Tenor

1. Die Berufung des beklagten Amtes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 24.11.2016 - 6 Ca 615/16 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Änderungskündigung verbunden mit dem Angebot auf Weiterbeschäftigung mit einer geringer bewerteten Tätigkeit.

2

Die 1957 geborene Klägerin schloss 1979 ihr Ingenieurstudium in der Fachrichtung Heizungs-, Lüftungs- und Sanitärtechnik ab. Zum 15.04.1993 nahm sie beim damaligen Amt O. S. S. eine Tätigkeit im Baudezernat auf. Im Jahr 1996 absolvierte sie den Angestelltenlehrgang Teil 1, im Jahr 2002 den Angestelltenlehrgang Teil 2. Im Jahr 2004 wechselte sie im Rahmen einer planmäßigen Rotation in das Bürgerbüro, 2005 übernahm sie die Tätigkeit einer Standesbeamtin.

3

Das beklagte Amt entstand im Jahr 2014 aus einem Zusammenschluss von drei Ämtern, zu denen auch das Amt O. S. S. gehörte. Im Zuge der Ämterfusion ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin auf das neu gebildete Amt über. Das Amt ist für insgesamt 17 Gemeinden zuständig und beschäftigt rund 80 Mitarbeiter. Die Klägerin war kurzzeitig in der Finanzverwaltung und später in der Bauleitplanung eingesetzt. Noch im Jahr 2014 übertrug ihr das beklagte Amt die Aufgaben der Sachgebietsleiterin Kita/Jugend/Schule. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) in der für die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) geltenden Fassung Anwendung. Die Klägerin bezog zuletzt die Vergütung der Entgeltgruppe 9 TVöD.

4

Zu ihrem Sachgebiet gehörten u. a. die beiden Schulen der amtsangehörigen Stadt C-Stadt. Über die Essensversorgung der Grund- und der Regionalschule hatte die Stadt C-Stadt am 09.01. und 19.01.2009 insgesamt vier Verträge geschlossen, nämlich den

5
Liefervertrag zur Speisenversorgung in der Grundschule mit der u. K. GmbH & Co. KG vom 09.01.2009,
6
Liefervertrag zur Speisenversorgung in der Regionalen Schule mit der u. K. GmbH & Co. KG vom 09.01.2009,
7
Dienstleistungsvertrag zur Speisenausgabe und Abrechnung in der Grundschule mit der u. C. Logistik GmbH vom 09.01.2009 und
8
Dienstleistungsvertrag zur Speisenausgabe und Abrechnung in der Regionalen Schule mit der u. C. Logistik GmbH vom 19.01.2009.
9

Persönlich haftende Gesellschafterin der u. K. GmbH & Co. KG ist die Verwaltungsgesellschaft u. K. mbH, deren Geschäftsführer wiederum Herr W. H. ist. Herr H. ist zugleich Geschäftsführer der u. C. Logistik GmbH. Die u. C. Logistik GmbH und die u. K. GmbH & Co. KG haben ihren Sitz in D., Z..

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Die Liefer- und die Dienstleistungsverträge verlängern sich jeweils um 1 Jahr, sofern sie nicht binnen einer Frist von 6 Monaten vor Ende der Laufzeit schriftlich gekündigt werden.

11

Nachdem es zu Beschwerden über die Qualität der Essensversorgung gekommen war, beabsichtigte die Stadt C-Stadt, die Vertragsbeziehungen mit der u. C. Logistik GmbH und der u. K. GmbH & Co. KG zum Ende des Jahres 2015 auslaufen zu lassen und die Essensversorgung neu zu vergeben. Die Klägerin bereitete einen entsprechenden Beschlussvorschlag für die Stadtvertretung C-Stadt vor, der eine Kündigung der Dienstleistungsverträge zur Speisenausgabe und Abrechnung mit der u. C. Logistik GmbH und der Lieferverträge zur Speisenversorgung mit der u. K. GmbH & Co. KG für die Grund- und die Regionalschule der Stadt C-Stadt vorsieht. Des Weiteren entwarf sie ein Kündigungsschreiben - adressiert an die "u. C. Logistik GmbH, Herrn H., Z., D." - zur Unterzeichnung durch die ehrenamtliche Bürgermeisterin der Stadt C-Stadt. In dem Schreiben heißt es:

12

"…

Kündigung der Dienstleistungsverträge und der Leistungsverträge für die Regionale Schule und für die Grundschule der Stadt C-Stadt

Sehr geehrter Herr H.,

hiermit kündige ich den Dienstleistungsvertrag zur Speisenausgabe und Abrechnung entsprechend § 5 des Vertrages vom 09.01.2009 und den Liefervertrag zur Speisenversorgung entsprechend § 3 Punkt 1 des Vertrages vom 09.01.2009 für die Grundschule C-Stadt zum 31.12.2015.

Weiterhin kündige ich den Dienstleistungsvertrag zur Speisenausgabe und Abrechnung entsprechend § 5 des Vertrages vom 19.01.2009 und den Liefervertrag zur Speisenversorgung entsprechend § 3 Punkt 1 des Vertrages vom 09.01.2009 für die Regionale Schule der Stadt C-Stadt zum 31.12.2015.

Wir danken für die von Ihnen erbrachte Leistung.

…"

13

Die Klägerin leitete das vorbereitete Kündigungsschreiben am 19.06.2015 per E-Mail an ihre Amtsleiterin zur Durchsicht weiter. Die Stadtvertreter stimmten dem Beschlussentwurf am 22.06.2015 zu. Das von der Bürgermeisterin unterzeichnete Kündigungsschreiben vom 22.06.2015 wurde am 24.06.2015 zugestellt.

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Die Klägerin schrieb die Essensversorgung der beiden Schulen im Wege einer freihändigen Vergabe neu aus, da sie von einer Wertgrenze bis € 100.000,- ausging, und forderte sechs Firmen zur Angebotsabgabe auf, u. a. die u. K.. Da die u. C. Logistik keine Aufforderung erhalten hatte, bat ein Mitarbeiter dieser Firma in einem persönlichen Gespräch am 20.08.2015 die Klägerin und ihre Amtsleiterin darum, ebenfalls an der Ausschreibung beteiligt zu werden, weil die u. K. seiner Aussage nach allein kein Angebot abgeben kann. Das lehnte die Klägerin nach Rücksprache mit der Bürgermeisterin der Stadt C-Stadt ab, da die u. das firmenintern lösen solle. Im Anschluss daran kam der Firmenvertreter auf die Problematik der unzureichenden Kündigung der Altverträge zu sprechen. Die Klägerin gab an, die u. wegen desselben Geschäftsführers stets als Einheit betrachtet zu haben. Den Aktenvermerk zu dem Gespräch sandte sie per E-Mail sowohl an die Amtsleiterin als auch an die Bürgermeisterin.

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Rund vier Monate später machte die u. K. GmbH & Co. KG mit Schreiben vom 29.10.2015 geltend, ungekündigte Verträge über die Lieferung von Speisen für die Grundschule und die Regionale Schule zu haben, und forderte deren Einhaltung auch im Kalenderjahr 2016 bzw. Schadensersatz. Die u. C. Logistik GmbH erhob keine Einwände gegen die Kündigung der Dienstleistungsverträge.

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Unter dem 03.11.2015 richtete die Amtsvorsteherin des beklagten Amtes verschiedene Fragen zur Kündigung des Liefervertrages mit der u. K. GmbH & Co. KG an die Klägerin, die hierzu noch am selben Tag Stellung bezog. Am 06.11.2015 bat die Amtsvorsteherin um eine ergänzende Äußerung der Klägerin, die sie ebenfalls umgehend erhielt.

17

Mit E-Mail vom 12.11.2015 bemängelte der Landkreis als Rechtsaufsichtsbehörde gegenüber dem beklagten Amt die Wahl der falschen Vergabeart bei Ausschreibung der Essensversorgung. Nach dem Hinweis eines Stadtvertreters aus C-Stadt ging der Landkreis von einem Auftragswert in Höhe von etwa € 580.000,- bei einer dreijährigen Laufzeit aus, was eine europaweite Ausschreibung notwendig macht. Das Vergabeverfahren konnte jedoch fortgeführt werden, nachdem in Zusammenarbeit mit der Rechtsaufsichtsbehörde eine Dienstleistungskonzession als Auftragsart ermittelt wurde.

18

Der Amtsausschuss beschloss in der Sitzung am 18.11.2015, das Arbeitsverhältnis der Klägerin außerordentlich zu kündigen und ihr einen neuen Arbeitsvertrag mit der Entgeltgruppe 6 TVöD anzubieten. An der Sitzung nahm zu diesem Tagesordnungspunkt auch die Personalratsvorsitzende teil, die alle Beteiligten um einen fairen Umgang bat. Der Amtsausschuss beschloss zudem, gegen die zuständige Amtsleiterin ein Disziplinarverfahren einzuleiten.

19

Der Personalrat des beklagten Amtes erhielt am 19.11.2015 den Entwurf des Kündigungsschreibens, in dem die Vorwürfe im Einzelnen dargestellt sind. Der Personalrat stimmte in der außerordentlichen Sitzung am 20.11.2015 der beabsichtigten außerordentlichen Änderungskündigung zu.

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Mit Schreiben vom 19.11.2015, der Klägerin zugegangen am 20.11.2015, kündigte das beklagte Amt das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung und bot ihr eine Weiterbeschäftigung mit einer Tätigkeit der Entgeltgruppe 6 TVöD an. Die Klägerin nahm das Änderungsangebot mit Schreiben vom 30.11.2015, dem beklagten Amt zugegangen am 07.12.2015, unter dem Vorbehalt der Rechtmäßigkeit an und hat zugleich Kündigungsschutzklage erhoben, beim Arbeitsgericht eingegangen am 03.12.2015.

21

Die Stadt C-Stadt einigte sich im Dezember 2015 mit der u. K. GmbH & Co. KG darauf, den Liefervertrag zur Speisenversorgung für die Grundschule über den 31.12.2015 hinaus fortzuführen und den Liefervertrag für die Regionale Schule zum 31.12.2015 zu beenden.

22

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die außerordentliche Änderungskündigung sei unwirksam. Es fehle an einer schwerwiegenden Pflichtverletzung, die eine fristlose Beendigung des langjährigen Arbeitsverhältnisses ohne vorangegangene Abmahnung rechtfertigen könne. Es sei schon fraglich, ob nicht das Kündigungsschreiben an die u. C. Logistik bei verständiger Würdigung auch als Kündigung gegenüber der u. K. aufzufassen sei. Herr H. als Geschäftsführer beider Gesellschaften habe angesichts der Bezugnahme auf alle vier Verträge unzweifelhaft erkennen können, dass die Kündigung an beide Gesellschaften gerichtet sei. Unabhängig davon lasse sich aus dem Versehen der Klägerin keinesfalls ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB herleiten. Der zuständigen Amtsleiterin sei das Versehen ebenso wenig aufgefallen wie der Bürgermeisterin von C-Stadt. Soweit die Klägerin vergaberechtliche Bestimmungen verletzt haben sollte, sei ihr das nicht vorzuwerfen, da sie lediglich an einem Tagesseminar zum Vergaberecht im Jahr 2009 teilgenommen habe.

23

Zudem habe das beklagte Amt die zweiwöchige Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Das Problem mit dem Kündigungsschreiben der Stadt C-Stadt vom 22.06.2015 sei bereits im August 2015 aufgefallen und sowohl der Amtsleiterin als auch der Bürgermeisterin bekannt gewesen.

24

Unabhängig davon habe das beklagte Amt den Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt. Angesichts des zeitlichen Ablaufs gebe es erhebliche Zweifel an der Korrektheit des Personalratsbeschlusses.

25

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt

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festzustellen, dass die Änderungen der Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit der Änderungskündigung vom 19.11.2015 unwirksam sind.

27

Das beklagte Amt hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Ansicht vertreten, die außerordentliche Kündigung sei berechtigt. Eine Weiterbeschäftigung in leitender Funktion mit der Entgeltgruppe 9 TVöD sei dem Amt nicht zumutbar. Die Klägerin habe ihre arbeitsvertragliche Pflicht, die ihr übertragenen Aufgaben gewissenhaft und ordnungsgemäß auszuführen, in erheblichem Maße verletzt. Sie habe gewusst, dass es zwei verschiedene Vertragspartner gebe, dennoch aber das Kündigungsschreiben nur an einen der beiden Vertragspartner adressiert. Des Weiteren habe sie die falsche Vergabeart bei der Neuausschreibung der Essensversorgung gewählt, obwohl sie an entsprechenden Weiterbildungsseminaren zum Vergaberecht teilgenommen habe. Hätte die Ausschreibung aufgehoben werden müssen, hätte es ab Januar 2016 überhaupt keinen Essensversorger mehr für die Schüler gegeben. Schließlich habe sie gegen das Gebot der Vertraulichkeit verstoßen, indem sie Auszüge aus Angeboten an die Vorsitzende der Essenskommission weitergegeben habe. Der Arbeitgeber könne dieses Fehlverhalten nicht tolerieren und nicht mehr darauf vertrauen, dass sie die Aufgaben als Sachgebietsleiterin ordnungsgemäß erfülle. Die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt, da es auf die Kenntnis des Amtsausschusses ankomme. Der Amtsausschuss sei unverzüglich eingeschaltet worden. Das beklagte Amt habe zudem den Personalrat im Rahmen des § 82 Abs. 1 PersVG M-V ordnungsgemäß beteiligt. Die Personalratsvorsitzende habe an der Sitzung des Amtsausschusses teilgenommen und Rederecht gehabt.

28

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es angeführt, dass es keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung gebe. Schon eine Pflichtverletzung sei nicht zweifelsfrei feststellbar. Die Klägerin habe die Aufgabe gehabt, die Kündigung der insgesamt vier Verträge mit den beiden u.-Gesellschaften ordnungsgemäß vorzubereiten. Das von ihr verfasste Kündigungsschreiben könnte diesem Auftrag, obwohl im Adressfeld nur eine der Gesellschaften genannt sei, durchaus genügen, da es dem für beide Gesellschaften tätigen Geschäftsführer zugegangen sei. Selbst wenn es sich um eine Pflichtverletzung handeln sollte, fehle es aber am Verschulden. Die Klägerin habe sich nicht fahrlässig verhalten, erst recht nicht grob fahrlässig. Soweit die Klägerin Teile eines Angebots an die Vorsitzende der Essenskommission herausgegeben habe, sei nicht feststellbar, weshalb das pflichtwidrig gewesen sei und wogegen die Klägerin verstoßen habe. Das beklagte Amt habe zudem nicht dargelegt, dass die Klägerin wider besseres Wissen gehandelt habe oder es habe besser wissen müssen. Gleiches gelte hinsichtlich des Vorwurfs, die falsche Vergabeart gewählt zu haben. Anhand des Sachvortrags sei eine arbeitsvertragliche vorwerfbare Pflichtverletzung nicht nachvollziehbar. Darüber hinaus fehle es an einer Abmahnung, die gegenüber der Kündigung das mildere Mittel sei.

29

Gegen dieses Urteil, dem beklagten Amt am 28.11.2016 zugestellt, hat es durch seine Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 28.12.2016, am selben Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangen, fristgerecht Berufung eingelegt.

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Anlässlich der auf den 16.01.2017 notierten Vorfrist hat die sachbearbeitende Rechtsanwältin an diesem Tag einen Schriftsatz an das Landesarbeitsgericht verfasst, mit dem sie beantragt hat, die Frist zur Begründung der Berufung auf den 28.02.2017 zu verlängern. Die Kanzleimitarbeiterin L. hat den von der Rechtsanwältin unterzeichneten Brief nebst Ausfertigungen noch am selben Tag in einen Umschlag gesteckt und frankiert sowie im elektronischen Postausgangsbuch vermerkt. Sodann hat die Auszubildende P. diesen Brief zusammen mit anderen Poststücken am Nachmittag in einen nahegelegenen Postbriefkasten eingeworfen. Zugleich hat die in der Rechtsanwaltskanzlei seit 2007 beschäftigte Rechtsanwaltsfachangestellte B. - entgegen den bestehenden Anweisungen - die auf den 30.01.2017 (Montag) notierte Frist zur Berufungsbegründung gestrichen und eine neue Frist auf den 28.02.2017 eingetragen, ohne zuvor eine Bestätigung des Landesarbeitsgerichts über die Fristverlängerung eingeholt zu haben. Der Fristverlängerungsantrag vom 16.01.2017 ist beim Landesarbeitsgericht nicht eingegangen. Das Landesarbeitsgericht hat deshalb die Prozessbevollmächtigten des beklagten Amtes mit Schreiben vom 02.02.2017, bei ihnen eingegangen am 07.02.2017, darauf hingewiesen, dass die Berufung nicht fristgerecht begründet worden sei. Daraufhin haben die Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 21.02.2017, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 23.02.2017, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Berufung mit Schriftsatz vom 28.02.2017, am selben Tag eingegangen, begründet.

31

Das beklagte Amt ist der Ansicht, es gebe entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sehr wohl einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung. Die Klägerin habe schuldhaft ihre Pflichten in erheblichem Maße verletzt. Eine Kündigung sei an den richtigen Erklärungsempfänger zu richten. Das sei Basiswissen einer Verwaltungsfachangestellten, erst recht einer Sachgebietsleiterin. Die Klägerin habe die Verträge mit den verschiedenen Vertragspartnern gekannt. Dass der zuständigen Amtsleiterin der Fehler nicht aufgefallen sei, entlaste die Klägerin nicht. Die Klägerin habe ihr mit dem Kündigungsschreiben weder die verschiedenen Verträge noch die Beschlussvorlage für den Amtsausschuss vorgelegt. Die Angelegenheit habe politisch hohe Wellen geschlagen und zu einem Vertrauensverlust in die ordnungsgemäße Arbeit der Mitarbeiter des Amtes geführt. Zudem gebe es weitere Pflichtverletzungen der Klägerin im Vergabeverfahren. Durch das mehrfache Fehlverhalten sei das notwendige Vertrauen in eine ordnungsgemäße Sachgebietsleitung nachhaltig und auf Dauer gestört. Das lasse sich nicht als Versehen abtun. Eine Abmahnung würde der vorliegenden Situation nicht ausreichend Rechnung tragen und lasse auch keine zukünftige Änderung des Verhaltens erwarten. Darüber hinaus seien sowohl die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt als auch der Personalrat ordnungsgemäß beteiligt worden.

32

Das beklagte Amt beantragt,

33

das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 24.11.2016 - 6 Ca 615/16 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe zu Recht der Klage stattgegeben. Die Berufung sei schon unzulässig, jedenfalls aber offensichtlich unbegründet. Da das beklagte Amt keine neuen Tatsachen dargelegt habe, bleibe es bei den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts. Ein Schaden sei unstreitig nicht entstanden. Es handele sich allenfalls um abmahnungswürdige Pflichtverletzungen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle sowie das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung des beklagten Amtes ist zulässig, aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit der zutreffenden Begründung abgewiesen. Das Berufungsgericht nimmt Bezug auf die Ausführungen der Vorinstanz.

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I. Zulässigkeit der Berufung

40

Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG beträgt die Frist für die Einlegung der Berufung einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung (§ 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG). Das Urteil des Arbeitsgerichts ist dem beklagten Amt am 28.11.2016 zugestellt worden. Die Frist für die Berufungsbegründung lief am Montag, 30.01.2017, ab. Die Berufungsbegründung ist erst am 28.02.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangen.

41

Das beklagte Amt hat die Berufungsbegründungsfrist jedoch unverschuldet versäumt. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zulässig und begründet. Nach § 233 ZPO ist einer Partei auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden die Frist zur Begründung der Berufung nicht eingehalten hat. Dabei steht nach § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich.

42

Eine Partei darf grundsätzlich auf die Einhaltung der normalen Postlaufzeit vertrauen, sofern nicht gegenteilige Anhaltspunkte (z. B. Poststreik) vorliegen. Geht eine Sendung verloren oder wird sie verspätet ausgeliefert, darf dies der Partei nicht als Verschulden angerechnet werden. Eine Partei ist nicht gehalten, Schriftsätze stets vorab per Telefax zu übersenden oder beim Gericht telefonisch nachzufragen, ob eine Sendung eingegangen ist (BVerfG, Beschluss vom 29. Dezember 1994 - 2 BvR 106/93 - Rn. 19, juris = NJW 1995, 1210; BGH, Beschluss vom 12. Mai 2016 - V ZB 135/15 - Rn. 23, juris = NJW 2016, 3789; LAG Hamm, Urteil vom 21. Mai 2014 - 6 Sa 166/14 - Rn. 19, juris).

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Die Prozessbevollmächtigten des beklagten Amtes haben durch Vorlage von eidesstattlichen Versicherungen ihrer Mitarbeiterinnen glaubhaft gemacht, dass sie den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist rechtzeitig zur Post gegeben haben. Sie durften angesichts der üblichen Praxis des Landesarbeitsgerichts ohne weiteres davon ausgehen, dass die beantragte Fristverlängerung gewährt wird. Der Verlust des Schriftsatzes auf dem Postweg ist von ihnen nicht verschuldet. Für den Verlust des Fristverlängerungsantrags gilt diesbezüglich nichts anderes als für den Verlust einer Berufungs- oder einer Berufungsbegründungsschrift.

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II. Begründetheit der Berufung

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Die außerordentliche Änderungskündigung des beklagten Amtes vom 19.11.2015 ist rechtsunwirksam, da sie gegen § 626 Abs. 1 BGB verstößt.

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Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 11, juris = NZA 2017, 1121; BAG, Urteil vom 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 14, juris = NZA 2016, 1527; BAG, Urteil vom 17. März 2016 - 2 AZR 110/15 - Rn. 17, juris = EzA § 626 BGB 2002 Nr. 56).

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Ein wichtiger Grund zur Kündigung kann sowohl in einer erheblichen Verletzung von vertraglichen Hauptleistungspflichten als auch in der von Nebenpflichten liegen. Schlechtleistungen und unzureichende Arbeitsleistung des Arbeitnehmers rechtfertigen in der Regel nicht dessen außerordentliche Kündigung. Hier werden die Interessen des Arbeitgebers und des Betriebes im allgemeinen durch den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung nach vorausgegangener Abmahnung genügend gewahrt, und zwar auch dann, wenn der Arbeitnehmer fahrlässig großen Schaden verursacht (BAG, Urteil vom 04. Juli 1991 - 2 AZR 79/91 - Rn. 30, juris = RzK I 6a Nr. 73; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 08. Oktober 2015 - 5 Sa 176/15 - Rn. 29, juris = LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 61; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. September 2014 - OVG 61 PV 1.14 - Rn. 33, juris; LAG Hessen, Urteil vom 07. Februar 2013 - 9 Sa 1315/12 - Rn. 28, juris = LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 41). Etwas anderes gilt im Falle einer beharrlichen Arbeitsverweigerung; eine derartige Pflichtverletzung ist an sich und typischerweise als wichtiger Grund geeignet (BAG, Urteil vom 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 22, juris = NZA 2016, 417; BAG, Urteil vom 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 19, juris = NZA 2014, 533; LAG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 01. September 2015 - 6 Sa 194/14 - Rn. 30, juris). Ebenso kann eine bewusste Schlechtleistung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (LAG Hessen, Urteil vom 07. Februar 2013 - 9 Sa 1315/12 - Rn. 28, juris = LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 41) oder ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers (BAG, Urteil vom 24. März 2011 - 2 AZR 282/10 - Rn. 12, juris = NZA 2011, 1029).

48

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG, Urteil vom 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 30, juris = NZA 2016, 1527; BAG, Urteil vom 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 46 = NZA 2016, 417).

49

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigungen wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits von vornherein erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 28, juris = NZA 2017, 1121; BAG, Urteil vom 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 22, juris = NZA 2015, 294).

50

Eine fahrlässige Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann grundsätzlich nur dann eine ordentliche und erst recht eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, wenn der Arbeitnehmer zuvor bereits einmal einschlägig abgemahnt worden war (LAG Köln, Urteil vom 18. Oktober 2012 - 7 Sa 453/12 - Rn. 29, juris). Eine außerordentliche Kündigung ohne vorangegangene einschlägige Abmahnung kommt nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht. Ein solcher Ausnahmefall kann dann gegeben sein, wenn das Fehlverhalten des Arbeitnehmers derart krass und unverzeihlich erscheint, dass er auch ohne vorangegangene Abmahnung schlechterdings nicht damit rechnen konnte, der Arbeitgeber werde das Arbeitsverhältnis gleichwohl fortsetzen (LAG Köln, Urteil vom 18. Oktober 2012 - 7 Sa 453/12 - Rn. 31, juris).

51

Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB begründen sollen (BAG, Urteil vom 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 23, juris = NZA 2016, 417). Beruft sich der Arbeitgeber auf Pflichtverletzungen durch den Arbeitnehmer, ist im Einzelnen darzustellen, welche Pflichten den Arbeitnehmer treffen, woraus sich diese ergeben und wann der Arbeitnehmer in welcher Art und Weise hiergegen verstoßen hat. Es genügt nicht, dem Arbeitnehmer pauschal ein Fehlverhalten vorzuwerfen. Der Arbeitgeber muss den Geschehensablauf, soweit es für ihn möglich ist, darstellen und die für eine rechtliche Bewertung erforderlichen Umstände vortragen. Sodann ist es im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast Sache des Arbeitnehmers, hierzu im Einzelnen Stellung zu nehmen.

52

Die Klägerin war verpflichtet, die Kündigung der insgesamt vier Liefer- und Dienstleistungsverträge über die Essensversorgung der beiden Schulen in C-Stadt unterschriftsreif vorzubereiten. Dabei hatte sie darauf zu achten, dass die abzugebenden Willenserklärungen möglichst rechtssicher abgefasst und aufgesetzt werden, um spätere Streitigkeit zu vermeiden. Dieser Pflicht ist die Klägerin nur zum Teil nachgekommen. Zwar kann die Kündigung vom 22.06.2015 bei verständiger Würdigung aus der Sicht eines objektiven Empfängers (§§ 133, 157 BGB) durchaus so ausgelegt werden, dass sie zugleich gegenüber der u. K. gelten soll. In der Kündigung sind nämlich sämtliche Verträge mit dem Vertragsgegenstand und dem -datum korrekt aufgeführt. Herr H. als Geschäftsführer beider Gesellschaften konnte ohne weiteres erkennen, was die Stadt C-Stadt wollte. Da allerdings die zweite Gesellschaft im Adressfeld nicht aufgeführt ist, bot sich für den Geschäftsführer die Gelegenheit, die Wirksamkeit der Kündigung in Zweifel zu ziehen und dadurch die eigene Verhandlungsposition zu stärken.

53

Dieser Fehler der Klägerin ist nur von geringem Gewicht. Eine solche geringfügige Schlechtleistung ist nicht als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet. Es ist dem beklagten Amt durchaus zumutbar, die Klägerin jedenfalls für die Dauer der Kündigungsfrist in ihrer bisherigen Funktion als Sachgebietsleiterin weiterhin zu beschäftigen. Ob die Vorwürfe zu einer ordentlichen, fristgemäßen Kündigung berechtigen könnten, bedarf hier keiner Erörterung, da eine solche Kündigung gerade nicht ausgesprochen ist.

54

Die Klägerin hat keinesfalls beharrlich ihre Arbeit verweigert oder ihre Arbeit bewusst schlecht ausgeführt. Eine Abmahnung genügt, um vergleichbare Störungen im Arbeitsverhältnis zukünftig zu vermeiden. Der sofortige Entzug ihrer bisherigen Aufgaben ist angesichts ihres geringfügigen Fehlverhaltens unverhältnismäßig. Es handelt sich um ein steuerbares Verhalten, bei dem regelmäßig eine Änderung der Arbeitsweise durch den Ausspruch einer Abmahnung zu erwarten ist. Die Klägerin hat sich in keiner Weise uneinsichtig gezeigt, sondern ihr Versehen eingeräumt. Eine Abmahnung erscheint nicht von vornherein erfolglos, um die Klägerin zu mehr Sorgfalt anzuhalten.

55

Weitere Pflichtverletzungen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können, liegen nicht vor. Soweit sich das beklagte Amt auf Rechtsverstöße bei der Neuausschreibung der Essensversorgung beruft, hat es nicht im Einzelnen dargelegt, gegen welche Vorschriften oder Vorgaben die Klägerin wann in welcher Art und Weise verstoßen hat. Es ist nicht feststellbar, ob ihr tatsächlich ein Fehlverhalten vorzuwerfen ist und wie dieses zu gewichten ist. Das beklagte Amt hat weder dargelegt, was die Klägerin bei rechtmäßigem Vorgehen hätte tun müssen, noch welche Vergabebestimmungen sie verletzt hat. Da die Ausschreibung fortgesetzt werden konnte, fehlt es jedenfalls an Anhaltspunkten für schwerwiegende Rechtsverstöße. Eine Gesamtschau von Pflichtverletzungen erübrigt sich damit.

56

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.

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Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 12. Sept. 2017 - 5 Sa 258/16 zitiert 10 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 133 Auslegung einer Willenserklärung


Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 157 Auslegung von Verträgen


Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung


(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Mona

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund


(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unte

Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

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Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 12. Sept. 2017 - 5 Sa 258/16 zitiert oder wird zitiert von 9 Urteil(en).

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 12. Sept. 2017 - 5 Sa 258/16 zitiert 9 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

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Tenor 1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 16. Dezember 2015 - 3 Sa 60/15 - aufgehoben.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 20. Okt. 2016 - 6 AZR 471/15

bei uns veröffentlicht am 20.10.2016

Tenor 1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 6. Juli 2015 - 7 Sa 124/15 - aufgehoben.

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Mai 2016 - V ZB 135/15

bei uns veröffentlicht am 12.05.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 135/15 vom 12. Mai 2016 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 85 Abs. 1, § 233 Satz 1 B Hat ein Prozessbevollmächtigter Kenntnis von dem Beginn eines bundesweiten Postst

Bundesarbeitsgericht Urteil, 17. März 2016 - 2 AZR 110/15

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Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Teil-Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 26. November 2014 - 3 Sa 239/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

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Tenor 1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 28. Mai 2014 - 10 Sa 770/13 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie es der Berufung des K

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil, 08. Okt. 2015 - 5 Sa 176/15

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Tenor 1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 29.04.2015, Az. 5 Sa 244/15, wird zurückgewiesen. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. 3. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbes

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Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 12. Juni 2013 - 7 Sa 1878/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

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Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. Februar 2012 - 4 Sa 1112/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

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Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 5. Januar 2010 - 3 Sa 253/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

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(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

23
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesgerichtshofs und der anderen Obersten Gerichtshöfe dürfen dem Bürger Verzögerungen der Briefbeförderung oder der Briefzustellung durch die Deutsche Post AG nicht als Verschulden angerechnet werden (BVerfG, NJW 1995, 1210, 1211; 2001, 1566; 2003, 1516; Senat, Beschluss vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03, NJW-RR 2004, 1217, 1218; jeweils mwN). Er darf vielmehr grundsätzlich darauf vertrauen, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden (Senat, Beschluss vom 19. Juni 2013 - V ZB 226/12, juris Rn. 7; BGH, Beschluss vom 12. September 2013 - V ZB 187/12, juris Rn. 9, jeweils mwN).

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 16. Dezember 2015 - 3 Sa 60/15 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt ein Stahlwerk. Der Kläger war bei ihr seit Juni 1991 als Arbeiter beschäftigt. Im Betrieb der Beklagten gilt seit Februar 2005 die Betriebsvereinbarung „Respektvolle Zusammenarbeit“. Deren Nr. 5 lautet:

        

Maßnahmen bei Verstößen gegen die Grundsätze der BV

        

Arbeitgeber und Betriebsrat beraten gemeinsam über zu treffende Maßnahmen. Auf Grundlage des Beratungsergebnisses ergreift der Arbeitgeber angemessene Maßnahmen, wie z. B.

        

Belehrung                                                            

        

Verwarnung

        

Abmahnung

        

Umsetzung

        

Versetzung

        

 •

Kündigung.

        

Im Übrigen gelten die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen.“

3

Am 22. Oktober 2014 war der Kläger zusammen mit zwei im Betrieb der Beklagten eingesetzten Leiharbeitnehmern bei der Verpackung und Etikettierung von Bandstahlrollen tätig. Einer der Fremdfirmenmitarbeiter meldete zwei Tage später seinem Vorarbeiter, der Kläger habe ihn von hinten schmerzhaft in den Genitalbereich gegriffen und anschließend darüber Bemerkungen gemacht.

4

Die Beklagte hörte die Fremdfirmenmitarbeiter und den Kläger zu dem Vorwurf an. Der Kläger bestritt ein Fehlverhalten. Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 7. November 2014 fristlos und mit Schreiben vom 12. November 2014 vorsorglich ordentlich zum 30. Juni 2015. Dem Betriebsrat hatte sie ua. mitgeteilt, dass eine vorsorgliche Untersuchung des Fremdfirmenmitarbeiters im Krankenhaus stattgefunden habe.

5

Gegen beide Kündigungen hat sich der Kläger mit der vorliegenden Klage gewandt. Er habe den Mitarbeiter der Fremdfirma lediglich unabsichtlich am Hinterteil berührt. Im Übrigen rechtfertige selbst das ihm vorgeworfene Verhalten keine Kündigung. Auch einen Arbeitnehmer, der im Jahre 2000 einem Kollegen schmerzhaft in den Genitalbereich gegriffen habe, habe die Beklagte nicht gekündigt. Die Anhörung des Betriebsrats sei unvollständig, da diesem nicht das Ergebnis der Untersuchung im Krankenhaus mitgeteilt worden sei.

6

Der Kläger hat beantragt,

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 7. November 2014 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 12. November 2014 nicht aufgelöst worden ist;

        

3.    

die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Arbeiter weiterzubeschäftigen.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe den Fremdfirmenmitarbeiter sowohl körperlich als auch verbal sexuell belästigt. Es handele sich um ein schweres Fehlverhalten, welches die außerordentliche, jedenfalls aber die ordentliche Kündigung rechtfertige. Der Kläger habe sein Verhalten gegenüber dem Werkschutz auch zunächst eingeräumt, aber zu verharmlosen versucht.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO). Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer rechtsfehlerhaften Anwendung von § 626 Abs. 1 BGB. Ob die fristlose Kündigung der Beklagten vom 7. November 2014 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, steht noch nicht fest.

10

I. Mit der bisherigen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, es fehle für die fristlose Kündigung an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.

11

1. Nach dieser Bestimmung kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 17. März 2016 - 2 AZR 110/15 - Rn. 17; 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 21).

12

2. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, das seines Erachtens erwiesene Verhalten des Klägers sei „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen.

13

a) Nach den nicht angegriffenen und damit für den Senat gem. § 559 Abs. 2 ZPO bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger dem Mitarbeiter der Fremdfirma am 22. Oktober 2014 schmerzhaft in die Hoden gegriffen und anschließend sinngemäß geäußert, dieser habe „dicke Eier“. Das Landesarbeitsgericht hat sich insofern der Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts angeschlossen. Bei der Angabe in den Entscheidungsgründen, die Bemerkung habe sich auf den „Kläger“ selbst bezogen, handelt es sich offensichtlich um einen Übertragungsfehler.

14

b) Mit seinem Verhalten hat der Kläger während der Arbeit eine Tätlichkeit zulasten eines im Betrieb der Beklagten eingesetzten Leiharbeitnehmers begangen. Dies stellt einen erheblichen Verstoß gegen die ihm gegenüber der Beklagten obliegende Pflicht zur Rücksichtnahme auf deren Interessen gem. § 241 Abs. 2 BGB dar und ist „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung zu bilden(vgl. BAG 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 20). Die Beklagte hat ein eigenes schutzwürdiges Interesse daran, dass die Zusammenarbeit auch mit in ihrem Betrieb eingesetzten Fremdarbeitnehmern nicht durch tätliche Übergriffe beeinträchtigt wird.

15

c) Das Verhalten des Klägers erfüllt ferner in zweifacher Hinsicht den Tatbestand einer sexuellen Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG. Auch dabei handelt es sich gem. § 7 Abs. 3 AGG um eine Verletzung vertraglicher Pflichten, die „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist(BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 15, BAGE 150, 109; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16). Die Beklagte ist nach § 12 Abs. 3 AGG verpflichtet, auch die in ihrem Betrieb eingesetzten Leiharbeitnehmer vor sexuellen Belästigungen zu schützen.

16

aa) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird.

17

(1) Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen(BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 17, BAGE 150, 109; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 18).

18

(2) Schutzgut der § 7 Abs. 3, § 3 Abs. 4 AGG ist die sexuelle Selbstbestimmung als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird als das Recht verstanden, selbst darüber zu entscheiden, unter den gegebenen Umständen von einem anderen in ein sexualbezogenes Geschehen involviert zu werden (Köhler/Koops BB 2015, 2807, 2808). Das schließt es ein, selbst über einen Eingriff in die Intimsphäre durch körperlichen Kontakt zu bestimmen. Die absichtliche Berührung primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale eines anderen ist demnach bereits deshalb sexuell bestimmt iSd. § 3 Abs. 4 AGG, weil es sich um einen auf die körperliche Intimsphäre gerichteten Übergriff handelt(vgl. BAG 2. März 2017 - 2 AZR 698/15 - Rn. 36; 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 18, BAGE 150, 109). Bei anderen Handlungen, die nicht unmittelbar das Geschlechtliche im Menschen zum Gegenstand haben, wie bspw. Umarmungen, kann sich eine Sexualbezogenheit aufgrund einer mit ihnen verfolgten sexuellen Absicht ergeben (BAG 2. März 2017 - 2 AZR 698/15 - Rn. 36).

19

(3) Ob eine Handlung sexuell bestimmt iSd. § 3 Abs. 4 AGG ist, hängt damit nicht allein vom subjektiv erstrebten Ziel des Handelnden ab(Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 151; Bauer/Krieger AGG 4. Aufl. § 3 Rn. 54; Schaub/Linck ArbR-HdB 16. Aufl. § 36 Rn. 40). Erforderlich ist auch nicht notwendig eine sexuelle Motivation des Täters. Eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist vielmehr häufig Ausdruck von Hierarchien und Machtausübung und weniger von sexuell bestimmter Lust (Köhler/Koops BB 2015, 2807, 2809).

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(4) Das jeweilige Verhalten muss bewirken oder bezwecken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Relevant ist entweder das Ergebnis oder die Absicht. Für das „Bewirken“ genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle. Ebenso kommt es auf vorsätzliches Verhalten nicht an (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 19; Däubler/Bertzbach/Schrader/Schubert AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 76; Oetker in Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht 3. Aufl. § 14 Rn. 63; Schaub/Linck ArbR-HdB 16. Aufl. § 36 Rn. 40; Roloff in Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht § 3 AGG Rn. 30).

21

(5) Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit erfordert - anders als noch § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BSchG - nicht, dass der Betroffene seine ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht hat. Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 19).

22

bb) Der - nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zielgerichtete - Griff des Klägers in die Genitalien des Mitarbeiters der Fremdfirma ist eine sexuell bestimmte körperliche Berührung iSd. § 3 Abs. 4 AGG. Es handelt sich um einen auf die primären Geschlechtsmerkmale und somit die körperliche Intimsphäre des Mitarbeiters gerichteten körperlichen Übergriff, durch den die sexuelle Selbstbestimmung des Betroffenen negiert und damit seine Würde erheblich verletzt wird.

23

cc) Die anschließende Äußerung des Klägers, der Mitarbeiter habe „dicke Eier“, ist in diesem Zusammenhang eine entwürdigende Bemerkung sexuellen Inhalts iSd. § 3 Abs. 4 AGG. Selbst wenn eine solche Erklärung in einem anderen Kontext als Anerkennung von Entschlossenheit oder Mut des Betroffenen zu verstehen sein mag, ist hierfür im vorliegenden Zusammenhang kein Raum. Die durch den vorausgegangenen körperlichen Übergriff bewirkte Demütigung des Fremdfirmenmitarbeiters wurde durch die entsprechende Äußerung des Klägers vielmehr noch verstärkt, indem die vorherige körperliche Belästigung sprachlich manifestiert und der Betroffene dadurch erneut zum Objekt der vermeintlichen Dominanz des Klägers gemacht wurde.

24

dd) Sowohl die körperliche als auch die verbale sexuelle Belästigung des Mitarbeiters der Fremdfirma waren im Streitfall objektiv erkennbar unerwünscht iSd. § 3 Abs. 4 AGG. Für die körperliche Berührung ergibt sich dies bereits aus der erheblichen Verletzung der Intimsphäre des Betroffenen sowie der Empfindlichkeit der betroffenen Körperregion, für die verbale Belästigung aus ihrem unmittelbaren Zusammenhang mit dem unmittelbar vorangegangenen körperlichen Eingriff.

25

3. Das Landesarbeitsgericht durfte mit der bisherigen Begründung nicht annehmen, die fristlose Kündigung erweise sich aufgrund der gem. § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung als unverhältnismäßig.

26

a) Bei der Prüfung im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen(BAG 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 30; 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 46, BAGE 153, 111).

27

aa) Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 30; 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 46, BAGE 153, 111).

28

bb) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 22, BAGE 150, 109; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47, BAGE 149, 355; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16).

29

cc) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird zudem durch § 12 Abs. 3 AGG konkretisiert. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen - wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung - zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität ab (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 15, BAGE 150, 109; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16). § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen allerdings insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 23, aaO; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 28).

30

dd) Dem Berufungsgericht kommt bei der Prüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 47, BAGE 153, 111; 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 24, BAGE 150, 109).

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b) Die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts hält selbst diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab nicht stand. Das Berufungsgericht hat sowohl unter dem Gesichtspunkt einer für die Zukunft zu erwartenden Verhaltensänderung des Klägers als auch mit Blick auf die Schwere von dessen Fehlverhalten eine Abmahnung für ausreichend gehalten. Dabei hat es ua. „maßgeblich“ zugunsten des Klägers berücksichtigt, dieser habe subjektiv nicht in dem Bewusstsein gehandelt, eine sexuelle Belästigung zu begehen. Diese Würdigung wird von seinen Feststellungen nicht getragen.

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aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf ein mangelndes Bewusstsein des Klägers, eine sexuelle Belästigung zu begehen, zum einen daraus geschlossen, dass dieser nicht aus sexuellen Motiven gehandelt habe. Ein erkennbar unerwünschter körperlicher Eingriff in den Intimbereich eines anderen stellt jedoch unabhängig davon, ob er mit eigener sexueller Motivation erfolgt, eine sexuelle Belästigung iSd. § 3 Abs. 4 AGG dar. Das Fehlen eigener sexueller Motive lässt deshalb in einer solchen Fallgestaltung für sich genommen nicht den Schluss zu, dem Handelnden fehle das Bewusstsein, eine sexuelle Belästigung zu begehen. Zudem hat der Kläger in den Vorinstanzen zu den Motiven für seine Tat keinen Vortrag gehalten. Er hat vielmehr bestritten, überhaupt in der fraglichen Weise übergriffig geworden zu sein.

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bb) Zum anderen hat das Landesarbeitsgericht - obwohl es auch hierzu an jeglichem Vortrag des Klägers fehlt - angenommen, dieser habe nicht mit direktem Vorsatz gehandelt, weil es sich um ein situatives und unreflektiertes Verhalten gehandelt habe. Dafür sprächen - neben dem Fehlen einer sexuellen Motivation - auch die nachfolgenden Äußerungen des Klägers. Jedoch lässt sich auch aus diesen für sich genommen nicht schlussfolgern, es sei dem Kläger nicht um eine Herabwürdigung des betroffenen Mitarbeiters gegangen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Bemerkung „Du hast aber dicke Eier“ stellt im Zusammenhang mit dem vorausgegangenen körperlichen Übergriff eine neuerliche Demütigung dar, indem durch sie der Umstand, dass der Betroffene zum Ziel einer körperlichen sexuellen Belästigung gemacht wurde, bekräftigt und für alle Personen in Hörweite publik gemacht wird. Welche Äußerung des Klägers konkret das Landesarbeitsgericht sinngemäß als „Angebot“ gewertet hat, auch bei anderen Kollegen zur Tat zu schreiten, ist nicht festgestellt. Selbst wenn eine weitere Bemerkung des Klägers in dieser Weise zu verstehen gewesen sein sollte - und nicht als Frage, ob noch jemand den Übergriff des Klägers wiederholen wolle - ließe sie entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ebenfalls nicht auf mangelnden Vorsatz bezüglich einer Herabwürdigung des Fremdfirmenmitarbeiters schließen.

34

II. Der Senat kann die im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB erforderliche Interessenabwägung nicht selbst abschließend vornehmen. Dafür bedarf es weiterer Feststellungen und einer darauf bezogenen tatrichterlichen Würdigung.

35

1. Es ist nach den bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen, dass eine Verhaltensänderung des Klägers in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten stand. Zwar ist der Kläger nicht schon zuvor für vergleichbares Fehlverhalten erfolglos abgemahnt worden. Es bedarf aber der tatrichterlichen Würdigung, inwiefern der Umstand, dass er das ihm vorgeworfene Verhalten bei seiner Anhörung vor der Kündigung bestritt, auf eine Uneinsichtigkeit schließen ließ, die der Annahme entgegenstand, sein künftiges Verhalten könne schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden. Ferner obliegt es der tatrichterlichen Bewertung, ob von einer solchen Uneinsichtigkeit jedenfalls dann auszugehen wäre, wenn sich der Kläger gegenüber dem Werkschutz in der von der Beklagten behaupteten Weise wechselnd zu dem ihm vorgeworfenen Verhalten eingelassen hätte.

36

2. Es steht ebenfalls noch nicht fest, ob eine so schwere Pflichtverletzung vorliegt, dass - unabhängig von einer durch eine Abmahnung ggf. auszuschließenden Wiederholungsgefahr - selbst deren erstmalige Hinnahme der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Kläger erkennbar - ausgeschlossen war.

37

a) Für einen in diesem Sinne schweren Pflichtverstoß spricht, dass der Kläger erheblich, in durch nichts zu rechtfertigender und zudem schmerzhafter Weise die Intimsphäre des betroffenen Mitarbeiters verletzt und hierüber noch Bemerkungen gemacht hat.

38

b) Um ein das Gewicht der Pflichtverletzung zusätzlich erschwerendes Moment handelte es sich, wenn der betroffene Leiharbeitnehmer dem Angriff des Klägers aufgrund der Körperhaltung, in der er sich in Verrichtung seiner Tätigkeit befand, wehrlos ausgeliefert war, wie die Beklagte behauptet hat. Er wäre dann dem Übergriff umso schutzloser ausgesetzt gewesen, was die Demütigung, zum Objekt einer solchen Behandlung gemacht zu werden, noch verstärkt hätte.

39

c) Dem steht zugunsten des Klägers eine Betriebszugehörigkeit von mehr als 23 Jahren gegenüber, die es ausnahmsweise als zumutbar erscheinen lassen könnte, ihn trotz seines schweren Fehlverhaltens zumindest noch für den Lauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Es ist allerdings offen, ob dem Kläger eine in der Vergangenheit durchgehend störungsfreie Beschäftigung zugutegehalten werden kann. Zwar ist er nie abgemahnt worden. Die Beklagte hat sich aber darauf berufen, der Kläger habe sich schon mehrmals in der Vergangenheit unangemessen gegenüber anderen Mitarbeitern verhalten. Im Jahr 2008 habe er einen Mitarbeiter beschimpft und bedroht mit den Worten „Du Dicker (Idiot, Schwein oder ähnliches)“, „Hast Du ein Problem mit mir - ich kann Dir auch noch den anderen Arm lähmen“. Im Jahr 2010 habe er einen Kollegen grundlos als „Rassist“ beschimpft und bedroht. Einen anderen Kollegen habe er mit einem Signodeband an eine Bandstahlrolle gefesselt. Auf die Frage, was das solle, habe der Kläger geantwortet: „Sag mir Uhrzeit und Treffpunkt. Dann regeln wir es unter Männern“. Allein der Umstand, dass diese Vorfälle nicht abgemahnt wurden, steht ihrer Berücksichtigung als vom Kläger verursachte Störungen nicht entgegen.

40

d) Zugunsten des Klägers fiele nicht ins Gewicht, wenn die Beklagte, wie der Kläger behauptet hat, bei einem möglicherweise zumindest dem äußeren Erscheinungsbild nach ähnlichen Vorfall im Jahre 2000 keine Kündigung ausgesprochen hätte. Dadurch wäre keine „Selbstbindung“ eingetreten. Im Verhältnis von Arbeitnehmern untereinander scheidet mit Blick auf Kündigungen wegen Pflichtverletzungen eine Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes weitgehend aus (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 76; 8. Dezember 1994 - 2 AZR 470/93 - zu B II 5 g der Gründe). Eine mittelbare Auswirkung auf die Interessenabwägung kann der Gleichbehandlungsgrundsatz nur bei gleicher Ausgangslage haben (BAG 22. Februar 1979 - 2 AZR 115/78 - zu 2 a der Gründe). Eine solche hat indes auch der Kläger - etwa in Bezug auf das Verhalten nach der Pflichtverletzung - nicht behauptet. Außerdem wurde bei der Beklagten mit Wirkung ab Februar 2005 die Betriebsvereinbarung „Respektvolle Zusammenarbeit“ abgeschlossen, nach der sie sich ua. verpflichtete, sexuelle Belästigung und Mobbing zu unterbinden. Nach deren Nr. 2.2 sind unter Mobbing auch Drohungen und Erniedrigungen sowie Beschimpfungen und verletzende Behandlungen zu verstehen.

41

e) Die Zumutbarkeit einer Abmahnung im Streitfall folgt entgegen der Auffassung des Klägers nicht aus Nr. 5 der Betriebsvereinbarung „Respektvolle Zusammenarbeit“. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung sind die dort genannten angemessenen Maßnahmen lediglich Beispielsfälle von Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers bei Verstößen gegen die Grundsätze der Vereinbarung. Sie stellen keine Rangfolge dar, nach der die auf der nächsten Stufe benannte Maßnahme erst infrage käme, wenn die erste wahrgenommen und erfolglos geblieben ist.

42

III. Die angefochtene Entscheidung erweist sich nicht aus einem anderen Grund im Ergebnis als richtig.

43

1. Es kann nach den bisherigen Feststellungen weder davon ausgegangen werden, dass die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt, noch dass sie den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß nach § 102 Abs. 1 BetrVG angehört hätte. Soweit sich der Kläger darauf beruft, die Beklagte habe dem Betriebsrat das Ergebnis der Untersuchung des betroffenen Mitarbeiters im Krankenhaus mitteilen müssen, ist schon nicht ersichtlich, dass die Beklagte dieses gekannt hätte. Auch der Kläger behauptet das nicht. Es ist auch weder dem Anhörungsschreiben der Beklagten an den Betriebsrat noch ihrem Vorbringen im Übrigen zu entnehmen, dass sie ihren Kündigungsentschluss - zumindest mit - hierauf gestützt hätte. Ebenso wenig ist festgestellt, dass es sich bei dem Ergebnis der Untersuchung um einen den Kläger entlastenden Umstand gehandelt hätte.

44

2. Die Kündigung vom 7. November 2014 ist nicht gem. Nr. 5 Satz 1 und Satz 2 der Betriebsvereinbarung „Respektvolle Zusammenarbeit“ wegen einer unterbliebenen Beratung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über die zu treffende Maßnahme unwirksam. Zum einen hat der Kläger einen solchen Unwirksamkeitsgrund in den Vorinstanzen zu keinem Zeitpunkt gerügt, obwohl das Arbeitsgericht ausweislich Nr. 7 des in der Güteverhandlung vom 27. November 2014 verkündeten Beschlusses einen Hinweis nach § 6 Satz 2 KSchG erteilt hatte. Zum anderen sieht die Betriebsvereinbarung nicht vor, dass eine Verletzung der Beratungspflicht nach Nr. 5 die Unwirksamkeit einer Kündigung zur Folge haben soll. Eine solche Rechtsfolge müsste hinreichend deutlich geregelt sein (vgl. BAG 6. Februar 1997 - 2 AZR 168/96 - zu II 1 b der Gründe).

45

IV. Von der Aufhebung und Zurückverweisung umfasst sind die Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts über den Kündigungsschutzantrag betreffend die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 12. November 2014 zum 30. Juni 2015 und über den Weiterbeschäftigungsantrag.

46

1. Der auf die ordentliche Kündigung bezogene Kündigungsschutzantrag fällt nur zur Entscheidung an, wenn das Arbeitsverhältnis nicht bereits durch die außerordentliche Kündigung aufgelöst ist. Er ist dahin zu verstehen, dass er auflösend bedingt für den Fall gestellt ist, dass der Kündigungsschutzantrag gegen die außerordentliche Kündigung ohne Erfolg bleibt. Nur dies entspricht dem wohlverstandenen (Kosten-)Interesse des Klägers, da die Beklagte die ordentliche Kündigung nur „höchst vorsorglich und ohne Präjudiz für die Wirksamkeit“ der bereits ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung und damit auflösend bedingt für den Fall erklärt hat, dass das Arbeitsverhältnis bereits durch die außerordentliche Kündigung beendet ist (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 474/12 - Rn. 18 ff., BAGE 146, 333).

47

2. Über den Weiterbeschäftigungsantrag als weiterem unechten Hilfsantrag ist nur für den Fall des Obsiegens des Klägers mit beiden Kündigungsschutzanträgen zu entscheiden.

48

V. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    Koltze    

        

    Gerschermann    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 6. Juli 2015 - 7 Sa 124/15 - aufgehoben.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Weiden vom 4. Februar 2015 - 4 Ca 699/14 - teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch darüber, ob das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis durch arbeitgeberseitige Kündigung fristlos oder erst mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist beendet wurde.

2

Der Beklagte betreibt mit nicht mehr als zehn Arbeitnehmern ein Transportunternehmen. Sein einziger Kunde ist ein Automobilhersteller, für den er mit schweren Lastkraftwagen „Just-in-time“-Lieferungen durchführt. Der 1984 geborene Kläger wurde zum 5. November 2013 bei dem Beklagten als LKW-Fahrer eingestellt.

3

Außerhalb seiner Arbeitszeit nahm der Kläger am Samstag, dem 11. Oktober 2014, Amphetamin und Methamphetamin („Crystal Meth“) ein. Ab dem darauffolgenden Montag erbrachte er in der Frühschicht ab 04:00 Uhr morgens plangemäß seine Arbeitsleistung. Am Dienstag, dem 14. Oktober 2014, wurde er nach Beendigung seiner Tätigkeit für den Beklagten bei einer Fahrt mit seinem privaten PKW von der Polizei kontrolliert und einem Drogenwischtest unterzogen. Dessen Ergebnis war positiv. Die Blutuntersuchung ergab später, dass der Kläger Amphetamin und Methamphetamin konsumiert hatte.

4

Am Abend des 14. Oktober 2014 rief der Kläger den Beklagten an und teilte ihm mit, dass er seine um 04:00 Uhr des folgenden Tages beginnende Tour nicht fahren könne. Er finde seinen Führerschein nicht. Die Polizei habe ihn kontrolliert und ihm mitgeteilt, er dürfe deswegen nicht mehr fahren. Der Beklagte wies darauf hin, dass die rechtzeitige Belieferung des Kunden sehr wichtig sei und ein Ersatzfahrer nicht zur Verfügung stehe. Der Kläger erklärte sich schließlich dazu bereit, die Tour durchzuführen und nahm seine Tätigkeit dementsprechend am Morgen des 15. Oktober 2014 auf. Am 27. Oktober 2014 sprach der Beklagte den Kläger auf das Telefonat vom 14. Oktober 2014 an. Es könne nicht sein, dass die Polizei ein Fahrverbot ausspreche, nur weil man seinen Führerschein nicht vorlegen könne. Der Kläger räumte daraufhin den positiven Drogenwischtest am 14. Oktober 2014 ein.

5

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2014, welches dem Kläger am selben Tag zuging, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung. Das Kündigungsschreiben lautet auszugsweise wie folgt:

        

„Ihnen wurden bereits einige Gründe zu Ihrer Kündigung erläutert.

        

Diese sind insbesondere das laufende Verschlafen Ihrer Arbeitszeiten sowie der illegale Konsum von Betäubungsmitteln.

        

Dies wurde durch einen positiven Drogentest der Polizei am 14.10.2014 festgestellt.

        

Sie teilten dies jedoch nicht unverzüglich uns mit, sondern versuchten die entsprechenden Umstände zu verheimlichen. …

        

Die Einnahme von Drogen gaben Sie nach mehrmaligen Nachfragen und Androhung auf eine Untersuchung über den ASD der BG - Verkehr zu.“

6

Mit seiner am 6. November 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt.

7

Nach seiner Auffassung liegt kein hinreichender Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor. Der gesamte Geschehensablauf habe sich im privaten Bereich zugetragen. Es hätten keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit oder eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs bestanden. Deswegen habe es auch kein Ermittlungsverfahren nach § 315c bzw. § 316 StGB gegeben. Das bloße Begehen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG rechtfertige keine außerordentliche Kündigung. Ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sei nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Bei einem einmaligen Drogenkonsum hätte ohnehin eine Abmahnung ausgereicht.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2014, zugegangen am 28. Oktober 2014, nicht beendet worden ist.

9

Zur Begründung seines Klageabweisungsantrags hat der Beklagte vorgetragen, die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe jedenfalls vom 11. bis zum 14. Oktober 2014 unter Drogeneinfluss gestanden und in diesem Zustand ab dem 13. Oktober 2014 den ihm anvertrauten LKW gefahren. Zudem habe er in dem Gespräch am 14. Oktober 2014 den durchgeführten Drogenwischtest nicht erwähnt und dadurch die Möglichkeit einer am nächsten Tag noch bestehenden Fahruntüchtigkeit verschwiegen. Bei Kenntnis von dem positiven Ergebnis des Drogenwischtests wäre dem Kläger die Fahrt am 15. Oktober 2014 wegen des unvertretbaren Risikos einer erneuten Gefährdung des Straßenverkehrs untersagt worden. Erst am 27. Oktober 2014 sei der Sachverhalt aufgeklärt worden. Auf Nachfrage habe der Kläger in diesem Gespräch eingeräumt, dass ein Drogenkonsum evtl. noch festgestellt werden könnte. Der Beklagte habe ihm daraufhin erklärt, dass alle Fahrer sich jährlich beim Gesundheitsdienst der zuständigen Berufsgenossenschaft einer Untersuchung unterziehen müssten und bei dieser auch Blutuntersuchungen vorgenommen würden. Der Kläger habe gebeten, sich einer solchen Untersuchung nicht unterziehen zu müssen.

10

Eine weitere Beschäftigung des Klägers als LKW-Fahrer sei angesichts dessen potentieller Gefährdung des Straßenverkehrs durch Drogenkonsum und des Vertrauensverlusts auch nur für die Zeit der Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen. Außerdem hätte der einzige Kunde den Einsatz eines wegen Drogenmissbrauchs unzuverlässigen Fahrers nicht geduldet. Die Geschäftsbeziehung zu diesem existentiell wichtigen Kunden wäre bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers insgesamt gefährdet gewesen. Andere Einsatzmöglichkeiten habe es für den Kläger nicht gegeben. Es würden nur LKW-Fahrer beschäftigt.

11

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung nicht fristlos beendet worden ist, sondern bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 30. November 2014 fortbestanden hat. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Beklagte sein Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision ist begründet. Die streitgegenständliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis gemäß § 626 Abs. 1 BGB ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist mit ihrem Zugang am 28. Oktober 2014 beendet.

13

I. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts liegt ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vor.

14

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 17. März 2016 - 2 AZR 110/15 - Rn. 17 mwN).

15

2. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um bloße Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es anzuwendende Rechtsbegriffe in ihrer allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 22).

16

3. Dieser Überprüfung hält die angefochtene Entscheidung nicht stand.

17

a) Der Kläger hat in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, indem er am 11. Oktober 2014 Amphetamin und Methamphetamin eingenommen und dennoch ab dem 13. Oktober 2014 seine Tätigkeit als LKW-Fahrer verrichtet hat. Dies stellt einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB dar. Das Landesarbeitsgericht hat bei der vorzunehmenden Interessenabwägung die sich aus der Einnahme von Amphetamin und Methamphetamin für die Tätigkeit eines Berufskraftfahrers typischerweise ergebenden Gefahren nicht hinreichend gewürdigt.

18

aa) Die Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten kann „an sich“ einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Das betrifft sowohl auf die Hauptleistungspflicht bezogene Nebenleistungspflichten, die der Vorbereitung, der ordnungsgemäßen Durchführung und der Sicherung der Hauptleistung dienen und diese ergänzen, als auch sonstige, aus dem Gebot der Rücksichtnahme ( § 241 Abs. 2 BGB ) erwachsende Nebenpflichten (BAG 19. Januar 2016 - 2 AZR 449/15 - Rn. 29 mwN). Es besteht eine Nebenleistungspflicht des Arbeitnehmers, sich nicht in einen Zustand zu versetzen, in dem er seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht erfüllen oder bei Erbringung seiner Arbeitsleistung sich oder andere gefährden kann (vgl. BAG 26. Januar 1995 - 2 AZR 649/94 - zu B III 3 a der Gründe, BAGE 79, 176; ErfK/Müller-Glöge 16. Aufl. § 626 BGB Rn. 137; HWK/Sandmann 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 260). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Fähigkeit zur (sicheren) Erbringung der Arbeitsleistung durch ein Verhalten während oder außerhalb der Arbeitszeit eingeschränkt wurde. So hat der Arbeitnehmer die Pflicht, seine Arbeitsfähigkeit auch nicht durch Alkoholgenuss in der Freizeit zu beeinträchtigen (vgl. BAG 26. Januar 1995 - 2 AZR 649/94 - aaO; 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 22; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 310; Liebscher in Thüsing/Laux/Lembke KSchG 3. Aufl. § 1 Rn. 468; Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. § 1 Rn. 213; ErfK/Müller-Glöge § 626 BGB Rn. 137). Ein Berufskraftfahrer hat aufgrund der besonderen Gefahren des öffentlichen Straßenverkehrs jeden die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Alkoholkonsum zu unterlassen (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 25; LAG Nürnberg 17. Dezember 2002 - 6 Sa 480/01 - zu II 1 der Gründe; KR/Fischermeier 11. Aufl. § 626 BGB Rn. 423; KR/Griebeling/Rachor § 1 KSchG Rn. 425; Krause in vHH/L 15. Aufl. § 1 Rn. 577; Staudinger/Preis (2016) § 626 Rn. 129 mwN; HaKo/Zimmermann 5. Aufl. § 1 Rn. 360).

19

bb) Nimmt ein Berufskraftfahrer Amphetamin und Methamphetamin ein und führt er dennoch im Rahmen seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtung ein Fahrzeug des Arbeitgebers, kommt es wegen der sich aus diesem Drogenkonsum typischerweise ergebenden Gefahren nicht darauf an, ob seine Fahrtüchtigkeit konkret beeinträchtigt ist. Der Pflichtenverstoß liegt bereits in der massiven Gefährdung der Fahrtüchtigkeit.

20

(1) Dies entspricht den Wertungen des öffentlichen Rechts.

21

(a) Nach § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG handelt ordnungswidrig, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Die Vorschrift erfasst Fahrten unter der Einwirkung bestimmter Rauschmittel, die allgemein geeignet sind, die Verkehrs- und Fahrsicherheit zu beeinträchtigen. Es handelt sich um einen abstrakten Gefährdungstatbestand, bei dem es auf eine tatsächliche Beeinträchtigung der Fahrsicherheit oder Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer im Einzelfall nicht ankommt (vgl. Janker/Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker Straßenverkehrsrecht 24. Aufl. § 24a StVG Rn. 5). Amphetamin und Methamphetamin sind in der Anlage zu § 24a StVG genannt. Die Einnahme dieser Substanzen bewirkt zB erhöhte Risikobereitschaft und Enthemmung (vgl. König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 43. Aufl. § 24a StVG Rn. 19).

22

(b) Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) besteht bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) mit Ausnahme von Cannabis keine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 3, §§ 11 bis 14 FeV bereits dann gerechtfertigt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber mindestens einmal sogenannte „harte Drogen“ konsumiert hat. Der Fahrerlaubnisbehörde ist insoweit kein Ermessen eingeräumt (BayVGH 15. Juni 2016 - 11 CS 16.879 - Rn. 13; vgl. auch OVG NRW 23. Juli 2015 - 16 B 656/15 - Rn. 5; VGH Baden-Württemberg 7. April 2014 - 10 S 404/14 - Rn. 5; OVG Berlin-Brandenburg 10. Juni 2009 - OVG 1 S 97.09 - Rn. 4; VGH Hessen 21. März 2012 - 2 B 1570/11 - Rn. 6; Sächsisches OVG 28. Oktober 2015 - 3 B 289/15 - Rn. 5; OVG Sachsen-Anhalt 13. April 2012 - 3 M 47/12 - Rn. 6; Thüringer OVG 9. Juli 2014 - 2 EO 589/13 - Rn. 14; Koehl ZfSch 2015, 369 unter B). Zu den „harten Drogen“ zählen auch Amphetamin und Methamphetamin (§ 1 Abs. 1 BtMG iVm. Anlagen II und III zu § 1 Abs. 1 BtMG). Die Anlage 4 zur FeV beruht maßgeblich auf den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin bei den für Verkehr und Gesundheit zuständigen Bundesministerien, denen ein entsprechendes verkehrsmedizinisches Erfahrungswissen zugrunde liegt und die den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis auf diesem Gebiet wiedergeben (BVerwG 14. November 2013 - 3 C 32.12 - Rn. 19 mwN, BVerwGE 148, 230).

23

(2) Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, dass die Einnahme von Amphetamin und Methamphetamin die Fahrtüchtigkeit in einem solchen Maß gefährdet, dass dies für sich genommen bei einem Berufskraftfahrer eine Verletzung des Arbeitsvertrags darstellt, wenn er trotz des Drogenkonsums seine Tätigkeit verrichtet. Die drogenbedingte Gefährdung der Fahrtüchtigkeit bewirkt zumindest abstrakt auch eine Gefährdung der Sicherheit des Straßenverkehrs. Im Rahmen seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ist der Berufskraftfahrer gehalten, eine solche Gefährdung zu verhindern. Er verletzt durch die Drogeneinnahme seine Verpflichtungen daher auch dann, wenn es trotz des Drogenkonsums nicht zu einer konkreten Einschränkung der Fahrtüchtigkeit oder zu kritischen Verkehrssituationen kommt. Es ist für die Prüfung eines Vertragsverstoßes auch unbeachtlich, ob der Berufskraftfahrer durch seine Fahrtätigkeit eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG begeht oder ob die Substanz nicht mehr im Blut nachgewiesen werden kann(§ 24a Abs. 2 Satz 2 StVG).

24

cc) Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt hier entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vor, welcher die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt.

25

(1) Der Kläger hat in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen.

26

(a) Er konsumierte unstreitig am 11. Oktober 2014 Amphetamin und Methamphetamin. Dennoch verrichtete er vom 13. bis zum 15. Oktober 2014 seine Tätigkeit als LKW-Fahrer. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts stand er dabei noch „unter Drogeneinfluss“. Es ist jedenfalls bzgl. der Fahrten am 13. und 14. Oktober 2014 nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht dies aus dem Ergebnis des am Nachmittag des 14. Oktober 2014 durchgeführten Drogenwischtests geschlossen hat. Der Kläger hat damit seine vertraglichen Pflichten verletzt, auch wenn ungeklärt ist, inwieweit seine Fahrtüchtigkeit (noch) konkret beeinträchtigt war. Die Pflichtverletzung besteht, wie ausgeführt, schon in der Aufnahme der Tätigkeit trotz des Drogenkonsums.

27

(b) Diese Pflichtverletzung hat der Kläger schuldhaft begangen. Er handelte mindestens fahrlässig iSd. § 276 Abs. 2 BGB, indem er seine Fahrt am 13. Oktober 2014 um 04:00 Uhr morgens antrat, obwohl er erst zwei Tage vorher Amphetamin und Methamphetamin zu sich genommen hatte. Ihm musste bewusst gewesen sein, dass eine Fahrt unter Drogeneinfluss angesichts dieser kurzen Zeitdauer noch möglich war. Zudem hat er den LKW auch noch am 15. Oktober 2014 geführt, obwohl ihm das drogenbedingt erhöhte Risiko durch den positiven Drogenwischtest am 14. Oktober 2014 vor Augen geführt wurde. Der Umstand, dass der Kläger den Beklagten unstreitig noch am Abend dieses Tages angerufen und fälschlicherweise behauptet hat, er könne die Fahrt am nächsten Morgen wegen eines verlorenen Führerscheins nicht durchführen, lässt darauf schließen, dass er dieses Risiko auch erkannt hatte. Dabei kommt es nicht darauf an, welche Aussagen die Polizei ihm gegenüber gemacht hatte.

28

(c) Deshalb kann hier dahinstehen, unter welchen Umständen ein Berufskraftfahrer bei einem länger zurückliegenden Drogenkonsum davon ausgehen darf, dass keine Auswirkungen mehr bestehen. Auch die Problematik einer suchtbedingt fehlenden Steuerbarkeit des Verhaltens stellt sich nicht (vgl. hierzu BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 32/11 - Rn. 14; HaKo/Zimmermann 5. Aufl. § 1 Rn. 354). Der Kläger hat nicht behauptet, im fraglichen Zeitraum drogensüchtig gewesen zu sein.

29

(2) Dem Beklagten war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist auch bei Berücksichtigung der Interessen des Klägers nicht zumutbar. Die zu Gunsten des Klägers ausfallende Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts würdigt nicht alle in Betracht zu ziehenden Umstände. Da die für die Interessenabwägung relevanten Tatsachen sämtlich feststehen, kann der Senat die erforderliche Abwägung selbst vornehmen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42).

30

(a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 46 mwN, BAGE 153, 111).

31

(b) Das Landesarbeitsgericht hat die außerordentliche Kündigung als unverhältnismäßig angesehen, weil „keine Umstände vorliegen, die den Schluss zulassen, der Kläger sei an den genannten Tagen gefahren, obwohl er fahruntüchtig gewesen sei“. Ein einmaliger Verstoß gegen § 24a Abs. 2 StVG ohne eine konkrete Gefahr für die Interessen des Arbeitgebers könne eine fristlose Kündigung nicht rechtfertigen. Es lägen keine Tatsachen vor, die auf einen regelmäßigen Drogenkonsum des Klägers, welcher seine persönliche Eignung für die Tätigkeit als Berufskraftfahrer in Frage stellen könnte, schließen ließen. Dies ergebe sich auch nicht aus der angeblichen Weigerung des Klägers, sich einer Untersuchung durch den medizinischen Dienst der Berufsgenossenschaft zu unterziehen. Es bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine generelle Weigerung.

32

(c) Diese Würdigung ist nicht frei von Rechtsfehlern.

33

(aa) Das Landesarbeitsgericht verkennt, dass schon die Einnahme von sogenannten „harten Drogen“ wie Amphetamin und Methamphetamin die Fahrtüchtigkeit in einem solchen Maß gefährdet, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen entfällt. Der kündigungsrelevante Pflichtenverstoß des Klägers ist schon die Gefährdung seiner Fahrtüchtigkeit durch den Drogenmissbrauch vor Fahrtantritt. Ob seine Fahrtüchtigkeit bei den ab dem 13. Oktober 2014 durchgeführten Fahrten konkret beeinträchtigt war und deshalb eine erhöhte Gefahr im Straßenverkehr bestand, ist ohne Bedeutung.

34

(bb) Die vom Landesarbeitsgericht angenommene Erfüllung des Tatbestands des § 24a Abs. 2 StVG mag für sich genommen nicht ausreichen, um die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist anzunehmen. Das Begehen einer solchen Ordnungswidrigkeit wäre aber zu Lasten des Klägers in die Gesamtabwägung einzustellen.

35

(cc) Das Landesarbeitsgericht hat die Bedeutung der Zuverlässigkeit des Klägers im Hinblick auf den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz nicht hinreichend gewürdigt. Nach § 7 Abs. 2 der von der Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft (BG Verkehr) als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung erlassen Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ dürfen Unternehmer Versicherte, die erkennbar nicht in der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, mit dieser Arbeit nicht beschäftigen. Eine Missachtung dieser Vorgaben kann zum Verlust des Versicherungsschutzes in der gesetzlichen Unfallversicherung führen (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 25). Dem Beklagten war seit dem 27. Oktober 2014 bekannt, dass der Kläger „harte Drogen“ konsumiert hatte. Er musste daher davon ausgehen, dass ein weiterer Einsatz des Klägers das Risiko weiterer Fahrten unter Drogeneinfluss und damit Gefährdungen des öffentlichen Straßenverkehrs in sich birgt. Aus Sicht des Beklagten bestanden damit auch unabsehbare Risiken bzgl. seiner Haftung und des Versicherungsschutzes. Dies spricht für die Unzumutbarkeit der weiteren Beschäftigung des Klägers für den Beklagten.

36

(dd) Gleiches gilt hinsichtlich des möglichen Auftragsverlusts bei einem weiteren Einsatz des Klägers. Der Beklagte hat vorgetragen, dass der einzige Kunde bei Einsatz eines drogenbedingt unzuverlässigen Fahrers die Zuverlässigkeit des gesamten Unternehmens in Frage gestellt und ggf. den Auftrag entzogen hätte. Dies hat der Kläger nicht substantiiert bestritten. Die sich daraus ergebende wirtschaftliche Bedrohung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht nicht thematisiert.

37

(d) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts war dem Beklagten deshalb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist auch bei Berücksichtigung der Interessen des Klägers nicht zumutbar.

38

(aa) Der Kläger hat eine Pflichtverletzung begangen, durch welche er nicht nur sich selbst, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer sowie Güter des Beklagten zumindest potentiell in Gefahr gebracht hat. An der Schwere dieser Pflichtverletzung ändert es nichts, wenn es sich um einen einmaligen Drogenkonsum gehandelt haben sollte. Hätte der Kläger damals regelmäßig Drogen dieser Art konsumiert, hätte eine gesteigerte Wiederholungsgefahr bestanden, die zu Lasten des Klägers gewürdigt werden müsste.

39

(bb) Zu Gunsten des Klägers kann nicht berücksichtigt werden, dass es zu keinem Unfall kam. Zum einen kann dies als ein mehr oder minder zufälliger Umstand bei der Abwägung außer Betracht bleiben (vgl. bereits BAG 22. August 1963 - 2 AZR 114/63 -). Zum anderen würde das durch den Pflichtenverstoß geschaffene Risiko im Nachhinein unangemessen relativiert.

40

(cc) Soziale Belange rechtfertigen kein Überwiegen des Interesses des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Das Arbeitsverhältnis bestand erst seit knapp einem Jahr. Die persönliche Situation des Klägers lässt keine besondere Schutzwürdigkeit erkennen.

41

(dd) Die außerordentliche Kündigung ist keine unverhältnismäßige Reaktion auf die Pflichtverletzung des Klägers. Eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz war nicht möglich. Der Beklagte beschäftigt nach seinem unbestrittenen Vortrag ausschließlich Fahrer. Eine Abmahnung war entbehrlich. Die Pflichtverletzung des Klägers war so schwerwiegend, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich ausgeschlossen war (vgl. BAG 19. November 2015 - 2 AZR 217/15 - Rn. 24; 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 22, BAGE 150, 109).

42

b) Das Landesarbeitsgericht hat nicht berücksichtigt, dass der Beklagte die außerordentliche Kündigung ausweislich des Kündigungsschreibens auch damit begründet hat, dass der Kläger ihn in dem Telefonat am 14. Oktober 2014 nicht über den durchgeführten Drogenwischtest informiert, sondern fälschlicherweise behauptet habe, er dürfe wegen eines verlorenen Führerscheins am nächsten Tag nicht fahren. Dieses Verhalten des Klägers rechtfertigt für sich genommen die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

43

aa) Eine Nebenpflicht des Arbeitnehmers besteht darin, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen ( § 241 Abs. 2 BGB ). Diese Pflicht dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks ( BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13  - Rn. 19 mwN). Aus ihr leitet sich die allgemeine Pflicht des Arbeitnehmers ab, den Arbeitgeber im Rahmen des Zumutbaren unaufgefordert und rechtzeitig über Umstände zu informieren, die einer Erfüllung der Arbeitspflicht entgegenstehen (BAG 26. März 2015 - 2 AZR 517/14 - Rn. 24). Deshalb hat ein Arbeitnehmer den Verlust seiner Fahrerlaubnis unverzüglich mitzuteilen, wenn er diese für die Erbringung seiner Arbeitsleistung benötigt (vgl. Künzl/Sinner NZA-RR 2013, 561, 565). Zu den Nebenpflichten gehört auch die Schadensabwendungspflicht, nach welcher der Arbeitnehmer gehalten ist, drohende Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden bzw. zu beseitigen, soweit ihm dies möglich und zumutbar ist. In Zusammenhang damit steht die Verpflichtung des Arbeitnehmers, bemerkbare oder voraussehbare Schäden oder Gefahren dem Arbeitgeber unverzüglich anzuzeigen (BAG 28. August 2008 - 2 AZR 15/07 - Rn. 21). Verstößt der Arbeitnehmer zumindest bedingt vorsätzlich gegen seine aus § 241 Abs. 2 BGB abzuleitende Pflicht, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren drohende Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden, liegt darin eine erhebliche Pflichtverletzung, die den Arbeitgeber grundsätzlich zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt(vgl. BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 256/14 - Rn. 25).

44

bb) Der Kläger hatte die Pflicht, den Beklagten unverzüglich über das Ergebnis des Drogenwischtests am 14. Oktober 2014 zu informieren. Dies gilt auch angesichts des Umstands, dass der Test auf die polizeiliche Kontrolle einer Privatfahrt zurückzuführen ist. Der Bezug zum Arbeitsverhältnis ergibt sich aus der Einteilung des Klägers in die am nächsten Morgen um 04:00 Uhr beginnende Frühschicht. Dem Kläger wurde durch das Ergebnis des Drogenwischtests unmissverständlich verdeutlicht, dass der Drogenkonsum am vorangegangenen Samstag seine Fahrtüchtigkeit noch immer erheblich in Frage stellt. Seine Fähigkeit zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Vertragspflichten als LKW-Fahrer war damit zumindest bezogen auf den nächsten Tag zweifelhaft. Angesichts der mit einem Einsatz des Klägers zumindest abstrakt verbundenen Gefahren für den Straßenverkehr und Güter des Beklagten musste der Beklagte offensichtlich über diese Situation unterrichtet werden, um ihm eine Entscheidung bzgl. der weiteren Vorgehensweise auf zutreffender Tatsachengrundlage zu ermöglichen.

45

cc) Diese Pflicht hat der Kläger nicht erfüllt. Er hat in dem Telefonat am Abend des 14. Oktober 2014 die Polizeikontrolle und deren Ergebnis vielmehr wahrheitswidrig dargestellt, indem er behauptet hat, er dürfe nach polizeilicher Auskunft am nächsten Tag den LKW nicht fahren, weil er seinen Führerschein verlegt habe. Über den wirklichen Sachverhalt hat er den Beklagten nicht informiert.

46

dd) Diese Pflichtverletzung stellt einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB dar.

47

(1) Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung ist zu Lasten des Klägers nicht nur die Schwere der Vertragsverletzung zu berücksichtigen, sondern auch die bewusste Täuschung des Beklagten über die Geschehnisse am 14. Oktober 2014. Der Beklagte hat im Kündigungsschreiben zu Recht angeführt, der Kläger habe versucht, „die entsprechenden Umstände zu verheimlichen“. Der Kläger hat mit seiner Vorgehensweise dem auch für die kurzfristige Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderlichen Vertrauen des Beklagten die Grundlage entzogen. Der Beklagte konnte sich nicht mehr sicher sein, dass der Kläger ihn über sicherheitsrelevante Vorgänge pflichtgemäß unterrichtet. Da der Beklagte auf die Zuverlässigkeit der Mitteilungen seiner Fahrer angewiesen ist, war ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar.

48

(2) Eine Abmahnung war auch bzgl. dieses gravierenden Pflichtenverstoßes entbehrlich. Der Kläger konnte nicht erwarten, dass der Beklagte die irreführende Darstellung der Polizeikontrolle akzeptiert.

49

c) Selbst wenn die beiden angeführten Kündigungsgründe für sich genommen die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen würden, wäre die außerordentliche Kündigung jedenfalls bei einer Gesamtbetrachtung wirksam. Der Kläger hat durch die für einen Berufskraftfahrer unverantwortbare Gefährdung seiner Fahrtüchtigkeit in Verbindung mit dem Versuch einer Vertuschung des Drogenwischtests die für das Arbeitsverhältnis unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört.

50

II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

51

1. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ist bzgl. beider Kündigungsgründe gewahrt. Sie beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 54 mwN). Der Beklagte hat hier nach seinem insoweit unbestrittenen Vortrag erst im Gespräch am 27. Oktober 2014 von den maßgeblichen Umständen Kenntnis erlangt. Der Zugang der Kündigung erfolgte bereits am 28. Oktober 2014.

52

2. Die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 28. Oktober 2014 ergibt sich auch nicht aus anderen Umständen. Solche sind weder behauptet noch ersichtlich.

53

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel     

        

        

        

    Wollensak    

        

    Döpfert     

                 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Teil-Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 26. November 2014 - 3 Sa 239/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Klägerin erklärten außerordentlichen Kündigung und wechselseitige Zahlungsansprüche.

2

Die Klägerin ist die deutsche Tochtergesellschaft einer Aktiengesellschaft türkischen Rechts, von der sie Teppiche und Auslegware bezieht. Der Beklagte war bei der Klägerin als Vertriebsleiter Europa beschäftigt. Der Arbeitsvertrag vom 3. August 2004 lautet:

        

„…    

        

§ 7 Sonstige Leistungen, Entschädigung und Abfindung

        

a) Die Gesellschaft erstattet … [dem Beklagten] die Aufwendungen, die ihm in der Ausübung seiner Aufgaben entstehen, einschließlich Reise- und Bewirtungskosten, im Rahmen der jeweils steuerlich zulässigen Höchstgrenzen. [Der Beklagte] muss seine Auslagen belegen, soweit üblicherweise Belege erteilt werden. Im übrigen reichen Eigenbelege aus (…).

        

b) [Der Beklagte] hat einen Anspruch auf die Gestellung eines Pkw der gehobenen Mittelklasse. Er darf den Pkw auch privat nutzen. …“

3

In einem unter dem 6. Juli 2009 abgeschlossenen Abwicklungsvertrag vereinbarten die Parteien nach vorangegangener Kündigung der Klägerin ua. eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Juli 2009 und die Zahlung einer Abfindung iHv. 740.000,00 Euro. Die Rückgabe des Firmenfahrzeuges an die Klägerin sollte unverzüglich nach Erhalt der gesamten Abfindung erfolgen. Einen Teilbetrag der im Abwicklungsvertrag vereinbarten Abfindung iHv. 290.000,00 Euro erhielt der Beklagte bereits am 8. Juli 2009.

4

Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 14. Juli 2009, dem Beklagten am 16. Juli 2009 zugegangen, erneut und ohne Einhaltung einer Frist. Dieser erstattete am 16. Juli 2009 Strafanzeige gegen zwei Mitarbeiter der türkischen Muttergesellschaft wegen Bedrohung und Nötigung. Das ihm überlassene Firmenfahrzeug gab der Beklagte der Klägerin am 18. März 2010 zurück.

5

Die Klägerin hat die außerordentliche Kündigung vom 14. Juli 2009 für wirksam gehalten. Der Beklagte habe in großem Umfang einen Spesenbetrug begangen, in rechtsmissbräuchlicher Weise den Abwicklungsvertrag abgeschlossen und eine unberechtigte Strafanzeige gegen Vertreter der Muttergesellschaft der Klägerin gestellt. Der Beklagte habe Ausgaben im fünfstelligen Bereich zulasten des Firmenkontos getätigt, ohne diese zu belegen. Die ihm überlassene Firmenkreditkarte sei im August 2008 iHv. 1.000,00 Euro für den Erwerb privater Bekleidung eingesetzt worden. Im Juli 2006 habe der Beklagte eine Zahlung iHv. 22.000,00 Euro an die in Aserbaidschan ansässige A und im August 2008 eine weitere Zahlung über 28.592,00 Euro an die schweizer Gesellschaft I AG veranlasst. Für beide Geschäftsvorfälle könne nach den vorhandenen Unterlagen keine Gegenleistung festgestellt werden. Die außerordentliche Kündigung vom 14. Juli 2009 sei jedenfalls als Verdachtskündigung wirksam. Der Zahlungsantrag umfasse die Rückzahlung der gezahlten Teilabfindung iHv. 290.000,00 Euro, der an die A sowie I AG geleisteten Zahlungen sowie eine Nutzungsausfallentschädigung iHv. 5.309,70 Euro für die verspätete Rückgabe des Firmenfahrzeuges.

6

Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt,

        

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 345.901,70 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 290.000,00 Euro seit dem 15. Juli 2009 und aus 55.901,70 Euro seit dem 27. Oktober 2009 zu zahlen.

7

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und - soweit im vorliegenden Verfahren von Bedeutung - im Wege der Widerklage beantragt,

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 14. Juli 2009 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten eine Abfindung in Höhe von 740.000,00 Euro brutto abzüglich bereits gezahlter 290.000,00 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2009 zu zahlen.

8

Die Klägerin hat die Abweisung der Widerklage beantragt.

9

Der Beklagte hat behauptet, er habe sämtliche Ausgaben gegenüber der Assistentin der Geschäftsführung abgerechnet. Nicht belegte Ausgaben seien nicht von ihm veranlasst worden. Er habe im August 2008 einen Einkaufsgutschein iHv. 1.000,00 Euro erworben, den er im Rahmen der „Kundenpflege“ den Geschäftsführern eines in Belgien ansässigen Kunden überlassen habe. Die Zahlung an die A sei als Gegenleistung für die Erstellung einer Marktanalyse erfolgt, die I AG habe eine Werbebroschüre gefertigt. Er habe die Strafanzeige erst nach Zugang der Kündigung vom 14. Juli 2009 erstattet. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten in Zusammenhang mit dem Abschluss des Abwicklungsvertrags liege nicht vor.

10

Das Arbeitsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - die Klage abgewiesen und der Widerklage entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin insoweit zurückgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat der Senat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses hat nach einer teilweise im Wege der Rechtshilfe erfolgten Beweisaufnahme die Berufung der Klägerin erneut zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

12

A. Die Revision ist nicht wegen Vorliegens eines absoluten Revisionsgrundes nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 547 Nr. 3 ZPO im Sinne einer Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Die Voraussetzungen des § 547 Nr. 3 ZPO liegen nicht vor. Das Landesarbeitsgericht hat das gegen den ehrenamtlichen Richter S gerichtete Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen. Die Rechtmäßigkeit dieser dem Teilurteil des Berufungsgerichts vorausgehenden (Zwischen-)Entscheidung ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens.

13

Nach § 557 Abs. 2 ZPO iVm. § 72 Abs. 5 ArbGG unterliegen der Beurteilung des Revisionsgerichts nicht die dem Endurteil vorausgegangenen unanfechtbaren Entscheidungen. Zu diesen gehört eine nach § 49 Abs. 3 iVm. § 64 Abs. 7 ArbGG unanfechtbare Entscheidung über ein im Berufungsverfahren angebrachtes Ablehnungsgesuch. Eine inzidente Überprüfung der Entscheidung des Berufungsgerichts über ein Ablehnungsgesuch im Rahmen einer Revision gegen die unter Mitwirkung der erfolglos abgelehnten Richter getroffene Hauptentscheidung ist danach ausgeschlossen (BGH 30. November 2006 - III ZR 93/06 - Rn. 4; zum Verfahren nach § 92 ArbGG: BAG 20. Januar 2009 - 1 ABR 78/07 - Rn. 20). Ob hiervon eine Ausnahme zu machen ist, wenn die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs auf einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör oder auf willkürlichen oder manipulativen Erwägungen beruht, kann dahinstehen. Die Klägerin hat in der Revisionsbegründung keine darauf bezogenen Tatsachen vorgetragen.

14

B. Das Landesarbeitsgericht hat die auf Zahlung von 345.901,70 Euro gerichtete Klage zu Recht als unbegründet angesehen. Ein Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung der dem Beklagten vorfristig gewährten Teilabfindung (290.000,00 Euro), der von ihm veranlassten Zahlungen an die A (22.000,00 Euro) und die I AG (28.592,00 Euro) sowie auf eine Nutzungsausfallentschädigung für den Pkw (5.309,70 Euro) besteht nicht.

15

I. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nach der im Abwicklungsvertrag vom 6. Juli 2009 getroffenen Vereinbarung mit Ablauf des 31. Juli 2009 geendet. Das Landesarbeitsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die außerordentliche Kündigung der Klägerin vom 14. Juli 2009 für unwirksam gehalten und eine Rückzahlungsverpflichtung des Beklagten in Bezug auf den zu diesem Zeitpunkt bereits ausgezahlten Abfindungsteilbetrag von 290.000,00 Euro verneint.

16

1. Die - rechtzeitig angegriffene - außerordentliche Kündigung vom 14. Juli 2009 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mit ihrem Zugang beendet. Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass - soweit sie von der Klägerin auf tatsächlich begangene Pflichtverletzungen des Beklagten gestützt wird - zu diesem Zeitpunkt kein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vorgelegen hat.

17

a) Nach der genannten Vorschrift kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 21).

18

b) Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um bloße Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es anzuwendende Rechtsbegriffe in ihrer allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 22).

19

c) Einer solchen eingeschränkten Überprüfung hält die angefochtene Entscheidung stand. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landesarbeitsgericht die Grundsätze über die Darlegungslast des kündigenden Teils nicht verkannt.

20

aa) Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, die von der Klägerin behaupteten Abrechnungsbetrugshandlungen des Beklagten in Bezug auf die ihm zu erstattenden Aufwendungen seien als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB „an sich“ geeignet, den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu rechtfertigen. Gleiches gilt für die gegenüber Mitarbeitern der Muttergesellschaft der Klägerin - aus ihrer Sicht nicht in Wahrnehmung berechtigter Interessen - erstattete Strafanzeige und das behauptete kollusive Zusammenwirken des Beklagten mit dem vormaligen Geschäftsführer der Klägerin bei Abschluss des Abwicklungsvertrags.

21

bb) Das Berufungsgericht hat die tatbestandlichen Voraussetzungen des wichtigen Grundes im Ergebnis rechtsfehlerfrei verneint.

22

(1) Seine Würdigung, der Beklagte habe aufgrund der entsprechenden mehrjährigen Handhabung davon ausgehen dürfen, eine konkrete Belegabrechnung werde trotz der gegenteiligen arbeitsvertraglichen Vereinbarung von der Klägerin nicht mehr verlangt, hält sich im Rahmen seines tatrichterlichen Beurteilungsspielraums und lässt einen revisiblen Rechtsfehler nicht erkennen. An einer darauf bezogenen zulässigen Verfahrensrüge der Klägerin fehlt es gleichermaßen.

23

(2) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe ihren Vorwurf, der Beklagte habe am 21. August 2008 die ihm dienstlich zur Verfügung gestellte Kreditkarte für den Erwerb privater Bekleidung genutzt, nicht bewiesen, ist ebenso frei von Rechtsfehlern. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen in Bezug auf die Verletzung von Verfahrensrecht bei der Beweisaufnahme durch den ersuchten Richter sowie der Nichtberücksichtigung ihres Vorbringens sind jedenfalls unbegründet.

24

(a) Die Klägerin hat die von ihr behauptete Verletzung des Öffentlichkeitsgebots (§ 169 GVG) bei der Beweisaufnahme durch das ersuchte belgische Gericht nicht ausreichend dargelegt.

25

(aa) Die Durchführung einer Beweisaufnahme durch den ersuchten Richter richtet sich im Bereich der Europäischen Union (Ausnahme: Dänemark) nach der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (- EG-BewVO - ABl. L 174 vom 27. Juni 2001 S. 1). Für ihre Durchführung gelten aufgrund der Verweisung in § 363 Abs. 3 Satz 2 ZPO die §§ 1072, 1073 ZPO. Entspricht die von einer ausländischen Behörde vorgenommene Beweisaufnahme den für das Prozessgericht geltenden Gesetzen, kann daraus, dass sie nach den ausländischen Gesetzen mangelhaft ist, kein Einwand entnommen werden (§ 369 ZPO).

26

(bb) Die Klägerin stützt den behaupteten Verstoß gegen das Öffentlichkeitsgebot auf den Umstand, dass die ihren Prozessbevollmächtigten begleitende Rechtspraktikantin den Sitzungssaal auf Anweisung des ersuchten Richters während der Beweisaufnahme nicht betreten durfte. Die Revision legt aber nicht dar, dass die Rechtspraktikantin nach den Normen der EG-BewVO im konkreten Fall an der Beweisaufnahme teilnehmen durfte. Ob ihr Prozessbevollmächtigter darüber hinaus verpflichtet gewesen wäre, die aus ihrer Sicht unzutreffende Verfahrensweise des belgischen Gerichts gegenüber diesem zu beanstanden, kann daher dahinstehen. Daneben läge auch nach nationalem Verfahrensrecht kein Verstoß gegen das Öffentlichkeitsgebot vor. Die Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter wird von § 169 Satz 1 GVG nicht erfasst(Zöller/Lückemann ZPO 30. Aufl. § 169 GVG Rn. 9).

27

(b) Soweit die Revision beanstandet, die Klägerin habe vor dem belgischen Gericht keine Fragen an die Zeugen stellen dürfen, ist ihre Verfahrensrüge unzulässig. Sie hat nicht dargetan, dass die Handhabung des ersuchten Richters gegen das nach Art. 10 Abs. 2 EG-BewVO für die Erledigung des Ersuchens anwendbare belgische Verfahrensrecht verstößt. Zudem hat sie keine zulässigen Fragen formuliert, die sie an die Zeugen gerichtet hätte oder konkrete erläuterungsbedürftige Punkte aufgezeigt.

28

(c) Soweit die Revision rügt, das Landesarbeitsgericht habe in der Übergabe des Geschenkgutscheins an die Geschäftspartner der Klägerin zu Unrecht keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat nach § 299 Abs. 2 StGB gesehen, genügt ihr Vorbringen in der Revisionsbegründung nicht den Anforderungen des § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO. Die Klägerin legt nicht dar, aus welchen Gründen die tatrichterliche Würdigung des Landesarbeitsgerichts gegen § 286 ZPO verstößt. Dazu genügt der pauschale Hinweis auf ihr Vorbringen im Schriftsatz vom 5. Juli 2011 allein nicht. Es wird in der Revisionsbegründung nicht ausgeführt, dass der dort gehaltene Vortrag unstreitig geblieben ist. Ebenso wird nicht erkennbar, auf welche Weise sich die Klägerin den von ihr stets bestrittenen Vortrag des Beklagten über die Verwendung der 1.000,00 Euro zumindest hilfsweise zu Eigen gemacht haben will.

29

(3) Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht auch die vom Beklagten verantworteten Zahlungen an die A iHv. 22.000,00 Euro und an die I AG von 28.592,00 Euro nicht als Grund für die außerordentliche Kündigung vom 14. Juli 2009 angesehen.

30

(a) Die Klägerin hat sich zur Rechtfertigung ihrer außerordentlichen Kündigung darauf berufen, der Beklagte habe Zahlungen an die A und die I AG veranlasst, ohne dass diesen eine Gegenleistung für die Klägerin zugrunde gelegen habe. Der Beklagte hat dies bestritten und vorgetragen, die A habe eine Marktanalyse für die Klägerin durchgeführt und die I AG eine Produktpräsentation für eine Geschäftspartnerin erstellt, die dieser im Rahmen der geschäftlichen Beziehungen zur Verfügung gestellt worden sei.

31

(b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe die von ihr aufgestellte Behauptung, den von der A und der I AG ausgestellten Rechnungen habe keine Gegenleistung gegenüber gestanden, nicht bewiesen, ist frei von revisiblen Rechtsfehlern. Das Berufungsgericht hat insbesondere die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast nicht verkannt oder zulasten der Klägerin fehlerhaft angewandt.

32

(aa) Im Kündigungsschutzprozess obliegt dem kündigenden Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Den Arbeitgeber trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen. Allerdings kann den Arbeitnehmer schon auf der Tatbestandsebene des wichtigen Grundes eine sekundäre Darlegungslast treffen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber als primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs steht, während der Arbeitnehmer aufgrund seiner Sachnähe die wesentlichen Tatsachen kennt. In einer solchen Situation kann der Arbeitnehmer gehalten sein, dem Arbeitgeber durch nähere Angaben weiteren Sachvortrag zu ermöglichen. Kommt er in einer solchen Prozesslage seiner sekundären Darlegungslast nicht nach, gilt das tatsächliche Vorbringen des Arbeitgebers - soweit es nicht völlig „aus der Luft gegriffen“ ist - iSv. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Dabei dürfen an die sekundäre Behauptungslast des Arbeitnehmers keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Sie dient lediglich dazu, es dem kündigenden Arbeitgeber als primär darlegungs- und beweispflichtiger Partei zu ermöglichen, weitere Nachforschungen anzustellen und sodann substanziiert zum Kündigungsgrund vorzutragen und ggf. Beweis anzutreten (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 41).

33

(bb) Danach hatte zunächst die Klägerin die dem Beklagten vorgeworfenen Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit den Zahlungen an die A und die I AG darzulegen. Es scheint schon fraglich, ob das Landesarbeitsgericht überhaupt zugunsten der Klägerin die Grundsätze über die sekundäre Darlegungspflicht des Beklagten heranziehen durfte. Die Klägerin hat sich nach der Ablösung ihres vormaligen Geschäftsführers B zur Rechtfertigung der Kündigung auf den Hinweis beschränkt, Unterlagen über die Dienstleistungen der vorgenannten Firmen seien bei ihr nicht vorhanden und Herr B habe auf Nachfrage mitgeteilt, er habe keine Kenntnis von den fraglichen Geschäftsvorfällen. Allein das Nichtvorhandensein von Belegen über geschäftliche Beziehungen zur A und I AG zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung belegt nicht, dass es diese nicht gegeben hat. Die Zahlungen an die vorgenannten Firmen waren Gegenstand des Geschäftsbetriebs der Klägerin. Diese konnte nach ihr vorliegenden Unterlagen bei den mit der Buchführung betrauten Personen sowie den rechnungsausstellenden Firmen weitere Nachforschungen anstellen. Dies kann indes dahinstehen. Aufgrund des vom Beklagten gehaltenen Vortrags über die Auftragsvergabe und -abwicklung war die Klägerin zu weiteren Nachforschungen in der Lage. Eines weitergehenden Vortrags des Beklagten bedurfte es jedenfalls im Entscheidungszeitpunkt des Berufungsgerichts nicht mehr. Der frühere Geschäftsführer der Klägerin hat im Rahmen seiner Aussage angegeben, die Geschäftsvorfälle mit der A und der I AG seien ihm erinnerlich. Dem ist die Klägerin nicht gegenbeweislich entgegengetreten. Da sich die vertraglichen Beziehungen zu den vorgenannten Firmen nicht außerhalb des Geschäftsbetriebs der Klägerin vollzogen haben, oblag dieser wieder die volle Darlegungs- und Beweislast für die fehlende Gegenleistung.

34

(cc) Die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts lässt einen revisiblen Rechtsfehler nicht erkennen. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen sind jedenfalls unbegründet.

35

(aaa) Dies gilt zunächst für die von der Revision angebrachte Rüge, das Landesarbeitsgericht habe dem im Schriftsatz vom 20. Juni 2011 enthaltenen Beweisantritt auf Vernehmung des Zeugen Y nicht entsprochen. Die in das Wissen dieses Zeugen gestellten Tatsachen waren nach dem Entscheidungsweg des Landesarbeitsgerichts nicht beweisbedürftig. Dieses hat die Aussage des früheren Geschäftsführers B, deren Glaubhaftigkeit der Zeuge Y mit seiner Aussage infrage stellten sollte, als unergiebig angesehen.

36

(bbb) Das Landesarbeitsgericht musste auch nicht den von der Klägerin benannten Zeuge Am vernehmen, um der Klägerin die Möglichkeit zu geben, „auch nur ansatzweise den eigenen Vortrag substanziieren zu können“. Eine mit diesem Ziel durchgeführte Beweisaufnahme wäre auf die Erhebung eines unzulässigen Ausforschungsbeweises hinausgelaufen. Die Revision zeigt keine greifbaren Anhaltspunkte auf, auf deren Grundlage die Klägerin zumindest hätte vermuten dürfen, dass der Zeuge Auskunft über Tatsachen geben kann, die für die geschäftlichen Beziehungen der Klägerin zur Firma A im Jahr 2006 von Bedeutung sind.

37

(ccc) Die weiteren gerügten Verfahrensmängel hat der Senat geprüft und sie nicht als durchgreifend erachtet (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 564 Satz 1 ZPO).

38

2. Die außerordentliche Kündigung vom 14. Juli 2009 ist auch mangels eines wichtigen Grundes iSd. § 626 Abs. 1 BGB unwirksam, soweit sie von der Klägerin auf den Verdacht von schwerwiegenden Pflichtverletzungen des Beklagten gestützt wird.

39

a) Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn starke, auf objektive Tatsachen gründende Verdachtsmomente vorliegen, die geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus (BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 256/14 - Rn. 21).

40

b) Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung mangels Vorliegens eines dringenden Tatverdachts für unwirksam gehalten. Die von der Klägerin vorgetragenen Umstände seien zu pauschal, um einen solchen zu begründen oder würden von ihr auf nicht beweisbare Vermutungen gestützt. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts lässt unter Berücksichtigung des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen. Auch die Klägerin zeigt in der Revisionsbegründung einen solchen nicht auf. Vielmehr weist der Beklagte in seiner Revisionserwiderung zu Recht darauf hin, dass auch das Verhalten der Klägerin, die sich nach Abschluss des Abwicklungsvertrags unstreitig „auf die Suche nach Kündigungsgründen gemacht“ hat, die Annahme rechtfertigen könnte, sie habe absichtlich Zahlungsvorgänge mit ausländischen Gesellschaften ausgewählt, um dem Beklagten eine darauf bezogene Rechtfertigung zu erschweren. Dies schließt gleichermaßen die Dringlichkeit eines gegenüber dem Beklagten bestehenden Tatverdachts aus.

41

3. Die außerordentliche Kündigung der Klägerin ist auch nicht wegen der am 16. Juli 2009 vom Beklagten erstatteten Strafanzeige und der Umstände, die zum Abschluss des Abwicklungsvertrags geführt haben, gerechtfertigt. Die darauf bezogene tatrichterliche Würdigung lässt einen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts nicht erkennen. Gegenteiliges macht auch die Klägerin in der Revisionsbegründung nicht mehr geltend.

42

II. Das Landesarbeitsgericht hat nach den vorstehenden Ausführungen eine Verpflichtung des Beklagten zur Rückgewähr der von der Klägerin an die A (22.000,00 Euro) und die I AG (28.592,00 Euro) gezahlten Beträge sowie einen Anspruch auf Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung iHv. 5.309,70 Euro zutreffend verneint. Darauf bezogene Rügen hat die Revision nicht erhoben.

43

C. Die Revision der Klägerin ist auch in Bezug auf die vom Beklagten mit der Widerklage verfolgten Ansprüche unbegründet. Dies betrifft zunächst seinen auf Feststellung der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 14. Juli 2009 gerichteten Feststellungsantrag. Dieser erweist sich ebenso als begründet wie der Antrag zu 2., der auf die Zahlung der restlichen, im Abwicklungsvertrag vom 6. Juli 2009 vereinbarten Abfindungssumme gerichtet ist.

44

D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Sieg    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 29.04.2015, Az. 5 Sa 244/15, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Rechtswirksamkeit einer fristlosen Kündigung, nachdem die Klägerin ihr Arbeitsverhältnis selbst ordentlich gekündigt hatte, sowie um daraus resultierende Verzugslohnansprüche.

2

Die 31-jährige Klägerin ist seit 01.11.2013 bei der Beklagten, einem ambulanten Pflegedienst, als Pflegekraft zu einem Bruttomonatsgehalt von 1.501,56 brutto zzgl. Fahrgeld, Fehlgeldentschädigung und Sonntagszuschlag (§ 5 des Arbeitsvertrages, Bl. 4 ff. d. A.) beschäftigt. Der der Klägerin zur Verfügung gestellte Dienstwagen ist mit dem Slogan der Beklagten „Kundenfreundlicher Pflegedienst 2014“ beschriftet.

3

Mit Schreiben vom 19.01.2015 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 28.02.2015. Vom 19.01. bis zum 03.02.2015 war die Klägerin arbeitsunfähig krank. Das Kündigungsschreiben sowie die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gingen der Beklagten am 19.01.2015 zu. Mit Schreiben vom 22.01.2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht. Für Januar 2015 erteilte die Beklagte der Klägerin eine Gehaltsabrechnung mit folgenden Bezügen (Bl. 15 d. A.):

4

Festgehalt

1.259,37

Sonntagszuschlag

28,31

Fahrgeld pausch. Verst.

13,21

Fehlgeldentschädigung

6,71

Minusstunden (Std. 104,00 9,00)

936,00

Urlaubsabgeltung

 136,51

Gesamt-Brutto

 508,11

5

Die Klägerin hat am 02.02.2015 Kündigungsschutzklage erhoben sowie die ungekürzten Vergütungsansprüche bis einschließlich Februar 2015 geltend gemacht. Sie könne noch restliche Vergütung für Januar 2015 in Höhe von 1.244,96 € brutto beanspruchen, wobei ihr ein durchschnittliches Monatsgehalt 1.616,56 € brutto zustehe (1.616,56 € + 136,51 € - 508,11 €). Zudem habe sie Anspruch auf Entgeltfortzahlung bzw. Verzugslohn für Februar in Höhe von 1.616,56 € brutto.

6

Die Beklagte hat vorgetragen,

7

dass ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vorgelegen habe. Am 10.01.2015 habe sie von dem Zeugen H. erfahren, dass die Klägerin sich am 09.01.2015 auf dem Weg zu einer Patientin derart verkehrswidrig verhalten habe, dass es einen „Beinaheunfall“ gegeben habe. Sie habe eine Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315 c Abs. 1 Ziff. 2 StGB begangen. Am 12.01.2015 habe sie die Klägerin mit dem Vorwurf konfrontiert. Die Klägerin habe sich jedoch völlig uneinsichtig gezeigt. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass es sich nicht um den ersten Vorfall dieser Art gehandelt habe. Vielmehr habe die Klägerin bereits am 16.08.2014 mit einem Pkw einen Fahrradfahrer schuldhaft angefahren und sei am 29.10.2014 mit dem Dienstwagen gegen eine Mauer gefahren sei, wobei ein Sachschaden entstanden sei. Wesentliches Merkmal der Tätigkeit der Klägerin sei es, sich im Straßenverkehr zu bewegen, um zu den Kunden zu fahren. Sofern die Klägerin also Straßenverkehrsvorschriften verletze und dadurch den Führerschein verliere bzw. die Gefahr des Führerscheinverlustes bestehe, gefährde sie immanent auch ihren Arbeitsplatz. Das Fehlverhalten habe dienstlichen Bezug und wirke sich unmittelbar und konkret nachteilig auf das Arbeitsverhältnis aus. Es zeige die fehlende Zuverlässigkeit und mangelnde Eignung der Klägerin für die Tätigkeit bei der Beklagten. Es sei ihr, der Beklagten, nicht zumutbar, dass weitere Teilnehmer des Straßenverkehrs durch die dienstlichen Fahrten der Klägerin gefährdet würden. Vergütungsansprüche stünden der Klägerin nicht zu, da sie zu keinem Zeitpunkt nach Ausspruch der Kündigung vom 22.01.2015 ihre Arbeitskraft angeboten habe und auch nicht freigestellt gewesen sei. Der Abzug der Minusstunden sei gerechtfertigt gewesen. Die Klägerin habe sehr viele Minusstunden im Laufe des Arbeitsverhältnisses aufgebaut.

8

Wegen des weiteren, insbesondere streitigen Vorbringens der Parteien in erster Instanz sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

9

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 29.04.2015 der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten zum 19.01.2015, sondern durch Eigenkündigung der Klägerin erst zum 28.02.2015 beendet worden. Ein wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB in Form einer schwerwiegenden Pflichtverletzung liege nicht vor. Eine solche schwerwiegende Pflichtverletzung ergebe sich nicht aus der behaupteten Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB vom 09.01.2015. Die Klägerin sei bei der Beklagten als Pflegekraft angestellt gewesen, sodass straßenverkehrsrechtliche Pflichten allenfalls Nebenpflichten im Rahmen der ambulanten Pflegetätigkeit seien. Zudem sei weder die Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr noch deren Ahndung Aufgabe des Arbeitgebers. Das strittige Verhalten der Klägerin könne mithin schon dem Grunde nach keinen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. Dies gelte auch für die von der Beklagten geäußerte Sorge, infolge eines Unfalls mit dem Dienstfahrzeug in der Kfz-Versicherung hochgestuft zu werden und des Imageverlustes des Unternehmens, da aufgrund des Logos auf dem Dienstfahrzeug die rücksichtslose Fahrweise der Klägerin ihrem, der Beklagten, Unternehmen zugeschrieben werden würde.

10

Gegen das ihr am 21.05.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12.06.2015 beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Berufung eingelegt und diese am 20.07.2015 begründet.

11

Die Beklagte rügt

12

die Verletzung rechtlichen Gehörs, weil das Arbeitsgericht den Zeugen H. nicht vernommen habe. Die Klägerin sei mit überhöhter Geschwindigkeit in S. auf der D-straße gefahren und sei ohne zu blinken abgebogen und habe dabei zudem mit dem Handy am Ohr telefoniert. Sie habe die Vorfahrt nicht beachtet. Hierdurch sei der entgegenkommende Zeuge H. gezwungen gewesen, stark und abrupt abzubremsen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Dies könne der Zeuge H. bestätigen. Dieser Verkehrsverstoß stehe in einem engen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis. Die Klägerin habe eine Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2a) StGB begangen, was zum Entzug der Fahrerlaubnis gemäß 69 StGB hätte führen können. Die Klägerin benötige als ambulante Pflegekraft zur Ausübung ihrer Tätigkeit den Führerschein. Ein verkehrswidriges Verhalten müsse sie, die Beklagte, nicht hinnehmen, da sie im Falle des Entzugs der Fahrerlaubnis eine Ersatzkraft einstellen müsse. Dieses wirtschaftliche Risiko müsse sie nicht tragen. Eine Weiterbeschäftigung der Klägerin bis zum 28.02.2015 sei ihr nicht zuzumuten gewesen. Die fristlose Kündigung sei auch unter dem Gesichtspunkt der Verdachtskündigung gerechtfertigt. Sie habe die Klägerin am 12.01.2015 zu den Vorwürfen auch angehört. Der Klägerin stehe auch keine Vergütung für Februar 2015 zu, da sie ihre Arbeitskraft nach Ende der Arbeitsunfähigkeit nicht wieder angeboten habe.

13

Die Beklagte beantragt,

14

das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 29.04.2015, Az.: 5 Ca 244/15, abzuändern und die Klage abzuweisen.

15

Die Klägerin beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Die Klägerin verteidigt

18

das angefochtene Urteil. Sie bestreitet, den behaupteten Vorfall vom 09.01.2015. Der Zeuge H. habe mit seinem Fahrzeug an der maßgeblichen Stelle in der D-straße vor den dortigen Müllcontainern gestanden und habe sein Fahrzeug gar nicht bewegt. Mithin sei es auch nicht aufgrund eines Fehlverhaltens ihrerseits zu einer Vollbremsung durch den Zeugen H. gekommen. Ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung habe nicht vorgelegen. Zudem seien auch die Verzugslohnansprüche für Februar 2014 begründet. Nach Ausspruch der fristlosen Kündigung habe sie ihre Arbeitskraft nicht mehr explizit anbieten müssen.

19

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Inhalte der wechselseitigen Berufungsschriftsätze sowie der Sitzungsniederschrift vom 08.10.2015 verwiesen.

Entscheidungsgründe

20

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG; § 519 ZPO.

21

In der Sache selbst hat die Berufung keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.

22

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Die hiergegen von der Beklagten in der Berufungsbegründung erhobenen Einwände rechtfertigen kein anderes Ergebnis. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete nicht durch die angefochtene außerordentliche Kündigung vom 22.01.2015 fristlos (I.). Die zuerkannten Zahlungsansprüche sind ebenfalls begründet (II.).

23

I. Die Voraussetzungen für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung lagen hier nicht vor, sodass das Arbeitsverhältnis nicht bereits mit Zugang der angefochtenen Kündigung vom 22.01.2015 fristlos endete, sondern erst aufgrund der zuvor durch die Klägerin selbst erklärten ordentlichen Eigenkündigung vom 19.01.2015 zum 28.02.2015.

24

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die rechtliche Überprüfung nach § 626 Abs. 1 BGB erfolgt in zwei Stufen: Zum einen muss ein Grund vorliegen, der - ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles - überhaupt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen der Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips, zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen (LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 03.07.2014 - 5 Sa 27/14 -, Rn. 20, juris).

25

2. Hieran gemessen war die fristlose Kündigung vorliegend unverhältnismäßig.

26

a) Die Beklagte wirft der Klägerin vor, sich am 09.01.2015 während einer dienstlich veranlassten Fahrt zu einem Patienten mit dem Dienstfahrzeug grob verkehrswidrig verhalten zu haben. Sie sei mit überhöhter Geschwindigkeit und ohne zu blinken abgebogen und habe hierdurch einem entgegenkommenden anderen Verkehrsteilnehmer die Vorfahrt genommen. Hierdurch habe sie sich im Rahmen einer Dienstfahrt einer Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Ziff. 2a) StGB schuldig gemacht.

27

Wenn der Arbeitnehmer im Rahmen der Ausübung seiner vertraglich geschuldeten Arbeit mit dem Dienstfahrzeug des Arbeitgebers eine Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Ziff. 2a) StGB begeht, ist dies im oben genannten Sinne an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darzustellen. Denn wer im Straßenverkehr grob verkehrswidrig und rücksichtslos die Vorfahrt nicht beachtet und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, begeht nicht nur eine Ordnungswidrigkeit, sondern macht sich strafbar und wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, § 315c Abs. 1 Ziff. 2a) StGB. Bei einem derartigen verkehrswidrigen Verhalten gefährdet der Arbeitnehmer nicht nur Leib und Leben und Eigentum des anderen Verkehrsteilnehmers, sondern auch das Eigentum des Arbeitgebers, das Dienstfahrzeug. Dies gilt nicht nur für Kraftfahrer, deren Hauptleistungspflicht in dem Führen des Kraftfahrzeugs liegt, sondern auch dann, wenn das Führen des Kraftfahrzeugs eine wesentliche Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag darstellt, weil die Haupttätigkeit ohne Firmenfahrzeug nicht ausgeübt werden kann (vgl. BAG, Urt. v. 14.02.1991 - 2 AZR 525/90 - Rn. 18, juris). Ein Arbeitnehmer, der Dienstfahrten mit einem Dienstfahrzeug verrichtet, muss sich selbstverständlich im Straßenverkehr an die Straßenverkehrsordnung halten. Dies schuldet er nicht nur der Rechtsordnung und Allgemeinheit, sondern - als vertragliche Nebenpflicht - auch dem Arbeitgeber.

28

b) Jedenfalls scheitert die außerordentliche Kündigung an der erforderlichen Interessenabwägung.

29

aa) Die der Klägerin zur Last gelegte Pflichtverletzung zählt eindeutig zum Leistungsbereich (schlechte bzw. verkehrswidrige Dienstfahrt) und nicht um eine strafbare Handlung, die sich explizit gegen die Beklagte als Arbeitgeberin richtet (Diebstahl, Unterschlagung, Sachbeschädigung, Körperverletzung, Beleidigung). Schlechtleistungen können indessen, sofern sie nicht bereits den Grad einer beharrlichen Arbeitsverweigerung angenommen haben, in aller Regel keinen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen, sondern allenfalls eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen. Die Beklagte verkennt insoweit, dass die fristlose Kündigung immer nur das letzte Mittel sein kann, um auf Pflichtverletzungen eines Arbeitnehmers zu reagieren. Der Regelfall muss bei Schlechtleistung die ordentliche Kündigung sein. Die Beklagte hat auch keine Umstände dargetan, warum es ihr ausnahmsweise unzumutbar gewesen sein soll, die Klägerin noch gut einen Monat bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist der zuvor von der Klägerin ausgesprochenen Eigenkündigung weiter zu beschäftigen.

30

bb) Zudem verkennt die Beklagte, dass nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Ausspruch einer fristlosen Kündigung stets das letzte Mittel sein muss, um auf eine Vertragsverletzung zu reagieren. Beruht die Vertragspflichtverletzung zudem auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (BAG, Urt. v. 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 -, juris). Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 BGB i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes demnach nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit auch für den Arbeitnehmer erkennbar offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG, Urt. v. 09.06.2011 - 2 AZR 284/10 -, juris; BAG, Urt. v. 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 -, juris; LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 27.06.2013 - 5 Sa 31/13 -, Rn. 34, juris). Auch im Falle einer verhaltensbedingten fristlosen oder ordentlichen Kündigung gilt der im Kündigungsrecht geltende Grundsatz einer negativen Prognose. Eine Kündigung ist nicht Strafe für begangene Vertragsverletzungen, sondern nur gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber auch künftig mit gleichgearteten Vertragsverletzungen rechnen muss und ihm deshalb nicht zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer fortzusetzen. Dies zugrunde gelegt hätte die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung die Klägerin zunächst wegen verkehrswidrigem Verhalten abmahnen müssen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der streitige Vorfall unstreitig folgenlos blieb. Der behauptete Vorfahrtsverstoß führte weder zu einem Verkehrsunfall noch zu einem Ermittlungsverfahren, in welchem die Beklagte als Fahrzeughalterin involviert gewesen wäre, noch zu einem Fahrverbot oder Führerscheinentzug zulasten der Klägerin noch zu einem Sachschaden am Dienstfahrzeug der Beklagten. Die Beklagte hat auch nicht dargelegt, dass ihr aufgrund des (bestrittenen) rücksichtslosen Verhaltens der Klägerin bereits ein wie auch immer gearteter Imageschaden entstanden ist.

31

Einer Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen H. bedurfte es mithin nicht. Vielmehr kann der strittige Vorfall vom 09.01.2014 als wahr unterstellt werden. Die Beklagte hätte die Klägerin wegen dieser (bestrittenen) Verletzung vertraglicher Nebenpflichten, die für die Beklagte sowohl in finanzieller als auch in personeller Hinsicht folgenlos blieb, bereits grundsätzlich nicht fristlos kündigen können. Zudem hätte die Beklagte die Klägerin vor Ausspruch einer fristlosen oder ordentlichen Kündigung zunächst abmahnen müssen.

32

3. Wenn der - als wahr unterstellte - Vorfall vom 09.01.2015 bereits keinen wichtigen Grund zum Ausspruch einer fristlosen Tatkündigung darzustellen vermag, gilt dies erst Recht für den Ausspruch einer dahingehenden Verdachtskündigung.

33

4. Dementsprechend endete das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der fristlosen Kündigung der Beklagten vom 22.01.2015, sondern erst durch die zuvor erklärte ordentliche Eigenkündigung der Klägerin zum 28.02.2015.

34

II. Das Arbeitsgericht hat der Klägerin aber auch die geltend gemachten Zahlungsansprüche zu Recht zuerkannt.

35

Gegen die Höhe der mit dem angefochtenen Urteil zuerkannten Entgeltfortzahlungs- und Verzugslohnansprüche erhebt die Klägerin keine Einwände. Solche sind auch ansonsten nicht ersichtlich. Die Beklagte wendet sich mit der Berufung lediglich gegen den Anspruchsgrund für die zuerkannten Vergütungsansprüche für den Monat Februar 2015. Sie greift das angefochtene Urteil nur dahingehend an, dass das Arbeitsgericht verkannt habe, dass die Klägerin nach Ende der Arbeitsunfähigkeit ihr gegenüber hätte anzeigen müssen, dass sie für arbeitsvertragliche Weisungen wieder bereit stehe.

36

Hierzu war die Klägerin indessen nicht verpflichtet. Nach § 615 Satz 1 BGB hat der Arbeitgeber die vereinbarte Vergütung fortzuzahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät. Die Voraussetzungen des Annahmeverzuges richten sich nach den §§ 293 ff. BGB. Ist für die vom Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, bedarf es nach § 296 BGB keines Angebots des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber die Handlung nicht rechtzeitig vornimmt.

37

Die Verzugslohnfolgen gemäß § 615 BGB treten nach einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung unabhängig davon ein, ob der arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer seine wiedergewonnene Arbeitsfähigkeit dem Arbeitgeber anzeigt. Nach Ausspruch einer unwirksamen fristlosen wie ordentlichen Kündigung ist ein solches Angebot gemäß § 296 Satz 1 BGB grundsätzlich entbehrlich (BAG, Urt. v. 18.09.2008 - 2 AZR 1060/06 -, Rn. 15, juris; BAG, Urt. v. 24.11.1990 - 2 AZR 591/89 - Rn. 19 ff., juris; BAG, Urt. v. 19.01.1999 - 9 AZR 679/97 - Rn. 14, juris). Vielmehr obliegt es dem Arbeitgeber als Gläubiger der geschuldeten Arbeitsleistung, dem Arbeitnehmer die Leistungserbringung zu ermöglichen, sprich, für den Arbeitnehmer einen funktionsfähigen Arbeitsplatz bereit zu halten. Mit Ausspruch der fristlosen Kündigung bzw. nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist entzieht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer aber regelmäßig einen derartigen Arbeitsplatz und bringt zum Ausdruck, dass er den Arbeitnehmer gerade nicht beschäftigen will. Er kommt damit seiner gebotenen Obliegenheitspflicht, für den Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz bereit zu halten, nicht nach, so dass er bei Unwirksamkeit der Kündigung in Annahmeverzug gerät, ohne dass es eines tatsächlichen oder auch nur wörtlichen Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer bedarf (BAG, Urt. v. 19.01.1999 - 9 AZR 679/97 - Rn. 14, juris).

38

III. Nach alledem war die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge der §§ 97 Abs. 1 ZPO, 64 Abs. 6 ArbGG zurückzuweisen.

39

Ein gesetzlich begründbarer Anlass zur Zulassung der Revision lag nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.


(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 28. Mai 2014 - 10 Sa 770/13 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie es der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 19. Juni 2013 - 19 Ca 13099/12 - stattgegeben hat.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München wird insgesamt zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger wurde 1961 geboren, ist verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit 1989 - zunächst als Systemanalytiker und zuletzt als IT-Spezialist - bei der Beklagten beschäftigt. Die vereinbarte Wochenarbeitszeit belief sich auf 35 Stunden. Sein Arbeitsverhältnis war nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie (MTV) vom 23. Juni 2008 verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund kündbar.

3

Zwischen den Parteien kam es mehrfach zu Unstimmigkeiten über die dem Kläger zugeteilten Aufgaben und sein berufliches Fortkommen. Mit E-Mail vom 30. März 2009 forderte dieser die Beklagte auf, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen und sein „Aschenputtel-Dasein“ zu beenden. Die Beklagte übe „Psychoterror“ aus. Sie versuche, ihn zu zermürben und zu demütigen, was bei ihm zu einer seelischen Erkrankung geführt habe. Gleichzeitig kündigte er an, ggf. von einem Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB Gebrauch machen zu wollen. Nach mehreren Gesprächen wurde ihm für die Zeit ab Oktober 2009 einvernehmlich die Tätigkeit eines IT-Chefarchitekten und die Leitung eines Projekts übertragen.

4

Das dem Kläger anvertraute Projekt endete spätestens im September 2011. Im Mai 2011 wurde ihm die Aufgabe eines sog. Blueprint-Vorfilterers und im Februar 2012 diejenige eines „TRM-Koordinators“ jeweils mit seinem Einverständnis übertragen. Nachdem die Einarbeitung abgeschlossen war, lasteten diese Tätigkeiten ihn für drei bis vier Stunden pro Woche aus. Das ihm im Juni 2012 unterbreitete Angebot, zusätzlich im Projekt „SharePoint“ tätig zu werden, lehnte er ab.

5

Mit E-Mail vom 10. September 2012 richtete der Kläger eine Petition an die Personalleitung der Beklagten. In der beigefügten PowerPoint-Präsentation führte er aus, dass seit 1996 eine „massive Entwicklungsblockade“ gegen ihn verhängt worden sei. Trotz seiner „ständig sehr guten Ergebnisse“ und der „mustergültigen Einhaltung aller geltenden Regeln“ sei er nicht befördert worden. Dieses „unternehmensbedingte, großangelegte Mobbing“ habe bei ihm zu „totaler Frustration“ geführt. Seine Arbeitsmoral liege „brach“, die „innere Kündigung (sei) perfekt“. Die Beklagte habe ihn „krank gemacht“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“. Er sei „körperlich erschöpft, sowie seelisch und geistig ausgebrannt“. Die Beklagte habe sein „Potenzial definitiv und unwiederbringlich kaputt gemacht“. Man befinde sich in einem Dilemma wie in einer „schlechten Ehe“ und solle sich „lieber heute als morgen voneinander trennen“. Die von ihm „bevorzugte Lösung“ sei deshalb eine „bezahlte Freistellung mit garantiertem Bestandsschutz bis zum Eintritt in die gesetzliche Rente bzw. die Freizeitphase der Altersteilzeit“. In einer weiteren E-Mail vom 20. September 2012 teilte der Kläger der Beklagten mit, ihm sei es nicht mehr möglich und zumutbar, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Ab dem 1. Oktober 2012 werde er von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen.

6

Die Beklagte wies die Vorwürfe mit Schreiben vom 28. September 2012 zurück und ließ den Kläger wissen, dass sie es als schwerwiegende Verletzung seiner Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung ziehen werde, wenn er der Arbeit fernbleiben sollte. Zugleich lud sie ihn für den 1. Oktober 2012 zu einem Personalgespräch ein. Der Kläger erwiderte mit E-Mail vom gleichen Tag, er sei „sprachlos“ aufgrund der „inhaltslosen Aussagen“ und „billigen Drohungen“. Die Beklagte habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

7

Der Kläger erschien - wie angekündigt - ab dem 1. Oktober 2012 nicht mehr zur Arbeit. In der Folge entspann sich zwischen den Parteien ein nicht geringer Schrift- und E-Mail-Wechsel, in dessen Zuge die Beklagte den Kläger zweimal wegen Arbeitsverweigerung abmahnte und ihn noch weitere drei Mal vergeblich zu einem Personalgespräch einlud. Im fünften Anlauf kam für den 15. Oktober 2012 ein solches Gespräch zustande, in dem die Parteien keine Einigung erzielen konnten. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2012 erteilte die Beklagte dem Kläger eine „letztmalige Abmahnung“. Nachdem auch diese fruchtlos geblieben war, kündigte sie dessen Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats - mit Schreiben vom 26. Oktober 2012 außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit Auslauffrist zum 31. Mai 2013.

8

Hiergegen hat der Kläger sich rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Er hat gemeint, er habe seine Arbeitspflicht nicht verletzt, weil er wirksam ein Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht habe. Angesichts der gegen ihn verhängten „Entwicklungsblockade“ und des fortwährenden „Mobbing“ sei es ihm unzumutbar, weiterhin seine Arbeitsleistung zu erbringen. Die Kündigung stelle sich als Maßregelung dar.

9

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 26. Oktober 2012 noch durch die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist vom 26. Oktober 2012 aufgelöst worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, der Kläger habe seine Arbeitspflicht beharrlich verletzt. Er sei nicht berechtigt gewesen, die Leistung zu verweigern. Die von ihm - ohnehin unsubstantiiert - erhobenen Vorwürfe seien unzutreffend. Der Kläger habe sich auch nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden. Vielmehr sei er sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos bewusst gewesen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte das Ziel, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist zulässig und begründet.

13

A. Der Senat kann über die Revision entscheiden. Es kommt nicht darauf an, ob der Rechtsstreit deshalb nach § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen gewesen ist, weil der ursprüngliche Prozessbevollmächtigte des Klägers im Laufe des Revisionsverfahrens die Zulassung zur Anwaltschaft und damit gemäß § 11 Abs. 4 ArbGG die Fähigkeit verloren hat, die Vertretung seiner Partei fortzuführen(gegen eine Unterbrechung bei Bestellung eines Abwicklers BFH 10. Februar 1982 - I R 225/78 - BFHE 135, 445; für eine Unterbrechung trotz Bestellung eines Abwicklers OLG Köln 3. Juni 1993 - 12 W 19/93 - zu I der Gründe; Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 244 Rn. 9). Eine mögliche Unterbrechung ist jedenfalls dadurch beendet worden, dass der Abwickler der Kanzlei des früheren Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 30. April 2015 seine Bestellung gegenüber dem Bundesarbeitsgericht angezeigt hat und die Anzeige der Beklagten zugestellt worden ist (§ 244 Abs. 1, § 250 ZPO). Bei einem amtlich bestellten Abwickler handelt es sich um einen „bestellten neuen Anwalt“ iSv. § 244 Abs. 1 ZPO(BAG 13. Mai 1997 - 3 AZR 66/96 - zu A der Gründe).

14

B. Die Revision ist zulässig. Entgegen der Ansicht des Klägers ist sie ordnungsgemäß begründet worden.

15

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss der vermeintliche Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufgezeigt werden, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Dazu muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Das erfordert die genaue Darlegung der Gesichtspunkte, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 16).

16

II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Die Beklagte wendet sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, unter Abwägung der beiderseitigen Interessen sei es ihr zumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Sie legt dar, welche von ihm festgestellten Umstände es außer Acht gelassen habe und wie daraus ein anderes Ergebnis folge. Diese Sachrüge wäre im Fall ihrer Begründetheit geeignet, das Berufungsurteil - soweit es durch die Beklagte angefochten wird - zu Fall zu bringen. Das reicht als Revisionsangriff aus. Darauf, ob die Beklagte die von ihr zudem erhobenen Verfahrensrügen ausreichend begründet hat, kommt es für die Zulässigkeit der Revision deshalb nicht an.

17

C. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Unrecht stattgegeben. Sie ist unbegründet. Die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 26. Oktober 2012 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Sie ist wirksam.

18

I. Es besteht ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB iVm. § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV.

19

1. Nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV können die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die - wie der Kläger - das 50. Lebensjahr vollendet und dem Betrieb oder Unternehmen mindestens 15 Jahre angehört haben, verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Mit dem Begriff des „wichtigen Grundes“ knüpft der MTV an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an(für insoweit vergleichbare Tarifverträge BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 688/09 - Rn. 31; 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 24).

20

2. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der - ggf. fiktiven - Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 19, BAGE 149, 355; 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 19). Bei der Interessenabwägung ist die ordentliche Unkündbarkeit seines Arbeitsverhältnisses - hier: nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV - nicht gesondert zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 48 mwN, BAGE 137, 54).

21

3. Der Kläger hat einen „an sich“ wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB herbeigeführt, indem er die von ihm geschuldete Arbeitsleistung beharrlich verweigerte.

22

a) Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer verweigert die ihm angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachdrücklich nicht leisten will. Ob er zur Arbeitsleistung verpflichtet war, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 29, 32).

23

b) Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB begründen sollen. Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen. Allerdings hat hierzu der Arbeitnehmer seinerseits nach § 138 Abs. 2 ZPO substantiiert vorzutragen; er muss darlegen, warum sein Fehlen als „entschuldigt“ anzusehen sei. Nur die im Rahmen der insofern abgestuften Darlegungs- und Beweislast vom Arbeitnehmer behaupteten Tatsachen hat der Arbeitgeber zu widerlegen (vgl. BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 123/02 - zu II 2 b aa der Gründe; 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 70, 262).

24

c) Der Kläger verweigerte seit dem 1. Oktober 2012 die von ihm geschuldete Arbeitsleistung. Er war grundsätzlich verpflichtet, die ihm mit seinem Einverständnis übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ auszuführen.

25

d) Der Kläger war nicht berechtigt, die Arbeitsleistung zu verweigern, weil es ihm gemäß § 275 Abs. 3 BGB unzumutbar gewesen wäre, sie zu erbringen.

26

aa) Nach § 275 Abs. 3 BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn er sie persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des ihr entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Die Vorschrift betrifft das Spannungsverhältnis von Vertragstreue und Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung (BAG 13. August 2010 - 1 AZR 173/09 - Rn. 12, BAGE 135, 203). Sie löst es (nur) dann zugunsten des Schuldners auf, wenn für diesen die Leistungserbringung in hohem Maße belastend ist (MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 116), weil ein Fall besonderer Leistungserschwerung vorliegt (Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 70). Dem Schuldner kann die Erfüllung der von ihm persönlich zu erbringenden Leistung unzumutbar sein, wenn er dadurch Gefahr läuft, in bedeutsamen Rechtsgütern verletzt zu werden (vgl. Staudinger/Caspers (2014) § 275 Rn. 112: Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit). Im Falle einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung des Arbeitnehmers selbst - nicht eines seiner nahen Angehörigen - ist umstritten, ob die Leistungsbefreiung automatisch gemäß § 275 Abs. 1 BGB eintritt oder der Betreffende erst von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB Gebrauch machen muss(zum Streitstand siehe Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 71; MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 118).

27

bb) Dem Kläger war es nicht unzumutbar, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

28

(1) Er beruft sich nicht etwa darauf, dass er bereits arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Eine entsprechende ärztliche Bescheinigung gemäß § 5 EFZG hat er nicht vorgelegt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine Arbeitsunfähigkeit zumindest zu erwarten gewesen wäre, wenn er seine Tätigkeit fortgesetzt hätte. Zwar hat der Kläger behauptet, an einer psychischen Erkrankung zu leiden. Jedoch hat er diese nur schlagwortartig umschrieben. Es fehlt an Vortrag zu den Symptomen und dazu, wie sich die Krankheit - die ihm offenbar seit Jahren bekannt ist - in der jüngeren Vergangenheit entwickelt hat, welche konkreten Auswirkungen die Situation am Arbeitsplatz hatte und warum es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden konnte, die Arbeitsleistung fortzusetzen.

29

(2) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass es dem Kläger nicht aufgrund von - drohenden - Persönlichkeitsrechtsverletzungen unzumutbar gewesen sei, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (zur eingeschränkten Überprüfbarkeit der tatrichterlichen Würdigung vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 8 AZR 546/09 - Rn. 20; 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - Rn. 36).

30

(a) Nicht jedes den Arbeitnehmer belastende Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) stellt einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers oder eine Verletzung vertraglicher Pflichten zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) dar. Persönlichkeitsrechte werden nicht allein dadurch verletzt, dass im Arbeitsleben übliche Konflikte auftreten, die sich durchaus über einen längeren Zeitraum erstrecken können. Sozial- und rechtsadäquates Verhalten muss aufgrund der gebotenen objektiven Betrachtungsweise - dh. ohne Rücksicht auf das subjektive Empfinden des betroffenen Arbeitnehmers - von der rechtlichen Bewertung ausgenommen werden. Mangels entsprechender Systematik und Zielrichtung werden keine Rechte des Arbeitnehmers beeinträchtigt, wenn er von verschiedenen Vorgesetzten, die nicht zusammenwirken und die zeitlich aufeinanderfolgen, in seiner Arbeitsleistung kritisiert oder schlecht beurteilt wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn seine Arbeitsleistung nicht nur beanstandet oder ignoriert, sondern auch positiv gewürdigt wird. Ebenso müssen Verhaltensweisen von Arbeitgebern oder Vorgesetzten unberücksichtigt bleiben, die lediglich eine Reaktion auf Provokationen durch den vermeintlich „gemobbten“ Arbeitnehmer darstellen. Insoweit fehlt es an der eindeutigen Täter-Opfer-Konstellation (BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 86, BAGE 122, 304).

31

(b) Zur Begründung des Vorwurfs, er sei systematisch in seiner beruflichen Entwicklung „blockiert“ worden, beruft der Kläger sich darauf, dass ihm Zwischenzeugnisse mit unrichtigem Inhalt erteilt, ein Telearbeitsplatz verweigert, Leistungspunkte gestrichen, keine herausfordernden Aufgaben übertragen und eine Fortbildung und Beförderung verwehrt worden seien. Weitere Verhaltensweisen der Beklagten hat er nicht konkret dargetan; es ersetzt keinen substantiierten Sachvortrag, Vorschriften zu benennen, gegen die sie verstoßen haben soll.

32

(c) Mit dem Landesarbeitsgericht lassen die vom Kläger geschilderten Verhaltensweisen weder einzeln für sich noch in ihrer Gesamtschau den Schluss auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts zu. Zwischen den Parteien bestanden lediglich Konflikte wie sie im Arbeitsleben üblich sind. Sie ergaben sich aus unterschiedlichen Auffassungen über die Qualität der Arbeitsleistung und -ergebnisse des Klägers. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte oder einer ihrer Repräsentanten (§ 278 BGB) auch nur in einem Einzelfall die Ebene der Sachlichkeit verlassen hätte. Im Übrigen würde selbst dies nicht ausreichen, um eine Rechtsverletzung anzunehmen (vgl. BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 76, BAGE 122, 304).

33

(aa) Der Kläger mag es als erniedrigend empfunden haben, dass ehemalige Kollegen zu seinen Vorgesetzten wurden. In diesem Empfinden mag er dadurch bestärkt worden sein, dass seine Arbeitsleistung schlechter beurteilt wurde, als er es für gerechtfertigt hielt. Er hatte jedoch keinen Rechtsanspruch darauf, gleichfalls befördert zu werden (vgl. zur „Fürsorgepflicht“ des Arbeitgebers BAG 23. September 1992 - 5 AZR 526/91 - zu II 6 der Gründe). Die Beklagte hat substantiiert dargetan, dass sie ihn nicht als „Führungskraft“ sehe, weil er aus ihrer Sicht nicht über ausreichende Gestaltungsfähigkeiten bei komplexen, noch unklaren Sachverhalten und nicht über das erforderliche Team- und Kommunikationsverhalten verfüge.

34

(bb) Es ist nicht ersichtlich, dass gegen den Kläger eine „Entwicklungsblockade“ verhängt worden wäre. Ihm sind Angebote zur Fort- und Weiterbildung unterbreitet worden. Diese hat er entweder nicht angenommen oder er hat die begonnenen Schulungen - etwa das sog. Gallup-Stärkentraining - vorzeitig abgebrochen. Wenn Probleme in seinem Arbeitsumfeld aufgetreten sind, hat die Beklagte versucht, Tätigkeiten in anderen Bereichen für ihn zu finden und ihm einen „unbelasteten Neustart“ zu ermöglichen. Nach seinen eigenen Angaben ist er nicht nur kritisiert, sondern verschiedentlich für seine Arbeitsleistung und seine Arbeitsergebnisse auch gelobt worden. Zu keiner Zeit wurde ihm eine Aufgabe entzogen. Die Notwendigkeit, ihm neue Tätigkeiten zuzuweisen, ergab sich vielmehr dadurch, dass die ihm übertragenen Projekte abgeschlossen waren. Dass der Kläger mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nicht ausgelastet war, lässt nicht den Schluss zu, die Beklagte habe ihn auf das „Abstellgleis“ geschoben. Ihm ist zusätzlich ein Einsatz im Projekt „SharePoint“ angeboten worden. Diesen hat er - mit der Begründung, dass er sich dafür zunächst hätte fortbilden müssen - abgelehnt. Er hat auch im Prozess keine Angaben dazu gemacht, welche möglichen Aufgaben, die den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen entsprochen und nicht eine Beförderung bedeutet hätten, die Beklagte ihm „vorenthalten“ habe.

35

(cc) Es kommt hinzu, dass die Auseinandersetzungen um den Telearbeitsplatz und die Streichung von Leistungspunkten bei Beginn der Arbeitsverweigerung bereits im Sinne des Klägers „ausgestanden“ waren. Ihm war ein Telearbeitsplatz eingerichtet worden. Sein Vorgesetzter hatte ihm lediglich nahegelegt, in seinem - des Klägers - eigenen Interesse gleichwohl ausreichend im Unternehmen „präsent“ zu sein. Die nach den bei der Beklagten üblichen Gepflogenheiten anlässlich eines Aufgabenwechsels „gehaltsneutral“ gestrichenen Leistungspunkte waren ihm auf seinen „Protest“ hin wieder gutgeschrieben worden. Das hatte für ihn eine Gehaltserhöhung zur Folge, obwohl er sich in der neuen Tätigkeit noch nicht in der dazu erforderlichen Weise „bewährt“ haben konnte.

36

e) Die Arbeitsverweigerung durch den Kläger war nicht in Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

37

aa) Nach dieser Vorschrift darf der Schuldner, der aus dem gleichen Rechtsverhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat - sofern sich aus dem Schuldverhältnis nichts anderes ergibt -, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird. Dem Arbeitnehmer kann ein Recht zustehen, die Arbeitsleistung zurückzuhalten, wenn der Arbeitgeber seine aus dem Arbeitsverhältnis folgenden Haupt- oder Nebenpflichten schuldhaft nicht erfüllt. So liegt es beispielsweise, wenn der Arbeitgeber oder einer seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) die Gesundheit des Arbeitnehmers oder dessen Persönlichkeitsrecht in erheblicher Weise verletzt und mit weiteren Verletzungen zu rechnen ist. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts steht unter dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB und unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dementsprechend muss der Arbeitnehmer unter Angabe des Grundes dem Arbeitgeber klar und eindeutig mitteilen, er werde dieses Recht mit Blick auf eine ganz bestimmte, konkrete Gegenforderung wahrnehmen. Nur so wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, den möglichen Anspruch des Arbeitnehmers zu prüfen und ggf. zu erfüllen. Wenn der Arbeitnehmer berechtigterweise von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch macht, liegt keine Arbeitsverweigerung vor (vgl. BAG 13. März 2008 - 2 AZR 88/07 - Rn. 39 ff. mwN).

38

bb) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB geltend gemacht. Obwohl ihm ausweislich vorheriger Mitteilungen - etwa in der E-Mail vom 30. März 2009 - der Unterschied zwischen beiden Normen bestens bekannt war, hat er die Beklagte mit E-Mail vom 20. September 2012 (lediglich) wissen lassen, dass ihm die weitere Arbeitsleistung unzumutbar sei und er ab dem 1. Oktober 2012 von seinem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen werde. Noch in der Klageschrift hat er sich ausschließlich auf § 275 BGB bezogen. Dementsprechend hat er von der Beklagten nicht etwa verlangt, bestimmte Ansprüche zu erfüllen, Maßnahmen zu ergreifen oder Zustände zu beenden. Mithilfe der Weigerung, seine Arbeitsleistung zu erbringen, wollte er weder eine vertragsgemäße Beschäftigung noch die Unterlassung von weiterem „Mobbing“ erreichen. Vielmehr hat er lediglich „vorgeschlagen“, ihn unter Fortzahlung der Vergütung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze von der Arbeitsleistung freizustellen. Darin erblickte er nicht mehr als die Festschreibung dessen, was nach § 275 Abs. 3 iVm. § 326 Abs. 2 BGB ohnehin - unveränderlich - gelte.

39

cc) Gemäß den Ausführungen zu § 275 Abs. 3 BGB bestanden im Übrigen keine Gegenansprüche, auf die der Kläger ein Recht, seine Arbeitsleistung zurückzuhalten, erfolgreich hätte stützen können. Zwar hatte er einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung im Umfang von 35 Wochenstunden. Auch wurde dieser von der Beklagten bei weitem nicht vollständig erfüllt, weil der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nur im Umfang von drei bis vier Stunden pro Woche ausgelastet war. Die „Unterbeschäftigung“ beruhte jedoch darauf, dass der Kläger die ihm ergänzend angetragene Tätigkeit im Projekt „SharePoint“ nicht hatte übernehmen wollen. Unter diesen Umständen wäre es rechtsmissbräuchlich iSv. § 242 BGB, die Arbeitsleistung mit dem Ziel zurückzuhalten, weitere Aufgaben zugewiesen zu bekommen.

40

f) Der Kläger hat seine geschuldete Arbeitsleistung bewusst und nachhaltig verweigert.

41

aa) Obgleich die Beklagte ihn mit Schreiben vom 28. September 2012 darauf hingewiesen hatte, dass sie dies als schwerwiegenden Verstoß gegen seine Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen ziehen werde, blieb er ab dem 1. Oktober 2012 der Arbeit fern und nahm sie trotz dreier Abmahnungen und mehrerer Aufforderungen der Beklagten bis zum Kündigungszeitpunkt - über mehr als dreieinhalb Wochen - nicht wieder auf.

42

bb) Der Kläger befand sich nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum.

43

(1) Der Geltungsanspruch des Rechts bewirkt, dass der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst trägt und es nicht dem Gläubiger überbürden kann (BAG 19. August 2015 - 5 AZR 975/13 - Rn. 31). Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt nur vor, wenn der Schuldner seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass er sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen kann. Ein Unterliegen in einem möglichen Rechtsstreit muss zwar nicht undenkbar sein (vgl. BAG 12. November 1992 - 8 AZR 503/91 - zu I 1 der Gründe, BAGE 71, 350). Gleichwohl liegt ein entschuldbarer Rechtsirrtum nur dann vor, wenn der Schuldner damit nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu rechnen brauchte; ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 34; BGH 6. Dezember 2006 - IV ZR 34/05 - zu II 1 a aa der Gründe; 27. September 1989 - IVa ZR 156/88 -).

44

(2) Der Kläger hat sich nicht fachkundig beraten lassen, bevor er die Arbeitsleistung verweigert hat. Nach seinem eigenen Vorbringen war er sich des Risikos, dass ein Leistungsverweigerungsrecht von den Gerichten verneint werden könnte, vollauf bewusst. Unter diesen Umständen kann von einem entschuldbaren, unvermeidbaren Rechtsirrtum keine Rede sein.

45

4. Bei der abschließenden Interessenabwägung überwiegt - entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts - das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dessen Fortsetzung war ihr selbst für den Lauf der - fiktiven - ordentlichen Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Schluss eines Kalendermonats (§ 8 Ziff. 2 Abs. 2 Satz 1 MTV) nicht zuzumuten.

46

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der - fiktiven - Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zuzumuten war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 21; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47, BAGE 149, 355).

47

b) Dem Berufungsgericht kommt bei dieser Prüfung und Interessenabwägung - obwohl es sich um Rechtsanwendung handelt - ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz aber daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 24; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - aaO; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16).

48

c) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Beklagten sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten gewesen, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

49

aa) Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung ist insoweit nicht zu beanstanden, wie es zugunsten des Klägers die lange Dauer des Arbeitsverhältnisses, dessen von erheblichen Pflichtverletzungen freien Verlauf, seine Unterhaltspflichten und den Umstand berücksichtigt hat, dass die Beklagte nicht nach weiteren Möglichkeiten gesucht hat, ihn vertragsgemäß in Vollzeit zu beschäftigen. Dass der Kläger einen Einsatz im Projekt „SharePoint“ abgelehnt hatte, führte zwar dazu, dass er seine Arbeitsleistung nicht mit dem Ziel zurückhalten durfte, man möge ihm weitere Aufgaben übertragen. Dies entband die Beklagte jedoch nicht davon, „von sich aus“ andere bzw. zusätzliche Tätigkeiten für ihn zu suchen.

50

bb) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auf der anderen Seite die Schwere der Pflichtverletzung und den Grad des ihn treffenden Verschuldens zulasten des Klägers berücksichtigt.

51

(1) Die Pflichtverletzung des Klägers war schwerwiegend. Er hat gegen seine Hauptleistungspflicht verstoßen und es der Beklagten unmöglich gemacht, mit der von ihm geschuldeten Arbeitsleistung zu planen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und ggf. welche Arbeiten aufgrund seiner Abwesenheit nicht erledigt wurden (vgl. dazu BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 43). Ebenso wenig ist es von Belang, dass er mit den Tätigkeiten als „Blueprint-Vorfilterer“ und „TRM-Koordinator“ lediglich für drei bis vier Wochenstunden ausgelastet war. Wollte man dies anders sehen, müssten geringfügig Beschäftigte selbst dann nicht mit einer Kündigung rechnen, wenn sie die Arbeitsleistung noch so beharrlich verweigern sollten.

52

(2) Den Kläger traf ein erhebliches Verschulden. Er war sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos nach eigenem Bekunden hinlänglich bewusst. Die Möglichkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung hatte er ausdrücklich ins Kalkül gezogen.

53

cc) Das Landesarbeitsgericht durfte angesichts aller Umstände nicht annehmen, die Interessen des Klägers überwögen, weil der Beklagten eine mildere Reaktionsmöglichkeit zur Verfügung gestanden habe.

54

(1) Es hat gemeint, die Beklagte habe dem Kläger spätestens in dem Personalgespräch am 15. Oktober 2012 eine Verbesserung der von ihm als unerträglich empfundenen Arbeitssituation in Aussicht stellen und ihm so „den Weg zurück (…) ebnen“ müssen. Es könne „nicht von vornherein ausgeschlossen“ werden, „dass (er) ein solches Angebot wahrgenommen hätte“. Es sei ihm „gerade um eine angemessene Beschäftigung“ gegangen. Der Beklagten sei es deshalb zumutbar gewesen, dem Kläger zunächst „ein Entgegenkommen bei der Übernahme weiterer Aufgaben zu zeigen“.

55

(2) Die Annahme, darin habe ein milderes Mittel bestanden, das geeignet gewesen wäre, die Arbeitsverweigerung zu beenden, ist rechtsfehlerhaft. Sie steht im Widerspruch zu der Intention des Klägers, wie sie aus dessen vorangegangenen Bekundungen und - diese bestätigend - seinem Prozessvortrag deutlich geworden ist.

56

(a) Ausweislich seiner E-Mails vom 10., 20. und 28. September 2012 hielt der Kläger es für unzumutbar iSv. § 275 Abs. 3 BGB, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. In Festschreibung dessen, was gemäß § 326 Abs. 2 BGB ohnehin gelte, „bevorzuge“ er eine bezahlte Freistellung bis zum Eintritt in die Regelaltersrente. Er war danach unter keinen Umständen (mehr) bereit, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen. Die Beklagte musste mit Blick auf diese Äußerungen annehmen, dass sie ihn nicht dazu hätte bewegen können, seine ablehnende Haltung aufzugeben, indem sie ihm die Übernahme weiterer, den Vereinbarungen der Parteien entsprechender Aufgaben anböte. Eine „angemessene Beschäftigung“ wäre vielmehr in den Augen des Klägers - so musste es sich ihr darstellen - allenfalls eine solche gewesen, die eine Beförderung in den Bereich der „AT-Angestellten“ bzw. der „Führungskräfte“ bedeutet hätte. Und selbst das musste zweifelhaft erscheinen, nachdem er mit der E-Mail vom 28. September 2012 mitgeteilt hatte, die „innere Kündigung“ sei „perfekt“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“, die Beklagte habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

57

(b) Dass er schlechterdings nicht (mehr) bereit war, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen, hat der Kläger durch seinen prozessualen Vortrag untermauert. So hat er im Schriftsatz vom 28. Mai 2013 ausgeführt, es sei „offensichtlich“, dass die „Vertrauensbasis nicht wiederhergestellt“ werden könne und die Prognose für eine erfolgreiche Zusammenarbeit „negativ“ sei. In seinem Schriftsatz vom 10. Juni 2013 hat er die einzigen Wege beschrieben, die er als gangbar ansehe, um den Konflikt der Parteien zu lösen: entweder eine bezahlte Freistellung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze oder die Zahlung einer Abfindung iHv. 1.502.550,00 Euro zzgl. einer Betriebsrente iHv. 600,00 Euro pro Monate. Als „worst case“ komme auch eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses in Betracht, allerdings nur bei Gewährung einer Gehaltserhöhung, Zusage von Altersteilzeit und Androhung eines Ordnungsgelds für die Beklagte.

58

d) Gab es demnach kein milderes Mittel, um den Kläger dazu zu bewegen, künftig seinen Arbeitsvertrag zu erfüllen, überwog das Interesse der Beklagten daran, das Arbeitsverhältnis sofort zu beenden. Da der Kläger bei vollem Risikobewusstsein seine Hauptleistungspflicht nachhaltig verletzt und deren weitere Erfüllung abgelehnt hatte, ohne dass die Aussicht bestanden hätte, ihn „zur Umkehr“ bewegen zu können, hat er der Beklagten selbst die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gemacht. Nicht anders läge es, wenn er sie - im Sinne des von ihm beschriebenen „worst-case“-Szenarios - dazu hätte „nötigen“ wollen, ihn zu befördern, ihm Altersteilzeit zu bewilligen und ihm eine Betriebsrente in der geforderten Höhe zu zahlen.

59

5. Die Beklagte hat die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat die Kündigung damit begründet, der Kläger weigere sich beharrlich, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Damit hat sie einen Dauertatbestand geltend gemacht, der sich fortlaufend neu verwirklichte (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 45; 13. Mai 2004 - 2 AZR 36/04 - zu II 1 der Gründe).

60

II. Die Kündigung ist nicht deshalb nach § 134 BGB nichtig, weil sie gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verstieße. So läge es nur, wenn tragender Beweggrund, dh. wesentliches Motiv für sie eine zulässige Rechtsausübung gewesen wäre (vgl. BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 867/11 - Rn. 45; 19. April 2012 - 2 AZR 233/11 - Rn. 47). Das wiederum setzte voraus, dass das geltend gemachte Recht tatsächlich existierte (ErfK/Preis 15. Aufl. § 612a BGB Rn. 5; KR/Treber 10. Aufl. § 612a BGB Rn. 6). Dem Kläger stand aber weder ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB noch ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB zu. Er hat kein Recht in zulässiger Weise ausgeübt, sondern beharrlich die von ihm geschuldete Arbeitsleistung verweigert.

61

III. Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört worden. Hierüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.

62

D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Jan Eulen    

                 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. Februar 2012 - 4 Sa 1112/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen sowie einer hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.

2

Die Klägerin war bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin seit dem 1. Januar 2006, zuletzt am Standort Essen, als außertarifliche Mitarbeiterin zu einem Jahresgehalt von ca. 95.000,00 Euro brutto beschäftigt. Gemäß Ziff. 1 des Arbeitsvertrags war ihr die Tätigkeit einer Referentin in der Organisationseinheit „Gas Strategy / Market Analysis“ übertragen. Nach Ziff. 2 Abs. 5 des Vertrags war sie verpflichtet, „auch außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit tätig zu werden“.

3

Im Betrieb der Beklagten besteht eine „Betriebsvereinbarung 2009 zur Erfassung und Regelung der Arbeitszeit“ vom 31. März 2009. Dort heißt es:

        

㤠1 Geltungsbereich

        

Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Mitarbeiter (Tarif- und AT-Mitarbeiter) der Gesellschaft am Standort Essen mit Ausnahme der Leitenden Angestellten gemäß § 5 Absatz 3, 4 BetrVG sowie Auszubildenden, Werkstudenten, Praktikanten und Diplomanden.

        

§ 2 Arbeitszeit / Arbeitszeitrahmen / Servicezeit

        

1.    

Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für Tarifangestellte bestimmt sich nach dem jeweils geltenden Tarifvertrag (z. Zt.: Manteltarifvertrag Tarifgruppe RWE) und beträgt derzeit 38 Stunden für Vollzeitmitarbeiter. …

        

2.    

Die Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit erfolgt in der Regel auf die Wochentage Montag bis Freitag jeweils zwischen 6.00 Uhr und 20.00 Uhr. Die Mitarbeiter können die Lage der Arbeitszeit innerhalb dieses Rahmens unter Berücksichtigung der betrieblichen Erfordernisse und der Servicezeit gemäß nachfolgender Ziffer 3 in Abstimmung mit dem Vorgesetzten frei wählen.

        

…       

        
        

§ 5 Gleitzeit

        

1.    

Für jeden Mitarbeiter wird ein Gleitzeitkonto eingerichtet und geführt. Davon ausgenommen sind nur AT-Mitarbeiter, die gemäß Ziffer II. 2., 3. und 5. der Bonus-Betriebsvereinbarung vom 12. Februar 2008 in Verbindung mit Anlage 2 zur Bonus-Betriebsvereinbarung der Vergütungsgruppe „Commercial“ angehören. Für diese AT-Mitarbeiter wird kein Gleitzeitkonto geführt und kein Arbeitszeitsaldo gebildet; die Arbeitszeiten werden lediglich dokumentiert.

                 

…“    

4

Mit E-Mail vom 8. Oktober 2010 forderte die Beklagte die Klägerin auf, mindestens 7,6 Stunden täglich zu arbeiten. Am 15. Oktober 2010 wiederholte sie diese Aufforderung und bat die Klägerin um Mitteilung, wie sie ein dokumentiertes Arbeitszeitdefizit auszugleichen gedenke. Die Klägerin reagierte darauf nicht. Das Defizit betrug am 8. November 2010 - berechnet auf der Basis einer 38-Stunden-Woche - 686,44 Stunden. Mit Schreiben vom 10. November 2010 verlangte die Beklagte von der Klägerin, eine Wochenarbeitszeit von 38 Stunden einzuhalten. Sie wies zudem darauf hin, dass sie beginnend mit dem Monat November 2010 einen Teil des Gehalts einbehalten werde.

5

Am 7. Januar 2011 erhob die Klägerin Klage auf Feststellung, dass sie vertraglich nicht zur Ableistung einer 38-Stunden-Woche verpflichtet sei, und machte in jenem Verfahren zugleich die seitens der Beklagten einbehaltenen Gehaltsbeträge geltend. Das Verfahren ist durch - klageabweisendes - Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Mai 2013 (- 10 AZR 325/12 -) rechtskräftig abgeschlossen.

6

Am 11. Januar 2011 erhielt die Klägerin mehrere schriftliche Abmahnungen bezogen auf folgende Sachverhalte:

        

-       

unentschuldigtes Fehlen am 12. November 2010,

        

-       

in der 46. KW 2010 nur 21,99 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 47. KW 2010 nur 20,55 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 48. KW 2010 nur 10,70 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 49. KW 2010 nur 8,18 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 50. KW 2010 nur 3,07 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 52. KW 2010 nur 2,20 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 1. KW 2011 nur 3,18 Stunden gearbeitet,

        

-       

unentschuldigtes Fehlen an 13 im Einzelnen aufgeführten Tagen.

7

Am 20. Januar 2011 beantragte die Klägerin Urlaub für die Zeit bis zum 31. Januar 2011 wegen eines Trauerfalls. Dieser wurde ihr gewährt. Einen am 28. Januar 2011 eingereichten Urlaubsantrag für weitere 14 Tage lehnte die Beklagte ab. Die Klägerin erschien am 1. Februar 2011 von 14.52 bis 17.23 Uhr zur Arbeit, obwohl - wie ihr bekannt - bereits für 13.00 Uhr eine Besprechung mit ihrem Vorgesetzten wegen einer Zielvereinbarung anberaumt worden war. Am 2. Februar 2011 nahm sie ihre Arbeit um 13.17 Uhr auf und ging nach 3,63 Stunden. Am 3. Februar 2011 war sie 3,52 Stunden, am 4. Februar 2011 2,9 Stunden und am 7. Februar 2011 3,77 Stunden am Arbeitsplatz anwesend. Am 8. Februar 2011 erschien sie nicht zur Arbeit.

8

Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 16. Februar 2011 außerordentlich fristlos, mit Schreiben vom 22. Februar 2011 „hilfsweise ordentlich fristgerecht zum 30. September 2011“.

9

Mit ihrer rechtzeitig erhobenen Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigungen geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte beschäftige die außertariflichen Mitarbeiter nicht nach Maßgabe einer konkreten Wochenarbeitszeit, sondern erwarte von ihnen - im Rahmen einer Vertrauensarbeitszeit ohne Anwesenheitsverpflichtung - lediglich bestimmte Arbeitsergebnisse. Erst recht bestehe keine Verpflichtung, täglich mindestens 7,6 Stunden zu arbeiten. Die im Anstellungsvertrag getroffenen Regelungen seien unklar. Die Beklagte habe auch in der Vergangenheit nicht die Ableistung einer bestimmten Arbeitszeit verlangt.

10

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 16. Februar 2011 noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2011 aufgelöst worden ist.

11

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, aufzulösen. Sie hat gemeint, die Weiterbeschäftigung der Klägerin sei ihr nicht mehr zumutbar gewesen. Diese sei ihrer sowohl nach dem Arbeitsvertrag als auch nach der Betriebsvereinbarung 2009 bestehenden Verpflichtung, eine wöchentliche Arbeitszeit von 38 Stunden einzuhalten, bewusst nicht nachgekommen.

12

Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.

13

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision ist unbegründet.

15

I. Die Revision ist zulässig. Sie ist rechtzeitig eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.

16

1. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss die Revisionsbegründung den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Daher muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Dies erfordert die genaue Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (st. Rspr., zB BAG 27. September 2012 - 2 AZR 811/11 - Rn. 12; 16. November 2011 - 4 AZR 234/10 - Rn. 15).

17

2. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Die Klägerin wendet sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, sie sei vertraglich zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung am vereinbarten Dienstort im Umfang von 38 Stunden in der Woche verpflichtet gewesen. Sie legt ausführlich dar, weshalb die im Berufungsurteil vorgenommene Auslegung rechtsfehlerhaft sein soll. Die Sachrüge wäre im Falle ihrer Begründetheit geeignet, die angefochtene Entscheidung insgesamt zu Fall zu bringen. Das reicht als Revisionsangriff aus.

18

II. Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die außerordentliche Kündigung vom 16. Februar 2011 ist aus einem wichtigen Grund iSv. § 626 BGB gerechtfertigt.

19

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 14; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 21). Einen in diesem Sinne die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellt ua. die beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers dar, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (vgl. BAG 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 22; 5. April 2001 - 2 AZR 580/99 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 97, 276).

20

2. Danach ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das der Klägerin vorgeworfene Verhalten rechtfertige eine außerordentliche Kündigung, im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

21

a) Die Klägerin war vertraglich zur Erbringung einer Arbeitsleistung im Umfang von 38 Wochenstunden am vereinbarten Dienstort verpflichtet. Dies hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 15. Mai 2013 (- 10 AZR 325/12 -) rechtskräftig festgestellt. Daran ist der Senat gebunden.

22

aa) Die Rechtskraft einer in einem Vorprozess der Parteien ergangenen Entscheidung ist nicht nur bei Identität der Streitgegenstände, sondern auch dann in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten, wenn eine für den nachfolgenden Rechtsstreit entscheidungserhebliche Vorfrage im Vorprozess entschieden worden ist (BGH 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 - Rn. 9; Zöller/Vollkommer ZPO 29. Aufl. vor § 322 Rn. 22 ff.). Handelt es sich bei dem Vorprozess um eine negative Feststellungsklage, kommt einem klageabweisenden Urteil dieselbe Rechtskraftwirkung zu wie einem Urteil, das das Gegenteil dessen, was mit der negativen Feststellungsklage begehrt wird, positiv feststellt (BGH 17. März 1995 - V ZR 178/93 - zu II 1 a der Gründe; 17. Februar 1983 - III ZR 184/81 - zu III 3 c der Gründe).

23

bb) Das Bundesarbeitsgericht hat den Antrag der Klägerin festzustellen, dass sie keine arbeitsvertragliche Verpflichtung zur Ableistung einer 38-Stunden-Woche habe, rechtskräftig abgewiesen (Urteil vom 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 -). Damit steht mit präjudizieller Wirkung für den vorliegenden Rechtsstreit fest, dass die Klägerin vertraglich zur Einhaltung einer 38-Stunden-Woche (am vereinbarten Dienstort) verpflichtet war. Das gilt umso mehr, als es Ziel und Inhalt der im Vorprozess erhobenen negativen Feststellungsklage war, dem Verlangen der Beklagten auf Ableistung einer entsprechenden Arbeitszeit entgegen zu treten (vgl. dazu BGH 17. Februar 1983 - III ZR 184/81 - zu III 3 c der Gründe).

24

b) Die Klägerin hat ihre arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt, indem sie sich beharrlich geweigert hat, ihre Arbeitsleistung in diesem vertraglich geschuldeten zeitlichen Umfang zu erbringen.

25

aa) Die Klägerin hat jegliche Verpflichtung zur Ableistung eines in Zeitabschnitten bemessenen Mindestmaßes an Arbeit in Abrede gestellt. Dieses Verständnis der arbeitsvertraglichen Regelung hat sie zum einen dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie eine entsprechende negative Feststellungsklage erhoben hat. Zum anderen hat sie auch tatsächlich keine entsprechenden Arbeitsleistungen erbracht, obwohl sie dazu ausdrücklich angehalten worden war. So war sie etwa Ende 2010/Anfang 2011 trotz entgegenstehender Weisung der Beklagten, eine Arbeitszeit von 38 Stunden wöchentlich einzuhalten, über mehrere Wochen hinweg lediglich zwischen zwei und 23 Stunden im Betrieb der Beklagten anwesend.

26

bb) Ihrem Verhalten kann nicht entnommen werden, dass sie lediglich von einem ihr vermeintlich zustehenden Recht, die Lage ihrer Arbeitszeit flexibel zu gestalten, hätte Gebrauch machen wollen und dementsprechend zur Nachleistung bereit gewesen wäre (vgl. BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 - Rn. 40). Dies ergibt sich ohne Weiteres daraus, dass sie ihre Arbeitsleistung sowohl über einen langen Zeitraum hinweg als auch in einem erheblichen Umfang nicht erbracht hat. Angesichts der zeitlichen Ausmaße ist nicht erkennbar, wie eine Nachleistung - unter Beachtung der Vorgaben des ArbZG - möglich gewesen wäre. Die Klägerin hat ihrem mangelnden Willen zur Nachleistung auch dadurch Ausdruck verliehen, dass sie auf die Nachfrage der Beklagten, wie sie die aufgelaufenen Minusstunden auszugleichen gedenke, nicht reagiert hat.

27

cc) Für die kündigungsrechtliche Beurteilung kommt es nicht darauf an, ob die Weisung der Beklagten, die Klägerin möge eine wöchentliche Arbeitszeit von 38 Stunden einhalten, so zu verstehen war, dass diese nicht (mehr) von einer ihr bisher eröffneten Möglichkeit Gebrauch machen dürfe, ihre Arbeitszeit flexibel zu gestalten. Ebenso kann offen bleiben, ob eine solche Weisung individualrechtlich und kollektivrechtlich wirksam gewesen wäre (offengelassen auch in BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 - Rn. 13). Die Klägerin war unabhängig von der Lage der Arbeitszeit nicht bereit, ihre Arbeitskraft dem Umfang nach in vertragskonformer Weise anzubieten. Bereits darin liegt eine schwerwiegende Verletzung ihrer vertraglichen Pflichten.

28

dd) Die Weigerung war auch beharrlich.

29

(1) Ein Arbeitnehmer verweigert die angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachhaltig nicht leisten will (vgl. BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 54/12 - Rn. 39; 24. Februar 2011 - 2 AZR 636/09 - Rn. 15, BAGE 137, 164).

30

(2) Die Klägerin hat willentlich gegen ihre vertragliche Verpflichtung verstoßen. Selbst wenn die Beklagte in der Vergangenheit die Ableistung einer 38-Stunden-Woche nicht eingefordert haben sollte, hat sie jedenfalls ab November 2010 durch entsprechende Weisungen und die in der Folge ausgesprochenen Abmahnungen deutlich zum Ausdruck gebracht, wie sie die vertraglichen Vereinbarungen versteht und was sie von der Klägerin erwartete. Statt ihr Verhalten darauf einzustellen, hat die Klägerin - nachhaltig - darauf bestanden, jeglichen Zeitmaßes enthoben zu sein.

31

(3) Der Umstand, dass zwischen den Parteien - bezogen auf den zeitlichen Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung - Streit über die Auslegung des Arbeitsvertrags bestand, steht der Annahme einer erheblichen Pflichtverletzung nicht entgegen.

32

(a) Maßgebend für die Frage, ob das Verhalten des Arbeitnehmers eine beharrliche Arbeitsverweigerung und damit eine erhebliche Vertragspflichtverletzung darstellt, ist die objektive Rechtslage. Der Arbeitnehmer kann sich einem vertragsgemäßen Verlangen des Arbeitgebers nicht dadurch - vorläufig - entziehen, dass er ein gerichtliches Verfahren zur Klärung der umstrittenen Frage einleitet. Andernfalls würde das Weisungsrecht des Arbeitgebers - ggf. über Jahre - in nicht gerechtfertigter Weise eingeschränkt. Verweigert der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als fehlerhaft erweist.

33

(b) Auf einen unverschuldeten Rechtsirrtum kann sich die Klägerin nicht berufen. Sie musste bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt in Rechnung stellen, dass für sie die betriebsübliche Arbeitszeit - von 38 Stunden wöchentlich - galt (vgl. BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 - Rn. 16).

34

(aa) An die zu beachtenden Sorgfaltspflichten sind strenge Maßstäbe anzulegen (vgl. BAG 12. November 1992 - 8 AZR 503/91 - zu I 1 der Gründe mwN, BAGE 71, 350). Es reicht nicht aus, dass sich die betreffende Partei ihre eigene Rechtsauffassung nach sorgfältiger Prüfung und sachgemäßer Beratung gebildet hat. Unverschuldet ist ein Rechtsirrtum nur, wenn sie mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte (vgl. BGH 6. Dezember 2006 - IV ZR 34/05 - zu II 1 a aa der Gründe; 27. September 1989 - IVa ZR 156/88 -).

35

(bb) Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Klägerin musste schon mit Blick auf die im Arbeitsvertrag getroffenen Vereinbarungen damit rechnen, dass eine Arbeitsverpflichtung in einem bestimmten zeitlichen Umfang bestand. Sie war nach Ziff. 2 Abs. 5 Satz 1 des Arbeitsvertrags verpflichtet, im Rahmen ihrer Aufgabenstellung auch außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit tätig zu werden. Dies setzt bei verständiger Würdigung eine Bindung an die betriebsübliche Arbeitszeit voraus (vgl. BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 - Rn. 20, 22). Die Beklagte hatte der Klägerin überdies spätestens ab Herbst 2010 klar vor Augen geführt, wie sie die vertraglichen Abreden verstehe. Sie konnte sich mit ihrem Verlangen nach Einhaltung einer betriebsüblichen Arbeitszeit von 38 Wochenstunden sowohl auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 9. Dezember 1987 - 4 AZR 584/87 - BAGE 57, 130) als auch auf eine verbreitete Auffassung in der Literatur stützen (vgl. dazu die Nachweise bei BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 - Rn. 21). Auch „Vertrauensarbeitszeit“ und getroffene Zielvereinbarungen konnten die Klägerin nicht ernsthaft in der Annahme bestärken, sie sei einer Bindung an ein bestimmtes Zeitmaß enthoben. „Vertrauensarbeitszeit“ bedeutet grundsätzlich nur, dass der Arbeitgeber auf die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit verzichtet und darauf vertraut, der betreffende Arbeitnehmer werde seine Arbeitsverpflichtung in zeitlicher Hinsicht auch ohne Kontrolle erfüllen (so schon BAG 6. Mai 2003 - 1 ABR 13/02 - zu II 2 d cc (2) der Gründe, BAGE 106, 111; nunmehr auch BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 124/11 - Rn. 34). Dies war für die Klägerin ebenso erkennbar wie der Umstand, dass die Erreichung von Zielen nach dem Arbeitsvertrag lediglich für die Höhe ihrer variablen Vergütung relevant war. Indem sie bei einer derartigen Sach- und Rechtslage sämtliche gegen die Richtigkeit ihrer Rechtsauffassung sprechenden Gesichtspunkte sehenden Auges hintanstellte, handelte sie bewusst auf eigenes Risiko. Es kann deshalb dahinstehen, wie sich ein mangelndes Verschulden der Klägerin auf den Kündigungsgrund ausgewirkt hätte (zur Problematik vgl. BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 20, 22).

36

c) Die vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Interessen geht zu Lasten der Klägerin aus. Das gilt selbst dann, wenn zu ihren Gunsten unterstellt wird, dass die Beklagte aufgrund des vertraglichen Weisungsrechts (§ 106 Satz 1 GewO)nicht berechtigt war, ihr - der Klägerin - bei der Arbeitszeitgestaltung jegliche Flexibilität abzusprechen und die Ableistung von mindestens 7,6 Stunden arbeitstäglich zu verlangen. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass das Landesarbeitsgericht hierauf im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung entscheidend abgestellt hätte. Zum anderen stehen sämtliche relevanten Tatsachen fest. Unter dieser Voraussetzung ist es dem Senat möglich, die Interessenabwägung selbst vorzunehmen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, BAGE 134, 349).

37

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27).

38

bb) Daran gemessen war die Beklagte zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt.

39

(1) Das vertragswidrige Verhalten ist von erheblichem Gewicht. Die Klägerin hat trotz nachdrücklichen Verlangens der Beklagten, die betriebsübliche Arbeitszeit einzuhalten, kontinuierlich Arbeitsleistungen lediglich im Umfang von weit unter 38 Stunden wöchentlich erbracht. Im Kündigungszeitpunkt bestand die berechtigte Besorgnis, dass sie ihr Verhalten auch in der Zukunft fortsetzen und deshalb das Arbeitszeitdefizit, das sich bereits im November 2010 auf nahezu 700 Stunden belief, weiter anwachsen werde. Eine solche Zurückhaltung der Arbeitskraft brauchte die Beklagte nicht weiter hinzunehmen.

40

(2) Der mögliche Rechtsirrtum der Klägerin wirkt sich nicht entscheidend zu ihren Gunsten aus. Zwar kann im Rahmen der Interessenabwägung - abhängig vom Grad des Verschuldens - auch ein vermeidbarer Irrtum des Arbeitnehmers Bedeutung gewinnen (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 44; 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 4 der Gründe mwN). Die Klägerin trifft jedoch hinsichtlich eines ihr unterlaufenen Rechtsirrtums mit Blick auf die arbeitsvertraglichen Regelungen sowie die wiederholte, nachdrückliche Aufforderung seitens der Beklagten zur Einhaltung der betriebsüblichen Arbeitszeit ein nicht nur geringes Verschulden. Allein der Umstand, dass der von ihr beauftragte Rechtsanwalt sie in ihrem gegenteiligen Standpunkt bestärkt haben mag, ändert daran nichts.

41

(3) Ein milderes Mittel stand der Beklagten nicht zur Verfügung.

42

(a) Die Klägerin war im Kündigungszeitpunkt offensichtlich unter keinen Umständen bereit, eine Verpflichtung zur Einhaltung einer 38-Stunden-Woche anzuerkennen und ihre Arbeitskraft im vertraglich geschuldeten Umfang zur Verfügung zu stellen. Dies belegt der Umstand, dass sie weder auf die Weisung der Beklagten, noch auf die ihr erteilten Abmahnungen reagiert hat - ohne dass es auf deren Berechtigung in jedem Einzelfall ankäme. Die Kündigung erweist sich auch nicht mit Blick auf die Anzahl der Abmahnungen als unverhältnismäßig. Daraus konnte die Klägerin - zumal die Schreiben ihr allesamt am gleichen Tag überreicht wurden - nicht entnehmen, die Beklagte halte die beharrliche Nichteinhaltung der betriebsüblichen Arbeitszeit für nicht so schwerwiegend (zur Abschwächung der Warnfunktion einer Abmahnung vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 47; 15. November 2001 - 2 AZR 609/00 - zu II 3 b aa der Gründe, BAGE 99, 340).

43

(b) Die Beklagte war auch nicht gehalten, auf den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu verzichten und stattdessen weiterhin nur Teile der Arbeitsvergütung einzubehalten. Die Unzumutbarkeit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst für die Dauer der Kündigungsfrist ergibt sich bereits daraus, dass die Klägerin die vertragsgemäße Erbringung ihrer Hauptleistungspflicht verweigert und es der Beklagten damit unmöglich gemacht hat, mit ihrer Arbeitskraft zu planen. Abgesehen davon hätte der Einbehalt von Entgelt die Nachteile eines stetig anwachsenden Arbeitszeitdefizits allenfalls teilweise ausgeglichen. Darauf, ob und ggf. welche Arbeit aufgrund der Abwesenheit der Klägerin nicht erledigt worden ist, kommt es nicht an.

44

(4) Dem Alter der Klägerin von im Kündigungszeitpunkt 42 Jahren und ihrer Betriebszugehörigkeit von etwa fünf Jahren kommt angesichts der Beharrlichkeit sowie des Umfangs der Pflichtverletzung keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

45

3. Die Beklagte hat die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat ihre Kündigung damit begründet, die Klägerin sei nachhaltig nicht bereit, ihre Arbeitsleistung in dem vertraglich geschuldeten - nach Zeitabschnitten bemessenen - zeitlichen Umfang zu erbringen. Damit hat sie einen Dauertatbestand geltend gemacht, der sich fortlaufend neu verwirklichte (vgl. BAG 13. Mai 2004 - 2 AZR 36/04 - zu II 1 der Gründe; 18. Oktober 2000 - 2 AZR 627/99 - zu III der Gründe, BAGE 96, 65).

46

4. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung und der Auflösungsantrag fallen dem Senat nicht zur Entscheidung an.

47

III. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    Wolf    

        

    Torsten Falke    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 5. Januar 2010 - 3 Sa 253/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger war bei der Beklagten, einem Unternehmen für Vertriebs- und Servicedienstleistungen, seit dem 2. November 1999 als „Leiter IT/TK Department“ beschäftigt. Er war zuständig für die Betreuung der Hard- und Software. In § 8 Abs. 9 des Arbeitsvertrags ist geregelt, dass eine „Geheimhaltungs- und Verpflichtungserklärung“ sowie „Regeln über die Anwendung von Computerprogrammen“ Bestandteile des Vertrags sind. In der „Geheimhaltungs- und Verpflichtungserklärung“ vom 27. Oktober 1999 sagte der Kläger Verschwiegenheit hinsichtlich aller dienstlichen Angelegenheiten zu. Nach Ziff. 6 der „Regeln für die Anwendung von Computerprogrammen und die Behandlung von Dateien“ vom 27. Oktober 1999 ist es den Mitarbeitern nicht erlaubt, persönliche Software von zu Hause mitzubringen und auf den Computern des Unternehmens zu nutzen. Ebensowenig dürfen Programme des Unternehmens mit nach Hause genommen und auf einem eigenen Computer benutzt werden. Auf die Notwendigkeit der Einhaltung der zur Computersicherheit geltenden Regelungen hatte der Kläger als Leiter der IT-Abteilung die Mitarbeiter unter Hinweis auf arbeitsrechtliche Konsequenzen bei einer Zuwiderhandlung mehrfach hingewiesen.

3

Im Jahr 2008 stellte die Beklagte fest, dass sich der Kläger seit Mai 2007 nicht mehr in ihrem Netzwerk angemeldet habe. Eine Anmeldung ist erforderlich, um auf dem firmeneigenen Laptop gespeicherte Daten auf dem zentralen Server des Netzwerks abzuspeichern und zu hinterlegen. Nur auf die dort in digitalisierter Form hinterlegten Arbeitsergebnisse ist ein direkter Zugriff der Beklagten möglich. Am 25. August 2008 sprach der Personalleiter der Beklagten den Kläger auf diesen Umstand an. Der Kläger bestätigte, dass er die Daten auf einer privaten Festplatte sichere und abspeichere. Daraufhin stellte die Beklagte ihn von seiner Arbeitsleistung frei.

4

Am 27. August 2008 untersuchte die Beklagte den firmeneigenen Laptop des Klägers und seine private Festplatte. Auf der Festplatte waren auch Dateien der Beklagten gespeichert. Auf dem Laptop befanden sich neben einer Vielzahl von Unternehmensdaten, Passwörtern und Zugriffsdaten für den Server der Beklagten, Angeboten an Kunden, Mitarbeiterbeurteilungen, Bewerbungsunterlagen und Kostenaufstellungen auch private Dateien, bestehend aus Videos, Bildern und MP-3-Dateien. Die gesamten Daten waren unverschlüsselt abgespeichert.

5

Die Beklagte sah darin einen massiven Verstoß des Klägers gegen seine Obhuts- und Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB). Nachdem sie den Betriebsrat angehört hatte, kündigte sie mit Schreiben vom 2. September 2008 das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, hilfsweise ordentlich und fristgerecht zum 31. Dezember 2008.

6

Der Kläger hat hiergegen rechtzeitig Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, es bestehe kein Grund für die außerordentliche Kündigung. Auch seien die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten und der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Kündigung sei auch als ordentliche nicht sozial gerechtfertigt.

7

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 2. September 2008 weder fristlos noch mit Ablauf des 31. Dezember 2008 aufgelöst worden ist.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe ihr durch sein Verhalten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar gemacht. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden.

9

Das Arbeitsgericht hat mit Teilurteil nur über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung entschieden und der Klage insoweit stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt diese ihren Antrag weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 2. September 2008 das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgelöst hat. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Darauf, ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt oder die Kündigung nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam ist, kommt es daher nicht an. Über die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 31. Dezember 2008 war nicht zu entscheiden.

11

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

12

1. Ein wichtiger Grund zur Kündigung kann sowohl in einer erheblichen Verletzung von vertraglichen Hauptleistungspflichten als auch in der von Nebenpflichten liegen (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 19, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 21, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16). Als Vertragspflichtverletzung, die eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag, ist ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers anzusehen (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 20, aaO; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459 mwN). Ebenso kann die erhebliche Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden. Der konkrete Inhalt dieser Pflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis und seinen spezifischen Anforderungen (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - aaO; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 220). Einer besonderen Vereinbarung bedarf es insoweit nicht (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - aaO).

13

2. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32).

14

a) Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN). Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 36, aaO; Schlachter NZA 2005, 433, 436). Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient zugleich der Objektivierung der negativen Prognose (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109).

15

b) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 56, aaO; vgl. auch BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

16

3. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219).

17

II. Bei Anwendung dieser Grundsätze hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

18

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte habe die Pflichtverletzung des Klägers, unter Verstoß gegen die „Regeln für die Anwendung von Computerprogrammen und die Behandlung von Dateien“ private Dateien auf dem Firmenlaptop gespeichert zu haben, zunächst abmahnen müssen. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Fehlverhalten des Klägers wiegt nicht so schwer, dass es ohne Weiteres eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen könnte.

19

a) In der Speicherung privater Dateien auf dem Firmen-Laptop liegt keine Pflichtverletzung des Klägers, bei der eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen wäre. Zwar ist auf den Computern der Beklagten laut Ziff. 6 Abs. 1 Satz 3 der „Regeln über die Anwendung von Computerprogrammen und die Behandlung von Dateien“ die Verwendung privater Software untersagt. Das Landesarbeitsgericht hat aber zutreffend berücksichtigt, dass der Kläger die privaten Dateien nach seinem unwidersprochenen Vorbringen nicht aus dem Internet heruntergeladen, sondern von eigenen Datenträgern überspielt hat. Die Beklagte hat weder behauptet, dass es sich dabei um strafrechtlich relevantes oder sonst anrüchiges Material gehandelt habe, noch lässt sich ihrem Vorbringen entnehmen, dass konkrete Beeinträchtigungen der Funktionen des Laptops oder des Netzwerks eingetreten wären. Dass der Kläger die auf dem Laptop installierte private Software während der Arbeitszeit zu privaten Zwecken genutzt habe, hat die Beklagte ebenso wenig geltend gemacht.

20

Auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Stellung des Klägers als Leiter der IT-Abteilung und Vorgesetzter rechtfertige keine andere Beurteilung, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar zeigen die Hinweise des Klägers an die Mitarbeiter, dass er sich der Gefahren eines Regelverstoßes für die Sicherheit und Funktion der IT-Systeme bewusst war. Wenn er selbst die Regeln nicht eingehalten hat, stellt dies aber kein Verhalten dar, dessen auch nur erstmalige Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich ausgeschlossen war.

21

2. Eine Abmahnung war auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger Unternehmensdaten auf dem Laptop nur durch ein einfaches Passwort gesichert hatte. Ob der Kläger insoweit überhaupt pflichtwidrig gehandelt hat, bedarf keiner Klärung. Die Beklagte hat nicht behauptet, es habe eine ausdrückliche Anordnung gegeben, weitergehende Sicherungen vorzunehmen. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine Abmahnung hätte zukünftig ein vertragsgerechtes Verhalten des Klägers erwarten lassen, ist unter diesen Umständen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch, soweit die Beklagte geltend gemacht hat, es sei gerade Aufgabe des Klägers gewesen, für weitergehende Sicherungsmaßnahmen zu sorgen. Damit rügt sie eine Schlechtleistung des Klägers, welche ihrerseits einer Abmahnung bedurft hätte.

22

3. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, auch die Speicherung unternehmensbezogener Dateien auf einer privaten Festplatte und ohne Sicherung gegen unbefugten Zugriff wiege im Streitfall nicht so schwer, dass sie die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen könne.

23

a) Allerdings kann durch eine unerlaubte Speicherung unternehmensbezogener Daten auf einer privaten Festplatte die Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verletzt sein. Sollten personenbezogene Daten iSv. § 3 Abs. 1 BDSG betroffen gewesen sein, kommt zudem ein Verstoß gegen § 5 Satz 1 BDSG in Betracht. Die Beklagte beruft sich außerdem darauf, der Kläger habe seine Vertragspflichten dadurch verletzt, dass er die Daten nicht auch auf dem Netzwerkserver hinterlegt habe.

24

aa) Eine Verletzung von Urheberrechten ist mit dem Verhalten des Klägers nicht verbunden. Die Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, die die Annahme rechtfertigten, bei den vom Kläger auf seine private Festplatte kopierten Dateien habe es sich um urheberrechtlich geschützte Werke gehandelt. Es kann daher dahinstehen, ob die Herstellung von Sicherungskopien bereits eine unerlaubte Vervielfältigung darstellt (vgl. dazu § 15 Abs. 1 Nr. 1, §§ 16, 69c, 69d UrhG). Zwar sind Computerprogramme nach Maßgabe der §§ 69a ff. UrhG urheberrechtlich geschützt. Daten oder in Dateien gespeicherte Datenbestände sind für sich genommen aber keine Computerprogramme in diesem Sinne, da sie keine Befehls- oder Steuerungsanweisungen an den Computer enthalten (vgl. Fromm/Nordemann/Czychowski Urheberrecht 10. Aufl. § 69a UrhG Rn. 12; Dreier/Schulze/Dreier UrhG 3. Aufl. § 69a Rn. 12; Wandtke/Bullinger/Grützmacher UrhR 3. Aufl. § 69a UrhG Rn. 17 ). Ein Computerprogramm ist eine Folge von Befehlen, die nach Aufnahme in einen maschinellen Träger fähig sind zu bewirken, dass eine Maschine mit informationsverarbeitenden Fähigkeiten eine bestimmte Funktion oder Aufgabe oder ein bestimmtes Ergebnis anzeigt, ausführt oder erzielt (vgl. BGH 9. Mai 1985 - I ZR 52/83 - zu II 2 a aa der Gründe, BGHZ 94, 276). Bloße Daten oder Datensammlungen sind regelmäßig auch keine urheberrechtlich geschützten Schriftwerke (Fromm/Nordemann/Nordemann Urheberrecht 10. Aufl. § 2 UrhG Rn. 76). Der Schutz als Schriftwerk iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG verlangt gemäß § 2 Abs. 2 UrhG, dass das Werk Ergebnis einer persönlichen geistigen Schöpfung ist. Selbst wenn eine Sammlung von Daten auf einer inhaltlichen Verarbeitung und Auswahl von Erkenntnissen beruht, findet diese möglicherweise schöpferische Tätigkeit keine gestalterische Darstellung in den Daten selbst (Nordemann aaO).

25

bb) Auch ein Verstoß gegen Ziff. 6 Abs. 2 der betrieblichen „Regeln über die Anwendung von Computerprogrammen und die Behandlung von Dateien“ liegt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht vor. Danach ist es untersagt, Programme des Unternehmens mit nach Hause zu nehmen und auf einem eigenen Computer zu nutzen. Die Regeln differenzieren ebenfalls zwischen Computerprogrammen und Dateien. Die Beklagte hat weder dargelegt, dass es sich bei den vom Kläger kopierten Dateien um Computerprogramme gehandelt, noch dass der Kläger andere „Programme des Unternehmens“ auf seinem eigenen Computer genutzt habe.

26

b) Es kann offenbleiben, ob der Kläger gegen § 241 Abs. 2 BGB, ggf. iVm. § 5 BDSG, tatsächlich verstoßen hat. Jedenfalls ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht mögliche Pflichtverletzungen des Klägers durch das Kopieren unternehmensbezogener Daten auf eine private Festplatte nicht als hinreichenden Kündigungsgrund angesehen hat. Dies gilt auch dann, wenn das tatsächliche Vorbringen der Beklagten im Schriftsatz vom 14. Dezember 2009 als wahr unterstellt wird.

27

aa) Der Umstand, dass der Kläger unternehmensbezogene Dateien auf seiner privaten Festplatte gespeichert hat, rechtfertigt nicht die Annahme, er habe die fraglichen Daten unterdrücken oder der Beklagten vorenthalten wollen. Diese selbst hat im Schriftsatz vom 14. Dezember 2009 vorgetragen, dass die Dateien überwiegend auch auf dem firmeneigenen Laptop gespeichert waren. Soweit sie geltend gemacht hat, Dateien im Zusammenhang mit zwei ausländischen Standorten seien ausschließlich auf der privaten Festplatte des Klägers gespeichert gewesen, stützt sie den Vorwurf des Unterdrückens bzw. Vorenthaltens der Daten lediglich darauf, dass der Kläger diese Arbeitsergebnisse nicht zusätzlich auf ihrem Netzwerkserver hinterlegt habe. Die Schlussfolgerung der Beklagten wird durch die behaupteten Indiztatsachen nicht getragen. Sie ist auch dann nicht berechtigt, wenn die Behauptung, der Kläger sei seit Mai 2007 nicht mehr im betrieblichen Netzwerk eingeloggt gewesen, und das weitere Vorbringen im Schriftsatz vom 14. Dezember 2009 mitbedacht werden. Das Landesarbeitsgericht hat deshalb im Ergebnis zu Recht keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gesehen.

28

(1) Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass und welche konkreten Weisungen sie zur Hinterlegung von Arbeitsergebnissen im Firmennetz erteilt habe. Sie hat zwar vorgebracht, zur Datensicherung müssten Änderungen an Dateien auf ihrem Netzwerkserver abgespeichert werden. Nur so sei gewährleistet, dass Daten nicht verloren gingen oder in die Hände Unbefugter gelangten. Dass es entsprechende ausdrückliche Anordnungen gegeben habe, hat sie aber nicht behauptet. Soweit sie darauf verweist, der Kläger selbst habe Regeln für die Benutzung eines Firmenlaptops formuliert, handelte es sich bei diesen nach ihrem eigenen Vorbringen nur um einen nicht weiter verfolgten Regelungsentwurf.

29

(2) Soweit die Beklagte vorgebracht hat, der Kläger sei auch ohne ausdrückliche Anordnung verpflichtet gewesen, ihr einen digitalen Zugriff auf seine Arbeitsergebnisse zu ermöglichen, hat sie nicht dargelegt, inwiefern dem Kläger dies in Bezug auf die nicht hinterlegten Daten hätte bewusst sein müssen. Im Übrigen ist es nach ihrem eigenen Vorbringen durch die Unterlassungen des Klägers nicht zu Beeinträchtigungen ihrer Tätigkeit gekommen.

30

bb) Die mögliche Unzulänglichkeit der Sicherung der auf der privaten Festplatte des Klägers gespeicherten Daten rechtfertigt eine Kündigung ebensowenig. Ein damit verbundener Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB, ggf. iVm. § 5 BDSG, wiegt nicht so schwer, dass eine vorherige Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Zwar hat der Kläger die Sicherheit der Daten durch das Kopieren auf seine private Festplatte möglicherweise gefährdet. Dass er aber geradezu leichtfertig mit den gespeicherten Daten umgegangen wäre, ist nicht ersichtlich. Die Beklagte hat nicht behauptet, dass Dritte tatsächlich Zugriff auf sie hätten nehmen können.

31

4. War hinsichtlich der Einzelvorwürfe eine Abmahnung nicht entbehrlich, sind diese auch in ihrer Gesamtheit nicht geeignet, die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

32

III. Als unterlegene Partei hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Gans    

        

    Pitsch    

        

        

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 6. Juli 2015 - 7 Sa 124/15 - aufgehoben.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Weiden vom 4. Februar 2015 - 4 Ca 699/14 - teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch darüber, ob das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis durch arbeitgeberseitige Kündigung fristlos oder erst mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist beendet wurde.

2

Der Beklagte betreibt mit nicht mehr als zehn Arbeitnehmern ein Transportunternehmen. Sein einziger Kunde ist ein Automobilhersteller, für den er mit schweren Lastkraftwagen „Just-in-time“-Lieferungen durchführt. Der 1984 geborene Kläger wurde zum 5. November 2013 bei dem Beklagten als LKW-Fahrer eingestellt.

3

Außerhalb seiner Arbeitszeit nahm der Kläger am Samstag, dem 11. Oktober 2014, Amphetamin und Methamphetamin („Crystal Meth“) ein. Ab dem darauffolgenden Montag erbrachte er in der Frühschicht ab 04:00 Uhr morgens plangemäß seine Arbeitsleistung. Am Dienstag, dem 14. Oktober 2014, wurde er nach Beendigung seiner Tätigkeit für den Beklagten bei einer Fahrt mit seinem privaten PKW von der Polizei kontrolliert und einem Drogenwischtest unterzogen. Dessen Ergebnis war positiv. Die Blutuntersuchung ergab später, dass der Kläger Amphetamin und Methamphetamin konsumiert hatte.

4

Am Abend des 14. Oktober 2014 rief der Kläger den Beklagten an und teilte ihm mit, dass er seine um 04:00 Uhr des folgenden Tages beginnende Tour nicht fahren könne. Er finde seinen Führerschein nicht. Die Polizei habe ihn kontrolliert und ihm mitgeteilt, er dürfe deswegen nicht mehr fahren. Der Beklagte wies darauf hin, dass die rechtzeitige Belieferung des Kunden sehr wichtig sei und ein Ersatzfahrer nicht zur Verfügung stehe. Der Kläger erklärte sich schließlich dazu bereit, die Tour durchzuführen und nahm seine Tätigkeit dementsprechend am Morgen des 15. Oktober 2014 auf. Am 27. Oktober 2014 sprach der Beklagte den Kläger auf das Telefonat vom 14. Oktober 2014 an. Es könne nicht sein, dass die Polizei ein Fahrverbot ausspreche, nur weil man seinen Führerschein nicht vorlegen könne. Der Kläger räumte daraufhin den positiven Drogenwischtest am 14. Oktober 2014 ein.

5

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2014, welches dem Kläger am selben Tag zuging, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung. Das Kündigungsschreiben lautet auszugsweise wie folgt:

        

„Ihnen wurden bereits einige Gründe zu Ihrer Kündigung erläutert.

        

Diese sind insbesondere das laufende Verschlafen Ihrer Arbeitszeiten sowie der illegale Konsum von Betäubungsmitteln.

        

Dies wurde durch einen positiven Drogentest der Polizei am 14.10.2014 festgestellt.

        

Sie teilten dies jedoch nicht unverzüglich uns mit, sondern versuchten die entsprechenden Umstände zu verheimlichen. …

        

Die Einnahme von Drogen gaben Sie nach mehrmaligen Nachfragen und Androhung auf eine Untersuchung über den ASD der BG - Verkehr zu.“

6

Mit seiner am 6. November 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt.

7

Nach seiner Auffassung liegt kein hinreichender Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor. Der gesamte Geschehensablauf habe sich im privaten Bereich zugetragen. Es hätten keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit oder eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs bestanden. Deswegen habe es auch kein Ermittlungsverfahren nach § 315c bzw. § 316 StGB gegeben. Das bloße Begehen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG rechtfertige keine außerordentliche Kündigung. Ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sei nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Bei einem einmaligen Drogenkonsum hätte ohnehin eine Abmahnung ausgereicht.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2014, zugegangen am 28. Oktober 2014, nicht beendet worden ist.

9

Zur Begründung seines Klageabweisungsantrags hat der Beklagte vorgetragen, die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe jedenfalls vom 11. bis zum 14. Oktober 2014 unter Drogeneinfluss gestanden und in diesem Zustand ab dem 13. Oktober 2014 den ihm anvertrauten LKW gefahren. Zudem habe er in dem Gespräch am 14. Oktober 2014 den durchgeführten Drogenwischtest nicht erwähnt und dadurch die Möglichkeit einer am nächsten Tag noch bestehenden Fahruntüchtigkeit verschwiegen. Bei Kenntnis von dem positiven Ergebnis des Drogenwischtests wäre dem Kläger die Fahrt am 15. Oktober 2014 wegen des unvertretbaren Risikos einer erneuten Gefährdung des Straßenverkehrs untersagt worden. Erst am 27. Oktober 2014 sei der Sachverhalt aufgeklärt worden. Auf Nachfrage habe der Kläger in diesem Gespräch eingeräumt, dass ein Drogenkonsum evtl. noch festgestellt werden könnte. Der Beklagte habe ihm daraufhin erklärt, dass alle Fahrer sich jährlich beim Gesundheitsdienst der zuständigen Berufsgenossenschaft einer Untersuchung unterziehen müssten und bei dieser auch Blutuntersuchungen vorgenommen würden. Der Kläger habe gebeten, sich einer solchen Untersuchung nicht unterziehen zu müssen.

10

Eine weitere Beschäftigung des Klägers als LKW-Fahrer sei angesichts dessen potentieller Gefährdung des Straßenverkehrs durch Drogenkonsum und des Vertrauensverlusts auch nur für die Zeit der Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen. Außerdem hätte der einzige Kunde den Einsatz eines wegen Drogenmissbrauchs unzuverlässigen Fahrers nicht geduldet. Die Geschäftsbeziehung zu diesem existentiell wichtigen Kunden wäre bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers insgesamt gefährdet gewesen. Andere Einsatzmöglichkeiten habe es für den Kläger nicht gegeben. Es würden nur LKW-Fahrer beschäftigt.

11

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung nicht fristlos beendet worden ist, sondern bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 30. November 2014 fortbestanden hat. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Beklagte sein Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision ist begründet. Die streitgegenständliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis gemäß § 626 Abs. 1 BGB ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist mit ihrem Zugang am 28. Oktober 2014 beendet.

13

I. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts liegt ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vor.

14

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 17. März 2016 - 2 AZR 110/15 - Rn. 17 mwN).

15

2. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um bloße Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es anzuwendende Rechtsbegriffe in ihrer allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 22).

16

3. Dieser Überprüfung hält die angefochtene Entscheidung nicht stand.

17

a) Der Kläger hat in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, indem er am 11. Oktober 2014 Amphetamin und Methamphetamin eingenommen und dennoch ab dem 13. Oktober 2014 seine Tätigkeit als LKW-Fahrer verrichtet hat. Dies stellt einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB dar. Das Landesarbeitsgericht hat bei der vorzunehmenden Interessenabwägung die sich aus der Einnahme von Amphetamin und Methamphetamin für die Tätigkeit eines Berufskraftfahrers typischerweise ergebenden Gefahren nicht hinreichend gewürdigt.

18

aa) Die Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten kann „an sich“ einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Das betrifft sowohl auf die Hauptleistungspflicht bezogene Nebenleistungspflichten, die der Vorbereitung, der ordnungsgemäßen Durchführung und der Sicherung der Hauptleistung dienen und diese ergänzen, als auch sonstige, aus dem Gebot der Rücksichtnahme ( § 241 Abs. 2 BGB ) erwachsende Nebenpflichten (BAG 19. Januar 2016 - 2 AZR 449/15 - Rn. 29 mwN). Es besteht eine Nebenleistungspflicht des Arbeitnehmers, sich nicht in einen Zustand zu versetzen, in dem er seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht erfüllen oder bei Erbringung seiner Arbeitsleistung sich oder andere gefährden kann (vgl. BAG 26. Januar 1995 - 2 AZR 649/94 - zu B III 3 a der Gründe, BAGE 79, 176; ErfK/Müller-Glöge 16. Aufl. § 626 BGB Rn. 137; HWK/Sandmann 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 260). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Fähigkeit zur (sicheren) Erbringung der Arbeitsleistung durch ein Verhalten während oder außerhalb der Arbeitszeit eingeschränkt wurde. So hat der Arbeitnehmer die Pflicht, seine Arbeitsfähigkeit auch nicht durch Alkoholgenuss in der Freizeit zu beeinträchtigen (vgl. BAG 26. Januar 1995 - 2 AZR 649/94 - aaO; 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 22; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 310; Liebscher in Thüsing/Laux/Lembke KSchG 3. Aufl. § 1 Rn. 468; Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. § 1 Rn. 213; ErfK/Müller-Glöge § 626 BGB Rn. 137). Ein Berufskraftfahrer hat aufgrund der besonderen Gefahren des öffentlichen Straßenverkehrs jeden die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Alkoholkonsum zu unterlassen (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 25; LAG Nürnberg 17. Dezember 2002 - 6 Sa 480/01 - zu II 1 der Gründe; KR/Fischermeier 11. Aufl. § 626 BGB Rn. 423; KR/Griebeling/Rachor § 1 KSchG Rn. 425; Krause in vHH/L 15. Aufl. § 1 Rn. 577; Staudinger/Preis (2016) § 626 Rn. 129 mwN; HaKo/Zimmermann 5. Aufl. § 1 Rn. 360).

19

bb) Nimmt ein Berufskraftfahrer Amphetamin und Methamphetamin ein und führt er dennoch im Rahmen seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtung ein Fahrzeug des Arbeitgebers, kommt es wegen der sich aus diesem Drogenkonsum typischerweise ergebenden Gefahren nicht darauf an, ob seine Fahrtüchtigkeit konkret beeinträchtigt ist. Der Pflichtenverstoß liegt bereits in der massiven Gefährdung der Fahrtüchtigkeit.

20

(1) Dies entspricht den Wertungen des öffentlichen Rechts.

21

(a) Nach § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG handelt ordnungswidrig, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Die Vorschrift erfasst Fahrten unter der Einwirkung bestimmter Rauschmittel, die allgemein geeignet sind, die Verkehrs- und Fahrsicherheit zu beeinträchtigen. Es handelt sich um einen abstrakten Gefährdungstatbestand, bei dem es auf eine tatsächliche Beeinträchtigung der Fahrsicherheit oder Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer im Einzelfall nicht ankommt (vgl. Janker/Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker Straßenverkehrsrecht 24. Aufl. § 24a StVG Rn. 5). Amphetamin und Methamphetamin sind in der Anlage zu § 24a StVG genannt. Die Einnahme dieser Substanzen bewirkt zB erhöhte Risikobereitschaft und Enthemmung (vgl. König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 43. Aufl. § 24a StVG Rn. 19).

22

(b) Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) besteht bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) mit Ausnahme von Cannabis keine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 3, §§ 11 bis 14 FeV bereits dann gerechtfertigt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber mindestens einmal sogenannte „harte Drogen“ konsumiert hat. Der Fahrerlaubnisbehörde ist insoweit kein Ermessen eingeräumt (BayVGH 15. Juni 2016 - 11 CS 16.879 - Rn. 13; vgl. auch OVG NRW 23. Juli 2015 - 16 B 656/15 - Rn. 5; VGH Baden-Württemberg 7. April 2014 - 10 S 404/14 - Rn. 5; OVG Berlin-Brandenburg 10. Juni 2009 - OVG 1 S 97.09 - Rn. 4; VGH Hessen 21. März 2012 - 2 B 1570/11 - Rn. 6; Sächsisches OVG 28. Oktober 2015 - 3 B 289/15 - Rn. 5; OVG Sachsen-Anhalt 13. April 2012 - 3 M 47/12 - Rn. 6; Thüringer OVG 9. Juli 2014 - 2 EO 589/13 - Rn. 14; Koehl ZfSch 2015, 369 unter B). Zu den „harten Drogen“ zählen auch Amphetamin und Methamphetamin (§ 1 Abs. 1 BtMG iVm. Anlagen II und III zu § 1 Abs. 1 BtMG). Die Anlage 4 zur FeV beruht maßgeblich auf den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin bei den für Verkehr und Gesundheit zuständigen Bundesministerien, denen ein entsprechendes verkehrsmedizinisches Erfahrungswissen zugrunde liegt und die den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis auf diesem Gebiet wiedergeben (BVerwG 14. November 2013 - 3 C 32.12 - Rn. 19 mwN, BVerwGE 148, 230).

23

(2) Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, dass die Einnahme von Amphetamin und Methamphetamin die Fahrtüchtigkeit in einem solchen Maß gefährdet, dass dies für sich genommen bei einem Berufskraftfahrer eine Verletzung des Arbeitsvertrags darstellt, wenn er trotz des Drogenkonsums seine Tätigkeit verrichtet. Die drogenbedingte Gefährdung der Fahrtüchtigkeit bewirkt zumindest abstrakt auch eine Gefährdung der Sicherheit des Straßenverkehrs. Im Rahmen seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ist der Berufskraftfahrer gehalten, eine solche Gefährdung zu verhindern. Er verletzt durch die Drogeneinnahme seine Verpflichtungen daher auch dann, wenn es trotz des Drogenkonsums nicht zu einer konkreten Einschränkung der Fahrtüchtigkeit oder zu kritischen Verkehrssituationen kommt. Es ist für die Prüfung eines Vertragsverstoßes auch unbeachtlich, ob der Berufskraftfahrer durch seine Fahrtätigkeit eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG begeht oder ob die Substanz nicht mehr im Blut nachgewiesen werden kann(§ 24a Abs. 2 Satz 2 StVG).

24

cc) Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt hier entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vor, welcher die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt.

25

(1) Der Kläger hat in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen.

26

(a) Er konsumierte unstreitig am 11. Oktober 2014 Amphetamin und Methamphetamin. Dennoch verrichtete er vom 13. bis zum 15. Oktober 2014 seine Tätigkeit als LKW-Fahrer. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts stand er dabei noch „unter Drogeneinfluss“. Es ist jedenfalls bzgl. der Fahrten am 13. und 14. Oktober 2014 nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht dies aus dem Ergebnis des am Nachmittag des 14. Oktober 2014 durchgeführten Drogenwischtests geschlossen hat. Der Kläger hat damit seine vertraglichen Pflichten verletzt, auch wenn ungeklärt ist, inwieweit seine Fahrtüchtigkeit (noch) konkret beeinträchtigt war. Die Pflichtverletzung besteht, wie ausgeführt, schon in der Aufnahme der Tätigkeit trotz des Drogenkonsums.

27

(b) Diese Pflichtverletzung hat der Kläger schuldhaft begangen. Er handelte mindestens fahrlässig iSd. § 276 Abs. 2 BGB, indem er seine Fahrt am 13. Oktober 2014 um 04:00 Uhr morgens antrat, obwohl er erst zwei Tage vorher Amphetamin und Methamphetamin zu sich genommen hatte. Ihm musste bewusst gewesen sein, dass eine Fahrt unter Drogeneinfluss angesichts dieser kurzen Zeitdauer noch möglich war. Zudem hat er den LKW auch noch am 15. Oktober 2014 geführt, obwohl ihm das drogenbedingt erhöhte Risiko durch den positiven Drogenwischtest am 14. Oktober 2014 vor Augen geführt wurde. Der Umstand, dass der Kläger den Beklagten unstreitig noch am Abend dieses Tages angerufen und fälschlicherweise behauptet hat, er könne die Fahrt am nächsten Morgen wegen eines verlorenen Führerscheins nicht durchführen, lässt darauf schließen, dass er dieses Risiko auch erkannt hatte. Dabei kommt es nicht darauf an, welche Aussagen die Polizei ihm gegenüber gemacht hatte.

28

(c) Deshalb kann hier dahinstehen, unter welchen Umständen ein Berufskraftfahrer bei einem länger zurückliegenden Drogenkonsum davon ausgehen darf, dass keine Auswirkungen mehr bestehen. Auch die Problematik einer suchtbedingt fehlenden Steuerbarkeit des Verhaltens stellt sich nicht (vgl. hierzu BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 32/11 - Rn. 14; HaKo/Zimmermann 5. Aufl. § 1 Rn. 354). Der Kläger hat nicht behauptet, im fraglichen Zeitraum drogensüchtig gewesen zu sein.

29

(2) Dem Beklagten war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist auch bei Berücksichtigung der Interessen des Klägers nicht zumutbar. Die zu Gunsten des Klägers ausfallende Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts würdigt nicht alle in Betracht zu ziehenden Umstände. Da die für die Interessenabwägung relevanten Tatsachen sämtlich feststehen, kann der Senat die erforderliche Abwägung selbst vornehmen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42).

30

(a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 46 mwN, BAGE 153, 111).

31

(b) Das Landesarbeitsgericht hat die außerordentliche Kündigung als unverhältnismäßig angesehen, weil „keine Umstände vorliegen, die den Schluss zulassen, der Kläger sei an den genannten Tagen gefahren, obwohl er fahruntüchtig gewesen sei“. Ein einmaliger Verstoß gegen § 24a Abs. 2 StVG ohne eine konkrete Gefahr für die Interessen des Arbeitgebers könne eine fristlose Kündigung nicht rechtfertigen. Es lägen keine Tatsachen vor, die auf einen regelmäßigen Drogenkonsum des Klägers, welcher seine persönliche Eignung für die Tätigkeit als Berufskraftfahrer in Frage stellen könnte, schließen ließen. Dies ergebe sich auch nicht aus der angeblichen Weigerung des Klägers, sich einer Untersuchung durch den medizinischen Dienst der Berufsgenossenschaft zu unterziehen. Es bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine generelle Weigerung.

32

(c) Diese Würdigung ist nicht frei von Rechtsfehlern.

33

(aa) Das Landesarbeitsgericht verkennt, dass schon die Einnahme von sogenannten „harten Drogen“ wie Amphetamin und Methamphetamin die Fahrtüchtigkeit in einem solchen Maß gefährdet, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen entfällt. Der kündigungsrelevante Pflichtenverstoß des Klägers ist schon die Gefährdung seiner Fahrtüchtigkeit durch den Drogenmissbrauch vor Fahrtantritt. Ob seine Fahrtüchtigkeit bei den ab dem 13. Oktober 2014 durchgeführten Fahrten konkret beeinträchtigt war und deshalb eine erhöhte Gefahr im Straßenverkehr bestand, ist ohne Bedeutung.

34

(bb) Die vom Landesarbeitsgericht angenommene Erfüllung des Tatbestands des § 24a Abs. 2 StVG mag für sich genommen nicht ausreichen, um die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist anzunehmen. Das Begehen einer solchen Ordnungswidrigkeit wäre aber zu Lasten des Klägers in die Gesamtabwägung einzustellen.

35

(cc) Das Landesarbeitsgericht hat die Bedeutung der Zuverlässigkeit des Klägers im Hinblick auf den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz nicht hinreichend gewürdigt. Nach § 7 Abs. 2 der von der Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft (BG Verkehr) als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung erlassen Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ dürfen Unternehmer Versicherte, die erkennbar nicht in der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, mit dieser Arbeit nicht beschäftigen. Eine Missachtung dieser Vorgaben kann zum Verlust des Versicherungsschutzes in der gesetzlichen Unfallversicherung führen (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 25). Dem Beklagten war seit dem 27. Oktober 2014 bekannt, dass der Kläger „harte Drogen“ konsumiert hatte. Er musste daher davon ausgehen, dass ein weiterer Einsatz des Klägers das Risiko weiterer Fahrten unter Drogeneinfluss und damit Gefährdungen des öffentlichen Straßenverkehrs in sich birgt. Aus Sicht des Beklagten bestanden damit auch unabsehbare Risiken bzgl. seiner Haftung und des Versicherungsschutzes. Dies spricht für die Unzumutbarkeit der weiteren Beschäftigung des Klägers für den Beklagten.

36

(dd) Gleiches gilt hinsichtlich des möglichen Auftragsverlusts bei einem weiteren Einsatz des Klägers. Der Beklagte hat vorgetragen, dass der einzige Kunde bei Einsatz eines drogenbedingt unzuverlässigen Fahrers die Zuverlässigkeit des gesamten Unternehmens in Frage gestellt und ggf. den Auftrag entzogen hätte. Dies hat der Kläger nicht substantiiert bestritten. Die sich daraus ergebende wirtschaftliche Bedrohung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht nicht thematisiert.

37

(d) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts war dem Beklagten deshalb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist auch bei Berücksichtigung der Interessen des Klägers nicht zumutbar.

38

(aa) Der Kläger hat eine Pflichtverletzung begangen, durch welche er nicht nur sich selbst, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer sowie Güter des Beklagten zumindest potentiell in Gefahr gebracht hat. An der Schwere dieser Pflichtverletzung ändert es nichts, wenn es sich um einen einmaligen Drogenkonsum gehandelt haben sollte. Hätte der Kläger damals regelmäßig Drogen dieser Art konsumiert, hätte eine gesteigerte Wiederholungsgefahr bestanden, die zu Lasten des Klägers gewürdigt werden müsste.

39

(bb) Zu Gunsten des Klägers kann nicht berücksichtigt werden, dass es zu keinem Unfall kam. Zum einen kann dies als ein mehr oder minder zufälliger Umstand bei der Abwägung außer Betracht bleiben (vgl. bereits BAG 22. August 1963 - 2 AZR 114/63 -). Zum anderen würde das durch den Pflichtenverstoß geschaffene Risiko im Nachhinein unangemessen relativiert.

40

(cc) Soziale Belange rechtfertigen kein Überwiegen des Interesses des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Das Arbeitsverhältnis bestand erst seit knapp einem Jahr. Die persönliche Situation des Klägers lässt keine besondere Schutzwürdigkeit erkennen.

41

(dd) Die außerordentliche Kündigung ist keine unverhältnismäßige Reaktion auf die Pflichtverletzung des Klägers. Eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz war nicht möglich. Der Beklagte beschäftigt nach seinem unbestrittenen Vortrag ausschließlich Fahrer. Eine Abmahnung war entbehrlich. Die Pflichtverletzung des Klägers war so schwerwiegend, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich ausgeschlossen war (vgl. BAG 19. November 2015 - 2 AZR 217/15 - Rn. 24; 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 22, BAGE 150, 109).

42

b) Das Landesarbeitsgericht hat nicht berücksichtigt, dass der Beklagte die außerordentliche Kündigung ausweislich des Kündigungsschreibens auch damit begründet hat, dass der Kläger ihn in dem Telefonat am 14. Oktober 2014 nicht über den durchgeführten Drogenwischtest informiert, sondern fälschlicherweise behauptet habe, er dürfe wegen eines verlorenen Führerscheins am nächsten Tag nicht fahren. Dieses Verhalten des Klägers rechtfertigt für sich genommen die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

43

aa) Eine Nebenpflicht des Arbeitnehmers besteht darin, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen ( § 241 Abs. 2 BGB ). Diese Pflicht dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks ( BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13  - Rn. 19 mwN). Aus ihr leitet sich die allgemeine Pflicht des Arbeitnehmers ab, den Arbeitgeber im Rahmen des Zumutbaren unaufgefordert und rechtzeitig über Umstände zu informieren, die einer Erfüllung der Arbeitspflicht entgegenstehen (BAG 26. März 2015 - 2 AZR 517/14 - Rn. 24). Deshalb hat ein Arbeitnehmer den Verlust seiner Fahrerlaubnis unverzüglich mitzuteilen, wenn er diese für die Erbringung seiner Arbeitsleistung benötigt (vgl. Künzl/Sinner NZA-RR 2013, 561, 565). Zu den Nebenpflichten gehört auch die Schadensabwendungspflicht, nach welcher der Arbeitnehmer gehalten ist, drohende Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden bzw. zu beseitigen, soweit ihm dies möglich und zumutbar ist. In Zusammenhang damit steht die Verpflichtung des Arbeitnehmers, bemerkbare oder voraussehbare Schäden oder Gefahren dem Arbeitgeber unverzüglich anzuzeigen (BAG 28. August 2008 - 2 AZR 15/07 - Rn. 21). Verstößt der Arbeitnehmer zumindest bedingt vorsätzlich gegen seine aus § 241 Abs. 2 BGB abzuleitende Pflicht, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren drohende Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden, liegt darin eine erhebliche Pflichtverletzung, die den Arbeitgeber grundsätzlich zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt(vgl. BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 256/14 - Rn. 25).

44

bb) Der Kläger hatte die Pflicht, den Beklagten unverzüglich über das Ergebnis des Drogenwischtests am 14. Oktober 2014 zu informieren. Dies gilt auch angesichts des Umstands, dass der Test auf die polizeiliche Kontrolle einer Privatfahrt zurückzuführen ist. Der Bezug zum Arbeitsverhältnis ergibt sich aus der Einteilung des Klägers in die am nächsten Morgen um 04:00 Uhr beginnende Frühschicht. Dem Kläger wurde durch das Ergebnis des Drogenwischtests unmissverständlich verdeutlicht, dass der Drogenkonsum am vorangegangenen Samstag seine Fahrtüchtigkeit noch immer erheblich in Frage stellt. Seine Fähigkeit zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Vertragspflichten als LKW-Fahrer war damit zumindest bezogen auf den nächsten Tag zweifelhaft. Angesichts der mit einem Einsatz des Klägers zumindest abstrakt verbundenen Gefahren für den Straßenverkehr und Güter des Beklagten musste der Beklagte offensichtlich über diese Situation unterrichtet werden, um ihm eine Entscheidung bzgl. der weiteren Vorgehensweise auf zutreffender Tatsachengrundlage zu ermöglichen.

45

cc) Diese Pflicht hat der Kläger nicht erfüllt. Er hat in dem Telefonat am Abend des 14. Oktober 2014 die Polizeikontrolle und deren Ergebnis vielmehr wahrheitswidrig dargestellt, indem er behauptet hat, er dürfe nach polizeilicher Auskunft am nächsten Tag den LKW nicht fahren, weil er seinen Führerschein verlegt habe. Über den wirklichen Sachverhalt hat er den Beklagten nicht informiert.

46

dd) Diese Pflichtverletzung stellt einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB dar.

47

(1) Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung ist zu Lasten des Klägers nicht nur die Schwere der Vertragsverletzung zu berücksichtigen, sondern auch die bewusste Täuschung des Beklagten über die Geschehnisse am 14. Oktober 2014. Der Beklagte hat im Kündigungsschreiben zu Recht angeführt, der Kläger habe versucht, „die entsprechenden Umstände zu verheimlichen“. Der Kläger hat mit seiner Vorgehensweise dem auch für die kurzfristige Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderlichen Vertrauen des Beklagten die Grundlage entzogen. Der Beklagte konnte sich nicht mehr sicher sein, dass der Kläger ihn über sicherheitsrelevante Vorgänge pflichtgemäß unterrichtet. Da der Beklagte auf die Zuverlässigkeit der Mitteilungen seiner Fahrer angewiesen ist, war ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar.

48

(2) Eine Abmahnung war auch bzgl. dieses gravierenden Pflichtenverstoßes entbehrlich. Der Kläger konnte nicht erwarten, dass der Beklagte die irreführende Darstellung der Polizeikontrolle akzeptiert.

49

c) Selbst wenn die beiden angeführten Kündigungsgründe für sich genommen die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen würden, wäre die außerordentliche Kündigung jedenfalls bei einer Gesamtbetrachtung wirksam. Der Kläger hat durch die für einen Berufskraftfahrer unverantwortbare Gefährdung seiner Fahrtüchtigkeit in Verbindung mit dem Versuch einer Vertuschung des Drogenwischtests die für das Arbeitsverhältnis unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört.

50

II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

51

1. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ist bzgl. beider Kündigungsgründe gewahrt. Sie beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 54 mwN). Der Beklagte hat hier nach seinem insoweit unbestrittenen Vortrag erst im Gespräch am 27. Oktober 2014 von den maßgeblichen Umständen Kenntnis erlangt. Der Zugang der Kündigung erfolgte bereits am 28. Oktober 2014.

52

2. Die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 28. Oktober 2014 ergibt sich auch nicht aus anderen Umständen. Solche sind weder behauptet noch ersichtlich.

53

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel     

        

        

        

    Wollensak    

        

    Döpfert     

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 28. Mai 2014 - 10 Sa 770/13 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie es der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 19. Juni 2013 - 19 Ca 13099/12 - stattgegeben hat.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München wird insgesamt zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger wurde 1961 geboren, ist verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit 1989 - zunächst als Systemanalytiker und zuletzt als IT-Spezialist - bei der Beklagten beschäftigt. Die vereinbarte Wochenarbeitszeit belief sich auf 35 Stunden. Sein Arbeitsverhältnis war nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie (MTV) vom 23. Juni 2008 verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund kündbar.

3

Zwischen den Parteien kam es mehrfach zu Unstimmigkeiten über die dem Kläger zugeteilten Aufgaben und sein berufliches Fortkommen. Mit E-Mail vom 30. März 2009 forderte dieser die Beklagte auf, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen und sein „Aschenputtel-Dasein“ zu beenden. Die Beklagte übe „Psychoterror“ aus. Sie versuche, ihn zu zermürben und zu demütigen, was bei ihm zu einer seelischen Erkrankung geführt habe. Gleichzeitig kündigte er an, ggf. von einem Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB Gebrauch machen zu wollen. Nach mehreren Gesprächen wurde ihm für die Zeit ab Oktober 2009 einvernehmlich die Tätigkeit eines IT-Chefarchitekten und die Leitung eines Projekts übertragen.

4

Das dem Kläger anvertraute Projekt endete spätestens im September 2011. Im Mai 2011 wurde ihm die Aufgabe eines sog. Blueprint-Vorfilterers und im Februar 2012 diejenige eines „TRM-Koordinators“ jeweils mit seinem Einverständnis übertragen. Nachdem die Einarbeitung abgeschlossen war, lasteten diese Tätigkeiten ihn für drei bis vier Stunden pro Woche aus. Das ihm im Juni 2012 unterbreitete Angebot, zusätzlich im Projekt „SharePoint“ tätig zu werden, lehnte er ab.

5

Mit E-Mail vom 10. September 2012 richtete der Kläger eine Petition an die Personalleitung der Beklagten. In der beigefügten PowerPoint-Präsentation führte er aus, dass seit 1996 eine „massive Entwicklungsblockade“ gegen ihn verhängt worden sei. Trotz seiner „ständig sehr guten Ergebnisse“ und der „mustergültigen Einhaltung aller geltenden Regeln“ sei er nicht befördert worden. Dieses „unternehmensbedingte, großangelegte Mobbing“ habe bei ihm zu „totaler Frustration“ geführt. Seine Arbeitsmoral liege „brach“, die „innere Kündigung (sei) perfekt“. Die Beklagte habe ihn „krank gemacht“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“. Er sei „körperlich erschöpft, sowie seelisch und geistig ausgebrannt“. Die Beklagte habe sein „Potenzial definitiv und unwiederbringlich kaputt gemacht“. Man befinde sich in einem Dilemma wie in einer „schlechten Ehe“ und solle sich „lieber heute als morgen voneinander trennen“. Die von ihm „bevorzugte Lösung“ sei deshalb eine „bezahlte Freistellung mit garantiertem Bestandsschutz bis zum Eintritt in die gesetzliche Rente bzw. die Freizeitphase der Altersteilzeit“. In einer weiteren E-Mail vom 20. September 2012 teilte der Kläger der Beklagten mit, ihm sei es nicht mehr möglich und zumutbar, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Ab dem 1. Oktober 2012 werde er von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen.

6

Die Beklagte wies die Vorwürfe mit Schreiben vom 28. September 2012 zurück und ließ den Kläger wissen, dass sie es als schwerwiegende Verletzung seiner Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung ziehen werde, wenn er der Arbeit fernbleiben sollte. Zugleich lud sie ihn für den 1. Oktober 2012 zu einem Personalgespräch ein. Der Kläger erwiderte mit E-Mail vom gleichen Tag, er sei „sprachlos“ aufgrund der „inhaltslosen Aussagen“ und „billigen Drohungen“. Die Beklagte habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

7

Der Kläger erschien - wie angekündigt - ab dem 1. Oktober 2012 nicht mehr zur Arbeit. In der Folge entspann sich zwischen den Parteien ein nicht geringer Schrift- und E-Mail-Wechsel, in dessen Zuge die Beklagte den Kläger zweimal wegen Arbeitsverweigerung abmahnte und ihn noch weitere drei Mal vergeblich zu einem Personalgespräch einlud. Im fünften Anlauf kam für den 15. Oktober 2012 ein solches Gespräch zustande, in dem die Parteien keine Einigung erzielen konnten. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2012 erteilte die Beklagte dem Kläger eine „letztmalige Abmahnung“. Nachdem auch diese fruchtlos geblieben war, kündigte sie dessen Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats - mit Schreiben vom 26. Oktober 2012 außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit Auslauffrist zum 31. Mai 2013.

8

Hiergegen hat der Kläger sich rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Er hat gemeint, er habe seine Arbeitspflicht nicht verletzt, weil er wirksam ein Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht habe. Angesichts der gegen ihn verhängten „Entwicklungsblockade“ und des fortwährenden „Mobbing“ sei es ihm unzumutbar, weiterhin seine Arbeitsleistung zu erbringen. Die Kündigung stelle sich als Maßregelung dar.

9

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 26. Oktober 2012 noch durch die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist vom 26. Oktober 2012 aufgelöst worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, der Kläger habe seine Arbeitspflicht beharrlich verletzt. Er sei nicht berechtigt gewesen, die Leistung zu verweigern. Die von ihm - ohnehin unsubstantiiert - erhobenen Vorwürfe seien unzutreffend. Der Kläger habe sich auch nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden. Vielmehr sei er sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos bewusst gewesen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte das Ziel, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist zulässig und begründet.

13

A. Der Senat kann über die Revision entscheiden. Es kommt nicht darauf an, ob der Rechtsstreit deshalb nach § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen gewesen ist, weil der ursprüngliche Prozessbevollmächtigte des Klägers im Laufe des Revisionsverfahrens die Zulassung zur Anwaltschaft und damit gemäß § 11 Abs. 4 ArbGG die Fähigkeit verloren hat, die Vertretung seiner Partei fortzuführen(gegen eine Unterbrechung bei Bestellung eines Abwicklers BFH 10. Februar 1982 - I R 225/78 - BFHE 135, 445; für eine Unterbrechung trotz Bestellung eines Abwicklers OLG Köln 3. Juni 1993 - 12 W 19/93 - zu I der Gründe; Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 244 Rn. 9). Eine mögliche Unterbrechung ist jedenfalls dadurch beendet worden, dass der Abwickler der Kanzlei des früheren Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 30. April 2015 seine Bestellung gegenüber dem Bundesarbeitsgericht angezeigt hat und die Anzeige der Beklagten zugestellt worden ist (§ 244 Abs. 1, § 250 ZPO). Bei einem amtlich bestellten Abwickler handelt es sich um einen „bestellten neuen Anwalt“ iSv. § 244 Abs. 1 ZPO(BAG 13. Mai 1997 - 3 AZR 66/96 - zu A der Gründe).

14

B. Die Revision ist zulässig. Entgegen der Ansicht des Klägers ist sie ordnungsgemäß begründet worden.

15

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss der vermeintliche Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufgezeigt werden, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Dazu muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Das erfordert die genaue Darlegung der Gesichtspunkte, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 16).

16

II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Die Beklagte wendet sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, unter Abwägung der beiderseitigen Interessen sei es ihr zumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Sie legt dar, welche von ihm festgestellten Umstände es außer Acht gelassen habe und wie daraus ein anderes Ergebnis folge. Diese Sachrüge wäre im Fall ihrer Begründetheit geeignet, das Berufungsurteil - soweit es durch die Beklagte angefochten wird - zu Fall zu bringen. Das reicht als Revisionsangriff aus. Darauf, ob die Beklagte die von ihr zudem erhobenen Verfahrensrügen ausreichend begründet hat, kommt es für die Zulässigkeit der Revision deshalb nicht an.

17

C. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Unrecht stattgegeben. Sie ist unbegründet. Die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 26. Oktober 2012 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Sie ist wirksam.

18

I. Es besteht ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB iVm. § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV.

19

1. Nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV können die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die - wie der Kläger - das 50. Lebensjahr vollendet und dem Betrieb oder Unternehmen mindestens 15 Jahre angehört haben, verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Mit dem Begriff des „wichtigen Grundes“ knüpft der MTV an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an(für insoweit vergleichbare Tarifverträge BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 688/09 - Rn. 31; 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 24).

20

2. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der - ggf. fiktiven - Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 19, BAGE 149, 355; 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 19). Bei der Interessenabwägung ist die ordentliche Unkündbarkeit seines Arbeitsverhältnisses - hier: nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV - nicht gesondert zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 48 mwN, BAGE 137, 54).

21

3. Der Kläger hat einen „an sich“ wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB herbeigeführt, indem er die von ihm geschuldete Arbeitsleistung beharrlich verweigerte.

22

a) Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer verweigert die ihm angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachdrücklich nicht leisten will. Ob er zur Arbeitsleistung verpflichtet war, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 29, 32).

23

b) Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB begründen sollen. Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen. Allerdings hat hierzu der Arbeitnehmer seinerseits nach § 138 Abs. 2 ZPO substantiiert vorzutragen; er muss darlegen, warum sein Fehlen als „entschuldigt“ anzusehen sei. Nur die im Rahmen der insofern abgestuften Darlegungs- und Beweislast vom Arbeitnehmer behaupteten Tatsachen hat der Arbeitgeber zu widerlegen (vgl. BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 123/02 - zu II 2 b aa der Gründe; 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 70, 262).

24

c) Der Kläger verweigerte seit dem 1. Oktober 2012 die von ihm geschuldete Arbeitsleistung. Er war grundsätzlich verpflichtet, die ihm mit seinem Einverständnis übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ auszuführen.

25

d) Der Kläger war nicht berechtigt, die Arbeitsleistung zu verweigern, weil es ihm gemäß § 275 Abs. 3 BGB unzumutbar gewesen wäre, sie zu erbringen.

26

aa) Nach § 275 Abs. 3 BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn er sie persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des ihr entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Die Vorschrift betrifft das Spannungsverhältnis von Vertragstreue und Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung (BAG 13. August 2010 - 1 AZR 173/09 - Rn. 12, BAGE 135, 203). Sie löst es (nur) dann zugunsten des Schuldners auf, wenn für diesen die Leistungserbringung in hohem Maße belastend ist (MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 116), weil ein Fall besonderer Leistungserschwerung vorliegt (Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 70). Dem Schuldner kann die Erfüllung der von ihm persönlich zu erbringenden Leistung unzumutbar sein, wenn er dadurch Gefahr läuft, in bedeutsamen Rechtsgütern verletzt zu werden (vgl. Staudinger/Caspers (2014) § 275 Rn. 112: Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit). Im Falle einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung des Arbeitnehmers selbst - nicht eines seiner nahen Angehörigen - ist umstritten, ob die Leistungsbefreiung automatisch gemäß § 275 Abs. 1 BGB eintritt oder der Betreffende erst von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB Gebrauch machen muss(zum Streitstand siehe Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 71; MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 118).

27

bb) Dem Kläger war es nicht unzumutbar, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

28

(1) Er beruft sich nicht etwa darauf, dass er bereits arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Eine entsprechende ärztliche Bescheinigung gemäß § 5 EFZG hat er nicht vorgelegt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine Arbeitsunfähigkeit zumindest zu erwarten gewesen wäre, wenn er seine Tätigkeit fortgesetzt hätte. Zwar hat der Kläger behauptet, an einer psychischen Erkrankung zu leiden. Jedoch hat er diese nur schlagwortartig umschrieben. Es fehlt an Vortrag zu den Symptomen und dazu, wie sich die Krankheit - die ihm offenbar seit Jahren bekannt ist - in der jüngeren Vergangenheit entwickelt hat, welche konkreten Auswirkungen die Situation am Arbeitsplatz hatte und warum es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden konnte, die Arbeitsleistung fortzusetzen.

29

(2) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass es dem Kläger nicht aufgrund von - drohenden - Persönlichkeitsrechtsverletzungen unzumutbar gewesen sei, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (zur eingeschränkten Überprüfbarkeit der tatrichterlichen Würdigung vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 8 AZR 546/09 - Rn. 20; 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - Rn. 36).

30

(a) Nicht jedes den Arbeitnehmer belastende Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) stellt einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers oder eine Verletzung vertraglicher Pflichten zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) dar. Persönlichkeitsrechte werden nicht allein dadurch verletzt, dass im Arbeitsleben übliche Konflikte auftreten, die sich durchaus über einen längeren Zeitraum erstrecken können. Sozial- und rechtsadäquates Verhalten muss aufgrund der gebotenen objektiven Betrachtungsweise - dh. ohne Rücksicht auf das subjektive Empfinden des betroffenen Arbeitnehmers - von der rechtlichen Bewertung ausgenommen werden. Mangels entsprechender Systematik und Zielrichtung werden keine Rechte des Arbeitnehmers beeinträchtigt, wenn er von verschiedenen Vorgesetzten, die nicht zusammenwirken und die zeitlich aufeinanderfolgen, in seiner Arbeitsleistung kritisiert oder schlecht beurteilt wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn seine Arbeitsleistung nicht nur beanstandet oder ignoriert, sondern auch positiv gewürdigt wird. Ebenso müssen Verhaltensweisen von Arbeitgebern oder Vorgesetzten unberücksichtigt bleiben, die lediglich eine Reaktion auf Provokationen durch den vermeintlich „gemobbten“ Arbeitnehmer darstellen. Insoweit fehlt es an der eindeutigen Täter-Opfer-Konstellation (BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 86, BAGE 122, 304).

31

(b) Zur Begründung des Vorwurfs, er sei systematisch in seiner beruflichen Entwicklung „blockiert“ worden, beruft der Kläger sich darauf, dass ihm Zwischenzeugnisse mit unrichtigem Inhalt erteilt, ein Telearbeitsplatz verweigert, Leistungspunkte gestrichen, keine herausfordernden Aufgaben übertragen und eine Fortbildung und Beförderung verwehrt worden seien. Weitere Verhaltensweisen der Beklagten hat er nicht konkret dargetan; es ersetzt keinen substantiierten Sachvortrag, Vorschriften zu benennen, gegen die sie verstoßen haben soll.

32

(c) Mit dem Landesarbeitsgericht lassen die vom Kläger geschilderten Verhaltensweisen weder einzeln für sich noch in ihrer Gesamtschau den Schluss auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts zu. Zwischen den Parteien bestanden lediglich Konflikte wie sie im Arbeitsleben üblich sind. Sie ergaben sich aus unterschiedlichen Auffassungen über die Qualität der Arbeitsleistung und -ergebnisse des Klägers. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte oder einer ihrer Repräsentanten (§ 278 BGB) auch nur in einem Einzelfall die Ebene der Sachlichkeit verlassen hätte. Im Übrigen würde selbst dies nicht ausreichen, um eine Rechtsverletzung anzunehmen (vgl. BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 76, BAGE 122, 304).

33

(aa) Der Kläger mag es als erniedrigend empfunden haben, dass ehemalige Kollegen zu seinen Vorgesetzten wurden. In diesem Empfinden mag er dadurch bestärkt worden sein, dass seine Arbeitsleistung schlechter beurteilt wurde, als er es für gerechtfertigt hielt. Er hatte jedoch keinen Rechtsanspruch darauf, gleichfalls befördert zu werden (vgl. zur „Fürsorgepflicht“ des Arbeitgebers BAG 23. September 1992 - 5 AZR 526/91 - zu II 6 der Gründe). Die Beklagte hat substantiiert dargetan, dass sie ihn nicht als „Führungskraft“ sehe, weil er aus ihrer Sicht nicht über ausreichende Gestaltungsfähigkeiten bei komplexen, noch unklaren Sachverhalten und nicht über das erforderliche Team- und Kommunikationsverhalten verfüge.

34

(bb) Es ist nicht ersichtlich, dass gegen den Kläger eine „Entwicklungsblockade“ verhängt worden wäre. Ihm sind Angebote zur Fort- und Weiterbildung unterbreitet worden. Diese hat er entweder nicht angenommen oder er hat die begonnenen Schulungen - etwa das sog. Gallup-Stärkentraining - vorzeitig abgebrochen. Wenn Probleme in seinem Arbeitsumfeld aufgetreten sind, hat die Beklagte versucht, Tätigkeiten in anderen Bereichen für ihn zu finden und ihm einen „unbelasteten Neustart“ zu ermöglichen. Nach seinen eigenen Angaben ist er nicht nur kritisiert, sondern verschiedentlich für seine Arbeitsleistung und seine Arbeitsergebnisse auch gelobt worden. Zu keiner Zeit wurde ihm eine Aufgabe entzogen. Die Notwendigkeit, ihm neue Tätigkeiten zuzuweisen, ergab sich vielmehr dadurch, dass die ihm übertragenen Projekte abgeschlossen waren. Dass der Kläger mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nicht ausgelastet war, lässt nicht den Schluss zu, die Beklagte habe ihn auf das „Abstellgleis“ geschoben. Ihm ist zusätzlich ein Einsatz im Projekt „SharePoint“ angeboten worden. Diesen hat er - mit der Begründung, dass er sich dafür zunächst hätte fortbilden müssen - abgelehnt. Er hat auch im Prozess keine Angaben dazu gemacht, welche möglichen Aufgaben, die den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen entsprochen und nicht eine Beförderung bedeutet hätten, die Beklagte ihm „vorenthalten“ habe.

35

(cc) Es kommt hinzu, dass die Auseinandersetzungen um den Telearbeitsplatz und die Streichung von Leistungspunkten bei Beginn der Arbeitsverweigerung bereits im Sinne des Klägers „ausgestanden“ waren. Ihm war ein Telearbeitsplatz eingerichtet worden. Sein Vorgesetzter hatte ihm lediglich nahegelegt, in seinem - des Klägers - eigenen Interesse gleichwohl ausreichend im Unternehmen „präsent“ zu sein. Die nach den bei der Beklagten üblichen Gepflogenheiten anlässlich eines Aufgabenwechsels „gehaltsneutral“ gestrichenen Leistungspunkte waren ihm auf seinen „Protest“ hin wieder gutgeschrieben worden. Das hatte für ihn eine Gehaltserhöhung zur Folge, obwohl er sich in der neuen Tätigkeit noch nicht in der dazu erforderlichen Weise „bewährt“ haben konnte.

36

e) Die Arbeitsverweigerung durch den Kläger war nicht in Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

37

aa) Nach dieser Vorschrift darf der Schuldner, der aus dem gleichen Rechtsverhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat - sofern sich aus dem Schuldverhältnis nichts anderes ergibt -, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird. Dem Arbeitnehmer kann ein Recht zustehen, die Arbeitsleistung zurückzuhalten, wenn der Arbeitgeber seine aus dem Arbeitsverhältnis folgenden Haupt- oder Nebenpflichten schuldhaft nicht erfüllt. So liegt es beispielsweise, wenn der Arbeitgeber oder einer seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) die Gesundheit des Arbeitnehmers oder dessen Persönlichkeitsrecht in erheblicher Weise verletzt und mit weiteren Verletzungen zu rechnen ist. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts steht unter dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB und unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dementsprechend muss der Arbeitnehmer unter Angabe des Grundes dem Arbeitgeber klar und eindeutig mitteilen, er werde dieses Recht mit Blick auf eine ganz bestimmte, konkrete Gegenforderung wahrnehmen. Nur so wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, den möglichen Anspruch des Arbeitnehmers zu prüfen und ggf. zu erfüllen. Wenn der Arbeitnehmer berechtigterweise von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch macht, liegt keine Arbeitsverweigerung vor (vgl. BAG 13. März 2008 - 2 AZR 88/07 - Rn. 39 ff. mwN).

38

bb) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB geltend gemacht. Obwohl ihm ausweislich vorheriger Mitteilungen - etwa in der E-Mail vom 30. März 2009 - der Unterschied zwischen beiden Normen bestens bekannt war, hat er die Beklagte mit E-Mail vom 20. September 2012 (lediglich) wissen lassen, dass ihm die weitere Arbeitsleistung unzumutbar sei und er ab dem 1. Oktober 2012 von seinem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen werde. Noch in der Klageschrift hat er sich ausschließlich auf § 275 BGB bezogen. Dementsprechend hat er von der Beklagten nicht etwa verlangt, bestimmte Ansprüche zu erfüllen, Maßnahmen zu ergreifen oder Zustände zu beenden. Mithilfe der Weigerung, seine Arbeitsleistung zu erbringen, wollte er weder eine vertragsgemäße Beschäftigung noch die Unterlassung von weiterem „Mobbing“ erreichen. Vielmehr hat er lediglich „vorgeschlagen“, ihn unter Fortzahlung der Vergütung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze von der Arbeitsleistung freizustellen. Darin erblickte er nicht mehr als die Festschreibung dessen, was nach § 275 Abs. 3 iVm. § 326 Abs. 2 BGB ohnehin - unveränderlich - gelte.

39

cc) Gemäß den Ausführungen zu § 275 Abs. 3 BGB bestanden im Übrigen keine Gegenansprüche, auf die der Kläger ein Recht, seine Arbeitsleistung zurückzuhalten, erfolgreich hätte stützen können. Zwar hatte er einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung im Umfang von 35 Wochenstunden. Auch wurde dieser von der Beklagten bei weitem nicht vollständig erfüllt, weil der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nur im Umfang von drei bis vier Stunden pro Woche ausgelastet war. Die „Unterbeschäftigung“ beruhte jedoch darauf, dass der Kläger die ihm ergänzend angetragene Tätigkeit im Projekt „SharePoint“ nicht hatte übernehmen wollen. Unter diesen Umständen wäre es rechtsmissbräuchlich iSv. § 242 BGB, die Arbeitsleistung mit dem Ziel zurückzuhalten, weitere Aufgaben zugewiesen zu bekommen.

40

f) Der Kläger hat seine geschuldete Arbeitsleistung bewusst und nachhaltig verweigert.

41

aa) Obgleich die Beklagte ihn mit Schreiben vom 28. September 2012 darauf hingewiesen hatte, dass sie dies als schwerwiegenden Verstoß gegen seine Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen ziehen werde, blieb er ab dem 1. Oktober 2012 der Arbeit fern und nahm sie trotz dreier Abmahnungen und mehrerer Aufforderungen der Beklagten bis zum Kündigungszeitpunkt - über mehr als dreieinhalb Wochen - nicht wieder auf.

42

bb) Der Kläger befand sich nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum.

43

(1) Der Geltungsanspruch des Rechts bewirkt, dass der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst trägt und es nicht dem Gläubiger überbürden kann (BAG 19. August 2015 - 5 AZR 975/13 - Rn. 31). Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt nur vor, wenn der Schuldner seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass er sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen kann. Ein Unterliegen in einem möglichen Rechtsstreit muss zwar nicht undenkbar sein (vgl. BAG 12. November 1992 - 8 AZR 503/91 - zu I 1 der Gründe, BAGE 71, 350). Gleichwohl liegt ein entschuldbarer Rechtsirrtum nur dann vor, wenn der Schuldner damit nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu rechnen brauchte; ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 34; BGH 6. Dezember 2006 - IV ZR 34/05 - zu II 1 a aa der Gründe; 27. September 1989 - IVa ZR 156/88 -).

44

(2) Der Kläger hat sich nicht fachkundig beraten lassen, bevor er die Arbeitsleistung verweigert hat. Nach seinem eigenen Vorbringen war er sich des Risikos, dass ein Leistungsverweigerungsrecht von den Gerichten verneint werden könnte, vollauf bewusst. Unter diesen Umständen kann von einem entschuldbaren, unvermeidbaren Rechtsirrtum keine Rede sein.

45

4. Bei der abschließenden Interessenabwägung überwiegt - entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts - das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dessen Fortsetzung war ihr selbst für den Lauf der - fiktiven - ordentlichen Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Schluss eines Kalendermonats (§ 8 Ziff. 2 Abs. 2 Satz 1 MTV) nicht zuzumuten.

46

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der - fiktiven - Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zuzumuten war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 21; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47, BAGE 149, 355).

47

b) Dem Berufungsgericht kommt bei dieser Prüfung und Interessenabwägung - obwohl es sich um Rechtsanwendung handelt - ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz aber daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 24; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - aaO; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16).

48

c) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Beklagten sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten gewesen, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

49

aa) Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung ist insoweit nicht zu beanstanden, wie es zugunsten des Klägers die lange Dauer des Arbeitsverhältnisses, dessen von erheblichen Pflichtverletzungen freien Verlauf, seine Unterhaltspflichten und den Umstand berücksichtigt hat, dass die Beklagte nicht nach weiteren Möglichkeiten gesucht hat, ihn vertragsgemäß in Vollzeit zu beschäftigen. Dass der Kläger einen Einsatz im Projekt „SharePoint“ abgelehnt hatte, führte zwar dazu, dass er seine Arbeitsleistung nicht mit dem Ziel zurückhalten durfte, man möge ihm weitere Aufgaben übertragen. Dies entband die Beklagte jedoch nicht davon, „von sich aus“ andere bzw. zusätzliche Tätigkeiten für ihn zu suchen.

50

bb) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auf der anderen Seite die Schwere der Pflichtverletzung und den Grad des ihn treffenden Verschuldens zulasten des Klägers berücksichtigt.

51

(1) Die Pflichtverletzung des Klägers war schwerwiegend. Er hat gegen seine Hauptleistungspflicht verstoßen und es der Beklagten unmöglich gemacht, mit der von ihm geschuldeten Arbeitsleistung zu planen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und ggf. welche Arbeiten aufgrund seiner Abwesenheit nicht erledigt wurden (vgl. dazu BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 43). Ebenso wenig ist es von Belang, dass er mit den Tätigkeiten als „Blueprint-Vorfilterer“ und „TRM-Koordinator“ lediglich für drei bis vier Wochenstunden ausgelastet war. Wollte man dies anders sehen, müssten geringfügig Beschäftigte selbst dann nicht mit einer Kündigung rechnen, wenn sie die Arbeitsleistung noch so beharrlich verweigern sollten.

52

(2) Den Kläger traf ein erhebliches Verschulden. Er war sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos nach eigenem Bekunden hinlänglich bewusst. Die Möglichkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung hatte er ausdrücklich ins Kalkül gezogen.

53

cc) Das Landesarbeitsgericht durfte angesichts aller Umstände nicht annehmen, die Interessen des Klägers überwögen, weil der Beklagten eine mildere Reaktionsmöglichkeit zur Verfügung gestanden habe.

54

(1) Es hat gemeint, die Beklagte habe dem Kläger spätestens in dem Personalgespräch am 15. Oktober 2012 eine Verbesserung der von ihm als unerträglich empfundenen Arbeitssituation in Aussicht stellen und ihm so „den Weg zurück (…) ebnen“ müssen. Es könne „nicht von vornherein ausgeschlossen“ werden, „dass (er) ein solches Angebot wahrgenommen hätte“. Es sei ihm „gerade um eine angemessene Beschäftigung“ gegangen. Der Beklagten sei es deshalb zumutbar gewesen, dem Kläger zunächst „ein Entgegenkommen bei der Übernahme weiterer Aufgaben zu zeigen“.

55

(2) Die Annahme, darin habe ein milderes Mittel bestanden, das geeignet gewesen wäre, die Arbeitsverweigerung zu beenden, ist rechtsfehlerhaft. Sie steht im Widerspruch zu der Intention des Klägers, wie sie aus dessen vorangegangenen Bekundungen und - diese bestätigend - seinem Prozessvortrag deutlich geworden ist.

56

(a) Ausweislich seiner E-Mails vom 10., 20. und 28. September 2012 hielt der Kläger es für unzumutbar iSv. § 275 Abs. 3 BGB, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. In Festschreibung dessen, was gemäß § 326 Abs. 2 BGB ohnehin gelte, „bevorzuge“ er eine bezahlte Freistellung bis zum Eintritt in die Regelaltersrente. Er war danach unter keinen Umständen (mehr) bereit, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen. Die Beklagte musste mit Blick auf diese Äußerungen annehmen, dass sie ihn nicht dazu hätte bewegen können, seine ablehnende Haltung aufzugeben, indem sie ihm die Übernahme weiterer, den Vereinbarungen der Parteien entsprechender Aufgaben anböte. Eine „angemessene Beschäftigung“ wäre vielmehr in den Augen des Klägers - so musste es sich ihr darstellen - allenfalls eine solche gewesen, die eine Beförderung in den Bereich der „AT-Angestellten“ bzw. der „Führungskräfte“ bedeutet hätte. Und selbst das musste zweifelhaft erscheinen, nachdem er mit der E-Mail vom 28. September 2012 mitgeteilt hatte, die „innere Kündigung“ sei „perfekt“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“, die Beklagte habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

57

(b) Dass er schlechterdings nicht (mehr) bereit war, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen, hat der Kläger durch seinen prozessualen Vortrag untermauert. So hat er im Schriftsatz vom 28. Mai 2013 ausgeführt, es sei „offensichtlich“, dass die „Vertrauensbasis nicht wiederhergestellt“ werden könne und die Prognose für eine erfolgreiche Zusammenarbeit „negativ“ sei. In seinem Schriftsatz vom 10. Juni 2013 hat er die einzigen Wege beschrieben, die er als gangbar ansehe, um den Konflikt der Parteien zu lösen: entweder eine bezahlte Freistellung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze oder die Zahlung einer Abfindung iHv. 1.502.550,00 Euro zzgl. einer Betriebsrente iHv. 600,00 Euro pro Monate. Als „worst case“ komme auch eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses in Betracht, allerdings nur bei Gewährung einer Gehaltserhöhung, Zusage von Altersteilzeit und Androhung eines Ordnungsgelds für die Beklagte.

58

d) Gab es demnach kein milderes Mittel, um den Kläger dazu zu bewegen, künftig seinen Arbeitsvertrag zu erfüllen, überwog das Interesse der Beklagten daran, das Arbeitsverhältnis sofort zu beenden. Da der Kläger bei vollem Risikobewusstsein seine Hauptleistungspflicht nachhaltig verletzt und deren weitere Erfüllung abgelehnt hatte, ohne dass die Aussicht bestanden hätte, ihn „zur Umkehr“ bewegen zu können, hat er der Beklagten selbst die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gemacht. Nicht anders läge es, wenn er sie - im Sinne des von ihm beschriebenen „worst-case“-Szenarios - dazu hätte „nötigen“ wollen, ihn zu befördern, ihm Altersteilzeit zu bewilligen und ihm eine Betriebsrente in der geforderten Höhe zu zahlen.

59

5. Die Beklagte hat die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat die Kündigung damit begründet, der Kläger weigere sich beharrlich, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Damit hat sie einen Dauertatbestand geltend gemacht, der sich fortlaufend neu verwirklichte (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 45; 13. Mai 2004 - 2 AZR 36/04 - zu II 1 der Gründe).

60

II. Die Kündigung ist nicht deshalb nach § 134 BGB nichtig, weil sie gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verstieße. So läge es nur, wenn tragender Beweggrund, dh. wesentliches Motiv für sie eine zulässige Rechtsausübung gewesen wäre (vgl. BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 867/11 - Rn. 45; 19. April 2012 - 2 AZR 233/11 - Rn. 47). Das wiederum setzte voraus, dass das geltend gemachte Recht tatsächlich existierte (ErfK/Preis 15. Aufl. § 612a BGB Rn. 5; KR/Treber 10. Aufl. § 612a BGB Rn. 6). Dem Kläger stand aber weder ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB noch ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB zu. Er hat kein Recht in zulässiger Weise ausgeübt, sondern beharrlich die von ihm geschuldete Arbeitsleistung verweigert.

61

III. Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört worden. Hierüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.

62

D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Jan Eulen    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 16. Dezember 2015 - 3 Sa 60/15 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt ein Stahlwerk. Der Kläger war bei ihr seit Juni 1991 als Arbeiter beschäftigt. Im Betrieb der Beklagten gilt seit Februar 2005 die Betriebsvereinbarung „Respektvolle Zusammenarbeit“. Deren Nr. 5 lautet:

        

Maßnahmen bei Verstößen gegen die Grundsätze der BV

        

Arbeitgeber und Betriebsrat beraten gemeinsam über zu treffende Maßnahmen. Auf Grundlage des Beratungsergebnisses ergreift der Arbeitgeber angemessene Maßnahmen, wie z. B.

        

Belehrung                                                            

        

Verwarnung

        

Abmahnung

        

Umsetzung

        

Versetzung

        

 •

Kündigung.

        

Im Übrigen gelten die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen.“

3

Am 22. Oktober 2014 war der Kläger zusammen mit zwei im Betrieb der Beklagten eingesetzten Leiharbeitnehmern bei der Verpackung und Etikettierung von Bandstahlrollen tätig. Einer der Fremdfirmenmitarbeiter meldete zwei Tage später seinem Vorarbeiter, der Kläger habe ihn von hinten schmerzhaft in den Genitalbereich gegriffen und anschließend darüber Bemerkungen gemacht.

4

Die Beklagte hörte die Fremdfirmenmitarbeiter und den Kläger zu dem Vorwurf an. Der Kläger bestritt ein Fehlverhalten. Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 7. November 2014 fristlos und mit Schreiben vom 12. November 2014 vorsorglich ordentlich zum 30. Juni 2015. Dem Betriebsrat hatte sie ua. mitgeteilt, dass eine vorsorgliche Untersuchung des Fremdfirmenmitarbeiters im Krankenhaus stattgefunden habe.

5

Gegen beide Kündigungen hat sich der Kläger mit der vorliegenden Klage gewandt. Er habe den Mitarbeiter der Fremdfirma lediglich unabsichtlich am Hinterteil berührt. Im Übrigen rechtfertige selbst das ihm vorgeworfene Verhalten keine Kündigung. Auch einen Arbeitnehmer, der im Jahre 2000 einem Kollegen schmerzhaft in den Genitalbereich gegriffen habe, habe die Beklagte nicht gekündigt. Die Anhörung des Betriebsrats sei unvollständig, da diesem nicht das Ergebnis der Untersuchung im Krankenhaus mitgeteilt worden sei.

6

Der Kläger hat beantragt,

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 7. November 2014 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 12. November 2014 nicht aufgelöst worden ist;

        

3.    

die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Arbeiter weiterzubeschäftigen.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe den Fremdfirmenmitarbeiter sowohl körperlich als auch verbal sexuell belästigt. Es handele sich um ein schweres Fehlverhalten, welches die außerordentliche, jedenfalls aber die ordentliche Kündigung rechtfertige. Der Kläger habe sein Verhalten gegenüber dem Werkschutz auch zunächst eingeräumt, aber zu verharmlosen versucht.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO). Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer rechtsfehlerhaften Anwendung von § 626 Abs. 1 BGB. Ob die fristlose Kündigung der Beklagten vom 7. November 2014 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, steht noch nicht fest.

10

I. Mit der bisherigen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, es fehle für die fristlose Kündigung an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.

11

1. Nach dieser Bestimmung kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 17. März 2016 - 2 AZR 110/15 - Rn. 17; 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 21).

12

2. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, das seines Erachtens erwiesene Verhalten des Klägers sei „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen.

13

a) Nach den nicht angegriffenen und damit für den Senat gem. § 559 Abs. 2 ZPO bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger dem Mitarbeiter der Fremdfirma am 22. Oktober 2014 schmerzhaft in die Hoden gegriffen und anschließend sinngemäß geäußert, dieser habe „dicke Eier“. Das Landesarbeitsgericht hat sich insofern der Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts angeschlossen. Bei der Angabe in den Entscheidungsgründen, die Bemerkung habe sich auf den „Kläger“ selbst bezogen, handelt es sich offensichtlich um einen Übertragungsfehler.

14

b) Mit seinem Verhalten hat der Kläger während der Arbeit eine Tätlichkeit zulasten eines im Betrieb der Beklagten eingesetzten Leiharbeitnehmers begangen. Dies stellt einen erheblichen Verstoß gegen die ihm gegenüber der Beklagten obliegende Pflicht zur Rücksichtnahme auf deren Interessen gem. § 241 Abs. 2 BGB dar und ist „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung zu bilden(vgl. BAG 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 20). Die Beklagte hat ein eigenes schutzwürdiges Interesse daran, dass die Zusammenarbeit auch mit in ihrem Betrieb eingesetzten Fremdarbeitnehmern nicht durch tätliche Übergriffe beeinträchtigt wird.

15

c) Das Verhalten des Klägers erfüllt ferner in zweifacher Hinsicht den Tatbestand einer sexuellen Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG. Auch dabei handelt es sich gem. § 7 Abs. 3 AGG um eine Verletzung vertraglicher Pflichten, die „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist(BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 15, BAGE 150, 109; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16). Die Beklagte ist nach § 12 Abs. 3 AGG verpflichtet, auch die in ihrem Betrieb eingesetzten Leiharbeitnehmer vor sexuellen Belästigungen zu schützen.

16

aa) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird.

17

(1) Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen(BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 17, BAGE 150, 109; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 18).

18

(2) Schutzgut der § 7 Abs. 3, § 3 Abs. 4 AGG ist die sexuelle Selbstbestimmung als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird als das Recht verstanden, selbst darüber zu entscheiden, unter den gegebenen Umständen von einem anderen in ein sexualbezogenes Geschehen involviert zu werden (Köhler/Koops BB 2015, 2807, 2808). Das schließt es ein, selbst über einen Eingriff in die Intimsphäre durch körperlichen Kontakt zu bestimmen. Die absichtliche Berührung primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale eines anderen ist demnach bereits deshalb sexuell bestimmt iSd. § 3 Abs. 4 AGG, weil es sich um einen auf die körperliche Intimsphäre gerichteten Übergriff handelt(vgl. BAG 2. März 2017 - 2 AZR 698/15 - Rn. 36; 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 18, BAGE 150, 109). Bei anderen Handlungen, die nicht unmittelbar das Geschlechtliche im Menschen zum Gegenstand haben, wie bspw. Umarmungen, kann sich eine Sexualbezogenheit aufgrund einer mit ihnen verfolgten sexuellen Absicht ergeben (BAG 2. März 2017 - 2 AZR 698/15 - Rn. 36).

19

(3) Ob eine Handlung sexuell bestimmt iSd. § 3 Abs. 4 AGG ist, hängt damit nicht allein vom subjektiv erstrebten Ziel des Handelnden ab(Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 151; Bauer/Krieger AGG 4. Aufl. § 3 Rn. 54; Schaub/Linck ArbR-HdB 16. Aufl. § 36 Rn. 40). Erforderlich ist auch nicht notwendig eine sexuelle Motivation des Täters. Eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist vielmehr häufig Ausdruck von Hierarchien und Machtausübung und weniger von sexuell bestimmter Lust (Köhler/Koops BB 2015, 2807, 2809).

20

(4) Das jeweilige Verhalten muss bewirken oder bezwecken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Relevant ist entweder das Ergebnis oder die Absicht. Für das „Bewirken“ genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle. Ebenso kommt es auf vorsätzliches Verhalten nicht an (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 19; Däubler/Bertzbach/Schrader/Schubert AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 76; Oetker in Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht 3. Aufl. § 14 Rn. 63; Schaub/Linck ArbR-HdB 16. Aufl. § 36 Rn. 40; Roloff in Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht § 3 AGG Rn. 30).

21

(5) Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit erfordert - anders als noch § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BSchG - nicht, dass der Betroffene seine ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht hat. Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 19).

22

bb) Der - nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zielgerichtete - Griff des Klägers in die Genitalien des Mitarbeiters der Fremdfirma ist eine sexuell bestimmte körperliche Berührung iSd. § 3 Abs. 4 AGG. Es handelt sich um einen auf die primären Geschlechtsmerkmale und somit die körperliche Intimsphäre des Mitarbeiters gerichteten körperlichen Übergriff, durch den die sexuelle Selbstbestimmung des Betroffenen negiert und damit seine Würde erheblich verletzt wird.

23

cc) Die anschließende Äußerung des Klägers, der Mitarbeiter habe „dicke Eier“, ist in diesem Zusammenhang eine entwürdigende Bemerkung sexuellen Inhalts iSd. § 3 Abs. 4 AGG. Selbst wenn eine solche Erklärung in einem anderen Kontext als Anerkennung von Entschlossenheit oder Mut des Betroffenen zu verstehen sein mag, ist hierfür im vorliegenden Zusammenhang kein Raum. Die durch den vorausgegangenen körperlichen Übergriff bewirkte Demütigung des Fremdfirmenmitarbeiters wurde durch die entsprechende Äußerung des Klägers vielmehr noch verstärkt, indem die vorherige körperliche Belästigung sprachlich manifestiert und der Betroffene dadurch erneut zum Objekt der vermeintlichen Dominanz des Klägers gemacht wurde.

24

dd) Sowohl die körperliche als auch die verbale sexuelle Belästigung des Mitarbeiters der Fremdfirma waren im Streitfall objektiv erkennbar unerwünscht iSd. § 3 Abs. 4 AGG. Für die körperliche Berührung ergibt sich dies bereits aus der erheblichen Verletzung der Intimsphäre des Betroffenen sowie der Empfindlichkeit der betroffenen Körperregion, für die verbale Belästigung aus ihrem unmittelbaren Zusammenhang mit dem unmittelbar vorangegangenen körperlichen Eingriff.

25

3. Das Landesarbeitsgericht durfte mit der bisherigen Begründung nicht annehmen, die fristlose Kündigung erweise sich aufgrund der gem. § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung als unverhältnismäßig.

26

a) Bei der Prüfung im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen(BAG 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 30; 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 46, BAGE 153, 111).

27

aa) Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 30; 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 46, BAGE 153, 111).

28

bb) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 22, BAGE 150, 109; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47, BAGE 149, 355; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16).

29

cc) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird zudem durch § 12 Abs. 3 AGG konkretisiert. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen - wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung - zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität ab (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 15, BAGE 150, 109; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16). § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen allerdings insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 23, aaO; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 28).

30

dd) Dem Berufungsgericht kommt bei der Prüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 47, BAGE 153, 111; 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 24, BAGE 150, 109).

31

b) Die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts hält selbst diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab nicht stand. Das Berufungsgericht hat sowohl unter dem Gesichtspunkt einer für die Zukunft zu erwartenden Verhaltensänderung des Klägers als auch mit Blick auf die Schwere von dessen Fehlverhalten eine Abmahnung für ausreichend gehalten. Dabei hat es ua. „maßgeblich“ zugunsten des Klägers berücksichtigt, dieser habe subjektiv nicht in dem Bewusstsein gehandelt, eine sexuelle Belästigung zu begehen. Diese Würdigung wird von seinen Feststellungen nicht getragen.

32

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf ein mangelndes Bewusstsein des Klägers, eine sexuelle Belästigung zu begehen, zum einen daraus geschlossen, dass dieser nicht aus sexuellen Motiven gehandelt habe. Ein erkennbar unerwünschter körperlicher Eingriff in den Intimbereich eines anderen stellt jedoch unabhängig davon, ob er mit eigener sexueller Motivation erfolgt, eine sexuelle Belästigung iSd. § 3 Abs. 4 AGG dar. Das Fehlen eigener sexueller Motive lässt deshalb in einer solchen Fallgestaltung für sich genommen nicht den Schluss zu, dem Handelnden fehle das Bewusstsein, eine sexuelle Belästigung zu begehen. Zudem hat der Kläger in den Vorinstanzen zu den Motiven für seine Tat keinen Vortrag gehalten. Er hat vielmehr bestritten, überhaupt in der fraglichen Weise übergriffig geworden zu sein.

33

bb) Zum anderen hat das Landesarbeitsgericht - obwohl es auch hierzu an jeglichem Vortrag des Klägers fehlt - angenommen, dieser habe nicht mit direktem Vorsatz gehandelt, weil es sich um ein situatives und unreflektiertes Verhalten gehandelt habe. Dafür sprächen - neben dem Fehlen einer sexuellen Motivation - auch die nachfolgenden Äußerungen des Klägers. Jedoch lässt sich auch aus diesen für sich genommen nicht schlussfolgern, es sei dem Kläger nicht um eine Herabwürdigung des betroffenen Mitarbeiters gegangen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Bemerkung „Du hast aber dicke Eier“ stellt im Zusammenhang mit dem vorausgegangenen körperlichen Übergriff eine neuerliche Demütigung dar, indem durch sie der Umstand, dass der Betroffene zum Ziel einer körperlichen sexuellen Belästigung gemacht wurde, bekräftigt und für alle Personen in Hörweite publik gemacht wird. Welche Äußerung des Klägers konkret das Landesarbeitsgericht sinngemäß als „Angebot“ gewertet hat, auch bei anderen Kollegen zur Tat zu schreiten, ist nicht festgestellt. Selbst wenn eine weitere Bemerkung des Klägers in dieser Weise zu verstehen gewesen sein sollte - und nicht als Frage, ob noch jemand den Übergriff des Klägers wiederholen wolle - ließe sie entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ebenfalls nicht auf mangelnden Vorsatz bezüglich einer Herabwürdigung des Fremdfirmenmitarbeiters schließen.

34

II. Der Senat kann die im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB erforderliche Interessenabwägung nicht selbst abschließend vornehmen. Dafür bedarf es weiterer Feststellungen und einer darauf bezogenen tatrichterlichen Würdigung.

35

1. Es ist nach den bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen, dass eine Verhaltensänderung des Klägers in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten stand. Zwar ist der Kläger nicht schon zuvor für vergleichbares Fehlverhalten erfolglos abgemahnt worden. Es bedarf aber der tatrichterlichen Würdigung, inwiefern der Umstand, dass er das ihm vorgeworfene Verhalten bei seiner Anhörung vor der Kündigung bestritt, auf eine Uneinsichtigkeit schließen ließ, die der Annahme entgegenstand, sein künftiges Verhalten könne schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden. Ferner obliegt es der tatrichterlichen Bewertung, ob von einer solchen Uneinsichtigkeit jedenfalls dann auszugehen wäre, wenn sich der Kläger gegenüber dem Werkschutz in der von der Beklagten behaupteten Weise wechselnd zu dem ihm vorgeworfenen Verhalten eingelassen hätte.

36

2. Es steht ebenfalls noch nicht fest, ob eine so schwere Pflichtverletzung vorliegt, dass - unabhängig von einer durch eine Abmahnung ggf. auszuschließenden Wiederholungsgefahr - selbst deren erstmalige Hinnahme der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Kläger erkennbar - ausgeschlossen war.

37

a) Für einen in diesem Sinne schweren Pflichtverstoß spricht, dass der Kläger erheblich, in durch nichts zu rechtfertigender und zudem schmerzhafter Weise die Intimsphäre des betroffenen Mitarbeiters verletzt und hierüber noch Bemerkungen gemacht hat.

38

b) Um ein das Gewicht der Pflichtverletzung zusätzlich erschwerendes Moment handelte es sich, wenn der betroffene Leiharbeitnehmer dem Angriff des Klägers aufgrund der Körperhaltung, in der er sich in Verrichtung seiner Tätigkeit befand, wehrlos ausgeliefert war, wie die Beklagte behauptet hat. Er wäre dann dem Übergriff umso schutzloser ausgesetzt gewesen, was die Demütigung, zum Objekt einer solchen Behandlung gemacht zu werden, noch verstärkt hätte.

39

c) Dem steht zugunsten des Klägers eine Betriebszugehörigkeit von mehr als 23 Jahren gegenüber, die es ausnahmsweise als zumutbar erscheinen lassen könnte, ihn trotz seines schweren Fehlverhaltens zumindest noch für den Lauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Es ist allerdings offen, ob dem Kläger eine in der Vergangenheit durchgehend störungsfreie Beschäftigung zugutegehalten werden kann. Zwar ist er nie abgemahnt worden. Die Beklagte hat sich aber darauf berufen, der Kläger habe sich schon mehrmals in der Vergangenheit unangemessen gegenüber anderen Mitarbeitern verhalten. Im Jahr 2008 habe er einen Mitarbeiter beschimpft und bedroht mit den Worten „Du Dicker (Idiot, Schwein oder ähnliches)“, „Hast Du ein Problem mit mir - ich kann Dir auch noch den anderen Arm lähmen“. Im Jahr 2010 habe er einen Kollegen grundlos als „Rassist“ beschimpft und bedroht. Einen anderen Kollegen habe er mit einem Signodeband an eine Bandstahlrolle gefesselt. Auf die Frage, was das solle, habe der Kläger geantwortet: „Sag mir Uhrzeit und Treffpunkt. Dann regeln wir es unter Männern“. Allein der Umstand, dass diese Vorfälle nicht abgemahnt wurden, steht ihrer Berücksichtigung als vom Kläger verursachte Störungen nicht entgegen.

40

d) Zugunsten des Klägers fiele nicht ins Gewicht, wenn die Beklagte, wie der Kläger behauptet hat, bei einem möglicherweise zumindest dem äußeren Erscheinungsbild nach ähnlichen Vorfall im Jahre 2000 keine Kündigung ausgesprochen hätte. Dadurch wäre keine „Selbstbindung“ eingetreten. Im Verhältnis von Arbeitnehmern untereinander scheidet mit Blick auf Kündigungen wegen Pflichtverletzungen eine Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes weitgehend aus (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 76; 8. Dezember 1994 - 2 AZR 470/93 - zu B II 5 g der Gründe). Eine mittelbare Auswirkung auf die Interessenabwägung kann der Gleichbehandlungsgrundsatz nur bei gleicher Ausgangslage haben (BAG 22. Februar 1979 - 2 AZR 115/78 - zu 2 a der Gründe). Eine solche hat indes auch der Kläger - etwa in Bezug auf das Verhalten nach der Pflichtverletzung - nicht behauptet. Außerdem wurde bei der Beklagten mit Wirkung ab Februar 2005 die Betriebsvereinbarung „Respektvolle Zusammenarbeit“ abgeschlossen, nach der sie sich ua. verpflichtete, sexuelle Belästigung und Mobbing zu unterbinden. Nach deren Nr. 2.2 sind unter Mobbing auch Drohungen und Erniedrigungen sowie Beschimpfungen und verletzende Behandlungen zu verstehen.

41

e) Die Zumutbarkeit einer Abmahnung im Streitfall folgt entgegen der Auffassung des Klägers nicht aus Nr. 5 der Betriebsvereinbarung „Respektvolle Zusammenarbeit“. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung sind die dort genannten angemessenen Maßnahmen lediglich Beispielsfälle von Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers bei Verstößen gegen die Grundsätze der Vereinbarung. Sie stellen keine Rangfolge dar, nach der die auf der nächsten Stufe benannte Maßnahme erst infrage käme, wenn die erste wahrgenommen und erfolglos geblieben ist.

42

III. Die angefochtene Entscheidung erweist sich nicht aus einem anderen Grund im Ergebnis als richtig.

43

1. Es kann nach den bisherigen Feststellungen weder davon ausgegangen werden, dass die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt, noch dass sie den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß nach § 102 Abs. 1 BetrVG angehört hätte. Soweit sich der Kläger darauf beruft, die Beklagte habe dem Betriebsrat das Ergebnis der Untersuchung des betroffenen Mitarbeiters im Krankenhaus mitteilen müssen, ist schon nicht ersichtlich, dass die Beklagte dieses gekannt hätte. Auch der Kläger behauptet das nicht. Es ist auch weder dem Anhörungsschreiben der Beklagten an den Betriebsrat noch ihrem Vorbringen im Übrigen zu entnehmen, dass sie ihren Kündigungsentschluss - zumindest mit - hierauf gestützt hätte. Ebenso wenig ist festgestellt, dass es sich bei dem Ergebnis der Untersuchung um einen den Kläger entlastenden Umstand gehandelt hätte.

44

2. Die Kündigung vom 7. November 2014 ist nicht gem. Nr. 5 Satz 1 und Satz 2 der Betriebsvereinbarung „Respektvolle Zusammenarbeit“ wegen einer unterbliebenen Beratung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über die zu treffende Maßnahme unwirksam. Zum einen hat der Kläger einen solchen Unwirksamkeitsgrund in den Vorinstanzen zu keinem Zeitpunkt gerügt, obwohl das Arbeitsgericht ausweislich Nr. 7 des in der Güteverhandlung vom 27. November 2014 verkündeten Beschlusses einen Hinweis nach § 6 Satz 2 KSchG erteilt hatte. Zum anderen sieht die Betriebsvereinbarung nicht vor, dass eine Verletzung der Beratungspflicht nach Nr. 5 die Unwirksamkeit einer Kündigung zur Folge haben soll. Eine solche Rechtsfolge müsste hinreichend deutlich geregelt sein (vgl. BAG 6. Februar 1997 - 2 AZR 168/96 - zu II 1 b der Gründe).

45

IV. Von der Aufhebung und Zurückverweisung umfasst sind die Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts über den Kündigungsschutzantrag betreffend die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 12. November 2014 zum 30. Juni 2015 und über den Weiterbeschäftigungsantrag.

46

1. Der auf die ordentliche Kündigung bezogene Kündigungsschutzantrag fällt nur zur Entscheidung an, wenn das Arbeitsverhältnis nicht bereits durch die außerordentliche Kündigung aufgelöst ist. Er ist dahin zu verstehen, dass er auflösend bedingt für den Fall gestellt ist, dass der Kündigungsschutzantrag gegen die außerordentliche Kündigung ohne Erfolg bleibt. Nur dies entspricht dem wohlverstandenen (Kosten-)Interesse des Klägers, da die Beklagte die ordentliche Kündigung nur „höchst vorsorglich und ohne Präjudiz für die Wirksamkeit“ der bereits ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung und damit auflösend bedingt für den Fall erklärt hat, dass das Arbeitsverhältnis bereits durch die außerordentliche Kündigung beendet ist (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 474/12 - Rn. 18 ff., BAGE 146, 333).

47

2. Über den Weiterbeschäftigungsantrag als weiterem unechten Hilfsantrag ist nur für den Fall des Obsiegens des Klägers mit beiden Kündigungsschutzanträgen zu entscheiden.

48

V. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    Koltze    

        

    Gerschermann    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 12. Juni 2013 - 7 Sa 1878/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.

2

Der Kläger ist bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin seit 1996 als Kfz-Mechaniker tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

3

Am 27. Juli 2012 betrat der Kläger die Sozialräume der Beklagten, um sich umzuziehen. Er traf dort auf die ihm bislang unbekannte Mitarbeiterin eines externen Reinigungsunternehmens. Bei seinem Eintreffen lehnte diese - Frau M. - in der Tür zwischen Wasch- und Umkleideraum und unterhielt sich mit zwei Kollegen des Klägers, die sich im Waschraum befanden. Dorthin begab sich auch der Kläger. Nachdem die beiden Kollegen die Räumlichkeiten verlassen hatten, führten der Kläger - während er sich Hände und Gesicht wusch - und Frau M. ein Gespräch. In dessen Verlauf stellte diese sich zunächst vor das Waschbecken und anschließend neben den Kläger. Der Kläger sagte zu ihr, sie habe einen schönen Busen und berührte sie an einer Brust. Frau M. erklärte, dass sie dies nicht wünsche. Der Kläger ließ sofort von ihr ab. Er zog sich um und verließ den Sozialraum. Frau M. arbeitete weiter. Sie schilderte den Vorfall später ihrem Arbeitgeber, der seinerseits an die Beklagte herantrat.

4

Am 31. Juli 2012 bat die Beklagte den Kläger zu einem Gespräch. Er gestand den Vorfall ein und erklärte, er habe sich eine Sekunde lang vergessen. „Die Sache“ tue ihm furchtbar leid. Er schäme sich, so etwas werde sich nicht wiederholen.

5

Mit Schreiben vom 31. Juli 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit sofortiger Wirkung.

6

In der Folge richtete der Kläger ein Entschuldigungsschreiben an Frau M. Er führte mit ihr unter Zahlung eines Schmerzensgelds einen Täter-Opfer-Ausgleich herbei. Frau M. nahm seine Entschuldigung an und versicherte, die Angelegenheit sei damit für sie erledigt. Sie habe kein Interesse mehr an einer Strafverfolgung. Das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

7

Der Kläger hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat vorgetragen, er habe - subjektiv unstreitig - den Eindruck gehabt, Frau M. habe mit ihm geflirtet. Dann sei es zu einem plötzlichen „Blackout“ gekommen und er habe sich zu dem im Rückblick unverständlichen Übergriff hinreißen lassen. So unentschuldbar sein Fehlverhalten sei, so rechtfertige es doch keine außerordentliche Kündigung. Es habe sich um einen einmaligen „Ausrutscher“ gehandelt. Eine Abmahnung sei als Reaktion der Beklagten ausreichend gewesen.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 31. Juli 2012 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe durch seine Bemerkung und die anschließende Berührung zwei eigenständige sexuelle Belästigungen begangen. Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzungen sei die fristlose Kündigung gerechtfertigt. Sie - die Beklagte - sei verpflichtet, sowohl ihr eigenes als auch das weibliche Personal des externen Unternehmens vor weiteren sexuellen Belästigungen durch den Kläger zu schützen. Dessen Entschuldigungen seien lediglich unter dem Druck der ausgesprochenen Kündigung erfolgt.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist unbegründet.

12

A. Die außerordentliche Kündigung vom 31. Juli 2012 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

13

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 39; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15, BAGE 146, 203).

14

II. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht einen „an sich“ wichtigen Grund angenommen. Der Kläger hat seine arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt. Er hat Frau M. sexuell belästigt.

15

1. Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den konkreten Umständen, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16 mwN).

16

2. Der Kläger hat Frau M. sowohl verbal als auch körperlich sexuell belästigt.

17

a) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein etwa von Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen(BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 18 mwN).

18

b) Bei der Aussage, Frau M. habe einen schönen Busen, handelte es sich nicht um ein sozialadäquates Kompliment, sondern um eine unangemessene Bemerkung sexuellen Inhalts. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen indes - entgegen der Ansicht der Revision - nicht die Annahme, der Kläger habe zum Ausdruck bringen wollen, Frau M. stelle in anzüglicher Weise ihre Reize zur Schau oder solle dies für ihn tun (zu einem solchen Fall vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 21). In der anschließenden Berührung lag ein sexuell bestimmter Eingriff in die körperliche Intimsphäre von Frau M. Sowohl die Bemerkung als auch die folgende Berührung waren objektiv unerwünscht. Dies war für den Kläger erkennbar (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 22). Unmaßgeblich ist, wie er selbst sein Verhalten zunächst eingeschätzt und empfunden haben mag und verstanden wissen wollte (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 24). Mit seinen erkennbar unerwünschten Handlungen hat der Kläger iSv. § 3 Abs. 4 AGG die Würde von Frau M. verletzt und sie zum Sexualobjekt erniedrigt.

19

III. Obschon der Kläger Frau M. sexuell belästigt hat, ist es der Beklagten zuzumuten, ihn weiter zu beschäftigen. Nach den Umständen des Streitfalls hätte eine Abmahnung als Reaktion von ihrer Seite ausgereicht.

20

1. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen.

21

a) Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15 mwN).

22

b) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16).

23

c) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird zudem durch § 12 Abs. 3 AGG konkretisiert. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen - wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung - zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen allerdings insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet iSd. Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 28 mwN).

24

d) Dem Berufungsgericht kommt bei der Prüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42 mwN).

25

2. Das Landesarbeitsgericht hat die Abwägung fehlerfrei vorgenommen. Es hat die Kündigung als unverhältnismäßig angesehen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, den Kläger vorrangig abzumahnen. Diese Würdigung liegt innerhalb des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums. Es liegen keine Umstände vor, die zu der Annahme berechtigten, selbst nach einer Abmahnung sei von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Die in Rede stehende Pflichtverletzung des Klägers wiegt auch nicht so schwer, dass eine Abmahnung aus diesem Grund entbehrlich gewesen wäre.

26

a) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass eine Abmahnung nicht deshalb verzichtbar war, weil bereits ex ante erkennbar gewesen wäre, dass eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung in Zukunft nicht zu erwarten stand.

27

aa) Es ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht unfähig sei, sein Verhalten zu ändern. Mit dem Hinweis auf einen unerklärlichen „Blackout“ wollte er ausdrücken, dass es sich bei seiner Handlungsweise um ein ihm wesensfremdes, einmaliges „Augenblicksversagen“ gehandelt habe. Es spricht nichts dafür, dass der Kläger sich noch einmal irrtümlich einbilden könnte, „angeflirtet“ zu werden, und auf eine solche Annahme erneut in vergleichbarer Weise reagieren müsste. Ersichtlich war er imstande, seine Fehleinschätzung sofort zu erkennen und entsprechend dieser Einsicht zu handeln, nämlich augenblicklich von Frau M. abzulassen.

28

bb) Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Kläger auch nicht unwillig sei, sein Verhalten zu ändern.

29

(1) Entgegen der Ansicht der Revision hat das Landesarbeitsgericht durchaus erkannt, dass es sich um eine mehraktige sexuelle Belästigung von sich steigernder Intensität gehandelt hat. Es ist allerdings angesichts des unstreitigen Geschehensablaufs von einer natürlichen Handlungseinheit ausgegangen und hat dem Kläger zugutegehalten, dass er sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt und dieses nach Erkennen seiner Fehleinschätzung sofort beendet habe. Daraus hat es den Schluss gezogen, der Kläger werde in dieser Weise künftig nicht mehr vorgehen und genauer zwischen eigenen Beobachtungen und subjektiven Schlussfolgerungen unterscheiden (vgl. dazu BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 43). Dies ist ohne Einschränkung vertretbar. Der Kläger hat nicht etwa notorisch Grenzen überschritten. Sein Verhalten ist nicht zu vergleichen mit dem des Klägers in der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 9. Juni 2011 (- 2 AZR 323/10 -). Dieser war bereits einschlägig abgemahnt und hatte einer Mitarbeiterin gleichwohl über mehrere Tage in immer neuen Varianten bei unterschiedlichsten Gelegenheiten trotz von ihm erkannter ablehnender Haltung zugesetzt und damit für diese ein Arbeitsumfeld geschaffen, in dem sie jederzeit mit weiteren entwürdigenden Anzüglichkeiten rechnen musste.

30

(2) Das Landesarbeitsgericht hat sich aufgrund der gesamten Umstände des Streitfalls die Überzeugung iSv. § 286 Abs. 1 ZPO gebildet, bereits durch eine Abmahnung werde eine Wiederholung iSv. § 12 Abs. 3 AGG „ausgeschlossen“. Es hat diese Überzeugung darauf gestützt, dass es sich um den ersten Vorfall nach langjähriger, beanstandungsfreier Beschäftigung gehandelt und der Kläger in dem Gespräch am 31. Juli 2012 sein Fehlverhalten ohne Zögern eingeräumt habe, obwohl er es aufgrund der „Vier-Augen-Situation“ im Waschraum möglicherweise erfolgreich hätte abstreiten können. Aus seiner Erklärung im Personalgespräch mit der Beklagten, der Vorfall tue ihm furchtbar leid und er schäme sich dafür, hat es den Schluss gezogen, dass der Kläger über sein Verhalten ehrlich erschrocken gewesen sei. In diese Richtung wiesen auch das Entschuldigungsschreiben und die Herbeiführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds.

31

(3) Die Revision setzt dieser vertretbaren Würdigung nur ihre eigene Bewertung entgegen. Rechtsfehler zeigt sie nicht auf. Ein solcher liegt nicht darin, dass das Landesarbeitsgericht entschuldigendes Verhalten berücksichtigt hat, das der Kläger erst auf Vorhalt der Beklagten und unter dem Eindruck einer - drohenden - Kündigung und eines - drohenden - Strafverfahrens gezeigt hat. Zwar wirkt sich „Nachtatverhalten“ vor Zugang der Kündigung unter diesen Umständen nur schwach entlastend aus (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 39). Jedoch kann es zumindest dann die Annahme fehlender Wiederholungsgefahr stützen, wenn es sich um die Fortsetzung einer zuvor gezeigten Einsicht handelt (zur Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände vgl. allgemein BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 53, BAGE 134, 349). Das Landesarbeitsgericht durfte aufgrund seines Verhaltens nach der Zurückweisung durch Frau M. davon ausgehen, dass der Kläger noch vor dem Gespräch mit der Beklagten sein Fehlverhalten und dessen Schwere erkannt und - auch ausweislich seiner späteren Bemühungen - seine „Lektion“ schon von sich aus so weit gelernt hatte, dass eine Abmahnung ihr Übriges zum Ausschluss einer Wiederholungsgefahr getan hätte.

32

b) Das Landesarbeitsgericht hat nicht ausdrücklich geprüft, ob es einer Abmahnung deshalb nicht bedurfte, weil es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelte, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar war. In der Sache hat es diese Prüfung bei der abschließenden Interessenabwägung vorgenommen. Eine eigene Beurteilung durch das Revisionsgericht ist insoweit möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und - wie hier - alle relevanten Tatsachen feststehen (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 31 mwN).

33

aa) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angeführt, dass es sich um eine einmalige Entgleisung gehandelt und der Kläger keinen Belästigungswillen gehabt habe. Er habe sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt (vgl. dazu BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 38).

34

bb) Entgegen der Annahme der Revision hat das Landesarbeitsgericht den Irrtum des Klägers nicht für unverschuldet erachtet oder gar Frau M. für diesen verantwortlich gemacht. Es hat weder den Gesprächsinhalt als verfänglich eingestuft, noch Frau M. die räumliche Annäherung vorgeworfen. Es ist nicht davon ausgegangen, dass sie ihrerseits die Privatsphäre des Klägers tangiert oder ein „Umschlagen“ der Situation provoziert habe. Das Landesarbeitsgericht durfte indes auch eine vermeidbare Fehleinschätzung zugunsten des Klägers berücksichtigen (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 44; 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 4 der Gründe).

35

c) Da eine Abmahnung schon aus diesem Grunde nicht entbehrlich war, kommt es nicht mehr darauf an, dass das Landesarbeitsgericht auch die weitere Interessenabwägung angesichts des Irrtums über die Unerwünschtheit seines Verhaltens, der langen, beanstandungsfreien Beschäftigungszeit, des Einräumens der Pflichtverletzung trotz des Fehlens von Zeugen, der Entschuldigung und der Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds rechtsfehlerfrei zugunsten des Klägers vorgenommen hat. Das Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegt nicht etwa aufgrund einer Drucksituation (vgl. dazu ErfK/Müller-Glöge 14. Aufl. § 626 BGB Rn. 185; ErfK/Oetker 14. Aufl. § 1 KSchG Rn. 142 ff.; Deinert RdA 2007, 275, 278). Es ist nicht ersichtlich, dass der Arbeitgeber von Frau M. als Auftragnehmer der Beklagten von dieser eine bestimmte Reaktion gegenüber dem Kläger gefordert hätte.

36

B. Eine Umdeutung (§ 140 BGB) in eine ordentliche Kündigung kommt nicht in Betracht. Eine solche wäre durch das Verhalten des Klägers nicht iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen (vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 38).

37

C. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 28. Mai 2014 - 10 Sa 770/13 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie es der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 19. Juni 2013 - 19 Ca 13099/12 - stattgegeben hat.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München wird insgesamt zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger wurde 1961 geboren, ist verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit 1989 - zunächst als Systemanalytiker und zuletzt als IT-Spezialist - bei der Beklagten beschäftigt. Die vereinbarte Wochenarbeitszeit belief sich auf 35 Stunden. Sein Arbeitsverhältnis war nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie (MTV) vom 23. Juni 2008 verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund kündbar.

3

Zwischen den Parteien kam es mehrfach zu Unstimmigkeiten über die dem Kläger zugeteilten Aufgaben und sein berufliches Fortkommen. Mit E-Mail vom 30. März 2009 forderte dieser die Beklagte auf, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen und sein „Aschenputtel-Dasein“ zu beenden. Die Beklagte übe „Psychoterror“ aus. Sie versuche, ihn zu zermürben und zu demütigen, was bei ihm zu einer seelischen Erkrankung geführt habe. Gleichzeitig kündigte er an, ggf. von einem Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB Gebrauch machen zu wollen. Nach mehreren Gesprächen wurde ihm für die Zeit ab Oktober 2009 einvernehmlich die Tätigkeit eines IT-Chefarchitekten und die Leitung eines Projekts übertragen.

4

Das dem Kläger anvertraute Projekt endete spätestens im September 2011. Im Mai 2011 wurde ihm die Aufgabe eines sog. Blueprint-Vorfilterers und im Februar 2012 diejenige eines „TRM-Koordinators“ jeweils mit seinem Einverständnis übertragen. Nachdem die Einarbeitung abgeschlossen war, lasteten diese Tätigkeiten ihn für drei bis vier Stunden pro Woche aus. Das ihm im Juni 2012 unterbreitete Angebot, zusätzlich im Projekt „SharePoint“ tätig zu werden, lehnte er ab.

5

Mit E-Mail vom 10. September 2012 richtete der Kläger eine Petition an die Personalleitung der Beklagten. In der beigefügten PowerPoint-Präsentation führte er aus, dass seit 1996 eine „massive Entwicklungsblockade“ gegen ihn verhängt worden sei. Trotz seiner „ständig sehr guten Ergebnisse“ und der „mustergültigen Einhaltung aller geltenden Regeln“ sei er nicht befördert worden. Dieses „unternehmensbedingte, großangelegte Mobbing“ habe bei ihm zu „totaler Frustration“ geführt. Seine Arbeitsmoral liege „brach“, die „innere Kündigung (sei) perfekt“. Die Beklagte habe ihn „krank gemacht“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“. Er sei „körperlich erschöpft, sowie seelisch und geistig ausgebrannt“. Die Beklagte habe sein „Potenzial definitiv und unwiederbringlich kaputt gemacht“. Man befinde sich in einem Dilemma wie in einer „schlechten Ehe“ und solle sich „lieber heute als morgen voneinander trennen“. Die von ihm „bevorzugte Lösung“ sei deshalb eine „bezahlte Freistellung mit garantiertem Bestandsschutz bis zum Eintritt in die gesetzliche Rente bzw. die Freizeitphase der Altersteilzeit“. In einer weiteren E-Mail vom 20. September 2012 teilte der Kläger der Beklagten mit, ihm sei es nicht mehr möglich und zumutbar, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Ab dem 1. Oktober 2012 werde er von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen.

6

Die Beklagte wies die Vorwürfe mit Schreiben vom 28. September 2012 zurück und ließ den Kläger wissen, dass sie es als schwerwiegende Verletzung seiner Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung ziehen werde, wenn er der Arbeit fernbleiben sollte. Zugleich lud sie ihn für den 1. Oktober 2012 zu einem Personalgespräch ein. Der Kläger erwiderte mit E-Mail vom gleichen Tag, er sei „sprachlos“ aufgrund der „inhaltslosen Aussagen“ und „billigen Drohungen“. Die Beklagte habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

7

Der Kläger erschien - wie angekündigt - ab dem 1. Oktober 2012 nicht mehr zur Arbeit. In der Folge entspann sich zwischen den Parteien ein nicht geringer Schrift- und E-Mail-Wechsel, in dessen Zuge die Beklagte den Kläger zweimal wegen Arbeitsverweigerung abmahnte und ihn noch weitere drei Mal vergeblich zu einem Personalgespräch einlud. Im fünften Anlauf kam für den 15. Oktober 2012 ein solches Gespräch zustande, in dem die Parteien keine Einigung erzielen konnten. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2012 erteilte die Beklagte dem Kläger eine „letztmalige Abmahnung“. Nachdem auch diese fruchtlos geblieben war, kündigte sie dessen Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats - mit Schreiben vom 26. Oktober 2012 außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit Auslauffrist zum 31. Mai 2013.

8

Hiergegen hat der Kläger sich rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Er hat gemeint, er habe seine Arbeitspflicht nicht verletzt, weil er wirksam ein Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht habe. Angesichts der gegen ihn verhängten „Entwicklungsblockade“ und des fortwährenden „Mobbing“ sei es ihm unzumutbar, weiterhin seine Arbeitsleistung zu erbringen. Die Kündigung stelle sich als Maßregelung dar.

9

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 26. Oktober 2012 noch durch die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist vom 26. Oktober 2012 aufgelöst worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, der Kläger habe seine Arbeitspflicht beharrlich verletzt. Er sei nicht berechtigt gewesen, die Leistung zu verweigern. Die von ihm - ohnehin unsubstantiiert - erhobenen Vorwürfe seien unzutreffend. Der Kläger habe sich auch nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden. Vielmehr sei er sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos bewusst gewesen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte das Ziel, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist zulässig und begründet.

13

A. Der Senat kann über die Revision entscheiden. Es kommt nicht darauf an, ob der Rechtsstreit deshalb nach § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen gewesen ist, weil der ursprüngliche Prozessbevollmächtigte des Klägers im Laufe des Revisionsverfahrens die Zulassung zur Anwaltschaft und damit gemäß § 11 Abs. 4 ArbGG die Fähigkeit verloren hat, die Vertretung seiner Partei fortzuführen(gegen eine Unterbrechung bei Bestellung eines Abwicklers BFH 10. Februar 1982 - I R 225/78 - BFHE 135, 445; für eine Unterbrechung trotz Bestellung eines Abwicklers OLG Köln 3. Juni 1993 - 12 W 19/93 - zu I der Gründe; Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 244 Rn. 9). Eine mögliche Unterbrechung ist jedenfalls dadurch beendet worden, dass der Abwickler der Kanzlei des früheren Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 30. April 2015 seine Bestellung gegenüber dem Bundesarbeitsgericht angezeigt hat und die Anzeige der Beklagten zugestellt worden ist (§ 244 Abs. 1, § 250 ZPO). Bei einem amtlich bestellten Abwickler handelt es sich um einen „bestellten neuen Anwalt“ iSv. § 244 Abs. 1 ZPO(BAG 13. Mai 1997 - 3 AZR 66/96 - zu A der Gründe).

14

B. Die Revision ist zulässig. Entgegen der Ansicht des Klägers ist sie ordnungsgemäß begründet worden.

15

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss der vermeintliche Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufgezeigt werden, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Dazu muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Das erfordert die genaue Darlegung der Gesichtspunkte, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 16).

16

II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Die Beklagte wendet sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, unter Abwägung der beiderseitigen Interessen sei es ihr zumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Sie legt dar, welche von ihm festgestellten Umstände es außer Acht gelassen habe und wie daraus ein anderes Ergebnis folge. Diese Sachrüge wäre im Fall ihrer Begründetheit geeignet, das Berufungsurteil - soweit es durch die Beklagte angefochten wird - zu Fall zu bringen. Das reicht als Revisionsangriff aus. Darauf, ob die Beklagte die von ihr zudem erhobenen Verfahrensrügen ausreichend begründet hat, kommt es für die Zulässigkeit der Revision deshalb nicht an.

17

C. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Unrecht stattgegeben. Sie ist unbegründet. Die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 26. Oktober 2012 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Sie ist wirksam.

18

I. Es besteht ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB iVm. § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV.

19

1. Nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV können die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die - wie der Kläger - das 50. Lebensjahr vollendet und dem Betrieb oder Unternehmen mindestens 15 Jahre angehört haben, verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Mit dem Begriff des „wichtigen Grundes“ knüpft der MTV an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an(für insoweit vergleichbare Tarifverträge BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 688/09 - Rn. 31; 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 24).

20

2. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der - ggf. fiktiven - Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 19, BAGE 149, 355; 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 19). Bei der Interessenabwägung ist die ordentliche Unkündbarkeit seines Arbeitsverhältnisses - hier: nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV - nicht gesondert zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 48 mwN, BAGE 137, 54).

21

3. Der Kläger hat einen „an sich“ wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB herbeigeführt, indem er die von ihm geschuldete Arbeitsleistung beharrlich verweigerte.

22

a) Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer verweigert die ihm angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachdrücklich nicht leisten will. Ob er zur Arbeitsleistung verpflichtet war, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 29, 32).

23

b) Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB begründen sollen. Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen. Allerdings hat hierzu der Arbeitnehmer seinerseits nach § 138 Abs. 2 ZPO substantiiert vorzutragen; er muss darlegen, warum sein Fehlen als „entschuldigt“ anzusehen sei. Nur die im Rahmen der insofern abgestuften Darlegungs- und Beweislast vom Arbeitnehmer behaupteten Tatsachen hat der Arbeitgeber zu widerlegen (vgl. BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 123/02 - zu II 2 b aa der Gründe; 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 70, 262).

24

c) Der Kläger verweigerte seit dem 1. Oktober 2012 die von ihm geschuldete Arbeitsleistung. Er war grundsätzlich verpflichtet, die ihm mit seinem Einverständnis übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ auszuführen.

25

d) Der Kläger war nicht berechtigt, die Arbeitsleistung zu verweigern, weil es ihm gemäß § 275 Abs. 3 BGB unzumutbar gewesen wäre, sie zu erbringen.

26

aa) Nach § 275 Abs. 3 BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn er sie persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des ihr entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Die Vorschrift betrifft das Spannungsverhältnis von Vertragstreue und Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung (BAG 13. August 2010 - 1 AZR 173/09 - Rn. 12, BAGE 135, 203). Sie löst es (nur) dann zugunsten des Schuldners auf, wenn für diesen die Leistungserbringung in hohem Maße belastend ist (MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 116), weil ein Fall besonderer Leistungserschwerung vorliegt (Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 70). Dem Schuldner kann die Erfüllung der von ihm persönlich zu erbringenden Leistung unzumutbar sein, wenn er dadurch Gefahr läuft, in bedeutsamen Rechtsgütern verletzt zu werden (vgl. Staudinger/Caspers (2014) § 275 Rn. 112: Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit). Im Falle einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung des Arbeitnehmers selbst - nicht eines seiner nahen Angehörigen - ist umstritten, ob die Leistungsbefreiung automatisch gemäß § 275 Abs. 1 BGB eintritt oder der Betreffende erst von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB Gebrauch machen muss(zum Streitstand siehe Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 71; MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 118).

27

bb) Dem Kläger war es nicht unzumutbar, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

28

(1) Er beruft sich nicht etwa darauf, dass er bereits arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Eine entsprechende ärztliche Bescheinigung gemäß § 5 EFZG hat er nicht vorgelegt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine Arbeitsunfähigkeit zumindest zu erwarten gewesen wäre, wenn er seine Tätigkeit fortgesetzt hätte. Zwar hat der Kläger behauptet, an einer psychischen Erkrankung zu leiden. Jedoch hat er diese nur schlagwortartig umschrieben. Es fehlt an Vortrag zu den Symptomen und dazu, wie sich die Krankheit - die ihm offenbar seit Jahren bekannt ist - in der jüngeren Vergangenheit entwickelt hat, welche konkreten Auswirkungen die Situation am Arbeitsplatz hatte und warum es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden konnte, die Arbeitsleistung fortzusetzen.

29

(2) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass es dem Kläger nicht aufgrund von - drohenden - Persönlichkeitsrechtsverletzungen unzumutbar gewesen sei, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (zur eingeschränkten Überprüfbarkeit der tatrichterlichen Würdigung vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 8 AZR 546/09 - Rn. 20; 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - Rn. 36).

30

(a) Nicht jedes den Arbeitnehmer belastende Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) stellt einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers oder eine Verletzung vertraglicher Pflichten zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) dar. Persönlichkeitsrechte werden nicht allein dadurch verletzt, dass im Arbeitsleben übliche Konflikte auftreten, die sich durchaus über einen längeren Zeitraum erstrecken können. Sozial- und rechtsadäquates Verhalten muss aufgrund der gebotenen objektiven Betrachtungsweise - dh. ohne Rücksicht auf das subjektive Empfinden des betroffenen Arbeitnehmers - von der rechtlichen Bewertung ausgenommen werden. Mangels entsprechender Systematik und Zielrichtung werden keine Rechte des Arbeitnehmers beeinträchtigt, wenn er von verschiedenen Vorgesetzten, die nicht zusammenwirken und die zeitlich aufeinanderfolgen, in seiner Arbeitsleistung kritisiert oder schlecht beurteilt wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn seine Arbeitsleistung nicht nur beanstandet oder ignoriert, sondern auch positiv gewürdigt wird. Ebenso müssen Verhaltensweisen von Arbeitgebern oder Vorgesetzten unberücksichtigt bleiben, die lediglich eine Reaktion auf Provokationen durch den vermeintlich „gemobbten“ Arbeitnehmer darstellen. Insoweit fehlt es an der eindeutigen Täter-Opfer-Konstellation (BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 86, BAGE 122, 304).

31

(b) Zur Begründung des Vorwurfs, er sei systematisch in seiner beruflichen Entwicklung „blockiert“ worden, beruft der Kläger sich darauf, dass ihm Zwischenzeugnisse mit unrichtigem Inhalt erteilt, ein Telearbeitsplatz verweigert, Leistungspunkte gestrichen, keine herausfordernden Aufgaben übertragen und eine Fortbildung und Beförderung verwehrt worden seien. Weitere Verhaltensweisen der Beklagten hat er nicht konkret dargetan; es ersetzt keinen substantiierten Sachvortrag, Vorschriften zu benennen, gegen die sie verstoßen haben soll.

32

(c) Mit dem Landesarbeitsgericht lassen die vom Kläger geschilderten Verhaltensweisen weder einzeln für sich noch in ihrer Gesamtschau den Schluss auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts zu. Zwischen den Parteien bestanden lediglich Konflikte wie sie im Arbeitsleben üblich sind. Sie ergaben sich aus unterschiedlichen Auffassungen über die Qualität der Arbeitsleistung und -ergebnisse des Klägers. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte oder einer ihrer Repräsentanten (§ 278 BGB) auch nur in einem Einzelfall die Ebene der Sachlichkeit verlassen hätte. Im Übrigen würde selbst dies nicht ausreichen, um eine Rechtsverletzung anzunehmen (vgl. BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 76, BAGE 122, 304).

33

(aa) Der Kläger mag es als erniedrigend empfunden haben, dass ehemalige Kollegen zu seinen Vorgesetzten wurden. In diesem Empfinden mag er dadurch bestärkt worden sein, dass seine Arbeitsleistung schlechter beurteilt wurde, als er es für gerechtfertigt hielt. Er hatte jedoch keinen Rechtsanspruch darauf, gleichfalls befördert zu werden (vgl. zur „Fürsorgepflicht“ des Arbeitgebers BAG 23. September 1992 - 5 AZR 526/91 - zu II 6 der Gründe). Die Beklagte hat substantiiert dargetan, dass sie ihn nicht als „Führungskraft“ sehe, weil er aus ihrer Sicht nicht über ausreichende Gestaltungsfähigkeiten bei komplexen, noch unklaren Sachverhalten und nicht über das erforderliche Team- und Kommunikationsverhalten verfüge.

34

(bb) Es ist nicht ersichtlich, dass gegen den Kläger eine „Entwicklungsblockade“ verhängt worden wäre. Ihm sind Angebote zur Fort- und Weiterbildung unterbreitet worden. Diese hat er entweder nicht angenommen oder er hat die begonnenen Schulungen - etwa das sog. Gallup-Stärkentraining - vorzeitig abgebrochen. Wenn Probleme in seinem Arbeitsumfeld aufgetreten sind, hat die Beklagte versucht, Tätigkeiten in anderen Bereichen für ihn zu finden und ihm einen „unbelasteten Neustart“ zu ermöglichen. Nach seinen eigenen Angaben ist er nicht nur kritisiert, sondern verschiedentlich für seine Arbeitsleistung und seine Arbeitsergebnisse auch gelobt worden. Zu keiner Zeit wurde ihm eine Aufgabe entzogen. Die Notwendigkeit, ihm neue Tätigkeiten zuzuweisen, ergab sich vielmehr dadurch, dass die ihm übertragenen Projekte abgeschlossen waren. Dass der Kläger mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nicht ausgelastet war, lässt nicht den Schluss zu, die Beklagte habe ihn auf das „Abstellgleis“ geschoben. Ihm ist zusätzlich ein Einsatz im Projekt „SharePoint“ angeboten worden. Diesen hat er - mit der Begründung, dass er sich dafür zunächst hätte fortbilden müssen - abgelehnt. Er hat auch im Prozess keine Angaben dazu gemacht, welche möglichen Aufgaben, die den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen entsprochen und nicht eine Beförderung bedeutet hätten, die Beklagte ihm „vorenthalten“ habe.

35

(cc) Es kommt hinzu, dass die Auseinandersetzungen um den Telearbeitsplatz und die Streichung von Leistungspunkten bei Beginn der Arbeitsverweigerung bereits im Sinne des Klägers „ausgestanden“ waren. Ihm war ein Telearbeitsplatz eingerichtet worden. Sein Vorgesetzter hatte ihm lediglich nahegelegt, in seinem - des Klägers - eigenen Interesse gleichwohl ausreichend im Unternehmen „präsent“ zu sein. Die nach den bei der Beklagten üblichen Gepflogenheiten anlässlich eines Aufgabenwechsels „gehaltsneutral“ gestrichenen Leistungspunkte waren ihm auf seinen „Protest“ hin wieder gutgeschrieben worden. Das hatte für ihn eine Gehaltserhöhung zur Folge, obwohl er sich in der neuen Tätigkeit noch nicht in der dazu erforderlichen Weise „bewährt“ haben konnte.

36

e) Die Arbeitsverweigerung durch den Kläger war nicht in Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

37

aa) Nach dieser Vorschrift darf der Schuldner, der aus dem gleichen Rechtsverhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat - sofern sich aus dem Schuldverhältnis nichts anderes ergibt -, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird. Dem Arbeitnehmer kann ein Recht zustehen, die Arbeitsleistung zurückzuhalten, wenn der Arbeitgeber seine aus dem Arbeitsverhältnis folgenden Haupt- oder Nebenpflichten schuldhaft nicht erfüllt. So liegt es beispielsweise, wenn der Arbeitgeber oder einer seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) die Gesundheit des Arbeitnehmers oder dessen Persönlichkeitsrecht in erheblicher Weise verletzt und mit weiteren Verletzungen zu rechnen ist. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts steht unter dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB und unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dementsprechend muss der Arbeitnehmer unter Angabe des Grundes dem Arbeitgeber klar und eindeutig mitteilen, er werde dieses Recht mit Blick auf eine ganz bestimmte, konkrete Gegenforderung wahrnehmen. Nur so wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, den möglichen Anspruch des Arbeitnehmers zu prüfen und ggf. zu erfüllen. Wenn der Arbeitnehmer berechtigterweise von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch macht, liegt keine Arbeitsverweigerung vor (vgl. BAG 13. März 2008 - 2 AZR 88/07 - Rn. 39 ff. mwN).

38

bb) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB geltend gemacht. Obwohl ihm ausweislich vorheriger Mitteilungen - etwa in der E-Mail vom 30. März 2009 - der Unterschied zwischen beiden Normen bestens bekannt war, hat er die Beklagte mit E-Mail vom 20. September 2012 (lediglich) wissen lassen, dass ihm die weitere Arbeitsleistung unzumutbar sei und er ab dem 1. Oktober 2012 von seinem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen werde. Noch in der Klageschrift hat er sich ausschließlich auf § 275 BGB bezogen. Dementsprechend hat er von der Beklagten nicht etwa verlangt, bestimmte Ansprüche zu erfüllen, Maßnahmen zu ergreifen oder Zustände zu beenden. Mithilfe der Weigerung, seine Arbeitsleistung zu erbringen, wollte er weder eine vertragsgemäße Beschäftigung noch die Unterlassung von weiterem „Mobbing“ erreichen. Vielmehr hat er lediglich „vorgeschlagen“, ihn unter Fortzahlung der Vergütung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze von der Arbeitsleistung freizustellen. Darin erblickte er nicht mehr als die Festschreibung dessen, was nach § 275 Abs. 3 iVm. § 326 Abs. 2 BGB ohnehin - unveränderlich - gelte.

39

cc) Gemäß den Ausführungen zu § 275 Abs. 3 BGB bestanden im Übrigen keine Gegenansprüche, auf die der Kläger ein Recht, seine Arbeitsleistung zurückzuhalten, erfolgreich hätte stützen können. Zwar hatte er einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung im Umfang von 35 Wochenstunden. Auch wurde dieser von der Beklagten bei weitem nicht vollständig erfüllt, weil der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nur im Umfang von drei bis vier Stunden pro Woche ausgelastet war. Die „Unterbeschäftigung“ beruhte jedoch darauf, dass der Kläger die ihm ergänzend angetragene Tätigkeit im Projekt „SharePoint“ nicht hatte übernehmen wollen. Unter diesen Umständen wäre es rechtsmissbräuchlich iSv. § 242 BGB, die Arbeitsleistung mit dem Ziel zurückzuhalten, weitere Aufgaben zugewiesen zu bekommen.

40

f) Der Kläger hat seine geschuldete Arbeitsleistung bewusst und nachhaltig verweigert.

41

aa) Obgleich die Beklagte ihn mit Schreiben vom 28. September 2012 darauf hingewiesen hatte, dass sie dies als schwerwiegenden Verstoß gegen seine Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen ziehen werde, blieb er ab dem 1. Oktober 2012 der Arbeit fern und nahm sie trotz dreier Abmahnungen und mehrerer Aufforderungen der Beklagten bis zum Kündigungszeitpunkt - über mehr als dreieinhalb Wochen - nicht wieder auf.

42

bb) Der Kläger befand sich nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum.

43

(1) Der Geltungsanspruch des Rechts bewirkt, dass der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst trägt und es nicht dem Gläubiger überbürden kann (BAG 19. August 2015 - 5 AZR 975/13 - Rn. 31). Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt nur vor, wenn der Schuldner seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass er sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen kann. Ein Unterliegen in einem möglichen Rechtsstreit muss zwar nicht undenkbar sein (vgl. BAG 12. November 1992 - 8 AZR 503/91 - zu I 1 der Gründe, BAGE 71, 350). Gleichwohl liegt ein entschuldbarer Rechtsirrtum nur dann vor, wenn der Schuldner damit nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu rechnen brauchte; ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 34; BGH 6. Dezember 2006 - IV ZR 34/05 - zu II 1 a aa der Gründe; 27. September 1989 - IVa ZR 156/88 -).

44

(2) Der Kläger hat sich nicht fachkundig beraten lassen, bevor er die Arbeitsleistung verweigert hat. Nach seinem eigenen Vorbringen war er sich des Risikos, dass ein Leistungsverweigerungsrecht von den Gerichten verneint werden könnte, vollauf bewusst. Unter diesen Umständen kann von einem entschuldbaren, unvermeidbaren Rechtsirrtum keine Rede sein.

45

4. Bei der abschließenden Interessenabwägung überwiegt - entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts - das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dessen Fortsetzung war ihr selbst für den Lauf der - fiktiven - ordentlichen Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Schluss eines Kalendermonats (§ 8 Ziff. 2 Abs. 2 Satz 1 MTV) nicht zuzumuten.

46

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der - fiktiven - Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zuzumuten war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 21; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47, BAGE 149, 355).

47

b) Dem Berufungsgericht kommt bei dieser Prüfung und Interessenabwägung - obwohl es sich um Rechtsanwendung handelt - ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz aber daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 24; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - aaO; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16).

48

c) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Beklagten sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten gewesen, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

49

aa) Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung ist insoweit nicht zu beanstanden, wie es zugunsten des Klägers die lange Dauer des Arbeitsverhältnisses, dessen von erheblichen Pflichtverletzungen freien Verlauf, seine Unterhaltspflichten und den Umstand berücksichtigt hat, dass die Beklagte nicht nach weiteren Möglichkeiten gesucht hat, ihn vertragsgemäß in Vollzeit zu beschäftigen. Dass der Kläger einen Einsatz im Projekt „SharePoint“ abgelehnt hatte, führte zwar dazu, dass er seine Arbeitsleistung nicht mit dem Ziel zurückhalten durfte, man möge ihm weitere Aufgaben übertragen. Dies entband die Beklagte jedoch nicht davon, „von sich aus“ andere bzw. zusätzliche Tätigkeiten für ihn zu suchen.

50

bb) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auf der anderen Seite die Schwere der Pflichtverletzung und den Grad des ihn treffenden Verschuldens zulasten des Klägers berücksichtigt.

51

(1) Die Pflichtverletzung des Klägers war schwerwiegend. Er hat gegen seine Hauptleistungspflicht verstoßen und es der Beklagten unmöglich gemacht, mit der von ihm geschuldeten Arbeitsleistung zu planen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und ggf. welche Arbeiten aufgrund seiner Abwesenheit nicht erledigt wurden (vgl. dazu BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 43). Ebenso wenig ist es von Belang, dass er mit den Tätigkeiten als „Blueprint-Vorfilterer“ und „TRM-Koordinator“ lediglich für drei bis vier Wochenstunden ausgelastet war. Wollte man dies anders sehen, müssten geringfügig Beschäftigte selbst dann nicht mit einer Kündigung rechnen, wenn sie die Arbeitsleistung noch so beharrlich verweigern sollten.

52

(2) Den Kläger traf ein erhebliches Verschulden. Er war sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos nach eigenem Bekunden hinlänglich bewusst. Die Möglichkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung hatte er ausdrücklich ins Kalkül gezogen.

53

cc) Das Landesarbeitsgericht durfte angesichts aller Umstände nicht annehmen, die Interessen des Klägers überwögen, weil der Beklagten eine mildere Reaktionsmöglichkeit zur Verfügung gestanden habe.

54

(1) Es hat gemeint, die Beklagte habe dem Kläger spätestens in dem Personalgespräch am 15. Oktober 2012 eine Verbesserung der von ihm als unerträglich empfundenen Arbeitssituation in Aussicht stellen und ihm so „den Weg zurück (…) ebnen“ müssen. Es könne „nicht von vornherein ausgeschlossen“ werden, „dass (er) ein solches Angebot wahrgenommen hätte“. Es sei ihm „gerade um eine angemessene Beschäftigung“ gegangen. Der Beklagten sei es deshalb zumutbar gewesen, dem Kläger zunächst „ein Entgegenkommen bei der Übernahme weiterer Aufgaben zu zeigen“.

55

(2) Die Annahme, darin habe ein milderes Mittel bestanden, das geeignet gewesen wäre, die Arbeitsverweigerung zu beenden, ist rechtsfehlerhaft. Sie steht im Widerspruch zu der Intention des Klägers, wie sie aus dessen vorangegangenen Bekundungen und - diese bestätigend - seinem Prozessvortrag deutlich geworden ist.

56

(a) Ausweislich seiner E-Mails vom 10., 20. und 28. September 2012 hielt der Kläger es für unzumutbar iSv. § 275 Abs. 3 BGB, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. In Festschreibung dessen, was gemäß § 326 Abs. 2 BGB ohnehin gelte, „bevorzuge“ er eine bezahlte Freistellung bis zum Eintritt in die Regelaltersrente. Er war danach unter keinen Umständen (mehr) bereit, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen. Die Beklagte musste mit Blick auf diese Äußerungen annehmen, dass sie ihn nicht dazu hätte bewegen können, seine ablehnende Haltung aufzugeben, indem sie ihm die Übernahme weiterer, den Vereinbarungen der Parteien entsprechender Aufgaben anböte. Eine „angemessene Beschäftigung“ wäre vielmehr in den Augen des Klägers - so musste es sich ihr darstellen - allenfalls eine solche gewesen, die eine Beförderung in den Bereich der „AT-Angestellten“ bzw. der „Führungskräfte“ bedeutet hätte. Und selbst das musste zweifelhaft erscheinen, nachdem er mit der E-Mail vom 28. September 2012 mitgeteilt hatte, die „innere Kündigung“ sei „perfekt“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“, die Beklagte habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

57

(b) Dass er schlechterdings nicht (mehr) bereit war, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen, hat der Kläger durch seinen prozessualen Vortrag untermauert. So hat er im Schriftsatz vom 28. Mai 2013 ausgeführt, es sei „offensichtlich“, dass die „Vertrauensbasis nicht wiederhergestellt“ werden könne und die Prognose für eine erfolgreiche Zusammenarbeit „negativ“ sei. In seinem Schriftsatz vom 10. Juni 2013 hat er die einzigen Wege beschrieben, die er als gangbar ansehe, um den Konflikt der Parteien zu lösen: entweder eine bezahlte Freistellung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze oder die Zahlung einer Abfindung iHv. 1.502.550,00 Euro zzgl. einer Betriebsrente iHv. 600,00 Euro pro Monate. Als „worst case“ komme auch eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses in Betracht, allerdings nur bei Gewährung einer Gehaltserhöhung, Zusage von Altersteilzeit und Androhung eines Ordnungsgelds für die Beklagte.

58

d) Gab es demnach kein milderes Mittel, um den Kläger dazu zu bewegen, künftig seinen Arbeitsvertrag zu erfüllen, überwog das Interesse der Beklagten daran, das Arbeitsverhältnis sofort zu beenden. Da der Kläger bei vollem Risikobewusstsein seine Hauptleistungspflicht nachhaltig verletzt und deren weitere Erfüllung abgelehnt hatte, ohne dass die Aussicht bestanden hätte, ihn „zur Umkehr“ bewegen zu können, hat er der Beklagten selbst die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gemacht. Nicht anders läge es, wenn er sie - im Sinne des von ihm beschriebenen „worst-case“-Szenarios - dazu hätte „nötigen“ wollen, ihn zu befördern, ihm Altersteilzeit zu bewilligen und ihm eine Betriebsrente in der geforderten Höhe zu zahlen.

59

5. Die Beklagte hat die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat die Kündigung damit begründet, der Kläger weigere sich beharrlich, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Damit hat sie einen Dauertatbestand geltend gemacht, der sich fortlaufend neu verwirklichte (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 45; 13. Mai 2004 - 2 AZR 36/04 - zu II 1 der Gründe).

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II. Die Kündigung ist nicht deshalb nach § 134 BGB nichtig, weil sie gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verstieße. So läge es nur, wenn tragender Beweggrund, dh. wesentliches Motiv für sie eine zulässige Rechtsausübung gewesen wäre (vgl. BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 867/11 - Rn. 45; 19. April 2012 - 2 AZR 233/11 - Rn. 47). Das wiederum setzte voraus, dass das geltend gemachte Recht tatsächlich existierte (ErfK/Preis 15. Aufl. § 612a BGB Rn. 5; KR/Treber 10. Aufl. § 612a BGB Rn. 6). Dem Kläger stand aber weder ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB noch ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB zu. Er hat kein Recht in zulässiger Weise ausgeübt, sondern beharrlich die von ihm geschuldete Arbeitsleistung verweigert.

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III. Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört worden. Hierüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.

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D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Jan Eulen    

                 

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)