.

44

(aa) Die Abreden der Parteien über das Ruhen des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses während der Tätigkeit des Klägers als Geschäftsführer der B GmbH und über ein Wiederaufleben des Vertrags nach deren Ende waren nicht unüblich. Sie trugen dem Interesse des Klägers Rechnung, das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten nach einer Beendigung der Geschäftsführertätigkeit wieder aufnehmen zu können. Der Geschäftsführer-Dienstvertrag war - unabhängig von der Möglichkeit einer noch früheren Beendigung - auf fünf Jahre befristet. Der Kläger war zudem von Seiten der B GmbH nur bei einer vorzeitigen Abberufung als Geschäftsführer durch den Abfindungsanspruch abgesichert, nicht aber, falls sein Vertrag aus anderen Gründen enden würde. Die Vereinbarung über das Ruhen des Arbeitsverhältnisses lief auch nicht offenkundig den Interessen der Beklagten zuwider. Dass Herr S ihr zustimmte, ließ den Schluss zu, es liege auch in ihrem Interesse, den Kläger als Geschäftsführer für die B GmbH zu gewinnen. Umgekehrt war klargestellt, dass sie den Kläger ab Beginn des Jahres 2009 bis zur Beendigung seiner Geschäftsführertätigkeit nicht würde beschäftigen oder vergüten müssen.

45

(bb) Die Abfindung war ausschließlich für den Fall geschuldet, dass die B GmbH den Kläger vorzeitig als Geschäftsführer abberiefe. Da vereinbart war, dass der zugrunde liegende Vertrag mit dem Wirksamwerden der Abberufung automatisch enden würde, diente sie der Kompensation für dem Kläger dadurch entgehende Bezüge. Sie entsprach damit ebenfalls einem wirtschaftlich angemessenen Interessenausgleich. Zwar war für den Fall, dass der Kläger aus anderweitiger Tätigkeit - etwa aus der Wiederaufnahme des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten - Einkünfte erzielte, keine Anrechnungsklausel vorgesehen. Auch darin lag aber kein offensichtlicher Missbrauch der Vertretungsmacht durch Herrn S. Das Fehlen einer Anrechnungsklausel konnte - wie auch das Landesarbeitsgericht angenommen hat - ebenso gut darauf beruhen, dass bei Vertragsschluss niemand eine vorzeitige Abberufung des Klägers ernsthaft in Betracht gezogen hatte und damit verbundene Konsequenzen deshalb nicht ausreichend bedacht worden waren.

46

(c) Sonstige Umstände, aufgrund derer der Kläger hätte erkennen müssen, dass es Herrn S unter Missbrauch seiner Vertretungsmacht um eine den Interessen der Beklagten zuwiderlaufende Begünstigung seiner - des Klägers - Person ging, sind weder vorgetragen noch objektiv ersichtlich. Auf die möglicherweise anderslautenden Vereinbarungen mit weiteren Geschäftsführern der B GmbH kann in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht abgestellt werden, weil die Beklagte nicht behauptet hat, dass diese dem Kläger bekannt waren.

47

3. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung ist sozial nicht gerechtfertigt und daher nach § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam. Der Kläger hat keine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob die ordentliche Kündigung nach der Ruhensvereinbarung nicht ohnehin ausgeschlossen war und ob der Betriebsrat zuvor ordnungsgemäß beteiligt wurde.

48

II. Der Zahlungsantrag ist zulässig und begründet. Er betrifft - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht - Verpflichtungen für die Vergangenheit und die Zukunft.

49

1. Die Revision ist allerdings auch hinsichtlich dieses Streitgegenstands eingelegt und zulässig. Die Beklagte verfolgt mit ihr das Ziel, die Klage möge insgesamt abgewiesen werden. Es fehlt nicht an der erforderlichen Auseinandersetzung mit dem Berufungsurteil. Die Entscheidung über den Zahlungsantrag hängt nach der Begründung des Landesarbeitsgerichts unmittelbar von derjenigen über die Kündigungsschutzklage ab. Vergütungsansprüche des Klägers für Zeiten nach Ausspruch der fristlosen Kündigung setzen voraus, dass diese das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat. Mit einem erfolgreichen Angriff auf die Entscheidung über das Feststellungsbegehren des Klägers fallen sie weg.

50

2. Der Zahlungsantrag ist auch insoweit zulässig, wie er im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht auf zukünftige Leistung gerichtet war.

51

a) Nach § 259 ZPO kann Klage auf künftige Leistung erhoben werden, wenn den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt ist, der Schuldner werde sich der rechtzeitigen Leistung entziehen. § 259 ZPO lässt die Verurteilung auch zu solchen künftigen Leistungen zu, die von einer im Urteil anzugebenden Gegenleistung abhängig sind. Zukünftige Vergütungsansprüche von Arbeitnehmern rechnen zu den künftigen Leistungen iSv. § 259 ZPO( BAG 28. Januar 2009 - 4 AZR 904/07  - Rn. 42; 13. März 2002 - 5 AZR 755/00  - zu I 1 der Gründe). Da künftige Vergütungsansprüche entfallen, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wird, die geschuldete Arbeitsleistung ausbleibt oder Vergütung nicht mehr fortzuzahlen ist (zB bei längerer Krankheit oder unbezahltem Urlaub), sind die für den Vergütungsanspruch maßgeblichen Bedingungen in den Antrag aufzunehmen. Unerwartetes kann unberücksichtigt bleiben ( BAG 9. April 2008 - 4 AZR 104/07  - Rn. 28; 13. März 2002 - 5 AZR 755/00  - aaO).

52

b) Diesem Erfordernis, die maßgeblichen Bedingungen der künftigen Vergütungsansprüche in den Antrag aufzunehmen, ist der Kläger im Berufungsverfahren nachgekommen. Das Landesarbeitsgericht hat dem im Tenor seines Urteils Rechnung getragen.

53

c) Soweit das Landesarbeitsgericht die Besorgnis nicht rechtzeitiger Leistung durch die Beklagte als berechtigt angesehen hat, hält dies einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die Beklagte hatte die Zahlung weiterer Vergütung - wegen des ihrer Ansicht nach spätestens durch die fristlose Kündigung beendeten Arbeitsverhältnisses - grundsätzlich abgelehnt und Zahlungen lediglich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erbracht.

54

3. Der Kläger hat für die Zeit ab April 2010 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits einen Anspruch auf die vertragliche Vergütung aus § 615 Satz 1, § 611 Abs. 1 iVm. §§ 293 ff. BGB.

55

a) Aufgrund der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 12. März 2010 bestand das Arbeitsverhältnis der Parteien im Anspruchszeitraum fort. Zu welchem Zeitpunkt die ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis hätte auflösen können, kann dahinstehen, da auch sie unwirksam ist.

56

b) Ab dem Wiederaufleben der gegenseitigen Hauptleistungspflichten am 17. März 2010 - und somit allemal ab dem 1. April 2010 - befand sich die Beklagte iSd. §§ 293 ff. BGB mit der Annahme der Arbeitsleistung des Klägers in Verzug. Da in einer fristlosen Kündigung zugleich die Erklärung des Arbeitgebers liegt, die Leistung des Arbeitnehmers nicht mehr annehmen zu wollen, bedurfte es keines Angebots des Klägers, um den Annahmeverzug zu begründen, §§ 295, 296 Satz 1 BGB(vgl. BAG 16. Mai 2012 - 5 AZR 251/11  - Rn. 12, BAGE 141, 340; 24. September 2003 - 5 AZR 500/02  - zu I der Gründe mwN, BAGE 108, 27).

57

c) Der Anspruch des Klägers ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Vereinbarung der Parteien über das Wiederaufleben ihres Arbeitsverhältnisses iSv. § 138 BGB sittenwidrig wäre, wie die Beklagte geltend gemacht hat.

58

aa) Die Vereinbarung über das Wiederaufleben eines Arbeitsverhältnisses kann für sich genommen nicht sittenwidrig sein. Durch sie wird lediglich das Ruhen der Hauptleistungspflichten beendet und damit der übliche, auf Austausch von Arbeit und Vergütung gerichtete Rechtszustand wieder hergestellt. Die vorausgehende Vereinbarung, das Arbeitsverhältnis ruhen zu lassen, solange der Arbeitnehmer für einen anderen Arbeit-/Dienstgeber tätig ist, widerspricht ebenso wenig den guten Sitten. Wäre stattdessen die gesamte Ruhensvereinbarung nichtig, hätte das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien im Übrigen erst recht fortbestanden.

59

bb) Die Vereinbarung der Parteien, ihr Arbeitsverhältnis wieder aufleben zu lassen, war auch nicht deshalb sittenwidrig, weil zugunsten des Klägers im Dienstvertrag mit der B GmbH der Anspruch auf Zahlung einer Abfindung vorgesehen war. Die beiden Abreden sind je für sich zu betrachten. Das folgt schon daraus, dass sie von verschiedenen Vertragspartnern geschlossen wurden. Zudem hat die Beklagte nicht behauptet, dass die Ruhensvereinbarung mit ihr erst getroffen worden sei, nachdem bereits festgestanden habe, welchen Inhalt der Geschäftsführer-Dienstvertrag mit der B GmbH haben würde. Nach dem Schriftwechsel zwischen dem Kläger und Herrn S vom Dezember 2008 ist nicht ausgeschlossen, dass sie, wie vom Kläger vorgetragen, bereits in einem Gespräch im Juli 2008 geschlossen wurde. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, der Inhalt der Regelungen des Dienstvertrags mit der B GmbH vom 25. August 2008 habe schon zu diesem Zeitpunkt festgestanden. Es könnten deshalb allenfalls Zweifel an der Angemessenheit der dortigen Abfindungsregelung bestehen, weil diese keine Anrechnungsklausel enthielt. Dem braucht nicht weiter nachgegangen zu werden. Dem Vergütungsanspruch des Klägers aus dem wieder aufgelebten Arbeitsverhältnis mit der Beklagten steht deren Anspruch auf die vereinbarte Arbeitsleistung gegenüber. Ein offensichtliches Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung liegt schon aus diesem Grund nicht vor.

60

d) Der Anspruch des Klägers für die Zeit von April 2010 bis August 2012 ist nicht gemäß § 362 BGB durch Erfüllung erloschen.

61

aa) Die Erfüllung eines Zahlungsanspruchs nach dessen Titulierung setzt voraus, dass der betreffende Betrag nicht nur zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem vorläufig vollstreckbaren Urteil gezahlt wird. Der Klageanspruch muss dazu vielmehr aus freien Stücken und ohne Vorbehalt - endgültig - erfüllt werden (vgl. BAG 21. März 2012 - 5 AZR 320/11  - Rn. 12; BGH 24. Mai 1957 - VIII ZR 274/56 -; Musielak/Ball ZPO 10. Aufl. Vor § 511 Rn. 25). Ob das eine oder das andere anzunehmen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls ( BAG 21. März 2012 - 5 AZR 320/11  - aaO; BGH 16. November 1993 -  X ZR 7/92  - zu A der Gründe; 25. Mai 1976 - III ZB 4/76  - zu 3 b der Gründe).

62

bb) Danach hat die Beklagte den Klageanspruch nicht, auch nicht teilweise iSv. § 362 BGB erfüllt. Soweit sie das Grundgehalt des Klägers iHv. 11.432,94 Euro brutto monatlich bis einschließlich August 2012 gezahlt hat, geschah dies nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts „zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung aus dem Weiterbeschäftigungsurteil“. Zwar kann aus einem Beschäftigungstitel kein Zahlungsanspruch vollstreckt werden. Das Arbeitsgericht hatte die Beklagte jedoch außerdem zur Zahlung von Vergütung verurteilt. Die Beklagte hatte deshalb ersichtlich auch zur Abwendung einer Zwangsvollstreckung aus diesem Titel gezahlt. Das Landesarbeitsgericht hat ihre Verurteilung zu Recht auch insoweit aufrechterhalten. Sie schafft den Rechtsgrund dafür, dass der Kläger den mit der Klage geltend gemachten Betrag weiterhin behalten darf.

63

4. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB.

64

III. Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Das Kündigungsschutzverfahren ist rechtskräftig abgeschlossen.

65

IV. Als unterlegene Partei hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    Söller    

        

    Jan Eulen    

                 

*

(1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren gleich.

(2) Der Mahnung bedarf es nicht, wenn

1.
für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist,
2.
der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt,
3.
der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert,
4.
aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist.

(3) Der Schuldner einer Entgeltforderung kommt spätestens in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet; dies gilt gegenüber einem Schuldner, der Verbraucher ist, nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist. Wenn der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher ist, kommt der Schuldner, der nicht Verbraucher ist, spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung in Verzug.

(4) Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.

(5) Für eine von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Vereinbarung über den Eintritt des Verzugs gilt § 271a Absatz 1 bis 5 entsprechend.

Die Vergütung ist nach der Leistung der Dienste zu entrichten. Ist die Vergütung nach Zeitabschnitten bemessen, so ist sie nach dem Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.