Bundesverwaltungsgericht Urteil, 25. Okt. 2017 - 6 C 46/16

ECLI:ECLI:DE:BVerwG:2017:251017U6C46.16.0
bei uns veröffentlicht am25.10.2017

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie durch den im Vorfeld einer Versammlung zu Aufklärungszwecken durchgeführten Tiefflug eines Kampfflugzeugs der Bundeswehr in ihren Rechten verletzt worden ist.

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Vom 6. bis 8. Juni 2007 fand in Heiligendamm das jährliche Gipfeltreffen der acht großen Industriestaaten (G8) statt. Im Vorfeld beantragte das Innenministerium des beklagten Landes beim Bundesministerium der Verteidigung, im Wege der Amtshilfe Überflüge in der Umgebung des Austragungsortes durchzuführen. Es sollten unter Einsatz von Infrarot- und optischen Kameras Luftbildaufnahmen angefertigt werden, um mögliche Erddepots zu erkennen sowie etwaige Manipulationen an wichtigen Straßenzügen zu erfassen. In Abstimmung mit dem Beklagten führte die Bundeswehr im Mai 2007 mehrere Aufklärungsflüge durch. Ein weiterer Überflug wurde nach erneuter Lagebeurteilung vereinbart, nachdem es am 2. Juni 2007 in Rostock zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen war.

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Ab dem 29. Mai 2007 errichteten Gegner des Gipfeltreffens in der Gemeinde Reddelich ein Camp für die Unterkunft von bis zu 5 000 Personen, die an Protestaktionen teilnehmen wollten. Die Klägerin hielt sich vom 1. bis 6. Juni 2007 in dem Camp auf und nahm von dort aus an Veranstaltungen und Versammlungen im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel in Heiligendamm teil.

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Am 5. Juni 2007 überflog ein Kampfflugzeug der Bundeswehr vom Typ Tornado gegen 10:30 Uhr das Camp witterungsbedingt in einer Höhe von ca. 114 m. Während des Überfluges wurden Aufnahmen durch Kameras angefertigt, die an dem Kampfflugzeug befestigt waren. 19 Luftbilder wurden anschließend durch Bundeswehrmitarbeiter als für polizeiliche Zwecke relevant ausgewählt und an die Polizeidirektion Rostock zur Auswertung übermittelt. Bei einem Teil dieser Aufnahmen handelte es sich um Übersichtsaufnahmen und Ausschnittvergrößerungen, auf denen das Camp Reddelich sowie Personengruppen abgebildet waren, die sich dort aufhielten.

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Die Klägerin hat mit der Klage die Feststellung begehrt, dass sie durch den Überflug des Camps Reddelich am 5. Juni 2007 durch ein Kampfflugzeug der Bundeswehr des Typs Tornado sowie die Fertigung und anschließende Weitergabe und Verwendung von Bildaufnahmen in ihren Rechten verletzt wurde. Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Feststellungsklage zwar für zulässig, jedoch nicht für begründet gehalten. Die Klägerin könne sich auf ihr Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG stützen, das auch einen Vorfeldschutz entfalte. Bei der beabsichtigten Teilnahme an Demonstrationen über mehrere Tage aufgrund einer ebenfalls mehrtägigen politischen bzw. staatlichen Veranstaltung sei der dauernde Aufenthalt in einer Unterkunft geschützt, insbesondere, wenn er in einem für diesen Zweck hergerichteten Camp stattfinde. In der Sache könne die Klage keinen Erfolg haben, weil in den beanstandeten Maßnahmen kein Eingriff in Grundrechte der Klägerin liege. Für einen Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit genüge es, wenn eine Maßnahme auf eine Abschreckung von der Teilnahme an einer späteren Versammlung abgezielt habe, hierfür objektiv geeignet gewesen sei und der potentielle Teilnehmer sich habe abschrecken lassen dürfen, wobei es nicht auf die subjektive Empfindung eines konkret betroffenen Einzelnen ankomme, sondern auf die eines sog. verständigen Dritten. An diesen Voraussetzungen fehle es hier. Ein verständiger Dritter habe den Überflug zwar dahingehend verstehen dürfen, dass Aufklärungsmaßnahmen im Hinblick auf den bevorstehenden Beginn des G8-Gipfels am Folgetag betrieben werden sollten. Schon wegen der kurzen Dauer des Überflugs hätten diese Aufklärungsmaßnahmen jedoch nicht derart abschreckend auf einen verständigen Dritten gewirkt, dass er sich davon hätte abhalten lassen, sein Versammlungsrecht wahrzunehmen. Auch wenn der Überflug als polizeitaktische Machtdemonstration ("show of force") gewertet werde, sei davon keine Abschreckungswirkung ausgegangen, weil das Tornado-Kampfflugzeug nicht als Einsatzmittel für einen Kampfeinsatz gezeigt worden sei. Ebenso wenig sei eine solche Wirkung bei verständiger Würdigung von dem Anfertigen von Lichtbildern bei dem Überflug ausgegangen. Aufgrund der Kurzzeitigkeit habe es sich nur um eine Momentaufnahme handeln können. Zudem sei den Bewohnern des Camps Reddelich bekannt gewesen, dass sie angesichts der Besonderheiten des Einzelfalles des G8-Gipfeltreffens und der zahlreichen, auch gewalttätigen Aktionen der Gegner dieses Gipfeltreffens unter besonderer Beobachtung der Sicherheitsbehörden standen. Da die Klägerin auf den Lichtbildern selbst nicht erkennbar sei, verletze schließlich auch die Auswertung der Aufnahmen sie nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 8 GG. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte oder die Bundeswehr die flächendeckenden Übersichtsaufnahmen oder die Ausschnittvergrößerungen noch derartig auswerten könnten, dass eine Personenidentifizierung möglich sei. Aus diesen Gründen sei auch das Grundrecht der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht verletzt.

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Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom Senat zugelassene Revision eingelegt, mit der sie geltend macht: Ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit liege bereits bei polizeilichen Maßnahmen vor, welche während oder im Vorfeld von Versammlungen bei den Betroffenen den Eindruck einer möglichen Aufzeichnung ihres Verhaltens erzeugen könnten. Unter den heutigen technischen Bedingungen bestehe eine Vermutung, dass Überwachungsmaßnahmen wie die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen zur Identifizierung von Personen geeignet seien. Dass diese Vermutung bei überlegenem Wissen, etwa im Verlauf einer verwaltungsgerichtlichen Beweisaufnahme, widerlegt werden könne, ändere nichts daran, dass es für die Betroffenheit auf den Kenntnishorizont der Grundrechtsträger im Moment des Versammlungsgeschehens ankomme. Schon die Möglichkeit der Beeinträchtigung der potentiellen Versammlungsteilnehmer in ihrer freien Entscheidung begründe den Grundrechtseingriff. Auf die behördliche Absicht komme es nicht an. Der Überflug unter Einsatz eines militärischen Kampfflugzeugs im Tiefstflug habe auch tatsächlich in die innere Versammlungsfreiheit der Betroffenen eingegriffen. Denn angesichts der dadurch aufgezeigten Möglichkeit des Einsatzes schwersten militärischen Kampfgeräts im Zusammenhang mit den Demonstrationen während des G8-Gipfels sei die Teilnahme hieran für die Betroffenen zu einem insoweit unvorhersehbaren, besorgniserregenden Unterfangen geworden. Ausgehend von dem Standpunkt eines verständigen Dritten ohne behördliches Sonderwissen habe auch die Nutzung eines Kamerasystems, der Erhebung von Lichtbildern und deren Auswertung durch den Beklagten eine Einschüchterungs- und Verunsicherungswirkung gehabt und deshalb einen Grundrechtseingriff dargestellt.

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Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung der Urteile des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 15. Juli 2015, berichtigt durch Beschluss vom 2. Dezember 2015, sowie des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 29. September 2011 festzustellen, dass der Überflug des Camps Reddelich am 5. Juni 2007 durch ein Tornado-Flugzeug der Deutschen Bundeswehr und die dabei erfolgte Fertigung, Weitergabe sowie Verwendung von Bildaufnahmen rechtswidrig war und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt wurde.

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Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

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Er verteidigt das angefochtene Urteil. Der Überflug über das Camp Reddelich habe lediglich wenige Sekunden gedauert. Soweit er durch die physische Präsenz des Tornado-Kampfflugzeuges einschüchternd gewirkt haben möge, sei dies ihm, dem Beklagten, nicht zuzurechnen. Gegenstand der erbetenen Amtshilfe seien Überflüge zum Zweck der Anfertigung von Übersichts- und Infrarot-Aufnahmen gewesen. Die operative Entscheidung, zum Zweck der Anfertigung dieser Aufnahmen die Flughöhe zu senken und das Camp im Tiefstflug zu überfliegen, habe er nicht beeinflussen können.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Berufungsgericht hat zwar zu Recht angenommen, dass die von der Klägerin gegen das Land Mecklenburg-Vorpommern gerichtete Feststellungsklage zulässig ist (1.). Das Berufungsurteil verletzt jedoch dadurch revisibles Recht im Sinne des § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, dass es die Klage mit der tragenden Erwägung als unbegründet abgewiesen hat, bei dem Überflug des Camps durch ein Tornado-Kampfflugzeug der Bundeswehr in einer Höhe von 114 m habe es sich nicht um einen Eingriff in das Grundrecht der Klägerin aus Art. 8 Abs. 1 GG gehandelt (2.). Da die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ausreichen, um abschließend über das mit der Klage geltend gemachte Feststellungsbegehren entscheiden zu können, ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) (3.).

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1. Die gegen das Land Mecklenburg-Vorpommern gerichtete Feststellungsklage ist zulässig. Sie hat ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten zum Gegenstand (a). In Bezug auf das Bestehen oder Nichtbestehen dieses Rechtsverhältnisses ist auch ein Feststellungsinteresse gegeben (b). Der Feststellungsklage steht nicht der Grundsatz der Subsidiarität entgegen (c).

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a) Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Unter einem Rechtsverhältnis sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt auf Grund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von natürlichen oder juristischen Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteile vom 14. Dezember 2016 - 6 A 9.14 [ECLI:DE:BVerwG:2016:141216U6A9.14.0] - BVerwGE 157, 8 Rn. 12 und vom 23. August 2007 - 7 C 2.07 - BVerwGE 129, 199 Rn. 21). Gegenstand der Feststellungsklage kann auch ein vergangenes Rechtsverhältnis sein (BVerwG, Urteil vom 29. April 1997 - 1 C 2.95 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127 S. 7). Die Beteiligten müssen über die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen bestimmten, überschaubaren, gerade auch den jeweiligen Kläger betreffenden Sachverhalt streiten und dürfen den Verwaltungsgerichten nicht lediglich abstrakte Rechtsfragen, die sich auf der Grundlage eines nur erdachten oder als möglich vorgestellten Sachverhalts stellen, zur Klärung vorlegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2014 - 6 A 1.13 - BVerwGE 149, 359 Rn. 20 f.).

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aa) Aus dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt ergibt sich ein konkretes und damit feststellungsfähiges Rechtsverhältnis in diesem Sinne. Nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen überflog ein Kampfflugzeug der Bundeswehr vom Typ Tornado am 5. Juni 2007 gegen 10:30 Uhr in einer Höhe von ca. 114 m das zur Unterkunft von Teilnehmern an Demonstrationen gegen das G8-Gipfeltreffen in Heiligendamm errichtete Camp Reddelich. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich dort auch die Klägerin auf. Während des Überfluges wurden Aufnahmen durch Kameras angefertigt, die an dem Kampfflugzeug befestigt waren. 19 Luftbilder wurden anschließend durch Bundeswehrmitarbeiter als für polizeiliche Zwecke relevant ausgewählt und an die Polizeidirektion Rostock zur Auswertung übermittelt. Bei einem Teil dieser Aufnahmen handelte es sich um Übersichtsaufnahmen und Ausschnittvergrößerungen, auf denen das Camp Reddelich sowie Personengruppen abgebildet waren, die sich dort befanden. Dieser Sachverhalt ist im Hinblick auf die möglicherweise berührten Grundrechte aus Art. 8 Abs. 1 GG sowie Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geeignet, im Sinne eines nach § 43 Abs. 1 VwGO feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses rechtliche Beziehungen zwischen der Behörde, der die beschriebenen Handlungen zuzurechnen sind, und denjenigen Personen zu begründen, die sich - wie die Klägerin - zum Zeitpunkt des Überflugs und der hierbei gefertigten Aufnahmen in dem Camp aufgehalten haben.

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bb) An dem Rechtsverhältnis, dessen Bestehen festgestellt werden soll, ist das beklagte Land beteiligt. Dies gilt auch, soweit ausschließlich Personal und technische Mittel der Bundeswehr eingesetzt worden sind. Die von dem Feststellungsbegehren der Klägerin im Einzelnen erfassten Realakte, also der Überflug des Camps Reddelich am 5. Juni 2007 durch ein Tornado-Kampfflugzeug der Bundeswehr sowie die in diesem Zusammenhang erfolgte Fertigung, Weitergabe und Verwendung von Bildaufnahmen, sind Bestandteile einer einheitlichen polizeilichen Maßnahme, die nicht der unmittelbaren Gefahrenabwehr, sondern der weiteren Aufklärung einer noch ungewissen Gefahrenlage gedient hat. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts bestand der Zweck der Überflüge darin, unter Einsatz von Infrarot- und optischen Kameras Luftbildaufnahmen anzufertigen, um mögliche Erddepots zu erkennen sowie etwaige Manipulationen an wichtigen Straßenzügen zu erfassen. Die Anfertigung und Auswertung der Luftbilder sollte es den für die Gefahrenabwehr zuständigen Polizeibehörden des Beklagten ermöglichen, bereits im Vorfeld der Großdemonstrationen gegen das Gipfeltreffen der acht großen Industriestaaten in Heiligendamm mögliche Gefahren zu erkennen, um hierauf rechtzeitig reagieren und die Begehung künftiger Straftaten wirksam verhindern zu können.

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Für diese Maßnahme der Gefahrerforschung mussten nicht die Voraussetzungen der in Mecklenburg-Vorpommern gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG fortgeltenden Vorschrift des § 19a i.V.m. § 12a Abs. 1 VersammlG erfüllt sein. Danach darf die Polizei Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen; die Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden. Diese versammlungsrechtliche Eingriffsermächtigung erfasst jedoch nur die zielgerichtete Erhebung personenbezogener Daten. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Denn nach den Feststellungen des Berufungsurteils wurden bei dem Überflug des Tornado-Kampfflugzeugs am 5. Juni 2007 über das Camp Reddelich lediglich Übersichtsaufnahmen angefertigt, auf denen insbesondere auch die Klägerin mangels ausreichender Tiefenschärfe bzw. Auflösung nicht erkennbar war und welche selbst mit technischen Hilfsmitteln keine Personenidentifizierung zuließen. An diese tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, da die Revision ihnen nicht mit Verfahrensrügen entgegengetreten ist.

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Die Gefahrerforschungsmaßnahme konnte jedoch grundsätzlich auf die in § 13 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern (SOG M-V) in der hier noch anwendbaren Fassung der Bekanntmachung vom 25. März 1998 (GVOBl. M-V S. 335), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. Juli 2006 (GVOBl. M-V S. 551), enthaltene polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel gestützt werden. Dem stehen die Vorschriften des Versammlungsgesetzes nicht entgegen, da dieses Gesetz insbesondere für polizeiliche Befugnisse im Vorfeld von Versammlungen keine abschließenden Regelungen für die Abwehr aller möglicherweise auftretenden Gefahren enthält (BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2007 - 6 C 39.06 - BVerwGE 129, 142 Rn. 30). Nach § 13 SOG M-V haben die Ordnungsbehörden und die Polizei im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem Einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird. Diese allgemeine Befugnis umfasst auch Eingriffsmaßnahmen zur Klärung einer Gefahrensituation, wenn die Polizei aufgrund objektiver Umstände das Vorliegen einer Gefahr zwar für möglich, aber nicht für sicher hält (vgl. Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, D Polizeiaufgaben Rn. 48; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 15. Aufl. 2013, § 6 Rn. 29 f.). Ein solcher Fall des Gefahrenverdachts konnte hier im Hinblick auf die Feststellung des Berufungsurteils, dass es bereits im Vorfeld zu zahlreichen, auch gewalttätigen Aktionen von Gegnern des G8-Gipfeltreffens gekommen war, angenommen werden. Die zuständige Polizeibehörde des Beklagten hatte den Sachverhalt daher gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG soweit von Amts wegen zu ermitteln, dass sie sich über das tatsächliche Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Gefahr eine eigene Überzeugung bilden konnte.

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In Erfüllung dieser polizeilichen Aufgabe hatte das Innenministerium des beklagten Landes - wie das Berufungsgericht ebenfalls festgestellt hat - im Vorfeld des G8-Gipfeltreffens das Bundesministerium der Verteidigung ersucht, die zur Gefahrerforschung für erforderlich gehaltenen Überflüge in der Umgebung des Austragungsortes im Wege der Amtshilfe durchzuführen. Seine rechtliche Grundlage findet dieses Vorgehen in Art. 35 Abs. 1 GG sowie §§ 4 ff. VwVfG bzw. den entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen. Nach Art. 35 Abs. 1 GG leisten sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Rechts- und Amtshilfe. Um Amtshilfe kann eine Behörde eine andere Behörde nach § 4 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG insbesondere dann ersuchen, wenn sie die Amtshandlung aus tatsächlichen Gründen nicht selbst vornehmen kann, etwa weil die zur Vornahme der Amtshandlung erforderlichen Dienstkräfte oder Einrichtungen fehlen. Auch im Fall der Inanspruchnahme von Amtshilfe bleibt die ersuchende Behörde jedoch "Herrin des Verfahrens" (vgl. die Begründung des Entwurfs der Bundesregierung für ein Verwaltungsverfahrensgesetz, BT-Drs. 7/910 S. 38). Die Gesamtverantwortung für die Recht- und Zweckmäßigkeit der zu verwirklichenden Maßnahme wird nicht auf die ersuchte Behörde übertragen. Deshalb sind die Amtshilfehandlungen der ersuchten Behörde, solange sie den Rahmen des Amtshilfeersuchens nicht eindeutig überschreiten, der ersuchenden Behörde zuzurechnen. So verhält es sich hier. Sowohl die Überflüge der - das Camp Reddelich einschließenden - Umgebung des Ortes, in dem der G8-Gipfel stattfinden sollte, durch Flugzeuge der Bundeswehr als auch die Fertigung von Bildaufnahmen sowie deren Weitergabe an die zuständige Landespolizeibehörde waren notwendige Bestandteile der durch das beklagte Land erbetenen Hilfe bei der Luftaufklärung. Eine Einschränkung der Zurechnung ist entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht in Bezug auf die operative Entscheidung der Bundeswehr gerechtfertigt, zum Zweck der Anfertigung der Aufnahmen die Flughöhe zu senken und das Camp Reddelich im "Tiefstflug" zu überfliegen. Der Beklagte macht selbst nicht geltend, der Bundeswehr im Rahmen des Amtshilfeersuchens Vorgaben zur Mindestflughöhe gemacht zu haben. Deshalb muss er sich die Durchführung der zur Gefahrerforschung für erforderlich gehaltenen Überflüge nach den Grundsätzen des Amtshilferechts auch insoweit zurechnen lassen.

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Die Zurechnung der Amtshilfehandlungen der Bundeswehr entfällt nicht im Hinblick auf die verbreitete Ansicht, dass der in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten betroffene Bürger Rechtsmittel gegen denjenigen Rechtsträger richten muss, dessen Behörde ihm gegenüber unmittelbar gehandelt hat, z.B. einen Verwaltungsakt erlassen, eine Zwangsmaßnahme getroffen oder eine Information weitergegeben hat (vgl. Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl. 2017, § 7 Rn. 11; Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 7 Rn. 9; Shirvani, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 1. Aufl. 2014, § 7 Rn. 16; Funke-Kaiser, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2. Aufl. 2016, § 7 Rn. 10; Schliesky, in: Knack/Hennecke, VwVfG, 10. Aufl. 2014, § 7 Rn. 13; Erbguth, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 35 Rn. 33). Ob dieser Auffassung zu folgen ist, kann dahingestellt bleiben. Denn für einen unmittelbaren, rechtsförmigen und zielgerichteten staatlichen Eingriff in Grundrechte der Klägerin bestehen keine Anhaltspunkte. Die Klägerin macht geltend, durch die von dem Überflug und der Anfertigung der Übersichtsaufnahmen ausgehende Einschüchterungswirkung in der Ausübung ihrer Grundrechte beeinträchtigt worden zu sein. Dieser Vortrag kann allenfalls die Annahme eines faktischen Grundrechtseingriffs rechtfertigen. Jedenfalls in derartigen Fällen, in denen die Amtshilfehandlung nicht zu einem finalen Eingriff in Grundrechte führt, kann die gerichtliche Überprüfung der Amtshilfehandlung im Rahmen eines Rechtsmittels gegen die Hauptmaßnahme der ersuchenden Behörde erfolgen.

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b) Die Klägerin hat auch das in § 43 Abs. 1 VwGO vorausgesetzte berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung.

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Das berechtigte Interesse schließt jedes als schutzwürdig anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art ein (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 16. März 2016 - 6 C 66.14 [ECLI:DE:BVerwG:2016:160316U6C66.14.0] - Buchholz 422.1 Presserecht Nr. 15 Rn. 16 und vom 26. Januar 1996 - 8 C 19.94 - BVerwGE 100, 262 <271>). Entscheidend ist, dass die gerichtliche Feststellung geeignet erscheint, die Rechtsposition der Klägerin in den genannten Bereichen zu verbessern (vgl. BVerwG, Urteile vom 16. März 2016 - 6 C 66.14 - Buchholz 422.1 Presserecht Nr. 15 Rn. 16 und vom 15. Februar 1989 - 6 A 2.87 - BVerwGE 81, 258 <262>). Ob die insoweit anerkannten Fallgruppen der Wiederholungsgefahr oder des Rehabilitierungsinteresses hier einschlägig sind, kann dahingestellt bleiben. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der der erkennende Senat folgt, kann auch die Art des mit der Klage gerügten Eingriffs, insbesondere im grundrechtlich geschützten Bereich, verbunden mit dem durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz, die Anerkennung eines Feststellungsinteresses erfordern, wenn sich die unmittelbare Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt auf eine Zeitspanne beschränkt, in der die Entscheidung des Gerichts kaum zu erlangen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2001 - 2 BvR 527/99 u.a. - BVerfGE 104, 220 <233>; BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2008 - 6 A 1.07 - BVerwGE 130, 180 Rn. 26 m.w.N.).

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Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin macht geltend, sowohl durch den Überflug des Tornado-Flugzeugs über das Camp Reddelich als auch durch das Anfertigen von Übersichtsaufnahmen und deren anschließende Weitergabe und Auswertung in Grundrechten verletzt worden zu sein. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts gehört sie zu denjenigen Personen, die sich zum Zeitpunkt des Überflugs und der hierbei gefertigten Aufnahmen in dem Camp aufgehalten haben und deshalb von den Auswirkungen des Überflugs konkret betroffen waren. Zwar kann ein Eingriff in das Grundrecht der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ausgeschlossen werden, weil mit den Aufnahmen nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen keine personenbezogenen Daten der Klägerin erfasst worden sind und eine Personenidentifizierung auch mit technischen Hilfsmitteln nicht möglich ist. Im Hinblick auf den geltend gemachten Eingriff in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) reicht jedoch die Möglichkeit aus, dass die Klägerin bei einer Tätigkeit, die aufgrund der Vorwirkungen des Grundrechts bereits dessen Schutz unterfiel, beeinträchtigt worden ist. Jedenfalls durch die Auswirkungen des Überflugs und die Befürchtung, von den hierbei angefertigten Aufnahmen als Gegenstand einer staatlichen Überwachungsmaßnahme erfasst worden zu sein, kann die Klägerin daher - anders als durch die für sie nicht unmittelbar wahrnehmbare Weitergabe und Auswertung der Aufnahmen - in eigenen Rechten betroffen sein. Die Klägerin hatte offensichtlich auch nicht die Möglichkeit, vor Beendigung des - für sie nicht vorhersehbaren - Überflugs und der hierbei gefertigten Aufnahmen um Rechtsschutz dagegen nachzusuchen.

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c) Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht schließlich nicht der Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Die Klägerin hätte ihre Rechte nicht durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen können (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Insbesondere hätte sie nicht mit einer Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO gegen den beim Bundesministerium der Verteidigung gestellten Antrag des Innenministeriums des beklagten Landes auf Amtshilfe in Gestalt von Überflügen der Region um den G8-Gipfel in Heiligendamm vorgehen können. Das Amtshilfeersuchen ist seiner Rechtsnatur nach kein Verwaltungsakt, sondern eine behördliche Verfahrenshandlung in Gestalt einer nicht regelnden Willenserklärung (vgl. Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 4 Rn. 31; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl. 2017, § 4 Rn. 14; Schliesky, in: Knack/Hennecke, VwVfG, 10. Aufl. 2014, § 4 Rn. 17). Zudem würde die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des Amtshilfeersuchens dem Rechtsschutzbegehren der Klägerin nicht erschöpfend Rechnung tragen. Denn es geht ihr im Kern um die konkreten Modalitäten des Überflugs und der Fertigung der Bildaufnahmen, also letztlich um die Art und Weise der Durchführung der Amtshilfe. Deren Rechtmäßigkeit könnte im Rahmen eines isolierten Rechtsmittels gegen das Amtshilfeersuchen nicht geklärt werden.

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2. Die Feststellungsklage ist nicht aus den im Berufungsurteil genannten Erwägungen unbegründet. Das Berufungsgericht ist zwar ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass der Aufenthalt der Klägerin in dem zur Unterkunft von Teilnehmern an den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm errichteten Camp Reddelich vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) erfasst worden ist (a). Das Berufungsurteil verletzt jedoch mit der Annahme revisibles Recht im Sinne des § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, dass es sich bei dem Überflug des Camps durch ein Tornado-Kampfflugzeug der Bundeswehr in einer Höhe von 114 m nicht um einen faktischen Eingriff in das Grundrecht der Klägerin aus Art. 8 Abs. 1 GG gehandelt habe (b).

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a) Der Aufenthalt der Klägerin in dem zur Unterkunft von Teilnehmern an den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm errichteten Camp Reddelich war von dem sachlichen Schutzbereich des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) erfasst. Zwar ist das Camp selbst nicht als grundrechtlich geschützte Versammlung anzusehen (aa). Auch fehlt es an tatsächlichen Feststellungen, ob zum maßgeblichen Zeitpunkt innerhalb des Camps durch die Versammlungsfreiheit geschützte Veranstaltungen stattgefunden haben (bb). Der Schutzbereich des Grundrechts ist hier aber jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Vorwirkungen der Versammlungsfreiheit berührt (cc).

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aa) Das Camp Reddelich als solches war nicht als Versammlung von Art. 8 Abs. 1 GG geschützt. Dies folgt zwar nicht bereits aus dem Umstand, dass das Camp nach den Feststellungen des Berufungsurteils nicht als Versammlung im Sinn des Versammlungsgesetzes angemeldet worden war. Es fehlte jedoch an den inhaltlichen Mindestanforderungen an eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG. Hierbei handelt es sich um örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - BVerfGE 104, 92 <104>). Entscheidend ist, dass die Meinungsbildung und -äußerung mit dem Ziel erfolgt, auf die Öffentlichkeit entsprechend einzuwirken. Die Erörterung und Kundgebung muss Angelegenheiten betreffen, die zur öffentlichen Meinungsbildung bestimmt und geeignet sind (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 - BVerwGE 129, 42 Rn. 15). Auch wenn der Schutz der Versammlungsfreiheit das Recht der Grundrechtsträger umfasst, selbst über Art und Umstände der Ausübung ihres Grundrechts zu bestimmen, also zu entscheiden, welche Maßnahmen sie zur Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit für ihr Anliegen einsetzen wollen (BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - BVerfGE 104, 92 <111>), kann in dem bloßen Aufenthalt von Personen in einem Camp zum Zweck der Unterkunft und deren Absicht, an Versammlungen teilzunehmen, für sich genommen noch keine gemeinsame Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) mit dem Ziel der Einwirkung auf die öffentliche Meinungsbildung gesehen werden.

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bb) Soweit in dem Camp Reddelich nach den Feststellungen des Berufungsurteils öffentliche politische Veranstaltungen stattgefunden haben, erscheint es zwar möglich, dass es sich hierbei zumindest teilweise um mit dem übergreifenden Protestanliegen anlässlich des G8-Gipfels verbundene kommunikative Anliegen und Aktivitäten gehandelt hat, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet und deshalb durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützt waren (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. Juni 2017 - 1 BvR 1387/17 - NVwZ 2017, 1374 Rn. 22 in Bezug auf das anlässlich des G20-Gipfels im Juli 2017 geplante Protestcamp im Hamburger Stadtpark). Allerdings hat das Oberverwaltungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, ob derartige Aktivitäten gerade zum Zeitpunkt der von der Klägerin beanstandeten Eingriffshandlungen, also des Überfluges und der Anfertigung der Luftbilder, stattgefunden haben und ob sich die Klägerin an diesen Aktivitäten beteiligt hat.

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cc) Der Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG ist hier jedoch unter dem Gesichtspunkt der Vorwirkungen der Versammlungsfreiheit berührt.

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Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf den Zeitraum der Durchführung einer Versammlung begrenzt, sondern entfaltet seine Wirkung bereits in deren Vorfeld; denn andernfalls liefe die Versammlungsfreiheit Gefahr, durch staatliche Maßnahmen im Vorfeld der Grundrechtsausübung ausgehöhlt zu werden (BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 1991 - 1 BvR 772/90 - BVerfGE 84, 203 <209>). Art. 8 Abs. 1 GG schützt deshalb den gesamten Vorgang des Sichversammelns, wozu auch der Zugang und die Anreise zu einer bevorstehenden bzw. sich bildenden Versammlung gehören (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81 u.a. - BVerfGE 69, 315 <349> und vom 11. Juni 1991 - 1 BvR 772/90 - BVerfGE 84, 203 <209>).

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Hiervon ausgehend hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass sich der Vorfeldschutz des Art. 8 Abs. 1 GG auf den Aufenthalt der Klägerin in dem Camp Reddelich zum Zeitpunkt des Überflugs des Kampfflugzeugs erstreckt hat. Dieser Aufenthalt stand in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit den Demonstrationen, die vor und während des G8-Gipfels als einem Ereignis mit deutlich überörtlichem Bezug stattfanden. Es handelte sich um den Tag vor dem Beginn des mehrtägigen Gipfeltreffens. Eine Teilnahme an den geplanten Demonstrationen war für die ganz überwiegende Zahl der Teilnahmewilligen nur im Fall einer frühzeitigen Anreise und ortsnahen Unterkunft während der gesamten Dauer der Veranstaltung möglich. Alternative Unterkunftsmöglichkeiten standen angesichts der absehbar großen Zahl der potentiellen Versammlungsteilnehmer in der ländlich geprägten Region um den Austragungsort des Gipfels nicht ausreichend zur Verfügung. Unter derartigen Umständen ist der Aufenthalt in einem der Unterkunft für die potentiellen Demonstrationsteilnehmer dienenden Camp vergleichbar der Anreise zu einer bevorstehenden Versammlung dem durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Vorgang des Sichversammelns zuzurechnen.

30

b) Der Überflug des Camps durch ein Tornado-Kampfflugzeug der Bundeswehr in einer Höhe von 114 m zur Aufnahme von Luftbildern ist entgegen der Annahme des Berufungsurteils als Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts der Klägerin aus Art. 8 Abs. 1 GG zu werten. Der gegenteiligen Annahme des Berufungsurteils liegt ein fehlerhaftes Verständnis der sich aus Art. 8 Abs. 1 GG ergebenden Anforderungen an die Annahme eines Eingriffs in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit zugrunde.

31

Zwar liegen die Voraussetzungen eines finalen Eingriffs in die Versammlungsfreiheit nicht vor. Die Klägerin wendet sich nicht gegen ein erforderlichenfalls zwangsweise durchsetzbares, staatliches Ge- oder Verbot mit dem Ziel, die Versammlungsteilnahme zu verhindern, zu beschränken oder zu erschweren. Der Überflug des Tornado-Kampfflugzeuges über das Camp in einer Höhe von nur 114 m stellt jedoch entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts einen faktischen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar. Neben den Fällen einer gezielten Beeinträchtigung der vom Gewährleistungsgehalt des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG erfassten Verhaltensweisen ist ein solcher faktischer Eingriff in die Versammlungsfreiheit jedenfalls dann gegeben, wenn das staatliche Handeln einschüchternd oder abschreckend wirkt bzw. geeignet ist, die freie Willensbildung und die Entschließungsfreiheit derjenigen Personen zu beeinflussen, die an Versammlungen teilnehmen wollen (aa). Dies kann nur aufgrund einer Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls anhand eines objektiven Beurteilungsmaßstabs festgestellt werden (bb). Betrifft die staatliche Maßnahme nicht eine laufende Versammlung, sondern lediglich den geschützten Vorfeldbereich, ist bei der Gesamtwürdigung ein umso strengerer Maßstab anzulegen, je größer die räumliche oder zeitliche Entfernung zu der geschützten Versammlung ist und je weniger für die späteren Versammlungsteilnehmer daher ein Bezug der Maßnahme zu der späteren Versammlung erkennbar ist (cc). Nach diesem Maßstab hatte der Überflug des Kampfflugzeuges über das Camp in einer Höhe von nur 114 m aus der Sicht eines durchschnittlichen Betroffenen im Hinblick auf die extreme Lärmentfaltung, den angsteinflößenden Anblick und die Überraschungswirkung im Kontext der bevorstehenden Demonstrationen gegen den G8-Gipfel einschüchternde Wirkung (dd).

32

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Grundrechtsschutz unter der Geltung des Grundgesetzes nicht auf Eingriffe im herkömmlichen Sinne begrenzt, sondern auf faktische und mittelbare Beeinträchtigungen ausgedehnt worden. Entscheidend ist, ob sich die Maßnahme nach der Zielsetzung und ihren Wirkungen als Ersatz für eine staatliche Maßnahme darstellt, die als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren ist (BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 - BVerfGE 105, 279 <303>). Auch in Bezug auf das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit faktischer Eingriffe anerkannt. Hierzu gehören etwa staatliche Maßnahmen, die den Zugang zu einer Demonstration durch Behinderung von Anfahrten und schleppende vorbeugende Kontrollen unzumutbar erschweren oder ihren staatsfreien unreglementierten Charakter durch exzessive Observationen und Registrierungen verändern (BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315 <368 f.> unter Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 -1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83 - BVerfGE 65, 1 <43>). Als faktischen Grundrechtseingriff hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde gegen das Bayerische Versammlungsgesetz vom 22. Juli 2008 (BayVersG) ferner die Anfertigung von Übersichtsaufzeichnungen einer Versammlung qualifiziert. Es hat in Bezug auf Art. 9 Abs. 2 Satz 2 BayVersG, der der Sache nach zu einer anlasslosen Bildaufzeichnung des gesamten Versammlungsgeschehens ermächtigte, ausgeführt, dass die Anfertigung solcher Übersichtsaufzeichnungen nach dem heutigen Stand der Technik für die Aufgezeichneten immer ein Grundrechtseingriff sei, da auch in Übersichtsaufzeichnungen die Einzelpersonen in der Regel individualisierbar mit erfasst seien und das Bewusstsein, dass die Teilnahme an einer Versammlung in dieser Weise festgehalten wird, Einschüchterungswirkungen haben könne, die zugleich auf die Grundlagen der demokratischen Auseinandersetzung zurückwirkten (BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 - BVerfGE 122, 342 <368 f.>). Den genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts lässt sich verallgemeinernd entnehmen, dass ein faktischer Eingriff in die Versammlungsfreiheit - neben den eindeutig erfassten Fällen einer gezielten Beeinträchtigung der vom Gewährleistungsgehalt des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG erfassten Verhaltensweisen (vgl. Hoffmann-Riem, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band IV, 2011, § 106 Rn. 30) - immer dann anzunehmen ist, wenn die staatliche Maßnahme einschüchternd oder abschreckend wirken kann bzw. geeignet ist, die freie Willensbildung und die Entschließungsfreiheit derjenigen Personen zu beeinflussen, die sich versammlungsspezifisch betätigen (vgl. Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 8 Rn. 19; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 8 Rn. 63; Geis, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, Stand: Dezember 2016, Art. 8 Rn. 73).

33

bb) Ob eine staatliche Maßnahme einschüchternde oder abschreckende Wirkung auf diejenigen Personen hat, die an Versammlungen teilnehmen wollen, kann nur aufgrund einer Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls festgestellt werden. Dabei ist nicht die subjektive Bewertung einzelner konkret betroffener Personen maßgeblich. Vielmehr ist schon aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsanwendungsgleichheit ein objektiver Beurteilungsmaßstab anzulegen. Im Ansatz zutreffend hat das Berufungsgericht daher auf die Sichtweise eines sog. verständigen Dritten abgestellt. Entscheidend ist, ob ein vernünftiger Mensch in der Situation des oder der Betroffenen ernsthaft in Betracht ziehen würde, aufgrund der staatlichen Maßnahme von der Teilnahme an der (bevorstehenden) Versammlung in der geplanten Form Abstand zu nehmen.

34

cc) Zwar sind die dargelegten Maßstäbe für die Eingriffsqualität grundsätzlich unabhängig davon anwendbar, ob die Maßnahme versammlungsspezifische Aktivitäten im Zeitraum der Durchführung der Versammlung oder - wie hier - vor Beginn der Versammlung betrifft. Die vereinzelt vertretene Auffassung, dass im Vorfeld der Versammlung nur eine gezielte Beeinträchtigung durch den Staat ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit sein kann (vgl. Deger, Polizei 2016, 163 <165>), ist abzulehnen. Dass das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht auf den Zeitraum der Durchführung der Versammlung begrenzt ist, sondern seine Wirkung bereits im Vorfeld einer Versammlung entfaltet, hat das Bundesverfassungsgericht - wie ausgeführt - damit begründet, dass die Versammlungsfreiheit anderenfalls Gefahr liefe, durch staatliche Maßnahmen im Vorfeld der Grundrechtsausübung ausgehöhlt zu werden (BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 1991 - 1 BvR 772/90 - BVerfGE 84, 203 <209>). Diese Gefahr drängt sich zwar in besonderem Maße bei solchen staatlichen Maßnahmen auf, die das Ziel verfolgen, die Versammlungsteilnahme zu verhindern, zu beschränken oder zu erschweren. Auch in den Fällen einer nicht finalen Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit kann die Gesamtwürdigung jedoch ergeben, dass jedenfalls ohne die - durch die Qualifizierung als Grundrechtseingriff eröffnete - Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung derartiger staatlicher Vorgehensweisen am Maßstab der im Grundgesetz vorgesehenen Grundrechtsschranken die Gefahr einer Aushöhlung der Grundrechtsausübung besteht.

35

Für die Eingriffsqualität entscheidend ist daher auch im Vorfeldbereich der Versammlung die einschüchternde oder abschreckende Wirkung der konkreten staatlichen Maßnahme. Allerdings ist eine staatliche Maßnahme in der Regel umso weniger geeignet, die freie Willensbildung und die Entschließungsfreiheit derjenigen Personen zu beeinflussen, die sich versammlungsspezifisch betätigen, und dementsprechend bei der Gesamtwürdigung ein umso strengerer Maßstab anzulegen, je größer die räumliche oder zeitliche Entfernung zu der geschützten Versammlung ist und je weniger für die späteren Versammlungsteilnehmer daher ein Bezug der Maßnahme zu der späteren Versammlung erkennbar ist. So dürfte etwa das Abschreckungspotenzial polizeilicher Ermittlungsmaßnahmen, die lange vor Beginn einer geplanten Versammlung oder in größerer Entfernung zum späteren Versammlungsort erfolgen, deutlich geringer sein, als wenn derartige Maßnahmen erst während der Anreise und in unmittelbarer örtlicher Nähe der Versammlung erfolgen.

36

dd) Nach den dargelegten Maßstäben gelangt das Berufungsurteil zwar zu dem zutreffenden Ergebnis, dass sich die Annahme eines faktischen Eingriffs in die Versammlungsfreiheit hier nicht mit der Erwägung begründen lässt, das Anfertigen von Lichtbildern während des Überflugs habe bei den potentiellen Demonstrationsteilnehmern das Gefühl des Überwachtwerdens erzeugen können und aus diesem Grund einschüchternd gewirkt. Denn es ist weder durch das Berufungsgericht festgestellt worden noch ohne weiteres naheliegend, dass der Einsatz von Beobachtungstechnik während der kurzen Dauer des Überflugs des Kampfflugzeuges über das Camp für diejenigen Personen, die sich im Camp aufhielten, überhaupt konkret erkennbar gewesen ist. Revisibles Recht verletzt das Berufungsurteil jedoch mit der Annahme, von dem Überflug des Tornado-Kampfflugzeuges über das Camp Reddelich in einer Höhe von nur 114 m sei auch im Übrigen keine abschreckende Wirkung ausgegangen. Das Berufungsgericht hat insoweit den Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht ausreichend Rechnung getragen. Unter Berücksichtigung der extremen Lärmentfaltung und des bedrohlichen Anblicks des tief fliegenden Kampfflugzeugs, der Überraschungswirkung des Überflugs sowie des engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs mit den bevorstehenden Demonstrationen gegen den G8-Gipfel hätte das Berufungsgericht im Rahmen der Gesamtwürdigung zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass die sich aus Art. 8 Abs. 1 GG ergebenden Anforderungen an die Annahme eines Eingriffs in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit hier erfüllt sind.

37

Das Berufungsgericht hat zwar unter Hinweis auf den "ohrenbetäubenden Lärm" festgestellt, dass ein verständiger Dritter bei dem Tiefflug eines Kampfflugzeuges in nur 114 m Höhe "erschrickt". Das tatsächliche Ausmaß der Schallemissionen tief fliegender militärischer Kampfflugzeuge, insbesondere die im Vergleich zu gewöhnlichem Fluglärm extrem hohen Spitzenpegel und Pegelanstiegsgeschwindigkeiten nimmt das Berufungsurteil jedoch nicht näher in den Blick. Zudem hat es unberücksichtigt gelassen, dass die besonders belastende Wirkung militärischer Tiefflüge für die im Überflugbereich befindlichen Personen nicht nur auf der extremen Lärmentwicklung beruht, sondern auch auf den hiermit regelmäßig einhergehenden optischen Wirkungen und der Plötzlichkeit des Auftretens. Das Erscheinungsbild eines tief fliegenden, sich mit hoher Geschwindigkeit nähernden Kampfflugzeugs ist aus der Sicht eines durchschnittlichen Betroffenen bereits für sich genommen angsteinflößend. Als besonders erschreckend stellt sich der von einem derartigen Betrieb schwersten militärischen Luftfahrtgeräts ausgehende Eindruck dar, wenn er - wie hier - ohne Ankündigung und gleichsam "aus heiterem Himmel" erfolgt.

38

Die einschüchternde und abschreckende Wirkung lässt sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht mit dem Hinweis auf die unstreitig kurze Dauer des Überflugs des Tornado-Kampfflugzeugs in Frage stellen. Zwar kommt dem Gesichtspunkt der Dauer etwa in den Fällen einer Observation einer Versammlung durch die Polizei regelmäßig Bedeutung für die Beurteilung zu, ob es sich um einen faktischen Eingriff in die Versammlungsfreiheit handelt. Deshalb hat das Oberverwaltungsgericht auch zu Recht angenommen, dass von der Anfertigung der Luftbildaufnahmen, sofern diese für die Betroffenen überhaupt erkennbar war, bei isolierter Betrachtung keine ernsthafte Abschreckungswirkung ausging, da es sich erkennbar nur um eine Momentaufnahme handeln konnte. Die Einwirkung auf die Willensbildung der potentiellen Versammlungsteilnehmer kann jedoch bei kurzzeitigen Maßnahmen aus anderen Gründen so intensiv sein, dass im Ergebnis eine zumindest ebenso relevante Einschüchterungs- oder Abschreckungswirkung eintritt. Gerade ein überraschend wahrgenommener visueller oder akustischer Reiz ist typischerweise in besonderem Maße geeignet, als potentiell bedrohlich wahrgenommen zu werden, und kann zu lang anhaltenden Nachwirkungen führen.

39

Bei der Gesamtwürdigung muss im vorliegenden Fall schließlich der enge Zusammenhang des Tornado-Überflugs mit den geplanten Demonstrationen gegen den am Folgetag beginnenden G8-Gipfel berücksichtigt werden, zu deren Durchführung das Camp den zahlreichen Teilnehmern als ortsnahe Unterkunft dienen sollte. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts war dieser Kontext und waren insbesondere die besonderen Herausforderungen für die Gewährleistung der inneren Sicherheit im Umfeld des G8-Gipfels nicht geeignet, die abschreckende Wirkung des Überflugs des Tornado-Kampfflugzeugs über das Camp Reddelich zu relativieren, sondern haben diese vielmehr noch verstärkt. Ein durchschnittlicher Betroffener, der sich im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit den bevorstehenden Demonstrationen gegen den G8-Gipfel plötzlich dem Tiefflug eines Kampfflugzeugs der Bundeswehr ausgesetzt sah, konnte dieses Geschehen berechtigterweise als staatliche Aufforderung deuten, den Demonstrationen fernzubleiben. Eine derartige Zurschaustellung schwersten militärischen Gerätes in einer bekanntermaßen angespannten Sicherheitslage kann typischerweise Ängste oder Abwehrreflexe auslösen, die geeignet sind, hiervon Betroffene zum Verzicht auf die Teilnahme an den geplanten Veranstaltungen oder zumindest auf bestimmte Arten der Meinungskundgabe zu bewegen.

40

Demgegenüber ist die Annahme des Berufungsurteils, der Überflug des Tornado-Kampfflugzeugs sei für diejenigen Personen, die sich in dem Camp aufhielten, vorhersehbar gewesen, nicht nachvollziehbar. Zwar weist das Oberverwaltungsgericht in tatsächlicher Hinsicht darauf hin, es habe sich um den Tag vor dem Beginn des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der acht führenden Wirtschaftsnationen und zugleich um den Tag der Anreise der Gipfelteilnehmer gehandelt, für den von Seiten der Gipfelgegner Aktionen angekündigt worden seien. Zudem sei es bereits anlässlich der vorangegangenen Weltwirtschaftsgipfel zu Straßenschlachten zwischen der Polizei und gewalttätigen Aktivisten gekommen. Die potentiellen Versammlungsteilnehmer hätten daher bei objektivierter Betrachtung damit rechnen müssen, dass die Polizei bei einem derartig sicherheitsrelevanten Anlass weitreichende Aufklärungsmaßnahmen vornehmen und diese auch auf die Camps erstrecken würde, in denen sich ein Großteil der Gegner des G8-Gipfels aufhielt. Soweit das Berufungsgericht mit Blick auf diese Erwägungen zu der Bewertung gelangt, der Überflug habe nicht abschreckend gewirkt, verfehlt es jedoch die Vorgaben, die Art. 8 Abs. 1 GG an den Eingriffsbegriff stellt. Denn selbst wenn die besondere Sicherheitsrelevanz des G8-Gipfels sowie die gewalttätigen Ausschreitungen bei früheren Weltwirtschaftsgipfeln allgemein bekannt gewesen sein mögen, rechtfertigt dies nicht die Annahme, dass es für den durchschnittlichen potentiellen Versammlungsteilnehmer vorhersehbar war, während des Aufenthalts in dem Camp mit der extremen Geräuschentwicklung und dem bedrohlichen Anblick eines außergewöhnlich tief fliegenden Kampfflugzeugs konfrontiert zu werden. Auch im Zusammenhang mit sicherheitsrelevanten Ereignissen und gewalttätigen Ausschreitungen bei Großdemonstrationen gehören tief fliegende Kampfflugzeuge - anders als etwa Wasserwerfer oder gepanzerte Radfahrzeuge - nicht zu den polizeilichen Einsatzmitteln, mit denen Versammlungsteilnehmer in der Bundesrepublik Deutschland üblicherweise rechnen müssen. Die Personen, die sich im Camp Reddelich in der Absicht aufhielten, von dort aus an den verschiedenen Versammlungen im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel teilzunehmen, hatten deshalb keinen Anlass, sich auf derartig beschaffene Aufklärungsmittel einzustellen.

41

3. Die Sache ist gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Der Senat kann nicht nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO zu Gunsten der Klägerin in der Sache selbst entscheiden, denn der Überflug des Camps Reddelich durch ein Tornado-Kampfflugzeug der Bundeswehr mit dem Ziel der Anfertigung von Luftbildaufnahmen stellte keinen vom Grundgesetz verbotenen Einsatz der Streitkräfte im Innern dar und war nicht aus diesem Grund rechtswidrig (a). Ob sich das Berufungsurteil nach § 144 Abs. 4 VwGO im Ergebnis als richtig darstellt, weil der Überflug und die Anfertigung der Aufnahmen als Maßnahme der Gefahrerforschung auf der Grundlage des Landespolizeirechts gerechtfertigt war, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprach, kann der Senat auf der Grundlage der vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Tatsachen nicht abschließend entscheiden (b).

42

a) Der Überflug des Camps Reddelich durch ein Tornado-Kampfflugzeug der Bundeswehr und die Anfertigung von zur Auswertung durch die Landespolizeibehörde bestimmten Luftbildaufnahmen stellte keinen vom Grundgesetz verbotenen Einsatz der Streitkräfte im Innern dar und war nicht aus diesem Grund rechtswidrig. Da der Überflug lediglich der anderweitig nicht möglichen Aufklärung der Sachlage durch Luftbilder im Vorfeld der Feststellung einer konkreten Gefahr diente, ist er als technische Unterstützungsleistung der Bundeswehr im Wege der Amtshilfe für die Polizeibehörde anzusehen.

43

Nach Art. 87a Abs. 2 GG dürfen die Streitkräfte außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Diese Regelung, die im Zuge der Einfügung der so genannten Notstandsverfassung in das Grundgesetz durch das Siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl. I S. 709) geschaffen worden ist, soll verhindern, dass für die Verwendung der Streitkräfte als Mittel der vollziehenden Gewalt "ungeschriebene Zuständigkeiten aus der Natur der Sache" abgeleitet werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 15. Februar 2006 - 1 BvR 357/05 - BVerfGE 115, 118 <142>). Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb wiederholt hervorgehoben, dass für die Auslegung und Anwendung des Art. 87a Abs. 2 GG das Ziel maßgeblich ist, die Möglichkeiten für einen Einsatz der Bundeswehr im Innern durch das Gebot strikter Texttreue zu begrenzen (vgl. BVerfG, Urteile vom 12. Juli 1994 - 2 BvE 3/92, 5/93, 7/93, 8/93 - BVerfGE 90, 286 <356 f.> und vom 15. Februar 2006 - 1 BvR 357/05 - BVerfGE 115, 118 <142>; Beschluss vom 3. Juli 2012 - 2 PBvU 1/11 - BVerfGE 132, 1 Rn. 25). Bei den Regelungen, durch welche im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG der Einsatz der Streitkräfte im Grundgesetz außer zur Verteidigung (Art. 87a Abs.1 Satz 1 GG) ausdrücklich zugelassen wird, handelt es sich um Art. 87a Abs. 3 GG (äußerer Notstand), Art. 87a Abs. 4 GG (innerer Notstand) sowie Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG (regionaler Katastrophennotstand) und Art. 35 Abs. 3 GG (überregionaler Katastrophennotstand). Die Voraussetzungen dieser Regelungen haben im Fall des Überfluges des Camps Reddelich durch ein Tornado-Kampfflugzeug und die dabei erfolgte Anfertigung von Luftbildaufnahmen durch die Bundeswehr offensichtlich nicht vorgelegen.

44

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt Art. 87a Abs. 2 GG indes nicht für jede Nutzung personeller und sächlicher Ressourcen der Streitkräfte eine ausdrückliche grundgesetzliche Zulassung voraus, sondern nur, soweit es sich bei dieser Nutzung um einen Einsatz handelt (BVerfG, Beschluss vom 3. Juli 2012 - 2 PBvU 1/11 - BVerfGE 132, 1 Rn. 50). Ein Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG liegt vor, wenn die Ressourcen der Streitkräfte als Mittel der vollziehenden Gewalt in einem Eingriffszusammenhang verwendet werden (BVerfG, Beschlüsse vom 20. März 2013 - 2 BvF 1/05 - BVerfGE 133, 241 Rn. 80 und vom 3. Juli 2012 - 2 PBvU 1/11 - BVerfGE 132, 1 Rn. 50). Maßnahmen, die sich auf eine rein technisch-unterstützende Funktion beschränken, verbleiben im Rahmen der in Art. 35 Abs. 1 GG geregelten Ermächtigung zur Amtshilfe und sind daher von den Beschränkungen, die für einen Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG gelten, nicht betroffen (BVerfG, Beschlüsse vom 20. März 2013 - 2 BvF 1/05 - BVerfGE 133, 241 Rn. 80 und vom 3. Juli 2012 - 2 PBvU 1/11 - BVerfGE 132, 1 Rn. 50). Allerdings liegt eine Verwendung in einem Eingriffszusammenhang nicht erst bei einem konkreten Vorgehen mit Zwang, sondern bereits dann vor, wenn personelle oder sachliche Mittel der Streitkräfte in ihrem Droh- oder Einschüchterungspotential genutzt werden (BVerfG, Beschlüsse vom 20. März 2013 - 2 BvF 1/05 - BVerfGE 133, 241 Rn. 81 und vom 3. Juli 2012 - 2 PBvU 1/11 - BVerfGE 132, 1 Rn. 50). Ob das der Fall ist, ist jedoch - anders als im Zusammenhang mit der zuvor erörterten Frage des Eingriffs in die Versammlungsfreiheit - ausschließlich aus objektiver Perspektive zu beurteilen. Denn die Frage der verfassungsrechtlichen Qualifizierung der Nutzung der Ressourcen der Streitkräfte als zulässige Amtshilfe oder als unzulässiger Streitkräfteeinsatz im Innern kann nicht davon abhängen, wie sich diese Nutzung aus der Sicht möglicher Betroffener im Einzelfall darstellt.

45

Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich ferner die Wertung, dass die hier in Rede stehende Nutzung spezifisch militärischer Luftfahrzeuge zur Aufklärung der Sachlage nicht bereits für sich genommen geeignet ist, Droh- und Einschüchterungspotential in dem genannten Sinn zu entfalten. In seinem Beschluss vom 20. März 2013 ist der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts davon ausgegangen, dass es sich etwa in dem Fall der Überprüfung eines Luftfahrzeugs durch aufsteigende Jagdflugzeuge nach § 15 Abs. 1 Satz 2 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) nicht um eine Nutzung von Mitteln der Streitkräfte in ihrem Droh- und Einschüchterungspotential, sondern um eine technisch-unterstützende Maßnahme handelt, sofern die Überprüfung typischerweise nicht zur Aufdeckung einer Angriffsabsicht, sondern zur Feststellung eines Orientierungsbedarfs - etwa wegen ausgefallenen Funkkontakts oder sonstiger technischer Probleme - führt, dem mit Warn- und Leitungssignalen entsprochen werden kann. Erst wenn die Überprüfung ergibt, dass ein Fall eines bevorstehenden kriminellen Anschlags mittels eines Luftfahrzeuges (sog. Renegade-Fall) vorliegt, scheidet eine weitere Deutung als bloße Unterstützung aus, so dass die Aktion dann nur noch als Entfaltung des Droh- und Einschüchterungspotentials der eingesetzten militärischen Mittel verstanden werden kann (BVerfG, Beschluss vom 20. März 2013 - 2 BvF 1/05 - BVerfGE 133, 241 Rn. 80 f.). Dieser Rechtsprechung liegt erkennbar die Annahme zugrunde, dass die Nutzung spezifisch militärischer Luftfahrzeuge zur Aufklärung der Sachlage - also vor Feststellung einer konkreten Gefahr - für sich genommen kein Droh- und Einschüchterungspotential entfaltet.

46

Hiervon ausgehend sind die Aufklärungsflüge von Tornado-Kampfflugzeugen in der Region um den Austragungsort des G8-Gipfels in Heiligendamm und die Anfertigung von Luftbildaufnahmen durch die Bundeswehr als bloße Unterstützungsleistung für die zuständige Landespolizeibehörde zu qualifizieren, die nicht den Anforderungen des Art. 87a Abs. 2 GG unterliegt (vgl. in diesem Sinne auch die Antworten der Bundesregierung auf verschiedene Kleine Anfragen bzw. Schriftliche Fragen, z.B. BT-Drs. 16/5148 S. 5 f.; BT-Drs. 16/5499 S. 18 f.; BT-Drs. 16/6046 S. 2, 12 und BT-Drs. 16/6166 S. 3 f.). Dies gilt auch in Bezug auf den hier in Rede stehenden Überflug über das Camp Reddelich am 5. Juni 2007. Ebenso wie die Aufklärungsflüge an den vorangegangenen Tagen diente auch dieser Flug lediglich der weiteren Aufklärung der Sachlage und nicht der Abwehr einer konkreten Gefahr. Nach den - auf die Aktenlage und die Erklärungen des Beklagten gestützten - tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hatte sich ein Bedürfnis für einen neuen Überflug zwar erst kurzfristig aufgrund der gewaltsamen Ausschreitungen am 2. Juni 2007 in Rostock ergeben. Der Flug vom 5. Juni 2007 war deshalb nachträglich nach erneuter Lagebeurteilung vereinbart worden. Selbst wenn die Maßnahme folglich nicht mehr (nur) - wie noch die vorangegangenen Aufklärungsflüge - der Erkennung möglicher Erddepots sowie der Erfassung von Manipulationen an wichtigen Straßenzügen im Einsatzraum gedient haben sollte, sondern sich in Erwartung weiterer unmittelbar bevorstehender gewaltsamer Ausschreitungen gerade auch auf die Ermittlung damit möglicherweise in Zusammenhang stehender Aktivitäten potentieller Demonstrationsteilnehmer, die sich im Camp Reddelich aufhielten, gerichtet haben sollte, handelte es sich weiterhin um eine Maßnahme der Gefahrerforschung im Vorfeld einer konkreten Gefahr. Unabhängig von der einschüchternden Wirkung, die der Tiefflug des Kampfflugzeugs im Kontext mit den bevorstehenden Demonstrationen aus der Sicht eines objektiven Betrachters entfaltet hat und die die Qualifizierung als Grundrechtseingriff rechtfertigt, war die Grenze von der bloßen Unterstützungsleistung zu einem nach Art. 87a Abs. 2 GG unzulässigen Einsatz der Streitkräfte im Innern noch nicht überschritten.

47

b) Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen kann der Senat im Revisionsverfahren nicht abschließend entscheiden, ob der durch den Überflug des Kampfflugzeugs der Bundeswehr über das Camp Reddelich am 5. Juni 2007 bewirkte faktische Eingriff in das durch Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht der Klägerin auf Versammlungsfreiheit verfassungsrechtlich gerechtfertigt war.

48

Zwar konnte der zur Anfertigung von Luftbildern durchgeführte Überflug als Teilakt einer Gefahrerforschungsmaßnahme - wie bereits ausgeführt - grundsätzlich auf die in § 13 SOG M-V enthaltene polizeiliche Generalklausel gestützt werden. Bei der Auslegung und Anwendung versammlungsbeschränkender Gesetze im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG muss jedoch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit strikt beachtet werden. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit bedürfen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eines legitimen Zwecks und müssen zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein (vgl. BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 - BVerfGE 128, 226 <259 f.>).

49

Ob die Art und Weise der Durchführung der polizeilichen Gefahrerforschungsmaßnahme unter den konkreten Umständen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprach, insbesondere ob sie trotz ihrer einschüchternden und daher die potentiellen Demonstrationsteilnehmer in ihrer Versammlungsfreiheit beeinträchtigenden Wirkung angemessen im engeren Sinne war, hängt jedoch von der Bewertung der tatsächlichen Gefahrenlage und den sich hieraus ergebenden Handlungsoptionen der Polizei ab. Hierzu enthält das Berufungsurteil die bereits erwähnte Feststellung, dass sich ein Bedürfnis für einen neuen Überflug erst kurzfristig aufgrund der gewaltsamen Ausschreitungen am 2. Juni 2007 in Rostock ergeben hatte und ein weiterer Aufklärungsflug zur Erstellung und Verdichtung des polizeilichen Lagebildes vereinbart worden war, der am 4. Juni 2007 aufgrund technischer Fehlfunktion bzw. schlechten Wetters nicht abgeschlossen werden konnte und daher am Folgetag vervollständigt wurde. Durch die Bezugnahme auf den Inhalt der Gerichtsakte hat sich das Berufungsgericht ferner die tatsächliche Feststellung des verwaltungsgerichtlichen Urteils zu eigen gemacht, dass die Unterschreitung der Mindestflughöhe von ca. 150 m um 36 m auf die Witterungsbedingungen zurückzuführen war. Diese tatsächlichen Feststellungen lassen es möglich erscheinen, dass der Polizeibehörde Erkenntnisse über Aktivitäten von Personengruppen im Camp Reddelich vorlagen, die auf die Begehung weiterer gewaltsamer Ausschreitungen gerichtet waren. Insoweit muss der Sachverhalt durch das Tatsachengericht weiter aufgeklärt und gewürdigt werden. Ferner ist zu klären, ob die Behörde in Ausübung ihres Auswahlermessens für die Entscheidung über mögliche Abwehrmaßnahmen die Auswertung tagesaktueller Luftbildaufnahmen des Camps aus der ex-ante Sicht für erforderlich halten und außerdem davon ausgehen durfte, dass die Verwertbarkeit der Aufnahmen bei Anfertigung aus größerer Überflughöhe wegen der Witterungsverhältnisse beeinträchtigt gewesen wäre. Auf der Grundlage dieser Feststellungen muss das Tatsachengericht schließlich bewerten, ob die Schwere der Grundrechtsbeeinträchtigung in einem angemessenen Verhältnis zum Gewicht der verfolgten Ziele gestanden hat. Der Rechtsstreit ist deshalb nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

50

4. Die Entscheidung über die Kosten ist der Schlussentscheidung vorzubehalten.

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(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft sie das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß. (2) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundesverwaltungsgericht die Revision zurück. (3) Ist die Revision begründet, so kann das Bundesverwa

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 8


(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 24 Untersuchungsgrundsatz


(1) Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. Setzt die Behörde automatische Einrichtungen zum Erlass von Ver

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 125a


(1) Recht, das als Bundesrecht erlassen worden ist, aber wegen der Änderung des Artikels 74 Abs. 1, der Einfügung des Artikels 84 Abs. 1 Satz 7, des Artikels 85 Abs. 1 Satz 2 oder des Artikels 105 Abs. 2a Satz 2 oder wegen der Aufhebung der Artikel 7

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 87a


(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben. (1a) Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sonderverm

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 35


(1) Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe. (2) Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrich

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 4 Amtshilfepflicht


(1) Jede Behörde leistet anderen Behörden auf Ersuchen ergänzende Hilfe (Amtshilfe). (2) Amtshilfe liegt nicht vor, wenn 1. Behörden einander innerhalb eines bestehenden Weisungsverhältnisses Hilfe leisten;2. die Hilfeleistung in Handlungen beste

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 5 Voraussetzungen und Grenzen der Amtshilfe


(1) Eine Behörde kann um Amtshilfe insbesondere dann ersuchen, wenn sie 1. aus rechtlichen Gründen die Amtshandlung nicht selbst vornehmen kann;2. aus tatsächlichen Gründen, besonders weil die zur Vornahme der Amtshandlung erforderlichen Dienstkräfte

Luftsicherheitsgesetz - LuftSiG | § 15 Sonstige Maßnahmen


(1) Die Maßnahmen nach § 14 Absatz 1 dürfen erst nach Überprüfung sowie erfolglosen Versuchen zur Warnung und Umleitung getroffen werden. Zu diesem Zweck können die Streitkräfte auf Ersuchen der Flugsicherungsorganisation im Luftraum Luftfahrzeuge üb

Versammlungsgesetz - VersammlG | § 12a


(1) Die Polizei darf Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Siche

Referenzen - Urteile

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Bundesverwaltungsgericht Urteil, 25. Okt. 2017 - 6 C 46/16 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 25. Okt. 2017 - 6 C 46/16 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesverfassungsgericht Beschluss, 20. März 2013 - 2 BvF 1/05

bei uns veröffentlicht am 20.03.2013

Tenor 1. Soweit der Antrag sich auf § 14 Absatz 3 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgeset

Bundesverfassungsgericht Beschluss, 03. Juli 2012 - 2 PBvU 1/11

bei uns veröffentlicht am 03.07.2012

Tenor 1. Die Gesetzgebungszuständigkeit für die §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesverwaltungsgericht Urteil, 25. Okt. 2017 - 6 C 46/16.

Verwaltungsgericht Bayreuth Beschluss, 11. Juni 2018 - B 7 K 16.95

bei uns veröffentlicht am 11.06.2018

Tenor 1. Das Verfahren wird eingestellt. 2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. 3. Der Streitwert wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt. Gründe I. Die Klägerin wandte sich - bis zur (frei

Referenzen

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung

1.
von Bundesrecht oder
2.
einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt,
beruht.

(2) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im übrigen ist das Bundesverwaltungsgericht an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft sie das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß.

(2) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundesverwaltungsgericht die Revision zurück.

(3) Ist die Revision begründet, so kann das Bundesverwaltungsgericht

1.
in der Sache selbst entscheiden,
2.
das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
Das Bundesverwaltungsgericht verweist den Rechtsstreit zurück, wenn der im Revisionsverfahren nach § 142 Abs. 1 Satz 2 Beigeladene ein berechtigtes Interesse daran hat.

(4) Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.

(5) Verweist das Bundesverwaltungsgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 49 Nr. 2 und nach § 134 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Oberverwaltungsgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht anhängig geworden wäre.

(6) Das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

(7) Die Entscheidung über die Revision bedarf keiner Begründung, soweit das Bundesverwaltungsgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend hält. Das gilt nicht für Rügen nach § 138 und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung

1.
von Bundesrecht oder
2.
einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt,
beruht.

(2) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im übrigen ist das Bundesverwaltungsgericht an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.

(1) Recht, das als Bundesrecht erlassen worden ist, aber wegen der Änderung des Artikels 74 Abs. 1, der Einfügung des Artikels 84 Abs. 1 Satz 7, des Artikels 85 Abs. 1 Satz 2 oder des Artikels 105 Abs. 2a Satz 2 oder wegen der Aufhebung der Artikel 74a, 75 oder 98 Abs. 3 Satz 2 nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte, gilt als Bundesrecht fort. Es kann durch Landesrecht ersetzt werden.

(2) Recht, das auf Grund des Artikels 72 Abs. 2 in der bis zum 15. November 1994 geltenden Fassung erlassen worden ist, aber wegen Änderung des Artikels 72 Abs. 2 nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte, gilt als Bundesrecht fort. Durch Bundesgesetz kann bestimmt werden, dass es durch Landesrecht ersetzt werden kann.

(3) Recht, das als Landesrecht erlassen worden ist, aber wegen Änderung des Artikels 73 nicht mehr als Landesrecht erlassen werden könnte, gilt als Landesrecht fort. Es kann durch Bundesrecht ersetzt werden.

(1) Die Polizei darf Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Die Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.

(2) Die Unterlagen sind nach Beendigung der öffentlichen Versammlung oder zeitlich und sachlich damit unmittelbar im Zusammenhang stehender Ereignisse unverzüglich zu vernichten, soweit sie nicht benötigt werden

1.
für die Verfolgung von Straftaten von Teilnehmern oder
2.
im Einzelfall zur Gefahrenabwehr, weil die betroffene Person verdächtigt ist, Straftaten bei oder im Zusammenhang mit der öffentlichen Versammlung vorbereitet oder begangen zu haben, und deshalb zu besorgen ist, daß von ihr erhebliche Gefahren für künftige öffentliche Versammlungen oder Aufzüge ausgehen.
Unterlagen, die aus den in Satz 1 Nr. 2 aufgeführten Gründen nicht vernichtet wurden, sind in jedem Fall spätestens nach Ablauf von drei Jahren seit ihrer Entstehung zu vernichten, es sei denn, sie würden inzwischen zu dem in Satz 1 Nr. 1 aufgeführten Zweck benötigt.

(3) Die Befugnisse zur Erhebung personenbezogener Informationen nach Maßgabe der Strafprozeßordnung und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten bleiben unberührt.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung

1.
von Bundesrecht oder
2.
einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt,
beruht.

(2) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im übrigen ist das Bundesverwaltungsgericht an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.

(1) Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. Setzt die Behörde automatische Einrichtungen zum Erlass von Verwaltungsakten ein, muss sie für den Einzelfall bedeutsame tatsächliche Angaben des Beteiligten berücksichtigen, die im automatischen Verfahren nicht ermittelt würden.

(2) Die Behörde hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.

(3) Die Behörde darf die Entgegennahme von Erklärungen oder Anträgen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, nicht deshalb verweigern, weil sie die Erklärung oder den Antrag in der Sache für unzulässig oder unbegründet hält.

(1) Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe.

(2) Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung seiner Polizei anfordern, wenn die Polizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte. Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern.

(3) Gefährdet die Naturkatastrophe oder der Unglücksfall das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen die Weisung erteilen, Polizeikräfte anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte einsetzen. Maßnahmen der Bundesregierung nach Satz 1 sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben.

(1) Jede Behörde leistet anderen Behörden auf Ersuchen ergänzende Hilfe (Amtshilfe).

(2) Amtshilfe liegt nicht vor, wenn

1.
Behörden einander innerhalb eines bestehenden Weisungsverhältnisses Hilfe leisten;
2.
die Hilfeleistung in Handlungen besteht, die der ersuchten Behörde als eigene Aufgabe obliegen.

(1) Eine Behörde kann um Amtshilfe insbesondere dann ersuchen, wenn sie

1.
aus rechtlichen Gründen die Amtshandlung nicht selbst vornehmen kann;
2.
aus tatsächlichen Gründen, besonders weil die zur Vornahme der Amtshandlung erforderlichen Dienstkräfte oder Einrichtungen fehlen, die Amtshandlung nicht selbst vornehmen kann;
3.
zur Durchführung ihrer Aufgaben auf die Kenntnis von Tatsachen angewiesen ist, die ihr unbekannt sind und die sie selbst nicht ermitteln kann;
4.
zur Durchführung ihrer Aufgaben Urkunden oder sonstige Beweismittel benötigt, die sich im Besitz der ersuchten Behörde befinden;
5.
die Amtshandlung nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte als die ersuchte Behörde.

(2) Die ersuchte Behörde darf Hilfe nicht leisten, wenn

1.
sie hierzu aus rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist;
2.
durch die Hilfeleistung dem Wohl des Bundes oder eines Landes erhebliche Nachteile bereitet würden.
Die ersuchte Behörde ist insbesondere zur Vorlage von Urkunden oder Akten sowie zur Erteilung von Auskünften nicht verpflichtet, wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen.

(3) Die ersuchte Behörde braucht Hilfe nicht zu leisten, wenn

1.
eine andere Behörde die Hilfe wesentlich einfacher oder mit wesentlich geringerem Aufwand leisten kann;
2.
sie die Hilfe nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand leisten könnte;
3.
sie unter Berücksichtigung der Aufgaben der ersuchenden Behörde durch die Hilfeleistung die Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben ernstlich gefährden würde.

(4) Die ersuchte Behörde darf die Hilfe nicht deshalb verweigern, weil sie das Ersuchen aus anderen als den in Absatz 3 genannten Gründen oder weil sie die mit der Amtshilfe zu verwirklichende Maßnahme für unzweckmäßig hält.

(5) Hält die ersuchte Behörde sich zur Hilfe nicht für verpflichtet, so teilt sie der ersuchenden Behörde ihre Auffassung mit. Besteht diese auf der Amtshilfe, so entscheidet über die Verpflichtung zur Amtshilfe die gemeinsame fachlich zuständige Aufsichtsbehörde oder, sofern eine solche nicht besteht, die für die ersuchte Behörde fachlich zuständige Aufsichtsbehörde.

(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung

1.
von Bundesrecht oder
2.
einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt,
beruht.

(2) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im übrigen ist das Bundesverwaltungsgericht an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft sie das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß.

(2) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundesverwaltungsgericht die Revision zurück.

(3) Ist die Revision begründet, so kann das Bundesverwaltungsgericht

1.
in der Sache selbst entscheiden,
2.
das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
Das Bundesverwaltungsgericht verweist den Rechtsstreit zurück, wenn der im Revisionsverfahren nach § 142 Abs. 1 Satz 2 Beigeladene ein berechtigtes Interesse daran hat.

(4) Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.

(5) Verweist das Bundesverwaltungsgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 49 Nr. 2 und nach § 134 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Oberverwaltungsgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht anhängig geworden wäre.

(6) Das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

(7) Die Entscheidung über die Revision bedarf keiner Begründung, soweit das Bundesverwaltungsgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend hält. Das gilt nicht für Rügen nach § 138 und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.

(1a) Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen für die Bundeswehr mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten. Auf die Kreditermächtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 nicht anzuwenden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.

(3) Die Streitkräfte haben im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle die Befugnis, zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen, soweit dies zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrages erforderlich ist. Außerdem kann den Streitkräften im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden; die Streitkräfte wirken dabei mit den zuständigen Behörden zusammen.

(4) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen.

Tenor

1. Die Gesetzgebungszuständigkeit für die §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) ergibt sich aus Artikel 73 Nummer 6 des Grundgesetzes in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 2034) geltenden Fassung.

2. Artikel 35 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 des Grundgesetzes schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei einem Einsatz der Streitkräfte nach diesen Vorschriften nicht grundsätzlich aus, lassen sie aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die einem bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren durch Artikel 87a Absatz 4 GG gesetzt sind.

3. Der Einsatz der Streitkräfte nach Artikel 35 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes ist, auch in Eilfällen, allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässig.

Gründe

A.

I.

1

1. Der Zweite Senat hat mit Beschluss vom 19. Mai 2010 (2 BvF 1/05) gemäß § 48 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts beim Ersten Senat angefragt, ob dieser an den Rechtsauffassungen festhält, wonach

2

1. die Gesetzgebungszuständigkeit für § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (BGBl I S. 78) sich nicht auf Art. 73 Nr. 1 oder Art. 73 Nr. 6 GG, sondern allein auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG stützen lässt (BVerfGE 115, 118<140 f.>),

3

2. Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht zulässt (BVerfGE 115, 118<146 ff., 150 f.>), und

4

3. § 13 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar sind, soweit sie eine Eilkompetenz des Bundesministers der Verteidigung auch für die Fälle des Art. 35 Abs. 3 GG vorsehen (BVerfGE 115, 118<149 f.>).

5

2. Der Anfrage liegt zugrunde, dass der Zweite Senat in einem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle (2 BvF 1/05) auf Antrag der Bayerischen Staatsregierung und der Hessischen Landesregierung darüber zu entscheiden hat, ob § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 LuftSiG, die die Voraussetzungen und Modalitäten eines Einsatzes der Streitkräfte zur Abwehr besonders schwerer von Luftfahrzeugen ausgehender Unglücksfälle regeln, mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Der Normenkontrollantrag betraf ursprünglich die §§ 13 bis 15 LuftSiG. Nachdem § 14 Abs. 3 LuftSiG, der zum Abschuss eines gegen das Leben von Menschen eingesetzten Luftfahrzeugs ermächtigte, durch Urteil des Ersten Senats vom 15. Februar 2006 für nichtig erklärt wurde (BVerfGE 115, 118 <119>), haben die Antragstellerinnen ihren Antrag insoweit für erledigt erklärt. Damit stehen in dem Ausgangsverfahren nur noch § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 LuftSiG zur Prüfung. Der Zweite Senat möchte in diesem Verfahren abweichend von den genannten Rechtsauffassungen entscheiden (§ 16 BVerfGG, § 48 Abs. 2 GOBVerfG).

6

3. Der Erste Senat hat mit Beschluss vom 12. Oktober 2010 erklärt, dass er an seinen Rechtsauffassungen festhält.

7

4. Mit Beschluss vom 3. Mai 2011 hat der Zweite Senat das Plenum angerufen.

8

5. Die Antragstellerinnen des Ausgangsverfahrens, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, das Bundesministerium des Innern und die (weiteren) Landesregierungen erhielten Kenntnis von der Vorlage. Stellungnahmen sind nicht eingegangen.

II.

9

Das Plenum ist zur Entscheidung über die Vorlage berufen.

10

1. Die Anrufung des Plenums (§ 16 BVerfGG) ist geboten, wenn ein Senat von einer Rechtsauffassung des anderen Senatsabweichen möchte, die für die Entscheidung des anderen Senats tragend war (vgl. BVerfGE 4, 27 <28>; 77, 84 <104>; 96, 375 <404>; 112, 1 <23>; 112, 50 <63>). Die Rechtsauffassungen, auf die sich die vorliegende Anfrage bezieht, waren in dem Urteil des Ersten Senats, mit dem über die Gültigkeit der gesetzlichen Ermächtigung des § 14 Abs. 3 LuftSiG entschieden wurde, tragend im für die Anwendung des § 16 BVerfGG maßgebenden Sinne.

11

2. An der tragenden Qualität fehlt es diesen Rechtsauffassungen nicht deshalb, weil § 14 Abs. 3 LuftSiG in dem Urteil nicht allein auf ihrer Grundlage, sondern auch wegen Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1 GG für nichtig erklärt wurde. Tragend sind jedenfalls diejenigen Rechtsauffassungen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele (vgl. BVerfGE 96, 375 <404>). Der Urteilsausspruch des Ersten Senats zu § 14 Abs. 3 LuftSiG lautete, dass die Bestimmung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 87a Abs. 2 und Art. 35 Abs. 2 und 3 sowie in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig sei (BVerfGE 115, 118<119>). Dieses im Urteilstenor ausgesprochene Entscheidungsergebnis hätte nicht dieselbe Gestalt, wenn der Erste Senat sich nicht über seine Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG hinaus auch auf Auslegungen des Art. 35 GG gestützt hätte, auf die sich die vorliegende Anfrage bezieht.

12

Allerdings wäre der Urteilsausspruch unverändert geblieben, wenn der Erste Senat seine Entscheidung allein auf die unter 1. und 2. der Anfrage aufgeführten Rechtsauffassungen gestützt hätte, nicht dagegen auch auf die Annahme, § 13 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG seien mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar, soweit sie eine Eilkompetenz des Bundesministers der Verteidigung auch für die Fälle des Art. 35 Abs. 3 GG vorsehen (Ziff. 3. der Anfrage). Diese letztere Annahme, die allein die Auslegung des Art. 35 Abs. 3 GG betrifft, kann hinweggedacht werden, ohne dass sich daraus Konsequenzen für den Urteilstenor ergäben. Denn dieser wird, soweit er Art. 35 Abs. 3 GG betrifft, zugleich durch die Rechtsauffassung gestützt, dass Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht zulasse (Ziff. 2. der Anfrage).

13

Dennoch ist auch die drittgenannte Rechtsauffassung für das Urteil des Ersten Senats vom 15. Februar 2006 tragend im hier maßgebenden Sinne. Wird das Kriterium, dem zufolge tragend diejenigen Rechtsauffassungen sind, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele, als nicht nur notwendiges, sondern hinreichendes, abschließend definierendes verstanden, so ist allerdings in Fällen, in denen das konkrete Entscheidungsergebnis auf mehrere voneinander unabhängige und jeweils selbständig tragfähige Rechtsauffassungen gestützt ist, keine dieser Rechtsauffassungen, für sich betrachtet, tragend. Ob und inwieweit ein solches Verständnis dem mit § 16 BVerfGG verfolgten Anliegen der Rechtsklarheit und den besonderen Erfordernissen der Kooperation zwischen den beiden Senaten des Bundesverfassungsgerichts im Allgemeinen gerecht wird, bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Jedenfalls wenn ein konkretes Ergebnis der Entscheidung eines Senats - wie im vorliegenden Fall der Tenor des Urteils des Ersten Senats vom 15. Februar 2006, soweit er Art. 35 Abs. 3 GG betrifft - sich auf mehrere selbständig tragfähige Rechtsauffassungen stützt und der andere Senat nicht nur von einer dieser Rechtsauffassungen, sondern von allen abweichen möchte, kann deren tragende Qualität nicht auf der Grundlage einer isolierten Betrachtung jeder einzelnen dieser Rechtsauffassungen nach dem genannten Kriterium verneint werden (vgl. zur Divergenzvorlage im einfachgesetzlichen Prozessrecht BFH, Beschluss vom 22. Juli 1977 - III B 34/74 -, BFHE 123, 112, Leitsatz 4). Eine Betrachtung, die jeder einzelnen der fraglichen Rechtsauffassungen für sich genommen die tragende Qualität mit Blick auf die Tragfähigkeit der jeweils verbleibenden anderen abspricht und so darauf hinausläuft, dass dem gefundenen Entscheidungsergebnis eine tragende Begründung im Ganzen abgesprochen wird, würde es in dieser Konstellation dem abweichungswilligen Senat ermöglichen, von Rechtsauffassungen des anderen Senats, die jedenfalls in der Gesamtbetrachtung tragend sind, insgesamt ohne Anrufung des Plenums abzuweichen. Dies kann schon deshalb nicht richtig sein, weil damit Divergenzen, die nicht einzelne Rechtsauffassungen, sondern Komplexe von selbständig tragfähigen Rechtsauffassungen betreffen, trotz Entscheidungserheblichkeit der Bereinigung durch das Plenum entzogen wären.

B.

I.

14

Zur ersten Vorlagefrage:

15

Die Gesetzgebungszuständigkeit für §13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und §15 LuftSiG ergibt sich nicht aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG, sondern als Annexkompetenz aus Art. 73 Nr. 6 GG in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I S. 2034) geltenden Fassung (Art. 73 Nr. 6 GG a.F.; heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr zuweist. Ob und inwieweit daneben Art. 73 Nr. 1 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG) als Kompetenzgrundlage in Betracht kommt, bleibt offen.

16

1. Art. 35 Abs. 2 und 3 GG bieten für Bundesrecht, das den Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand regelt, keine ausdrückliche Kompetenzgrundlage. Ihrem Wortlaut nach regeln diese Bestimmungen, soweit sie den Einsatz der Streitkräfte betreffen, materielle und prozedurale Voraussetzungen für einen solchen Einsatz. Ungeschriebene Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes in Sachnormen außerhalb des VII. Abschnitts des Grundgesetzes (Art. 70 ff.) aufzusuchen, liegt auch in systematischer Hinsicht und nach dem Schutzzweck der föderalen Zuständigkeitsordnung, die grundsätzlich nicht durch die Normen des materiellen Verfassungsrechts, sondern durch gesonderte, strikt auszulegende (vgl. BVerfGE 12, 205 <228>; 15, 1 <17>) und in ihrer Reichweite von materiellrechtlichen Vorgaben unabhängige Kompetenzvorschriften bestimmt ist, nicht nahe. Gegen eine solche Kompetenzzuschreibung spricht zudem, dass sich aus ihr nur schwer Klarheit über die Rechtsnatur der zugeschriebenen Kompetenz - ausschließlich oder konkurrierend - gewinnen lässt.

17

2 a) Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die §§ 13 ff. LuftSiG folgt aus Art. 73 Nr. 6 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr zuweist. Nach tradierter und im Grundsatz unbestrittener Auffassung steht dem Bund, soweit er für ein bestimmtes Sachgebiet die Gesetzgebungszuständigkeit hat, als Annexkompetenz auch die Gesetzgebungsbefugnis für die damit in einem notwendigen Zusammenhang stehenden Regelungen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in diesem Bereich zu (vgl. BVerfGE 3, 407 <433>; 8, 143, <150>; 78, 374 <386 f.>; 109, 190 <215>).

18

b) Dies gilt auch für das Sachgebiet "Luftverkehr". Die Gesetzgebungszuständigkeit für den Luftverkehr umfasst daher als Annex jedenfalls die Befugnis, Regelungen zur Abwehr solcher Gefahren zu treffen, die gerade aus dem Luftverkehr herrühren (vgl., mit im Einzelnen unterschiedlichen Abgrenzungen, jeweils aber mindestens die eben genannte Regelungskompetenz einschließend, BVerwGE 95, 188 <191>; BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1996 - 1 C 33/94 -, NVwZ-RR 1997, S. 350 <351>; Laschewski, Der Einsatz der deutschen Streitkräfte im Inland, 2005,S. 130; Paulke, Die Abwehr von Terrorgefahren im Luftraum, 2005, S. 24; Burkiczak, NZWehrr2006, S. 89 <95>; Schenke, NJW 2006, S. 736 <737>; Odendahl, Die Verwaltung 38 <2005>, S. 425 <438>; Baldus, NVwZ 2004, S. 1278 <1279 f.>; Gramm, NZWehrr 2003, S. 89 <96>).

19

Allerdings bedarf die Notwendigkeit des Zusammenhangs zwischen einer dem Bund zugewiesenen Regelungskompetenz für ein bestimmtes Sachgebiet und einschlägigen Regelungen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung strenger Prüfung. Dies gilt erst recht, wenn die sachgebietliche Kompetenz zu den ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes, insbesondere also zu den in Art. 73 GG aufgeführten, gehört. Jedenfalls für die Abwehr derjenigen spezifisch aus dem Luftverkehr herrührenden Gefahren, auf die die Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes zielen, ist der erforderliche notwendige Zusammenhang gegeben. Denn bei dezentraler Regelungskompetenz hätten unzureichend abwehrwirksame Regelungen eines einzelnen Landes erhebliche negative Folgen für die Sicherheit, die mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht im Wesentlichen auf das betreffende Land beschränkt wären.

20

aa) Art. 73 Nr. 6 GG a.F. scheidet als Kompetenzgrundlage für die §§ 13 ff. LuftSiG nicht deshalb aus, weil es sich bei diesen Bestimmungen nicht um eigenständiges Gefahrenabwehrrecht des Bundes, sondern allein um Verfahrens- und Mittelbereitstellungsregelungen für den Fall der Unterstützung von Gefahrenabwehrmaßnahmen der Länder handelte (vgl. BVerfGE 115, 118 <141>). Ungeachtet der Frage, ob dies eine Zuordnung zum Gefahrenabwehrrecht ausschlösse, beschränken sich die Vorschriften nicht auf das Vorfeld außenwirksamer Eingriffe. § 13 LuftSiG regelt nicht nur die Voraussetzungen für die unterstützende Bereitstellung von Streitkräften, sondern unmittelbar die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür, dass Streitkräfte, wenn auch in einer unterstützenden Funktion, "eingesetzt werden" können (Abs. 1), sowie die Zuständigkeiten zur Entscheidung über "einen Einsatz" (Abs. 2 und 3) und die normativen Rahmenbedingungen hierfür (Abs. 4: "Das Nähere wird zwischen Bund und Ländern geregelt. Die Unterstützung durch die Streitkräfte richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes."). Auch § 14 und § 15 LuftSiG sind als materielle Eingriffsnormen gefasst. Sie regeln, dass die Streitkräfte Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben "dürfen" (§ 14 Abs. 1 LuftSiG), dass sie auf Ersuchen der zuständigen Flugsicherungsstelle im Luftraum Luftfahrzeuge "überprüfen, umleiten oder warnen" können (§ 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG), welche "Maßnahmen" sie "auszuwählen" haben (§ 14 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG), welche sonstigen Maßgaben im Hinblick auf Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne einzuhalten sind (§ 14 Abs. 2 Satz 2, § 15 Abs. 1 Satz 1 LuftSiG), und dass der Bundesminister der Verteidigung den Inspekteur der Luftwaffe ermächtigen kann, die fraglichen "Maßnahmen … anzuordnen" (§ 15 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG). Der zwischenzeitlich für nichtig erklärte § 14 Abs. 3 LuftSiG bestimmte, unter welchen Voraussetzungen die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt "zulässig" sein sollte. Auch § 21 LuftSiG, der mit Blick auf das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich festhält, dass - unter anderem - das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit "nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt" wird, spricht für eine unmittelbar eingriffsermächtigende Bedeutung der Regelungen zum Streitkräfteeinsatz.

21

bb) Die Gesetzgebungsgeschichte ergibt keine Anhaltspunkte, die diesen Befund in Frage stellen, sondern bestätigt, dass nicht etwa nur die Bereitstellung von Ressourcen für allein auf landesrechtlicher Grundlage wahrzunehmende Aufgaben der Gefahrenabwehr geregelt, sondern unmittelbares Eingriffsrecht geschaffen werden sollte. So heißt es in der Begründung des Regierungsentwurfs, jenseits des von den Gefahrenabwehrbehörden der Länder Bewältigbaren sollten die Streitkräfte "ihre Maßnahmen" treffen (vgl. BTDrucks 15/2361, S. 20). § 14 LuftSiG regele "die Zwangsmittel der Streitkräfte, die ihnen zur Unterstützung der Polizei zur Verfügung stehen", und Absatz 3 verleihe "die Befugnis, unmittelbar mit Waffengewalt auf Luftfahrzeuge einzuwirken" (a.a.O., S. 21). In Bundesrat und Bundestag wurden die im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen zum Streitkräfteeinsatz dementsprechend als "Befugnisnormen" verstanden, die zu Maßnahmen der Gefahrenabwehr "aus eigenem Recht" ermächtigen sollten (vgl. aus dem Bundesrat die Niederschrift der 812. Sitzung des Ausschusses für Innere Angelegenheiten des Bundesrates, vom 4. Dezember 2003 - In 0141 (812) - Nr. 52/03 -, S. 37 f.; aus dem Bundestag s. die hinsichtlich der Auslegung als eingriffsermächtigende Befugnisnormen unwidersprochenen Redebeiträge der Abgeordneten Bosbach, BTPlProt 15/89, S. 7884, und Binninger, a.a.O., S. 7891). Nach den Worten des damaligen Bundesinnenministers Schily sollte das Gesetz "Luftsicherheit aus einer Hand" und damit "Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, zumal für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr", gewährleisten (BTPlProt 15/89, S. 7881 f.). Auch damit war vorausgesetzt, dass die §§ 13 ff. LuftSiG nicht bloß innerföderale Bereitstellungsvorgänge regeln, sondern zugleich außenwirksame Eingriffsermächtigungen enthalten.

22

3. Da der Bund demnach gemäß Art. 73 Nr. 6 GG a.F. regelungszuständig war, bedarf keiner Entscheidung, ob darüber hinaus Art. 73 Nr. 1 GG a.F., der im Regierungsentwurf des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben als Kompetenzgrundlage für die §§ 13 ff. LuftSiG in Anspruch genommen wurde (BTDrucks 15/2361, S. 14), eine Gesetzgebungszuständigkeit für diese Bestimmungen kraft Sachzusammenhangs ihres Regelungsgegenstandes mit dem Verteidigungswesen begründete.

II.

23

Zur zweiten Vorlagefrage:

24

Art. 35 Abs. 2Satz 2 und Abs. 3 GG schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei Einsätzen der Streitkräfte nach diesen Bestimmungen nicht grundsätzlich aus, lassen Einsätze aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die insbesondere sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die nach Art. 87a Abs. 4 GG einem Einsatz der Streitkräfte zum Kampf in inneren Auseinandersetzungen gesetzt sind.

25

1. Außer zur Verteidigung dürfen nach Art. 87a Abs. 2 GG die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Die begrenzende Funktion dieser Regelung ist durch strikte Texttreue bei der Auslegung der grundgesetzlichen Bestimmungen über den Einsatz der Streitkräfte im Innern zu wahren (vgl. BVerfGE 90, 286 <356 f.>; 115, 118 <142>; BVerwGE 127, 1 <12 f.>).

26

Die Verfassung begrenzt einen Streitkräfteeinsatz im Inneren in bewusster Entscheidung auf äußerste Ausnahmefälle. Soweit es um den Schutz vor Straftätern und Gegnern der freiheitlichen Ordnung geht, stellt deshalb Art. 87a Abs. 4 GG für einen Einsatz der Streitkräfte strenge Anforderungen, die selbst im Fall des inneren Notstands gemäß Art. 91 GG noch nicht automatisch erreicht sind. Im Unterschied dazu erlauben Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Streitkräfteeinsatz zur Unterstützung der Polizeikräfte bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders schweren Unglücksfall. Auch damit bindet die Verfassung den Einsatz der Streitkräfte an Anforderungen, die nicht immer schon dann erfüllt sind, wenn die Polizei durch das allgemeine Ziel der Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung überfordert ist; dies zeigt sich bereits darin, dass in Fällen von besonderer Bedeutung gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich nur Unterstützung durch Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes angefordert werden kann.

27

Nicht zuletzt um diesen differenzierten und restriktiven Regelungen der Verfassung Rechnung zu tragen, sah der Erste Senat den Streitkräfteeinsatz im Rahmen des Art. 35 GG auf Mittel begrenzt, die nach dem Gefahrenabwehrrecht des Einsatzlandes der Polizei zur Verfügung stehen oder verfügbar gemacht werden dürfen. Hieran hält das Plenum nicht fest (2.). Die von der Verfassung gewollten engen Grenzen für einen Streitkräfteeinsatz im Inneren ergeben sich aus anderen Kriterien (3.).

28

2. Eine Beschränkung des Streitkräfteeinsatzes auf diejenigen Mittel, die nach dem Gefahrenabwehrrecht des Einsatzlandes der Polizei zur Verfügung stehen oder verfügbar gemacht werden dürften, ist durch den Wortlaut des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG und die Systematik des Grundgesetzes nicht zwingend vorgegeben; der Regelungszweck spricht eher gegen eine solche Beschränkung (a). Auch eine Gesamtbetrachtung der Gesetzesmaterialien zwingt nicht zu der Annahme, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber eine derartige Beschränkung beabsichtigt hat (b).

29

a) Nach Art. 35 GG kann unter den jeweils näher bezeichneten Voraussetzungen im regionalen Katastrophennotstand ein Land "Kräfte und Einrichtungen... der Streitkräfte" anfordern (Abs. 2 Satz 2) und im überregionalen Katastrophennotstand die Bundesregierung "Einheiten ... der Streitkräfte" einsetzen (Abs. 3 Satz 1). Eine Beschränkung der damit zugelassenen Einsätze auf die Verwendung polizeilicher Einsatzmittel muss dem Wortlaut der Bestimmungen nicht entnommen werden. Sie ergibt sich insbesondere nicht zwingend daraus, dass Art. 35 GG den Einsatz der Streitkräfte nur zur "Unterstützung der Polizeikräfte" (Abs. 3 Satz 1) beziehungsweise zur polizeiunterstützenden "Hilfe" (Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1) vorsieht. Mit welchen Mitteln die Hilfe oder Unterstützung geleistet werden darf, ist damit noch nicht festgelegt.

30

Systematische Erwägungen sprechen dafür, dass aus der von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG vorgegebenen unterstützenden Funktion der Streitkräfte keine Beschränkung auf die aktuell oder potentiell polizeirechtlich zulässigen Einsatzmittel folgt. Denn auch Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG lässt für den dort umschriebenen Fall des inneren Notstandes einen Einsatz der Streitkräfte nur "zur Unterstützung" der Landes- und der Bundespolizei zu, beschränkt damit aber anerkanntermaßen den dort geregelten Einsatz, jedenfalls soweit es um die Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer geht, nicht von vornherein auf die Mittel, die den unterstützten Polizeien zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 115, 118 <148>; BTDrucks V/2873, S. 2, 14; Hase, in: AK-GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2001, Art. 87a Abs. 4 Rn. 5; Depenheuer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87a Rn. 169, 177 (Stand 10/2008); Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Abs. 4 Rn. 165; Kokott, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 87a Rn. 68; Keidel, Polizei und Polizeigewalt im Notstandsfall, 1971, S. 195 f., 197; Karpinski, Öffentlich-rechtliche Grundsätze für den Einsatz der Streitkräfte im Staatsnotstand, 1974, S. 76; Baldus, NVwZ 2004, S. 1278 <1280>; Linke, AöR 129 <2004>, S. 489>). Die Identität der Formulierungen deutet trotz der unterschiedlichen Zusammenhänge, in denen sie verwendet werden, darauf hin, dass ihnen keine unterschiedliche Bedeutung zukommen sollte, zumal die Bestimmungen im Gesetzgebungsverfahren durch Aufspaltung einer ursprünglich einheitlichen Regelung entstanden sind und daher nicht davon auszugehen ist, dass dem Gesetzgeber die Übereinstimmung des Wortlauts nicht vor Augen stand.

31

Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Zulassung des Streitkräfteeinsatzes in den erfassten Katastrophenfällen eine wirksame Gefahrenabwehr ermöglichen soll. Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unterstreicht dies mit der Bezugnahme auf das zur "wirksamen Bekämpfung" Erforderliche. Daher sprechen nach Auffassung des Plenums die besseren Gründe für eine Auslegung, die unter den engen Voraussetzungen, unter denen ein Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 GG überhaupt in Betracht kommt (s.u. 3.), die Verwendung ihrer spezifischen Mittel nicht generell ausschließt.

32

b) Die Entstehungsgeschichte steht dem nicht entgegen. Dem verfassungsändernden Gesetzgeber stand allerdings als typischer Anwendungsfall der Verfassungsbestimmungen zum Katastrophennotstand nicht ein Einsatzfall wie der in § 13 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 LuftSiG geregelte, sondern vor allem die Erfahrung der norddeutschen Flutkatastrophe des Jahres 1962 vor Augen (vgl. BVerfGE 115, 118 <148, m.w.N.>). Auch wenn dieses Ereignis die Vorstellung der am Gesetzgebungsprozess Beteiligten von den Erfordernissen eines Streitkräfteeinsatzes in einer begrenzenden Weise geprägt haben mag, schließt das nicht aus, Art. 35 Abs. 2 und 3 GG auch auf andersartige von Wortlaut und Systematik der Vorschrift erfasste Bedrohungslagen anzuwenden, und zwingt nicht zu einer angesichts heutiger Bedrohungslagen nicht mehr zweckgerechten Auslegung des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG.

33

Die Gesetzesmaterialien geben zur Frage der zulässigen Einsatzmittel keine eindeutigen Aufschlüsse. Zwar ist der Gesetzgebungsgeschichte zu entnehmen, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber die Regelung des Katastrophennotstandes bewusst aus der Regelung des inneren Notstandes herausgelöst hat, um die Bekämpfung des Katastrophennotstandes von der des inneren Notstands deutlicher abzuheben. Auch finden sich Anhaltspunkte dafür, dass einzelnen am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten für den Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 GG, sei es generell oder für den Fall des regionalen Katastrophennotstandes nach Absatz 2, eine Beschränkung der zulässigen Einsatzmittel durch das Polizeirecht des Einsatzlandes vorschwebte. Insgesamt ergibt sich jedoch kein klares Bild, das die Annahme eines insoweit bestimmten Willens des verfassungsändernden Gesetzgebers stützen könnte.

34

aa) Nach dem Bericht des Rechtsausschusses, auf den die Gesetz gewordene Fassung der hier zu betrachtenden Grundgesetzbestimmungen zurückgeht, sollte mit dessen Vorschlägen zur Regelung des inneren Notstandes "die Schwelle für den Einsatz der Streitkräfte als bewaffnete Macht angehoben" und der bewaffnete Einsatz der Bundeswehr nur zugelassen werden, "wenn dies zur Bekämpfung militärisch bewaffneter Aufständischer erforderlich" sei (BTDrucks V/2873, S. 2 , 14 ; vgl. auch Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. Februar 1968, S. 10; Lenz, Notstandsverfassung des Grundgesetzes, 1971, Art. 35 Rn. 2). Diese Äußerung muss nicht dahin verstanden werden, dass sie über die Konstellation des inneren Notstandes hinaus auch auf die des Katastrophennotstandes zielt, und zwingt daher nicht zu der Annahme, dass für den Fall des Katastrophennotstandes ein bewaffneter Einsatz der Streitkräfte prinzipiell ausgeschlossen werden sollte.

35

Die Erläuterungen zum vorgeschlagenen Art. 35 GG behandeln die Frage der einsetzbaren Mittel nicht. Zu Art. 35 Abs. 2 GG wird zwar unter anderem ausgeführt, dass die zur Verfügung gestellten Kräfte anderer Länder und des Bundes den Normen des im Einsatzland geltenden Landespolizeirechts unterstehen sollen (vgl. BTDrucks V/2873, S. 10); zu Art. 35 Abs. 3 GG findet sich dagegen keine entsprechende Erläuterung. Aus der Berichtsbegründung zu Art. 87a Abs. 4 GG geht hervor, dass der Ausschuss nach dem Ergebnis der durchgeführten Anhörungen die im Regierungsentwurf vorgesehene Formulierung, wonach die Streitkräfte "als Polizeikräfte" einsetzbar sein sollten, für zu eng befunden hatte, da eine Beschränkung etwa auf den Einsatz nichtmilitärischer Waffen nicht sachgerecht sei. Der Ausschuss schlug daher stattdessen vor, dass die Streitkräfte nur "zur Unterstützung der Polizei" eingesetzt werden dürften (a.a.O., S. 14). Dem folgte der verfassungsändernde Gesetzgeber. Die gleiche Abkehr von der ursprünglich vorgesehenen Formulierung ist aber auch in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG erfolgt. Dieser gesetzgeberischen Entscheidung muss eine Bedeutung für die Auslegung des Art. 35 GG nicht deshalb abgesprochen werden, weil erst der Rechtsausschuss des Bundestages (vgl. BTDrucks V/2873) vorgeschlagen hat, die nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BTDrucks V/1879) in Art. 91 GG angesiedelte Regelung des Streitkräfteeinsatzes bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen aus dem Zusammenhang der Bestimmungen zum inneren Notstand zu lösen und in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG zu regeln. Umgekehrt lässt sich auch argumentieren, dass gerade diese Herauslösung aus dem ursprünglich vorgesehenen einheitlichen Regelungszusammenhang es nahegelegt hätte, für den Fall des nunmehr gesondert in Art. 35 GG geregelten Katastrophennotstandes einem etwaigen Willen, die Art und Weise des zulässigen Einsatzes enger zu bestimmen als für den Fall des inneren Notstandes, durch entsprechend unterschiedliche Formulierung der jeweiligen Regelungen Ausdruck zu geben.

36

Das Protokoll der Anhörung zum Thema "Der innere Notstand und der Katastrophennotstand", auf die ausweislich des Berichts des Rechtsausschusses (vgl. BTDrucks V/2873,S. 14) dessen Vorschlag zurückgeht, die Worte "als Polizeikräfte" durch die Gesetz gewordenen Formulierungen zu ersetzen, zeigt zudem, dass sowohl bei den angehörten Sachverständigen als auch auf Seiten der Abgeordneten, die sich an der Aussprache beteiligten, in der Frage der Zulässigkeit des Einsatzes militärischer Waffen unterschiedliche und häufig - unter anderem hinsichtlich des Zusammenhangs mit der Frage der maßgebenden einfachrechtlichen Eingriffsgrundlagen - auch unklare Auffassungen bestanden (vgl. Protokoll der 3. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses am 30. November 1967, Nr. 59, Nr. 75).

37

So wiesen etwa der schleswig-holsteinische Innenminister Dr. Schlegelberger und der hamburgische Innensenator Ruhnau unwidersprochen auf die Funktion des Streitkräfteeinsatzes hin, Einsatzmittel bereitzustellen, über die die Polizei nicht verfüge (a.a.O., S. 3, 6, 12), vertraten aber - im Zusammenhang mit Einsätzen im Fall des inneren Notstandes - zugleich die Auffassung, dass Einsätze sich auf der Grundlage "des Polizeirechts mit polizeilichen Mitteln" beziehungsweise "nach den Einsatzprinzipien und mit den Einsatzmitteln der Polizei" vollziehen müssten (a.a.O., S. 4, 6, 12). Dabei wurde zudem nicht deutlich, ob allein an das Landespolizeirecht (vgl. Ruhnau, a.a.O., S. 14) als Rechtsgrundlage gedacht war oder auch an Bundesrecht, das in verschiedenen Diskussionsbeiträgen als anwendbar vorausgesetzt wurde (vgl. zum UZwG des Bundes Ruhnau u.a., a.a.O., S. 7, 58; für den Fall überregionaler Einsätze auch S. 14). Verschiedene Äußerungen deuten darauf hin, dass man sich einen Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand vor allem in der Form des Objektschutzes und der Abwehr von Plünderungen vorstellte (a.a.O., S. 5, 27, 28, 57 f., 71). Zur Sprache kam anderseits aber auch der Fall der Sprengung eines Hauses oder einer Brücke (a.a.O., S. 63).

38

In der Zweiten Beratung des Gesetzentwurfs, der neben dem Gesetzentwurf der Bundesregierung der Bericht des Rechtsausschusses (BTDrucks V/2873) zugrunde lag, fielen nur vereinzelt Äußerungen, die einen Bezug zum Inhalt der beschlossenen Regelungen in der Frage des bei Einsätzen der Streitkräfte anwendbaren Rechts oder unmittelbar in der Frage der bei solchen Einsätzen anwendbaren Mittel aufweisen. Auch diese Äußerungen sind nicht eindeutig und weisen, sofern sie überhaupt bestimmte Vorstellungen vom Inhalt der beschlossenen Regelungen zum Ausdruck bringen sollten, in unterschiedliche Richtungen (BTPlProt 5/174, S. 9313 f.; 5/175, S. 9437, 9452).

39

bb) Aus der Gesetzgebungsgeschichte wird danach weder ein eindeutiger Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers hinsichtlich der in den Fällen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einsetzbaren Mittel noch eine klare Konzeption in der Frage des anwendbaren Rechts erkennbar. Angesichts dieses Befundes ist es nicht zwingend, im Rahmen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einen nach textlicher, systematischer und teleologischer Auslegung nicht ausgeschlossenen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Mitteln - der, soweit es um die Abwehr von Gefahren durch ein als Angriffsmittel genutztes Luftfahrzeug geht, nur auf bundesrechtlicher Eingriffsgrundlage in Betracht kommt - allein deshalb für unzulässig zu halten, weil die konkreten Gefahrenfälle, die ihn erforderlich machen könnten, dem historischen verfassungsändernden Gesetzgeber noch nicht gegenwärtig waren.

40

3. Der Einsatz der Streitkräfte als solcher wie auch der Einsatz spezifisch militärischer Kampfmittel kommt allerdings nur unter engen Voraussetzungen in Betracht.

41

Bei der Auslegung und Anwendung der Voraussetzungen, unter denen Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte erlaubt, sind der Zweck des Art. 87a Abs. 2 GG und das Verhältnis der den Katastrophennotstand betreffenden Bestimmungen zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Einsatz der Streitkräfte im inneren Notstand (Art. 87a Abs. 4 GG) zu berücksichtigen. Art. 87a Abs. 2 GG zielt darauf, die Möglichkeiten für einen Einsatz der Streitkräfte im Innern zu begrenzen (vgl. BVerfGE 115, 118 <142>). Art. 87a Abs. 4 GG unterwirft auf dem Hintergrund historischer Erfahrungen (vgl. Wieland, in: Fleck, Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, S. 167 <169 ff.>, m.w.N.) den Einsatz der Streitkräfte zur Bewältigung innerer Auseinandersetzungen besonders strengen Beschränkungen. Diese Beschränkungen dürfen nicht dadurch umgangen werden, dass der Einsatz statt auf der Grundlage des Art. 87a Abs. 4 GG auf der des Art. 35 Abs. 2 oder 3 GG erfolgt. Das gilt erst recht für die Verwendung spezifisch militärischer Kampfmittel im Rahmen eines solchen Einsatzes.

42

a) Enge Grenzen sind dem Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand auf diesem Hintergrund durch das in Art. 35 Abs. 2 Satz 2GG ausdrücklich genannte und von Art. 35 Abs. 3Satz 1 GG in Bezug genommene Tatbestandsmerkmal des besonders schweren Unglücksfalls gesetzt.

43

aa) Die genannten Bestimmungen unterscheiden Naturkatastrophen und besonders schwere Unglücksfälle. Beide Ereignisarten wurden bereits im Gesetzgebungsverfahren unter dem Begriff der Katastrophe zusammengefasst (vgl. die Anhörung des Rechts- und des Innenausschusses zum Thema "Der innere Notstand und der Katastrophennotstand", Protokoll der 3. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses am 30. November 1967, Nr. 59, Nr. 75). Hieraus wie auch aus der normativen Parallelisierung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG wird deutlich, dass der hier verwendete Begriff des besonders schweren Unglücksfalls nur Ereignisse von katastrophischen Dimensionen erfasst (vgl. BVerfGE 115, 118 <143>). Insbesondere stellt nicht jede Gefahrensituation, die ein Land mittels seiner Polizei nicht zu beherrschen imstande ist, allein schon aus diesem Grund einen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG dar, der den Streitkräfteeinsatz erlaubte (vgl. Krings/Burkiczak, NWVBl 2004, S. 249 <252>). Besonders schwere Unglücksfälle sind vielmehr ungewöhnliche Ausnahmesituationen. Eine Betrauung der Streitkräfte mit Aufgaben der Gefahrenabwehr, die über die Bewältigung solcher Sondersituationen hinausgehen, kann daher nicht auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG gestützt werden.

44

bb) Die Voraussetzungen des besonders schweren Unglücksfalls gemäß Art. 35 Abs. 2 und 3 GG bestimmen sich zugleich in Abgrenzung zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Einsatz der Streitkräfte im inneren Notstand (Art. 87a Abs. 4 GG i.V.m. Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG).

45

(1) Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG regelt den Einsatz der Streitkräfte zur Abwehr von Gefahren für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, die das Land, in dem die Gefahr droht, zu bekämpfen selbst nicht in der Lage oder nicht bereit ist. Dabei erlaubt Art. 87a Abs. 4 GG den Einsatz der Streitkräfte insbesondere zur Unterstützung der Polizei bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer. Die Regelung der Abwehr innerer Unruhen, die von nichtstaatlichen Angreifern ausgehen, hat damit ihren Platz in Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 GG gefunden (vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 35 Rn. 15; Wolff, ThürVBl 2003, S. 176 <177>). Insoweit entfaltet daher diese Vorschrift grundsätzlich eine Sperrwirkung für den Einsatz der Streitkräfte nach anderen Bestimmungen (vgl. auch Fiebig, Der Einsatz der Bundeswehr im Innern, 2004, S. 326; Fischer, JZ 2004, S. 376 <381>; Sattler, NVwZ 2004, S. 1286 <1290>).

46

(2) Der Annahme eines besonders schweren Unglücksfalls steht bei einem Ereignis von katastrophischem Ausmaß nicht entgegen, dass es absichtlich herbeigeführt ist (vgl. BVerfGE 115, 118 <143 f.>). Angesichts der in Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 GG getroffenen Regelung der militärischen Bekämpfung nichtstaatlicher Gegner können die Streitkräfte auf der Grundlage von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG jedoch zur Bekämpfung eines Angreifers nur in Ausnahmesituationen eingesetzt werden, die nicht von der in Art. 87a Abs. 4 GG geregelten Art sind. So stellen namentlich Gefahren für Menschen und Sachen, die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen, keinen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 GG dar, der es rechtfertigen könnte, Streitkräfte auf der Grundlage dieser Bestimmung einzusetzen. Denn nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG dürfen selbst zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer Streitkräfte auch dann, wenn das betreffende Land zur Bekämpfung der Gefahr nicht bereit oder in der Lage ist (Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG i.V.m. Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG), nur unter der Voraussetzung eingesetzt werden, dass Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes besteht (vgl. Arndt, DVBl 1968, S. 729 <731 f.>).

47

cc) Der Unglücksfall muss, wie im Wortlaut des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 deutlich zum Ausdruck kommt, bereits vorliegen, damit zu seiner Bekämpfung oder zur Bekämpfung seiner Schadensfolgen Streitkräfte eingesetzt werden dürfen. Das bedeutet nicht, dass auch Schäden notwendigerweise bereits eingetreten sein müssen (vgl. BVerfGE 115, 118 <144 f.>). Von einem Unglücksfall kann auch dann gesprochen werden, wenn zwar die zu erwartenden Schäden noch nicht eingetreten sind, der Unglücksverlauf aber bereits begonnen hat und der Eintritt katastrophaler Schäden unmittelbar droht. Ist die Katastrophe bereits in Gang gesetzt und kann sie nur noch durch den Einsatz der Streitkräfte unterbrochen werden, muss nicht abgewartet werden, bis der Schaden sich realisiert hat. Der Schadenseintritt muss jedoch unmittelbar bevorstehen. Dies ist der Fall, wenn der katastrophale Schaden, sofern ihm nicht rechtzeitig entgegengewirkt wird, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze eintreten wird (vgl. BVerfGE 115, 118 <145>). Ein ins Vorfeld des Katastrophengeschehens verlagerter Einsatz der Streitkräfte ist unzulässig.

48

b) Der Einsatz der Streitkräfte wie der Einsatz spezifisch militärischer Abwehrmittel ist zudem auch in einer solchen Gefahrenlage nur als ultima ratio zulässig. Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG sieht für den Fall des überregionalen Katastrophennotstandes ausdrücklich vor, dass die Streitkräfte nur eingesetzt werden dürfen, soweit es zur wirksamen Bekämpfung der durch eine Naturkatastrophe oder einen besonders schweren Unglücksfall veranlassten Gefahr erforderlich ist. Die Erforderlichkeitsklausel des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG zielt auf die Subsidiarität der Bundesintervention im Verhältnis zu den Ländern (vgl. Magen, in: Umbach/Clemens, GG, Bd. I, 1. Aufl. 2002, Art. 35 Rn. 37; Bauer, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 32; v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Bd. 2, Art. 35 Rn. 79; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 53; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 35 Rn. 29). Im Übrigen entspricht die strenge Beschränkung auf das Erforderliche - sowohl was das Ob als auch was das Wie, einschließlich der konkreten Einsatzmittel, angeht - für Einsätze nach Absatz 2 Satz 2 wie für Einsätze nach Absatz 3 Satz 1 des Art. 35 GG dem in Art. 87a Abs. 2 GG zum Ausdruck gebrachten Willen des Verfassungsgebers zur engen Begrenzung des zulässigen Streitkräfteeinsatzes im Innern (vgl. Knödler, BayVBl 2002, S. 107 <108>).

49

c) Im Ergebnis sieht Art. 35 GG differenzierte Möglichkeiten einer Verwendung der Streitkräfte zur Gewährleistung der Luftsicherheit vor.

50

aa) Aus Art. 87a Abs. 2 GG ergeben sich Grenzen hinsichtlich der Abwehr von Gefahren, die von einem als Angriffsmittel genutzten Flugzeug ausgehen, nur, soweit es sich um einen Einsatz handelt. Deshalb sind Maßnahmen der Streitkräfte in einer den Verursachern gegenüber rein unterstützenden und solche Unterstützung vorbereitenden Funktion - etwa zur Hilfe bei technisch oder durch gesundheitliche Probleme eines Piloten bedingten Orientierungsschwierigkeiten und zur Aufklärung, ob solche Hilfe benötigt wird - nicht ausgeschlossen. Art. 87a Abs. 2 GG bindet nicht jede Nutzung personeller und sächlicher Ressourcen der Streitkräfte an eine ausdrückliche grundgesetzliche Zulassung, sondern nur ihre Verwendung als Mittel der vollziehenden Gewalt in einem Eingriffszusammenhang (vgl. BTDrucks V/2873, S. 13; BVerwGE 132, 110 <119>; Brenneisen, in: ders./Staack/Kischewski, 60 Jahre Grundgesetz, 2010, S. 485 <488>; Wolff, in: Weingärtner, Die Bundeswehr als Armee im Einsatz, 2010, S. 171 <177>). Dementsprechend kann auf Luftzwischenfälle in rein technisch-unterstützender Funktion reagiert werden. Dies verbleibt im Rahmen des Art. 35 Abs. 1 GG und ist daher von den Beschränkungen, die für einen Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG gelten, nicht betroffen. Allerdings liegt eine Verwendung in einem Eingriffszusammenhang nicht erst bei einem konkreten Vorgehen mit Zwang, sondern bereits dann vor, wenn personelle oder sachliche Mittel der Streitkräfte in ihrem Droh- oder Einschüchterungspotential genutzt werden (vgl. BVerwGE 132, 110 <119 f.>; Fehn/Brauns, Bundeswehr und innere Sicherheit, 2003, S. 38 f.; Senger, Streitkräfte und materielles Polizeirecht, 2011, S. 79 ff. <80>).

51

bb) Eine umfassende Gefahrenabwehr für den Luftraum mittels der Streitkräfte kann auf Art. 35 Abs. 2 und 3 GG nicht gestützt werden. Insbesondere berechtigt nicht jeder Luftzwischenfall, zu dessen Bewältigung eine technische Unterstützung nicht ausreicht, automatisch zum Einsatz der Streitkräfte. De constitutione lata ist der Einsatz der Streitkräfte nur bei besonders gravierenden Luftzwischenfällen zulässig, die den qualifizierten Anforderungen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG genügen.

III.

52

Zur dritten Vorlagefrage:

53

Der Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG ist, auch in Eilfällen, allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässig.

54

1. Das Grundgesetz unterscheidet systematisch zwischen Befugnissen und Zuständigkeiten der Bundesregierung und solchen einzelner Bundesminister (s. etwa einerseits Art. 84 Abs. 2, Art. 87a Abs. 4 Satz 1, Art. 91 Abs. 2 Satz 3, Art. 108 Abs. 7 GG, andererseits Art. 65 Satz 2, Art. 65a, Art. 95 Abs. 2, Art. 112 Satz 1 GG). Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG weist die Befugnis, im Fall des überregionalen Katastrophennotstandes Einheiten der Streitkräfte einzusetzen, der Bundesregierung zu. Die Bundesregierung besteht nach Art. 62 GG aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern. Der Einsatz der Streitkräfte im überregionalen Katastrophennotstand setzt danach einen Beschluss der Bundesregierung als Kollegium (vgl. BVerfGE 26, 338 <396>; 91, 148 <166>; 115, 118 <149>) voraus. Es gilt nichts anderes als für den Einsatz der Streitkräfte im Fall des inneren Notstandes, für den Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG ebenfalls die Entscheidungszuständigkeit der Bundesregierung vorsieht und der unstreitig nur aufgrund eines Kabinettsbeschlusses zulässig ist (s. statt vieler Heun, in: Dreier, GG, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 87a Rn. 33; Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Rn. 160; Ruge, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 87a Rn. 8; Hernekamp, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 87a Rn. 37; Denninger, in: Benda/ Maihofer/Vogel, HdVerfR, 2. Aufl. 1994, § 16 Rn. 60).

55

Zu einer Delegation der zugewiesenen Beschlusszuständigkeit auf ein einzelnes Mitglied (vgl. Robbers, in: Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 26. April 2004, ProtokollNr. 15/35, S. 54) ist die Bundesregierung nicht befugt. Staatsorganisationsrechtliche Kompetenzen stehen im Grundsatz nicht zur freien Disposition ihrer Träger (vgl. zum Verhältnis von Bundes- und Länderkompetenzen BVerfGE 1, 14 <35>; 39, 96 <109>; 41, 291 <311>; 63, 1 <39>). Sie sind daher grundsätzlich weder verzichtbar noch beliebig delegierbar. Darin unterscheiden sie sich von subjektiven Rechten, über die der Inhaber im Prinzip verfügen kann.

56

2. Eine Eilkompetenz für ein anderes als das regulär vorgesehene Organ, wie sie in verschiedenen Grundgesetzbestimmungen für den Fall der Gefahr im Verzug vorgesehen ist (Art. 13 Abs. 2, Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 2, 2. Halbsatz GG; vgl. auch Art. 119 Satz 3 GG: Auswechselung des Weisungsadressaten bei Gefahr im Verzug), sieht Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht vor; ermächtigt wird allein die Bundesregierung. Danach besteht eine Delegationsbefugnis der Bundesregierung oder eine Befugnis des Gesetzgebers zu abweichender Zuständigkeitsbestimmung auch für Eilfälle nicht (vgl. Bauer, in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 32; v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Bd. 2, Art. 35 Rn. 79; Hömig, in: ders., GG, 9. Aufl. 2010, Art. 35 Rn. 10; Erbguth, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 41; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 8; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 49; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 35 Rn. 29; Martínez Soria, DVBl 2004, S. 597 <603>; v. Danwitz, Rechtsfragen terroristischer Angriffe auf Kernkraftwerke, 2002, S. 56; Arndt, DVBl 1968, S. 729 <732>; Sattler, NVwZ 2004, S. 1286 <1289>; Lepsius, in: Festgabe für Dr. Burkhard Hirsch, 2006, S. 47 <57>).

57

Die Ressortzuständigkeit der Bundesminister (Art. 65 Satz 2 GG) und die Zuweisung der Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte an den Bundesminister der Verteidigung (Art. 65a GG) können eine abweichende Auslegung (vgl. Epping, Schriftliche Stellungnahme im Rahmender öffentlichen Sachverständigenanhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 26. April 2004, ADrs 15(4)102B, S. 8) nicht begründen, weil Art. 35 Abs. 3 Satz 1GG für die Befugnis, über den Einsatz der Streitkräfte im überregionalen Katastrophennotstand zu entscheiden, eine demgegenüber speziellere Regelung trifft.

58

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass das Bundesverfassungsgericht in einzelnen Bereichen Eilzuständigkeiten in Abweichung von einer grundsätzlich gegebenen Parlamentszuständigkeit anerkannt hat (vgl. BVerfGE 90, 286 <388> und BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris, Rn. 109 ff., 113, 150). Dies betraf Bereiche, für die die Entscheidungszuständigkeit im Grundgesetz gerade nicht ausdrücklich geregelt ist. Die Frage, ob und inwieweit Sonderkompetenzen für Eilfälle auch entgegen ausdrücklich - und ohne Ausnahme für den Eilfall -im Grundgesetz getroffenen Zuständigkeitsregelungen anerkennungsfähig sein könnten, ist damit nicht beantwortet.

59

Angesichts der nach Wortlaut und Systematik eindeutigen ausschließlichen Kompetenzzuweisung an die Bundesregierung kann eine abweichende Zuständigkeit nicht aus einem auf wirksame Gefahrenabwehr gerichteten Zweck des Art. 35 Abs. 3 GG (vgl. Franz, Der Staat 45 <2006>, S. 501 <530>; Franz/Günther, VBlBW 2006, S. 340 <343>; Schenke, NJW 2006, S. 736 <737 f.>; Palm, AöR 132 <2007>, S. 95 <104>; Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2007, S. 252) oder aus staatlichen Schutzpflichten (Epping, a.a.O., S. 8) abgeleitet werden. Der Verfassungsgesetzgeber hat Einsätze der Streitkräfte bewusst nur unter engen Voraussetzungen zugelassen. Für die Auslegung der betreffenden Vorschriften, die in einer politisch hochumstrittenen Materie als Ergebnis ausführlicher, kontroverser Diskussionen zustande gekommen sind, gilt das Gebot strikter Texttreue (s.o. unter II.). Jedenfalls deshalb verbietet sich eine auf die Vermeidung von Schutzlücken gerichtete teleologische Verfassungsinterpretation, die vom bewusst und in Übereinstimmung mit der Systematik gewählten ausdrücklichen Wortlaut abweicht. Aus demselben Grund kann - unabhängig von der allgemeineren Frage des möglichen Stellenwerts von Notstandsgesichtspunkten, die in positiven Verfassungsbestimmungen gerade nicht aufgegriffen sind - auch auf ungeschriebene Sonderkompetenzen für Eil- und Notfälle (vgl. Wieland, in: Fleck, Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, S. 167 <179>; Epping, Schriftliche Stellungnahme, a.a.O., S. 8) jedenfalls bei Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht zurückgegriffen werden.

Abw. Meinung

60

Die Entscheidung des Plenums trage ich zur ersten und dritten Vorlagefrage mit, der Beantwortung der zweiten Vorlagefrage stimme ich hingegen nicht zu.

61

Das Bundesverfassungsgericht wird gerne als Ersatzgesetzgeber bezeichnet; mit der nun getroffenen Entscheidung des Plenums läuft das Gericht Gefahr, künftig mit der Rollenzuschreibung als verfassungsändernder Ersatzgesetzgeber konfrontiert zu werden. Denn mit seiner Antwort auf die zweite Vorlagefrage schenkt das Plenum den Vorgaben des eigenen Gerichts zur Verfassungsinterpretation keine ausreichende Beachtung. Es wird weder der Wortlaut der einschlägigen Verfassungsnormen unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte hinreichend gewürdigt (dazu BVerfGE 88, 40 <56>), noch erfolgt eine systematische Auslegung mit Blick auf die Einheit der Verfassung (dazu BVerfGE 55, 274 <300>) als "vornehmstes Interpretationsprinzip" (so aber BVerfGE 19, 206 <220>). Im Ergebnis hat die Auslegung der Regelungen zum Katastrophennotstand, die der Plenarbeschluss bei seiner Antwort auf die zweite Vorlagefrage zugrunde legt, die Wirkungen einer Verfassungsänderung. Deshalb folge ich dem Plenarbeschluss insoweit nicht.

I.

62

Das Grundgesetz ist auch eine Absage an den deutschen Militarismus, der Ursache für die unvorstellbaren Schrecken und das millionenfache Sterben in zwei Weltkriegen war. 1949 ist die Bundesrepublik Deutschland als Staat ohne Armee entstanden; schon die Einfügung der Wehrverfassung in das Grundgesetz im Jahr 1956 wird zu Recht "eine Wende in der Entwicklung der Bundesrepublik" genannt (Hofmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., 2003, Bd. I, § 9 Rn. 51). Dabei wurde durch Art. 143 GG in der Fassung von 1956 klargestellt, dass im Zuge der "Wiederbewaffnung" eine Befugnis zum Einsatz der Streitkräfte im Inneren selbst in Fällen des Notstandes nicht gegeben war (vgl. Meixner, in: Dolzer/Kahl/Waldhoff/Graßhof, BK, Art. 143 Rn. 4 ). Nach diesem ersten folgte 1968 ein zweiter Schritt im Zuge der Implementierung der Notstandsverfassung in das Grundgesetz. Nun wurde der Einsatz der Streitkräfte auch im Inland zugelassen, allerdings nur in wenigen eng begrenzten Fällen, die zudem in der Verfassung ausdrücklich geregelt sein müssen (Art. 87a Abs. 2 GG). Dies sind der regionale und der überregionale Katastrophennotstand (Art. 35 Abs. 2 und 3 GG), der äußere Notstand (Art. 87a Abs. 3 GG) und der Staatsnotstand als qualifizierter Fall des inneren Notstandes (Art. 87a Abs. 4 GG). Dabei ist mit der Zulässigkeit des Einsatzes der Streitkräfte im Inneren noch keine Aussage über die Mittel getroffen, die hierbei zum Einsatz gelangen können. Vielmehr bleibt - wie vom Ersten Senat im Urteil vom 15. Februar 2006 (BVerfGE 115, 118 <146 ff., 150 f.>) erkannt - ein Einsatz spezifisch militärischer Waffen in Fällen des Katastrophennotstandes auch dann ausgeschlossen, wenn gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 Satz 1 GG die Streitkräfte herangezogen werden dürfen. Bei beiden Verfassungsänderungen hat der Gesetzgeber also nicht aus dem Blick verloren, dass der Einsatz von Streitkräften im Inneren mit besonderen Gefahren für Demokratie und Freiheit verbunden ist und daher ebenso strikter wie klarer Begrenzung bedarf.

63

Auch und gerade seitdem nach der Notstandsgesetzgebung der Einsatz des Militärs im Inneren nicht mehr schlechthin unzulässig ist, bleibt strenge Restriktion geboten. Es ist sicherzustellen, dass die Streitkräfte niemals als innenpolitisches Machtinstrument eingesetzt werden. Abgesehen von dem extremen Ausnahmefall des Staatsnotstandes, in dem nur zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer als letztes Mittel auch Kampfeinsätze der Streitkräfte im Inland zulässig sind (Art. 87a Abs. 4 GG), ist die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit Aufgabe allein der Polizei. Ihre Funktion ist die der Gefahrenabwehr und nur über hierfür geeignete und erforderliche Waffen darf die Polizei verfügen; hingegen sind Kampfeinsätze der Streitkräfte auf die Vernichtung des Gegners gerichtet, was spezifisch militärische Bewaffnung notwendig macht. Beide Aufgaben sind strikt zu trennen. Hiermit zieht unsere Verfassung aus historischen Erfahrungen die gebotenen Konsequenzen und macht den grundsätzlichen Ausschluss der Streitkräfte von bewaffneten Einsätzen im Inland zu einem fundamentalen Prinzip des Staatswesens. Mit anderen Worten: Die Trennung von Militär und Polizei gehört zum genetischen Code dieses Landes (so Heinrich Wefing, in: Zeit-Online vom 14. Januar 2009, http://www.zeit.de/2008/42/Bundeswehr).

64

Wer hieran etwas ändern will, muss sich nicht nur der öffentlichen politischen Debatte stellen, sondern auch die zu einer Verfassungsänderung erforderlichen parlamentarischen Mehrheiten (Art. 79 Abs. 2 GG) für sich gewinnen. Im Anschluss an das Urteil des Ersten Senats war demgemäß eine Änderung des Grundgesetzes beabsichtigt, um den am 11. September 2001 deutlich gewordenen Gefahren des internationalen Terrorismus effektiv begegnen zu können. Das Vorhaben scheiterte, weil sich - trotz der damaligen "großen" Regierungskoalition - für die von der Bundesregierung beabsichtigte Zulassung "militärischer Mittel" generell in "besonders schweren Unglücksfällen" im Bundestag nicht die erforderliche Mehrheit fand und allenfalls eine Begrenzung militärischer Kampfeinsätze zur Abwehr von Angriffen aus der Luft oder von See aus hätte erreicht werden können (vgl. Zeit-Online vom 14. Januar 2009, http://www.zeit.de/online/2008/42/bundeswehr-grundgesetz). Der Plenarbeschluss gibt nun das, was für die Bundesregierung vor drei Jahren gegen einen der Koalitionspartner - und auch gegen die Stimmverhältnisse im Bundesrat - nicht durchsetzbar war. Selbst wenn man es unerträglich empfindet, dass die Streitkräfte hiernach bei terroristischen Angriffen untätig in der Rolle des Zuschauers verharren müssen, ist es nicht Aufgabe und nicht Befugnis des Bundesverfassungsgerichts korrigierend einzuschreiten.

II.

65

Nach meiner Ansicht schließt das Grundgesetz in seiner gegenwärtigen Fassung den Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen sowohl in Fällen des regionalen (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG) wie in Fällen des überregionalen (Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG) Katastrophennotstandes aus; insoweit ist also an der Auffassung des Ersten Senats im Urteil vom 15. Februar 2006 (BVerfGE 115, 118 <146 ff., 150 f.>) festzuhalten. Hierbei kann dahinstehen, ob die Wortlautargumente, die im Urteil des Ersten Senats in den Vordergrund gestellt wurden, den Argumenten des Plenarbeschlusses Stand halten und die ihnen beigelegte tragende Bedeutung weiterhin beanspruchen können. Denn es lässt sich auch mit einer historischen Verfassungsinterpretation, vor allem aber mit einer systematischen Auslegung des Grundgesetzes begründen, dass ein Einsatz der Streitkräfte mit militärischer Bewaffnung in beiden Fällen des Katastrophennotstandes nicht erlaubt und damit aufgrund des Art. 87a Abs. 2 GG von Verfassungs wegen untersagt ist.

66

1. Der Plenarbeschluss will zwar davon ausgehen, dass sich aus den Gesetzgebungsmaterialien "insgesamt kein klares Bild" für einen bestimmten Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers ergebe. Bei vollständiger Ausschöpfung der verfügbaren Quellen und bei Würdigung der dort dokumentierten Erklärungen im Zusammenhang vermag ich diese Einschätzung allerdings nicht zu teilen.

67

a) Unklarheiten können, anders als der Plenarbeschluss ausführt, nicht aus dem Protokoll über die gemeinsame Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses des Bundestages am 30. November 1967 (BTDrucks V/1879 und V/2130) hergeleitet werden. Zwar trifft es zu, dass die dort festgehaltenen Äußerungen der verschiedenen angehörten Sachverständigen unterschiedliche Meinungen zur Zulässigkeit des Einsatzes militärischer Waffen wiedergeben; ferner ist auch zutreffend, dass diese Anhörung Grundlage für den Bericht des Rechtsausschusses wurde, der wiederum Grundlage für den Gesetzesbeschluss des Bundestages zur Verfassungsänderung geworden ist. Es gibt jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, sondern ist schon im Ansatz fernliegend, dass das uneinheitliche Meinungsbild einer Anhörung unverändert in die Beschlussfassung des Rechtsausschusses eingeflossen ist. Das Gegenteil ist richtig. Der Rechtsausschuss musste - jedenfalls mit der Mehrheit der Stimmen seiner Mitglieder - eine klare Entscheidung treffen und hat dies auch getan.

68

Die Auffassung des Rechtsausschusses steht allerdings der Einschätzung des Plenums entgegen und findet in dessen Argumentation keine hinreichende Beachtung: Nachdem die Sachverständigen Kluncker und Kuhlmann in der gemeinsamen Informationssitzung des Innen- und des Rechtsausschusses angeregt hatten, den waffenlosen Einsatz der Bundeswehreinheiten im Katastrophen- und Unglücksfall zum Ausdruck zu bringen (vgl. Protokoll der 3. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses vom 30. November 1967, a.a.O., S. 42, 50), nimmt der schriftliche Bericht des Rechtsausschusses diese Hinweise auf, zieht daher den Einsatz militärisch bewaffneter Streitkräfte überhaupt nur für den Fall des Art. 87a Abs. 4 GG in Betracht und beschränkt ihn zugleich auf den Staatsnotstand als eine besonders gefährdende Situation des inneren Notstandes. Im Bericht des Rechtsausschusses heißt es unmissverständlich (BTDrucks V/2873, S. 2):

69

"Der Hauptunterschied zur Regierungsvorlage liegt darin, dass die Schwelle für den Einsatz der Streitkräfte als bewaffnete Macht angehoben worden ist. Der Rechtsausschuss schlägt vor, den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr nur dann zuzulassen, wenn dies zur Bekämpfung von Gruppen militärisch bewaffneter Aufständischer erforderlich ist (Artikel 87a Abs. 4)."

70

Entgegen der Ansicht des Plenums, das die Bedeutung dieser Äußerung ins Ungewisse stellt ("… muss nicht dahin verstanden werden …"), wird damit ein bewaffneter Einsatz auch in den Fällen des Katastrophennotstandes ausgeschlossen; denn diese Passage findet sich unter der Überschrift "Innerer Notstand" in dem Abschnitt des Berichts, der sich eingehend dazu verhält, dass die zuvor in der Regierungsvorlage zusammenfassend geregelten "Fälle des Inneren Notstandes" nunmehr nach ihrem "sachlichen Inhalt" getrennt in eigenen Vorschriften normiert werden sollen. Da angesichts der Zusammenfassung im Regierungsentwurf seinerzeit in den Begriff des "Inneren Notstandes" auch die Fälle des Katastrophennotstandes einbezogen wurden (vgl. Lenz, Notstandsverfassung des Grundgesetzes - Kommentar, 1971, Art. 35 Rn. 2), war der Ausschluss spezifisch militärischer Waffen ersichtlich auch und gerade für die nun in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG gesondert zu regelnden Einsätze bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen gewollt.

71

b) Dies wird - entgegen der Ansicht des Plenums - durch weitere Quellen bestätigt. Ein anderes Verständnis trifft nicht die historischen Gegebenheiten im Umfeld der Verfassungsänderung des Jahres 1968. Das Plenum lässt völlig außer Acht, dass zur Zeit der Notstandsgesetzgebung eine weitergehende Zulassung des Einsatzes militärisch bewaffneter Einheiten der Streitkräfte im Inneren politisch nicht durchsetzbar gewesen wäre. Seit dem Bundestag im Jahre 1960 ein erster Entwurf vorgelegt worden war, kam es über Jahre hinweg zu grundlegenden politischen Diskussionen in der - angesichts der Erfahrungen mit der deutschen Geschichte - sensibilisierten Öffentlichkeit, die sich im Zuge der abschließenden Beratungen noch erheblich verschärften (vgl. etwa Scheuner, in: Lenz, a.a.O., Einleitung, S. 13). So richtete sich der vor allem von den Gewerkschaften getragene Widerstand gegen die Notstandsverfassung in Sonderheit gegen die zutreffend erkannte Gefahr eines Einsatzes der Streitkräfte als innenpolitisches Machtinstrument gegen die Bevölkerung namentlich bei Arbeitskämpfen (vgl. Hoffmann, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, 1968, S. 87 f.). Als Beispiel für die mit der Notstandsgesetzgebung verknüpften Befürchtungen mag das von Ekkehart Stein und Helmut Ridder schon 1963 verfasste Memorandum der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler "Der permanente Notstand" (abgedruckt in Ridder, Gesammelte Schriften, 2010, S. 563 <566>) dienen, in dem es heißt:

72

"Das Friedensrecht darf nicht vom Kriegsrecht material unterwandert werden, d.h. im Frieden dürfen keine Maßnahmen zugelassen werden, die in einem Krieg zur Bewältigung dieser extremen Gefahrenlage entwickelt wurden und nur im Kriegsfall zu rechtfertigen sind."

73

Vor diesem Hintergrund stellte der Abgeordnete Dr. Lenz (CDU/CSU) als Berichterstatter des Rechtsausschusses bei den abschließenden Beratungen im Bundestag die restriktiven Ziele beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte klar (PlProt 5/174, S. 9311 <9313>):

74

"Es ist nicht wahr, dass durch diese Vorlage der Bürgerkrieg vorbereitet wird. Sowohl bei der Formulierung des staatsbürgerlichen Widerstandsrechts als auch bei der Möglichkeit der Bundesregierung, im äußersten Notfall Truppen gegen militärisch bewaffnete Aufständische einzusetzen, hat der Rechtsausschuss sich bemüht, klarzustellen, dass dies nur die Ultima ratio, das letzte Mittel sein dürfte, wenn alle anderen Mittel versagt haben."

75

2. Diese historisch fundierte Ausgangsprämisse des verfassungsändernden Gesetzgebers findet deutlichen Niederschlag in der Systematik, die das Grundgesetz mit der Implementierung der "Notstandsverfassung" durch das 17. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl I S. 709) erfahren hat. Der Plenarbeschluss geht hierauf nicht ein.

76

Gerade wegen der starken öffentlichen Kritik, die sich an dem Streitkräfteeinsatz im Fall des inneren Notstandes entzündet hatte, wandte sich der Rechtsausschuss gegen eine zusammenfassende Regelung, wie sie in dem vorangegangenen Regierungsentwurf vorgeschlagen worden war. Die Trennung der - als unproblematisch angesehenen - Regelung des Katastrophennotstandes einerseits von der des inneren Notstandes andererseits erfolgte, um die entstandene Debatte zu entpolitisieren und den Verdacht auszuräumen, dass mit dem Katastrophennotstand auch der innere Notstand bekämpft werden solle (vgl. Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. Februar 1968, dort S. 10). Dies belegt einmal mehr, dass diese beiden Fälle des Streitkräfteeinsatzes im Inneren völlig unterschiedliche, sich nicht überschneidende Anwendungsbereiche haben und deshalb nicht durch die Zulassung spezifisch militärischer Bewaffnung auch in Fällen des Katastrophennotstandes vermengt werden dürfen. Demgemäß führt der Berichterstatter des Rechtsausschusses, der Abgeordnete Dr. Lenz, in dem von ihm 1971 verfassten Kommentar zur Notstandsverfassung bei Art. 35 Abs. 2 GG (a.a.O., Art. 35 Rn. 9) aus:

77

"Die Anforderung geschieht 'zur Hilfe'. Damit ist ein unbewaffneter - dies ist vor allem im Hinblick auf die Streitkräfte von Bedeutung - technischer Hilfseinsatz gemeint."

78

In Einklang damit steht der Hinweis in dem abschließenden Bericht des Rechtsausschusses, dass die im Fall des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG zur Verfügung gestellten Kräfte anderer Länder und des Bundes "den Rechtsnormen des im Einsatzland geltenden Landespolizeirechts" unterstehen (BTDrucks V/2873, S. 10). Zu Art. 35 Abs. 3 GG verweist der Bericht ausdrücklich auf die Ausführungen zu Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG (BTDrucks V/2873, S. 10). Für beide Fälle des Katastrophennotstandes wurden also mit der Maßgeblichkeit des Landespolizeirechts die Voraussetzungen für die Einbindung der Streitkräfte in den zivilen Katastrophenschutz geschaffen und damit nur polizeiliche Maßnahmen, nicht aber militärische Kampfmaßeinsätze ermöglicht (vgl. auch Cl. Arndt, DVBl 1968, S. 729 f.). Auch die im Bericht des Rechtsausschusses im Einzelnen angeführten Beispiele für den Einsatz der Streitkräfte in den Fällen von Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG, nämlich "Absperrungen von gefährdeten Grundstücken und Verkehrsregelungen" (BTDrucks V/2873, S. 10), sprechen deutlich für einen Einsatz der Streitkräfte, der hinsichtlich der einsetzbaren Mittel nicht über die im jeweiligen Landespolizeirecht der Länder vorgesehenen hinausgehen darf. In der Begründung des Rechtsausschusses zu Art. 87a Abs. 4 GG findet sich demgegenüber die Aussage, dass für den dort geregelten Einsatzfall militärische Mittel nicht von vornherein ausgeschlossen werden sollten, wobei konsequenterweise nicht auf die Anwendbarkeit des jeweiligen Landespolizeirechts verwiesen wird (BTDrucks V/2873, S. 14).

79

3. Weiteres kommt hinzu. Im Rahmen der systematischen Auslegung ist auch zu beachten, dass im Fall des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG allein der Bundesregierung eine Initiativbefugnis zusteht, sie demnach - wie auch der Plenarbeschluss in Bestätigung der Rechtsauffassung des Ersten Senats (BVerfGE 115, 118 <149 f.>) zur dritten Vorlagefrage zutreffend erkennt - nur als Kollegialorgan über den Einsatz der Streitkräfte in überregionalen Katastrophen- oder Unglücksfällen zu befinden vermag. Diese Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers für das Initiativrecht nur der Bundesregierung als Kollegialorgan ist auch für die Zulässigkeit eines bewaffneten Einsatzes der Streitkräfte im Inneren von Belang; denn sie gibt auch Aufschluss über den als zulässig angesehenen und der Regelung daher zugrunde gelegten Mitteleinsatz.

80

Entscheidungen eines Gremiums erfordern naturgemäß einen größeren zeitlichen Vorlauf; das Verfahren ist schwerfälliger als das einer ministeriellen Einzelentscheidung und bringt daher schwerwiegende Effektivitätsnachteile mit sich. Diese können bis zur Erfolglosigkeit einer Maßnahme infolge Zeitablaufs reichen, wenn es sich um eine Gefahrenlage handelt, die ein sofortiges Eingreifen zwingend erfordert. Hingegen zeichnen sich die Naturkatastrophen und Unglücksfälle, für die in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG ein Einsatz der Streitkräfte vorgesehen wurde, typischerweise dadurch aus, dass sie einen gewissen, wenn auch eng begrenzten zeitlichen Spielraum lassen. Unglücksfälle treten generell, Naturkatastrophen bisweilen so plötzlich ein, dass nur noch eine Bekämpfung hinsichtlich der Folgen möglich ist, was aufgrund der Notwendigkeit, Einsatzkräfte und Material heranzuführen, ohnehin geraume Zeit in Anspruch nehmen muss. Ansonsten weisen Naturkatastrophen in ihrer Entstehung oder Folgeentwicklung eine zeitliche Streckung zumindest über Stundenzeiträume auf. All diese Umstände erlauben die Befassung eines Kollegialorgans wie der Bundesregierung, ohne hierdurch die Wirksamkeit des Streitkräfteeinsatzes ernsthaft zu gefährden.

81

Hingegen ist ein unausweichlicher Druck zur Entscheidung innerhalb kürzester Frist gerade für solche Gefahren typisch, denen effektiv nur mit dem Einsatz solcher Waffen begegnet werden kann, die in ihrer zerstörenden Wirkung über die polizeirechtlich zulässige Bewaffnung hinausgehen. Spezifische Militärwaffen sind mit ihrer zerstörerischen Kraft auf die Vernichtung des Gegners angelegt. Ist außerhalb einer kriegerischen Auseinandersetzung zur Gefahrenabwehr der Einsatz solcher Vernichtungskraft im Sinne der Verhältnismäßigkeitsmaxime angemessen und insbesondere auch erforderlich, so wird typischerweise - wie eben bei der Entführung von Flugzeugen zum Einsatz als Anschlagswaffe ("Renegade"-Fälle) - ein Verlauf bereits eingeleitet sein, der bei ungehindertem Fortgang in kürzester Zeit den Verlust zahlreicher Menschenleben oder ungeheuere Schäden erwarten lässt und daher nur durch den Einsatz massivster Mittel endgültig gestoppt werden kann. Solche Gefährdungslagen sind also dadurch gekennzeichnet, dass ihrer Beseitigung jede zeitliche Verzögerung abträglich ist. Dann wäre aber die Betrauung eines in der Entscheidungsfindung vergleichsweise schwerfälligen Kollegialorgans mit der Initiativbefugnis zum Einschreiten geradezu dysfunktional und als Zuständigkeitsentscheidung mit Blick auf die vom verfassungsändernden Gesetzgeber angestrebte "wirksame Bekämpfung" fernliegend. Wenn daher - wie in Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG geschehen - der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Bundesregierung einem Kollegialorgan die Zuständigkeit für die Einsatzentscheidung zuweist, kann hieraus nur der Schluss gezogen werden, dass er von vornherein den Einsatz spezifisch militärischer Waffen nicht für erforderlich hielt und damit auch nicht legitimieren wollte.

III.

82

Dem geschilderten Ergebnis einer historischen und systematischen Auslegung des Grundgesetzes entspricht die Rechtsauffassung des Ersten Senats im Urteil vom 15. Februar 2006, wonach "auch im Fall des überregionalen Katastrophennotstandes ein Einsatz der Streitkräfte mit typisch militärischen Waffen von Verfassungs wegen nicht erlaubt ist" (BVerfGE 115, 118 <150>). Ihm ließe sich aber auch noch dadurch Rechnung tragen, dass die im Plenarbeschluss dargestellte "Sperrwirkung" des Art. 87a Abs. 4 GG als unüberwindliche Schranke des Einsatzes militärischer Waffen im Inland strikt eingehalten wird. Damit wäre der Einsatz militärspezifischer Waffen in Katastrophenfällen namentlich gegen Sachen - wie etwa bei dem gängigen Beispiel des Bombardierens von Deichen zur Herbeiführung einer kontrollierten Überflutung - zu rechtfertigen. Das Plenum will diesen Weg zwar beschreiten und bringt dies scheinbar auch im Beschlusstenor mit der Antwort auf die zweite Vorlagefrage zum Ausdruck. Allerdings erfährt der Tenor durch die anschließenden Gründe des Beschlusses eine entscheidende Ausdehnung, die als tragende Begründung letztlich für das Verständnis und die Wirkungen der Entscheidung des Plenums maßgeblich ist (vgl. BVerfGE 3, 261 <264>; 36, 342 <359 f.> jeweils zu Art. 100 Abs. 3 GG). Damit macht das Plenum den Ansatz einer "strikten Begrenzung" durch Art. 87a Abs. 4 GG selbst zur Makulatur; denn der "Sperrwirkung" wird nur "grundsätzlich" Geltung beigelegt, was es ermöglicht, Inlandseinsätze der Streitkräfte mit militärischer Bewaffnung auch dann zuzulassen, wenn es gilt, einem "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze" eintretenden "katastrophalen Schaden" entgegenzuwirken, der auch durch absichtliches Handeln verursacht sein kann.

83

1. Vieles spricht dafür, dass die Vorstellungen des verfassungsändernden Gesetzgebers bei Regelung des Katastrophennotstandes in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG neben Naturkatastrophen - wie der Hamburger Sturmflut 1962 - nur auf besonders schwere Unglücksfälle im Sinne schicksalhafter, zufälliger Verläufe gerichtet waren (vgl. etwa die Beispiele bei Lenz, a.a.O., Art. 35 Rn. 6 "Explosionsunglück" oder "Kollision von Öltankern in Küstennähe"). Der Erste Senat hat den Begriff des Unglücksfalls jedoch auch für solche Schadensereignisse geöffnet, die "von Dritten absichtlich herbeigeführt werden" (BVerfGE 115, 118 <144>). Erst damit konnte es zu Überschneidungen mit der Regelung des (inneren) Staatsnotstandes in Art. 87a Abs. 4 GG kommen, der unter engen Voraussetzungen einen Waffeneinsatz der Streitkräfte nur gegen organisierte und militärisch bewaffnete Aufständische erlaubt.

84

Will man daher mit dem Ersten Senat den Einsatz militärischer Waffen in den Fällen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG nicht schon generell untersagen, so ist zur Wahrung der in der Verfassung angelegten strikten Trennung zwischen Katastrophennotstand einerseits und innerem Notstand andererseits ein geeignetes Kriterium zu finden, das Umgehungen der streng restriktiven Regelung für Kampfeinsätze in Art. 87a Abs. 4 GG zwingend und effektiv vermeidet. Dazu ist es notwendig, den Zweck der verfassungsrechtlichen Trennung beider Einsätze ernst zu nehmen. Es ging darum, den Katastrophenschutz durch Unterstützung der Streitkräfte zu verbessern, gleichzeitig aber die damit faktisch auch eröffnete Möglichkeit zu verschließen, das Militär als innenpolitisches Machtinstrument zu nutzen (vgl. Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. Februar 1968, dort S. 10). Selbst wenn Gewalttätigkeiten oder Unruhen drohen sollten, die in ihren Folgen das Ausmaß besonders schwerer Unglücksfälle erreichen, dürfen bewaffnete Streitkräfte im Inneren nicht etwa dazu eingesetzt werden, um allein schon durch ihre Präsenz die Bevölkerung etwa bei Demonstrationen einzuschüchtern. Um dieses Ziel zu erreichen, muss Art. 87a Abs. 4 GG eine Sperrwirkung beigelegt werden, die es verhindert, dass bewaffnete Streitkräfte gegen Menschen zum Einsatz kommen, die vorsätzlich die öffentliche Sicherheit gefährden, selbst wenn sie sich absichtlich und in aggressiver Weise gegen den Staat wenden und sich hierbei strafbar machen sollten. Die Bekämpfung solcher Gefährdungen ist selbstverständlich zulässig und geboten, aber sie ist nach dem geltenden Verfassungsrecht in Deutschland eine ausschließlich polizeiliche, nicht jedoch eine militärische Aufgabe. Dies bestätigt die Verfassung selbst durch Art. 91 GG. Denn sogar wenn es zu einer Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kommt, sieht Art. 91 GG für diesen Fall des inneren Notstandes nur den Einsatz von Polizeikräften anderer Länder oder der Bundespolizei vor, nicht aber den Einsatz der Streitkräfte. Deren Heranziehung macht Art. 87a Abs. 4 GG schon für den bloßen Objektschutz vielmehr von weiteren Voraussetzungen abhängig, wobei der Einsatz von Waffen in jedem Fall nur gegen organisierte und militärisch bewaffnete Aufständische zulässig ist (vgl. Lenz, a.a.O., Art. 87a Rn. 18). Mit den Waffen des Militärs dürfen also nur Personengruppen bekämpft werden, die selbst militärisch bewaffnet sind, sich gegen den Staat erhoben haben und über ein System der Einsatzleitung verfügen (vgl. Lenz, a.a.O., Art. 87a Rn. 19).

85

2. Der Plenarbeschluss geht darüber hinaus. Er ist zwar von der redlichen und anerkennenswerten Absicht getragen, den bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren restriktiv zu halten, setzt sich aber über die selbst erkannte Sperrwirkung hinweg und kann daher mit den von ihm entwickelten Kriterien eine Umgehung der engen Voraussetzungen des inneren Notstandes nach Art. 87a Abs. 4 GG durch die weniger strengen Voraussetzungen des Katastrophennotstandes nicht verhindern. Durch den Versuch der weiteren Einhegung des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG durch das Erfordernis eines zwar nicht das "Vorfeld" eines Unglücksfalls erfassenden, gleichwohl aber "unmittelbar bevorstehenden" Schadenseintritts "von katastrophischen Dimensionen" wird die Rechtsanwendung zwar um neue Begrifflichkeiten bereichert, nicht aber um die nötige Klarheit und Berechenbarkeit. Es handelt sich um gänzlich unbestimmte, gerichtlich kaum effektiv kontrollierbare Kategorien, die in der täglichen Anwendungspraxis viel Spielraum für subjektive Einschätzungen, persönliche Bewertungspräferenzen und unsichere, wenn nicht gar voreilige Prognosen lassen. Jedenfalls bei Inlandseinsätzen militärisch bewaffneter Streitkräfte ist das nicht hinnehmbar. Im Schatten eines Arsenals militärischer Waffen kann freie Meinungsäußerung schwerlich gedeihen. Wie ist beispielsweise zu verhindern, dass im Zusammenhang mit regierungskritischen Großdemonstrationen - wie etwa im Juni 2007 aus Anlass des "G8-Gipfels" in Heiligendamm - schon wegen befürchteter Aggressivität einzelner teilnehmender Gruppen "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze" eintretende massive Gewalttätigkeiten mit "katastrophalen Schadensfolgen" angenommen werden und deswegen bewaffnete Einheiten der Bundeswehr aufziehen? Der bloße Hinweis des Plenums, dass Gefahren, die "aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen", nicht genügen sollen, kann in diesen Fällen die selbst definierten Einsatzvoraussetzungen kaum wirksam suspendieren.

86

3. Dass die vom Plenarbeschluss entwickelte Lösung einer überzeugenden dogmatischen Grundlage entbehrt, kommt hinzu. Wie es angesichts der auch im Plenarbeschluss anerkannten Sperrwirkung zulässig sein kann, diese gleichwohl -und sei es auch nur in besonders qualifizierten Unglücksfällen - bei Seite zu schieben und den Einsatz bewaffneter Streitkräfte auch dann zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Art. 87a Abs. 4 GG nicht vorliegen, erschließt sich nicht und wird in der Entscheidung nicht begründet. Eine Begründung lässt sich auch schwerlich finden; denn wenn - bildlich gesprochen - das Öffnen einer Tür verboten ist, dann kann es nicht erlaubt sein, sie auch nur einen Spalt weit zu öffnen.

IV.

87

Letztlich wirft der Plenarbeschluss auch die Frage auf, was durch den nun erweiterten Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Inneren an Vorteilen für den Schutz der Bevölkerung namentlich vor terroristischen Angriffen erreicht werden kann. Die Antwort lautet: wenig bis nichts.

88

1. Angesichts des beim Zweiten Senat anhängigen Normenkontrollverfahrens wird darüber zu befinden sein, welche Vorschriften des Luftsicherheitsgesetzes zur Abwehr besonders schwerer Unglücksfälle durch den Einsatz bewaffneter Einheiten der Streitkräfte verfassungsrechtlichen Bestand haben können. Auf der Grundlage des Plenarbeschlusses mag es de lege lata zulässig sein, dass Kampfflugzeuge unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 LuftSiG "Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben". Die erfolgreiche Gefahrenabwehr durch solche Maßnahmen wird allerdings insbesondere in "Renegade"-Fällen deshalb wenig wahrscheinlich sein, weil Konsequenzen in Form eines Abschusses unzulässig sind, nachdem die - eine "unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt" gestattende - Vorschrift des § 14 Abs. 3 LuftSiG durch das Urteil des Ersten Senats für verfassungswidrig und nichtig erklärt worden ist (BVerfGE 115, 118). De lege ferenda mag ohne Verfassungsänderung eine gesetzliche Neuregelung möglich sein, diese könnte jedoch eine unmittelbare Einwirkung mit militärischer Waffengewalt nur gegen ein unbemanntes Luftfahrzeug erlauben oder ausschließlich gegen die Personen gerichtet sein, die das Luftfahrzeug als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen einsetzen wollen (vgl. BVerfGE 115, 118 <160>). Hingegen kann der deutsche Gesetzgeber den Abschuss solcher Flugzeuge nicht erlauben, in denen sich - wie bei den terroristischen Angriffen am 11. September 2001 - Passagiere und Besatzungsmitglieder befinden, die selbst Opfer der Luftpiraten geworden sind. Insoweit hat auch der Plenarbeschluss nichts daran geändert, dass die den Umständen nach wahrscheinliche Tötung dieser Menschen mit dem Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) in Verbindung mit der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) unvereinbar ist. Es kommt hinzu, dass - auch nach der Auffassung des Plenums - ohne Verfassungsänderung allein die Bundesregierung nach Maßgabe des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG über den Einsatz militärischer Waffen gegen Luftfahrzeuge befinden kann, was angesichts des vergleichsweise kleinen deutschen Luftraums kaum jemals rechtzeitig zu einer Maßnahme nach § 14 Abs. 1 LuftSiG oder - nach gesetzlicher Neuregelung - zu einem eingeschränkt zulässigen Abschuss eines Luftfahrzeugs führen wird. Soll danach der Rahmen, den das materielle Verfassungsrecht für eine effektive Abwehr von Gefahren aus dem Luftraum lässt, genutzt werden, so ist trotz der erweiterten Zulässigkeit von Kampfeinsätzen nach der Entscheidung des Plenums eine Verfassungsänderung gleichwohl unvermeidlich.

89

2. Es lässt sich nicht leugnen und ist positiv zu bewerten, dass die Antwort des Plenums deutlich hinter dem aus der Vorlagefrage ersichtlichen Anliegen des Zweiten Senats zurückbleibt, das auf eine Umgestaltung der Regelungen des Katastrophennotstandes hin zu einer subsidiären allgemeinen Gefahrenabwehr mit militärischen Waffen zielte. Gleichwohl hat das Plenum aber zugunsten eines geringen, praktisch kaum realisierbaren Gewinns an Sicherheit die Zulässigkeit des Einsatzes der Streitkräfte im Inneren mit Hilfe derart unbestimmter Rechtsbegriffe erweitert, dass militärische Einsätze zu innenpolitischen Zwecken nicht ausgeschlossen werden können. Für einen kaum messbaren Nutzen wurden fundamentale Grundsätze aufgegeben. Daher wäre es ein fataler Fehler, sich angesichts der Entscheidung des Plenums damit zu trösten, dass der Berg gekreißt, aber nur eine Maus geboren hat.

(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.

(1a) Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen für die Bundeswehr mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten. Auf die Kreditermächtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 nicht anzuwenden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.

(3) Die Streitkräfte haben im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle die Befugnis, zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen, soweit dies zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrages erforderlich ist. Außerdem kann den Streitkräften im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden; die Streitkräfte wirken dabei mit den zuständigen Behörden zusammen.

(4) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen.

(1) Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe.

(2) Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung seiner Polizei anfordern, wenn die Polizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte. Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern.

(3) Gefährdet die Naturkatastrophe oder der Unglücksfall das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen die Weisung erteilen, Polizeikräfte anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte einsetzen. Maßnahmen der Bundesregierung nach Satz 1 sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben.

(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.

(1a) Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen für die Bundeswehr mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten. Auf die Kreditermächtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 nicht anzuwenden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.

(3) Die Streitkräfte haben im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle die Befugnis, zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen, soweit dies zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrages erforderlich ist. Außerdem kann den Streitkräften im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden; die Streitkräfte wirken dabei mit den zuständigen Behörden zusammen.

(4) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen.

Tenor

1. Die Gesetzgebungszuständigkeit für die §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) ergibt sich aus Artikel 73 Nummer 6 des Grundgesetzes in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 2034) geltenden Fassung.

2. Artikel 35 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 des Grundgesetzes schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei einem Einsatz der Streitkräfte nach diesen Vorschriften nicht grundsätzlich aus, lassen sie aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die einem bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren durch Artikel 87a Absatz 4 GG gesetzt sind.

3. Der Einsatz der Streitkräfte nach Artikel 35 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes ist, auch in Eilfällen, allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässig.

Gründe

A.

I.

1

1. Der Zweite Senat hat mit Beschluss vom 19. Mai 2010 (2 BvF 1/05) gemäß § 48 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts beim Ersten Senat angefragt, ob dieser an den Rechtsauffassungen festhält, wonach

2

1. die Gesetzgebungszuständigkeit für § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (BGBl I S. 78) sich nicht auf Art. 73 Nr. 1 oder Art. 73 Nr. 6 GG, sondern allein auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG stützen lässt (BVerfGE 115, 118<140 f.>),

3

2. Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht zulässt (BVerfGE 115, 118<146 ff., 150 f.>), und

4

3. § 13 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar sind, soweit sie eine Eilkompetenz des Bundesministers der Verteidigung auch für die Fälle des Art. 35 Abs. 3 GG vorsehen (BVerfGE 115, 118<149 f.>).

5

2. Der Anfrage liegt zugrunde, dass der Zweite Senat in einem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle (2 BvF 1/05) auf Antrag der Bayerischen Staatsregierung und der Hessischen Landesregierung darüber zu entscheiden hat, ob § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 LuftSiG, die die Voraussetzungen und Modalitäten eines Einsatzes der Streitkräfte zur Abwehr besonders schwerer von Luftfahrzeugen ausgehender Unglücksfälle regeln, mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Der Normenkontrollantrag betraf ursprünglich die §§ 13 bis 15 LuftSiG. Nachdem § 14 Abs. 3 LuftSiG, der zum Abschuss eines gegen das Leben von Menschen eingesetzten Luftfahrzeugs ermächtigte, durch Urteil des Ersten Senats vom 15. Februar 2006 für nichtig erklärt wurde (BVerfGE 115, 118 <119>), haben die Antragstellerinnen ihren Antrag insoweit für erledigt erklärt. Damit stehen in dem Ausgangsverfahren nur noch § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 LuftSiG zur Prüfung. Der Zweite Senat möchte in diesem Verfahren abweichend von den genannten Rechtsauffassungen entscheiden (§ 16 BVerfGG, § 48 Abs. 2 GOBVerfG).

6

3. Der Erste Senat hat mit Beschluss vom 12. Oktober 2010 erklärt, dass er an seinen Rechtsauffassungen festhält.

7

4. Mit Beschluss vom 3. Mai 2011 hat der Zweite Senat das Plenum angerufen.

8

5. Die Antragstellerinnen des Ausgangsverfahrens, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, das Bundesministerium des Innern und die (weiteren) Landesregierungen erhielten Kenntnis von der Vorlage. Stellungnahmen sind nicht eingegangen.

II.

9

Das Plenum ist zur Entscheidung über die Vorlage berufen.

10

1. Die Anrufung des Plenums (§ 16 BVerfGG) ist geboten, wenn ein Senat von einer Rechtsauffassung des anderen Senatsabweichen möchte, die für die Entscheidung des anderen Senats tragend war (vgl. BVerfGE 4, 27 <28>; 77, 84 <104>; 96, 375 <404>; 112, 1 <23>; 112, 50 <63>). Die Rechtsauffassungen, auf die sich die vorliegende Anfrage bezieht, waren in dem Urteil des Ersten Senats, mit dem über die Gültigkeit der gesetzlichen Ermächtigung des § 14 Abs. 3 LuftSiG entschieden wurde, tragend im für die Anwendung des § 16 BVerfGG maßgebenden Sinne.

11

2. An der tragenden Qualität fehlt es diesen Rechtsauffassungen nicht deshalb, weil § 14 Abs. 3 LuftSiG in dem Urteil nicht allein auf ihrer Grundlage, sondern auch wegen Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1 GG für nichtig erklärt wurde. Tragend sind jedenfalls diejenigen Rechtsauffassungen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele (vgl. BVerfGE 96, 375 <404>). Der Urteilsausspruch des Ersten Senats zu § 14 Abs. 3 LuftSiG lautete, dass die Bestimmung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 87a Abs. 2 und Art. 35 Abs. 2 und 3 sowie in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig sei (BVerfGE 115, 118<119>). Dieses im Urteilstenor ausgesprochene Entscheidungsergebnis hätte nicht dieselbe Gestalt, wenn der Erste Senat sich nicht über seine Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG hinaus auch auf Auslegungen des Art. 35 GG gestützt hätte, auf die sich die vorliegende Anfrage bezieht.

12

Allerdings wäre der Urteilsausspruch unverändert geblieben, wenn der Erste Senat seine Entscheidung allein auf die unter 1. und 2. der Anfrage aufgeführten Rechtsauffassungen gestützt hätte, nicht dagegen auch auf die Annahme, § 13 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG seien mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar, soweit sie eine Eilkompetenz des Bundesministers der Verteidigung auch für die Fälle des Art. 35 Abs. 3 GG vorsehen (Ziff. 3. der Anfrage). Diese letztere Annahme, die allein die Auslegung des Art. 35 Abs. 3 GG betrifft, kann hinweggedacht werden, ohne dass sich daraus Konsequenzen für den Urteilstenor ergäben. Denn dieser wird, soweit er Art. 35 Abs. 3 GG betrifft, zugleich durch die Rechtsauffassung gestützt, dass Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht zulasse (Ziff. 2. der Anfrage).

13

Dennoch ist auch die drittgenannte Rechtsauffassung für das Urteil des Ersten Senats vom 15. Februar 2006 tragend im hier maßgebenden Sinne. Wird das Kriterium, dem zufolge tragend diejenigen Rechtsauffassungen sind, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele, als nicht nur notwendiges, sondern hinreichendes, abschließend definierendes verstanden, so ist allerdings in Fällen, in denen das konkrete Entscheidungsergebnis auf mehrere voneinander unabhängige und jeweils selbständig tragfähige Rechtsauffassungen gestützt ist, keine dieser Rechtsauffassungen, für sich betrachtet, tragend. Ob und inwieweit ein solches Verständnis dem mit § 16 BVerfGG verfolgten Anliegen der Rechtsklarheit und den besonderen Erfordernissen der Kooperation zwischen den beiden Senaten des Bundesverfassungsgerichts im Allgemeinen gerecht wird, bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Jedenfalls wenn ein konkretes Ergebnis der Entscheidung eines Senats - wie im vorliegenden Fall der Tenor des Urteils des Ersten Senats vom 15. Februar 2006, soweit er Art. 35 Abs. 3 GG betrifft - sich auf mehrere selbständig tragfähige Rechtsauffassungen stützt und der andere Senat nicht nur von einer dieser Rechtsauffassungen, sondern von allen abweichen möchte, kann deren tragende Qualität nicht auf der Grundlage einer isolierten Betrachtung jeder einzelnen dieser Rechtsauffassungen nach dem genannten Kriterium verneint werden (vgl. zur Divergenzvorlage im einfachgesetzlichen Prozessrecht BFH, Beschluss vom 22. Juli 1977 - III B 34/74 -, BFHE 123, 112, Leitsatz 4). Eine Betrachtung, die jeder einzelnen der fraglichen Rechtsauffassungen für sich genommen die tragende Qualität mit Blick auf die Tragfähigkeit der jeweils verbleibenden anderen abspricht und so darauf hinausläuft, dass dem gefundenen Entscheidungsergebnis eine tragende Begründung im Ganzen abgesprochen wird, würde es in dieser Konstellation dem abweichungswilligen Senat ermöglichen, von Rechtsauffassungen des anderen Senats, die jedenfalls in der Gesamtbetrachtung tragend sind, insgesamt ohne Anrufung des Plenums abzuweichen. Dies kann schon deshalb nicht richtig sein, weil damit Divergenzen, die nicht einzelne Rechtsauffassungen, sondern Komplexe von selbständig tragfähigen Rechtsauffassungen betreffen, trotz Entscheidungserheblichkeit der Bereinigung durch das Plenum entzogen wären.

B.

I.

14

Zur ersten Vorlagefrage:

15

Die Gesetzgebungszuständigkeit für §13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und §15 LuftSiG ergibt sich nicht aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG, sondern als Annexkompetenz aus Art. 73 Nr. 6 GG in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I S. 2034) geltenden Fassung (Art. 73 Nr. 6 GG a.F.; heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr zuweist. Ob und inwieweit daneben Art. 73 Nr. 1 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG) als Kompetenzgrundlage in Betracht kommt, bleibt offen.

16

1. Art. 35 Abs. 2 und 3 GG bieten für Bundesrecht, das den Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand regelt, keine ausdrückliche Kompetenzgrundlage. Ihrem Wortlaut nach regeln diese Bestimmungen, soweit sie den Einsatz der Streitkräfte betreffen, materielle und prozedurale Voraussetzungen für einen solchen Einsatz. Ungeschriebene Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes in Sachnormen außerhalb des VII. Abschnitts des Grundgesetzes (Art. 70 ff.) aufzusuchen, liegt auch in systematischer Hinsicht und nach dem Schutzzweck der föderalen Zuständigkeitsordnung, die grundsätzlich nicht durch die Normen des materiellen Verfassungsrechts, sondern durch gesonderte, strikt auszulegende (vgl. BVerfGE 12, 205 <228>; 15, 1 <17>) und in ihrer Reichweite von materiellrechtlichen Vorgaben unabhängige Kompetenzvorschriften bestimmt ist, nicht nahe. Gegen eine solche Kompetenzzuschreibung spricht zudem, dass sich aus ihr nur schwer Klarheit über die Rechtsnatur der zugeschriebenen Kompetenz - ausschließlich oder konkurrierend - gewinnen lässt.

17

2 a) Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die §§ 13 ff. LuftSiG folgt aus Art. 73 Nr. 6 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr zuweist. Nach tradierter und im Grundsatz unbestrittener Auffassung steht dem Bund, soweit er für ein bestimmtes Sachgebiet die Gesetzgebungszuständigkeit hat, als Annexkompetenz auch die Gesetzgebungsbefugnis für die damit in einem notwendigen Zusammenhang stehenden Regelungen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in diesem Bereich zu (vgl. BVerfGE 3, 407 <433>; 8, 143, <150>; 78, 374 <386 f.>; 109, 190 <215>).

18

b) Dies gilt auch für das Sachgebiet "Luftverkehr". Die Gesetzgebungszuständigkeit für den Luftverkehr umfasst daher als Annex jedenfalls die Befugnis, Regelungen zur Abwehr solcher Gefahren zu treffen, die gerade aus dem Luftverkehr herrühren (vgl., mit im Einzelnen unterschiedlichen Abgrenzungen, jeweils aber mindestens die eben genannte Regelungskompetenz einschließend, BVerwGE 95, 188 <191>; BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1996 - 1 C 33/94 -, NVwZ-RR 1997, S. 350 <351>; Laschewski, Der Einsatz der deutschen Streitkräfte im Inland, 2005,S. 130; Paulke, Die Abwehr von Terrorgefahren im Luftraum, 2005, S. 24; Burkiczak, NZWehrr2006, S. 89 <95>; Schenke, NJW 2006, S. 736 <737>; Odendahl, Die Verwaltung 38 <2005>, S. 425 <438>; Baldus, NVwZ 2004, S. 1278 <1279 f.>; Gramm, NZWehrr 2003, S. 89 <96>).

19

Allerdings bedarf die Notwendigkeit des Zusammenhangs zwischen einer dem Bund zugewiesenen Regelungskompetenz für ein bestimmtes Sachgebiet und einschlägigen Regelungen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung strenger Prüfung. Dies gilt erst recht, wenn die sachgebietliche Kompetenz zu den ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes, insbesondere also zu den in Art. 73 GG aufgeführten, gehört. Jedenfalls für die Abwehr derjenigen spezifisch aus dem Luftverkehr herrührenden Gefahren, auf die die Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes zielen, ist der erforderliche notwendige Zusammenhang gegeben. Denn bei dezentraler Regelungskompetenz hätten unzureichend abwehrwirksame Regelungen eines einzelnen Landes erhebliche negative Folgen für die Sicherheit, die mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht im Wesentlichen auf das betreffende Land beschränkt wären.

20

aa) Art. 73 Nr. 6 GG a.F. scheidet als Kompetenzgrundlage für die §§ 13 ff. LuftSiG nicht deshalb aus, weil es sich bei diesen Bestimmungen nicht um eigenständiges Gefahrenabwehrrecht des Bundes, sondern allein um Verfahrens- und Mittelbereitstellungsregelungen für den Fall der Unterstützung von Gefahrenabwehrmaßnahmen der Länder handelte (vgl. BVerfGE 115, 118 <141>). Ungeachtet der Frage, ob dies eine Zuordnung zum Gefahrenabwehrrecht ausschlösse, beschränken sich die Vorschriften nicht auf das Vorfeld außenwirksamer Eingriffe. § 13 LuftSiG regelt nicht nur die Voraussetzungen für die unterstützende Bereitstellung von Streitkräften, sondern unmittelbar die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür, dass Streitkräfte, wenn auch in einer unterstützenden Funktion, "eingesetzt werden" können (Abs. 1), sowie die Zuständigkeiten zur Entscheidung über "einen Einsatz" (Abs. 2 und 3) und die normativen Rahmenbedingungen hierfür (Abs. 4: "Das Nähere wird zwischen Bund und Ländern geregelt. Die Unterstützung durch die Streitkräfte richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes."). Auch § 14 und § 15 LuftSiG sind als materielle Eingriffsnormen gefasst. Sie regeln, dass die Streitkräfte Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben "dürfen" (§ 14 Abs. 1 LuftSiG), dass sie auf Ersuchen der zuständigen Flugsicherungsstelle im Luftraum Luftfahrzeuge "überprüfen, umleiten oder warnen" können (§ 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG), welche "Maßnahmen" sie "auszuwählen" haben (§ 14 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG), welche sonstigen Maßgaben im Hinblick auf Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne einzuhalten sind (§ 14 Abs. 2 Satz 2, § 15 Abs. 1 Satz 1 LuftSiG), und dass der Bundesminister der Verteidigung den Inspekteur der Luftwaffe ermächtigen kann, die fraglichen "Maßnahmen … anzuordnen" (§ 15 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG). Der zwischenzeitlich für nichtig erklärte § 14 Abs. 3 LuftSiG bestimmte, unter welchen Voraussetzungen die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt "zulässig" sein sollte. Auch § 21 LuftSiG, der mit Blick auf das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich festhält, dass - unter anderem - das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit "nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt" wird, spricht für eine unmittelbar eingriffsermächtigende Bedeutung der Regelungen zum Streitkräfteeinsatz.

21

bb) Die Gesetzgebungsgeschichte ergibt keine Anhaltspunkte, die diesen Befund in Frage stellen, sondern bestätigt, dass nicht etwa nur die Bereitstellung von Ressourcen für allein auf landesrechtlicher Grundlage wahrzunehmende Aufgaben der Gefahrenabwehr geregelt, sondern unmittelbares Eingriffsrecht geschaffen werden sollte. So heißt es in der Begründung des Regierungsentwurfs, jenseits des von den Gefahrenabwehrbehörden der Länder Bewältigbaren sollten die Streitkräfte "ihre Maßnahmen" treffen (vgl. BTDrucks 15/2361, S. 20). § 14 LuftSiG regele "die Zwangsmittel der Streitkräfte, die ihnen zur Unterstützung der Polizei zur Verfügung stehen", und Absatz 3 verleihe "die Befugnis, unmittelbar mit Waffengewalt auf Luftfahrzeuge einzuwirken" (a.a.O., S. 21). In Bundesrat und Bundestag wurden die im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen zum Streitkräfteeinsatz dementsprechend als "Befugnisnormen" verstanden, die zu Maßnahmen der Gefahrenabwehr "aus eigenem Recht" ermächtigen sollten (vgl. aus dem Bundesrat die Niederschrift der 812. Sitzung des Ausschusses für Innere Angelegenheiten des Bundesrates, vom 4. Dezember 2003 - In 0141 (812) - Nr. 52/03 -, S. 37 f.; aus dem Bundestag s. die hinsichtlich der Auslegung als eingriffsermächtigende Befugnisnormen unwidersprochenen Redebeiträge der Abgeordneten Bosbach, BTPlProt 15/89, S. 7884, und Binninger, a.a.O., S. 7891). Nach den Worten des damaligen Bundesinnenministers Schily sollte das Gesetz "Luftsicherheit aus einer Hand" und damit "Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, zumal für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr", gewährleisten (BTPlProt 15/89, S. 7881 f.). Auch damit war vorausgesetzt, dass die §§ 13 ff. LuftSiG nicht bloß innerföderale Bereitstellungsvorgänge regeln, sondern zugleich außenwirksame Eingriffsermächtigungen enthalten.

22

3. Da der Bund demnach gemäß Art. 73 Nr. 6 GG a.F. regelungszuständig war, bedarf keiner Entscheidung, ob darüber hinaus Art. 73 Nr. 1 GG a.F., der im Regierungsentwurf des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben als Kompetenzgrundlage für die §§ 13 ff. LuftSiG in Anspruch genommen wurde (BTDrucks 15/2361, S. 14), eine Gesetzgebungszuständigkeit für diese Bestimmungen kraft Sachzusammenhangs ihres Regelungsgegenstandes mit dem Verteidigungswesen begründete.

II.

23

Zur zweiten Vorlagefrage:

24

Art. 35 Abs. 2Satz 2 und Abs. 3 GG schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei Einsätzen der Streitkräfte nach diesen Bestimmungen nicht grundsätzlich aus, lassen Einsätze aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die insbesondere sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die nach Art. 87a Abs. 4 GG einem Einsatz der Streitkräfte zum Kampf in inneren Auseinandersetzungen gesetzt sind.

25

1. Außer zur Verteidigung dürfen nach Art. 87a Abs. 2 GG die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Die begrenzende Funktion dieser Regelung ist durch strikte Texttreue bei der Auslegung der grundgesetzlichen Bestimmungen über den Einsatz der Streitkräfte im Innern zu wahren (vgl. BVerfGE 90, 286 <356 f.>; 115, 118 <142>; BVerwGE 127, 1 <12 f.>).

26

Die Verfassung begrenzt einen Streitkräfteeinsatz im Inneren in bewusster Entscheidung auf äußerste Ausnahmefälle. Soweit es um den Schutz vor Straftätern und Gegnern der freiheitlichen Ordnung geht, stellt deshalb Art. 87a Abs. 4 GG für einen Einsatz der Streitkräfte strenge Anforderungen, die selbst im Fall des inneren Notstands gemäß Art. 91 GG noch nicht automatisch erreicht sind. Im Unterschied dazu erlauben Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Streitkräfteeinsatz zur Unterstützung der Polizeikräfte bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders schweren Unglücksfall. Auch damit bindet die Verfassung den Einsatz der Streitkräfte an Anforderungen, die nicht immer schon dann erfüllt sind, wenn die Polizei durch das allgemeine Ziel der Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung überfordert ist; dies zeigt sich bereits darin, dass in Fällen von besonderer Bedeutung gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich nur Unterstützung durch Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes angefordert werden kann.

27

Nicht zuletzt um diesen differenzierten und restriktiven Regelungen der Verfassung Rechnung zu tragen, sah der Erste Senat den Streitkräfteeinsatz im Rahmen des Art. 35 GG auf Mittel begrenzt, die nach dem Gefahrenabwehrrecht des Einsatzlandes der Polizei zur Verfügung stehen oder verfügbar gemacht werden dürfen. Hieran hält das Plenum nicht fest (2.). Die von der Verfassung gewollten engen Grenzen für einen Streitkräfteeinsatz im Inneren ergeben sich aus anderen Kriterien (3.).

28

2. Eine Beschränkung des Streitkräfteeinsatzes auf diejenigen Mittel, die nach dem Gefahrenabwehrrecht des Einsatzlandes der Polizei zur Verfügung stehen oder verfügbar gemacht werden dürften, ist durch den Wortlaut des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG und die Systematik des Grundgesetzes nicht zwingend vorgegeben; der Regelungszweck spricht eher gegen eine solche Beschränkung (a). Auch eine Gesamtbetrachtung der Gesetzesmaterialien zwingt nicht zu der Annahme, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber eine derartige Beschränkung beabsichtigt hat (b).

29

a) Nach Art. 35 GG kann unter den jeweils näher bezeichneten Voraussetzungen im regionalen Katastrophennotstand ein Land "Kräfte und Einrichtungen... der Streitkräfte" anfordern (Abs. 2 Satz 2) und im überregionalen Katastrophennotstand die Bundesregierung "Einheiten ... der Streitkräfte" einsetzen (Abs. 3 Satz 1). Eine Beschränkung der damit zugelassenen Einsätze auf die Verwendung polizeilicher Einsatzmittel muss dem Wortlaut der Bestimmungen nicht entnommen werden. Sie ergibt sich insbesondere nicht zwingend daraus, dass Art. 35 GG den Einsatz der Streitkräfte nur zur "Unterstützung der Polizeikräfte" (Abs. 3 Satz 1) beziehungsweise zur polizeiunterstützenden "Hilfe" (Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1) vorsieht. Mit welchen Mitteln die Hilfe oder Unterstützung geleistet werden darf, ist damit noch nicht festgelegt.

30

Systematische Erwägungen sprechen dafür, dass aus der von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG vorgegebenen unterstützenden Funktion der Streitkräfte keine Beschränkung auf die aktuell oder potentiell polizeirechtlich zulässigen Einsatzmittel folgt. Denn auch Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG lässt für den dort umschriebenen Fall des inneren Notstandes einen Einsatz der Streitkräfte nur "zur Unterstützung" der Landes- und der Bundespolizei zu, beschränkt damit aber anerkanntermaßen den dort geregelten Einsatz, jedenfalls soweit es um die Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer geht, nicht von vornherein auf die Mittel, die den unterstützten Polizeien zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 115, 118 <148>; BTDrucks V/2873, S. 2, 14; Hase, in: AK-GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2001, Art. 87a Abs. 4 Rn. 5; Depenheuer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87a Rn. 169, 177 (Stand 10/2008); Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Abs. 4 Rn. 165; Kokott, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 87a Rn. 68; Keidel, Polizei und Polizeigewalt im Notstandsfall, 1971, S. 195 f., 197; Karpinski, Öffentlich-rechtliche Grundsätze für den Einsatz der Streitkräfte im Staatsnotstand, 1974, S. 76; Baldus, NVwZ 2004, S. 1278 <1280>; Linke, AöR 129 <2004>, S. 489>). Die Identität der Formulierungen deutet trotz der unterschiedlichen Zusammenhänge, in denen sie verwendet werden, darauf hin, dass ihnen keine unterschiedliche Bedeutung zukommen sollte, zumal die Bestimmungen im Gesetzgebungsverfahren durch Aufspaltung einer ursprünglich einheitlichen Regelung entstanden sind und daher nicht davon auszugehen ist, dass dem Gesetzgeber die Übereinstimmung des Wortlauts nicht vor Augen stand.

31

Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Zulassung des Streitkräfteeinsatzes in den erfassten Katastrophenfällen eine wirksame Gefahrenabwehr ermöglichen soll. Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unterstreicht dies mit der Bezugnahme auf das zur "wirksamen Bekämpfung" Erforderliche. Daher sprechen nach Auffassung des Plenums die besseren Gründe für eine Auslegung, die unter den engen Voraussetzungen, unter denen ein Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 GG überhaupt in Betracht kommt (s.u. 3.), die Verwendung ihrer spezifischen Mittel nicht generell ausschließt.

32

b) Die Entstehungsgeschichte steht dem nicht entgegen. Dem verfassungsändernden Gesetzgeber stand allerdings als typischer Anwendungsfall der Verfassungsbestimmungen zum Katastrophennotstand nicht ein Einsatzfall wie der in § 13 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 LuftSiG geregelte, sondern vor allem die Erfahrung der norddeutschen Flutkatastrophe des Jahres 1962 vor Augen (vgl. BVerfGE 115, 118 <148, m.w.N.>). Auch wenn dieses Ereignis die Vorstellung der am Gesetzgebungsprozess Beteiligten von den Erfordernissen eines Streitkräfteeinsatzes in einer begrenzenden Weise geprägt haben mag, schließt das nicht aus, Art. 35 Abs. 2 und 3 GG auch auf andersartige von Wortlaut und Systematik der Vorschrift erfasste Bedrohungslagen anzuwenden, und zwingt nicht zu einer angesichts heutiger Bedrohungslagen nicht mehr zweckgerechten Auslegung des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG.

33

Die Gesetzesmaterialien geben zur Frage der zulässigen Einsatzmittel keine eindeutigen Aufschlüsse. Zwar ist der Gesetzgebungsgeschichte zu entnehmen, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber die Regelung des Katastrophennotstandes bewusst aus der Regelung des inneren Notstandes herausgelöst hat, um die Bekämpfung des Katastrophennotstandes von der des inneren Notstands deutlicher abzuheben. Auch finden sich Anhaltspunkte dafür, dass einzelnen am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten für den Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 GG, sei es generell oder für den Fall des regionalen Katastrophennotstandes nach Absatz 2, eine Beschränkung der zulässigen Einsatzmittel durch das Polizeirecht des Einsatzlandes vorschwebte. Insgesamt ergibt sich jedoch kein klares Bild, das die Annahme eines insoweit bestimmten Willens des verfassungsändernden Gesetzgebers stützen könnte.

34

aa) Nach dem Bericht des Rechtsausschusses, auf den die Gesetz gewordene Fassung der hier zu betrachtenden Grundgesetzbestimmungen zurückgeht, sollte mit dessen Vorschlägen zur Regelung des inneren Notstandes "die Schwelle für den Einsatz der Streitkräfte als bewaffnete Macht angehoben" und der bewaffnete Einsatz der Bundeswehr nur zugelassen werden, "wenn dies zur Bekämpfung militärisch bewaffneter Aufständischer erforderlich" sei (BTDrucks V/2873, S. 2 , 14 ; vgl. auch Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. Februar 1968, S. 10; Lenz, Notstandsverfassung des Grundgesetzes, 1971, Art. 35 Rn. 2). Diese Äußerung muss nicht dahin verstanden werden, dass sie über die Konstellation des inneren Notstandes hinaus auch auf die des Katastrophennotstandes zielt, und zwingt daher nicht zu der Annahme, dass für den Fall des Katastrophennotstandes ein bewaffneter Einsatz der Streitkräfte prinzipiell ausgeschlossen werden sollte.

35

Die Erläuterungen zum vorgeschlagenen Art. 35 GG behandeln die Frage der einsetzbaren Mittel nicht. Zu Art. 35 Abs. 2 GG wird zwar unter anderem ausgeführt, dass die zur Verfügung gestellten Kräfte anderer Länder und des Bundes den Normen des im Einsatzland geltenden Landespolizeirechts unterstehen sollen (vgl. BTDrucks V/2873, S. 10); zu Art. 35 Abs. 3 GG findet sich dagegen keine entsprechende Erläuterung. Aus der Berichtsbegründung zu Art. 87a Abs. 4 GG geht hervor, dass der Ausschuss nach dem Ergebnis der durchgeführten Anhörungen die im Regierungsentwurf vorgesehene Formulierung, wonach die Streitkräfte "als Polizeikräfte" einsetzbar sein sollten, für zu eng befunden hatte, da eine Beschränkung etwa auf den Einsatz nichtmilitärischer Waffen nicht sachgerecht sei. Der Ausschuss schlug daher stattdessen vor, dass die Streitkräfte nur "zur Unterstützung der Polizei" eingesetzt werden dürften (a.a.O., S. 14). Dem folgte der verfassungsändernde Gesetzgeber. Die gleiche Abkehr von der ursprünglich vorgesehenen Formulierung ist aber auch in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG erfolgt. Dieser gesetzgeberischen Entscheidung muss eine Bedeutung für die Auslegung des Art. 35 GG nicht deshalb abgesprochen werden, weil erst der Rechtsausschuss des Bundestages (vgl. BTDrucks V/2873) vorgeschlagen hat, die nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BTDrucks V/1879) in Art. 91 GG angesiedelte Regelung des Streitkräfteeinsatzes bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen aus dem Zusammenhang der Bestimmungen zum inneren Notstand zu lösen und in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG zu regeln. Umgekehrt lässt sich auch argumentieren, dass gerade diese Herauslösung aus dem ursprünglich vorgesehenen einheitlichen Regelungszusammenhang es nahegelegt hätte, für den Fall des nunmehr gesondert in Art. 35 GG geregelten Katastrophennotstandes einem etwaigen Willen, die Art und Weise des zulässigen Einsatzes enger zu bestimmen als für den Fall des inneren Notstandes, durch entsprechend unterschiedliche Formulierung der jeweiligen Regelungen Ausdruck zu geben.

36

Das Protokoll der Anhörung zum Thema "Der innere Notstand und der Katastrophennotstand", auf die ausweislich des Berichts des Rechtsausschusses (vgl. BTDrucks V/2873,S. 14) dessen Vorschlag zurückgeht, die Worte "als Polizeikräfte" durch die Gesetz gewordenen Formulierungen zu ersetzen, zeigt zudem, dass sowohl bei den angehörten Sachverständigen als auch auf Seiten der Abgeordneten, die sich an der Aussprache beteiligten, in der Frage der Zulässigkeit des Einsatzes militärischer Waffen unterschiedliche und häufig - unter anderem hinsichtlich des Zusammenhangs mit der Frage der maßgebenden einfachrechtlichen Eingriffsgrundlagen - auch unklare Auffassungen bestanden (vgl. Protokoll der 3. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses am 30. November 1967, Nr. 59, Nr. 75).

37

So wiesen etwa der schleswig-holsteinische Innenminister Dr. Schlegelberger und der hamburgische Innensenator Ruhnau unwidersprochen auf die Funktion des Streitkräfteeinsatzes hin, Einsatzmittel bereitzustellen, über die die Polizei nicht verfüge (a.a.O., S. 3, 6, 12), vertraten aber - im Zusammenhang mit Einsätzen im Fall des inneren Notstandes - zugleich die Auffassung, dass Einsätze sich auf der Grundlage "des Polizeirechts mit polizeilichen Mitteln" beziehungsweise "nach den Einsatzprinzipien und mit den Einsatzmitteln der Polizei" vollziehen müssten (a.a.O., S. 4, 6, 12). Dabei wurde zudem nicht deutlich, ob allein an das Landespolizeirecht (vgl. Ruhnau, a.a.O., S. 14) als Rechtsgrundlage gedacht war oder auch an Bundesrecht, das in verschiedenen Diskussionsbeiträgen als anwendbar vorausgesetzt wurde (vgl. zum UZwG des Bundes Ruhnau u.a., a.a.O., S. 7, 58; für den Fall überregionaler Einsätze auch S. 14). Verschiedene Äußerungen deuten darauf hin, dass man sich einen Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand vor allem in der Form des Objektschutzes und der Abwehr von Plünderungen vorstellte (a.a.O., S. 5, 27, 28, 57 f., 71). Zur Sprache kam anderseits aber auch der Fall der Sprengung eines Hauses oder einer Brücke (a.a.O., S. 63).

38

In der Zweiten Beratung des Gesetzentwurfs, der neben dem Gesetzentwurf der Bundesregierung der Bericht des Rechtsausschusses (BTDrucks V/2873) zugrunde lag, fielen nur vereinzelt Äußerungen, die einen Bezug zum Inhalt der beschlossenen Regelungen in der Frage des bei Einsätzen der Streitkräfte anwendbaren Rechts oder unmittelbar in der Frage der bei solchen Einsätzen anwendbaren Mittel aufweisen. Auch diese Äußerungen sind nicht eindeutig und weisen, sofern sie überhaupt bestimmte Vorstellungen vom Inhalt der beschlossenen Regelungen zum Ausdruck bringen sollten, in unterschiedliche Richtungen (BTPlProt 5/174, S. 9313 f.; 5/175, S. 9437, 9452).

39

bb) Aus der Gesetzgebungsgeschichte wird danach weder ein eindeutiger Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers hinsichtlich der in den Fällen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einsetzbaren Mittel noch eine klare Konzeption in der Frage des anwendbaren Rechts erkennbar. Angesichts dieses Befundes ist es nicht zwingend, im Rahmen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einen nach textlicher, systematischer und teleologischer Auslegung nicht ausgeschlossenen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Mitteln - der, soweit es um die Abwehr von Gefahren durch ein als Angriffsmittel genutztes Luftfahrzeug geht, nur auf bundesrechtlicher Eingriffsgrundlage in Betracht kommt - allein deshalb für unzulässig zu halten, weil die konkreten Gefahrenfälle, die ihn erforderlich machen könnten, dem historischen verfassungsändernden Gesetzgeber noch nicht gegenwärtig waren.

40

3. Der Einsatz der Streitkräfte als solcher wie auch der Einsatz spezifisch militärischer Kampfmittel kommt allerdings nur unter engen Voraussetzungen in Betracht.

41

Bei der Auslegung und Anwendung der Voraussetzungen, unter denen Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte erlaubt, sind der Zweck des Art. 87a Abs. 2 GG und das Verhältnis der den Katastrophennotstand betreffenden Bestimmungen zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Einsatz der Streitkräfte im inneren Notstand (Art. 87a Abs. 4 GG) zu berücksichtigen. Art. 87a Abs. 2 GG zielt darauf, die Möglichkeiten für einen Einsatz der Streitkräfte im Innern zu begrenzen (vgl. BVerfGE 115, 118 <142>). Art. 87a Abs. 4 GG unterwirft auf dem Hintergrund historischer Erfahrungen (vgl. Wieland, in: Fleck, Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, S. 167 <169 ff.>, m.w.N.) den Einsatz der Streitkräfte zur Bewältigung innerer Auseinandersetzungen besonders strengen Beschränkungen. Diese Beschränkungen dürfen nicht dadurch umgangen werden, dass der Einsatz statt auf der Grundlage des Art. 87a Abs. 4 GG auf der des Art. 35 Abs. 2 oder 3 GG erfolgt. Das gilt erst recht für die Verwendung spezifisch militärischer Kampfmittel im Rahmen eines solchen Einsatzes.

42

a) Enge Grenzen sind dem Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand auf diesem Hintergrund durch das in Art. 35 Abs. 2 Satz 2GG ausdrücklich genannte und von Art. 35 Abs. 3Satz 1 GG in Bezug genommene Tatbestandsmerkmal des besonders schweren Unglücksfalls gesetzt.

43

aa) Die genannten Bestimmungen unterscheiden Naturkatastrophen und besonders schwere Unglücksfälle. Beide Ereignisarten wurden bereits im Gesetzgebungsverfahren unter dem Begriff der Katastrophe zusammengefasst (vgl. die Anhörung des Rechts- und des Innenausschusses zum Thema "Der innere Notstand und der Katastrophennotstand", Protokoll der 3. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses am 30. November 1967, Nr. 59, Nr. 75). Hieraus wie auch aus der normativen Parallelisierung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG wird deutlich, dass der hier verwendete Begriff des besonders schweren Unglücksfalls nur Ereignisse von katastrophischen Dimensionen erfasst (vgl. BVerfGE 115, 118 <143>). Insbesondere stellt nicht jede Gefahrensituation, die ein Land mittels seiner Polizei nicht zu beherrschen imstande ist, allein schon aus diesem Grund einen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG dar, der den Streitkräfteeinsatz erlaubte (vgl. Krings/Burkiczak, NWVBl 2004, S. 249 <252>). Besonders schwere Unglücksfälle sind vielmehr ungewöhnliche Ausnahmesituationen. Eine Betrauung der Streitkräfte mit Aufgaben der Gefahrenabwehr, die über die Bewältigung solcher Sondersituationen hinausgehen, kann daher nicht auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG gestützt werden.

44

bb) Die Voraussetzungen des besonders schweren Unglücksfalls gemäß Art. 35 Abs. 2 und 3 GG bestimmen sich zugleich in Abgrenzung zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Einsatz der Streitkräfte im inneren Notstand (Art. 87a Abs. 4 GG i.V.m. Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG).

45

(1) Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG regelt den Einsatz der Streitkräfte zur Abwehr von Gefahren für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, die das Land, in dem die Gefahr droht, zu bekämpfen selbst nicht in der Lage oder nicht bereit ist. Dabei erlaubt Art. 87a Abs. 4 GG den Einsatz der Streitkräfte insbesondere zur Unterstützung der Polizei bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer. Die Regelung der Abwehr innerer Unruhen, die von nichtstaatlichen Angreifern ausgehen, hat damit ihren Platz in Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 GG gefunden (vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 35 Rn. 15; Wolff, ThürVBl 2003, S. 176 <177>). Insoweit entfaltet daher diese Vorschrift grundsätzlich eine Sperrwirkung für den Einsatz der Streitkräfte nach anderen Bestimmungen (vgl. auch Fiebig, Der Einsatz der Bundeswehr im Innern, 2004, S. 326; Fischer, JZ 2004, S. 376 <381>; Sattler, NVwZ 2004, S. 1286 <1290>).

46

(2) Der Annahme eines besonders schweren Unglücksfalls steht bei einem Ereignis von katastrophischem Ausmaß nicht entgegen, dass es absichtlich herbeigeführt ist (vgl. BVerfGE 115, 118 <143 f.>). Angesichts der in Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 GG getroffenen Regelung der militärischen Bekämpfung nichtstaatlicher Gegner können die Streitkräfte auf der Grundlage von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG jedoch zur Bekämpfung eines Angreifers nur in Ausnahmesituationen eingesetzt werden, die nicht von der in Art. 87a Abs. 4 GG geregelten Art sind. So stellen namentlich Gefahren für Menschen und Sachen, die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen, keinen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 GG dar, der es rechtfertigen könnte, Streitkräfte auf der Grundlage dieser Bestimmung einzusetzen. Denn nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG dürfen selbst zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer Streitkräfte auch dann, wenn das betreffende Land zur Bekämpfung der Gefahr nicht bereit oder in der Lage ist (Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG i.V.m. Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG), nur unter der Voraussetzung eingesetzt werden, dass Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes besteht (vgl. Arndt, DVBl 1968, S. 729 <731 f.>).

47

cc) Der Unglücksfall muss, wie im Wortlaut des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 deutlich zum Ausdruck kommt, bereits vorliegen, damit zu seiner Bekämpfung oder zur Bekämpfung seiner Schadensfolgen Streitkräfte eingesetzt werden dürfen. Das bedeutet nicht, dass auch Schäden notwendigerweise bereits eingetreten sein müssen (vgl. BVerfGE 115, 118 <144 f.>). Von einem Unglücksfall kann auch dann gesprochen werden, wenn zwar die zu erwartenden Schäden noch nicht eingetreten sind, der Unglücksverlauf aber bereits begonnen hat und der Eintritt katastrophaler Schäden unmittelbar droht. Ist die Katastrophe bereits in Gang gesetzt und kann sie nur noch durch den Einsatz der Streitkräfte unterbrochen werden, muss nicht abgewartet werden, bis der Schaden sich realisiert hat. Der Schadenseintritt muss jedoch unmittelbar bevorstehen. Dies ist der Fall, wenn der katastrophale Schaden, sofern ihm nicht rechtzeitig entgegengewirkt wird, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze eintreten wird (vgl. BVerfGE 115, 118 <145>). Ein ins Vorfeld des Katastrophengeschehens verlagerter Einsatz der Streitkräfte ist unzulässig.

48

b) Der Einsatz der Streitkräfte wie der Einsatz spezifisch militärischer Abwehrmittel ist zudem auch in einer solchen Gefahrenlage nur als ultima ratio zulässig. Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG sieht für den Fall des überregionalen Katastrophennotstandes ausdrücklich vor, dass die Streitkräfte nur eingesetzt werden dürfen, soweit es zur wirksamen Bekämpfung der durch eine Naturkatastrophe oder einen besonders schweren Unglücksfall veranlassten Gefahr erforderlich ist. Die Erforderlichkeitsklausel des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG zielt auf die Subsidiarität der Bundesintervention im Verhältnis zu den Ländern (vgl. Magen, in: Umbach/Clemens, GG, Bd. I, 1. Aufl. 2002, Art. 35 Rn. 37; Bauer, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 32; v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Bd. 2, Art. 35 Rn. 79; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 53; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 35 Rn. 29). Im Übrigen entspricht die strenge Beschränkung auf das Erforderliche - sowohl was das Ob als auch was das Wie, einschließlich der konkreten Einsatzmittel, angeht - für Einsätze nach Absatz 2 Satz 2 wie für Einsätze nach Absatz 3 Satz 1 des Art. 35 GG dem in Art. 87a Abs. 2 GG zum Ausdruck gebrachten Willen des Verfassungsgebers zur engen Begrenzung des zulässigen Streitkräfteeinsatzes im Innern (vgl. Knödler, BayVBl 2002, S. 107 <108>).

49

c) Im Ergebnis sieht Art. 35 GG differenzierte Möglichkeiten einer Verwendung der Streitkräfte zur Gewährleistung der Luftsicherheit vor.

50

aa) Aus Art. 87a Abs. 2 GG ergeben sich Grenzen hinsichtlich der Abwehr von Gefahren, die von einem als Angriffsmittel genutzten Flugzeug ausgehen, nur, soweit es sich um einen Einsatz handelt. Deshalb sind Maßnahmen der Streitkräfte in einer den Verursachern gegenüber rein unterstützenden und solche Unterstützung vorbereitenden Funktion - etwa zur Hilfe bei technisch oder durch gesundheitliche Probleme eines Piloten bedingten Orientierungsschwierigkeiten und zur Aufklärung, ob solche Hilfe benötigt wird - nicht ausgeschlossen. Art. 87a Abs. 2 GG bindet nicht jede Nutzung personeller und sächlicher Ressourcen der Streitkräfte an eine ausdrückliche grundgesetzliche Zulassung, sondern nur ihre Verwendung als Mittel der vollziehenden Gewalt in einem Eingriffszusammenhang (vgl. BTDrucks V/2873, S. 13; BVerwGE 132, 110 <119>; Brenneisen, in: ders./Staack/Kischewski, 60 Jahre Grundgesetz, 2010, S. 485 <488>; Wolff, in: Weingärtner, Die Bundeswehr als Armee im Einsatz, 2010, S. 171 <177>). Dementsprechend kann auf Luftzwischenfälle in rein technisch-unterstützender Funktion reagiert werden. Dies verbleibt im Rahmen des Art. 35 Abs. 1 GG und ist daher von den Beschränkungen, die für einen Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG gelten, nicht betroffen. Allerdings liegt eine Verwendung in einem Eingriffszusammenhang nicht erst bei einem konkreten Vorgehen mit Zwang, sondern bereits dann vor, wenn personelle oder sachliche Mittel der Streitkräfte in ihrem Droh- oder Einschüchterungspotential genutzt werden (vgl. BVerwGE 132, 110 <119 f.>; Fehn/Brauns, Bundeswehr und innere Sicherheit, 2003, S. 38 f.; Senger, Streitkräfte und materielles Polizeirecht, 2011, S. 79 ff. <80>).

51

bb) Eine umfassende Gefahrenabwehr für den Luftraum mittels der Streitkräfte kann auf Art. 35 Abs. 2 und 3 GG nicht gestützt werden. Insbesondere berechtigt nicht jeder Luftzwischenfall, zu dessen Bewältigung eine technische Unterstützung nicht ausreicht, automatisch zum Einsatz der Streitkräfte. De constitutione lata ist der Einsatz der Streitkräfte nur bei besonders gravierenden Luftzwischenfällen zulässig, die den qualifizierten Anforderungen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG genügen.

III.

52

Zur dritten Vorlagefrage:

53

Der Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG ist, auch in Eilfällen, allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässig.

54

1. Das Grundgesetz unterscheidet systematisch zwischen Befugnissen und Zuständigkeiten der Bundesregierung und solchen einzelner Bundesminister (s. etwa einerseits Art. 84 Abs. 2, Art. 87a Abs. 4 Satz 1, Art. 91 Abs. 2 Satz 3, Art. 108 Abs. 7 GG, andererseits Art. 65 Satz 2, Art. 65a, Art. 95 Abs. 2, Art. 112 Satz 1 GG). Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG weist die Befugnis, im Fall des überregionalen Katastrophennotstandes Einheiten der Streitkräfte einzusetzen, der Bundesregierung zu. Die Bundesregierung besteht nach Art. 62 GG aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern. Der Einsatz der Streitkräfte im überregionalen Katastrophennotstand setzt danach einen Beschluss der Bundesregierung als Kollegium (vgl. BVerfGE 26, 338 <396>; 91, 148 <166>; 115, 118 <149>) voraus. Es gilt nichts anderes als für den Einsatz der Streitkräfte im Fall des inneren Notstandes, für den Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG ebenfalls die Entscheidungszuständigkeit der Bundesregierung vorsieht und der unstreitig nur aufgrund eines Kabinettsbeschlusses zulässig ist (s. statt vieler Heun, in: Dreier, GG, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 87a Rn. 33; Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Rn. 160; Ruge, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 87a Rn. 8; Hernekamp, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 87a Rn. 37; Denninger, in: Benda/ Maihofer/Vogel, HdVerfR, 2. Aufl. 1994, § 16 Rn. 60).

55

Zu einer Delegation der zugewiesenen Beschlusszuständigkeit auf ein einzelnes Mitglied (vgl. Robbers, in: Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 26. April 2004, ProtokollNr. 15/35, S. 54) ist die Bundesregierung nicht befugt. Staatsorganisationsrechtliche Kompetenzen stehen im Grundsatz nicht zur freien Disposition ihrer Träger (vgl. zum Verhältnis von Bundes- und Länderkompetenzen BVerfGE 1, 14 <35>; 39, 96 <109>; 41, 291 <311>; 63, 1 <39>). Sie sind daher grundsätzlich weder verzichtbar noch beliebig delegierbar. Darin unterscheiden sie sich von subjektiven Rechten, über die der Inhaber im Prinzip verfügen kann.

56

2. Eine Eilkompetenz für ein anderes als das regulär vorgesehene Organ, wie sie in verschiedenen Grundgesetzbestimmungen für den Fall der Gefahr im Verzug vorgesehen ist (Art. 13 Abs. 2, Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 2, 2. Halbsatz GG; vgl. auch Art. 119 Satz 3 GG: Auswechselung des Weisungsadressaten bei Gefahr im Verzug), sieht Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht vor; ermächtigt wird allein die Bundesregierung. Danach besteht eine Delegationsbefugnis der Bundesregierung oder eine Befugnis des Gesetzgebers zu abweichender Zuständigkeitsbestimmung auch für Eilfälle nicht (vgl. Bauer, in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 32; v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Bd. 2, Art. 35 Rn. 79; Hömig, in: ders., GG, 9. Aufl. 2010, Art. 35 Rn. 10; Erbguth, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 41; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 8; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 49; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 35 Rn. 29; Martínez Soria, DVBl 2004, S. 597 <603>; v. Danwitz, Rechtsfragen terroristischer Angriffe auf Kernkraftwerke, 2002, S. 56; Arndt, DVBl 1968, S. 729 <732>; Sattler, NVwZ 2004, S. 1286 <1289>; Lepsius, in: Festgabe für Dr. Burkhard Hirsch, 2006, S. 47 <57>).

57

Die Ressortzuständigkeit der Bundesminister (Art. 65 Satz 2 GG) und die Zuweisung der Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte an den Bundesminister der Verteidigung (Art. 65a GG) können eine abweichende Auslegung (vgl. Epping, Schriftliche Stellungnahme im Rahmender öffentlichen Sachverständigenanhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 26. April 2004, ADrs 15(4)102B, S. 8) nicht begründen, weil Art. 35 Abs. 3 Satz 1GG für die Befugnis, über den Einsatz der Streitkräfte im überregionalen Katastrophennotstand zu entscheiden, eine demgegenüber speziellere Regelung trifft.

58

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass das Bundesverfassungsgericht in einzelnen Bereichen Eilzuständigkeiten in Abweichung von einer grundsätzlich gegebenen Parlamentszuständigkeit anerkannt hat (vgl. BVerfGE 90, 286 <388> und BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris, Rn. 109 ff., 113, 150). Dies betraf Bereiche, für die die Entscheidungszuständigkeit im Grundgesetz gerade nicht ausdrücklich geregelt ist. Die Frage, ob und inwieweit Sonderkompetenzen für Eilfälle auch entgegen ausdrücklich - und ohne Ausnahme für den Eilfall -im Grundgesetz getroffenen Zuständigkeitsregelungen anerkennungsfähig sein könnten, ist damit nicht beantwortet.

59

Angesichts der nach Wortlaut und Systematik eindeutigen ausschließlichen Kompetenzzuweisung an die Bundesregierung kann eine abweichende Zuständigkeit nicht aus einem auf wirksame Gefahrenabwehr gerichteten Zweck des Art. 35 Abs. 3 GG (vgl. Franz, Der Staat 45 <2006>, S. 501 <530>; Franz/Günther, VBlBW 2006, S. 340 <343>; Schenke, NJW 2006, S. 736 <737 f.>; Palm, AöR 132 <2007>, S. 95 <104>; Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2007, S. 252) oder aus staatlichen Schutzpflichten (Epping, a.a.O., S. 8) abgeleitet werden. Der Verfassungsgesetzgeber hat Einsätze der Streitkräfte bewusst nur unter engen Voraussetzungen zugelassen. Für die Auslegung der betreffenden Vorschriften, die in einer politisch hochumstrittenen Materie als Ergebnis ausführlicher, kontroverser Diskussionen zustande gekommen sind, gilt das Gebot strikter Texttreue (s.o. unter II.). Jedenfalls deshalb verbietet sich eine auf die Vermeidung von Schutzlücken gerichtete teleologische Verfassungsinterpretation, die vom bewusst und in Übereinstimmung mit der Systematik gewählten ausdrücklichen Wortlaut abweicht. Aus demselben Grund kann - unabhängig von der allgemeineren Frage des möglichen Stellenwerts von Notstandsgesichtspunkten, die in positiven Verfassungsbestimmungen gerade nicht aufgegriffen sind - auch auf ungeschriebene Sonderkompetenzen für Eil- und Notfälle (vgl. Wieland, in: Fleck, Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, S. 167 <179>; Epping, Schriftliche Stellungnahme, a.a.O., S. 8) jedenfalls bei Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht zurückgegriffen werden.

Abw. Meinung

60

Die Entscheidung des Plenums trage ich zur ersten und dritten Vorlagefrage mit, der Beantwortung der zweiten Vorlagefrage stimme ich hingegen nicht zu.

61

Das Bundesverfassungsgericht wird gerne als Ersatzgesetzgeber bezeichnet; mit der nun getroffenen Entscheidung des Plenums läuft das Gericht Gefahr, künftig mit der Rollenzuschreibung als verfassungsändernder Ersatzgesetzgeber konfrontiert zu werden. Denn mit seiner Antwort auf die zweite Vorlagefrage schenkt das Plenum den Vorgaben des eigenen Gerichts zur Verfassungsinterpretation keine ausreichende Beachtung. Es wird weder der Wortlaut der einschlägigen Verfassungsnormen unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte hinreichend gewürdigt (dazu BVerfGE 88, 40 <56>), noch erfolgt eine systematische Auslegung mit Blick auf die Einheit der Verfassung (dazu BVerfGE 55, 274 <300>) als "vornehmstes Interpretationsprinzip" (so aber BVerfGE 19, 206 <220>). Im Ergebnis hat die Auslegung der Regelungen zum Katastrophennotstand, die der Plenarbeschluss bei seiner Antwort auf die zweite Vorlagefrage zugrunde legt, die Wirkungen einer Verfassungsänderung. Deshalb folge ich dem Plenarbeschluss insoweit nicht.

I.

62

Das Grundgesetz ist auch eine Absage an den deutschen Militarismus, der Ursache für die unvorstellbaren Schrecken und das millionenfache Sterben in zwei Weltkriegen war. 1949 ist die Bundesrepublik Deutschland als Staat ohne Armee entstanden; schon die Einfügung der Wehrverfassung in das Grundgesetz im Jahr 1956 wird zu Recht "eine Wende in der Entwicklung der Bundesrepublik" genannt (Hofmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., 2003, Bd. I, § 9 Rn. 51). Dabei wurde durch Art. 143 GG in der Fassung von 1956 klargestellt, dass im Zuge der "Wiederbewaffnung" eine Befugnis zum Einsatz der Streitkräfte im Inneren selbst in Fällen des Notstandes nicht gegeben war (vgl. Meixner, in: Dolzer/Kahl/Waldhoff/Graßhof, BK, Art. 143 Rn. 4 ). Nach diesem ersten folgte 1968 ein zweiter Schritt im Zuge der Implementierung der Notstandsverfassung in das Grundgesetz. Nun wurde der Einsatz der Streitkräfte auch im Inland zugelassen, allerdings nur in wenigen eng begrenzten Fällen, die zudem in der Verfassung ausdrücklich geregelt sein müssen (Art. 87a Abs. 2 GG). Dies sind der regionale und der überregionale Katastrophennotstand (Art. 35 Abs. 2 und 3 GG), der äußere Notstand (Art. 87a Abs. 3 GG) und der Staatsnotstand als qualifizierter Fall des inneren Notstandes (Art. 87a Abs. 4 GG). Dabei ist mit der Zulässigkeit des Einsatzes der Streitkräfte im Inneren noch keine Aussage über die Mittel getroffen, die hierbei zum Einsatz gelangen können. Vielmehr bleibt - wie vom Ersten Senat im Urteil vom 15. Februar 2006 (BVerfGE 115, 118 <146 ff., 150 f.>) erkannt - ein Einsatz spezifisch militärischer Waffen in Fällen des Katastrophennotstandes auch dann ausgeschlossen, wenn gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 Satz 1 GG die Streitkräfte herangezogen werden dürfen. Bei beiden Verfassungsänderungen hat der Gesetzgeber also nicht aus dem Blick verloren, dass der Einsatz von Streitkräften im Inneren mit besonderen Gefahren für Demokratie und Freiheit verbunden ist und daher ebenso strikter wie klarer Begrenzung bedarf.

63

Auch und gerade seitdem nach der Notstandsgesetzgebung der Einsatz des Militärs im Inneren nicht mehr schlechthin unzulässig ist, bleibt strenge Restriktion geboten. Es ist sicherzustellen, dass die Streitkräfte niemals als innenpolitisches Machtinstrument eingesetzt werden. Abgesehen von dem extremen Ausnahmefall des Staatsnotstandes, in dem nur zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer als letztes Mittel auch Kampfeinsätze der Streitkräfte im Inland zulässig sind (Art. 87a Abs. 4 GG), ist die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit Aufgabe allein der Polizei. Ihre Funktion ist die der Gefahrenabwehr und nur über hierfür geeignete und erforderliche Waffen darf die Polizei verfügen; hingegen sind Kampfeinsätze der Streitkräfte auf die Vernichtung des Gegners gerichtet, was spezifisch militärische Bewaffnung notwendig macht. Beide Aufgaben sind strikt zu trennen. Hiermit zieht unsere Verfassung aus historischen Erfahrungen die gebotenen Konsequenzen und macht den grundsätzlichen Ausschluss der Streitkräfte von bewaffneten Einsätzen im Inland zu einem fundamentalen Prinzip des Staatswesens. Mit anderen Worten: Die Trennung von Militär und Polizei gehört zum genetischen Code dieses Landes (so Heinrich Wefing, in: Zeit-Online vom 14. Januar 2009, http://www.zeit.de/2008/42/Bundeswehr).

64

Wer hieran etwas ändern will, muss sich nicht nur der öffentlichen politischen Debatte stellen, sondern auch die zu einer Verfassungsänderung erforderlichen parlamentarischen Mehrheiten (Art. 79 Abs. 2 GG) für sich gewinnen. Im Anschluss an das Urteil des Ersten Senats war demgemäß eine Änderung des Grundgesetzes beabsichtigt, um den am 11. September 2001 deutlich gewordenen Gefahren des internationalen Terrorismus effektiv begegnen zu können. Das Vorhaben scheiterte, weil sich - trotz der damaligen "großen" Regierungskoalition - für die von der Bundesregierung beabsichtigte Zulassung "militärischer Mittel" generell in "besonders schweren Unglücksfällen" im Bundestag nicht die erforderliche Mehrheit fand und allenfalls eine Begrenzung militärischer Kampfeinsätze zur Abwehr von Angriffen aus der Luft oder von See aus hätte erreicht werden können (vgl. Zeit-Online vom 14. Januar 2009, http://www.zeit.de/online/2008/42/bundeswehr-grundgesetz). Der Plenarbeschluss gibt nun das, was für die Bundesregierung vor drei Jahren gegen einen der Koalitionspartner - und auch gegen die Stimmverhältnisse im Bundesrat - nicht durchsetzbar war. Selbst wenn man es unerträglich empfindet, dass die Streitkräfte hiernach bei terroristischen Angriffen untätig in der Rolle des Zuschauers verharren müssen, ist es nicht Aufgabe und nicht Befugnis des Bundesverfassungsgerichts korrigierend einzuschreiten.

II.

65

Nach meiner Ansicht schließt das Grundgesetz in seiner gegenwärtigen Fassung den Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen sowohl in Fällen des regionalen (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG) wie in Fällen des überregionalen (Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG) Katastrophennotstandes aus; insoweit ist also an der Auffassung des Ersten Senats im Urteil vom 15. Februar 2006 (BVerfGE 115, 118 <146 ff., 150 f.>) festzuhalten. Hierbei kann dahinstehen, ob die Wortlautargumente, die im Urteil des Ersten Senats in den Vordergrund gestellt wurden, den Argumenten des Plenarbeschlusses Stand halten und die ihnen beigelegte tragende Bedeutung weiterhin beanspruchen können. Denn es lässt sich auch mit einer historischen Verfassungsinterpretation, vor allem aber mit einer systematischen Auslegung des Grundgesetzes begründen, dass ein Einsatz der Streitkräfte mit militärischer Bewaffnung in beiden Fällen des Katastrophennotstandes nicht erlaubt und damit aufgrund des Art. 87a Abs. 2 GG von Verfassungs wegen untersagt ist.

66

1. Der Plenarbeschluss will zwar davon ausgehen, dass sich aus den Gesetzgebungsmaterialien "insgesamt kein klares Bild" für einen bestimmten Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers ergebe. Bei vollständiger Ausschöpfung der verfügbaren Quellen und bei Würdigung der dort dokumentierten Erklärungen im Zusammenhang vermag ich diese Einschätzung allerdings nicht zu teilen.

67

a) Unklarheiten können, anders als der Plenarbeschluss ausführt, nicht aus dem Protokoll über die gemeinsame Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses des Bundestages am 30. November 1967 (BTDrucks V/1879 und V/2130) hergeleitet werden. Zwar trifft es zu, dass die dort festgehaltenen Äußerungen der verschiedenen angehörten Sachverständigen unterschiedliche Meinungen zur Zulässigkeit des Einsatzes militärischer Waffen wiedergeben; ferner ist auch zutreffend, dass diese Anhörung Grundlage für den Bericht des Rechtsausschusses wurde, der wiederum Grundlage für den Gesetzesbeschluss des Bundestages zur Verfassungsänderung geworden ist. Es gibt jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, sondern ist schon im Ansatz fernliegend, dass das uneinheitliche Meinungsbild einer Anhörung unverändert in die Beschlussfassung des Rechtsausschusses eingeflossen ist. Das Gegenteil ist richtig. Der Rechtsausschuss musste - jedenfalls mit der Mehrheit der Stimmen seiner Mitglieder - eine klare Entscheidung treffen und hat dies auch getan.

68

Die Auffassung des Rechtsausschusses steht allerdings der Einschätzung des Plenums entgegen und findet in dessen Argumentation keine hinreichende Beachtung: Nachdem die Sachverständigen Kluncker und Kuhlmann in der gemeinsamen Informationssitzung des Innen- und des Rechtsausschusses angeregt hatten, den waffenlosen Einsatz der Bundeswehreinheiten im Katastrophen- und Unglücksfall zum Ausdruck zu bringen (vgl. Protokoll der 3. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses vom 30. November 1967, a.a.O., S. 42, 50), nimmt der schriftliche Bericht des Rechtsausschusses diese Hinweise auf, zieht daher den Einsatz militärisch bewaffneter Streitkräfte überhaupt nur für den Fall des Art. 87a Abs. 4 GG in Betracht und beschränkt ihn zugleich auf den Staatsnotstand als eine besonders gefährdende Situation des inneren Notstandes. Im Bericht des Rechtsausschusses heißt es unmissverständlich (BTDrucks V/2873, S. 2):

69

"Der Hauptunterschied zur Regierungsvorlage liegt darin, dass die Schwelle für den Einsatz der Streitkräfte als bewaffnete Macht angehoben worden ist. Der Rechtsausschuss schlägt vor, den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr nur dann zuzulassen, wenn dies zur Bekämpfung von Gruppen militärisch bewaffneter Aufständischer erforderlich ist (Artikel 87a Abs. 4)."

70

Entgegen der Ansicht des Plenums, das die Bedeutung dieser Äußerung ins Ungewisse stellt ("… muss nicht dahin verstanden werden …"), wird damit ein bewaffneter Einsatz auch in den Fällen des Katastrophennotstandes ausgeschlossen; denn diese Passage findet sich unter der Überschrift "Innerer Notstand" in dem Abschnitt des Berichts, der sich eingehend dazu verhält, dass die zuvor in der Regierungsvorlage zusammenfassend geregelten "Fälle des Inneren Notstandes" nunmehr nach ihrem "sachlichen Inhalt" getrennt in eigenen Vorschriften normiert werden sollen. Da angesichts der Zusammenfassung im Regierungsentwurf seinerzeit in den Begriff des "Inneren Notstandes" auch die Fälle des Katastrophennotstandes einbezogen wurden (vgl. Lenz, Notstandsverfassung des Grundgesetzes - Kommentar, 1971, Art. 35 Rn. 2), war der Ausschluss spezifisch militärischer Waffen ersichtlich auch und gerade für die nun in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG gesondert zu regelnden Einsätze bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen gewollt.

71

b) Dies wird - entgegen der Ansicht des Plenums - durch weitere Quellen bestätigt. Ein anderes Verständnis trifft nicht die historischen Gegebenheiten im Umfeld der Verfassungsänderung des Jahres 1968. Das Plenum lässt völlig außer Acht, dass zur Zeit der Notstandsgesetzgebung eine weitergehende Zulassung des Einsatzes militärisch bewaffneter Einheiten der Streitkräfte im Inneren politisch nicht durchsetzbar gewesen wäre. Seit dem Bundestag im Jahre 1960 ein erster Entwurf vorgelegt worden war, kam es über Jahre hinweg zu grundlegenden politischen Diskussionen in der - angesichts der Erfahrungen mit der deutschen Geschichte - sensibilisierten Öffentlichkeit, die sich im Zuge der abschließenden Beratungen noch erheblich verschärften (vgl. etwa Scheuner, in: Lenz, a.a.O., Einleitung, S. 13). So richtete sich der vor allem von den Gewerkschaften getragene Widerstand gegen die Notstandsverfassung in Sonderheit gegen die zutreffend erkannte Gefahr eines Einsatzes der Streitkräfte als innenpolitisches Machtinstrument gegen die Bevölkerung namentlich bei Arbeitskämpfen (vgl. Hoffmann, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, 1968, S. 87 f.). Als Beispiel für die mit der Notstandsgesetzgebung verknüpften Befürchtungen mag das von Ekkehart Stein und Helmut Ridder schon 1963 verfasste Memorandum der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler "Der permanente Notstand" (abgedruckt in Ridder, Gesammelte Schriften, 2010, S. 563 <566>) dienen, in dem es heißt:

72

"Das Friedensrecht darf nicht vom Kriegsrecht material unterwandert werden, d.h. im Frieden dürfen keine Maßnahmen zugelassen werden, die in einem Krieg zur Bewältigung dieser extremen Gefahrenlage entwickelt wurden und nur im Kriegsfall zu rechtfertigen sind."

73

Vor diesem Hintergrund stellte der Abgeordnete Dr. Lenz (CDU/CSU) als Berichterstatter des Rechtsausschusses bei den abschließenden Beratungen im Bundestag die restriktiven Ziele beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte klar (PlProt 5/174, S. 9311 <9313>):

74

"Es ist nicht wahr, dass durch diese Vorlage der Bürgerkrieg vorbereitet wird. Sowohl bei der Formulierung des staatsbürgerlichen Widerstandsrechts als auch bei der Möglichkeit der Bundesregierung, im äußersten Notfall Truppen gegen militärisch bewaffnete Aufständische einzusetzen, hat der Rechtsausschuss sich bemüht, klarzustellen, dass dies nur die Ultima ratio, das letzte Mittel sein dürfte, wenn alle anderen Mittel versagt haben."

75

2. Diese historisch fundierte Ausgangsprämisse des verfassungsändernden Gesetzgebers findet deutlichen Niederschlag in der Systematik, die das Grundgesetz mit der Implementierung der "Notstandsverfassung" durch das 17. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl I S. 709) erfahren hat. Der Plenarbeschluss geht hierauf nicht ein.

76

Gerade wegen der starken öffentlichen Kritik, die sich an dem Streitkräfteeinsatz im Fall des inneren Notstandes entzündet hatte, wandte sich der Rechtsausschuss gegen eine zusammenfassende Regelung, wie sie in dem vorangegangenen Regierungsentwurf vorgeschlagen worden war. Die Trennung der - als unproblematisch angesehenen - Regelung des Katastrophennotstandes einerseits von der des inneren Notstandes andererseits erfolgte, um die entstandene Debatte zu entpolitisieren und den Verdacht auszuräumen, dass mit dem Katastrophennotstand auch der innere Notstand bekämpft werden solle (vgl. Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. Februar 1968, dort S. 10). Dies belegt einmal mehr, dass diese beiden Fälle des Streitkräfteeinsatzes im Inneren völlig unterschiedliche, sich nicht überschneidende Anwendungsbereiche haben und deshalb nicht durch die Zulassung spezifisch militärischer Bewaffnung auch in Fällen des Katastrophennotstandes vermengt werden dürfen. Demgemäß führt der Berichterstatter des Rechtsausschusses, der Abgeordnete Dr. Lenz, in dem von ihm 1971 verfassten Kommentar zur Notstandsverfassung bei Art. 35 Abs. 2 GG (a.a.O., Art. 35 Rn. 9) aus:

77

"Die Anforderung geschieht 'zur Hilfe'. Damit ist ein unbewaffneter - dies ist vor allem im Hinblick auf die Streitkräfte von Bedeutung - technischer Hilfseinsatz gemeint."

78

In Einklang damit steht der Hinweis in dem abschließenden Bericht des Rechtsausschusses, dass die im Fall des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG zur Verfügung gestellten Kräfte anderer Länder und des Bundes "den Rechtsnormen des im Einsatzland geltenden Landespolizeirechts" unterstehen (BTDrucks V/2873, S. 10). Zu Art. 35 Abs. 3 GG verweist der Bericht ausdrücklich auf die Ausführungen zu Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG (BTDrucks V/2873, S. 10). Für beide Fälle des Katastrophennotstandes wurden also mit der Maßgeblichkeit des Landespolizeirechts die Voraussetzungen für die Einbindung der Streitkräfte in den zivilen Katastrophenschutz geschaffen und damit nur polizeiliche Maßnahmen, nicht aber militärische Kampfmaßeinsätze ermöglicht (vgl. auch Cl. Arndt, DVBl 1968, S. 729 f.). Auch die im Bericht des Rechtsausschusses im Einzelnen angeführten Beispiele für den Einsatz der Streitkräfte in den Fällen von Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG, nämlich "Absperrungen von gefährdeten Grundstücken und Verkehrsregelungen" (BTDrucks V/2873, S. 10), sprechen deutlich für einen Einsatz der Streitkräfte, der hinsichtlich der einsetzbaren Mittel nicht über die im jeweiligen Landespolizeirecht der Länder vorgesehenen hinausgehen darf. In der Begründung des Rechtsausschusses zu Art. 87a Abs. 4 GG findet sich demgegenüber die Aussage, dass für den dort geregelten Einsatzfall militärische Mittel nicht von vornherein ausgeschlossen werden sollten, wobei konsequenterweise nicht auf die Anwendbarkeit des jeweiligen Landespolizeirechts verwiesen wird (BTDrucks V/2873, S. 14).

79

3. Weiteres kommt hinzu. Im Rahmen der systematischen Auslegung ist auch zu beachten, dass im Fall des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG allein der Bundesregierung eine Initiativbefugnis zusteht, sie demnach - wie auch der Plenarbeschluss in Bestätigung der Rechtsauffassung des Ersten Senats (BVerfGE 115, 118 <149 f.>) zur dritten Vorlagefrage zutreffend erkennt - nur als Kollegialorgan über den Einsatz der Streitkräfte in überregionalen Katastrophen- oder Unglücksfällen zu befinden vermag. Diese Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers für das Initiativrecht nur der Bundesregierung als Kollegialorgan ist auch für die Zulässigkeit eines bewaffneten Einsatzes der Streitkräfte im Inneren von Belang; denn sie gibt auch Aufschluss über den als zulässig angesehenen und der Regelung daher zugrunde gelegten Mitteleinsatz.

80

Entscheidungen eines Gremiums erfordern naturgemäß einen größeren zeitlichen Vorlauf; das Verfahren ist schwerfälliger als das einer ministeriellen Einzelentscheidung und bringt daher schwerwiegende Effektivitätsnachteile mit sich. Diese können bis zur Erfolglosigkeit einer Maßnahme infolge Zeitablaufs reichen, wenn es sich um eine Gefahrenlage handelt, die ein sofortiges Eingreifen zwingend erfordert. Hingegen zeichnen sich die Naturkatastrophen und Unglücksfälle, für die in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG ein Einsatz der Streitkräfte vorgesehen wurde, typischerweise dadurch aus, dass sie einen gewissen, wenn auch eng begrenzten zeitlichen Spielraum lassen. Unglücksfälle treten generell, Naturkatastrophen bisweilen so plötzlich ein, dass nur noch eine Bekämpfung hinsichtlich der Folgen möglich ist, was aufgrund der Notwendigkeit, Einsatzkräfte und Material heranzuführen, ohnehin geraume Zeit in Anspruch nehmen muss. Ansonsten weisen Naturkatastrophen in ihrer Entstehung oder Folgeentwicklung eine zeitliche Streckung zumindest über Stundenzeiträume auf. All diese Umstände erlauben die Befassung eines Kollegialorgans wie der Bundesregierung, ohne hierdurch die Wirksamkeit des Streitkräfteeinsatzes ernsthaft zu gefährden.

81

Hingegen ist ein unausweichlicher Druck zur Entscheidung innerhalb kürzester Frist gerade für solche Gefahren typisch, denen effektiv nur mit dem Einsatz solcher Waffen begegnet werden kann, die in ihrer zerstörenden Wirkung über die polizeirechtlich zulässige Bewaffnung hinausgehen. Spezifische Militärwaffen sind mit ihrer zerstörerischen Kraft auf die Vernichtung des Gegners angelegt. Ist außerhalb einer kriegerischen Auseinandersetzung zur Gefahrenabwehr der Einsatz solcher Vernichtungskraft im Sinne der Verhältnismäßigkeitsmaxime angemessen und insbesondere auch erforderlich, so wird typischerweise - wie eben bei der Entführung von Flugzeugen zum Einsatz als Anschlagswaffe ("Renegade"-Fälle) - ein Verlauf bereits eingeleitet sein, der bei ungehindertem Fortgang in kürzester Zeit den Verlust zahlreicher Menschenleben oder ungeheuere Schäden erwarten lässt und daher nur durch den Einsatz massivster Mittel endgültig gestoppt werden kann. Solche Gefährdungslagen sind also dadurch gekennzeichnet, dass ihrer Beseitigung jede zeitliche Verzögerung abträglich ist. Dann wäre aber die Betrauung eines in der Entscheidungsfindung vergleichsweise schwerfälligen Kollegialorgans mit der Initiativbefugnis zum Einschreiten geradezu dysfunktional und als Zuständigkeitsentscheidung mit Blick auf die vom verfassungsändernden Gesetzgeber angestrebte "wirksame Bekämpfung" fernliegend. Wenn daher - wie in Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG geschehen - der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Bundesregierung einem Kollegialorgan die Zuständigkeit für die Einsatzentscheidung zuweist, kann hieraus nur der Schluss gezogen werden, dass er von vornherein den Einsatz spezifisch militärischer Waffen nicht für erforderlich hielt und damit auch nicht legitimieren wollte.

III.

82

Dem geschilderten Ergebnis einer historischen und systematischen Auslegung des Grundgesetzes entspricht die Rechtsauffassung des Ersten Senats im Urteil vom 15. Februar 2006, wonach "auch im Fall des überregionalen Katastrophennotstandes ein Einsatz der Streitkräfte mit typisch militärischen Waffen von Verfassungs wegen nicht erlaubt ist" (BVerfGE 115, 118 <150>). Ihm ließe sich aber auch noch dadurch Rechnung tragen, dass die im Plenarbeschluss dargestellte "Sperrwirkung" des Art. 87a Abs. 4 GG als unüberwindliche Schranke des Einsatzes militärischer Waffen im Inland strikt eingehalten wird. Damit wäre der Einsatz militärspezifischer Waffen in Katastrophenfällen namentlich gegen Sachen - wie etwa bei dem gängigen Beispiel des Bombardierens von Deichen zur Herbeiführung einer kontrollierten Überflutung - zu rechtfertigen. Das Plenum will diesen Weg zwar beschreiten und bringt dies scheinbar auch im Beschlusstenor mit der Antwort auf die zweite Vorlagefrage zum Ausdruck. Allerdings erfährt der Tenor durch die anschließenden Gründe des Beschlusses eine entscheidende Ausdehnung, die als tragende Begründung letztlich für das Verständnis und die Wirkungen der Entscheidung des Plenums maßgeblich ist (vgl. BVerfGE 3, 261 <264>; 36, 342 <359 f.> jeweils zu Art. 100 Abs. 3 GG). Damit macht das Plenum den Ansatz einer "strikten Begrenzung" durch Art. 87a Abs. 4 GG selbst zur Makulatur; denn der "Sperrwirkung" wird nur "grundsätzlich" Geltung beigelegt, was es ermöglicht, Inlandseinsätze der Streitkräfte mit militärischer Bewaffnung auch dann zuzulassen, wenn es gilt, einem "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze" eintretenden "katastrophalen Schaden" entgegenzuwirken, der auch durch absichtliches Handeln verursacht sein kann.

83

1. Vieles spricht dafür, dass die Vorstellungen des verfassungsändernden Gesetzgebers bei Regelung des Katastrophennotstandes in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG neben Naturkatastrophen - wie der Hamburger Sturmflut 1962 - nur auf besonders schwere Unglücksfälle im Sinne schicksalhafter, zufälliger Verläufe gerichtet waren (vgl. etwa die Beispiele bei Lenz, a.a.O., Art. 35 Rn. 6 "Explosionsunglück" oder "Kollision von Öltankern in Küstennähe"). Der Erste Senat hat den Begriff des Unglücksfalls jedoch auch für solche Schadensereignisse geöffnet, die "von Dritten absichtlich herbeigeführt werden" (BVerfGE 115, 118 <144>). Erst damit konnte es zu Überschneidungen mit der Regelung des (inneren) Staatsnotstandes in Art. 87a Abs. 4 GG kommen, der unter engen Voraussetzungen einen Waffeneinsatz der Streitkräfte nur gegen organisierte und militärisch bewaffnete Aufständische erlaubt.

84

Will man daher mit dem Ersten Senat den Einsatz militärischer Waffen in den Fällen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG nicht schon generell untersagen, so ist zur Wahrung der in der Verfassung angelegten strikten Trennung zwischen Katastrophennotstand einerseits und innerem Notstand andererseits ein geeignetes Kriterium zu finden, das Umgehungen der streng restriktiven Regelung für Kampfeinsätze in Art. 87a Abs. 4 GG zwingend und effektiv vermeidet. Dazu ist es notwendig, den Zweck der verfassungsrechtlichen Trennung beider Einsätze ernst zu nehmen. Es ging darum, den Katastrophenschutz durch Unterstützung der Streitkräfte zu verbessern, gleichzeitig aber die damit faktisch auch eröffnete Möglichkeit zu verschließen, das Militär als innenpolitisches Machtinstrument zu nutzen (vgl. Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. Februar 1968, dort S. 10). Selbst wenn Gewalttätigkeiten oder Unruhen drohen sollten, die in ihren Folgen das Ausmaß besonders schwerer Unglücksfälle erreichen, dürfen bewaffnete Streitkräfte im Inneren nicht etwa dazu eingesetzt werden, um allein schon durch ihre Präsenz die Bevölkerung etwa bei Demonstrationen einzuschüchtern. Um dieses Ziel zu erreichen, muss Art. 87a Abs. 4 GG eine Sperrwirkung beigelegt werden, die es verhindert, dass bewaffnete Streitkräfte gegen Menschen zum Einsatz kommen, die vorsätzlich die öffentliche Sicherheit gefährden, selbst wenn sie sich absichtlich und in aggressiver Weise gegen den Staat wenden und sich hierbei strafbar machen sollten. Die Bekämpfung solcher Gefährdungen ist selbstverständlich zulässig und geboten, aber sie ist nach dem geltenden Verfassungsrecht in Deutschland eine ausschließlich polizeiliche, nicht jedoch eine militärische Aufgabe. Dies bestätigt die Verfassung selbst durch Art. 91 GG. Denn sogar wenn es zu einer Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kommt, sieht Art. 91 GG für diesen Fall des inneren Notstandes nur den Einsatz von Polizeikräften anderer Länder oder der Bundespolizei vor, nicht aber den Einsatz der Streitkräfte. Deren Heranziehung macht Art. 87a Abs. 4 GG schon für den bloßen Objektschutz vielmehr von weiteren Voraussetzungen abhängig, wobei der Einsatz von Waffen in jedem Fall nur gegen organisierte und militärisch bewaffnete Aufständische zulässig ist (vgl. Lenz, a.a.O., Art. 87a Rn. 18). Mit den Waffen des Militärs dürfen also nur Personengruppen bekämpft werden, die selbst militärisch bewaffnet sind, sich gegen den Staat erhoben haben und über ein System der Einsatzleitung verfügen (vgl. Lenz, a.a.O., Art. 87a Rn. 19).

85

2. Der Plenarbeschluss geht darüber hinaus. Er ist zwar von der redlichen und anerkennenswerten Absicht getragen, den bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren restriktiv zu halten, setzt sich aber über die selbst erkannte Sperrwirkung hinweg und kann daher mit den von ihm entwickelten Kriterien eine Umgehung der engen Voraussetzungen des inneren Notstandes nach Art. 87a Abs. 4 GG durch die weniger strengen Voraussetzungen des Katastrophennotstandes nicht verhindern. Durch den Versuch der weiteren Einhegung des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG durch das Erfordernis eines zwar nicht das "Vorfeld" eines Unglücksfalls erfassenden, gleichwohl aber "unmittelbar bevorstehenden" Schadenseintritts "von katastrophischen Dimensionen" wird die Rechtsanwendung zwar um neue Begrifflichkeiten bereichert, nicht aber um die nötige Klarheit und Berechenbarkeit. Es handelt sich um gänzlich unbestimmte, gerichtlich kaum effektiv kontrollierbare Kategorien, die in der täglichen Anwendungspraxis viel Spielraum für subjektive Einschätzungen, persönliche Bewertungspräferenzen und unsichere, wenn nicht gar voreilige Prognosen lassen. Jedenfalls bei Inlandseinsätzen militärisch bewaffneter Streitkräfte ist das nicht hinnehmbar. Im Schatten eines Arsenals militärischer Waffen kann freie Meinungsäußerung schwerlich gedeihen. Wie ist beispielsweise zu verhindern, dass im Zusammenhang mit regierungskritischen Großdemonstrationen - wie etwa im Juni 2007 aus Anlass des "G8-Gipfels" in Heiligendamm - schon wegen befürchteter Aggressivität einzelner teilnehmender Gruppen "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze" eintretende massive Gewalttätigkeiten mit "katastrophalen Schadensfolgen" angenommen werden und deswegen bewaffnete Einheiten der Bundeswehr aufziehen? Der bloße Hinweis des Plenums, dass Gefahren, die "aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen", nicht genügen sollen, kann in diesen Fällen die selbst definierten Einsatzvoraussetzungen kaum wirksam suspendieren.

86

3. Dass die vom Plenarbeschluss entwickelte Lösung einer überzeugenden dogmatischen Grundlage entbehrt, kommt hinzu. Wie es angesichts der auch im Plenarbeschluss anerkannten Sperrwirkung zulässig sein kann, diese gleichwohl -und sei es auch nur in besonders qualifizierten Unglücksfällen - bei Seite zu schieben und den Einsatz bewaffneter Streitkräfte auch dann zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Art. 87a Abs. 4 GG nicht vorliegen, erschließt sich nicht und wird in der Entscheidung nicht begründet. Eine Begründung lässt sich auch schwerlich finden; denn wenn - bildlich gesprochen - das Öffnen einer Tür verboten ist, dann kann es nicht erlaubt sein, sie auch nur einen Spalt weit zu öffnen.

IV.

87

Letztlich wirft der Plenarbeschluss auch die Frage auf, was durch den nun erweiterten Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Inneren an Vorteilen für den Schutz der Bevölkerung namentlich vor terroristischen Angriffen erreicht werden kann. Die Antwort lautet: wenig bis nichts.

88

1. Angesichts des beim Zweiten Senat anhängigen Normenkontrollverfahrens wird darüber zu befinden sein, welche Vorschriften des Luftsicherheitsgesetzes zur Abwehr besonders schwerer Unglücksfälle durch den Einsatz bewaffneter Einheiten der Streitkräfte verfassungsrechtlichen Bestand haben können. Auf der Grundlage des Plenarbeschlusses mag es de lege lata zulässig sein, dass Kampfflugzeuge unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 LuftSiG "Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben". Die erfolgreiche Gefahrenabwehr durch solche Maßnahmen wird allerdings insbesondere in "Renegade"-Fällen deshalb wenig wahrscheinlich sein, weil Konsequenzen in Form eines Abschusses unzulässig sind, nachdem die - eine "unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt" gestattende - Vorschrift des § 14 Abs. 3 LuftSiG durch das Urteil des Ersten Senats für verfassungswidrig und nichtig erklärt worden ist (BVerfGE 115, 118). De lege ferenda mag ohne Verfassungsänderung eine gesetzliche Neuregelung möglich sein, diese könnte jedoch eine unmittelbare Einwirkung mit militärischer Waffengewalt nur gegen ein unbemanntes Luftfahrzeug erlauben oder ausschließlich gegen die Personen gerichtet sein, die das Luftfahrzeug als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen einsetzen wollen (vgl. BVerfGE 115, 118 <160>). Hingegen kann der deutsche Gesetzgeber den Abschuss solcher Flugzeuge nicht erlauben, in denen sich - wie bei den terroristischen Angriffen am 11. September 2001 - Passagiere und Besatzungsmitglieder befinden, die selbst Opfer der Luftpiraten geworden sind. Insoweit hat auch der Plenarbeschluss nichts daran geändert, dass die den Umständen nach wahrscheinliche Tötung dieser Menschen mit dem Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) in Verbindung mit der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) unvereinbar ist. Es kommt hinzu, dass - auch nach der Auffassung des Plenums - ohne Verfassungsänderung allein die Bundesregierung nach Maßgabe des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG über den Einsatz militärischer Waffen gegen Luftfahrzeuge befinden kann, was angesichts des vergleichsweise kleinen deutschen Luftraums kaum jemals rechtzeitig zu einer Maßnahme nach § 14 Abs. 1 LuftSiG oder - nach gesetzlicher Neuregelung - zu einem eingeschränkt zulässigen Abschuss eines Luftfahrzeugs führen wird. Soll danach der Rahmen, den das materielle Verfassungsrecht für eine effektive Abwehr von Gefahren aus dem Luftraum lässt, genutzt werden, so ist trotz der erweiterten Zulässigkeit von Kampfeinsätzen nach der Entscheidung des Plenums eine Verfassungsänderung gleichwohl unvermeidlich.

89

2. Es lässt sich nicht leugnen und ist positiv zu bewerten, dass die Antwort des Plenums deutlich hinter dem aus der Vorlagefrage ersichtlichen Anliegen des Zweiten Senats zurückbleibt, das auf eine Umgestaltung der Regelungen des Katastrophennotstandes hin zu einer subsidiären allgemeinen Gefahrenabwehr mit militärischen Waffen zielte. Gleichwohl hat das Plenum aber zugunsten eines geringen, praktisch kaum realisierbaren Gewinns an Sicherheit die Zulässigkeit des Einsatzes der Streitkräfte im Inneren mit Hilfe derart unbestimmter Rechtsbegriffe erweitert, dass militärische Einsätze zu innenpolitischen Zwecken nicht ausgeschlossen werden können. Für einen kaum messbaren Nutzen wurden fundamentale Grundsätze aufgegeben. Daher wäre es ein fataler Fehler, sich angesichts der Entscheidung des Plenums damit zu trösten, dass der Berg gekreißt, aber nur eine Maus geboren hat.

(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.

(1a) Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen für die Bundeswehr mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten. Auf die Kreditermächtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 nicht anzuwenden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.

(3) Die Streitkräfte haben im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle die Befugnis, zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen, soweit dies zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrages erforderlich ist. Außerdem kann den Streitkräften im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden; die Streitkräfte wirken dabei mit den zuständigen Behörden zusammen.

(4) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen.

Tenor

1. Soweit der Antrag sich auf § 14 Absatz 3 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) bezog, wird das Verfahren eingestellt.

2. § 13 Absatz 3 Satz 2 und 3 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) ist mit Artikel 35 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

3. Im Übrigen sind die §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite78), geändert durch Artikel 7 Nummer 2 des Gesetzes zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften vom 29. Juli 2009 (Bundesgesetzblatt I Seite 2424) - soweit nicht als Folge der Nichtigerklärung des § 14 Absatz 3 des Luftsicherheitsgesetzes durch das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006 - 1 BvR 357/05 - gegenstandslos geworden (§ 14 Absatz 4 Satz 1 Luftsicherheitsgesetz und die in § 15 Absatz 1 und 2 Luftsicherheitsgesetz enthaltenen Bezugnahmen auf § 14 Absatz 3 Luftsicherheitsgesetz) - in den genannten Fassungen mit dem Grundgesetz vereinbar.

4. § 16 Absatz 2 und Absatz 3 Satz 2 und 3 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite78) sowie Artikel 2 Nummer 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben sind mit dem Grundgesetz vereinbar.

Gründe

A.

1

Der Antrag im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle betrifft die Vorschriften des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) zur Verwendung der Streitkräfte bei einem besonders schweren Unglücksfall (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG), der von einem Luftfahrzeug ausgeht (§§ 13 bis 15 LuftSiG), sowie die gesetzlichen Bestimmungen, die es dem Bund erlauben, Luftsicherheitsaufgaben, die den Ländern zur Ausführung in Auftragsverwaltung übertragen sind (§ 16 Abs. 2 LuftSiG), durch Entscheidung des Bundesministeriums des Innern wieder an sich zu ziehen (§ 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 i.V.m. § 16 Abs. 2 LuftSiG, Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 ).

I.

2

1. Das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (BGBl I S. 78) und - als dessen Artikel 1 - das Luftsicherheitsgesetz traten am 15. Januar 2005 in Kraft (zu den Hintergründen BVerfGE 115, 118 <119 ff.>). Die im Antrag genannten Bestimmungen sind in der damaligen Fassung zur Prüfung gestellt. In dieser Fassung haben sie folgenden Wortlaut:

3

§ 13 LuftSiG

Entscheidung der Bundesregierung

(1) Liegen auf Grund eines erheblichen Luftzwischenfalls Tatsachen vor, die im Rahmen der Gefahrenabwehr die Annahme begründen, dass ein besonders schwerer Unglücksfall nach Artikel 35 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 des Grundgesetzes bevorsteht, können die Streitkräfte, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, zur Unterstützung der Polizeikräfte der Länder im Luftraum zur Verhinderung dieses Unglücksfalles eingesetzt werden.

(2) Die Entscheidung über einen Einsatz nach Artikel 35 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes trifft auf Anforderung des betroffenen Landes der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern. Ist sofortiges Handeln geboten, ist das Bundesministerium des Innern unverzüglich zu unterrichten.

(3) Die Entscheidung über einen Einsatz nach Artikel 35 Abs. 3 des Grundgesetzes trifft die Bundesregierung im Benehmen mit den betroffenen Ländern. Ist eine rechtzeitige Entscheidung der Bundesregierung nicht möglich, so entscheidet der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern. Die Entscheidung der Bundesregierung ist unverzüglich herbeizuführen. Ist sofortiges Handeln geboten, sind die betroffenen Länder und das Bundesministerium des Innern unverzüglich zu unterrichten.

(4) Das Nähere wird zwischen Bund und Ländern geregelt. Die Unterstützung durch die Streitkräfte richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes.

4

§ 14 LuftSiG

Einsatzmaßnahmen, Anordnungsbefugnis

(1) Zur Verhinderung des Eintritts eines besonders schweren Unglücksfalles dürfen die Streitkräfte im Luftraum Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben.

(2) Von mehreren möglichen Maßnahmen ist diejenige auszuwählen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Die Maßnahme darf nur so lange und so weit durchgeführt werden, wie ihr Zweck es erfordert. Sie darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht.

(3) Die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ist nur zulässig, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, und sie das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist.

(4) Die Maßnahme nach Absatz 3 kann nur der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung anordnen. Im Übrigen kann der Bundesminister der Verteidigung den Inspekteur der Luftwaffe generell ermächtigen, Maßnahmen nach Absatz 1 anzuordnen.

5

§ 15 LuftSiG

Sonstige Maßnahmen

(1) Die Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 und 3 dürfen erst nach Überprüfung sowie erfolglosen Versuchen zur Warnung und Umleitung getroffen werden. Zu diesem Zweck können die Streitkräfte auf Ersuchen der für die Flugsicherung zuständigen Stelle im Luftraum Luftfahrzeuge überprüfen, umleiten oder warnen. Ein generelles Ersuchen ist zulässig. Die Voraussetzungen für ein Tätigwerden werden in diesem Fall durch vorherige Vereinbarung festgelegt.

(2) Der Bundesminister der Verteidigung kann den Inspekteur der Luftwaffe generell ermächtigen, Maßnahmen nach Absatz 1 anzuordnen. Der Inspekteur der Luftwaffe hat den Bundesminister der Verteidigung unverzüglich über Situationen zu informieren, die zu Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 und 3 führen könnten.

(3) Die sonstigen Vorschriften und Grundsätze der Amtshilfe bleiben unberührt.

6

§ 16 LuftSiG

Zuständigkeiten

(1) ...

(2) Die Aufgaben der Luftsicherheitsbehörden nach diesem Gesetz und nach der Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt (ABl. EG Nr. L 355 S. 1) werden von den Ländern im Auftrage des Bundes ausgeführt, soweit in den Absätzen 3 und 4 nichts anderes bestimmt ist.

(3) ... Im Übrigen können die Aufgaben der Luftsicherheitsbehörden nach diesem Gesetz in bundeseigener Verwaltung ausgeführt werden, wenn dies zur Gewährleistung der bundeseinheitlichen Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen erforderlich ist. In den Fällen des Satzes 2 werden die Aufgaben von der vom Bundesministerium des Innern bestimmten Bundesbehörde wahrgenommen; das Bundesministerium des Innern macht die Übernahme von Aufgaben sowie die zuständigen Bundesbehörden im Bundesanzeiger bekannt.

(4) ...

7

Art. 2 Nr. 10 Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben

Änderung des Luftverkehrsgesetzes

Das Luftverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. März 1999 (BGBl. I S. 550), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 6. April 2004 (BGBl. I S. 550, 1027), wird wie folgt geändert:

...

10. § 31 Abs. 2 wird wie folgt geändert:

a) In Nummer 18 wird das Semikolon am Ende durch einen Punkt er- setzt.

b) Nummer 19 wird aufgehoben.

...

8

Bei dem gemäß Buchstabe b) dieser Bestimmung aufgehobenen § 31 Abs. 2 Nr. 19 des LuftVG a.F. handelte es sich um die frühere Regelung zur Art und Weise der Ausführung von Aufgaben des Schutzes vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs. Für diese Aufgaben war danach grundsätzlich die Ausführung durch die Länder im Auftrage des Bundes vorgesehen und die Möglichkeit der Ausführung in bundeseigener Verwaltung - nur - auf Antrag eines Landes eröffnet.

9

2. Die wiedergegebenen Bestimmungen sind zwischenzeitlich nur unwesentlich geändert worden. In § 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG wurden die Wörter "für die Flugsicherung zuständigen Stelle" durch das Wort "Flugsicherungsorganisation" (Gesetz zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften vom 29. Juli 2009, BGBl I S. 2424) und in § 16 Abs. 4 Satz 2 LuftSiG die Wörter "Verkehr, Bau- und Wohnungswesen" durch die Wörter "Verkehr, Bau und Stadtentwicklung" ersetzt (Neunte Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 31. Oktober 2006, BGBl I S. 2407).

II.

10

1. Der Normenkontrollantrag ging am 28. April 2005 beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Bearbeitung des Verfahrens wurde zurückgestellt bis zur Entscheidung des Ersten Senats über mehrere anhängige Verfassungsbeschwerden gegen § 14 Abs. 3 LuftSiG.

11

2. Mit Urteil vom 15. Februar 2006 - 1 BvR 357/05 - (BVerfGE 115, 118) erklärte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts § 14 Abs. 3 LuftSiG für mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 87a Abs. 2 und Art. 35 Abs. 2 und 3 sowie in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig. Für die Bestimmung fehle die Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Dessen Befugnis, gesetzliche Regelungen zum Einsatz der Streitkräfte im regionalen oder überregionalen Katastrophennotstand zu treffen, könne nicht auf Art. 73 Nr. 1 oder Art. 73 Nr. 6 GG gestützt werden, sondern folge unmittelbar aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG selbst (a.a.O., S. 140 f.). Von der durch diese Verfassungsnormen eröffneten Kompetenz sei § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht gedeckt (a.a.O., S. 141 ff.). Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG stünden zwar einem Einsatz im Fall eines vorsätzlich herbeigeführten Unglücksfalls ebensowenig entgegen wie einem Einsatz zur Abwehr eines noch nicht eingetretenen, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze zu erwartenden, unmittelbar drohenden Schadensereignisses (a.a.O., S. 143 ff.). Nach Wortlaut und durch die Entstehungsgeschichte bestätigtem Zweck des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG sei jedoch ein Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht erlaubt (a.a.O., S. 146 ff.). § 14 Abs. 3 LuftSiG sei auch mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht vereinbar. Verfassungsrechtlichen Bedenken begegne die Vorschrift schon deshalb, weil der danach zulässige Streitkräfteeinsatz gemäß § 13 Abs. 3 LuftSiG nicht durchweg, wie von Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 62 GG gefordert, eine vorherige Einsatzentscheidung der Bundesregierung als Kollegium voraussetze (a.a.O., S. 148 ff.). Auch im Fall des überregionalen Katastrophennotstands sei zudem ein Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht erlaubt (a.a.O., S. 150 f.). Materiell stehe § 14 Abs. 3 LuftSiG darüber hinaus nicht mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG in Einklang, soweit er es den Streitkräften gestatte, Luftfahrzeuge abzuschießen, in denen sich neben den Angreifern auch Menschen befinden, die an dem Angriff nicht beteiligt, sondern als Opfer von ihm betroffen sind (a.a.O., S. 151 ff.). Auf die Frage, ob das Gesetz, mit dem § 14 Abs. 3 LuftSiG in Kraft gesetzt wurde, der Zustimmung des Bundesrates bedurft hätte, ging der Senat nicht ein; die diesbezügliche Rüge genüge nicht den Begründungsanforderungen der §§ 92, 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BVerfGG (a.a.O., S. 135 f.).

12

3. Die Antragstellerinnen erklärten daraufhin ihren Antrag in dem vorliegenden Verfahren für erledigt, soweit er § 14 Abs. 3 LuftSiG betraf. Die Bearbeitung des Verfahrens blieb auf ihr Ersuchen zunächst weiterhin zurückgestellt.

13

4. Ihren Antrag begründeten die Antragstellerinnen wie folgt:

14

a) Für den Erlass der §§ 13 bis 15 LuftSiG habe dem Bund die Gesetzgebungskompetenz gefehlt. Die in §§ 13 bis 15 LuftSiG geregelten Einsatzmaßnahmen dienten nicht der Verteidigung im Sinne des Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG und des Art. 87a Abs. 1 GG. Der Angriff mittels eines Flugzeuges von außerhalb der Staatsgrenzen sei ein durch Verteidigung im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG zu beantwortender Angriff nur, wenn es sich dabei um einen Angriff eines anderen Staates oder eines De-facto-Regimes auf die Bundesrepublik Deutschland handle oder wenn und soweit internationale terroristische Aggressionen ein Ausmaß erreichten, das das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta auslöse. Ob die Grundsatz- und Grenzbestimmung des Grundgesetzes für den Verteidigungsauftrag der Streitkräfte durch ein ungeschriebenes Staatsnotrecht für den Fall von Angriffen, die auf die Beseitigung des Gemeinwesens und die Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsordnung gerichtet sind, ergänzt werden müsse, könne offen bleiben, da die §§ 13 ff. LuftSiG keine derartigen Vorgänge voraussetzten.

15

Kraft des nach der bindenden Entscheidung des Ersten Senats dem Bund unmittelbar aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG zustehenden Gesetzgebungsrechts für Fälle der Unterstützung der Länder in der polizeilichen Gefahrenabwehr könne ein Einsatz mit spezifisch militärischen Waffen nicht durch Bundesgesetz vorgesehen und geregelt werden.

16

Es stehe mit Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG nicht in Einklang, dass das Luftsicherheitsgesetz den Bund ermächtige, die Bundeswehr zur Gefahrenabwehr mit militärischen Waffen nach Bundesrecht einzusetzen. Nach Art. 35 GG könnten die Streitkräfte nur von den Befugnissen Gebrauch machen, die das Landesrecht für die polizeiliche Aufgabe der Gefahrenabwehr bereithalte. § 14 Abs. 1 LuftSiG regle demgegenüber bundesrechtlich den Einsatz der Streitkräfte in ihrer spezifischen Eigenschaft und Fähigkeit als bewaffnete Macht und gestatte die Verwendung spezifisch militärischer Waffen. § 13 Abs. 3 Satz 2 bis 4 LuftSiG stehe, wie das Urteil des Ersten Senats bestätige, nicht in Einklang mit Art. 35 Abs. 3 GG, der die Entscheidung über den Einsatz, da es sich hier um einen schwerwiegenden Eingriff in das bundesstaatliche Rechtsverhältnis handele, der Bundesregierung als Kollegialorgan (Art. 62 GG) zuweise.

17

§ 14 Abs. 4 sowie § 15 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 LuftSiG seien, soweit auf § 14 Abs. 3 LuftSiG bezogen, mit der Nichtigerklärung dieser Bestimmung obsolet geworden.

18

b) Die mit § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG sowie Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben getroffenen Regelungen hätten gemäß Art. 87d Abs. 2 GG der Zustimmung des Bundesrates bedurft. Die Kompetenz des Bundes gemäß Art. 87d Abs. 2 GG, bundeseigene Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung gemäß Art. 87d Abs. 1 Satz 1 GG den Ländern als Auftragsverwaltung zu übertragen, umfasse auch die Befugnis, die übertragenen Aufgaben ganz oder teilweise zurückzunehmen. Die Rückübertragung könne auch aufgrund einer ausreichenden Ermächtigung in dem Gesetz durch eine Regelung der Exekutive erfolgen. Die Voraussetzungen der Rückübertragung müssten aber durch das Gesetz in bestimmter Weise vorgezeichnet sein. Die Generalklausel des § 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG lasse Ermessensentscheidungen ohne hinreichend bestimmte und berechenbare Maßgaben zu. Ein Gesetz, das ein mit Zustimmung des Bundesrates ergangenes Gesetz ändere, sei zustimmungsbedürftig, wenn es Regelungen ändere, welche die Zustimmungsbedürftigkeit des geänderten Gesetzes ausgelöst haben. Eine Einschränkung dieser Regel werde offenbar für Regelungskonstellationen im Bereich von Art. 84 Abs. 1 GG anerkannt, die keinen weiteren Einbruch des Bundes in die Verwaltungszuständigkeit der Länder bewirken. Das Organisations- und Verwaltungsinteresse der Länder werde jedoch bei der Übertragung und Rückübertragung von Aufgaben gemäß Art. 87d Abs. 2 GG in anderer Weise berührt als bei einer bundesgesetzlichen Regelung der Behördeneinrichtung und des Verwaltungsverfahrens. Der äußerlich als actus contrarius zur Aufgabenübertragung erscheinende Akt der Rückübertragung stelle eine selbständige Regelung der bundesstaatlichen Kompetenzordnung dar, die das Grundgesetz einer besonderen Entscheidung des Gesetzgebers überlassen habe. In beiden Fällen müsse folgerichtig die Frage der notwendigen Zustimmung durch den Bundesrat in gleicher Weise beantwortet werden. Die Rückübertragung beeinträchtige zudem die organisatorischen und finanziellen Belange der Länder, die die für den Verwaltungsvollzug notwendigen personellen und sachlichen Vorkehrungen getroffen hätten.

19

Überdies verletze die in § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG getroffene Regelung den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens.

III.

20

1. Die Bundesregierung äußerte sich dahin, dass der Normenkontrollantrag unbegründet sei.

21

a) Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Erlass der §§ 13 bis 15 LuftSiG sei aus Art. 73 Nr. 1 GG a.F. und aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG ableitbar; sie bestehe unabhängig davon, welche dieser beiden Vorschriften herangezogen werde. Hilfsweise lasse sie sich auch aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG begründen.

22

Der Gesetzgebungskompetenz des Bundes stehe, auch wenn man mit dem Urteil des Ersten Senats davon ausgehe, dass sie sich aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG ergibt, nicht entgegen, dass diese Vorschriften einen Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht erlaubten. Die nach der Nichtigerklärung des § 14 Abs. 3 LuftSiG verbleibenden Regelungen der §§ 13 bis 15 LuftSiG setzten nicht den Einsatz militärischer Kampfmittel voraus. § 14 Abs. 1 LuftSiG erlaube zwar die Androhung von Waffengewalt und die Abgabe von Warnschüssen. Diese Bestimmung lasse sich jedoch zwanglos dahin auslegen, dass nur die Waffen gemeint seien, die das Recht des betreffenden Landes für dessen Polizeikräfte vorsehe.

23

Die in § 13 Abs. 3 LuftSiG statuierte Eilkompetenz für den Fall einer nicht rechtzeitig möglichen Entscheidung der Bundesregierung sei von Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG gedeckt. Soweit diese Verfassungsbestimmung Maßnahmen des Bundes zur Gefahrenabwehr gestatte, gelte dies zugleich für die notwendige Regelung von Verfahren, um diese Maßnahmen effektiv treffen zu können. § 13 Abs. 3 LuftSiG trage dem grundsätzlichen Entscheidungsvorbehalt der Bundesregierung soweit wie möglich Rechnung, indem er in Satz 3 deren unverzügliche nachträgliche Entscheidung gebiete.

24

b) Das Luftsicherheitsgesetz sei weder im Hinblick auf die Übertragung von Aufgaben auf die Länder in §§ 7 f. LuftSiG noch im Hinblick auf die Einführung der Bundesinitiativlösung in § 16 Abs. 3 Satz 3 LuftSiG oder die Regelung des Verwaltungsverfahrens in § 7 LuftSiG zustimmungsbedürftig gewesen. Zustimmungspflichtig sei zunächst die Übertragung von Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung auf die Länder. Ein Änderungsgesetz, das übertragene Aufgaben betreffe, bedürfe der Zustimmung nur, wenn die bereits übertragenen Aufgaben qualitativ verändert würden, ihnen also eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite verliehen werde. Das sei hier nicht der Fall. Bereits nach § 31 Abs. 2 Nr. 19 LuftVG a.F. sei den Ländern die gesamte Aufgabe der Abwehr von Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs als Auftragsangelegenheit übertragen gewesen; die neuen Regelungen gingen hierüber nicht hinaus. Ein Aufgabenzuwachs quantitativer Art begründe keine neue Zustimmungsbedürftigkeit, wenn der Bundesrat der fraglichen Aufgabenwahrnehmung schon früher zugestimmt habe. Die in § 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG getroffene Regelung sei nicht zustimmungspflichtig, da Art. 87d Abs. 2 GG einen Zustimmungsvorbehalt nur für die Übertragung vorsehe. Zur analogen Anwendung dieser Bestimmung auf Rückübertragungen bestehe kein Anlass. Die Rückübertragung beeinträchtige keine schutzwürdigen Länderbelange. Auch der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens begründe deshalb keinen Zustimmungsvorbehalt. Das Verwaltungsverfahren zur Zuverlässigkeitsprüfung sei mit § 7 LuftSiG nur modifiziert, nicht aber substantiell neu geregelt worden. Zudem lasse sich aus Art. 85 Abs. 1 GG kein Zustimmungsvorbehalt für Regelungen des Verwaltungsverfahrens ableiten.

25

2. Die weiteren Äußerungsberechtigten haben keine Stellungnahme abgegeben.

IV.

26

In einer mündlichen Verhandlung am 10. Februar 2010 haben die Antragstellerinnen und die Bundesregierung ihren schriftlichen Vortrag ergänzt und vertieft.

27

Als sachkundige Auskunftspersonen äußerten sich für die Bayerische Staatsregierung der Sachgebietsleiter Einsatz der Bayerischen Polizei im Bayerischen Staatsministerium des Innern, Ministerialrat Hubertus Andrä, für die Hessische Landesregierung der Inspekteur der Hessischen Polizei, Udo Münch, sowie Polizeivizepräsident Robert Schäfer (Polizeipräsidium Wiesbaden), und für die Bundesregierung der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, der Präsident des Bundespolizeipräsidiums, Matthias Seeger, sowie der Kommandeur der Führungszentrale Nationale Luftverteidigung, Generalleutnant Friedrich-Wilhelm Ploeger. Die Auskunftspersonen äußerten sich zur Gefahr von Anschlägen unter anderem aus dem Luftraum beziehungsweise zu den bestehenden Abwehrmöglichkeiten. Es bestand Übereinstimmung, dass die Gefahr ernstzunehmen sei und ihr mit den Mitteln der Polizeien nicht ausreichend begegnet werden könne.

28

Generalleutnant Ploeger stellte die praktischen Vorkehrungen für eine Verwendung der Luftwaffe in den Fällen des Luftsicherheitsgesetzes dar. Hierfür würden Flugzeuge genutzt, die primär der integrierten NATO-Luftverteidigung zur Verfügung stünden und entsprechend ausgerüstet seien. Diese überwache den Luftraum über den Mitgliedstaaten zum Schutz vor Angriffen kontinuierlich und möglichst lückenlos. Im Fall des Verdachts auf einen bevorstehenden kriminellen Anschlag mittels eines Luftfahrzeuges (sog. Renegade-Fall) stünden die NATO-Mittel den Mitgliedstaaten in nationaler Verantwortung zur Verfügung. Die sonst für die operative Luftverteidigung bei einem militärischen Angriff zuständige Führungszentrale Nationale Luftverteidigung könne dann ein Luftlagebild erstellen, die Kommunikation zwischen zivilen und militärischen Stellen gewährleisten und gegebenenfalls den Einsatz von Jagdflugzeugen steuern. Dies erfolge anhand der Zusammenarbeitsgrundsätze von Bund und Ländern, die alle Informationsabläufe, Verfahrensweisen und Rahmenbedingungen regelten, um Gefahren für die Sicherheit im deutschen Luftraum durch Renegade-Luftfahrzeuge bestmöglich abzuwehren. Gehe der Funkkontakt zu einem Luftfahrzeug verloren, werde die Führungszentrale informiert. Dort würden alle zu dem Luftfahrzeug verfügbaren Daten zusammengeführt. Könne der Funkkontakt auf den herkömmlichen Wegen nicht wiederhergestellt werden, stiegen Jagdflugzeuge auf. Dies geschehe etwa 30 bis 40 Mal jährlich. Gleichzeitig mit dem Start der Jagdflugzeuge würden der Inspekteur der Luftwaffe und über den Verbindungsbeamten der Bundespolizei im Führungszentrum die Lagezentren des Bundes und der Länder informiert. Die Besatzungen der Jagdflugzeuge versuchten dann, Sichtkontakt mit der Besatzung des anderen Flugzeugs aufzunehmen. Dieser könnten durch Flügelbewegungen gemäß internationalem Code Verhaltenssignale übermittelt werden. Gemäß § 14 Abs. 1 LuftSiG könnten die Jagdflugzeuge bei Bedarf sogenannte Infrarot-Täuschkörper zünden, die selbst in hellem Sonnenlicht von der Besatzung des Renegade-Flugzeugs nicht übersehen werden könnten und ihr signalisierten, dass Anweisungen der Jagdflugzeugbesatzung zu befolgen seien. Nach der Nichtigerklärung von § 14 Abs. 3 LuftSiG bestehe keine Möglichkeit mehr, die Befolgung zu erzwingen; insofern sei man letztlich auf Kooperation angewiesen. Die Aussicht auf solche Kooperation könne aber durch die verbleibenden Handlungsmöglichkeiten gesteigert werden. Aufgrund der Geschwindigkeit heutiger Verkehrsflugzeuge, die in der Minute etwa 12 bis 15 km zurücklegten, vergingen zwischen dem ersten Gefahranzeichen und dem Eintritt des Schadens im Ernstfall möglicherweise nur 15 bis 20 Minuten. Deshalb sei es im Renegade-Fall wichtig, kurzfristig Informationen auch unmittelbar an dem betroffenen Flugzeug zu sammeln, um die Gefahr richtig beurteilen und die angemessenen Abwehrmaßnahmen einleiten zu können.

29

Der Inspekteur der Hessischen Polizei und der Präsident des Bundeskriminalamts legten ebenfalls dar, dass die verbleibenden Möglichkeiten der Informationsgewinnung und Beeinflussung von Bedeutung seien. Von einem begleitenden Jagdflugzeug aus könne ermittelt werden, was im Cockpit des Renegade-Flugzeugs vor sich gehe, wer das Flugzeug steuere, ob ein Täter fliege, die Flugbewegungen unsicher und Waffen erkennbar seien. Diese Informationen könnten Anhaltspunkte für die Nutzung polizeipsychologischer Mittel liefern. Jagdflugzeuge könnten als polizeitaktisches Mittel zur Verunsicherung des Täters genutzt werden, zumal es nach polizeilicher Erfahrung kein festes Täterraster gebe, Angreifer vielmehr auf ihre Taten physisch und psychisch unterschiedlich vorbereitet seien.

30

Die Ergebnisse dieser mündlichen Verhandlung sind über die Abschrift des Tonbandprotokolls (§ 25a Satz 2 BVerfGG) in die Beratung über die vorliegende Entscheidung einbezogen worden (s. dazu unter A.VI.2. und B.).

V.

31

Der Zweite Senat, der bei seiner Entscheidung in drei Punkten von Rechtsauffassungen des Ersten Senats in dessen Urteil zum Luftsicherheitsgesetz (s.o. II.2.) abweichen wollte, hat das Plenum des Bundesverfassungsgerichts angerufen. Dieses hat über die zwischen den Senaten strittigen Verfassungsfragen mit Beschluss vom 3. Juli 2012 (- 2 PBvU 1/11 -, juris) folgendermaßen entschieden:

32

1. Die Gesetzgebungszuständigkeit für die §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) ergibt sich aus Artikel 73 Nummer 6 des Grundgesetzes in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 2034) geltenden Fassung.

2. Artikel 35 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 des Grundgesetzes schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei einem Einsatz der Streitkräfte nach diesen Vorschriften nicht grundsätzlich aus, lassen sie aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die einem bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren durch Artikel 87a Absatz 4 GG gesetzt sind.

3. Der Einsatz der Streitkräfte nach Artikel 35 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes ist, auch in Eilfällen, allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässig.

VI.

33

1. Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2012 haben die Antragstellerinnen unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen in den früheren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010 erklärt, der Normenkontrollantrag werde aufrechterhalten.

34

Der Bund könne von seinem Gesetzgebungsrecht über den Luftverkehr (Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG) oder kraft konkludenter Kompetenz zur Regelung der Amtshilfe durch die Streitkräfte (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG) nur Gebrauch machen, wenn ein Einsatz der Streitkräfte durch das Grundgesetz ausdrücklich zugelassen sei (Art. 87a Abs. 2 GG). Eine entsprechende Zulassung könne sich nur aus den Amtshilfevorschriften des Art. 35 GG ergeben. Die in § 14 Abs. 1 LuftSiG vorgesehenen Maßnahmen der Streitkräfte seien ein Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen als Mittel der vollziehenden Gewalt, fielen damit unter den Vorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG und könnten, soweit verfassungsrechtlich zulässig, bei einem überregionalen Unglücksfall nur durch die Bundesregierung angeordnet werden (Art. 35 Abs. 3 GG).

35

Der Beschluss des Plenums vom 3. Juli 2012 befinde nicht über konkrete Rechtsfolgen, sondern über die vorgelegte abstrakte Rechtsauffassung. Das Plenum habe sich weder die Rechtsauffassung des Ersten Senats zu eigen gemacht noch die in der Vorlage des Zweiten Senats enthaltene abweichende Rechtsauffassung übernommen.

36

Die angenommene "Sperrwirkung" des Art. 87a Abs. 4 GG für die Abwehr innerer Unruhen, die von nichtstaatlichen Angreifern ausgehen, könne und müsse möglicherweise der Sache nach so verstanden werden, dass ein Kampfeinsatz der Streitkräfte mit militärischen Waffen, der - wie in § 14 LuftSiG vorgesehen - hoheitliche Gewalt gegen Personen einschließe, nur in dem abschließend geregelten Fall des inneren Notstandes im Sinne des Art. 87a Abs. 4 GG zulässig sei. Diese Auslegung werde durch Art. 91 GG bekräftigt, wonach zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes nur ein Einsatz von Polizeikräften vorgesehen und zugelassen sei. Die danach gegebene Unterscheidung der Zulässigkeit des Kampfeinsatzes der Streitkräfte einerseits im inneren Notstand, andererseits bei der Amtshilfe sei überdies - wie in der abweichenden Meinung des Richters Gaier überzeugend dargelegt - klar in der Entstehungsgeschichte der Notstands-Novelle von 1968 hervorgetreten. Aus alledem folge, dass Art. 35 GG jedenfalls bei der Anwendung spezifisch militärischer Mittel gegen Personen ein dem Vorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG genügender Einsatztatbestand nicht entnommen werden könne.

37

Die Klausel "zur Unterstützung" der Polizeikräfte betreffe die Art und Weise des Einsatzes, enthalte aber für sich genommen keinen die Zulässigkeit des Einsatzes begründenden Tatbestand. Sie habe deshalb in Art. 35 Abs. 3 GG und in Art. 87a Abs. 4 GG eine unterschiedliche, durch die jeweils geregelte Gefahrenlage bestimmte Bedeutung. Aber auch wenn man mit dem Plenarbeschluss annehme, dass Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG unter bestimmten eine Ausnahmesituation darstellenden Umständen einen Streitkräfteeinsatz mit militärischen Mitteln zuließen, um eines besonderen Unglücksfalles Herr zu werden, lasse sich die Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG, insbesondere des § 14 Abs. 1 LuftSiG, nicht begründen. Das Plenum beschreibe das Tatbestandsmerkmal des besonders schweren Unglücksfalles dahingehend, dass nur Ereignisse von "katastrophischen Dimensionen", "ungewöhnliche Ausnahmesituationen", "äußerste Ausnahmefälle", bei "besonders gravierenden Luftzwischenfällen" den Streitkräfteeinsatz mit militärischen Waffen zuließen. Dem trügen die gesetzlichen Regelungen der §§ 13 bis 15 LuftSiG nicht Rechnung; sie stellten allein darauf ab, dass aufgrund eines erheblichen Zwischenfalls Tatsachen vorlägen, die im Rahmen der Gefahrenabwehr die Annahme begründeten, dass ein besonders schwerer Unglücksfall nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG bevorstehe. Die Amtshilfe umfasse nach der Verfassung nicht auch einen Kampfeinsatz der Streitkräfte zur Bekämpfung krimineller oder terroristischer Angriffe. Die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit müssten hier auch und gerade eine Schranke des militärischen Handelns der Streitkräfte bilden. Mit der bloßen Wiederholung des aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG entnommenen Merkmals des "besonders schweren Unglücksfalles" seien die vom Plenarbeschluss geforderten engeren Eingriffsvoraussetzungen in den §§ 13 bis 15 LuftSiG nicht hinreichend bestimmt festgelegt. Hinzu komme, dass nach Auffassung des Plenums der Unglücksfall bereits vorliegen müsse, während § 13 Abs. 1 LuftSiG es genügen lasse, dass ein Unglücksfall bevorstehe, und § 14 Abs. 1 LuftSiG den Einsatz spezifisch militärischer Mittel schon "zur Verhinderung des Eintritts" eines besonders schweren Unglücksfalles zulasse. Der Mangel eines hinreichend eng begrenzten und bestimmten Eingriffstatbestandes könne nicht durch Bindung an die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit ersetzt oder kompensiert werden.

38

Das Luftsicherheitsgesetz beachte das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates nicht, das sich aus den Regelungen des § 16 Abs. 2 und 3 Sätze 2 und 3 LuftSiG, Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben ergebe. Auch wenn die Rückübertragung von Aufgaben der Ausführung von Bundesgesetzen, die zunächst den Ländern übertragen gewesen seien, auf den Bund der Zustimmung des Bundesrates als solche nicht unterworfen sei, wie der erkennende Senat im Beschluss vom 4. Mai 2010 (BVerfGE 126, 77) entschieden habe, könne sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles etwas anderes ergeben. Der Bundesgesetzgeber habe bei der Wahrnehmung der Möglichkeit der Rückübertragung von Aufgaben den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens zu beachten. Die Aufgabenübertragung sei ursprünglich nach § 31 Abs. 2 Nr. 19 Satz 2 LuftVG a.F. mit guten Gründen von einem Antrag eines Landes abhängig gewesen. Dabei sei gerade auch von Bedeutung gewesen, dass die fraglichen Vollzugsaufgaben hier im Rahmen der Amtshilfe und der Unterstützung für die Polizeikräfte ein von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG verfassungsrechtlich spezifisch vorstrukturiertes Zusammenwirken der Polizei- und Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes sowie der Streitkräfte im Bundesstaat voraussetzten. Ein Einvernehmen des Landes mit der Rückübertragung von Aufgaben der Luftsicherheit auf den Bund würde der fortbestehenden Kompetenz des Landes für die Gefahrenabwehr im Bereich der inneren Sicherheit entsprechen und der Organisations- und Finanzverantwortung des Landes Rechnung tragen. Es würde überdies eine sachgerechte Erfüllung der fraglichen Aufgaben sicherstellen. Unter diesen Umständen müsse aus der Bindung der dem Bund nach Art. 87d Abs. 2 GG zustehenden Kompetenz zur Rückübertragung von Aufgaben an die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten das Verfassungsgebot abgeleitet werden, auf die hier berührten Belange der Länder Rücksicht zu nehmen, zumindest durch geeignete Mitwirkungsrechte des Landes. Ein Gesetz, das wie das Luftsicherheitsgesetz die in Art. 87d Abs. 2 GG geregelte Zuständigkeit von Bund und Ländern bei der Ausführung von Bundesrecht wesentlich ändere, bedürfe der Zustimmung des Bundesrates.

39

2. Mit Schriftsatz vom 12. November 2012 haben die Antragstellerinnen unter erneuter Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen, einschließlich des Vorbringens in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010, für das sie auf das Tonbandprotokoll gemäß § 25a BVerfGG verweisen (vgl. dazu u. B.), auf eine erneute mündliche Verhandlung verzichtet.

40

3. Eine Gegenäußerung der Bundesregierung ist nicht erfolgt.

B.

41

Der Senat hat in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung zu entscheiden und kann dies ohne erneute mündliche Verhandlung tun.

42

Im Zeitraum seit der ersten Beratung der Sache im Senat am 24. November 2009 sind vier Richter aus dem Senat ausgeschieden. Da die an ihrer Stelle neu hinzugekommenen Richter Huber, Hermanns, Müller und Kessal-Wulf nicht zur Fortsetzung der bereits begonnenen Beratung hinzutreten können (§ 15 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG) und der Senat mit den aus der früheren Besetzung verbliebenen vier Richtern nicht beschlussfähig ist (§ 15 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG), musste gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG die Beratung neu begonnen werden. Für die nach erneuter Beratung zu treffende Entscheidung ist der Senat in seiner vollen Besetzung - nicht in einer nur bis zum Wiedererreichen des Beschlussfähigkeitsquorums von sechs Richtern aufgefüllten - zuständig. Dies ist die Normalbesetzung (§ 2 Abs. 2 BVerfGG). Von ihr unter den vorliegenden Umständen abzuweichen sieht das Gesetz nicht vor.

43

Eine erneute mündliche Verhandlung war nicht erforderlich, weil die Antragstellerinnen gemäß § 25 Abs. 1 BVerfGG auf sie verzichtet haben. Da die Antragstellerinnen auf ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010 Bezug nehmen, hat allen Mitgliedern des Senats die Abschrift des Tonbandprotokolls dieser Verhandlung vorgelegen.

C.

I.

44

1. Das Verfahren ist, soweit es § 14 Abs. 3 LuftSiG betrifft, durch das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006 - 1 BvR 357/05 - (BVerfGE 115, 118 <119>) erledigt und daher gemäß der Erklärung der Antragstellerinnen (A.II.3.) einzustellen.

45

2. Der Antrag ist dahin auszulegen, dass er sich auf die infolge der Nichtigerklärung des § 14 Abs. 3 LuftSiG (BVerfG a.a.O.) gegenstandslos gewordenen Teile der §§ 13 bis 16 LuftSiG14 Abs. 4 Satz 1 LuftSiG sowie die in § 15 Abs. 1 und 2 LuftSiG enthaltenen Verweisungen auf § 14 Abs. 3 LuftSiG), hinsichtlich derer er mangels objektiven Klarstellungsinteresses unzulässig wäre (vgl. BVerfGE 97, 198 <213 f.>; 113, 167 <193>; 119, 394 <410>), nicht bezieht. Die Antragstellerinnen selbst haben diese Teile als obsolet bezeichnet und damit verdeutlicht, dass sie insoweit eine verfassungsgerichtliche Klarstellung nicht begehren.

II.

46

Der in dieser Auslegung uneingeschränkt zulässige Antrag ist begründet, soweit er die Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes zur ministeriellen Eilkompetenz für die Entscheidung über einen Streitkräfteeinsatz im überregionalen Katastrophennotstand betrifft (1.). Im Übrigen ist der Antrag unbegründet (2.).

47

1. § 13 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG ist mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar und nichtig.

48

a) Ist im Falle eines überregionalen Katastrophennotstandes (Art. 35 Abs. 3 GG) eine rechtzeitige Entscheidung der regulär zuständigen Bundesregierung (§ 13 Abs. 3 Satz 1 LuftSiG) über einen Einsatz der Streitkräfte nicht möglich, so entscheidet nach § 13 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern. Nach § 13 Abs. 3 Satz 3 LuftSiG ist auch in diesem Fall die Entscheidung der Bundesregierung unverzüglich herbeizuführen.

49

Diese Regelungen sind unvereinbar mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG, der, wie das Plenum des Bundesverfassungsgerichts entschieden hat, einen Einsatz der Streitkräfte auch in Eilfällen allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässt (vgl. Beschluss vom 3. Juli 2012 - 2 PBvU 1/11 -, juris, Nr. 3 des Tenors sowie Rn. 52 ff.).

50

b) Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit des § 13 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG ist die Nichtigkeit (§ 78 Satz 1 BVerfGG). Eine bloße Unvereinbarerklärung (§ 31 Abs. 2 Satz 3, § 79 Abs. 1 BVerfGG), gar in Verbindung mit dem Ausspruch der Verpflichtung des Gesetzgebers, innerhalb einer bestimmten Frist eine verfassungskonforme Regelung zu treffen (vgl. BVerfGE 101, 106 <132>; 118, 45 <78>; 121, 266 <316>; 125, 175 <257 f., 259>), kommt nicht in Betracht.

51

Eine bloße Unvereinbarkeit ist allerdings auszusprechen, wenn der Zustand, der sich im Falle der Nichtigkeit ergäbe, der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner stünde als die befristete Weitergeltung der verfassungswidrigen Regelung (vgl. nur BVerfGE 41, 251 <267>; 61, 319 <356>; 83, 130 <154>; 85, 386 <401>; 87, 153 <177 f.>; 97, 228 <270>). Die Beschränkung auf eine Unvereinbarerklärung, mit der dem Gesetzgeber Zeit gegeben wird, die Rechtslage verfassungskonform zu gestalten, ohne dass zwischenzeitlich ein verfassungswidriger Rechtszustand durch einen noch verfassungsferneren ersetzt wird, kann unter anderem für den Fall geboten sein, dass anderenfalls Schutzlücken entstünden (vgl. BVerfGE 83, 130 <154>; 109, 190 <235 f.>).

52

Mit der Nichtigerklärung der Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes zur ministeriellen Eilkompetenz für Einsatzentscheidungen im überregionalen Katastrophennotstand kann sich - abhängig auch von den für die Willensbildung der Bundesregierung maßgeblichen Bestimmungen - zwar eine gravierende Schutzlücke (vgl. Fastenrath, JZ 2012, S. 1128 <1131>) ergeben, weil insbesondere im Fall eines Terrorangriffs mittels Flugzeugs die bei überregionaler Bedeutung erforderliche Einsatzentscheidung der Bundesregierung unter Umständen nicht rechtzeitig wird herbeigeführt werden können. Eine solche Schutzlücke wäre jedoch nicht durch das einfache Recht, sondern durch die Verfassung selbst bedingt. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht befugt, eine von der Verfassung vorgegebene Rechtslage als verfassungsfern zu qualifizieren.

53

2. Im Übrigen sind die §§ 13 bis 15 LuftSiG, soweit Verfahrensgegenstand (s. unter C.I.), sowie § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG und Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben mit dem Grundgesetz sowohl in formeller (a)) als auch in materieller Hinsicht (b)) vereinbar.

54

a) aa) Der Bund hat die Gesetzgebungskompetenz für die zur Prüfung stehenden Vorschriften.

55

Für die §§ 13 bis 15 LuftSiG in der zur Prüfung gestellten Fassung ergibt sich die Gesetzgebungszuständigkeit aus Art. 73 Nr. 6 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die ausschließliche Gesetzgebung über den Luftverkehr zuweist (vgl. BVerfG, Beschluss des Plenums vom 3. Juli 2012 - 2 PBvU 1/11 -, juris, Nr. 1 des Tenors sowie Rn. 14 ff.; s.o. A.V.). Soweit die Antragstellerinnen vorbringen, der Bund könne von diesem Gesetzgebungsrecht nur Gebrauch machen, wenn ein Einsatz der Streitkräfte durch das Grundgesetz ausdrücklich zugelassen sei, kann dies nicht die aus der genannten Grundgesetzbestimmung folgende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die §§ 13 bis 15 LuftSiG in Frage stellen, die von den materiell-verfassungsrechtlichen Grenzen der Einsetzbarkeit der Streitkräfte gerade nicht abhängt (vgl. BVerfG , a.a.O. Rn. 16).

56

Ob die Regelungen des § 16 LuftSiG und des Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben, soweit sie die Rückübertragung von Luftsicherheitsaufgaben aus der Auftragsverwaltung der Länder auf den Bund betreffen, ebenfalls eine kompetenzielle Grundlage in Art. 73 Nr. 6 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG) finden, kann offenbleiben. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich insoweit jedenfalls aus Art. 87d Abs. 2 GG, der für die Übertragung von Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung auf die Länder ausdrücklich ein Bundesgesetz vorsieht und damit auch eine Bundeskompetenz für etwaige Rückübertragungsregelungen begründet (vgl. BVerfGE 97, 198 <226>).

57

bb) Das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben und damit auch das Luftsicherheitsgesetz, das als dessen zentraler Bestandteil erlassen wurde, bedurften, wie das Bundesverfassungsgericht zwischenzeitlich in einem anderen Verfahren entschieden hat, nicht der Zustimmung des Bundesrates (vgl. BVerfGE 126, 77 <98>). Ein Zustimmungserfordernis folgte insbesondere auch nicht aus dem Inhalt der in § 16 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG und Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben getroffenen Regelungen (vgl. BVerfG, a.a.O. S. 108 und 110 f.).

58

Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens. Dieser Grundsatz betrifft die Ausübung gegebener Kompetenzen des Bundes und der Länder (s.u. C.II.2.b)bb)(2)), begründet aber keine Zustimmungserfordernisse im Gesetzgebungsverfahren.

59

b) Mit Ausnahme der Regelungen zur ministeriellen Eilkompetenz (s.o. C.II.1.) sind die §§ 13 bis 15 LuftSiG, soweit Verfahrensgegenstand, auch materiell mit dem Grundgesetz vereinbar (aa)). Dasselbe gilt für § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG und Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben (bb)).

60

aa) (1) Die §§ 13 und 14 LuftSiG sind nicht deshalb verfassungswidrig, weil sie vom Grundgesetz nicht zugelassene Einsätze der Streitkräfte im Inneren ermöglichten oder die Voraussetzungen hierfür nicht hinreichend bestimmt festlegten.

61

Nach § 14 Abs. 1 in Verbindung mit § 13 LuftSiG dürfen die Streitkräfte unter näher bezeichneten Voraussetzungen im Luftraum Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben. Damit wird ein Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Mitteln zugelassen.

62

(a) Der Zulässigkeit eines solchen Einsatzes steht nicht die Sperrwirkung des Art. 87a Abs. 4 GG entgegen. Zwar entfaltet diese Bestimmung, die den Einsatz der Streitkräfte im Fall des inneren Notstandes regelt, eine Sperrwirkung dahingehend, dass in Ausnahmesituationen der in Art. 87a Abs. 4 GG geregelten Art die engen Voraussetzungen, an die der Einsatz der Streitkräfte hier geknüpft ist, nicht dadurch unterlaufen werden dürfen, dass ein Einsatz stattdessen etwa auf der Grundlage des Art. 35 Abs. 2 oder 3 GG erfolgt (vgl. BVerfG, Beschluss des Plenums vom 3. Juli 2012 - 2 PBvU 1/11 -, juris, Rn. 45 f.). In Ausnahmesituationen, die nicht von der in Art. 87a Abs. 4 GG geregelten Art sind, kann jedoch ein Einsatz der Streitkräfte auf der Grundlage des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG auch zur Bekämpfung eines Angreifers zulässig sein (BVerfG, a.a.O. Rn. 46). Um solche Ausnahmesituationen handelt es sich bei der Abwehr von Gefahren nach §§ 13, 14 LuftSiG.

63

(b) Die in § 13 und § 14 LuftSiG getroffenen Regelungen überschreiten nicht die Grenzen, die der Zulassung eines Einsatzes der Streitkräfte im Katastrophennotstand dadurch gesetzt sind, dass ein solcher Einsatz nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG einen besonders schweren Unglücksfall voraussetzt. Ihnen fehlt insoweit auch nicht die notwendige Bestimmtheit.

64

(aa) Der Annahme eines besonders schweren Unglücksfalls steht bei einem Ereignis von katastrophischem Ausmaß nicht entgegen, dass es absichtlich herbeigeführt ist (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 46; ebenso bereits BVerfGE 115, 118 <143 f.>).

65

(bb) Ein Verfassungsverstoß liegt auch nicht darin, dass nach dem Wortlaut der zu prüfenden Vorschriften ein Einsatz nicht erst dann zulässig sein soll, wenn ein besonders schwerer Unglücksfall eingetreten ist, sondern - unter näher bezeichneten Voraussetzungen - bereits dann, wenn er "bevorsteht" (§ 13 Abs. 1 LuftSiG) und Einsatzmaßnahmen "zur Verhinderung des Eintritts" des besonders schweren Unglücksfalles (§ 14 Abs. 1 LuftSiG) erforderlich sind.

66

Im Urteil des Ersten Senats zum Luftsicherheitsgesetz vom 15. Februar 2006 ist es als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen worden, dass Einsatzmaßnahmen nach § 14 LuftSiG schon zu einem Zeitpunkt zulässig sein sollen, zu dem sich zwar bereits ein erheblicher Luftzwischenfall im Sinne des § 13 Abs. 1 LuftSiG ereignet hat, der besonders schwere Unglücksfall selbst, der mit den zugelassenen Einsatzmaßnahmen gerade abgewehrt werden soll, aber noch nicht eingetreten ist (vgl. BVerfGE 115, 118 <144>).

67

Von dieser Auslegung der verfassungsrechtlichen Einsatzvoraussetzungen rückt auf den ersten Blick der Plenumsbeschluss vom 3. Juli 2012 ab. Der Unglücksfall muss danach bereits vorliegen, damit zu seiner Bekämpfung oder zur Bekämpfung seiner Schadensfolgen Streitkräfte eingesetzt werden dürfen (BVerfG , a.a.O. Rn. 47). Diese Abkehr von der Rechtsprechung des Ersten Senats betrifft jedoch allein die begriffliche Konstruktion. Eine inhaltlich andere Eingrenzung der Einsatzvoraussetzungen in der Frage, ob und inwieweit bereits vor Schadensverwirklichung eingeschritten werden darf, ist damit nicht verbunden: Dass der Unglücksfall bereits vorliegen muss, damit zu seiner Bekämpfung Streitkräfte eingesetzt werden dürfen, bedeutet nach dem Plenumsbeschluss nicht, dass auch Schäden notwendigerweise bereits eingetreten sein müssen. Von einem Unglücksfall kann auch dann gesprochen werden, wenn zwar die zu erwartenden Schäden noch nicht eingetreten sind, der Unglücksverlauf aber bereits begonnen hat und der Eintritt katastrophaler Schäden unmittelbar droht. Ist die Katastrophe bereits in Gang gesetzt und kann sie nur noch durch den Einsatz der Streitkräfte unterbrochen werden, muss nicht abgewartet werden, bis der Schaden sich realisiert hat. Der Schadenseintritt muss jedoch unmittelbar bevorstehen. Dies ist der Fall, wenn der katastrophale Schaden, sofern ihm nicht rechtzeitig entgegengewirkt wird, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze eintreten wird (vgl. BVerfG , a.a.O. Rn. 47). Bei alledem bezieht sich der Plenumsbeschluss zustimmend, nicht abgrenzend, auf die einschlägigen Ausführungen im Urteil des Ersten Senats (vgl. BVerfG, a.a.O., sowie BVerfGE 115, 118 <144 f.>).

68

Der Unterschied zwischen beiden Entscheidungen liegt demnach in diesem Punkt allein in der Frage, ob die einvernehmlich angenommene Zulässigkeit präventiver Einsätze zur Vermeidung eines unmittelbar bevorstehenden katastrophalen Schadensereignisses mit einer entsprechend weiten Auslegung des Begriffs des besonders schweren Unglücksfalles begründet wird, wonach ein solcher Unglücksfall schon vor Schadenseintritt gegeben sein kann (so der Plenumsbeschluss), oder mit der Annahme der Zulässigkeit eines Einsatzes im unmittelbaren Vorfeld eines enger definierten, erst mit der Schadensverwirklichung eintretenden derartigen Unglücksfalles (so das Urteil des Ersten Senats) begründet wird. Dieser Unterschied ist rein terminologischer Art; er hat keinerlei Rechtsfolgenrelevanz und betrifft daher nicht die Rechtslage in ihrem Inhalt.

69

Entsprechendes gilt für die in § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 14 Abs. 1 LuftSiG gewählten Formulierungen. Die Wortwahl dieser Regelungen entspricht derjenigen im Urteil des Ersten Senats; eine inhaltliche Abweichung von den Maßgaben des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG in ihrer durch den Plenumsbeschluss klargestellten Bedeutung liegt darin, wie gezeigt, nicht. Angesichts des engen Kreises derer, die über das Ob eines Einsatzes zu entscheiden haben (§ 13 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 LuftSiG), liegt in der Wortfassung der § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 14 Abs. 1 LuftSiG auch keine Undeutlichkeit, deretwegen diesen Vorschriften die notwendige maßstäbliche Klarheit und Bestimmtheit (vgl. BVerfGE 110, 33 <54>; 113, 348 <375>) abzusprechen wäre. Insbesondere besteht nicht die Gefahr, dass die Befugnis zum schadenspräventiven Einsatz, die im Grundgesetz und im Luftsicherheitsgesetz gleichermaßen, aber in unterschiedlicher terminologischer Zuordnung angelegt ist, aufgrund dieses Unterschiedes doppelt und damit im Übermaß genutzt wird.

70

(cc) Die §§ 13 und 14 LuftSiG halten sich im Rahmen der Begrenzungen, die sich für Einsätze nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG daraus ergeben, dass die Einsatzvoraussetzung des besonders schweren Unglücksfalls nur in äußersten Ausnahmefällen, bei Ereignissen von katastrophischen Dimensionen (vgl. BVerfG , a.a.O. Rn. 26, 43, 46, 51), erfüllt ist. Mit der Anknüpfung an das - Art. 35 GG entnommene - Tatbestandsmerkmal des besonders schweren Unglücksfalles nehmen § 13 Abs. 1 und § 14 Abs. 1 LuftSiG alle darin liegenden Beschränkungen auf.

71

Mit der Übernahme des verfassungsrechtlichen Begriffs des besonders schweren Unglücksfalles in den genannten Vorschriften ist in der vorliegenden Konstellation auch den Anforderungen an die Bestimmtheit der gesetzlichen Regelungen genügt. Es ist nicht ersichtlich, dass Präzisierungen geeignet sein könnten, die Orientierungsfunktion der gesetzlichen Vorgaben in sachangemessener Weise deutlich zu verbessern.

72

Dass bereits das Grundgesetz selbst in Art. 35 GG für die Bestimmung der Einsatzvoraussetzungen mit dem unbestimmten Rechtsbegriff des besonders schweren Unglücksfalles arbeitet, hat seinen Grund nicht nur in der besonderen, mit detailgenauer Konkretisierung nur eingeschränkt verträglichen Funktion einer Verfassung, sondern auch in der Natur des zu bewältigenden Problems. Schon wegen der Vielfalt der Faktoren und Faktorenkombinationen, die für die besondere Schwere eines Unglücksfalles von Bedeutung sein können, ist der Begriff des besonders schweren Unglücksfalles einer handhabbaren Konkretisierung kaum zugänglich, zumal die Eilbedürftigkeit von Einsatzentscheidungen nach dem Luftsicherheitsgesetz keine langwierigen punktgenauen Ermittlungen auf unterschiedliche Bestimmungsgrößen hin, sondern nur eine mehr oder weniger intuitive Einschätzung erlauben wird. Es ist daher sachgerecht, dass bei Erlass des Luftsicherheitsgesetzes auf eine trennscharfe Präzisierung verzichtet wurde und nur in der Gesetzesbegründung exemplarisch Beispiele aufgeführt sind, die zur Orientierung dienen können (vgl. BRDrucks 827/03, S. 36, sowie BTDrucks 15/2361, S. 20: "Beispiele: Angriff auf Hochhaus, gefährliche Industrieanlage, AKW etc.").

73

(dd) Die strenge verfassungsrechtliche Beschränkung des Streitkräfteeinsatzes auf das Erforderliche, die sowohl das "Ob" als auch das "Wie" des Einsatzes, einschließlich der konkreten Einsatzmittel, betrifft (vgl. BVerfG , a.a.O., Rn. 48), ist mit den zur Prüfung gestellten Vorschriften gewahrt.

74

§ 13 Abs. 1 LuftSiG lässt einen Einsatz nur im Rahmen des Erforderlichen zu. Dass die Erforderlichkeitsklausel sich dabei dem Wortlaut nach auf die Bekämpfung eines bevorstehenden besonders schweren Unglücksfalles bezieht - die Einsatzermächtigung sich also der Formulierung nach nicht auf die Zulassung der Bekämpfung der Folgen eines bereits eingetretenen besonders schweren Unglücksfalles beschränkt -, ist aus den bereits dargestellten Gründen (s. (bb)) unbedenklich und ändert nichts daran, dass der Streitkräfteeinsatz nur als ultima ratio zur Schadensvermeidung zugelassen ist.

75

Entsprechendes gilt für § 14 LuftSiG, der die zulässigen konkreten Einsatzmaßnahmen und die Anordnungsbefugnis hierfür regelt.

76

An der Erforderlichkeit der in § 14 Abs. 1 LuftSiG getroffenen Einsatzregelung fehlt es auch nicht deshalb, weil sie für sich genommen mangels weiterreichender Eingriffsmöglichkeiten nicht geeignet wäre, den verfassungsrechtlichen Einsatzzweck zu fördern. Zwar stellt das Gesetz, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Ermächtigungsnorm des § 14 Abs. 3 LuftSiG für nichtig erklärt hat (vgl. BVerfGE 115, 118 <119>), allenfalls noch für Drohungen, nicht aber für die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt eine Eingriffsgrundlage bereit. Das mindert, jedenfalls gegenüber einem informierten Angreifer, zwangsläufig die Wirksamkeit der Androhung. Dasselbe gilt für die Möglichkeit, Warnschüsse abzugeben (§ 14 Abs. 1 LuftSiG). Es verbleibt aber - in diesem Sinne haben sich übereinstimmend auch die angehörten Fachleute in der mündlichen Verhandlung geäußert - die mögliche psychische Zwangs- oder Irritationswirkung solcher Maßnahmen und des nach § 14 Abs. 1 LuftSiG ebenfalls zulässigen Versuchs, das Luftfahrzeug, von dem die Gefahr ausgeht, durch Flugmanöver auf einen vom vermuteten Angriffsziel wegführenden Kurs zu drängen. Damit lassen sich, je nach den Umständen, auch die Chancen einer erfolgreichen Einwirkung durch Polizeipsychologen erhöhen. Die begrenzten Durchsetzungsmittel, die § 14 Abs. 1 LuftSiG bereitstellt, können danach, wenngleich Schutzlücken offen bleiben, jedenfalls den Einsatzzweck fördern. Für die verfassungsrechtlich unabdingbare Geeignetheit der Regelung reicht dies aus (vgl. im grundrechtlichen Zusammenhang BVerfGE 96, 10 <23>; 100, 313 <373>; 103, 293 <307>; 115, 118 <163>; 117, 163 <188 f.>).

77

(c) Auch die Regelung des § 14 Abs. 4 Satz 2 LuftSiG, die dem Bundesminister der Verteidigung die Möglichkeit einräumt, den Inspekteur der Luftwaffe generell zu ermächtigen, Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 LuftSiG anzuordnen, steht mit dem Grundgesetz in Einklang. Für Fälle, in denen eine auf das Gebiet eines einzelnen Landes beschränkte Gefahr abzuwehren ist (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG), sieht das Grundgesetz eine bestimmte Organzuständigkeit weder für die Entscheidung über den Einsatz als solchen (§ 13 LuftSiG) noch für die Entscheidung über die konkret zu treffenden Einsatzmaßnahmen (§ 14 LuftSiG) vor. Für den Fall des überregionalen Katastrophennotstandes weist Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG zwar der Bundesregierung die Grundsatzentscheidung über den Einsatz zu, trifft damit aber keine verbindliche Aussage darüber, wer die Anordnung konkreter Maßnahmen im Rahmen des von der Bundesregierung gebilligten Einsatzes auszusprechen befugt ist. Der Gesetzgeber ist danach für keinen der in Art. 35 GG geregelten Einsatzfälle gehindert, die auf einzelne Einsatzmaßnahmen bezogenen Befugnisse - auch generell - auf den Inspekteur der Luftwaffe zu übertragen (vgl. Keidel, Polizei und Polizeigewalt im Notstandsfall, 1971, S. 149; Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2007, S. 244; ders., NVwZ 2012, S. 1225 <1228>; Speth, Rechtsfragen des Einsatzes der Bundeswehr unter besonderer Berücksichtigung sekundärer Verwendungen, 1985, S. 142; Franz/Günther, VBlBW 2006, S. 340 <343>; Sattler, NVwZ 2004, S. 1286 <1289>; aus der Gesetzgebungsgeschichte s. BTDrucks V/2873, S. 14).

78

(2) Bei verfassungskonformer Auslegung ist auch § 15 LuftSiG mit dem Grundgesetz vereinbar.

79

Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG können die Streitkräfte auf Ersuchen der für die Flugsicherung zuständigen Stelle im Luftraum Luftfahrzeuge überprüfen, umleiten oder warnen. Der Gesetzgeber hat diese Maßnahmen, anders als die Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 LuftSiG, nicht als Einsatzmaßnahmen im Sinne des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG konzipiert (zur Würdigung als Eingriffsnormen in Abgrenzung zu bloßen Verfahrens- und Mittelbereitstellungsnormen bei der Bestimmung der Kompetenzgrundlage BVerfG , a.a.O. Rn. 20). § 14 LuftSiG ist mit "Einsatzmaßnahmen, Anordnungsbefugnis" überschrieben, § 15 LuftSiG dagegen mit "Sonstige Maßnahmen". In der Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben ist zu § 15 LuftSiG ausgeführt, dass es sich bei den nach Absatz 1 dieser Vorschrift vorrangig zu ergreifenden Maßnahmen um solche im Vorfeld eines Einsatzes nach § 14 LuftSiG, um bloße Amtshilfe, handele (vgl. BRDrucks 827/03, S. 39; BTDrucks 15/2361, S. 21; s. auch Giemulla, in: ders./ van Schyndel, LuftSiG, § 15 Rn. 1 <12/2009>). Die grundsätzliche Zuordnung zum Bereich der Amtshilfe hat zusätzlich in § 15 Abs. 3 LuftSiG Niederschlag gefunden, wonach die "sonstigen Vorschriften und Grundsätze der Amtshilfe" unberührt bleiben. Dieser Zuordnung folgt auch die in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010 - wie aus der Abschrift des Tonbandmitschnitts ersichtlich - dargestellte Praxis: Die zur Abklärung der Erforderlichkeit weitergehender Maßnahmen jährlich 30 bis 40 mal stattfindenden Alarmstarts von Jagdflugzeugen werden nicht als Einsätze im Sinne des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG behandelt und erfolgen daher ohne die Einschaltung der Bundesregierung oder, bei Unglücksfällen von nur regionaler Bedeutung, des Bundesministers der Verteidigung, die für einen Einsatz der Streitkräfte nach diesen Bestimmungen erforderlich wäre (vgl. auch Giemulla, in: ders./van Schyndel, LuftSiG, § 15 Rn. 4 <12/2009>).

80

Die gesetzliche Einordnung von Maßnahmen der Aufklärung und unterstützenden Information als bloße Amtshilfe (Art. 35 Abs. 1 GG), die nicht den Anforderungen für einen Einsatz der Streitkräfte (Art. 35 Abs. 2 und 3 GG) unterliegt, entspricht der verfassungsrechtlichen Abgrenzung. Art. 87a Abs. 2 GG bindet nicht jede Nutzung personeller und sächlicher Ressourcen der Streitkräfte an eine ausdrückliche grundgesetzliche Zulassung, sondern nur ihre Verwendung als Mittel der vollziehenden Gewalt in einem Eingriffszusammenhang. Dementsprechend kann auf Luftzwischenfälle in rein technisch-unterstützender Funktion reagiert werden. Dies verbleibt im Rahmen des Art. 35 Abs. 1 GG und ist daher von den Beschränkungen, die für einen Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG gelten, nicht betroffen (BVerfG, a.a.O. Rn. 50).

81

Allerdings liegt eine Verwendung in einem Eingriffszusammenhang nicht erst bei einem konkreten Vorgehen mit Zwang, sondern bereits dann vor, wenn personelle oder sachliche Mittel der Streitkräfte in ihrem Droh- oder Einschüchterungspotential genutzt werden (BVerfG , a.a.O. Rn. 50). Im Hinblick darauf, dass die Überprüfung eines Luftfahrzeugs durch aufsteigende Jagdflugzeuge nach § 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG typischerweise nicht zur Aufdeckung einer Angriffsabsicht (Renegade-Fall), sondern zur Feststellung eines Orientierungsbedarfs - etwa wegen ausgefallenen Funkkontakts oder sonstiger technischer Probleme - führt, dem mit Warn- und Leitungssignalen entsprochen werden kann, darf bei einem erheblichen Luftzwischenfall regelmäßig zunächst davon ausgegangen werden, dass die Verwendung von Jagdfliegern zur Abklärung und die Aussendung solcher Signale keine Nutzung von Mitteln der Streitkräfte in ihrem Droh- und Einschüchterungspotential, sondern eine technisch-unterstützende Maßnahme darstellt. Ergibt jedoch die Überprüfung, dass ein Renegade-Fall vorliegt, scheidet eine weitere Deutung als bloße Unterstützung aus; die Aktion kann dann nur noch als Entfaltung des Droh- und Einschüchterungspotentials der eingesetzten militärischen Mittel verstanden werden. Ihre Fortsetzung ist folglich nicht mehr auf der Grundlage des § 15 LuftSiG, sondern nur noch, sobald die hierfür erforderliche Einsatzentscheidung getroffen ist, als Einsatz nach §§ 13, 14 LuftSiG zulässig. Im Ergebnis muss § 15 LuftSiG dementsprechend als Norm ausgelegt werden, die allein Maßnahmen im Vorfeld eines Einsatzes zulässt.

82

bb) Die weiteren zur Prüfung gestellten Bestimmungen (§ 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 i.V.m. § 16 Abs. 2 LuftSiG, Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben) ermöglichen es dem Bund, die den Ländern gemäß Art. 87d Abs. 2 GG zur Ausführung in Auftragsverwaltung übertragenen Luftsicherheitsaufgaben durch einseitige Entscheidung des Bundesministeriums des Innern wieder an sich zu ziehen. Diese Bestimmungen sind ebenfalls mit dem Grundgesetz vereinbar.

83

(1) Grundsätze des Rechtsstaatsprinzips sind nicht verletzt.

84

§ 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG ermöglicht die Rückübertragung von Aufgaben für den Fall, dass dies zur Gewährleistung der bundeseinheitlichen Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen erforderlich ist. Damit sind die materiellrechtlichen Voraussetzungen einer Rückübertragung nur generalklauselartig bestimmt. Ein Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz liegt darin nicht. Der Gesetzgeber ist nach diesem Grundsatz nur gehalten, Normen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (vgl. BVerfGE 49, 168 <181>; 56, 1 <13>; 78, 205 <212>). Es reicht aus, wenn sich der Regelungsgehalt im Wege der Auslegung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt (vgl. BVerfGE 21, 209 <215>; 79, 106 <120>; 102, 254 <337>). Diesen Anforderungen genügt die Bindung der Übertragungsmöglichkeit an das Erforderlichkeitskriterium des § 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG. Dass in Fragen der föderalen Kompetenzzuordnung vernünftige allgemeine Regelungen häufig nur generalklauselartig möglich sind, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass das Grundgesetz selbst in diesem Zusammenhang auf Generalklauseln zurückgreift (vgl. nur etwa Art. 72 Abs. 2, Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG).

85

Auch die Grenzen zulässiger gesetzlicher Delegation der Übertragungsentscheidung sind nicht überschritten (vgl. BVerfGE 97, 198 <227>).

86

(2) Es verstößt nicht gegen die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten, dass die Bindung der Rückübertragungsmöglichkeit an einen Antrag des betroffenen Landes aufgegeben wurde.

87

Die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten verlangt, dass sowohl der Bund als auch die Länder bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen die gebotene und ihnen zumutbare Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaates und auf die Belange der Länder nehmen (vgl. BVerfGE 81, 310 <337> m.w.N.). Der Bund verstößt gegen diese Pflicht nicht schon dadurch, dass er von einer ihm durch das Grundgesetz eingeräumten Kompetenz Gebrauch macht; vielmehr muss deren Inanspruchnahme missbräuchlich sein (vgl. BVerfGE 81, 310 <337> m.w.N.) oder gegen prozedurale Anforderungen verstoßen, die aus diesem Grundsatz herzuleiten sind (vgl. BVerfGE 81, 310 <337>).

88

Dafür ist hier nichts ersichtlich. Art. 87d Abs. 2 GG stellt dem Bundesgesetzgeber anheim, ob und in welchem Umfang den Ländern Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung zur Ausführung im Auftrag des Bundes übertragen werden. Für die Rückübertragung, die Art. 87d Abs. 2 GG gleichfalls ermöglicht, gilt nichts anderes. Der Verfassungsgeber hat die Festlegung der Aufgabenzuordnung danach gerade nicht - was ohne weiteres möglich gewesen wäre - an ein Einvernehmen der Länder geknüpft. Unabhängig davon kann jedenfalls nicht schon in der bloßen gesetzlichen Eröffnung der Möglichkeit, von den Ländern in Auftragsverwaltung wahrgenommene Aufgaben ohne deren Zustimmung wieder in bundeseigene Verwaltung zu überführen, eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Kompetenzen oder ein Verstoß gegen Verfahrensanforderungen, die sich aus dem Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens ergeben, gesehen werden. Selbst wenn durch die Rücküberführung von Aufgaben in bundeseigene Verwaltung das Interesse eines einzelnen Landes in solchem Ausmaß betroffen sein könnte, dass die Aufgabenüberführung ohne dessen Einvernehmen missbräuchlich oder prozedural unzulässig erschiene, spräche jedenfalls nichts dafür, dass es sich im Regelfall so verhält und dies daher bereits auf der Ebene der gesetzlichen Ermöglichung der Rückübertragung seinen Niederschlag in einem Antrags- oder Einvernehmenserfordernis hätte finden müssen.

89

3. In den Entscheidungsausspruch ist, soweit die zur Prüfung gestellten Vorschriften zwischenzeitlich geändert wurden (s. A.I.2.), die geänderte Fassung entsprechend § 78 Satz 2 BVerfGG einzubeziehen.

D.

90

Diese Entscheidung ist mit 6:2 Stimmen ergangen.

Tenor

1. Die Gesetzgebungszuständigkeit für die §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) ergibt sich aus Artikel 73 Nummer 6 des Grundgesetzes in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 2034) geltenden Fassung.

2. Artikel 35 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 des Grundgesetzes schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei einem Einsatz der Streitkräfte nach diesen Vorschriften nicht grundsätzlich aus, lassen sie aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die einem bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren durch Artikel 87a Absatz 4 GG gesetzt sind.

3. Der Einsatz der Streitkräfte nach Artikel 35 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes ist, auch in Eilfällen, allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässig.

Gründe

A.

I.

1

1. Der Zweite Senat hat mit Beschluss vom 19. Mai 2010 (2 BvF 1/05) gemäß § 48 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts beim Ersten Senat angefragt, ob dieser an den Rechtsauffassungen festhält, wonach

2

1. die Gesetzgebungszuständigkeit für § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (BGBl I S. 78) sich nicht auf Art. 73 Nr. 1 oder Art. 73 Nr. 6 GG, sondern allein auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG stützen lässt (BVerfGE 115, 118<140 f.>),

3

2. Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht zulässt (BVerfGE 115, 118<146 ff., 150 f.>), und

4

3. § 13 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar sind, soweit sie eine Eilkompetenz des Bundesministers der Verteidigung auch für die Fälle des Art. 35 Abs. 3 GG vorsehen (BVerfGE 115, 118<149 f.>).

5

2. Der Anfrage liegt zugrunde, dass der Zweite Senat in einem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle (2 BvF 1/05) auf Antrag der Bayerischen Staatsregierung und der Hessischen Landesregierung darüber zu entscheiden hat, ob § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 LuftSiG, die die Voraussetzungen und Modalitäten eines Einsatzes der Streitkräfte zur Abwehr besonders schwerer von Luftfahrzeugen ausgehender Unglücksfälle regeln, mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Der Normenkontrollantrag betraf ursprünglich die §§ 13 bis 15 LuftSiG. Nachdem § 14 Abs. 3 LuftSiG, der zum Abschuss eines gegen das Leben von Menschen eingesetzten Luftfahrzeugs ermächtigte, durch Urteil des Ersten Senats vom 15. Februar 2006 für nichtig erklärt wurde (BVerfGE 115, 118 <119>), haben die Antragstellerinnen ihren Antrag insoweit für erledigt erklärt. Damit stehen in dem Ausgangsverfahren nur noch § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 LuftSiG zur Prüfung. Der Zweite Senat möchte in diesem Verfahren abweichend von den genannten Rechtsauffassungen entscheiden (§ 16 BVerfGG, § 48 Abs. 2 GOBVerfG).

6

3. Der Erste Senat hat mit Beschluss vom 12. Oktober 2010 erklärt, dass er an seinen Rechtsauffassungen festhält.

7

4. Mit Beschluss vom 3. Mai 2011 hat der Zweite Senat das Plenum angerufen.

8

5. Die Antragstellerinnen des Ausgangsverfahrens, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, das Bundesministerium des Innern und die (weiteren) Landesregierungen erhielten Kenntnis von der Vorlage. Stellungnahmen sind nicht eingegangen.

II.

9

Das Plenum ist zur Entscheidung über die Vorlage berufen.

10

1. Die Anrufung des Plenums (§ 16 BVerfGG) ist geboten, wenn ein Senat von einer Rechtsauffassung des anderen Senatsabweichen möchte, die für die Entscheidung des anderen Senats tragend war (vgl. BVerfGE 4, 27 <28>; 77, 84 <104>; 96, 375 <404>; 112, 1 <23>; 112, 50 <63>). Die Rechtsauffassungen, auf die sich die vorliegende Anfrage bezieht, waren in dem Urteil des Ersten Senats, mit dem über die Gültigkeit der gesetzlichen Ermächtigung des § 14 Abs. 3 LuftSiG entschieden wurde, tragend im für die Anwendung des § 16 BVerfGG maßgebenden Sinne.

11

2. An der tragenden Qualität fehlt es diesen Rechtsauffassungen nicht deshalb, weil § 14 Abs. 3 LuftSiG in dem Urteil nicht allein auf ihrer Grundlage, sondern auch wegen Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1 GG für nichtig erklärt wurde. Tragend sind jedenfalls diejenigen Rechtsauffassungen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele (vgl. BVerfGE 96, 375 <404>). Der Urteilsausspruch des Ersten Senats zu § 14 Abs. 3 LuftSiG lautete, dass die Bestimmung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 87a Abs. 2 und Art. 35 Abs. 2 und 3 sowie in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig sei (BVerfGE 115, 118<119>). Dieses im Urteilstenor ausgesprochene Entscheidungsergebnis hätte nicht dieselbe Gestalt, wenn der Erste Senat sich nicht über seine Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG hinaus auch auf Auslegungen des Art. 35 GG gestützt hätte, auf die sich die vorliegende Anfrage bezieht.

12

Allerdings wäre der Urteilsausspruch unverändert geblieben, wenn der Erste Senat seine Entscheidung allein auf die unter 1. und 2. der Anfrage aufgeführten Rechtsauffassungen gestützt hätte, nicht dagegen auch auf die Annahme, § 13 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG seien mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar, soweit sie eine Eilkompetenz des Bundesministers der Verteidigung auch für die Fälle des Art. 35 Abs. 3 GG vorsehen (Ziff. 3. der Anfrage). Diese letztere Annahme, die allein die Auslegung des Art. 35 Abs. 3 GG betrifft, kann hinweggedacht werden, ohne dass sich daraus Konsequenzen für den Urteilstenor ergäben. Denn dieser wird, soweit er Art. 35 Abs. 3 GG betrifft, zugleich durch die Rechtsauffassung gestützt, dass Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht zulasse (Ziff. 2. der Anfrage).

13

Dennoch ist auch die drittgenannte Rechtsauffassung für das Urteil des Ersten Senats vom 15. Februar 2006 tragend im hier maßgebenden Sinne. Wird das Kriterium, dem zufolge tragend diejenigen Rechtsauffassungen sind, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele, als nicht nur notwendiges, sondern hinreichendes, abschließend definierendes verstanden, so ist allerdings in Fällen, in denen das konkrete Entscheidungsergebnis auf mehrere voneinander unabhängige und jeweils selbständig tragfähige Rechtsauffassungen gestützt ist, keine dieser Rechtsauffassungen, für sich betrachtet, tragend. Ob und inwieweit ein solches Verständnis dem mit § 16 BVerfGG verfolgten Anliegen der Rechtsklarheit und den besonderen Erfordernissen der Kooperation zwischen den beiden Senaten des Bundesverfassungsgerichts im Allgemeinen gerecht wird, bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Jedenfalls wenn ein konkretes Ergebnis der Entscheidung eines Senats - wie im vorliegenden Fall der Tenor des Urteils des Ersten Senats vom 15. Februar 2006, soweit er Art. 35 Abs. 3 GG betrifft - sich auf mehrere selbständig tragfähige Rechtsauffassungen stützt und der andere Senat nicht nur von einer dieser Rechtsauffassungen, sondern von allen abweichen möchte, kann deren tragende Qualität nicht auf der Grundlage einer isolierten Betrachtung jeder einzelnen dieser Rechtsauffassungen nach dem genannten Kriterium verneint werden (vgl. zur Divergenzvorlage im einfachgesetzlichen Prozessrecht BFH, Beschluss vom 22. Juli 1977 - III B 34/74 -, BFHE 123, 112, Leitsatz 4). Eine Betrachtung, die jeder einzelnen der fraglichen Rechtsauffassungen für sich genommen die tragende Qualität mit Blick auf die Tragfähigkeit der jeweils verbleibenden anderen abspricht und so darauf hinausläuft, dass dem gefundenen Entscheidungsergebnis eine tragende Begründung im Ganzen abgesprochen wird, würde es in dieser Konstellation dem abweichungswilligen Senat ermöglichen, von Rechtsauffassungen des anderen Senats, die jedenfalls in der Gesamtbetrachtung tragend sind, insgesamt ohne Anrufung des Plenums abzuweichen. Dies kann schon deshalb nicht richtig sein, weil damit Divergenzen, die nicht einzelne Rechtsauffassungen, sondern Komplexe von selbständig tragfähigen Rechtsauffassungen betreffen, trotz Entscheidungserheblichkeit der Bereinigung durch das Plenum entzogen wären.

B.

I.

14

Zur ersten Vorlagefrage:

15

Die Gesetzgebungszuständigkeit für §13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und §15 LuftSiG ergibt sich nicht aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG, sondern als Annexkompetenz aus Art. 73 Nr. 6 GG in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I S. 2034) geltenden Fassung (Art. 73 Nr. 6 GG a.F.; heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr zuweist. Ob und inwieweit daneben Art. 73 Nr. 1 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG) als Kompetenzgrundlage in Betracht kommt, bleibt offen.

16

1. Art. 35 Abs. 2 und 3 GG bieten für Bundesrecht, das den Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand regelt, keine ausdrückliche Kompetenzgrundlage. Ihrem Wortlaut nach regeln diese Bestimmungen, soweit sie den Einsatz der Streitkräfte betreffen, materielle und prozedurale Voraussetzungen für einen solchen Einsatz. Ungeschriebene Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes in Sachnormen außerhalb des VII. Abschnitts des Grundgesetzes (Art. 70 ff.) aufzusuchen, liegt auch in systematischer Hinsicht und nach dem Schutzzweck der föderalen Zuständigkeitsordnung, die grundsätzlich nicht durch die Normen des materiellen Verfassungsrechts, sondern durch gesonderte, strikt auszulegende (vgl. BVerfGE 12, 205 <228>; 15, 1 <17>) und in ihrer Reichweite von materiellrechtlichen Vorgaben unabhängige Kompetenzvorschriften bestimmt ist, nicht nahe. Gegen eine solche Kompetenzzuschreibung spricht zudem, dass sich aus ihr nur schwer Klarheit über die Rechtsnatur der zugeschriebenen Kompetenz - ausschließlich oder konkurrierend - gewinnen lässt.

17

2 a) Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die §§ 13 ff. LuftSiG folgt aus Art. 73 Nr. 6 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr zuweist. Nach tradierter und im Grundsatz unbestrittener Auffassung steht dem Bund, soweit er für ein bestimmtes Sachgebiet die Gesetzgebungszuständigkeit hat, als Annexkompetenz auch die Gesetzgebungsbefugnis für die damit in einem notwendigen Zusammenhang stehenden Regelungen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in diesem Bereich zu (vgl. BVerfGE 3, 407 <433>; 8, 143, <150>; 78, 374 <386 f.>; 109, 190 <215>).

18

b) Dies gilt auch für das Sachgebiet "Luftverkehr". Die Gesetzgebungszuständigkeit für den Luftverkehr umfasst daher als Annex jedenfalls die Befugnis, Regelungen zur Abwehr solcher Gefahren zu treffen, die gerade aus dem Luftverkehr herrühren (vgl., mit im Einzelnen unterschiedlichen Abgrenzungen, jeweils aber mindestens die eben genannte Regelungskompetenz einschließend, BVerwGE 95, 188 <191>; BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1996 - 1 C 33/94 -, NVwZ-RR 1997, S. 350 <351>; Laschewski, Der Einsatz der deutschen Streitkräfte im Inland, 2005,S. 130; Paulke, Die Abwehr von Terrorgefahren im Luftraum, 2005, S. 24; Burkiczak, NZWehrr2006, S. 89 <95>; Schenke, NJW 2006, S. 736 <737>; Odendahl, Die Verwaltung 38 <2005>, S. 425 <438>; Baldus, NVwZ 2004, S. 1278 <1279 f.>; Gramm, NZWehrr 2003, S. 89 <96>).

19

Allerdings bedarf die Notwendigkeit des Zusammenhangs zwischen einer dem Bund zugewiesenen Regelungskompetenz für ein bestimmtes Sachgebiet und einschlägigen Regelungen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung strenger Prüfung. Dies gilt erst recht, wenn die sachgebietliche Kompetenz zu den ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes, insbesondere also zu den in Art. 73 GG aufgeführten, gehört. Jedenfalls für die Abwehr derjenigen spezifisch aus dem Luftverkehr herrührenden Gefahren, auf die die Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes zielen, ist der erforderliche notwendige Zusammenhang gegeben. Denn bei dezentraler Regelungskompetenz hätten unzureichend abwehrwirksame Regelungen eines einzelnen Landes erhebliche negative Folgen für die Sicherheit, die mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht im Wesentlichen auf das betreffende Land beschränkt wären.

20

aa) Art. 73 Nr. 6 GG a.F. scheidet als Kompetenzgrundlage für die §§ 13 ff. LuftSiG nicht deshalb aus, weil es sich bei diesen Bestimmungen nicht um eigenständiges Gefahrenabwehrrecht des Bundes, sondern allein um Verfahrens- und Mittelbereitstellungsregelungen für den Fall der Unterstützung von Gefahrenabwehrmaßnahmen der Länder handelte (vgl. BVerfGE 115, 118 <141>). Ungeachtet der Frage, ob dies eine Zuordnung zum Gefahrenabwehrrecht ausschlösse, beschränken sich die Vorschriften nicht auf das Vorfeld außenwirksamer Eingriffe. § 13 LuftSiG regelt nicht nur die Voraussetzungen für die unterstützende Bereitstellung von Streitkräften, sondern unmittelbar die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür, dass Streitkräfte, wenn auch in einer unterstützenden Funktion, "eingesetzt werden" können (Abs. 1), sowie die Zuständigkeiten zur Entscheidung über "einen Einsatz" (Abs. 2 und 3) und die normativen Rahmenbedingungen hierfür (Abs. 4: "Das Nähere wird zwischen Bund und Ländern geregelt. Die Unterstützung durch die Streitkräfte richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes."). Auch § 14 und § 15 LuftSiG sind als materielle Eingriffsnormen gefasst. Sie regeln, dass die Streitkräfte Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben "dürfen" (§ 14 Abs. 1 LuftSiG), dass sie auf Ersuchen der zuständigen Flugsicherungsstelle im Luftraum Luftfahrzeuge "überprüfen, umleiten oder warnen" können (§ 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG), welche "Maßnahmen" sie "auszuwählen" haben (§ 14 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG), welche sonstigen Maßgaben im Hinblick auf Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne einzuhalten sind (§ 14 Abs. 2 Satz 2, § 15 Abs. 1 Satz 1 LuftSiG), und dass der Bundesminister der Verteidigung den Inspekteur der Luftwaffe ermächtigen kann, die fraglichen "Maßnahmen … anzuordnen" (§ 15 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG). Der zwischenzeitlich für nichtig erklärte § 14 Abs. 3 LuftSiG bestimmte, unter welchen Voraussetzungen die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt "zulässig" sein sollte. Auch § 21 LuftSiG, der mit Blick auf das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich festhält, dass - unter anderem - das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit "nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt" wird, spricht für eine unmittelbar eingriffsermächtigende Bedeutung der Regelungen zum Streitkräfteeinsatz.

21

bb) Die Gesetzgebungsgeschichte ergibt keine Anhaltspunkte, die diesen Befund in Frage stellen, sondern bestätigt, dass nicht etwa nur die Bereitstellung von Ressourcen für allein auf landesrechtlicher Grundlage wahrzunehmende Aufgaben der Gefahrenabwehr geregelt, sondern unmittelbares Eingriffsrecht geschaffen werden sollte. So heißt es in der Begründung des Regierungsentwurfs, jenseits des von den Gefahrenabwehrbehörden der Länder Bewältigbaren sollten die Streitkräfte "ihre Maßnahmen" treffen (vgl. BTDrucks 15/2361, S. 20). § 14 LuftSiG regele "die Zwangsmittel der Streitkräfte, die ihnen zur Unterstützung der Polizei zur Verfügung stehen", und Absatz 3 verleihe "die Befugnis, unmittelbar mit Waffengewalt auf Luftfahrzeuge einzuwirken" (a.a.O., S. 21). In Bundesrat und Bundestag wurden die im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen zum Streitkräfteeinsatz dementsprechend als "Befugnisnormen" verstanden, die zu Maßnahmen der Gefahrenabwehr "aus eigenem Recht" ermächtigen sollten (vgl. aus dem Bundesrat die Niederschrift der 812. Sitzung des Ausschusses für Innere Angelegenheiten des Bundesrates, vom 4. Dezember 2003 - In 0141 (812) - Nr. 52/03 -, S. 37 f.; aus dem Bundestag s. die hinsichtlich der Auslegung als eingriffsermächtigende Befugnisnormen unwidersprochenen Redebeiträge der Abgeordneten Bosbach, BTPlProt 15/89, S. 7884, und Binninger, a.a.O., S. 7891). Nach den Worten des damaligen Bundesinnenministers Schily sollte das Gesetz "Luftsicherheit aus einer Hand" und damit "Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, zumal für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr", gewährleisten (BTPlProt 15/89, S. 7881 f.). Auch damit war vorausgesetzt, dass die §§ 13 ff. LuftSiG nicht bloß innerföderale Bereitstellungsvorgänge regeln, sondern zugleich außenwirksame Eingriffsermächtigungen enthalten.

22

3. Da der Bund demnach gemäß Art. 73 Nr. 6 GG a.F. regelungszuständig war, bedarf keiner Entscheidung, ob darüber hinaus Art. 73 Nr. 1 GG a.F., der im Regierungsentwurf des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben als Kompetenzgrundlage für die §§ 13 ff. LuftSiG in Anspruch genommen wurde (BTDrucks 15/2361, S. 14), eine Gesetzgebungszuständigkeit für diese Bestimmungen kraft Sachzusammenhangs ihres Regelungsgegenstandes mit dem Verteidigungswesen begründete.

II.

23

Zur zweiten Vorlagefrage:

24

Art. 35 Abs. 2Satz 2 und Abs. 3 GG schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei Einsätzen der Streitkräfte nach diesen Bestimmungen nicht grundsätzlich aus, lassen Einsätze aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die insbesondere sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die nach Art. 87a Abs. 4 GG einem Einsatz der Streitkräfte zum Kampf in inneren Auseinandersetzungen gesetzt sind.

25

1. Außer zur Verteidigung dürfen nach Art. 87a Abs. 2 GG die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Die begrenzende Funktion dieser Regelung ist durch strikte Texttreue bei der Auslegung der grundgesetzlichen Bestimmungen über den Einsatz der Streitkräfte im Innern zu wahren (vgl. BVerfGE 90, 286 <356 f.>; 115, 118 <142>; BVerwGE 127, 1 <12 f.>).

26

Die Verfassung begrenzt einen Streitkräfteeinsatz im Inneren in bewusster Entscheidung auf äußerste Ausnahmefälle. Soweit es um den Schutz vor Straftätern und Gegnern der freiheitlichen Ordnung geht, stellt deshalb Art. 87a Abs. 4 GG für einen Einsatz der Streitkräfte strenge Anforderungen, die selbst im Fall des inneren Notstands gemäß Art. 91 GG noch nicht automatisch erreicht sind. Im Unterschied dazu erlauben Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Streitkräfteeinsatz zur Unterstützung der Polizeikräfte bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders schweren Unglücksfall. Auch damit bindet die Verfassung den Einsatz der Streitkräfte an Anforderungen, die nicht immer schon dann erfüllt sind, wenn die Polizei durch das allgemeine Ziel der Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung überfordert ist; dies zeigt sich bereits darin, dass in Fällen von besonderer Bedeutung gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich nur Unterstützung durch Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes angefordert werden kann.

27

Nicht zuletzt um diesen differenzierten und restriktiven Regelungen der Verfassung Rechnung zu tragen, sah der Erste Senat den Streitkräfteeinsatz im Rahmen des Art. 35 GG auf Mittel begrenzt, die nach dem Gefahrenabwehrrecht des Einsatzlandes der Polizei zur Verfügung stehen oder verfügbar gemacht werden dürfen. Hieran hält das Plenum nicht fest (2.). Die von der Verfassung gewollten engen Grenzen für einen Streitkräfteeinsatz im Inneren ergeben sich aus anderen Kriterien (3.).

28

2. Eine Beschränkung des Streitkräfteeinsatzes auf diejenigen Mittel, die nach dem Gefahrenabwehrrecht des Einsatzlandes der Polizei zur Verfügung stehen oder verfügbar gemacht werden dürften, ist durch den Wortlaut des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG und die Systematik des Grundgesetzes nicht zwingend vorgegeben; der Regelungszweck spricht eher gegen eine solche Beschränkung (a). Auch eine Gesamtbetrachtung der Gesetzesmaterialien zwingt nicht zu der Annahme, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber eine derartige Beschränkung beabsichtigt hat (b).

29

a) Nach Art. 35 GG kann unter den jeweils näher bezeichneten Voraussetzungen im regionalen Katastrophennotstand ein Land "Kräfte und Einrichtungen... der Streitkräfte" anfordern (Abs. 2 Satz 2) und im überregionalen Katastrophennotstand die Bundesregierung "Einheiten ... der Streitkräfte" einsetzen (Abs. 3 Satz 1). Eine Beschränkung der damit zugelassenen Einsätze auf die Verwendung polizeilicher Einsatzmittel muss dem Wortlaut der Bestimmungen nicht entnommen werden. Sie ergibt sich insbesondere nicht zwingend daraus, dass Art. 35 GG den Einsatz der Streitkräfte nur zur "Unterstützung der Polizeikräfte" (Abs. 3 Satz 1) beziehungsweise zur polizeiunterstützenden "Hilfe" (Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1) vorsieht. Mit welchen Mitteln die Hilfe oder Unterstützung geleistet werden darf, ist damit noch nicht festgelegt.

30

Systematische Erwägungen sprechen dafür, dass aus der von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG vorgegebenen unterstützenden Funktion der Streitkräfte keine Beschränkung auf die aktuell oder potentiell polizeirechtlich zulässigen Einsatzmittel folgt. Denn auch Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG lässt für den dort umschriebenen Fall des inneren Notstandes einen Einsatz der Streitkräfte nur "zur Unterstützung" der Landes- und der Bundespolizei zu, beschränkt damit aber anerkanntermaßen den dort geregelten Einsatz, jedenfalls soweit es um die Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer geht, nicht von vornherein auf die Mittel, die den unterstützten Polizeien zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 115, 118 <148>; BTDrucks V/2873, S. 2, 14; Hase, in: AK-GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2001, Art. 87a Abs. 4 Rn. 5; Depenheuer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87a Rn. 169, 177 (Stand 10/2008); Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Abs. 4 Rn. 165; Kokott, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 87a Rn. 68; Keidel, Polizei und Polizeigewalt im Notstandsfall, 1971, S. 195 f., 197; Karpinski, Öffentlich-rechtliche Grundsätze für den Einsatz der Streitkräfte im Staatsnotstand, 1974, S. 76; Baldus, NVwZ 2004, S. 1278 <1280>; Linke, AöR 129 <2004>, S. 489>). Die Identität der Formulierungen deutet trotz der unterschiedlichen Zusammenhänge, in denen sie verwendet werden, darauf hin, dass ihnen keine unterschiedliche Bedeutung zukommen sollte, zumal die Bestimmungen im Gesetzgebungsverfahren durch Aufspaltung einer ursprünglich einheitlichen Regelung entstanden sind und daher nicht davon auszugehen ist, dass dem Gesetzgeber die Übereinstimmung des Wortlauts nicht vor Augen stand.

31

Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Zulassung des Streitkräfteeinsatzes in den erfassten Katastrophenfällen eine wirksame Gefahrenabwehr ermöglichen soll. Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unterstreicht dies mit der Bezugnahme auf das zur "wirksamen Bekämpfung" Erforderliche. Daher sprechen nach Auffassung des Plenums die besseren Gründe für eine Auslegung, die unter den engen Voraussetzungen, unter denen ein Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 GG überhaupt in Betracht kommt (s.u. 3.), die Verwendung ihrer spezifischen Mittel nicht generell ausschließt.

32

b) Die Entstehungsgeschichte steht dem nicht entgegen. Dem verfassungsändernden Gesetzgeber stand allerdings als typischer Anwendungsfall der Verfassungsbestimmungen zum Katastrophennotstand nicht ein Einsatzfall wie der in § 13 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 LuftSiG geregelte, sondern vor allem die Erfahrung der norddeutschen Flutkatastrophe des Jahres 1962 vor Augen (vgl. BVerfGE 115, 118 <148, m.w.N.>). Auch wenn dieses Ereignis die Vorstellung der am Gesetzgebungsprozess Beteiligten von den Erfordernissen eines Streitkräfteeinsatzes in einer begrenzenden Weise geprägt haben mag, schließt das nicht aus, Art. 35 Abs. 2 und 3 GG auch auf andersartige von Wortlaut und Systematik der Vorschrift erfasste Bedrohungslagen anzuwenden, und zwingt nicht zu einer angesichts heutiger Bedrohungslagen nicht mehr zweckgerechten Auslegung des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG.

33

Die Gesetzesmaterialien geben zur Frage der zulässigen Einsatzmittel keine eindeutigen Aufschlüsse. Zwar ist der Gesetzgebungsgeschichte zu entnehmen, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber die Regelung des Katastrophennotstandes bewusst aus der Regelung des inneren Notstandes herausgelöst hat, um die Bekämpfung des Katastrophennotstandes von der des inneren Notstands deutlicher abzuheben. Auch finden sich Anhaltspunkte dafür, dass einzelnen am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten für den Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 GG, sei es generell oder für den Fall des regionalen Katastrophennotstandes nach Absatz 2, eine Beschränkung der zulässigen Einsatzmittel durch das Polizeirecht des Einsatzlandes vorschwebte. Insgesamt ergibt sich jedoch kein klares Bild, das die Annahme eines insoweit bestimmten Willens des verfassungsändernden Gesetzgebers stützen könnte.

34

aa) Nach dem Bericht des Rechtsausschusses, auf den die Gesetz gewordene Fassung der hier zu betrachtenden Grundgesetzbestimmungen zurückgeht, sollte mit dessen Vorschlägen zur Regelung des inneren Notstandes "die Schwelle für den Einsatz der Streitkräfte als bewaffnete Macht angehoben" und der bewaffnete Einsatz der Bundeswehr nur zugelassen werden, "wenn dies zur Bekämpfung militärisch bewaffneter Aufständischer erforderlich" sei (BTDrucks V/2873, S. 2 , 14 ; vgl. auch Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. Februar 1968, S. 10; Lenz, Notstandsverfassung des Grundgesetzes, 1971, Art. 35 Rn. 2). Diese Äußerung muss nicht dahin verstanden werden, dass sie über die Konstellation des inneren Notstandes hinaus auch auf die des Katastrophennotstandes zielt, und zwingt daher nicht zu der Annahme, dass für den Fall des Katastrophennotstandes ein bewaffneter Einsatz der Streitkräfte prinzipiell ausgeschlossen werden sollte.

35

Die Erläuterungen zum vorgeschlagenen Art. 35 GG behandeln die Frage der einsetzbaren Mittel nicht. Zu Art. 35 Abs. 2 GG wird zwar unter anderem ausgeführt, dass die zur Verfügung gestellten Kräfte anderer Länder und des Bundes den Normen des im Einsatzland geltenden Landespolizeirechts unterstehen sollen (vgl. BTDrucks V/2873, S. 10); zu Art. 35 Abs. 3 GG findet sich dagegen keine entsprechende Erläuterung. Aus der Berichtsbegründung zu Art. 87a Abs. 4 GG geht hervor, dass der Ausschuss nach dem Ergebnis der durchgeführten Anhörungen die im Regierungsentwurf vorgesehene Formulierung, wonach die Streitkräfte "als Polizeikräfte" einsetzbar sein sollten, für zu eng befunden hatte, da eine Beschränkung etwa auf den Einsatz nichtmilitärischer Waffen nicht sachgerecht sei. Der Ausschuss schlug daher stattdessen vor, dass die Streitkräfte nur "zur Unterstützung der Polizei" eingesetzt werden dürften (a.a.O., S. 14). Dem folgte der verfassungsändernde Gesetzgeber. Die gleiche Abkehr von der ursprünglich vorgesehenen Formulierung ist aber auch in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG erfolgt. Dieser gesetzgeberischen Entscheidung muss eine Bedeutung für die Auslegung des Art. 35 GG nicht deshalb abgesprochen werden, weil erst der Rechtsausschuss des Bundestages (vgl. BTDrucks V/2873) vorgeschlagen hat, die nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BTDrucks V/1879) in Art. 91 GG angesiedelte Regelung des Streitkräfteeinsatzes bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen aus dem Zusammenhang der Bestimmungen zum inneren Notstand zu lösen und in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG zu regeln. Umgekehrt lässt sich auch argumentieren, dass gerade diese Herauslösung aus dem ursprünglich vorgesehenen einheitlichen Regelungszusammenhang es nahegelegt hätte, für den Fall des nunmehr gesondert in Art. 35 GG geregelten Katastrophennotstandes einem etwaigen Willen, die Art und Weise des zulässigen Einsatzes enger zu bestimmen als für den Fall des inneren Notstandes, durch entsprechend unterschiedliche Formulierung der jeweiligen Regelungen Ausdruck zu geben.

36

Das Protokoll der Anhörung zum Thema "Der innere Notstand und der Katastrophennotstand", auf die ausweislich des Berichts des Rechtsausschusses (vgl. BTDrucks V/2873,S. 14) dessen Vorschlag zurückgeht, die Worte "als Polizeikräfte" durch die Gesetz gewordenen Formulierungen zu ersetzen, zeigt zudem, dass sowohl bei den angehörten Sachverständigen als auch auf Seiten der Abgeordneten, die sich an der Aussprache beteiligten, in der Frage der Zulässigkeit des Einsatzes militärischer Waffen unterschiedliche und häufig - unter anderem hinsichtlich des Zusammenhangs mit der Frage der maßgebenden einfachrechtlichen Eingriffsgrundlagen - auch unklare Auffassungen bestanden (vgl. Protokoll der 3. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses am 30. November 1967, Nr. 59, Nr. 75).

37

So wiesen etwa der schleswig-holsteinische Innenminister Dr. Schlegelberger und der hamburgische Innensenator Ruhnau unwidersprochen auf die Funktion des Streitkräfteeinsatzes hin, Einsatzmittel bereitzustellen, über die die Polizei nicht verfüge (a.a.O., S. 3, 6, 12), vertraten aber - im Zusammenhang mit Einsätzen im Fall des inneren Notstandes - zugleich die Auffassung, dass Einsätze sich auf der Grundlage "des Polizeirechts mit polizeilichen Mitteln" beziehungsweise "nach den Einsatzprinzipien und mit den Einsatzmitteln der Polizei" vollziehen müssten (a.a.O., S. 4, 6, 12). Dabei wurde zudem nicht deutlich, ob allein an das Landespolizeirecht (vgl. Ruhnau, a.a.O., S. 14) als Rechtsgrundlage gedacht war oder auch an Bundesrecht, das in verschiedenen Diskussionsbeiträgen als anwendbar vorausgesetzt wurde (vgl. zum UZwG des Bundes Ruhnau u.a., a.a.O., S. 7, 58; für den Fall überregionaler Einsätze auch S. 14). Verschiedene Äußerungen deuten darauf hin, dass man sich einen Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand vor allem in der Form des Objektschutzes und der Abwehr von Plünderungen vorstellte (a.a.O., S. 5, 27, 28, 57 f., 71). Zur Sprache kam anderseits aber auch der Fall der Sprengung eines Hauses oder einer Brücke (a.a.O., S. 63).

38

In der Zweiten Beratung des Gesetzentwurfs, der neben dem Gesetzentwurf der Bundesregierung der Bericht des Rechtsausschusses (BTDrucks V/2873) zugrunde lag, fielen nur vereinzelt Äußerungen, die einen Bezug zum Inhalt der beschlossenen Regelungen in der Frage des bei Einsätzen der Streitkräfte anwendbaren Rechts oder unmittelbar in der Frage der bei solchen Einsätzen anwendbaren Mittel aufweisen. Auch diese Äußerungen sind nicht eindeutig und weisen, sofern sie überhaupt bestimmte Vorstellungen vom Inhalt der beschlossenen Regelungen zum Ausdruck bringen sollten, in unterschiedliche Richtungen (BTPlProt 5/174, S. 9313 f.; 5/175, S. 9437, 9452).

39

bb) Aus der Gesetzgebungsgeschichte wird danach weder ein eindeutiger Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers hinsichtlich der in den Fällen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einsetzbaren Mittel noch eine klare Konzeption in der Frage des anwendbaren Rechts erkennbar. Angesichts dieses Befundes ist es nicht zwingend, im Rahmen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einen nach textlicher, systematischer und teleologischer Auslegung nicht ausgeschlossenen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Mitteln - der, soweit es um die Abwehr von Gefahren durch ein als Angriffsmittel genutztes Luftfahrzeug geht, nur auf bundesrechtlicher Eingriffsgrundlage in Betracht kommt - allein deshalb für unzulässig zu halten, weil die konkreten Gefahrenfälle, die ihn erforderlich machen könnten, dem historischen verfassungsändernden Gesetzgeber noch nicht gegenwärtig waren.

40

3. Der Einsatz der Streitkräfte als solcher wie auch der Einsatz spezifisch militärischer Kampfmittel kommt allerdings nur unter engen Voraussetzungen in Betracht.

41

Bei der Auslegung und Anwendung der Voraussetzungen, unter denen Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte erlaubt, sind der Zweck des Art. 87a Abs. 2 GG und das Verhältnis der den Katastrophennotstand betreffenden Bestimmungen zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Einsatz der Streitkräfte im inneren Notstand (Art. 87a Abs. 4 GG) zu berücksichtigen. Art. 87a Abs. 2 GG zielt darauf, die Möglichkeiten für einen Einsatz der Streitkräfte im Innern zu begrenzen (vgl. BVerfGE 115, 118 <142>). Art. 87a Abs. 4 GG unterwirft auf dem Hintergrund historischer Erfahrungen (vgl. Wieland, in: Fleck, Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, S. 167 <169 ff.>, m.w.N.) den Einsatz der Streitkräfte zur Bewältigung innerer Auseinandersetzungen besonders strengen Beschränkungen. Diese Beschränkungen dürfen nicht dadurch umgangen werden, dass der Einsatz statt auf der Grundlage des Art. 87a Abs. 4 GG auf der des Art. 35 Abs. 2 oder 3 GG erfolgt. Das gilt erst recht für die Verwendung spezifisch militärischer Kampfmittel im Rahmen eines solchen Einsatzes.

42

a) Enge Grenzen sind dem Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand auf diesem Hintergrund durch das in Art. 35 Abs. 2 Satz 2GG ausdrücklich genannte und von Art. 35 Abs. 3Satz 1 GG in Bezug genommene Tatbestandsmerkmal des besonders schweren Unglücksfalls gesetzt.

43

aa) Die genannten Bestimmungen unterscheiden Naturkatastrophen und besonders schwere Unglücksfälle. Beide Ereignisarten wurden bereits im Gesetzgebungsverfahren unter dem Begriff der Katastrophe zusammengefasst (vgl. die Anhörung des Rechts- und des Innenausschusses zum Thema "Der innere Notstand und der Katastrophennotstand", Protokoll der 3. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses am 30. November 1967, Nr. 59, Nr. 75). Hieraus wie auch aus der normativen Parallelisierung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG wird deutlich, dass der hier verwendete Begriff des besonders schweren Unglücksfalls nur Ereignisse von katastrophischen Dimensionen erfasst (vgl. BVerfGE 115, 118 <143>). Insbesondere stellt nicht jede Gefahrensituation, die ein Land mittels seiner Polizei nicht zu beherrschen imstande ist, allein schon aus diesem Grund einen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG dar, der den Streitkräfteeinsatz erlaubte (vgl. Krings/Burkiczak, NWVBl 2004, S. 249 <252>). Besonders schwere Unglücksfälle sind vielmehr ungewöhnliche Ausnahmesituationen. Eine Betrauung der Streitkräfte mit Aufgaben der Gefahrenabwehr, die über die Bewältigung solcher Sondersituationen hinausgehen, kann daher nicht auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG gestützt werden.

44

bb) Die Voraussetzungen des besonders schweren Unglücksfalls gemäß Art. 35 Abs. 2 und 3 GG bestimmen sich zugleich in Abgrenzung zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Einsatz der Streitkräfte im inneren Notstand (Art. 87a Abs. 4 GG i.V.m. Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG).

45

(1) Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG regelt den Einsatz der Streitkräfte zur Abwehr von Gefahren für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, die das Land, in dem die Gefahr droht, zu bekämpfen selbst nicht in der Lage oder nicht bereit ist. Dabei erlaubt Art. 87a Abs. 4 GG den Einsatz der Streitkräfte insbesondere zur Unterstützung der Polizei bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer. Die Regelung der Abwehr innerer Unruhen, die von nichtstaatlichen Angreifern ausgehen, hat damit ihren Platz in Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 GG gefunden (vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 35 Rn. 15; Wolff, ThürVBl 2003, S. 176 <177>). Insoweit entfaltet daher diese Vorschrift grundsätzlich eine Sperrwirkung für den Einsatz der Streitkräfte nach anderen Bestimmungen (vgl. auch Fiebig, Der Einsatz der Bundeswehr im Innern, 2004, S. 326; Fischer, JZ 2004, S. 376 <381>; Sattler, NVwZ 2004, S. 1286 <1290>).

46

(2) Der Annahme eines besonders schweren Unglücksfalls steht bei einem Ereignis von katastrophischem Ausmaß nicht entgegen, dass es absichtlich herbeigeführt ist (vgl. BVerfGE 115, 118 <143 f.>). Angesichts der in Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 GG getroffenen Regelung der militärischen Bekämpfung nichtstaatlicher Gegner können die Streitkräfte auf der Grundlage von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG jedoch zur Bekämpfung eines Angreifers nur in Ausnahmesituationen eingesetzt werden, die nicht von der in Art. 87a Abs. 4 GG geregelten Art sind. So stellen namentlich Gefahren für Menschen und Sachen, die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen, keinen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 GG dar, der es rechtfertigen könnte, Streitkräfte auf der Grundlage dieser Bestimmung einzusetzen. Denn nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG dürfen selbst zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer Streitkräfte auch dann, wenn das betreffende Land zur Bekämpfung der Gefahr nicht bereit oder in der Lage ist (Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG i.V.m. Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG), nur unter der Voraussetzung eingesetzt werden, dass Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes besteht (vgl. Arndt, DVBl 1968, S. 729 <731 f.>).

47

cc) Der Unglücksfall muss, wie im Wortlaut des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 deutlich zum Ausdruck kommt, bereits vorliegen, damit zu seiner Bekämpfung oder zur Bekämpfung seiner Schadensfolgen Streitkräfte eingesetzt werden dürfen. Das bedeutet nicht, dass auch Schäden notwendigerweise bereits eingetreten sein müssen (vgl. BVerfGE 115, 118 <144 f.>). Von einem Unglücksfall kann auch dann gesprochen werden, wenn zwar die zu erwartenden Schäden noch nicht eingetreten sind, der Unglücksverlauf aber bereits begonnen hat und der Eintritt katastrophaler Schäden unmittelbar droht. Ist die Katastrophe bereits in Gang gesetzt und kann sie nur noch durch den Einsatz der Streitkräfte unterbrochen werden, muss nicht abgewartet werden, bis der Schaden sich realisiert hat. Der Schadenseintritt muss jedoch unmittelbar bevorstehen. Dies ist der Fall, wenn der katastrophale Schaden, sofern ihm nicht rechtzeitig entgegengewirkt wird, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze eintreten wird (vgl. BVerfGE 115, 118 <145>). Ein ins Vorfeld des Katastrophengeschehens verlagerter Einsatz der Streitkräfte ist unzulässig.

48

b) Der Einsatz der Streitkräfte wie der Einsatz spezifisch militärischer Abwehrmittel ist zudem auch in einer solchen Gefahrenlage nur als ultima ratio zulässig. Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG sieht für den Fall des überregionalen Katastrophennotstandes ausdrücklich vor, dass die Streitkräfte nur eingesetzt werden dürfen, soweit es zur wirksamen Bekämpfung der durch eine Naturkatastrophe oder einen besonders schweren Unglücksfall veranlassten Gefahr erforderlich ist. Die Erforderlichkeitsklausel des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG zielt auf die Subsidiarität der Bundesintervention im Verhältnis zu den Ländern (vgl. Magen, in: Umbach/Clemens, GG, Bd. I, 1. Aufl. 2002, Art. 35 Rn. 37; Bauer, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 32; v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Bd. 2, Art. 35 Rn. 79; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 53; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 35 Rn. 29). Im Übrigen entspricht die strenge Beschränkung auf das Erforderliche - sowohl was das Ob als auch was das Wie, einschließlich der konkreten Einsatzmittel, angeht - für Einsätze nach Absatz 2 Satz 2 wie für Einsätze nach Absatz 3 Satz 1 des Art. 35 GG dem in Art. 87a Abs. 2 GG zum Ausdruck gebrachten Willen des Verfassungsgebers zur engen Begrenzung des zulässigen Streitkräfteeinsatzes im Innern (vgl. Knödler, BayVBl 2002, S. 107 <108>).

49

c) Im Ergebnis sieht Art. 35 GG differenzierte Möglichkeiten einer Verwendung der Streitkräfte zur Gewährleistung der Luftsicherheit vor.

50

aa) Aus Art. 87a Abs. 2 GG ergeben sich Grenzen hinsichtlich der Abwehr von Gefahren, die von einem als Angriffsmittel genutzten Flugzeug ausgehen, nur, soweit es sich um einen Einsatz handelt. Deshalb sind Maßnahmen der Streitkräfte in einer den Verursachern gegenüber rein unterstützenden und solche Unterstützung vorbereitenden Funktion - etwa zur Hilfe bei technisch oder durch gesundheitliche Probleme eines Piloten bedingten Orientierungsschwierigkeiten und zur Aufklärung, ob solche Hilfe benötigt wird - nicht ausgeschlossen. Art. 87a Abs. 2 GG bindet nicht jede Nutzung personeller und sächlicher Ressourcen der Streitkräfte an eine ausdrückliche grundgesetzliche Zulassung, sondern nur ihre Verwendung als Mittel der vollziehenden Gewalt in einem Eingriffszusammenhang (vgl. BTDrucks V/2873, S. 13; BVerwGE 132, 110 <119>; Brenneisen, in: ders./Staack/Kischewski, 60 Jahre Grundgesetz, 2010, S. 485 <488>; Wolff, in: Weingärtner, Die Bundeswehr als Armee im Einsatz, 2010, S. 171 <177>). Dementsprechend kann auf Luftzwischenfälle in rein technisch-unterstützender Funktion reagiert werden. Dies verbleibt im Rahmen des Art. 35 Abs. 1 GG und ist daher von den Beschränkungen, die für einen Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG gelten, nicht betroffen. Allerdings liegt eine Verwendung in einem Eingriffszusammenhang nicht erst bei einem konkreten Vorgehen mit Zwang, sondern bereits dann vor, wenn personelle oder sachliche Mittel der Streitkräfte in ihrem Droh- oder Einschüchterungspotential genutzt werden (vgl. BVerwGE 132, 110 <119 f.>; Fehn/Brauns, Bundeswehr und innere Sicherheit, 2003, S. 38 f.; Senger, Streitkräfte und materielles Polizeirecht, 2011, S. 79 ff. <80>).

51

bb) Eine umfassende Gefahrenabwehr für den Luftraum mittels der Streitkräfte kann auf Art. 35 Abs. 2 und 3 GG nicht gestützt werden. Insbesondere berechtigt nicht jeder Luftzwischenfall, zu dessen Bewältigung eine technische Unterstützung nicht ausreicht, automatisch zum Einsatz der Streitkräfte. De constitutione lata ist der Einsatz der Streitkräfte nur bei besonders gravierenden Luftzwischenfällen zulässig, die den qualifizierten Anforderungen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG genügen.

III.

52

Zur dritten Vorlagefrage:

53

Der Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG ist, auch in Eilfällen, allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässig.

54

1. Das Grundgesetz unterscheidet systematisch zwischen Befugnissen und Zuständigkeiten der Bundesregierung und solchen einzelner Bundesminister (s. etwa einerseits Art. 84 Abs. 2, Art. 87a Abs. 4 Satz 1, Art. 91 Abs. 2 Satz 3, Art. 108 Abs. 7 GG, andererseits Art. 65 Satz 2, Art. 65a, Art. 95 Abs. 2, Art. 112 Satz 1 GG). Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG weist die Befugnis, im Fall des überregionalen Katastrophennotstandes Einheiten der Streitkräfte einzusetzen, der Bundesregierung zu. Die Bundesregierung besteht nach Art. 62 GG aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern. Der Einsatz der Streitkräfte im überregionalen Katastrophennotstand setzt danach einen Beschluss der Bundesregierung als Kollegium (vgl. BVerfGE 26, 338 <396>; 91, 148 <166>; 115, 118 <149>) voraus. Es gilt nichts anderes als für den Einsatz der Streitkräfte im Fall des inneren Notstandes, für den Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG ebenfalls die Entscheidungszuständigkeit der Bundesregierung vorsieht und der unstreitig nur aufgrund eines Kabinettsbeschlusses zulässig ist (s. statt vieler Heun, in: Dreier, GG, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 87a Rn. 33; Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Rn. 160; Ruge, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 87a Rn. 8; Hernekamp, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 87a Rn. 37; Denninger, in: Benda/ Maihofer/Vogel, HdVerfR, 2. Aufl. 1994, § 16 Rn. 60).

55

Zu einer Delegation der zugewiesenen Beschlusszuständigkeit auf ein einzelnes Mitglied (vgl. Robbers, in: Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 26. April 2004, ProtokollNr. 15/35, S. 54) ist die Bundesregierung nicht befugt. Staatsorganisationsrechtliche Kompetenzen stehen im Grundsatz nicht zur freien Disposition ihrer Träger (vgl. zum Verhältnis von Bundes- und Länderkompetenzen BVerfGE 1, 14 <35>; 39, 96 <109>; 41, 291 <311>; 63, 1 <39>). Sie sind daher grundsätzlich weder verzichtbar noch beliebig delegierbar. Darin unterscheiden sie sich von subjektiven Rechten, über die der Inhaber im Prinzip verfügen kann.

56

2. Eine Eilkompetenz für ein anderes als das regulär vorgesehene Organ, wie sie in verschiedenen Grundgesetzbestimmungen für den Fall der Gefahr im Verzug vorgesehen ist (Art. 13 Abs. 2, Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 2, 2. Halbsatz GG; vgl. auch Art. 119 Satz 3 GG: Auswechselung des Weisungsadressaten bei Gefahr im Verzug), sieht Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht vor; ermächtigt wird allein die Bundesregierung. Danach besteht eine Delegationsbefugnis der Bundesregierung oder eine Befugnis des Gesetzgebers zu abweichender Zuständigkeitsbestimmung auch für Eilfälle nicht (vgl. Bauer, in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 32; v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Bd. 2, Art. 35 Rn. 79; Hömig, in: ders., GG, 9. Aufl. 2010, Art. 35 Rn. 10; Erbguth, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 41; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 8; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 49; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 35 Rn. 29; Martínez Soria, DVBl 2004, S. 597 <603>; v. Danwitz, Rechtsfragen terroristischer Angriffe auf Kernkraftwerke, 2002, S. 56; Arndt, DVBl 1968, S. 729 <732>; Sattler, NVwZ 2004, S. 1286 <1289>; Lepsius, in: Festgabe für Dr. Burkhard Hirsch, 2006, S. 47 <57>).

57

Die Ressortzuständigkeit der Bundesminister (Art. 65 Satz 2 GG) und die Zuweisung der Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte an den Bundesminister der Verteidigung (Art. 65a GG) können eine abweichende Auslegung (vgl. Epping, Schriftliche Stellungnahme im Rahmender öffentlichen Sachverständigenanhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 26. April 2004, ADrs 15(4)102B, S. 8) nicht begründen, weil Art. 35 Abs. 3 Satz 1GG für die Befugnis, über den Einsatz der Streitkräfte im überregionalen Katastrophennotstand zu entscheiden, eine demgegenüber speziellere Regelung trifft.

58

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass das Bundesverfassungsgericht in einzelnen Bereichen Eilzuständigkeiten in Abweichung von einer grundsätzlich gegebenen Parlamentszuständigkeit anerkannt hat (vgl. BVerfGE 90, 286 <388> und BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris, Rn. 109 ff., 113, 150). Dies betraf Bereiche, für die die Entscheidungszuständigkeit im Grundgesetz gerade nicht ausdrücklich geregelt ist. Die Frage, ob und inwieweit Sonderkompetenzen für Eilfälle auch entgegen ausdrücklich - und ohne Ausnahme für den Eilfall -im Grundgesetz getroffenen Zuständigkeitsregelungen anerkennungsfähig sein könnten, ist damit nicht beantwortet.

59

Angesichts der nach Wortlaut und Systematik eindeutigen ausschließlichen Kompetenzzuweisung an die Bundesregierung kann eine abweichende Zuständigkeit nicht aus einem auf wirksame Gefahrenabwehr gerichteten Zweck des Art. 35 Abs. 3 GG (vgl. Franz, Der Staat 45 <2006>, S. 501 <530>; Franz/Günther, VBlBW 2006, S. 340 <343>; Schenke, NJW 2006, S. 736 <737 f.>; Palm, AöR 132 <2007>, S. 95 <104>; Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2007, S. 252) oder aus staatlichen Schutzpflichten (Epping, a.a.O., S. 8) abgeleitet werden. Der Verfassungsgesetzgeber hat Einsätze der Streitkräfte bewusst nur unter engen Voraussetzungen zugelassen. Für die Auslegung der betreffenden Vorschriften, die in einer politisch hochumstrittenen Materie als Ergebnis ausführlicher, kontroverser Diskussionen zustande gekommen sind, gilt das Gebot strikter Texttreue (s.o. unter II.). Jedenfalls deshalb verbietet sich eine auf die Vermeidung von Schutzlücken gerichtete teleologische Verfassungsinterpretation, die vom bewusst und in Übereinstimmung mit der Systematik gewählten ausdrücklichen Wortlaut abweicht. Aus demselben Grund kann - unabhängig von der allgemeineren Frage des möglichen Stellenwerts von Notstandsgesichtspunkten, die in positiven Verfassungsbestimmungen gerade nicht aufgegriffen sind - auch auf ungeschriebene Sonderkompetenzen für Eil- und Notfälle (vgl. Wieland, in: Fleck, Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, S. 167 <179>; Epping, Schriftliche Stellungnahme, a.a.O., S. 8) jedenfalls bei Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht zurückgegriffen werden.

Abw. Meinung

60

Die Entscheidung des Plenums trage ich zur ersten und dritten Vorlagefrage mit, der Beantwortung der zweiten Vorlagefrage stimme ich hingegen nicht zu.

61

Das Bundesverfassungsgericht wird gerne als Ersatzgesetzgeber bezeichnet; mit der nun getroffenen Entscheidung des Plenums läuft das Gericht Gefahr, künftig mit der Rollenzuschreibung als verfassungsändernder Ersatzgesetzgeber konfrontiert zu werden. Denn mit seiner Antwort auf die zweite Vorlagefrage schenkt das Plenum den Vorgaben des eigenen Gerichts zur Verfassungsinterpretation keine ausreichende Beachtung. Es wird weder der Wortlaut der einschlägigen Verfassungsnormen unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte hinreichend gewürdigt (dazu BVerfGE 88, 40 <56>), noch erfolgt eine systematische Auslegung mit Blick auf die Einheit der Verfassung (dazu BVerfGE 55, 274 <300>) als "vornehmstes Interpretationsprinzip" (so aber BVerfGE 19, 206 <220>). Im Ergebnis hat die Auslegung der Regelungen zum Katastrophennotstand, die der Plenarbeschluss bei seiner Antwort auf die zweite Vorlagefrage zugrunde legt, die Wirkungen einer Verfassungsänderung. Deshalb folge ich dem Plenarbeschluss insoweit nicht.

I.

62

Das Grundgesetz ist auch eine Absage an den deutschen Militarismus, der Ursache für die unvorstellbaren Schrecken und das millionenfache Sterben in zwei Weltkriegen war. 1949 ist die Bundesrepublik Deutschland als Staat ohne Armee entstanden; schon die Einfügung der Wehrverfassung in das Grundgesetz im Jahr 1956 wird zu Recht "eine Wende in der Entwicklung der Bundesrepublik" genannt (Hofmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., 2003, Bd. I, § 9 Rn. 51). Dabei wurde durch Art. 143 GG in der Fassung von 1956 klargestellt, dass im Zuge der "Wiederbewaffnung" eine Befugnis zum Einsatz der Streitkräfte im Inneren selbst in Fällen des Notstandes nicht gegeben war (vgl. Meixner, in: Dolzer/Kahl/Waldhoff/Graßhof, BK, Art. 143 Rn. 4 ). Nach diesem ersten folgte 1968 ein zweiter Schritt im Zuge der Implementierung der Notstandsverfassung in das Grundgesetz. Nun wurde der Einsatz der Streitkräfte auch im Inland zugelassen, allerdings nur in wenigen eng begrenzten Fällen, die zudem in der Verfassung ausdrücklich geregelt sein müssen (Art. 87a Abs. 2 GG). Dies sind der regionale und der überregionale Katastrophennotstand (Art. 35 Abs. 2 und 3 GG), der äußere Notstand (Art. 87a Abs. 3 GG) und der Staatsnotstand als qualifizierter Fall des inneren Notstandes (Art. 87a Abs. 4 GG). Dabei ist mit der Zulässigkeit des Einsatzes der Streitkräfte im Inneren noch keine Aussage über die Mittel getroffen, die hierbei zum Einsatz gelangen können. Vielmehr bleibt - wie vom Ersten Senat im Urteil vom 15. Februar 2006 (BVerfGE 115, 118 <146 ff., 150 f.>) erkannt - ein Einsatz spezifisch militärischer Waffen in Fällen des Katastrophennotstandes auch dann ausgeschlossen, wenn gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 Satz 1 GG die Streitkräfte herangezogen werden dürfen. Bei beiden Verfassungsänderungen hat der Gesetzgeber also nicht aus dem Blick verloren, dass der Einsatz von Streitkräften im Inneren mit besonderen Gefahren für Demokratie und Freiheit verbunden ist und daher ebenso strikter wie klarer Begrenzung bedarf.

63

Auch und gerade seitdem nach der Notstandsgesetzgebung der Einsatz des Militärs im Inneren nicht mehr schlechthin unzulässig ist, bleibt strenge Restriktion geboten. Es ist sicherzustellen, dass die Streitkräfte niemals als innenpolitisches Machtinstrument eingesetzt werden. Abgesehen von dem extremen Ausnahmefall des Staatsnotstandes, in dem nur zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer als letztes Mittel auch Kampfeinsätze der Streitkräfte im Inland zulässig sind (Art. 87a Abs. 4 GG), ist die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit Aufgabe allein der Polizei. Ihre Funktion ist die der Gefahrenabwehr und nur über hierfür geeignete und erforderliche Waffen darf die Polizei verfügen; hingegen sind Kampfeinsätze der Streitkräfte auf die Vernichtung des Gegners gerichtet, was spezifisch militärische Bewaffnung notwendig macht. Beide Aufgaben sind strikt zu trennen. Hiermit zieht unsere Verfassung aus historischen Erfahrungen die gebotenen Konsequenzen und macht den grundsätzlichen Ausschluss der Streitkräfte von bewaffneten Einsätzen im Inland zu einem fundamentalen Prinzip des Staatswesens. Mit anderen Worten: Die Trennung von Militär und Polizei gehört zum genetischen Code dieses Landes (so Heinrich Wefing, in: Zeit-Online vom 14. Januar 2009, http://www.zeit.de/2008/42/Bundeswehr).

64

Wer hieran etwas ändern will, muss sich nicht nur der öffentlichen politischen Debatte stellen, sondern auch die zu einer Verfassungsänderung erforderlichen parlamentarischen Mehrheiten (Art. 79 Abs. 2 GG) für sich gewinnen. Im Anschluss an das Urteil des Ersten Senats war demgemäß eine Änderung des Grundgesetzes beabsichtigt, um den am 11. September 2001 deutlich gewordenen Gefahren des internationalen Terrorismus effektiv begegnen zu können. Das Vorhaben scheiterte, weil sich - trotz der damaligen "großen" Regierungskoalition - für die von der Bundesregierung beabsichtigte Zulassung "militärischer Mittel" generell in "besonders schweren Unglücksfällen" im Bundestag nicht die erforderliche Mehrheit fand und allenfalls eine Begrenzung militärischer Kampfeinsätze zur Abwehr von Angriffen aus der Luft oder von See aus hätte erreicht werden können (vgl. Zeit-Online vom 14. Januar 2009, http://www.zeit.de/online/2008/42/bundeswehr-grundgesetz). Der Plenarbeschluss gibt nun das, was für die Bundesregierung vor drei Jahren gegen einen der Koalitionspartner - und auch gegen die Stimmverhältnisse im Bundesrat - nicht durchsetzbar war. Selbst wenn man es unerträglich empfindet, dass die Streitkräfte hiernach bei terroristischen Angriffen untätig in der Rolle des Zuschauers verharren müssen, ist es nicht Aufgabe und nicht Befugnis des Bundesverfassungsgerichts korrigierend einzuschreiten.

II.

65

Nach meiner Ansicht schließt das Grundgesetz in seiner gegenwärtigen Fassung den Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen sowohl in Fällen des regionalen (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG) wie in Fällen des überregionalen (Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG) Katastrophennotstandes aus; insoweit ist also an der Auffassung des Ersten Senats im Urteil vom 15. Februar 2006 (BVerfGE 115, 118 <146 ff., 150 f.>) festzuhalten. Hierbei kann dahinstehen, ob die Wortlautargumente, die im Urteil des Ersten Senats in den Vordergrund gestellt wurden, den Argumenten des Plenarbeschlusses Stand halten und die ihnen beigelegte tragende Bedeutung weiterhin beanspruchen können. Denn es lässt sich auch mit einer historischen Verfassungsinterpretation, vor allem aber mit einer systematischen Auslegung des Grundgesetzes begründen, dass ein Einsatz der Streitkräfte mit militärischer Bewaffnung in beiden Fällen des Katastrophennotstandes nicht erlaubt und damit aufgrund des Art. 87a Abs. 2 GG von Verfassungs wegen untersagt ist.

66

1. Der Plenarbeschluss will zwar davon ausgehen, dass sich aus den Gesetzgebungsmaterialien "insgesamt kein klares Bild" für einen bestimmten Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers ergebe. Bei vollständiger Ausschöpfung der verfügbaren Quellen und bei Würdigung der dort dokumentierten Erklärungen im Zusammenhang vermag ich diese Einschätzung allerdings nicht zu teilen.

67

a) Unklarheiten können, anders als der Plenarbeschluss ausführt, nicht aus dem Protokoll über die gemeinsame Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses des Bundestages am 30. November 1967 (BTDrucks V/1879 und V/2130) hergeleitet werden. Zwar trifft es zu, dass die dort festgehaltenen Äußerungen der verschiedenen angehörten Sachverständigen unterschiedliche Meinungen zur Zulässigkeit des Einsatzes militärischer Waffen wiedergeben; ferner ist auch zutreffend, dass diese Anhörung Grundlage für den Bericht des Rechtsausschusses wurde, der wiederum Grundlage für den Gesetzesbeschluss des Bundestages zur Verfassungsänderung geworden ist. Es gibt jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, sondern ist schon im Ansatz fernliegend, dass das uneinheitliche Meinungsbild einer Anhörung unverändert in die Beschlussfassung des Rechtsausschusses eingeflossen ist. Das Gegenteil ist richtig. Der Rechtsausschuss musste - jedenfalls mit der Mehrheit der Stimmen seiner Mitglieder - eine klare Entscheidung treffen und hat dies auch getan.

68

Die Auffassung des Rechtsausschusses steht allerdings der Einschätzung des Plenums entgegen und findet in dessen Argumentation keine hinreichende Beachtung: Nachdem die Sachverständigen Kluncker und Kuhlmann in der gemeinsamen Informationssitzung des Innen- und des Rechtsausschusses angeregt hatten, den waffenlosen Einsatz der Bundeswehreinheiten im Katastrophen- und Unglücksfall zum Ausdruck zu bringen (vgl. Protokoll der 3. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses vom 30. November 1967, a.a.O., S. 42, 50), nimmt der schriftliche Bericht des Rechtsausschusses diese Hinweise auf, zieht daher den Einsatz militärisch bewaffneter Streitkräfte überhaupt nur für den Fall des Art. 87a Abs. 4 GG in Betracht und beschränkt ihn zugleich auf den Staatsnotstand als eine besonders gefährdende Situation des inneren Notstandes. Im Bericht des Rechtsausschusses heißt es unmissverständlich (BTDrucks V/2873, S. 2):

69

"Der Hauptunterschied zur Regierungsvorlage liegt darin, dass die Schwelle für den Einsatz der Streitkräfte als bewaffnete Macht angehoben worden ist. Der Rechtsausschuss schlägt vor, den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr nur dann zuzulassen, wenn dies zur Bekämpfung von Gruppen militärisch bewaffneter Aufständischer erforderlich ist (Artikel 87a Abs. 4)."

70

Entgegen der Ansicht des Plenums, das die Bedeutung dieser Äußerung ins Ungewisse stellt ("… muss nicht dahin verstanden werden …"), wird damit ein bewaffneter Einsatz auch in den Fällen des Katastrophennotstandes ausgeschlossen; denn diese Passage findet sich unter der Überschrift "Innerer Notstand" in dem Abschnitt des Berichts, der sich eingehend dazu verhält, dass die zuvor in der Regierungsvorlage zusammenfassend geregelten "Fälle des Inneren Notstandes" nunmehr nach ihrem "sachlichen Inhalt" getrennt in eigenen Vorschriften normiert werden sollen. Da angesichts der Zusammenfassung im Regierungsentwurf seinerzeit in den Begriff des "Inneren Notstandes" auch die Fälle des Katastrophennotstandes einbezogen wurden (vgl. Lenz, Notstandsverfassung des Grundgesetzes - Kommentar, 1971, Art. 35 Rn. 2), war der Ausschluss spezifisch militärischer Waffen ersichtlich auch und gerade für die nun in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG gesondert zu regelnden Einsätze bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen gewollt.

71

b) Dies wird - entgegen der Ansicht des Plenums - durch weitere Quellen bestätigt. Ein anderes Verständnis trifft nicht die historischen Gegebenheiten im Umfeld der Verfassungsänderung des Jahres 1968. Das Plenum lässt völlig außer Acht, dass zur Zeit der Notstandsgesetzgebung eine weitergehende Zulassung des Einsatzes militärisch bewaffneter Einheiten der Streitkräfte im Inneren politisch nicht durchsetzbar gewesen wäre. Seit dem Bundestag im Jahre 1960 ein erster Entwurf vorgelegt worden war, kam es über Jahre hinweg zu grundlegenden politischen Diskussionen in der - angesichts der Erfahrungen mit der deutschen Geschichte - sensibilisierten Öffentlichkeit, die sich im Zuge der abschließenden Beratungen noch erheblich verschärften (vgl. etwa Scheuner, in: Lenz, a.a.O., Einleitung, S. 13). So richtete sich der vor allem von den Gewerkschaften getragene Widerstand gegen die Notstandsverfassung in Sonderheit gegen die zutreffend erkannte Gefahr eines Einsatzes der Streitkräfte als innenpolitisches Machtinstrument gegen die Bevölkerung namentlich bei Arbeitskämpfen (vgl. Hoffmann, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, 1968, S. 87 f.). Als Beispiel für die mit der Notstandsgesetzgebung verknüpften Befürchtungen mag das von Ekkehart Stein und Helmut Ridder schon 1963 verfasste Memorandum der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler "Der permanente Notstand" (abgedruckt in Ridder, Gesammelte Schriften, 2010, S. 563 <566>) dienen, in dem es heißt:

72

"Das Friedensrecht darf nicht vom Kriegsrecht material unterwandert werden, d.h. im Frieden dürfen keine Maßnahmen zugelassen werden, die in einem Krieg zur Bewältigung dieser extremen Gefahrenlage entwickelt wurden und nur im Kriegsfall zu rechtfertigen sind."

73

Vor diesem Hintergrund stellte der Abgeordnete Dr. Lenz (CDU/CSU) als Berichterstatter des Rechtsausschusses bei den abschließenden Beratungen im Bundestag die restriktiven Ziele beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte klar (PlProt 5/174, S. 9311 <9313>):

74

"Es ist nicht wahr, dass durch diese Vorlage der Bürgerkrieg vorbereitet wird. Sowohl bei der Formulierung des staatsbürgerlichen Widerstandsrechts als auch bei der Möglichkeit der Bundesregierung, im äußersten Notfall Truppen gegen militärisch bewaffnete Aufständische einzusetzen, hat der Rechtsausschuss sich bemüht, klarzustellen, dass dies nur die Ultima ratio, das letzte Mittel sein dürfte, wenn alle anderen Mittel versagt haben."

75

2. Diese historisch fundierte Ausgangsprämisse des verfassungsändernden Gesetzgebers findet deutlichen Niederschlag in der Systematik, die das Grundgesetz mit der Implementierung der "Notstandsverfassung" durch das 17. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl I S. 709) erfahren hat. Der Plenarbeschluss geht hierauf nicht ein.

76

Gerade wegen der starken öffentlichen Kritik, die sich an dem Streitkräfteeinsatz im Fall des inneren Notstandes entzündet hatte, wandte sich der Rechtsausschuss gegen eine zusammenfassende Regelung, wie sie in dem vorangegangenen Regierungsentwurf vorgeschlagen worden war. Die Trennung der - als unproblematisch angesehenen - Regelung des Katastrophennotstandes einerseits von der des inneren Notstandes andererseits erfolgte, um die entstandene Debatte zu entpolitisieren und den Verdacht auszuräumen, dass mit dem Katastrophennotstand auch der innere Notstand bekämpft werden solle (vgl. Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. Februar 1968, dort S. 10). Dies belegt einmal mehr, dass diese beiden Fälle des Streitkräfteeinsatzes im Inneren völlig unterschiedliche, sich nicht überschneidende Anwendungsbereiche haben und deshalb nicht durch die Zulassung spezifisch militärischer Bewaffnung auch in Fällen des Katastrophennotstandes vermengt werden dürfen. Demgemäß führt der Berichterstatter des Rechtsausschusses, der Abgeordnete Dr. Lenz, in dem von ihm 1971 verfassten Kommentar zur Notstandsverfassung bei Art. 35 Abs. 2 GG (a.a.O., Art. 35 Rn. 9) aus:

77

"Die Anforderung geschieht 'zur Hilfe'. Damit ist ein unbewaffneter - dies ist vor allem im Hinblick auf die Streitkräfte von Bedeutung - technischer Hilfseinsatz gemeint."

78

In Einklang damit steht der Hinweis in dem abschließenden Bericht des Rechtsausschusses, dass die im Fall des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG zur Verfügung gestellten Kräfte anderer Länder und des Bundes "den Rechtsnormen des im Einsatzland geltenden Landespolizeirechts" unterstehen (BTDrucks V/2873, S. 10). Zu Art. 35 Abs. 3 GG verweist der Bericht ausdrücklich auf die Ausführungen zu Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG (BTDrucks V/2873, S. 10). Für beide Fälle des Katastrophennotstandes wurden also mit der Maßgeblichkeit des Landespolizeirechts die Voraussetzungen für die Einbindung der Streitkräfte in den zivilen Katastrophenschutz geschaffen und damit nur polizeiliche Maßnahmen, nicht aber militärische Kampfmaßeinsätze ermöglicht (vgl. auch Cl. Arndt, DVBl 1968, S. 729 f.). Auch die im Bericht des Rechtsausschusses im Einzelnen angeführten Beispiele für den Einsatz der Streitkräfte in den Fällen von Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG, nämlich "Absperrungen von gefährdeten Grundstücken und Verkehrsregelungen" (BTDrucks V/2873, S. 10), sprechen deutlich für einen Einsatz der Streitkräfte, der hinsichtlich der einsetzbaren Mittel nicht über die im jeweiligen Landespolizeirecht der Länder vorgesehenen hinausgehen darf. In der Begründung des Rechtsausschusses zu Art. 87a Abs. 4 GG findet sich demgegenüber die Aussage, dass für den dort geregelten Einsatzfall militärische Mittel nicht von vornherein ausgeschlossen werden sollten, wobei konsequenterweise nicht auf die Anwendbarkeit des jeweiligen Landespolizeirechts verwiesen wird (BTDrucks V/2873, S. 14).

79

3. Weiteres kommt hinzu. Im Rahmen der systematischen Auslegung ist auch zu beachten, dass im Fall des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG allein der Bundesregierung eine Initiativbefugnis zusteht, sie demnach - wie auch der Plenarbeschluss in Bestätigung der Rechtsauffassung des Ersten Senats (BVerfGE 115, 118 <149 f.>) zur dritten Vorlagefrage zutreffend erkennt - nur als Kollegialorgan über den Einsatz der Streitkräfte in überregionalen Katastrophen- oder Unglücksfällen zu befinden vermag. Diese Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers für das Initiativrecht nur der Bundesregierung als Kollegialorgan ist auch für die Zulässigkeit eines bewaffneten Einsatzes der Streitkräfte im Inneren von Belang; denn sie gibt auch Aufschluss über den als zulässig angesehenen und der Regelung daher zugrunde gelegten Mitteleinsatz.

80

Entscheidungen eines Gremiums erfordern naturgemäß einen größeren zeitlichen Vorlauf; das Verfahren ist schwerfälliger als das einer ministeriellen Einzelentscheidung und bringt daher schwerwiegende Effektivitätsnachteile mit sich. Diese können bis zur Erfolglosigkeit einer Maßnahme infolge Zeitablaufs reichen, wenn es sich um eine Gefahrenlage handelt, die ein sofortiges Eingreifen zwingend erfordert. Hingegen zeichnen sich die Naturkatastrophen und Unglücksfälle, für die in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG ein Einsatz der Streitkräfte vorgesehen wurde, typischerweise dadurch aus, dass sie einen gewissen, wenn auch eng begrenzten zeitlichen Spielraum lassen. Unglücksfälle treten generell, Naturkatastrophen bisweilen so plötzlich ein, dass nur noch eine Bekämpfung hinsichtlich der Folgen möglich ist, was aufgrund der Notwendigkeit, Einsatzkräfte und Material heranzuführen, ohnehin geraume Zeit in Anspruch nehmen muss. Ansonsten weisen Naturkatastrophen in ihrer Entstehung oder Folgeentwicklung eine zeitliche Streckung zumindest über Stundenzeiträume auf. All diese Umstände erlauben die Befassung eines Kollegialorgans wie der Bundesregierung, ohne hierdurch die Wirksamkeit des Streitkräfteeinsatzes ernsthaft zu gefährden.

81

Hingegen ist ein unausweichlicher Druck zur Entscheidung innerhalb kürzester Frist gerade für solche Gefahren typisch, denen effektiv nur mit dem Einsatz solcher Waffen begegnet werden kann, die in ihrer zerstörenden Wirkung über die polizeirechtlich zulässige Bewaffnung hinausgehen. Spezifische Militärwaffen sind mit ihrer zerstörerischen Kraft auf die Vernichtung des Gegners angelegt. Ist außerhalb einer kriegerischen Auseinandersetzung zur Gefahrenabwehr der Einsatz solcher Vernichtungskraft im Sinne der Verhältnismäßigkeitsmaxime angemessen und insbesondere auch erforderlich, so wird typischerweise - wie eben bei der Entführung von Flugzeugen zum Einsatz als Anschlagswaffe ("Renegade"-Fälle) - ein Verlauf bereits eingeleitet sein, der bei ungehindertem Fortgang in kürzester Zeit den Verlust zahlreicher Menschenleben oder ungeheuere Schäden erwarten lässt und daher nur durch den Einsatz massivster Mittel endgültig gestoppt werden kann. Solche Gefährdungslagen sind also dadurch gekennzeichnet, dass ihrer Beseitigung jede zeitliche Verzögerung abträglich ist. Dann wäre aber die Betrauung eines in der Entscheidungsfindung vergleichsweise schwerfälligen Kollegialorgans mit der Initiativbefugnis zum Einschreiten geradezu dysfunktional und als Zuständigkeitsentscheidung mit Blick auf die vom verfassungsändernden Gesetzgeber angestrebte "wirksame Bekämpfung" fernliegend. Wenn daher - wie in Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG geschehen - der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Bundesregierung einem Kollegialorgan die Zuständigkeit für die Einsatzentscheidung zuweist, kann hieraus nur der Schluss gezogen werden, dass er von vornherein den Einsatz spezifisch militärischer Waffen nicht für erforderlich hielt und damit auch nicht legitimieren wollte.

III.

82

Dem geschilderten Ergebnis einer historischen und systematischen Auslegung des Grundgesetzes entspricht die Rechtsauffassung des Ersten Senats im Urteil vom 15. Februar 2006, wonach "auch im Fall des überregionalen Katastrophennotstandes ein Einsatz der Streitkräfte mit typisch militärischen Waffen von Verfassungs wegen nicht erlaubt ist" (BVerfGE 115, 118 <150>). Ihm ließe sich aber auch noch dadurch Rechnung tragen, dass die im Plenarbeschluss dargestellte "Sperrwirkung" des Art. 87a Abs. 4 GG als unüberwindliche Schranke des Einsatzes militärischer Waffen im Inland strikt eingehalten wird. Damit wäre der Einsatz militärspezifischer Waffen in Katastrophenfällen namentlich gegen Sachen - wie etwa bei dem gängigen Beispiel des Bombardierens von Deichen zur Herbeiführung einer kontrollierten Überflutung - zu rechtfertigen. Das Plenum will diesen Weg zwar beschreiten und bringt dies scheinbar auch im Beschlusstenor mit der Antwort auf die zweite Vorlagefrage zum Ausdruck. Allerdings erfährt der Tenor durch die anschließenden Gründe des Beschlusses eine entscheidende Ausdehnung, die als tragende Begründung letztlich für das Verständnis und die Wirkungen der Entscheidung des Plenums maßgeblich ist (vgl. BVerfGE 3, 261 <264>; 36, 342 <359 f.> jeweils zu Art. 100 Abs. 3 GG). Damit macht das Plenum den Ansatz einer "strikten Begrenzung" durch Art. 87a Abs. 4 GG selbst zur Makulatur; denn der "Sperrwirkung" wird nur "grundsätzlich" Geltung beigelegt, was es ermöglicht, Inlandseinsätze der Streitkräfte mit militärischer Bewaffnung auch dann zuzulassen, wenn es gilt, einem "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze" eintretenden "katastrophalen Schaden" entgegenzuwirken, der auch durch absichtliches Handeln verursacht sein kann.

83

1. Vieles spricht dafür, dass die Vorstellungen des verfassungsändernden Gesetzgebers bei Regelung des Katastrophennotstandes in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG neben Naturkatastrophen - wie der Hamburger Sturmflut 1962 - nur auf besonders schwere Unglücksfälle im Sinne schicksalhafter, zufälliger Verläufe gerichtet waren (vgl. etwa die Beispiele bei Lenz, a.a.O., Art. 35 Rn. 6 "Explosionsunglück" oder "Kollision von Öltankern in Küstennähe"). Der Erste Senat hat den Begriff des Unglücksfalls jedoch auch für solche Schadensereignisse geöffnet, die "von Dritten absichtlich herbeigeführt werden" (BVerfGE 115, 118 <144>). Erst damit konnte es zu Überschneidungen mit der Regelung des (inneren) Staatsnotstandes in Art. 87a Abs. 4 GG kommen, der unter engen Voraussetzungen einen Waffeneinsatz der Streitkräfte nur gegen organisierte und militärisch bewaffnete Aufständische erlaubt.

84

Will man daher mit dem Ersten Senat den Einsatz militärischer Waffen in den Fällen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG nicht schon generell untersagen, so ist zur Wahrung der in der Verfassung angelegten strikten Trennung zwischen Katastrophennotstand einerseits und innerem Notstand andererseits ein geeignetes Kriterium zu finden, das Umgehungen der streng restriktiven Regelung für Kampfeinsätze in Art. 87a Abs. 4 GG zwingend und effektiv vermeidet. Dazu ist es notwendig, den Zweck der verfassungsrechtlichen Trennung beider Einsätze ernst zu nehmen. Es ging darum, den Katastrophenschutz durch Unterstützung der Streitkräfte zu verbessern, gleichzeitig aber die damit faktisch auch eröffnete Möglichkeit zu verschließen, das Militär als innenpolitisches Machtinstrument zu nutzen (vgl. Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. Februar 1968, dort S. 10). Selbst wenn Gewalttätigkeiten oder Unruhen drohen sollten, die in ihren Folgen das Ausmaß besonders schwerer Unglücksfälle erreichen, dürfen bewaffnete Streitkräfte im Inneren nicht etwa dazu eingesetzt werden, um allein schon durch ihre Präsenz die Bevölkerung etwa bei Demonstrationen einzuschüchtern. Um dieses Ziel zu erreichen, muss Art. 87a Abs. 4 GG eine Sperrwirkung beigelegt werden, die es verhindert, dass bewaffnete Streitkräfte gegen Menschen zum Einsatz kommen, die vorsätzlich die öffentliche Sicherheit gefährden, selbst wenn sie sich absichtlich und in aggressiver Weise gegen den Staat wenden und sich hierbei strafbar machen sollten. Die Bekämpfung solcher Gefährdungen ist selbstverständlich zulässig und geboten, aber sie ist nach dem geltenden Verfassungsrecht in Deutschland eine ausschließlich polizeiliche, nicht jedoch eine militärische Aufgabe. Dies bestätigt die Verfassung selbst durch Art. 91 GG. Denn sogar wenn es zu einer Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kommt, sieht Art. 91 GG für diesen Fall des inneren Notstandes nur den Einsatz von Polizeikräften anderer Länder oder der Bundespolizei vor, nicht aber den Einsatz der Streitkräfte. Deren Heranziehung macht Art. 87a Abs. 4 GG schon für den bloßen Objektschutz vielmehr von weiteren Voraussetzungen abhängig, wobei der Einsatz von Waffen in jedem Fall nur gegen organisierte und militärisch bewaffnete Aufständische zulässig ist (vgl. Lenz, a.a.O., Art. 87a Rn. 18). Mit den Waffen des Militärs dürfen also nur Personengruppen bekämpft werden, die selbst militärisch bewaffnet sind, sich gegen den Staat erhoben haben und über ein System der Einsatzleitung verfügen (vgl. Lenz, a.a.O., Art. 87a Rn. 19).

85

2. Der Plenarbeschluss geht darüber hinaus. Er ist zwar von der redlichen und anerkennenswerten Absicht getragen, den bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren restriktiv zu halten, setzt sich aber über die selbst erkannte Sperrwirkung hinweg und kann daher mit den von ihm entwickelten Kriterien eine Umgehung der engen Voraussetzungen des inneren Notstandes nach Art. 87a Abs. 4 GG durch die weniger strengen Voraussetzungen des Katastrophennotstandes nicht verhindern. Durch den Versuch der weiteren Einhegung des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG durch das Erfordernis eines zwar nicht das "Vorfeld" eines Unglücksfalls erfassenden, gleichwohl aber "unmittelbar bevorstehenden" Schadenseintritts "von katastrophischen Dimensionen" wird die Rechtsanwendung zwar um neue Begrifflichkeiten bereichert, nicht aber um die nötige Klarheit und Berechenbarkeit. Es handelt sich um gänzlich unbestimmte, gerichtlich kaum effektiv kontrollierbare Kategorien, die in der täglichen Anwendungspraxis viel Spielraum für subjektive Einschätzungen, persönliche Bewertungspräferenzen und unsichere, wenn nicht gar voreilige Prognosen lassen. Jedenfalls bei Inlandseinsätzen militärisch bewaffneter Streitkräfte ist das nicht hinnehmbar. Im Schatten eines Arsenals militärischer Waffen kann freie Meinungsäußerung schwerlich gedeihen. Wie ist beispielsweise zu verhindern, dass im Zusammenhang mit regierungskritischen Großdemonstrationen - wie etwa im Juni 2007 aus Anlass des "G8-Gipfels" in Heiligendamm - schon wegen befürchteter Aggressivität einzelner teilnehmender Gruppen "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze" eintretende massive Gewalttätigkeiten mit "katastrophalen Schadensfolgen" angenommen werden und deswegen bewaffnete Einheiten der Bundeswehr aufziehen? Der bloße Hinweis des Plenums, dass Gefahren, die "aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen", nicht genügen sollen, kann in diesen Fällen die selbst definierten Einsatzvoraussetzungen kaum wirksam suspendieren.

86

3. Dass die vom Plenarbeschluss entwickelte Lösung einer überzeugenden dogmatischen Grundlage entbehrt, kommt hinzu. Wie es angesichts der auch im Plenarbeschluss anerkannten Sperrwirkung zulässig sein kann, diese gleichwohl -und sei es auch nur in besonders qualifizierten Unglücksfällen - bei Seite zu schieben und den Einsatz bewaffneter Streitkräfte auch dann zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Art. 87a Abs. 4 GG nicht vorliegen, erschließt sich nicht und wird in der Entscheidung nicht begründet. Eine Begründung lässt sich auch schwerlich finden; denn wenn - bildlich gesprochen - das Öffnen einer Tür verboten ist, dann kann es nicht erlaubt sein, sie auch nur einen Spalt weit zu öffnen.

IV.

87

Letztlich wirft der Plenarbeschluss auch die Frage auf, was durch den nun erweiterten Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Inneren an Vorteilen für den Schutz der Bevölkerung namentlich vor terroristischen Angriffen erreicht werden kann. Die Antwort lautet: wenig bis nichts.

88

1. Angesichts des beim Zweiten Senat anhängigen Normenkontrollverfahrens wird darüber zu befinden sein, welche Vorschriften des Luftsicherheitsgesetzes zur Abwehr besonders schwerer Unglücksfälle durch den Einsatz bewaffneter Einheiten der Streitkräfte verfassungsrechtlichen Bestand haben können. Auf der Grundlage des Plenarbeschlusses mag es de lege lata zulässig sein, dass Kampfflugzeuge unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 LuftSiG "Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben". Die erfolgreiche Gefahrenabwehr durch solche Maßnahmen wird allerdings insbesondere in "Renegade"-Fällen deshalb wenig wahrscheinlich sein, weil Konsequenzen in Form eines Abschusses unzulässig sind, nachdem die - eine "unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt" gestattende - Vorschrift des § 14 Abs. 3 LuftSiG durch das Urteil des Ersten Senats für verfassungswidrig und nichtig erklärt worden ist (BVerfGE 115, 118). De lege ferenda mag ohne Verfassungsänderung eine gesetzliche Neuregelung möglich sein, diese könnte jedoch eine unmittelbare Einwirkung mit militärischer Waffengewalt nur gegen ein unbemanntes Luftfahrzeug erlauben oder ausschließlich gegen die Personen gerichtet sein, die das Luftfahrzeug als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen einsetzen wollen (vgl. BVerfGE 115, 118 <160>). Hingegen kann der deutsche Gesetzgeber den Abschuss solcher Flugzeuge nicht erlauben, in denen sich - wie bei den terroristischen Angriffen am 11. September 2001 - Passagiere und Besatzungsmitglieder befinden, die selbst Opfer der Luftpiraten geworden sind. Insoweit hat auch der Plenarbeschluss nichts daran geändert, dass die den Umständen nach wahrscheinliche Tötung dieser Menschen mit dem Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) in Verbindung mit der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) unvereinbar ist. Es kommt hinzu, dass - auch nach der Auffassung des Plenums - ohne Verfassungsänderung allein die Bundesregierung nach Maßgabe des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG über den Einsatz militärischer Waffen gegen Luftfahrzeuge befinden kann, was angesichts des vergleichsweise kleinen deutschen Luftraums kaum jemals rechtzeitig zu einer Maßnahme nach § 14 Abs. 1 LuftSiG oder - nach gesetzlicher Neuregelung - zu einem eingeschränkt zulässigen Abschuss eines Luftfahrzeugs führen wird. Soll danach der Rahmen, den das materielle Verfassungsrecht für eine effektive Abwehr von Gefahren aus dem Luftraum lässt, genutzt werden, so ist trotz der erweiterten Zulässigkeit von Kampfeinsätzen nach der Entscheidung des Plenums eine Verfassungsänderung gleichwohl unvermeidlich.

89

2. Es lässt sich nicht leugnen und ist positiv zu bewerten, dass die Antwort des Plenums deutlich hinter dem aus der Vorlagefrage ersichtlichen Anliegen des Zweiten Senats zurückbleibt, das auf eine Umgestaltung der Regelungen des Katastrophennotstandes hin zu einer subsidiären allgemeinen Gefahrenabwehr mit militärischen Waffen zielte. Gleichwohl hat das Plenum aber zugunsten eines geringen, praktisch kaum realisierbaren Gewinns an Sicherheit die Zulässigkeit des Einsatzes der Streitkräfte im Inneren mit Hilfe derart unbestimmter Rechtsbegriffe erweitert, dass militärische Einsätze zu innenpolitischen Zwecken nicht ausgeschlossen werden können. Für einen kaum messbaren Nutzen wurden fundamentale Grundsätze aufgegeben. Daher wäre es ein fataler Fehler, sich angesichts der Entscheidung des Plenums damit zu trösten, dass der Berg gekreißt, aber nur eine Maus geboren hat.

(1) Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe.

(2) Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung seiner Polizei anfordern, wenn die Polizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte. Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern.

(3) Gefährdet die Naturkatastrophe oder der Unglücksfall das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen die Weisung erteilen, Polizeikräfte anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte einsetzen. Maßnahmen der Bundesregierung nach Satz 1 sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben.

Tenor

1. Soweit der Antrag sich auf § 14 Absatz 3 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) bezog, wird das Verfahren eingestellt.

2. § 13 Absatz 3 Satz 2 und 3 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) ist mit Artikel 35 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

3. Im Übrigen sind die §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite78), geändert durch Artikel 7 Nummer 2 des Gesetzes zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften vom 29. Juli 2009 (Bundesgesetzblatt I Seite 2424) - soweit nicht als Folge der Nichtigerklärung des § 14 Absatz 3 des Luftsicherheitsgesetzes durch das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006 - 1 BvR 357/05 - gegenstandslos geworden (§ 14 Absatz 4 Satz 1 Luftsicherheitsgesetz und die in § 15 Absatz 1 und 2 Luftsicherheitsgesetz enthaltenen Bezugnahmen auf § 14 Absatz 3 Luftsicherheitsgesetz) - in den genannten Fassungen mit dem Grundgesetz vereinbar.

4. § 16 Absatz 2 und Absatz 3 Satz 2 und 3 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite78) sowie Artikel 2 Nummer 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben sind mit dem Grundgesetz vereinbar.

Gründe

A.

1

Der Antrag im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle betrifft die Vorschriften des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) zur Verwendung der Streitkräfte bei einem besonders schweren Unglücksfall (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG), der von einem Luftfahrzeug ausgeht (§§ 13 bis 15 LuftSiG), sowie die gesetzlichen Bestimmungen, die es dem Bund erlauben, Luftsicherheitsaufgaben, die den Ländern zur Ausführung in Auftragsverwaltung übertragen sind (§ 16 Abs. 2 LuftSiG), durch Entscheidung des Bundesministeriums des Innern wieder an sich zu ziehen (§ 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 i.V.m. § 16 Abs. 2 LuftSiG, Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 ).

I.

2

1. Das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (BGBl I S. 78) und - als dessen Artikel 1 - das Luftsicherheitsgesetz traten am 15. Januar 2005 in Kraft (zu den Hintergründen BVerfGE 115, 118 <119 ff.>). Die im Antrag genannten Bestimmungen sind in der damaligen Fassung zur Prüfung gestellt. In dieser Fassung haben sie folgenden Wortlaut:

3

§ 13 LuftSiG

Entscheidung der Bundesregierung

(1) Liegen auf Grund eines erheblichen Luftzwischenfalls Tatsachen vor, die im Rahmen der Gefahrenabwehr die Annahme begründen, dass ein besonders schwerer Unglücksfall nach Artikel 35 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 des Grundgesetzes bevorsteht, können die Streitkräfte, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, zur Unterstützung der Polizeikräfte der Länder im Luftraum zur Verhinderung dieses Unglücksfalles eingesetzt werden.

(2) Die Entscheidung über einen Einsatz nach Artikel 35 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes trifft auf Anforderung des betroffenen Landes der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern. Ist sofortiges Handeln geboten, ist das Bundesministerium des Innern unverzüglich zu unterrichten.

(3) Die Entscheidung über einen Einsatz nach Artikel 35 Abs. 3 des Grundgesetzes trifft die Bundesregierung im Benehmen mit den betroffenen Ländern. Ist eine rechtzeitige Entscheidung der Bundesregierung nicht möglich, so entscheidet der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern. Die Entscheidung der Bundesregierung ist unverzüglich herbeizuführen. Ist sofortiges Handeln geboten, sind die betroffenen Länder und das Bundesministerium des Innern unverzüglich zu unterrichten.

(4) Das Nähere wird zwischen Bund und Ländern geregelt. Die Unterstützung durch die Streitkräfte richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes.

4

§ 14 LuftSiG

Einsatzmaßnahmen, Anordnungsbefugnis

(1) Zur Verhinderung des Eintritts eines besonders schweren Unglücksfalles dürfen die Streitkräfte im Luftraum Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben.

(2) Von mehreren möglichen Maßnahmen ist diejenige auszuwählen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Die Maßnahme darf nur so lange und so weit durchgeführt werden, wie ihr Zweck es erfordert. Sie darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht.

(3) Die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ist nur zulässig, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, und sie das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist.

(4) Die Maßnahme nach Absatz 3 kann nur der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung anordnen. Im Übrigen kann der Bundesminister der Verteidigung den Inspekteur der Luftwaffe generell ermächtigen, Maßnahmen nach Absatz 1 anzuordnen.

5

§ 15 LuftSiG

Sonstige Maßnahmen

(1) Die Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 und 3 dürfen erst nach Überprüfung sowie erfolglosen Versuchen zur Warnung und Umleitung getroffen werden. Zu diesem Zweck können die Streitkräfte auf Ersuchen der für die Flugsicherung zuständigen Stelle im Luftraum Luftfahrzeuge überprüfen, umleiten oder warnen. Ein generelles Ersuchen ist zulässig. Die Voraussetzungen für ein Tätigwerden werden in diesem Fall durch vorherige Vereinbarung festgelegt.

(2) Der Bundesminister der Verteidigung kann den Inspekteur der Luftwaffe generell ermächtigen, Maßnahmen nach Absatz 1 anzuordnen. Der Inspekteur der Luftwaffe hat den Bundesminister der Verteidigung unverzüglich über Situationen zu informieren, die zu Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 und 3 führen könnten.

(3) Die sonstigen Vorschriften und Grundsätze der Amtshilfe bleiben unberührt.

6

§ 16 LuftSiG

Zuständigkeiten

(1) ...

(2) Die Aufgaben der Luftsicherheitsbehörden nach diesem Gesetz und nach der Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt (ABl. EG Nr. L 355 S. 1) werden von den Ländern im Auftrage des Bundes ausgeführt, soweit in den Absätzen 3 und 4 nichts anderes bestimmt ist.

(3) ... Im Übrigen können die Aufgaben der Luftsicherheitsbehörden nach diesem Gesetz in bundeseigener Verwaltung ausgeführt werden, wenn dies zur Gewährleistung der bundeseinheitlichen Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen erforderlich ist. In den Fällen des Satzes 2 werden die Aufgaben von der vom Bundesministerium des Innern bestimmten Bundesbehörde wahrgenommen; das Bundesministerium des Innern macht die Übernahme von Aufgaben sowie die zuständigen Bundesbehörden im Bundesanzeiger bekannt.

(4) ...

7

Art. 2 Nr. 10 Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben

Änderung des Luftverkehrsgesetzes

Das Luftverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. März 1999 (BGBl. I S. 550), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 6. April 2004 (BGBl. I S. 550, 1027), wird wie folgt geändert:

...

10. § 31 Abs. 2 wird wie folgt geändert:

a) In Nummer 18 wird das Semikolon am Ende durch einen Punkt er- setzt.

b) Nummer 19 wird aufgehoben.

...

8

Bei dem gemäß Buchstabe b) dieser Bestimmung aufgehobenen § 31 Abs. 2 Nr. 19 des LuftVG a.F. handelte es sich um die frühere Regelung zur Art und Weise der Ausführung von Aufgaben des Schutzes vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs. Für diese Aufgaben war danach grundsätzlich die Ausführung durch die Länder im Auftrage des Bundes vorgesehen und die Möglichkeit der Ausführung in bundeseigener Verwaltung - nur - auf Antrag eines Landes eröffnet.

9

2. Die wiedergegebenen Bestimmungen sind zwischenzeitlich nur unwesentlich geändert worden. In § 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG wurden die Wörter "für die Flugsicherung zuständigen Stelle" durch das Wort "Flugsicherungsorganisation" (Gesetz zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften vom 29. Juli 2009, BGBl I S. 2424) und in § 16 Abs. 4 Satz 2 LuftSiG die Wörter "Verkehr, Bau- und Wohnungswesen" durch die Wörter "Verkehr, Bau und Stadtentwicklung" ersetzt (Neunte Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 31. Oktober 2006, BGBl I S. 2407).

II.

10

1. Der Normenkontrollantrag ging am 28. April 2005 beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Bearbeitung des Verfahrens wurde zurückgestellt bis zur Entscheidung des Ersten Senats über mehrere anhängige Verfassungsbeschwerden gegen § 14 Abs. 3 LuftSiG.

11

2. Mit Urteil vom 15. Februar 2006 - 1 BvR 357/05 - (BVerfGE 115, 118) erklärte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts § 14 Abs. 3 LuftSiG für mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 87a Abs. 2 und Art. 35 Abs. 2 und 3 sowie in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig. Für die Bestimmung fehle die Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Dessen Befugnis, gesetzliche Regelungen zum Einsatz der Streitkräfte im regionalen oder überregionalen Katastrophennotstand zu treffen, könne nicht auf Art. 73 Nr. 1 oder Art. 73 Nr. 6 GG gestützt werden, sondern folge unmittelbar aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG selbst (a.a.O., S. 140 f.). Von der durch diese Verfassungsnormen eröffneten Kompetenz sei § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht gedeckt (a.a.O., S. 141 ff.). Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG stünden zwar einem Einsatz im Fall eines vorsätzlich herbeigeführten Unglücksfalls ebensowenig entgegen wie einem Einsatz zur Abwehr eines noch nicht eingetretenen, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze zu erwartenden, unmittelbar drohenden Schadensereignisses (a.a.O., S. 143 ff.). Nach Wortlaut und durch die Entstehungsgeschichte bestätigtem Zweck des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG sei jedoch ein Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht erlaubt (a.a.O., S. 146 ff.). § 14 Abs. 3 LuftSiG sei auch mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht vereinbar. Verfassungsrechtlichen Bedenken begegne die Vorschrift schon deshalb, weil der danach zulässige Streitkräfteeinsatz gemäß § 13 Abs. 3 LuftSiG nicht durchweg, wie von Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 62 GG gefordert, eine vorherige Einsatzentscheidung der Bundesregierung als Kollegium voraussetze (a.a.O., S. 148 ff.). Auch im Fall des überregionalen Katastrophennotstands sei zudem ein Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht erlaubt (a.a.O., S. 150 f.). Materiell stehe § 14 Abs. 3 LuftSiG darüber hinaus nicht mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG in Einklang, soweit er es den Streitkräften gestatte, Luftfahrzeuge abzuschießen, in denen sich neben den Angreifern auch Menschen befinden, die an dem Angriff nicht beteiligt, sondern als Opfer von ihm betroffen sind (a.a.O., S. 151 ff.). Auf die Frage, ob das Gesetz, mit dem § 14 Abs. 3 LuftSiG in Kraft gesetzt wurde, der Zustimmung des Bundesrates bedurft hätte, ging der Senat nicht ein; die diesbezügliche Rüge genüge nicht den Begründungsanforderungen der §§ 92, 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BVerfGG (a.a.O., S. 135 f.).

12

3. Die Antragstellerinnen erklärten daraufhin ihren Antrag in dem vorliegenden Verfahren für erledigt, soweit er § 14 Abs. 3 LuftSiG betraf. Die Bearbeitung des Verfahrens blieb auf ihr Ersuchen zunächst weiterhin zurückgestellt.

13

4. Ihren Antrag begründeten die Antragstellerinnen wie folgt:

14

a) Für den Erlass der §§ 13 bis 15 LuftSiG habe dem Bund die Gesetzgebungskompetenz gefehlt. Die in §§ 13 bis 15 LuftSiG geregelten Einsatzmaßnahmen dienten nicht der Verteidigung im Sinne des Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG und des Art. 87a Abs. 1 GG. Der Angriff mittels eines Flugzeuges von außerhalb der Staatsgrenzen sei ein durch Verteidigung im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG zu beantwortender Angriff nur, wenn es sich dabei um einen Angriff eines anderen Staates oder eines De-facto-Regimes auf die Bundesrepublik Deutschland handle oder wenn und soweit internationale terroristische Aggressionen ein Ausmaß erreichten, das das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta auslöse. Ob die Grundsatz- und Grenzbestimmung des Grundgesetzes für den Verteidigungsauftrag der Streitkräfte durch ein ungeschriebenes Staatsnotrecht für den Fall von Angriffen, die auf die Beseitigung des Gemeinwesens und die Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsordnung gerichtet sind, ergänzt werden müsse, könne offen bleiben, da die §§ 13 ff. LuftSiG keine derartigen Vorgänge voraussetzten.

15

Kraft des nach der bindenden Entscheidung des Ersten Senats dem Bund unmittelbar aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG zustehenden Gesetzgebungsrechts für Fälle der Unterstützung der Länder in der polizeilichen Gefahrenabwehr könne ein Einsatz mit spezifisch militärischen Waffen nicht durch Bundesgesetz vorgesehen und geregelt werden.

16

Es stehe mit Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG nicht in Einklang, dass das Luftsicherheitsgesetz den Bund ermächtige, die Bundeswehr zur Gefahrenabwehr mit militärischen Waffen nach Bundesrecht einzusetzen. Nach Art. 35 GG könnten die Streitkräfte nur von den Befugnissen Gebrauch machen, die das Landesrecht für die polizeiliche Aufgabe der Gefahrenabwehr bereithalte. § 14 Abs. 1 LuftSiG regle demgegenüber bundesrechtlich den Einsatz der Streitkräfte in ihrer spezifischen Eigenschaft und Fähigkeit als bewaffnete Macht und gestatte die Verwendung spezifisch militärischer Waffen. § 13 Abs. 3 Satz 2 bis 4 LuftSiG stehe, wie das Urteil des Ersten Senats bestätige, nicht in Einklang mit Art. 35 Abs. 3 GG, der die Entscheidung über den Einsatz, da es sich hier um einen schwerwiegenden Eingriff in das bundesstaatliche Rechtsverhältnis handele, der Bundesregierung als Kollegialorgan (Art. 62 GG) zuweise.

17

§ 14 Abs. 4 sowie § 15 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 LuftSiG seien, soweit auf § 14 Abs. 3 LuftSiG bezogen, mit der Nichtigerklärung dieser Bestimmung obsolet geworden.

18

b) Die mit § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG sowie Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben getroffenen Regelungen hätten gemäß Art. 87d Abs. 2 GG der Zustimmung des Bundesrates bedurft. Die Kompetenz des Bundes gemäß Art. 87d Abs. 2 GG, bundeseigene Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung gemäß Art. 87d Abs. 1 Satz 1 GG den Ländern als Auftragsverwaltung zu übertragen, umfasse auch die Befugnis, die übertragenen Aufgaben ganz oder teilweise zurückzunehmen. Die Rückübertragung könne auch aufgrund einer ausreichenden Ermächtigung in dem Gesetz durch eine Regelung der Exekutive erfolgen. Die Voraussetzungen der Rückübertragung müssten aber durch das Gesetz in bestimmter Weise vorgezeichnet sein. Die Generalklausel des § 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG lasse Ermessensentscheidungen ohne hinreichend bestimmte und berechenbare Maßgaben zu. Ein Gesetz, das ein mit Zustimmung des Bundesrates ergangenes Gesetz ändere, sei zustimmungsbedürftig, wenn es Regelungen ändere, welche die Zustimmungsbedürftigkeit des geänderten Gesetzes ausgelöst haben. Eine Einschränkung dieser Regel werde offenbar für Regelungskonstellationen im Bereich von Art. 84 Abs. 1 GG anerkannt, die keinen weiteren Einbruch des Bundes in die Verwaltungszuständigkeit der Länder bewirken. Das Organisations- und Verwaltungsinteresse der Länder werde jedoch bei der Übertragung und Rückübertragung von Aufgaben gemäß Art. 87d Abs. 2 GG in anderer Weise berührt als bei einer bundesgesetzlichen Regelung der Behördeneinrichtung und des Verwaltungsverfahrens. Der äußerlich als actus contrarius zur Aufgabenübertragung erscheinende Akt der Rückübertragung stelle eine selbständige Regelung der bundesstaatlichen Kompetenzordnung dar, die das Grundgesetz einer besonderen Entscheidung des Gesetzgebers überlassen habe. In beiden Fällen müsse folgerichtig die Frage der notwendigen Zustimmung durch den Bundesrat in gleicher Weise beantwortet werden. Die Rückübertragung beeinträchtige zudem die organisatorischen und finanziellen Belange der Länder, die die für den Verwaltungsvollzug notwendigen personellen und sachlichen Vorkehrungen getroffen hätten.

19

Überdies verletze die in § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG getroffene Regelung den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens.

III.

20

1. Die Bundesregierung äußerte sich dahin, dass der Normenkontrollantrag unbegründet sei.

21

a) Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Erlass der §§ 13 bis 15 LuftSiG sei aus Art. 73 Nr. 1 GG a.F. und aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG ableitbar; sie bestehe unabhängig davon, welche dieser beiden Vorschriften herangezogen werde. Hilfsweise lasse sie sich auch aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG begründen.

22

Der Gesetzgebungskompetenz des Bundes stehe, auch wenn man mit dem Urteil des Ersten Senats davon ausgehe, dass sie sich aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG ergibt, nicht entgegen, dass diese Vorschriften einen Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht erlaubten. Die nach der Nichtigerklärung des § 14 Abs. 3 LuftSiG verbleibenden Regelungen der §§ 13 bis 15 LuftSiG setzten nicht den Einsatz militärischer Kampfmittel voraus. § 14 Abs. 1 LuftSiG erlaube zwar die Androhung von Waffengewalt und die Abgabe von Warnschüssen. Diese Bestimmung lasse sich jedoch zwanglos dahin auslegen, dass nur die Waffen gemeint seien, die das Recht des betreffenden Landes für dessen Polizeikräfte vorsehe.

23

Die in § 13 Abs. 3 LuftSiG statuierte Eilkompetenz für den Fall einer nicht rechtzeitig möglichen Entscheidung der Bundesregierung sei von Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG gedeckt. Soweit diese Verfassungsbestimmung Maßnahmen des Bundes zur Gefahrenabwehr gestatte, gelte dies zugleich für die notwendige Regelung von Verfahren, um diese Maßnahmen effektiv treffen zu können. § 13 Abs. 3 LuftSiG trage dem grundsätzlichen Entscheidungsvorbehalt der Bundesregierung soweit wie möglich Rechnung, indem er in Satz 3 deren unverzügliche nachträgliche Entscheidung gebiete.

24

b) Das Luftsicherheitsgesetz sei weder im Hinblick auf die Übertragung von Aufgaben auf die Länder in §§ 7 f. LuftSiG noch im Hinblick auf die Einführung der Bundesinitiativlösung in § 16 Abs. 3 Satz 3 LuftSiG oder die Regelung des Verwaltungsverfahrens in § 7 LuftSiG zustimmungsbedürftig gewesen. Zustimmungspflichtig sei zunächst die Übertragung von Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung auf die Länder. Ein Änderungsgesetz, das übertragene Aufgaben betreffe, bedürfe der Zustimmung nur, wenn die bereits übertragenen Aufgaben qualitativ verändert würden, ihnen also eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite verliehen werde. Das sei hier nicht der Fall. Bereits nach § 31 Abs. 2 Nr. 19 LuftVG a.F. sei den Ländern die gesamte Aufgabe der Abwehr von Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs als Auftragsangelegenheit übertragen gewesen; die neuen Regelungen gingen hierüber nicht hinaus. Ein Aufgabenzuwachs quantitativer Art begründe keine neue Zustimmungsbedürftigkeit, wenn der Bundesrat der fraglichen Aufgabenwahrnehmung schon früher zugestimmt habe. Die in § 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG getroffene Regelung sei nicht zustimmungspflichtig, da Art. 87d Abs. 2 GG einen Zustimmungsvorbehalt nur für die Übertragung vorsehe. Zur analogen Anwendung dieser Bestimmung auf Rückübertragungen bestehe kein Anlass. Die Rückübertragung beeinträchtige keine schutzwürdigen Länderbelange. Auch der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens begründe deshalb keinen Zustimmungsvorbehalt. Das Verwaltungsverfahren zur Zuverlässigkeitsprüfung sei mit § 7 LuftSiG nur modifiziert, nicht aber substantiell neu geregelt worden. Zudem lasse sich aus Art. 85 Abs. 1 GG kein Zustimmungsvorbehalt für Regelungen des Verwaltungsverfahrens ableiten.

25

2. Die weiteren Äußerungsberechtigten haben keine Stellungnahme abgegeben.

IV.

26

In einer mündlichen Verhandlung am 10. Februar 2010 haben die Antragstellerinnen und die Bundesregierung ihren schriftlichen Vortrag ergänzt und vertieft.

27

Als sachkundige Auskunftspersonen äußerten sich für die Bayerische Staatsregierung der Sachgebietsleiter Einsatz der Bayerischen Polizei im Bayerischen Staatsministerium des Innern, Ministerialrat Hubertus Andrä, für die Hessische Landesregierung der Inspekteur der Hessischen Polizei, Udo Münch, sowie Polizeivizepräsident Robert Schäfer (Polizeipräsidium Wiesbaden), und für die Bundesregierung der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, der Präsident des Bundespolizeipräsidiums, Matthias Seeger, sowie der Kommandeur der Führungszentrale Nationale Luftverteidigung, Generalleutnant Friedrich-Wilhelm Ploeger. Die Auskunftspersonen äußerten sich zur Gefahr von Anschlägen unter anderem aus dem Luftraum beziehungsweise zu den bestehenden Abwehrmöglichkeiten. Es bestand Übereinstimmung, dass die Gefahr ernstzunehmen sei und ihr mit den Mitteln der Polizeien nicht ausreichend begegnet werden könne.

28

Generalleutnant Ploeger stellte die praktischen Vorkehrungen für eine Verwendung der Luftwaffe in den Fällen des Luftsicherheitsgesetzes dar. Hierfür würden Flugzeuge genutzt, die primär der integrierten NATO-Luftverteidigung zur Verfügung stünden und entsprechend ausgerüstet seien. Diese überwache den Luftraum über den Mitgliedstaaten zum Schutz vor Angriffen kontinuierlich und möglichst lückenlos. Im Fall des Verdachts auf einen bevorstehenden kriminellen Anschlag mittels eines Luftfahrzeuges (sog. Renegade-Fall) stünden die NATO-Mittel den Mitgliedstaaten in nationaler Verantwortung zur Verfügung. Die sonst für die operative Luftverteidigung bei einem militärischen Angriff zuständige Führungszentrale Nationale Luftverteidigung könne dann ein Luftlagebild erstellen, die Kommunikation zwischen zivilen und militärischen Stellen gewährleisten und gegebenenfalls den Einsatz von Jagdflugzeugen steuern. Dies erfolge anhand der Zusammenarbeitsgrundsätze von Bund und Ländern, die alle Informationsabläufe, Verfahrensweisen und Rahmenbedingungen regelten, um Gefahren für die Sicherheit im deutschen Luftraum durch Renegade-Luftfahrzeuge bestmöglich abzuwehren. Gehe der Funkkontakt zu einem Luftfahrzeug verloren, werde die Führungszentrale informiert. Dort würden alle zu dem Luftfahrzeug verfügbaren Daten zusammengeführt. Könne der Funkkontakt auf den herkömmlichen Wegen nicht wiederhergestellt werden, stiegen Jagdflugzeuge auf. Dies geschehe etwa 30 bis 40 Mal jährlich. Gleichzeitig mit dem Start der Jagdflugzeuge würden der Inspekteur der Luftwaffe und über den Verbindungsbeamten der Bundespolizei im Führungszentrum die Lagezentren des Bundes und der Länder informiert. Die Besatzungen der Jagdflugzeuge versuchten dann, Sichtkontakt mit der Besatzung des anderen Flugzeugs aufzunehmen. Dieser könnten durch Flügelbewegungen gemäß internationalem Code Verhaltenssignale übermittelt werden. Gemäß § 14 Abs. 1 LuftSiG könnten die Jagdflugzeuge bei Bedarf sogenannte Infrarot-Täuschkörper zünden, die selbst in hellem Sonnenlicht von der Besatzung des Renegade-Flugzeugs nicht übersehen werden könnten und ihr signalisierten, dass Anweisungen der Jagdflugzeugbesatzung zu befolgen seien. Nach der Nichtigerklärung von § 14 Abs. 3 LuftSiG bestehe keine Möglichkeit mehr, die Befolgung zu erzwingen; insofern sei man letztlich auf Kooperation angewiesen. Die Aussicht auf solche Kooperation könne aber durch die verbleibenden Handlungsmöglichkeiten gesteigert werden. Aufgrund der Geschwindigkeit heutiger Verkehrsflugzeuge, die in der Minute etwa 12 bis 15 km zurücklegten, vergingen zwischen dem ersten Gefahranzeichen und dem Eintritt des Schadens im Ernstfall möglicherweise nur 15 bis 20 Minuten. Deshalb sei es im Renegade-Fall wichtig, kurzfristig Informationen auch unmittelbar an dem betroffenen Flugzeug zu sammeln, um die Gefahr richtig beurteilen und die angemessenen Abwehrmaßnahmen einleiten zu können.

29

Der Inspekteur der Hessischen Polizei und der Präsident des Bundeskriminalamts legten ebenfalls dar, dass die verbleibenden Möglichkeiten der Informationsgewinnung und Beeinflussung von Bedeutung seien. Von einem begleitenden Jagdflugzeug aus könne ermittelt werden, was im Cockpit des Renegade-Flugzeugs vor sich gehe, wer das Flugzeug steuere, ob ein Täter fliege, die Flugbewegungen unsicher und Waffen erkennbar seien. Diese Informationen könnten Anhaltspunkte für die Nutzung polizeipsychologischer Mittel liefern. Jagdflugzeuge könnten als polizeitaktisches Mittel zur Verunsicherung des Täters genutzt werden, zumal es nach polizeilicher Erfahrung kein festes Täterraster gebe, Angreifer vielmehr auf ihre Taten physisch und psychisch unterschiedlich vorbereitet seien.

30

Die Ergebnisse dieser mündlichen Verhandlung sind über die Abschrift des Tonbandprotokolls (§ 25a Satz 2 BVerfGG) in die Beratung über die vorliegende Entscheidung einbezogen worden (s. dazu unter A.VI.2. und B.).

V.

31

Der Zweite Senat, der bei seiner Entscheidung in drei Punkten von Rechtsauffassungen des Ersten Senats in dessen Urteil zum Luftsicherheitsgesetz (s.o. II.2.) abweichen wollte, hat das Plenum des Bundesverfassungsgerichts angerufen. Dieses hat über die zwischen den Senaten strittigen Verfassungsfragen mit Beschluss vom 3. Juli 2012 (- 2 PBvU 1/11 -, juris) folgendermaßen entschieden:

32

1. Die Gesetzgebungszuständigkeit für die §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) ergibt sich aus Artikel 73 Nummer 6 des Grundgesetzes in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 2034) geltenden Fassung.

2. Artikel 35 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 des Grundgesetzes schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei einem Einsatz der Streitkräfte nach diesen Vorschriften nicht grundsätzlich aus, lassen sie aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die einem bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren durch Artikel 87a Absatz 4 GG gesetzt sind.

3. Der Einsatz der Streitkräfte nach Artikel 35 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes ist, auch in Eilfällen, allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässig.

VI.

33

1. Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2012 haben die Antragstellerinnen unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen in den früheren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010 erklärt, der Normenkontrollantrag werde aufrechterhalten.

34

Der Bund könne von seinem Gesetzgebungsrecht über den Luftverkehr (Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG) oder kraft konkludenter Kompetenz zur Regelung der Amtshilfe durch die Streitkräfte (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG) nur Gebrauch machen, wenn ein Einsatz der Streitkräfte durch das Grundgesetz ausdrücklich zugelassen sei (Art. 87a Abs. 2 GG). Eine entsprechende Zulassung könne sich nur aus den Amtshilfevorschriften des Art. 35 GG ergeben. Die in § 14 Abs. 1 LuftSiG vorgesehenen Maßnahmen der Streitkräfte seien ein Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen als Mittel der vollziehenden Gewalt, fielen damit unter den Vorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG und könnten, soweit verfassungsrechtlich zulässig, bei einem überregionalen Unglücksfall nur durch die Bundesregierung angeordnet werden (Art. 35 Abs. 3 GG).

35

Der Beschluss des Plenums vom 3. Juli 2012 befinde nicht über konkrete Rechtsfolgen, sondern über die vorgelegte abstrakte Rechtsauffassung. Das Plenum habe sich weder die Rechtsauffassung des Ersten Senats zu eigen gemacht noch die in der Vorlage des Zweiten Senats enthaltene abweichende Rechtsauffassung übernommen.

36

Die angenommene "Sperrwirkung" des Art. 87a Abs. 4 GG für die Abwehr innerer Unruhen, die von nichtstaatlichen Angreifern ausgehen, könne und müsse möglicherweise der Sache nach so verstanden werden, dass ein Kampfeinsatz der Streitkräfte mit militärischen Waffen, der - wie in § 14 LuftSiG vorgesehen - hoheitliche Gewalt gegen Personen einschließe, nur in dem abschließend geregelten Fall des inneren Notstandes im Sinne des Art. 87a Abs. 4 GG zulässig sei. Diese Auslegung werde durch Art. 91 GG bekräftigt, wonach zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes nur ein Einsatz von Polizeikräften vorgesehen und zugelassen sei. Die danach gegebene Unterscheidung der Zulässigkeit des Kampfeinsatzes der Streitkräfte einerseits im inneren Notstand, andererseits bei der Amtshilfe sei überdies - wie in der abweichenden Meinung des Richters Gaier überzeugend dargelegt - klar in der Entstehungsgeschichte der Notstands-Novelle von 1968 hervorgetreten. Aus alledem folge, dass Art. 35 GG jedenfalls bei der Anwendung spezifisch militärischer Mittel gegen Personen ein dem Vorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG genügender Einsatztatbestand nicht entnommen werden könne.

37

Die Klausel "zur Unterstützung" der Polizeikräfte betreffe die Art und Weise des Einsatzes, enthalte aber für sich genommen keinen die Zulässigkeit des Einsatzes begründenden Tatbestand. Sie habe deshalb in Art. 35 Abs. 3 GG und in Art. 87a Abs. 4 GG eine unterschiedliche, durch die jeweils geregelte Gefahrenlage bestimmte Bedeutung. Aber auch wenn man mit dem Plenarbeschluss annehme, dass Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG unter bestimmten eine Ausnahmesituation darstellenden Umständen einen Streitkräfteeinsatz mit militärischen Mitteln zuließen, um eines besonderen Unglücksfalles Herr zu werden, lasse sich die Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG, insbesondere des § 14 Abs. 1 LuftSiG, nicht begründen. Das Plenum beschreibe das Tatbestandsmerkmal des besonders schweren Unglücksfalles dahingehend, dass nur Ereignisse von "katastrophischen Dimensionen", "ungewöhnliche Ausnahmesituationen", "äußerste Ausnahmefälle", bei "besonders gravierenden Luftzwischenfällen" den Streitkräfteeinsatz mit militärischen Waffen zuließen. Dem trügen die gesetzlichen Regelungen der §§ 13 bis 15 LuftSiG nicht Rechnung; sie stellten allein darauf ab, dass aufgrund eines erheblichen Zwischenfalls Tatsachen vorlägen, die im Rahmen der Gefahrenabwehr die Annahme begründeten, dass ein besonders schwerer Unglücksfall nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG bevorstehe. Die Amtshilfe umfasse nach der Verfassung nicht auch einen Kampfeinsatz der Streitkräfte zur Bekämpfung krimineller oder terroristischer Angriffe. Die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit müssten hier auch und gerade eine Schranke des militärischen Handelns der Streitkräfte bilden. Mit der bloßen Wiederholung des aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG entnommenen Merkmals des "besonders schweren Unglücksfalles" seien die vom Plenarbeschluss geforderten engeren Eingriffsvoraussetzungen in den §§ 13 bis 15 LuftSiG nicht hinreichend bestimmt festgelegt. Hinzu komme, dass nach Auffassung des Plenums der Unglücksfall bereits vorliegen müsse, während § 13 Abs. 1 LuftSiG es genügen lasse, dass ein Unglücksfall bevorstehe, und § 14 Abs. 1 LuftSiG den Einsatz spezifisch militärischer Mittel schon "zur Verhinderung des Eintritts" eines besonders schweren Unglücksfalles zulasse. Der Mangel eines hinreichend eng begrenzten und bestimmten Eingriffstatbestandes könne nicht durch Bindung an die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit ersetzt oder kompensiert werden.

38

Das Luftsicherheitsgesetz beachte das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates nicht, das sich aus den Regelungen des § 16 Abs. 2 und 3 Sätze 2 und 3 LuftSiG, Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben ergebe. Auch wenn die Rückübertragung von Aufgaben der Ausführung von Bundesgesetzen, die zunächst den Ländern übertragen gewesen seien, auf den Bund der Zustimmung des Bundesrates als solche nicht unterworfen sei, wie der erkennende Senat im Beschluss vom 4. Mai 2010 (BVerfGE 126, 77) entschieden habe, könne sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles etwas anderes ergeben. Der Bundesgesetzgeber habe bei der Wahrnehmung der Möglichkeit der Rückübertragung von Aufgaben den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens zu beachten. Die Aufgabenübertragung sei ursprünglich nach § 31 Abs. 2 Nr. 19 Satz 2 LuftVG a.F. mit guten Gründen von einem Antrag eines Landes abhängig gewesen. Dabei sei gerade auch von Bedeutung gewesen, dass die fraglichen Vollzugsaufgaben hier im Rahmen der Amtshilfe und der Unterstützung für die Polizeikräfte ein von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG verfassungsrechtlich spezifisch vorstrukturiertes Zusammenwirken der Polizei- und Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes sowie der Streitkräfte im Bundesstaat voraussetzten. Ein Einvernehmen des Landes mit der Rückübertragung von Aufgaben der Luftsicherheit auf den Bund würde der fortbestehenden Kompetenz des Landes für die Gefahrenabwehr im Bereich der inneren Sicherheit entsprechen und der Organisations- und Finanzverantwortung des Landes Rechnung tragen. Es würde überdies eine sachgerechte Erfüllung der fraglichen Aufgaben sicherstellen. Unter diesen Umständen müsse aus der Bindung der dem Bund nach Art. 87d Abs. 2 GG zustehenden Kompetenz zur Rückübertragung von Aufgaben an die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten das Verfassungsgebot abgeleitet werden, auf die hier berührten Belange der Länder Rücksicht zu nehmen, zumindest durch geeignete Mitwirkungsrechte des Landes. Ein Gesetz, das wie das Luftsicherheitsgesetz die in Art. 87d Abs. 2 GG geregelte Zuständigkeit von Bund und Ländern bei der Ausführung von Bundesrecht wesentlich ändere, bedürfe der Zustimmung des Bundesrates.

39

2. Mit Schriftsatz vom 12. November 2012 haben die Antragstellerinnen unter erneuter Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen, einschließlich des Vorbringens in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010, für das sie auf das Tonbandprotokoll gemäß § 25a BVerfGG verweisen (vgl. dazu u. B.), auf eine erneute mündliche Verhandlung verzichtet.

40

3. Eine Gegenäußerung der Bundesregierung ist nicht erfolgt.

B.

41

Der Senat hat in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung zu entscheiden und kann dies ohne erneute mündliche Verhandlung tun.

42

Im Zeitraum seit der ersten Beratung der Sache im Senat am 24. November 2009 sind vier Richter aus dem Senat ausgeschieden. Da die an ihrer Stelle neu hinzugekommenen Richter Huber, Hermanns, Müller und Kessal-Wulf nicht zur Fortsetzung der bereits begonnenen Beratung hinzutreten können (§ 15 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG) und der Senat mit den aus der früheren Besetzung verbliebenen vier Richtern nicht beschlussfähig ist (§ 15 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG), musste gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG die Beratung neu begonnen werden. Für die nach erneuter Beratung zu treffende Entscheidung ist der Senat in seiner vollen Besetzung - nicht in einer nur bis zum Wiedererreichen des Beschlussfähigkeitsquorums von sechs Richtern aufgefüllten - zuständig. Dies ist die Normalbesetzung (§ 2 Abs. 2 BVerfGG). Von ihr unter den vorliegenden Umständen abzuweichen sieht das Gesetz nicht vor.

43

Eine erneute mündliche Verhandlung war nicht erforderlich, weil die Antragstellerinnen gemäß § 25 Abs. 1 BVerfGG auf sie verzichtet haben. Da die Antragstellerinnen auf ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010 Bezug nehmen, hat allen Mitgliedern des Senats die Abschrift des Tonbandprotokolls dieser Verhandlung vorgelegen.

C.

I.

44

1. Das Verfahren ist, soweit es § 14 Abs. 3 LuftSiG betrifft, durch das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006 - 1 BvR 357/05 - (BVerfGE 115, 118 <119>) erledigt und daher gemäß der Erklärung der Antragstellerinnen (A.II.3.) einzustellen.

45

2. Der Antrag ist dahin auszulegen, dass er sich auf die infolge der Nichtigerklärung des § 14 Abs. 3 LuftSiG (BVerfG a.a.O.) gegenstandslos gewordenen Teile der §§ 13 bis 16 LuftSiG14 Abs. 4 Satz 1 LuftSiG sowie die in § 15 Abs. 1 und 2 LuftSiG enthaltenen Verweisungen auf § 14 Abs. 3 LuftSiG), hinsichtlich derer er mangels objektiven Klarstellungsinteresses unzulässig wäre (vgl. BVerfGE 97, 198 <213 f.>; 113, 167 <193>; 119, 394 <410>), nicht bezieht. Die Antragstellerinnen selbst haben diese Teile als obsolet bezeichnet und damit verdeutlicht, dass sie insoweit eine verfassungsgerichtliche Klarstellung nicht begehren.

II.

46

Der in dieser Auslegung uneingeschränkt zulässige Antrag ist begründet, soweit er die Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes zur ministeriellen Eilkompetenz für die Entscheidung über einen Streitkräfteeinsatz im überregionalen Katastrophennotstand betrifft (1.). Im Übrigen ist der Antrag unbegründet (2.).

47

1. § 13 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG ist mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar und nichtig.

48

a) Ist im Falle eines überregionalen Katastrophennotstandes (Art. 35 Abs. 3 GG) eine rechtzeitige Entscheidung der regulär zuständigen Bundesregierung (§ 13 Abs. 3 Satz 1 LuftSiG) über einen Einsatz der Streitkräfte nicht möglich, so entscheidet nach § 13 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern. Nach § 13 Abs. 3 Satz 3 LuftSiG ist auch in diesem Fall die Entscheidung der Bundesregierung unverzüglich herbeizuführen.

49

Diese Regelungen sind unvereinbar mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG, der, wie das Plenum des Bundesverfassungsgerichts entschieden hat, einen Einsatz der Streitkräfte auch in Eilfällen allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässt (vgl. Beschluss vom 3. Juli 2012 - 2 PBvU 1/11 -, juris, Nr. 3 des Tenors sowie Rn. 52 ff.).

50

b) Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit des § 13 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG ist die Nichtigkeit (§ 78 Satz 1 BVerfGG). Eine bloße Unvereinbarerklärung (§ 31 Abs. 2 Satz 3, § 79 Abs. 1 BVerfGG), gar in Verbindung mit dem Ausspruch der Verpflichtung des Gesetzgebers, innerhalb einer bestimmten Frist eine verfassungskonforme Regelung zu treffen (vgl. BVerfGE 101, 106 <132>; 118, 45 <78>; 121, 266 <316>; 125, 175 <257 f., 259>), kommt nicht in Betracht.

51

Eine bloße Unvereinbarkeit ist allerdings auszusprechen, wenn der Zustand, der sich im Falle der Nichtigkeit ergäbe, der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner stünde als die befristete Weitergeltung der verfassungswidrigen Regelung (vgl. nur BVerfGE 41, 251 <267>; 61, 319 <356>; 83, 130 <154>; 85, 386 <401>; 87, 153 <177 f.>; 97, 228 <270>). Die Beschränkung auf eine Unvereinbarerklärung, mit der dem Gesetzgeber Zeit gegeben wird, die Rechtslage verfassungskonform zu gestalten, ohne dass zwischenzeitlich ein verfassungswidriger Rechtszustand durch einen noch verfassungsferneren ersetzt wird, kann unter anderem für den Fall geboten sein, dass anderenfalls Schutzlücken entstünden (vgl. BVerfGE 83, 130 <154>; 109, 190 <235 f.>).

52

Mit der Nichtigerklärung der Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes zur ministeriellen Eilkompetenz für Einsatzentscheidungen im überregionalen Katastrophennotstand kann sich - abhängig auch von den für die Willensbildung der Bundesregierung maßgeblichen Bestimmungen - zwar eine gravierende Schutzlücke (vgl. Fastenrath, JZ 2012, S. 1128 <1131>) ergeben, weil insbesondere im Fall eines Terrorangriffs mittels Flugzeugs die bei überregionaler Bedeutung erforderliche Einsatzentscheidung der Bundesregierung unter Umständen nicht rechtzeitig wird herbeigeführt werden können. Eine solche Schutzlücke wäre jedoch nicht durch das einfache Recht, sondern durch die Verfassung selbst bedingt. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht befugt, eine von der Verfassung vorgegebene Rechtslage als verfassungsfern zu qualifizieren.

53

2. Im Übrigen sind die §§ 13 bis 15 LuftSiG, soweit Verfahrensgegenstand (s. unter C.I.), sowie § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG und Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben mit dem Grundgesetz sowohl in formeller (a)) als auch in materieller Hinsicht (b)) vereinbar.

54

a) aa) Der Bund hat die Gesetzgebungskompetenz für die zur Prüfung stehenden Vorschriften.

55

Für die §§ 13 bis 15 LuftSiG in der zur Prüfung gestellten Fassung ergibt sich die Gesetzgebungszuständigkeit aus Art. 73 Nr. 6 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die ausschließliche Gesetzgebung über den Luftverkehr zuweist (vgl. BVerfG, Beschluss des Plenums vom 3. Juli 2012 - 2 PBvU 1/11 -, juris, Nr. 1 des Tenors sowie Rn. 14 ff.; s.o. A.V.). Soweit die Antragstellerinnen vorbringen, der Bund könne von diesem Gesetzgebungsrecht nur Gebrauch machen, wenn ein Einsatz der Streitkräfte durch das Grundgesetz ausdrücklich zugelassen sei, kann dies nicht die aus der genannten Grundgesetzbestimmung folgende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die §§ 13 bis 15 LuftSiG in Frage stellen, die von den materiell-verfassungsrechtlichen Grenzen der Einsetzbarkeit der Streitkräfte gerade nicht abhängt (vgl. BVerfG , a.a.O. Rn. 16).

56

Ob die Regelungen des § 16 LuftSiG und des Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben, soweit sie die Rückübertragung von Luftsicherheitsaufgaben aus der Auftragsverwaltung der Länder auf den Bund betreffen, ebenfalls eine kompetenzielle Grundlage in Art. 73 Nr. 6 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG) finden, kann offenbleiben. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich insoweit jedenfalls aus Art. 87d Abs. 2 GG, der für die Übertragung von Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung auf die Länder ausdrücklich ein Bundesgesetz vorsieht und damit auch eine Bundeskompetenz für etwaige Rückübertragungsregelungen begründet (vgl. BVerfGE 97, 198 <226>).

57

bb) Das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben und damit auch das Luftsicherheitsgesetz, das als dessen zentraler Bestandteil erlassen wurde, bedurften, wie das Bundesverfassungsgericht zwischenzeitlich in einem anderen Verfahren entschieden hat, nicht der Zustimmung des Bundesrates (vgl. BVerfGE 126, 77 <98>). Ein Zustimmungserfordernis folgte insbesondere auch nicht aus dem Inhalt der in § 16 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG und Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben getroffenen Regelungen (vgl. BVerfG, a.a.O. S. 108 und 110 f.).

58

Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens. Dieser Grundsatz betrifft die Ausübung gegebener Kompetenzen des Bundes und der Länder (s.u. C.II.2.b)bb)(2)), begründet aber keine Zustimmungserfordernisse im Gesetzgebungsverfahren.

59

b) Mit Ausnahme der Regelungen zur ministeriellen Eilkompetenz (s.o. C.II.1.) sind die §§ 13 bis 15 LuftSiG, soweit Verfahrensgegenstand, auch materiell mit dem Grundgesetz vereinbar (aa)). Dasselbe gilt für § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG und Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben (bb)).

60

aa) (1) Die §§ 13 und 14 LuftSiG sind nicht deshalb verfassungswidrig, weil sie vom Grundgesetz nicht zugelassene Einsätze der Streitkräfte im Inneren ermöglichten oder die Voraussetzungen hierfür nicht hinreichend bestimmt festlegten.

61

Nach § 14 Abs. 1 in Verbindung mit § 13 LuftSiG dürfen die Streitkräfte unter näher bezeichneten Voraussetzungen im Luftraum Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben. Damit wird ein Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Mitteln zugelassen.

62

(a) Der Zulässigkeit eines solchen Einsatzes steht nicht die Sperrwirkung des Art. 87a Abs. 4 GG entgegen. Zwar entfaltet diese Bestimmung, die den Einsatz der Streitkräfte im Fall des inneren Notstandes regelt, eine Sperrwirkung dahingehend, dass in Ausnahmesituationen der in Art. 87a Abs. 4 GG geregelten Art die engen Voraussetzungen, an die der Einsatz der Streitkräfte hier geknüpft ist, nicht dadurch unterlaufen werden dürfen, dass ein Einsatz stattdessen etwa auf der Grundlage des Art. 35 Abs. 2 oder 3 GG erfolgt (vgl. BVerfG, Beschluss des Plenums vom 3. Juli 2012 - 2 PBvU 1/11 -, juris, Rn. 45 f.). In Ausnahmesituationen, die nicht von der in Art. 87a Abs. 4 GG geregelten Art sind, kann jedoch ein Einsatz der Streitkräfte auf der Grundlage des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG auch zur Bekämpfung eines Angreifers zulässig sein (BVerfG, a.a.O. Rn. 46). Um solche Ausnahmesituationen handelt es sich bei der Abwehr von Gefahren nach §§ 13, 14 LuftSiG.

63

(b) Die in § 13 und § 14 LuftSiG getroffenen Regelungen überschreiten nicht die Grenzen, die der Zulassung eines Einsatzes der Streitkräfte im Katastrophennotstand dadurch gesetzt sind, dass ein solcher Einsatz nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG einen besonders schweren Unglücksfall voraussetzt. Ihnen fehlt insoweit auch nicht die notwendige Bestimmtheit.

64

(aa) Der Annahme eines besonders schweren Unglücksfalls steht bei einem Ereignis von katastrophischem Ausmaß nicht entgegen, dass es absichtlich herbeigeführt ist (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 46; ebenso bereits BVerfGE 115, 118 <143 f.>).

65

(bb) Ein Verfassungsverstoß liegt auch nicht darin, dass nach dem Wortlaut der zu prüfenden Vorschriften ein Einsatz nicht erst dann zulässig sein soll, wenn ein besonders schwerer Unglücksfall eingetreten ist, sondern - unter näher bezeichneten Voraussetzungen - bereits dann, wenn er "bevorsteht" (§ 13 Abs. 1 LuftSiG) und Einsatzmaßnahmen "zur Verhinderung des Eintritts" des besonders schweren Unglücksfalles (§ 14 Abs. 1 LuftSiG) erforderlich sind.

66

Im Urteil des Ersten Senats zum Luftsicherheitsgesetz vom 15. Februar 2006 ist es als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen worden, dass Einsatzmaßnahmen nach § 14 LuftSiG schon zu einem Zeitpunkt zulässig sein sollen, zu dem sich zwar bereits ein erheblicher Luftzwischenfall im Sinne des § 13 Abs. 1 LuftSiG ereignet hat, der besonders schwere Unglücksfall selbst, der mit den zugelassenen Einsatzmaßnahmen gerade abgewehrt werden soll, aber noch nicht eingetreten ist (vgl. BVerfGE 115, 118 <144>).

67

Von dieser Auslegung der verfassungsrechtlichen Einsatzvoraussetzungen rückt auf den ersten Blick der Plenumsbeschluss vom 3. Juli 2012 ab. Der Unglücksfall muss danach bereits vorliegen, damit zu seiner Bekämpfung oder zur Bekämpfung seiner Schadensfolgen Streitkräfte eingesetzt werden dürfen (BVerfG , a.a.O. Rn. 47). Diese Abkehr von der Rechtsprechung des Ersten Senats betrifft jedoch allein die begriffliche Konstruktion. Eine inhaltlich andere Eingrenzung der Einsatzvoraussetzungen in der Frage, ob und inwieweit bereits vor Schadensverwirklichung eingeschritten werden darf, ist damit nicht verbunden: Dass der Unglücksfall bereits vorliegen muss, damit zu seiner Bekämpfung Streitkräfte eingesetzt werden dürfen, bedeutet nach dem Plenumsbeschluss nicht, dass auch Schäden notwendigerweise bereits eingetreten sein müssen. Von einem Unglücksfall kann auch dann gesprochen werden, wenn zwar die zu erwartenden Schäden noch nicht eingetreten sind, der Unglücksverlauf aber bereits begonnen hat und der Eintritt katastrophaler Schäden unmittelbar droht. Ist die Katastrophe bereits in Gang gesetzt und kann sie nur noch durch den Einsatz der Streitkräfte unterbrochen werden, muss nicht abgewartet werden, bis der Schaden sich realisiert hat. Der Schadenseintritt muss jedoch unmittelbar bevorstehen. Dies ist der Fall, wenn der katastrophale Schaden, sofern ihm nicht rechtzeitig entgegengewirkt wird, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze eintreten wird (vgl. BVerfG , a.a.O. Rn. 47). Bei alledem bezieht sich der Plenumsbeschluss zustimmend, nicht abgrenzend, auf die einschlägigen Ausführungen im Urteil des Ersten Senats (vgl. BVerfG, a.a.O., sowie BVerfGE 115, 118 <144 f.>).

68

Der Unterschied zwischen beiden Entscheidungen liegt demnach in diesem Punkt allein in der Frage, ob die einvernehmlich angenommene Zulässigkeit präventiver Einsätze zur Vermeidung eines unmittelbar bevorstehenden katastrophalen Schadensereignisses mit einer entsprechend weiten Auslegung des Begriffs des besonders schweren Unglücksfalles begründet wird, wonach ein solcher Unglücksfall schon vor Schadenseintritt gegeben sein kann (so der Plenumsbeschluss), oder mit der Annahme der Zulässigkeit eines Einsatzes im unmittelbaren Vorfeld eines enger definierten, erst mit der Schadensverwirklichung eintretenden derartigen Unglücksfalles (so das Urteil des Ersten Senats) begründet wird. Dieser Unterschied ist rein terminologischer Art; er hat keinerlei Rechtsfolgenrelevanz und betrifft daher nicht die Rechtslage in ihrem Inhalt.

69

Entsprechendes gilt für die in § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 14 Abs. 1 LuftSiG gewählten Formulierungen. Die Wortwahl dieser Regelungen entspricht derjenigen im Urteil des Ersten Senats; eine inhaltliche Abweichung von den Maßgaben des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG in ihrer durch den Plenumsbeschluss klargestellten Bedeutung liegt darin, wie gezeigt, nicht. Angesichts des engen Kreises derer, die über das Ob eines Einsatzes zu entscheiden haben (§ 13 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 LuftSiG), liegt in der Wortfassung der § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 14 Abs. 1 LuftSiG auch keine Undeutlichkeit, deretwegen diesen Vorschriften die notwendige maßstäbliche Klarheit und Bestimmtheit (vgl. BVerfGE 110, 33 <54>; 113, 348 <375>) abzusprechen wäre. Insbesondere besteht nicht die Gefahr, dass die Befugnis zum schadenspräventiven Einsatz, die im Grundgesetz und im Luftsicherheitsgesetz gleichermaßen, aber in unterschiedlicher terminologischer Zuordnung angelegt ist, aufgrund dieses Unterschiedes doppelt und damit im Übermaß genutzt wird.

70

(cc) Die §§ 13 und 14 LuftSiG halten sich im Rahmen der Begrenzungen, die sich für Einsätze nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG daraus ergeben, dass die Einsatzvoraussetzung des besonders schweren Unglücksfalls nur in äußersten Ausnahmefällen, bei Ereignissen von katastrophischen Dimensionen (vgl. BVerfG , a.a.O. Rn. 26, 43, 46, 51), erfüllt ist. Mit der Anknüpfung an das - Art. 35 GG entnommene - Tatbestandsmerkmal des besonders schweren Unglücksfalles nehmen § 13 Abs. 1 und § 14 Abs. 1 LuftSiG alle darin liegenden Beschränkungen auf.

71

Mit der Übernahme des verfassungsrechtlichen Begriffs des besonders schweren Unglücksfalles in den genannten Vorschriften ist in der vorliegenden Konstellation auch den Anforderungen an die Bestimmtheit der gesetzlichen Regelungen genügt. Es ist nicht ersichtlich, dass Präzisierungen geeignet sein könnten, die Orientierungsfunktion der gesetzlichen Vorgaben in sachangemessener Weise deutlich zu verbessern.

72

Dass bereits das Grundgesetz selbst in Art. 35 GG für die Bestimmung der Einsatzvoraussetzungen mit dem unbestimmten Rechtsbegriff des besonders schweren Unglücksfalles arbeitet, hat seinen Grund nicht nur in der besonderen, mit detailgenauer Konkretisierung nur eingeschränkt verträglichen Funktion einer Verfassung, sondern auch in der Natur des zu bewältigenden Problems. Schon wegen der Vielfalt der Faktoren und Faktorenkombinationen, die für die besondere Schwere eines Unglücksfalles von Bedeutung sein können, ist der Begriff des besonders schweren Unglücksfalles einer handhabbaren Konkretisierung kaum zugänglich, zumal die Eilbedürftigkeit von Einsatzentscheidungen nach dem Luftsicherheitsgesetz keine langwierigen punktgenauen Ermittlungen auf unterschiedliche Bestimmungsgrößen hin, sondern nur eine mehr oder weniger intuitive Einschätzung erlauben wird. Es ist daher sachgerecht, dass bei Erlass des Luftsicherheitsgesetzes auf eine trennscharfe Präzisierung verzichtet wurde und nur in der Gesetzesbegründung exemplarisch Beispiele aufgeführt sind, die zur Orientierung dienen können (vgl. BRDrucks 827/03, S. 36, sowie BTDrucks 15/2361, S. 20: "Beispiele: Angriff auf Hochhaus, gefährliche Industrieanlage, AKW etc.").

73

(dd) Die strenge verfassungsrechtliche Beschränkung des Streitkräfteeinsatzes auf das Erforderliche, die sowohl das "Ob" als auch das "Wie" des Einsatzes, einschließlich der konkreten Einsatzmittel, betrifft (vgl. BVerfG , a.a.O., Rn. 48), ist mit den zur Prüfung gestellten Vorschriften gewahrt.

74

§ 13 Abs. 1 LuftSiG lässt einen Einsatz nur im Rahmen des Erforderlichen zu. Dass die Erforderlichkeitsklausel sich dabei dem Wortlaut nach auf die Bekämpfung eines bevorstehenden besonders schweren Unglücksfalles bezieht - die Einsatzermächtigung sich also der Formulierung nach nicht auf die Zulassung der Bekämpfung der Folgen eines bereits eingetretenen besonders schweren Unglücksfalles beschränkt -, ist aus den bereits dargestellten Gründen (s. (bb)) unbedenklich und ändert nichts daran, dass der Streitkräfteeinsatz nur als ultima ratio zur Schadensvermeidung zugelassen ist.

75

Entsprechendes gilt für § 14 LuftSiG, der die zulässigen konkreten Einsatzmaßnahmen und die Anordnungsbefugnis hierfür regelt.

76

An der Erforderlichkeit der in § 14 Abs. 1 LuftSiG getroffenen Einsatzregelung fehlt es auch nicht deshalb, weil sie für sich genommen mangels weiterreichender Eingriffsmöglichkeiten nicht geeignet wäre, den verfassungsrechtlichen Einsatzzweck zu fördern. Zwar stellt das Gesetz, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Ermächtigungsnorm des § 14 Abs. 3 LuftSiG für nichtig erklärt hat (vgl. BVerfGE 115, 118 <119>), allenfalls noch für Drohungen, nicht aber für die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt eine Eingriffsgrundlage bereit. Das mindert, jedenfalls gegenüber einem informierten Angreifer, zwangsläufig die Wirksamkeit der Androhung. Dasselbe gilt für die Möglichkeit, Warnschüsse abzugeben (§ 14 Abs. 1 LuftSiG). Es verbleibt aber - in diesem Sinne haben sich übereinstimmend auch die angehörten Fachleute in der mündlichen Verhandlung geäußert - die mögliche psychische Zwangs- oder Irritationswirkung solcher Maßnahmen und des nach § 14 Abs. 1 LuftSiG ebenfalls zulässigen Versuchs, das Luftfahrzeug, von dem die Gefahr ausgeht, durch Flugmanöver auf einen vom vermuteten Angriffsziel wegführenden Kurs zu drängen. Damit lassen sich, je nach den Umständen, auch die Chancen einer erfolgreichen Einwirkung durch Polizeipsychologen erhöhen. Die begrenzten Durchsetzungsmittel, die § 14 Abs. 1 LuftSiG bereitstellt, können danach, wenngleich Schutzlücken offen bleiben, jedenfalls den Einsatzzweck fördern. Für die verfassungsrechtlich unabdingbare Geeignetheit der Regelung reicht dies aus (vgl. im grundrechtlichen Zusammenhang BVerfGE 96, 10 <23>; 100, 313 <373>; 103, 293 <307>; 115, 118 <163>; 117, 163 <188 f.>).

77

(c) Auch die Regelung des § 14 Abs. 4 Satz 2 LuftSiG, die dem Bundesminister der Verteidigung die Möglichkeit einräumt, den Inspekteur der Luftwaffe generell zu ermächtigen, Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 LuftSiG anzuordnen, steht mit dem Grundgesetz in Einklang. Für Fälle, in denen eine auf das Gebiet eines einzelnen Landes beschränkte Gefahr abzuwehren ist (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG), sieht das Grundgesetz eine bestimmte Organzuständigkeit weder für die Entscheidung über den Einsatz als solchen (§ 13 LuftSiG) noch für die Entscheidung über die konkret zu treffenden Einsatzmaßnahmen (§ 14 LuftSiG) vor. Für den Fall des überregionalen Katastrophennotstandes weist Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG zwar der Bundesregierung die Grundsatzentscheidung über den Einsatz zu, trifft damit aber keine verbindliche Aussage darüber, wer die Anordnung konkreter Maßnahmen im Rahmen des von der Bundesregierung gebilligten Einsatzes auszusprechen befugt ist. Der Gesetzgeber ist danach für keinen der in Art. 35 GG geregelten Einsatzfälle gehindert, die auf einzelne Einsatzmaßnahmen bezogenen Befugnisse - auch generell - auf den Inspekteur der Luftwaffe zu übertragen (vgl. Keidel, Polizei und Polizeigewalt im Notstandsfall, 1971, S. 149; Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2007, S. 244; ders., NVwZ 2012, S. 1225 <1228>; Speth, Rechtsfragen des Einsatzes der Bundeswehr unter besonderer Berücksichtigung sekundärer Verwendungen, 1985, S. 142; Franz/Günther, VBlBW 2006, S. 340 <343>; Sattler, NVwZ 2004, S. 1286 <1289>; aus der Gesetzgebungsgeschichte s. BTDrucks V/2873, S. 14).

78

(2) Bei verfassungskonformer Auslegung ist auch § 15 LuftSiG mit dem Grundgesetz vereinbar.

79

Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG können die Streitkräfte auf Ersuchen der für die Flugsicherung zuständigen Stelle im Luftraum Luftfahrzeuge überprüfen, umleiten oder warnen. Der Gesetzgeber hat diese Maßnahmen, anders als die Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 LuftSiG, nicht als Einsatzmaßnahmen im Sinne des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG konzipiert (zur Würdigung als Eingriffsnormen in Abgrenzung zu bloßen Verfahrens- und Mittelbereitstellungsnormen bei der Bestimmung der Kompetenzgrundlage BVerfG , a.a.O. Rn. 20). § 14 LuftSiG ist mit "Einsatzmaßnahmen, Anordnungsbefugnis" überschrieben, § 15 LuftSiG dagegen mit "Sonstige Maßnahmen". In der Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben ist zu § 15 LuftSiG ausgeführt, dass es sich bei den nach Absatz 1 dieser Vorschrift vorrangig zu ergreifenden Maßnahmen um solche im Vorfeld eines Einsatzes nach § 14 LuftSiG, um bloße Amtshilfe, handele (vgl. BRDrucks 827/03, S. 39; BTDrucks 15/2361, S. 21; s. auch Giemulla, in: ders./ van Schyndel, LuftSiG, § 15 Rn. 1 <12/2009>). Die grundsätzliche Zuordnung zum Bereich der Amtshilfe hat zusätzlich in § 15 Abs. 3 LuftSiG Niederschlag gefunden, wonach die "sonstigen Vorschriften und Grundsätze der Amtshilfe" unberührt bleiben. Dieser Zuordnung folgt auch die in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010 - wie aus der Abschrift des Tonbandmitschnitts ersichtlich - dargestellte Praxis: Die zur Abklärung der Erforderlichkeit weitergehender Maßnahmen jährlich 30 bis 40 mal stattfindenden Alarmstarts von Jagdflugzeugen werden nicht als Einsätze im Sinne des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG behandelt und erfolgen daher ohne die Einschaltung der Bundesregierung oder, bei Unglücksfällen von nur regionaler Bedeutung, des Bundesministers der Verteidigung, die für einen Einsatz der Streitkräfte nach diesen Bestimmungen erforderlich wäre (vgl. auch Giemulla, in: ders./van Schyndel, LuftSiG, § 15 Rn. 4 <12/2009>).

80

Die gesetzliche Einordnung von Maßnahmen der Aufklärung und unterstützenden Information als bloße Amtshilfe (Art. 35 Abs. 1 GG), die nicht den Anforderungen für einen Einsatz der Streitkräfte (Art. 35 Abs. 2 und 3 GG) unterliegt, entspricht der verfassungsrechtlichen Abgrenzung. Art. 87a Abs. 2 GG bindet nicht jede Nutzung personeller und sächlicher Ressourcen der Streitkräfte an eine ausdrückliche grundgesetzliche Zulassung, sondern nur ihre Verwendung als Mittel der vollziehenden Gewalt in einem Eingriffszusammenhang. Dementsprechend kann auf Luftzwischenfälle in rein technisch-unterstützender Funktion reagiert werden. Dies verbleibt im Rahmen des Art. 35 Abs. 1 GG und ist daher von den Beschränkungen, die für einen Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG gelten, nicht betroffen (BVerfG, a.a.O. Rn. 50).

81

Allerdings liegt eine Verwendung in einem Eingriffszusammenhang nicht erst bei einem konkreten Vorgehen mit Zwang, sondern bereits dann vor, wenn personelle oder sachliche Mittel der Streitkräfte in ihrem Droh- oder Einschüchterungspotential genutzt werden (BVerfG , a.a.O. Rn. 50). Im Hinblick darauf, dass die Überprüfung eines Luftfahrzeugs durch aufsteigende Jagdflugzeuge nach § 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG typischerweise nicht zur Aufdeckung einer Angriffsabsicht (Renegade-Fall), sondern zur Feststellung eines Orientierungsbedarfs - etwa wegen ausgefallenen Funkkontakts oder sonstiger technischer Probleme - führt, dem mit Warn- und Leitungssignalen entsprochen werden kann, darf bei einem erheblichen Luftzwischenfall regelmäßig zunächst davon ausgegangen werden, dass die Verwendung von Jagdfliegern zur Abklärung und die Aussendung solcher Signale keine Nutzung von Mitteln der Streitkräfte in ihrem Droh- und Einschüchterungspotential, sondern eine technisch-unterstützende Maßnahme darstellt. Ergibt jedoch die Überprüfung, dass ein Renegade-Fall vorliegt, scheidet eine weitere Deutung als bloße Unterstützung aus; die Aktion kann dann nur noch als Entfaltung des Droh- und Einschüchterungspotentials der eingesetzten militärischen Mittel verstanden werden. Ihre Fortsetzung ist folglich nicht mehr auf der Grundlage des § 15 LuftSiG, sondern nur noch, sobald die hierfür erforderliche Einsatzentscheidung getroffen ist, als Einsatz nach §§ 13, 14 LuftSiG zulässig. Im Ergebnis muss § 15 LuftSiG dementsprechend als Norm ausgelegt werden, die allein Maßnahmen im Vorfeld eines Einsatzes zulässt.

82

bb) Die weiteren zur Prüfung gestellten Bestimmungen (§ 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 i.V.m. § 16 Abs. 2 LuftSiG, Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben) ermöglichen es dem Bund, die den Ländern gemäß Art. 87d Abs. 2 GG zur Ausführung in Auftragsverwaltung übertragenen Luftsicherheitsaufgaben durch einseitige Entscheidung des Bundesministeriums des Innern wieder an sich zu ziehen. Diese Bestimmungen sind ebenfalls mit dem Grundgesetz vereinbar.

83

(1) Grundsätze des Rechtsstaatsprinzips sind nicht verletzt.

84

§ 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG ermöglicht die Rückübertragung von Aufgaben für den Fall, dass dies zur Gewährleistung der bundeseinheitlichen Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen erforderlich ist. Damit sind die materiellrechtlichen Voraussetzungen einer Rückübertragung nur generalklauselartig bestimmt. Ein Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz liegt darin nicht. Der Gesetzgeber ist nach diesem Grundsatz nur gehalten, Normen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (vgl. BVerfGE 49, 168 <181>; 56, 1 <13>; 78, 205 <212>). Es reicht aus, wenn sich der Regelungsgehalt im Wege der Auslegung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt (vgl. BVerfGE 21, 209 <215>; 79, 106 <120>; 102, 254 <337>). Diesen Anforderungen genügt die Bindung der Übertragungsmöglichkeit an das Erforderlichkeitskriterium des § 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG. Dass in Fragen der föderalen Kompetenzzuordnung vernünftige allgemeine Regelungen häufig nur generalklauselartig möglich sind, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass das Grundgesetz selbst in diesem Zusammenhang auf Generalklauseln zurückgreift (vgl. nur etwa Art. 72 Abs. 2, Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG).

85

Auch die Grenzen zulässiger gesetzlicher Delegation der Übertragungsentscheidung sind nicht überschritten (vgl. BVerfGE 97, 198 <227>).

86

(2) Es verstößt nicht gegen die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten, dass die Bindung der Rückübertragungsmöglichkeit an einen Antrag des betroffenen Landes aufgegeben wurde.

87

Die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten verlangt, dass sowohl der Bund als auch die Länder bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen die gebotene und ihnen zumutbare Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaates und auf die Belange der Länder nehmen (vgl. BVerfGE 81, 310 <337> m.w.N.). Der Bund verstößt gegen diese Pflicht nicht schon dadurch, dass er von einer ihm durch das Grundgesetz eingeräumten Kompetenz Gebrauch macht; vielmehr muss deren Inanspruchnahme missbräuchlich sein (vgl. BVerfGE 81, 310 <337> m.w.N.) oder gegen prozedurale Anforderungen verstoßen, die aus diesem Grundsatz herzuleiten sind (vgl. BVerfGE 81, 310 <337>).

88

Dafür ist hier nichts ersichtlich. Art. 87d Abs. 2 GG stellt dem Bundesgesetzgeber anheim, ob und in welchem Umfang den Ländern Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung zur Ausführung im Auftrag des Bundes übertragen werden. Für die Rückübertragung, die Art. 87d Abs. 2 GG gleichfalls ermöglicht, gilt nichts anderes. Der Verfassungsgeber hat die Festlegung der Aufgabenzuordnung danach gerade nicht - was ohne weiteres möglich gewesen wäre - an ein Einvernehmen der Länder geknüpft. Unabhängig davon kann jedenfalls nicht schon in der bloßen gesetzlichen Eröffnung der Möglichkeit, von den Ländern in Auftragsverwaltung wahrgenommene Aufgaben ohne deren Zustimmung wieder in bundeseigene Verwaltung zu überführen, eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Kompetenzen oder ein Verstoß gegen Verfahrensanforderungen, die sich aus dem Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens ergeben, gesehen werden. Selbst wenn durch die Rücküberführung von Aufgaben in bundeseigene Verwaltung das Interesse eines einzelnen Landes in solchem Ausmaß betroffen sein könnte, dass die Aufgabenüberführung ohne dessen Einvernehmen missbräuchlich oder prozedural unzulässig erschiene, spräche jedenfalls nichts dafür, dass es sich im Regelfall so verhält und dies daher bereits auf der Ebene der gesetzlichen Ermöglichung der Rückübertragung seinen Niederschlag in einem Antrags- oder Einvernehmenserfordernis hätte finden müssen.

89

3. In den Entscheidungsausspruch ist, soweit die zur Prüfung gestellten Vorschriften zwischenzeitlich geändert wurden (s. A.I.2.), die geänderte Fassung entsprechend § 78 Satz 2 BVerfGG einzubeziehen.

D.

90

Diese Entscheidung ist mit 6:2 Stimmen ergangen.

Tenor

1. Die Gesetzgebungszuständigkeit für die §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) ergibt sich aus Artikel 73 Nummer 6 des Grundgesetzes in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 2034) geltenden Fassung.

2. Artikel 35 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 des Grundgesetzes schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei einem Einsatz der Streitkräfte nach diesen Vorschriften nicht grundsätzlich aus, lassen sie aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die einem bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren durch Artikel 87a Absatz 4 GG gesetzt sind.

3. Der Einsatz der Streitkräfte nach Artikel 35 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes ist, auch in Eilfällen, allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässig.

Gründe

A.

I.

1

1. Der Zweite Senat hat mit Beschluss vom 19. Mai 2010 (2 BvF 1/05) gemäß § 48 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts beim Ersten Senat angefragt, ob dieser an den Rechtsauffassungen festhält, wonach

2

1. die Gesetzgebungszuständigkeit für § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (BGBl I S. 78) sich nicht auf Art. 73 Nr. 1 oder Art. 73 Nr. 6 GG, sondern allein auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG stützen lässt (BVerfGE 115, 118<140 f.>),

3

2. Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht zulässt (BVerfGE 115, 118<146 ff., 150 f.>), und

4

3. § 13 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar sind, soweit sie eine Eilkompetenz des Bundesministers der Verteidigung auch für die Fälle des Art. 35 Abs. 3 GG vorsehen (BVerfGE 115, 118<149 f.>).

5

2. Der Anfrage liegt zugrunde, dass der Zweite Senat in einem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle (2 BvF 1/05) auf Antrag der Bayerischen Staatsregierung und der Hessischen Landesregierung darüber zu entscheiden hat, ob § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 LuftSiG, die die Voraussetzungen und Modalitäten eines Einsatzes der Streitkräfte zur Abwehr besonders schwerer von Luftfahrzeugen ausgehender Unglücksfälle regeln, mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Der Normenkontrollantrag betraf ursprünglich die §§ 13 bis 15 LuftSiG. Nachdem § 14 Abs. 3 LuftSiG, der zum Abschuss eines gegen das Leben von Menschen eingesetzten Luftfahrzeugs ermächtigte, durch Urteil des Ersten Senats vom 15. Februar 2006 für nichtig erklärt wurde (BVerfGE 115, 118 <119>), haben die Antragstellerinnen ihren Antrag insoweit für erledigt erklärt. Damit stehen in dem Ausgangsverfahren nur noch § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 LuftSiG zur Prüfung. Der Zweite Senat möchte in diesem Verfahren abweichend von den genannten Rechtsauffassungen entscheiden (§ 16 BVerfGG, § 48 Abs. 2 GOBVerfG).

6

3. Der Erste Senat hat mit Beschluss vom 12. Oktober 2010 erklärt, dass er an seinen Rechtsauffassungen festhält.

7

4. Mit Beschluss vom 3. Mai 2011 hat der Zweite Senat das Plenum angerufen.

8

5. Die Antragstellerinnen des Ausgangsverfahrens, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, das Bundesministerium des Innern und die (weiteren) Landesregierungen erhielten Kenntnis von der Vorlage. Stellungnahmen sind nicht eingegangen.

II.

9

Das Plenum ist zur Entscheidung über die Vorlage berufen.

10

1. Die Anrufung des Plenums (§ 16 BVerfGG) ist geboten, wenn ein Senat von einer Rechtsauffassung des anderen Senatsabweichen möchte, die für die Entscheidung des anderen Senats tragend war (vgl. BVerfGE 4, 27 <28>; 77, 84 <104>; 96, 375 <404>; 112, 1 <23>; 112, 50 <63>). Die Rechtsauffassungen, auf die sich die vorliegende Anfrage bezieht, waren in dem Urteil des Ersten Senats, mit dem über die Gültigkeit der gesetzlichen Ermächtigung des § 14 Abs. 3 LuftSiG entschieden wurde, tragend im für die Anwendung des § 16 BVerfGG maßgebenden Sinne.

11

2. An der tragenden Qualität fehlt es diesen Rechtsauffassungen nicht deshalb, weil § 14 Abs. 3 LuftSiG in dem Urteil nicht allein auf ihrer Grundlage, sondern auch wegen Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1 GG für nichtig erklärt wurde. Tragend sind jedenfalls diejenigen Rechtsauffassungen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele (vgl. BVerfGE 96, 375 <404>). Der Urteilsausspruch des Ersten Senats zu § 14 Abs. 3 LuftSiG lautete, dass die Bestimmung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 87a Abs. 2 und Art. 35 Abs. 2 und 3 sowie in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig sei (BVerfGE 115, 118<119>). Dieses im Urteilstenor ausgesprochene Entscheidungsergebnis hätte nicht dieselbe Gestalt, wenn der Erste Senat sich nicht über seine Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG hinaus auch auf Auslegungen des Art. 35 GG gestützt hätte, auf die sich die vorliegende Anfrage bezieht.

12

Allerdings wäre der Urteilsausspruch unverändert geblieben, wenn der Erste Senat seine Entscheidung allein auf die unter 1. und 2. der Anfrage aufgeführten Rechtsauffassungen gestützt hätte, nicht dagegen auch auf die Annahme, § 13 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG seien mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar, soweit sie eine Eilkompetenz des Bundesministers der Verteidigung auch für die Fälle des Art. 35 Abs. 3 GG vorsehen (Ziff. 3. der Anfrage). Diese letztere Annahme, die allein die Auslegung des Art. 35 Abs. 3 GG betrifft, kann hinweggedacht werden, ohne dass sich daraus Konsequenzen für den Urteilstenor ergäben. Denn dieser wird, soweit er Art. 35 Abs. 3 GG betrifft, zugleich durch die Rechtsauffassung gestützt, dass Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht zulasse (Ziff. 2. der Anfrage).

13

Dennoch ist auch die drittgenannte Rechtsauffassung für das Urteil des Ersten Senats vom 15. Februar 2006 tragend im hier maßgebenden Sinne. Wird das Kriterium, dem zufolge tragend diejenigen Rechtsauffassungen sind, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele, als nicht nur notwendiges, sondern hinreichendes, abschließend definierendes verstanden, so ist allerdings in Fällen, in denen das konkrete Entscheidungsergebnis auf mehrere voneinander unabhängige und jeweils selbständig tragfähige Rechtsauffassungen gestützt ist, keine dieser Rechtsauffassungen, für sich betrachtet, tragend. Ob und inwieweit ein solches Verständnis dem mit § 16 BVerfGG verfolgten Anliegen der Rechtsklarheit und den besonderen Erfordernissen der Kooperation zwischen den beiden Senaten des Bundesverfassungsgerichts im Allgemeinen gerecht wird, bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Jedenfalls wenn ein konkretes Ergebnis der Entscheidung eines Senats - wie im vorliegenden Fall der Tenor des Urteils des Ersten Senats vom 15. Februar 2006, soweit er Art. 35 Abs. 3 GG betrifft - sich auf mehrere selbständig tragfähige Rechtsauffassungen stützt und der andere Senat nicht nur von einer dieser Rechtsauffassungen, sondern von allen abweichen möchte, kann deren tragende Qualität nicht auf der Grundlage einer isolierten Betrachtung jeder einzelnen dieser Rechtsauffassungen nach dem genannten Kriterium verneint werden (vgl. zur Divergenzvorlage im einfachgesetzlichen Prozessrecht BFH, Beschluss vom 22. Juli 1977 - III B 34/74 -, BFHE 123, 112, Leitsatz 4). Eine Betrachtung, die jeder einzelnen der fraglichen Rechtsauffassungen für sich genommen die tragende Qualität mit Blick auf die Tragfähigkeit der jeweils verbleibenden anderen abspricht und so darauf hinausläuft, dass dem gefundenen Entscheidungsergebnis eine tragende Begründung im Ganzen abgesprochen wird, würde es in dieser Konstellation dem abweichungswilligen Senat ermöglichen, von Rechtsauffassungen des anderen Senats, die jedenfalls in der Gesamtbetrachtung tragend sind, insgesamt ohne Anrufung des Plenums abzuweichen. Dies kann schon deshalb nicht richtig sein, weil damit Divergenzen, die nicht einzelne Rechtsauffassungen, sondern Komplexe von selbständig tragfähigen Rechtsauffassungen betreffen, trotz Entscheidungserheblichkeit der Bereinigung durch das Plenum entzogen wären.

B.

I.

14

Zur ersten Vorlagefrage:

15

Die Gesetzgebungszuständigkeit für §13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und §15 LuftSiG ergibt sich nicht aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG, sondern als Annexkompetenz aus Art. 73 Nr. 6 GG in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I S. 2034) geltenden Fassung (Art. 73 Nr. 6 GG a.F.; heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr zuweist. Ob und inwieweit daneben Art. 73 Nr. 1 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG) als Kompetenzgrundlage in Betracht kommt, bleibt offen.

16

1. Art. 35 Abs. 2 und 3 GG bieten für Bundesrecht, das den Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand regelt, keine ausdrückliche Kompetenzgrundlage. Ihrem Wortlaut nach regeln diese Bestimmungen, soweit sie den Einsatz der Streitkräfte betreffen, materielle und prozedurale Voraussetzungen für einen solchen Einsatz. Ungeschriebene Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes in Sachnormen außerhalb des VII. Abschnitts des Grundgesetzes (Art. 70 ff.) aufzusuchen, liegt auch in systematischer Hinsicht und nach dem Schutzzweck der föderalen Zuständigkeitsordnung, die grundsätzlich nicht durch die Normen des materiellen Verfassungsrechts, sondern durch gesonderte, strikt auszulegende (vgl. BVerfGE 12, 205 <228>; 15, 1 <17>) und in ihrer Reichweite von materiellrechtlichen Vorgaben unabhängige Kompetenzvorschriften bestimmt ist, nicht nahe. Gegen eine solche Kompetenzzuschreibung spricht zudem, dass sich aus ihr nur schwer Klarheit über die Rechtsnatur der zugeschriebenen Kompetenz - ausschließlich oder konkurrierend - gewinnen lässt.

17

2 a) Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die §§ 13 ff. LuftSiG folgt aus Art. 73 Nr. 6 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr zuweist. Nach tradierter und im Grundsatz unbestrittener Auffassung steht dem Bund, soweit er für ein bestimmtes Sachgebiet die Gesetzgebungszuständigkeit hat, als Annexkompetenz auch die Gesetzgebungsbefugnis für die damit in einem notwendigen Zusammenhang stehenden Regelungen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in diesem Bereich zu (vgl. BVerfGE 3, 407 <433>; 8, 143, <150>; 78, 374 <386 f.>; 109, 190 <215>).

18

b) Dies gilt auch für das Sachgebiet "Luftverkehr". Die Gesetzgebungszuständigkeit für den Luftverkehr umfasst daher als Annex jedenfalls die Befugnis, Regelungen zur Abwehr solcher Gefahren zu treffen, die gerade aus dem Luftverkehr herrühren (vgl., mit im Einzelnen unterschiedlichen Abgrenzungen, jeweils aber mindestens die eben genannte Regelungskompetenz einschließend, BVerwGE 95, 188 <191>; BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1996 - 1 C 33/94 -, NVwZ-RR 1997, S. 350 <351>; Laschewski, Der Einsatz der deutschen Streitkräfte im Inland, 2005,S. 130; Paulke, Die Abwehr von Terrorgefahren im Luftraum, 2005, S. 24; Burkiczak, NZWehrr2006, S. 89 <95>; Schenke, NJW 2006, S. 736 <737>; Odendahl, Die Verwaltung 38 <2005>, S. 425 <438>; Baldus, NVwZ 2004, S. 1278 <1279 f.>; Gramm, NZWehrr 2003, S. 89 <96>).

19

Allerdings bedarf die Notwendigkeit des Zusammenhangs zwischen einer dem Bund zugewiesenen Regelungskompetenz für ein bestimmtes Sachgebiet und einschlägigen Regelungen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung strenger Prüfung. Dies gilt erst recht, wenn die sachgebietliche Kompetenz zu den ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes, insbesondere also zu den in Art. 73 GG aufgeführten, gehört. Jedenfalls für die Abwehr derjenigen spezifisch aus dem Luftverkehr herrührenden Gefahren, auf die die Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes zielen, ist der erforderliche notwendige Zusammenhang gegeben. Denn bei dezentraler Regelungskompetenz hätten unzureichend abwehrwirksame Regelungen eines einzelnen Landes erhebliche negative Folgen für die Sicherheit, die mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht im Wesentlichen auf das betreffende Land beschränkt wären.

20

aa) Art. 73 Nr. 6 GG a.F. scheidet als Kompetenzgrundlage für die §§ 13 ff. LuftSiG nicht deshalb aus, weil es sich bei diesen Bestimmungen nicht um eigenständiges Gefahrenabwehrrecht des Bundes, sondern allein um Verfahrens- und Mittelbereitstellungsregelungen für den Fall der Unterstützung von Gefahrenabwehrmaßnahmen der Länder handelte (vgl. BVerfGE 115, 118 <141>). Ungeachtet der Frage, ob dies eine Zuordnung zum Gefahrenabwehrrecht ausschlösse, beschränken sich die Vorschriften nicht auf das Vorfeld außenwirksamer Eingriffe. § 13 LuftSiG regelt nicht nur die Voraussetzungen für die unterstützende Bereitstellung von Streitkräften, sondern unmittelbar die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür, dass Streitkräfte, wenn auch in einer unterstützenden Funktion, "eingesetzt werden" können (Abs. 1), sowie die Zuständigkeiten zur Entscheidung über "einen Einsatz" (Abs. 2 und 3) und die normativen Rahmenbedingungen hierfür (Abs. 4: "Das Nähere wird zwischen Bund und Ländern geregelt. Die Unterstützung durch die Streitkräfte richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes."). Auch § 14 und § 15 LuftSiG sind als materielle Eingriffsnormen gefasst. Sie regeln, dass die Streitkräfte Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben "dürfen" (§ 14 Abs. 1 LuftSiG), dass sie auf Ersuchen der zuständigen Flugsicherungsstelle im Luftraum Luftfahrzeuge "überprüfen, umleiten oder warnen" können (§ 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG), welche "Maßnahmen" sie "auszuwählen" haben (§ 14 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG), welche sonstigen Maßgaben im Hinblick auf Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne einzuhalten sind (§ 14 Abs. 2 Satz 2, § 15 Abs. 1 Satz 1 LuftSiG), und dass der Bundesminister der Verteidigung den Inspekteur der Luftwaffe ermächtigen kann, die fraglichen "Maßnahmen … anzuordnen" (§ 15 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG). Der zwischenzeitlich für nichtig erklärte § 14 Abs. 3 LuftSiG bestimmte, unter welchen Voraussetzungen die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt "zulässig" sein sollte. Auch § 21 LuftSiG, der mit Blick auf das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich festhält, dass - unter anderem - das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit "nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt" wird, spricht für eine unmittelbar eingriffsermächtigende Bedeutung der Regelungen zum Streitkräfteeinsatz.

21

bb) Die Gesetzgebungsgeschichte ergibt keine Anhaltspunkte, die diesen Befund in Frage stellen, sondern bestätigt, dass nicht etwa nur die Bereitstellung von Ressourcen für allein auf landesrechtlicher Grundlage wahrzunehmende Aufgaben der Gefahrenabwehr geregelt, sondern unmittelbares Eingriffsrecht geschaffen werden sollte. So heißt es in der Begründung des Regierungsentwurfs, jenseits des von den Gefahrenabwehrbehörden der Länder Bewältigbaren sollten die Streitkräfte "ihre Maßnahmen" treffen (vgl. BTDrucks 15/2361, S. 20). § 14 LuftSiG regele "die Zwangsmittel der Streitkräfte, die ihnen zur Unterstützung der Polizei zur Verfügung stehen", und Absatz 3 verleihe "die Befugnis, unmittelbar mit Waffengewalt auf Luftfahrzeuge einzuwirken" (a.a.O., S. 21). In Bundesrat und Bundestag wurden die im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen zum Streitkräfteeinsatz dementsprechend als "Befugnisnormen" verstanden, die zu Maßnahmen der Gefahrenabwehr "aus eigenem Recht" ermächtigen sollten (vgl. aus dem Bundesrat die Niederschrift der 812. Sitzung des Ausschusses für Innere Angelegenheiten des Bundesrates, vom 4. Dezember 2003 - In 0141 (812) - Nr. 52/03 -, S. 37 f.; aus dem Bundestag s. die hinsichtlich der Auslegung als eingriffsermächtigende Befugnisnormen unwidersprochenen Redebeiträge der Abgeordneten Bosbach, BTPlProt 15/89, S. 7884, und Binninger, a.a.O., S. 7891). Nach den Worten des damaligen Bundesinnenministers Schily sollte das Gesetz "Luftsicherheit aus einer Hand" und damit "Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, zumal für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr", gewährleisten (BTPlProt 15/89, S. 7881 f.). Auch damit war vorausgesetzt, dass die §§ 13 ff. LuftSiG nicht bloß innerföderale Bereitstellungsvorgänge regeln, sondern zugleich außenwirksame Eingriffsermächtigungen enthalten.

22

3. Da der Bund demnach gemäß Art. 73 Nr. 6 GG a.F. regelungszuständig war, bedarf keiner Entscheidung, ob darüber hinaus Art. 73 Nr. 1 GG a.F., der im Regierungsentwurf des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben als Kompetenzgrundlage für die §§ 13 ff. LuftSiG in Anspruch genommen wurde (BTDrucks 15/2361, S. 14), eine Gesetzgebungszuständigkeit für diese Bestimmungen kraft Sachzusammenhangs ihres Regelungsgegenstandes mit dem Verteidigungswesen begründete.

II.

23

Zur zweiten Vorlagefrage:

24

Art. 35 Abs. 2Satz 2 und Abs. 3 GG schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei Einsätzen der Streitkräfte nach diesen Bestimmungen nicht grundsätzlich aus, lassen Einsätze aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die insbesondere sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die nach Art. 87a Abs. 4 GG einem Einsatz der Streitkräfte zum Kampf in inneren Auseinandersetzungen gesetzt sind.

25

1. Außer zur Verteidigung dürfen nach Art. 87a Abs. 2 GG die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Die begrenzende Funktion dieser Regelung ist durch strikte Texttreue bei der Auslegung der grundgesetzlichen Bestimmungen über den Einsatz der Streitkräfte im Innern zu wahren (vgl. BVerfGE 90, 286 <356 f.>; 115, 118 <142>; BVerwGE 127, 1 <12 f.>).

26

Die Verfassung begrenzt einen Streitkräfteeinsatz im Inneren in bewusster Entscheidung auf äußerste Ausnahmefälle. Soweit es um den Schutz vor Straftätern und Gegnern der freiheitlichen Ordnung geht, stellt deshalb Art. 87a Abs. 4 GG für einen Einsatz der Streitkräfte strenge Anforderungen, die selbst im Fall des inneren Notstands gemäß Art. 91 GG noch nicht automatisch erreicht sind. Im Unterschied dazu erlauben Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Streitkräfteeinsatz zur Unterstützung der Polizeikräfte bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders schweren Unglücksfall. Auch damit bindet die Verfassung den Einsatz der Streitkräfte an Anforderungen, die nicht immer schon dann erfüllt sind, wenn die Polizei durch das allgemeine Ziel der Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung überfordert ist; dies zeigt sich bereits darin, dass in Fällen von besonderer Bedeutung gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich nur Unterstützung durch Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes angefordert werden kann.

27

Nicht zuletzt um diesen differenzierten und restriktiven Regelungen der Verfassung Rechnung zu tragen, sah der Erste Senat den Streitkräfteeinsatz im Rahmen des Art. 35 GG auf Mittel begrenzt, die nach dem Gefahrenabwehrrecht des Einsatzlandes der Polizei zur Verfügung stehen oder verfügbar gemacht werden dürfen. Hieran hält das Plenum nicht fest (2.). Die von der Verfassung gewollten engen Grenzen für einen Streitkräfteeinsatz im Inneren ergeben sich aus anderen Kriterien (3.).

28

2. Eine Beschränkung des Streitkräfteeinsatzes auf diejenigen Mittel, die nach dem Gefahrenabwehrrecht des Einsatzlandes der Polizei zur Verfügung stehen oder verfügbar gemacht werden dürften, ist durch den Wortlaut des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG und die Systematik des Grundgesetzes nicht zwingend vorgegeben; der Regelungszweck spricht eher gegen eine solche Beschränkung (a). Auch eine Gesamtbetrachtung der Gesetzesmaterialien zwingt nicht zu der Annahme, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber eine derartige Beschränkung beabsichtigt hat (b).

29

a) Nach Art. 35 GG kann unter den jeweils näher bezeichneten Voraussetzungen im regionalen Katastrophennotstand ein Land "Kräfte und Einrichtungen... der Streitkräfte" anfordern (Abs. 2 Satz 2) und im überregionalen Katastrophennotstand die Bundesregierung "Einheiten ... der Streitkräfte" einsetzen (Abs. 3 Satz 1). Eine Beschränkung der damit zugelassenen Einsätze auf die Verwendung polizeilicher Einsatzmittel muss dem Wortlaut der Bestimmungen nicht entnommen werden. Sie ergibt sich insbesondere nicht zwingend daraus, dass Art. 35 GG den Einsatz der Streitkräfte nur zur "Unterstützung der Polizeikräfte" (Abs. 3 Satz 1) beziehungsweise zur polizeiunterstützenden "Hilfe" (Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1) vorsieht. Mit welchen Mitteln die Hilfe oder Unterstützung geleistet werden darf, ist damit noch nicht festgelegt.

30

Systematische Erwägungen sprechen dafür, dass aus der von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG vorgegebenen unterstützenden Funktion der Streitkräfte keine Beschränkung auf die aktuell oder potentiell polizeirechtlich zulässigen Einsatzmittel folgt. Denn auch Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG lässt für den dort umschriebenen Fall des inneren Notstandes einen Einsatz der Streitkräfte nur "zur Unterstützung" der Landes- und der Bundespolizei zu, beschränkt damit aber anerkanntermaßen den dort geregelten Einsatz, jedenfalls soweit es um die Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer geht, nicht von vornherein auf die Mittel, die den unterstützten Polizeien zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 115, 118 <148>; BTDrucks V/2873, S. 2, 14; Hase, in: AK-GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2001, Art. 87a Abs. 4 Rn. 5; Depenheuer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87a Rn. 169, 177 (Stand 10/2008); Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Abs. 4 Rn. 165; Kokott, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 87a Rn. 68; Keidel, Polizei und Polizeigewalt im Notstandsfall, 1971, S. 195 f., 197; Karpinski, Öffentlich-rechtliche Grundsätze für den Einsatz der Streitkräfte im Staatsnotstand, 1974, S. 76; Baldus, NVwZ 2004, S. 1278 <1280>; Linke, AöR 129 <2004>, S. 489>). Die Identität der Formulierungen deutet trotz der unterschiedlichen Zusammenhänge, in denen sie verwendet werden, darauf hin, dass ihnen keine unterschiedliche Bedeutung zukommen sollte, zumal die Bestimmungen im Gesetzgebungsverfahren durch Aufspaltung einer ursprünglich einheitlichen Regelung entstanden sind und daher nicht davon auszugehen ist, dass dem Gesetzgeber die Übereinstimmung des Wortlauts nicht vor Augen stand.

31

Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Zulassung des Streitkräfteeinsatzes in den erfassten Katastrophenfällen eine wirksame Gefahrenabwehr ermöglichen soll. Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unterstreicht dies mit der Bezugnahme auf das zur "wirksamen Bekämpfung" Erforderliche. Daher sprechen nach Auffassung des Plenums die besseren Gründe für eine Auslegung, die unter den engen Voraussetzungen, unter denen ein Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 GG überhaupt in Betracht kommt (s.u. 3.), die Verwendung ihrer spezifischen Mittel nicht generell ausschließt.

32

b) Die Entstehungsgeschichte steht dem nicht entgegen. Dem verfassungsändernden Gesetzgeber stand allerdings als typischer Anwendungsfall der Verfassungsbestimmungen zum Katastrophennotstand nicht ein Einsatzfall wie der in § 13 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 LuftSiG geregelte, sondern vor allem die Erfahrung der norddeutschen Flutkatastrophe des Jahres 1962 vor Augen (vgl. BVerfGE 115, 118 <148, m.w.N.>). Auch wenn dieses Ereignis die Vorstellung der am Gesetzgebungsprozess Beteiligten von den Erfordernissen eines Streitkräfteeinsatzes in einer begrenzenden Weise geprägt haben mag, schließt das nicht aus, Art. 35 Abs. 2 und 3 GG auch auf andersartige von Wortlaut und Systematik der Vorschrift erfasste Bedrohungslagen anzuwenden, und zwingt nicht zu einer angesichts heutiger Bedrohungslagen nicht mehr zweckgerechten Auslegung des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG.

33

Die Gesetzesmaterialien geben zur Frage der zulässigen Einsatzmittel keine eindeutigen Aufschlüsse. Zwar ist der Gesetzgebungsgeschichte zu entnehmen, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber die Regelung des Katastrophennotstandes bewusst aus der Regelung des inneren Notstandes herausgelöst hat, um die Bekämpfung des Katastrophennotstandes von der des inneren Notstands deutlicher abzuheben. Auch finden sich Anhaltspunkte dafür, dass einzelnen am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten für den Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 GG, sei es generell oder für den Fall des regionalen Katastrophennotstandes nach Absatz 2, eine Beschränkung der zulässigen Einsatzmittel durch das Polizeirecht des Einsatzlandes vorschwebte. Insgesamt ergibt sich jedoch kein klares Bild, das die Annahme eines insoweit bestimmten Willens des verfassungsändernden Gesetzgebers stützen könnte.

34

aa) Nach dem Bericht des Rechtsausschusses, auf den die Gesetz gewordene Fassung der hier zu betrachtenden Grundgesetzbestimmungen zurückgeht, sollte mit dessen Vorschlägen zur Regelung des inneren Notstandes "die Schwelle für den Einsatz der Streitkräfte als bewaffnete Macht angehoben" und der bewaffnete Einsatz der Bundeswehr nur zugelassen werden, "wenn dies zur Bekämpfung militärisch bewaffneter Aufständischer erforderlich" sei (BTDrucks V/2873, S. 2 , 14 ; vgl. auch Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. Februar 1968, S. 10; Lenz, Notstandsverfassung des Grundgesetzes, 1971, Art. 35 Rn. 2). Diese Äußerung muss nicht dahin verstanden werden, dass sie über die Konstellation des inneren Notstandes hinaus auch auf die des Katastrophennotstandes zielt, und zwingt daher nicht zu der Annahme, dass für den Fall des Katastrophennotstandes ein bewaffneter Einsatz der Streitkräfte prinzipiell ausgeschlossen werden sollte.

35

Die Erläuterungen zum vorgeschlagenen Art. 35 GG behandeln die Frage der einsetzbaren Mittel nicht. Zu Art. 35 Abs. 2 GG wird zwar unter anderem ausgeführt, dass die zur Verfügung gestellten Kräfte anderer Länder und des Bundes den Normen des im Einsatzland geltenden Landespolizeirechts unterstehen sollen (vgl. BTDrucks V/2873, S. 10); zu Art. 35 Abs. 3 GG findet sich dagegen keine entsprechende Erläuterung. Aus der Berichtsbegründung zu Art. 87a Abs. 4 GG geht hervor, dass der Ausschuss nach dem Ergebnis der durchgeführten Anhörungen die im Regierungsentwurf vorgesehene Formulierung, wonach die Streitkräfte "als Polizeikräfte" einsetzbar sein sollten, für zu eng befunden hatte, da eine Beschränkung etwa auf den Einsatz nichtmilitärischer Waffen nicht sachgerecht sei. Der Ausschuss schlug daher stattdessen vor, dass die Streitkräfte nur "zur Unterstützung der Polizei" eingesetzt werden dürften (a.a.O., S. 14). Dem folgte der verfassungsändernde Gesetzgeber. Die gleiche Abkehr von der ursprünglich vorgesehenen Formulierung ist aber auch in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG erfolgt. Dieser gesetzgeberischen Entscheidung muss eine Bedeutung für die Auslegung des Art. 35 GG nicht deshalb abgesprochen werden, weil erst der Rechtsausschuss des Bundestages (vgl. BTDrucks V/2873) vorgeschlagen hat, die nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BTDrucks V/1879) in Art. 91 GG angesiedelte Regelung des Streitkräfteeinsatzes bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen aus dem Zusammenhang der Bestimmungen zum inneren Notstand zu lösen und in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG zu regeln. Umgekehrt lässt sich auch argumentieren, dass gerade diese Herauslösung aus dem ursprünglich vorgesehenen einheitlichen Regelungszusammenhang es nahegelegt hätte, für den Fall des nunmehr gesondert in Art. 35 GG geregelten Katastrophennotstandes einem etwaigen Willen, die Art und Weise des zulässigen Einsatzes enger zu bestimmen als für den Fall des inneren Notstandes, durch entsprechend unterschiedliche Formulierung der jeweiligen Regelungen Ausdruck zu geben.

36

Das Protokoll der Anhörung zum Thema "Der innere Notstand und der Katastrophennotstand", auf die ausweislich des Berichts des Rechtsausschusses (vgl. BTDrucks V/2873,S. 14) dessen Vorschlag zurückgeht, die Worte "als Polizeikräfte" durch die Gesetz gewordenen Formulierungen zu ersetzen, zeigt zudem, dass sowohl bei den angehörten Sachverständigen als auch auf Seiten der Abgeordneten, die sich an der Aussprache beteiligten, in der Frage der Zulässigkeit des Einsatzes militärischer Waffen unterschiedliche und häufig - unter anderem hinsichtlich des Zusammenhangs mit der Frage der maßgebenden einfachrechtlichen Eingriffsgrundlagen - auch unklare Auffassungen bestanden (vgl. Protokoll der 3. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses am 30. November 1967, Nr. 59, Nr. 75).

37

So wiesen etwa der schleswig-holsteinische Innenminister Dr. Schlegelberger und der hamburgische Innensenator Ruhnau unwidersprochen auf die Funktion des Streitkräfteeinsatzes hin, Einsatzmittel bereitzustellen, über die die Polizei nicht verfüge (a.a.O., S. 3, 6, 12), vertraten aber - im Zusammenhang mit Einsätzen im Fall des inneren Notstandes - zugleich die Auffassung, dass Einsätze sich auf der Grundlage "des Polizeirechts mit polizeilichen Mitteln" beziehungsweise "nach den Einsatzprinzipien und mit den Einsatzmitteln der Polizei" vollziehen müssten (a.a.O., S. 4, 6, 12). Dabei wurde zudem nicht deutlich, ob allein an das Landespolizeirecht (vgl. Ruhnau, a.a.O., S. 14) als Rechtsgrundlage gedacht war oder auch an Bundesrecht, das in verschiedenen Diskussionsbeiträgen als anwendbar vorausgesetzt wurde (vgl. zum UZwG des Bundes Ruhnau u.a., a.a.O., S. 7, 58; für den Fall überregionaler Einsätze auch S. 14). Verschiedene Äußerungen deuten darauf hin, dass man sich einen Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand vor allem in der Form des Objektschutzes und der Abwehr von Plünderungen vorstellte (a.a.O., S. 5, 27, 28, 57 f., 71). Zur Sprache kam anderseits aber auch der Fall der Sprengung eines Hauses oder einer Brücke (a.a.O., S. 63).

38

In der Zweiten Beratung des Gesetzentwurfs, der neben dem Gesetzentwurf der Bundesregierung der Bericht des Rechtsausschusses (BTDrucks V/2873) zugrunde lag, fielen nur vereinzelt Äußerungen, die einen Bezug zum Inhalt der beschlossenen Regelungen in der Frage des bei Einsätzen der Streitkräfte anwendbaren Rechts oder unmittelbar in der Frage der bei solchen Einsätzen anwendbaren Mittel aufweisen. Auch diese Äußerungen sind nicht eindeutig und weisen, sofern sie überhaupt bestimmte Vorstellungen vom Inhalt der beschlossenen Regelungen zum Ausdruck bringen sollten, in unterschiedliche Richtungen (BTPlProt 5/174, S. 9313 f.; 5/175, S. 9437, 9452).

39

bb) Aus der Gesetzgebungsgeschichte wird danach weder ein eindeutiger Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers hinsichtlich der in den Fällen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einsetzbaren Mittel noch eine klare Konzeption in der Frage des anwendbaren Rechts erkennbar. Angesichts dieses Befundes ist es nicht zwingend, im Rahmen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einen nach textlicher, systematischer und teleologischer Auslegung nicht ausgeschlossenen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Mitteln - der, soweit es um die Abwehr von Gefahren durch ein als Angriffsmittel genutztes Luftfahrzeug geht, nur auf bundesrechtlicher Eingriffsgrundlage in Betracht kommt - allein deshalb für unzulässig zu halten, weil die konkreten Gefahrenfälle, die ihn erforderlich machen könnten, dem historischen verfassungsändernden Gesetzgeber noch nicht gegenwärtig waren.

40

3. Der Einsatz der Streitkräfte als solcher wie auch der Einsatz spezifisch militärischer Kampfmittel kommt allerdings nur unter engen Voraussetzungen in Betracht.

41

Bei der Auslegung und Anwendung der Voraussetzungen, unter denen Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte erlaubt, sind der Zweck des Art. 87a Abs. 2 GG und das Verhältnis der den Katastrophennotstand betreffenden Bestimmungen zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Einsatz der Streitkräfte im inneren Notstand (Art. 87a Abs. 4 GG) zu berücksichtigen. Art. 87a Abs. 2 GG zielt darauf, die Möglichkeiten für einen Einsatz der Streitkräfte im Innern zu begrenzen (vgl. BVerfGE 115, 118 <142>). Art. 87a Abs. 4 GG unterwirft auf dem Hintergrund historischer Erfahrungen (vgl. Wieland, in: Fleck, Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, S. 167 <169 ff.>, m.w.N.) den Einsatz der Streitkräfte zur Bewältigung innerer Auseinandersetzungen besonders strengen Beschränkungen. Diese Beschränkungen dürfen nicht dadurch umgangen werden, dass der Einsatz statt auf der Grundlage des Art. 87a Abs. 4 GG auf der des Art. 35 Abs. 2 oder 3 GG erfolgt. Das gilt erst recht für die Verwendung spezifisch militärischer Kampfmittel im Rahmen eines solchen Einsatzes.

42

a) Enge Grenzen sind dem Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand auf diesem Hintergrund durch das in Art. 35 Abs. 2 Satz 2GG ausdrücklich genannte und von Art. 35 Abs. 3Satz 1 GG in Bezug genommene Tatbestandsmerkmal des besonders schweren Unglücksfalls gesetzt.

43

aa) Die genannten Bestimmungen unterscheiden Naturkatastrophen und besonders schwere Unglücksfälle. Beide Ereignisarten wurden bereits im Gesetzgebungsverfahren unter dem Begriff der Katastrophe zusammengefasst (vgl. die Anhörung des Rechts- und des Innenausschusses zum Thema "Der innere Notstand und der Katastrophennotstand", Protokoll der 3. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses am 30. November 1967, Nr. 59, Nr. 75). Hieraus wie auch aus der normativen Parallelisierung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG wird deutlich, dass der hier verwendete Begriff des besonders schweren Unglücksfalls nur Ereignisse von katastrophischen Dimensionen erfasst (vgl. BVerfGE 115, 118 <143>). Insbesondere stellt nicht jede Gefahrensituation, die ein Land mittels seiner Polizei nicht zu beherrschen imstande ist, allein schon aus diesem Grund einen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG dar, der den Streitkräfteeinsatz erlaubte (vgl. Krings/Burkiczak, NWVBl 2004, S. 249 <252>). Besonders schwere Unglücksfälle sind vielmehr ungewöhnliche Ausnahmesituationen. Eine Betrauung der Streitkräfte mit Aufgaben der Gefahrenabwehr, die über die Bewältigung solcher Sondersituationen hinausgehen, kann daher nicht auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG gestützt werden.

44

bb) Die Voraussetzungen des besonders schweren Unglücksfalls gemäß Art. 35 Abs. 2 und 3 GG bestimmen sich zugleich in Abgrenzung zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Einsatz der Streitkräfte im inneren Notstand (Art. 87a Abs. 4 GG i.V.m. Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG).

45

(1) Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG regelt den Einsatz der Streitkräfte zur Abwehr von Gefahren für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, die das Land, in dem die Gefahr droht, zu bekämpfen selbst nicht in der Lage oder nicht bereit ist. Dabei erlaubt Art. 87a Abs. 4 GG den Einsatz der Streitkräfte insbesondere zur Unterstützung der Polizei bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer. Die Regelung der Abwehr innerer Unruhen, die von nichtstaatlichen Angreifern ausgehen, hat damit ihren Platz in Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 GG gefunden (vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 35 Rn. 15; Wolff, ThürVBl 2003, S. 176 <177>). Insoweit entfaltet daher diese Vorschrift grundsätzlich eine Sperrwirkung für den Einsatz der Streitkräfte nach anderen Bestimmungen (vgl. auch Fiebig, Der Einsatz der Bundeswehr im Innern, 2004, S. 326; Fischer, JZ 2004, S. 376 <381>; Sattler, NVwZ 2004, S. 1286 <1290>).

46

(2) Der Annahme eines besonders schweren Unglücksfalls steht bei einem Ereignis von katastrophischem Ausmaß nicht entgegen, dass es absichtlich herbeigeführt ist (vgl. BVerfGE 115, 118 <143 f.>). Angesichts der in Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 GG getroffenen Regelung der militärischen Bekämpfung nichtstaatlicher Gegner können die Streitkräfte auf der Grundlage von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG jedoch zur Bekämpfung eines Angreifers nur in Ausnahmesituationen eingesetzt werden, die nicht von der in Art. 87a Abs. 4 GG geregelten Art sind. So stellen namentlich Gefahren für Menschen und Sachen, die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen, keinen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 GG dar, der es rechtfertigen könnte, Streitkräfte auf der Grundlage dieser Bestimmung einzusetzen. Denn nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG dürfen selbst zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer Streitkräfte auch dann, wenn das betreffende Land zur Bekämpfung der Gefahr nicht bereit oder in der Lage ist (Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG i.V.m. Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG), nur unter der Voraussetzung eingesetzt werden, dass Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes besteht (vgl. Arndt, DVBl 1968, S. 729 <731 f.>).

47

cc) Der Unglücksfall muss, wie im Wortlaut des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 deutlich zum Ausdruck kommt, bereits vorliegen, damit zu seiner Bekämpfung oder zur Bekämpfung seiner Schadensfolgen Streitkräfte eingesetzt werden dürfen. Das bedeutet nicht, dass auch Schäden notwendigerweise bereits eingetreten sein müssen (vgl. BVerfGE 115, 118 <144 f.>). Von einem Unglücksfall kann auch dann gesprochen werden, wenn zwar die zu erwartenden Schäden noch nicht eingetreten sind, der Unglücksverlauf aber bereits begonnen hat und der Eintritt katastrophaler Schäden unmittelbar droht. Ist die Katastrophe bereits in Gang gesetzt und kann sie nur noch durch den Einsatz der Streitkräfte unterbrochen werden, muss nicht abgewartet werden, bis der Schaden sich realisiert hat. Der Schadenseintritt muss jedoch unmittelbar bevorstehen. Dies ist der Fall, wenn der katastrophale Schaden, sofern ihm nicht rechtzeitig entgegengewirkt wird, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze eintreten wird (vgl. BVerfGE 115, 118 <145>). Ein ins Vorfeld des Katastrophengeschehens verlagerter Einsatz der Streitkräfte ist unzulässig.

48

b) Der Einsatz der Streitkräfte wie der Einsatz spezifisch militärischer Abwehrmittel ist zudem auch in einer solchen Gefahrenlage nur als ultima ratio zulässig. Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG sieht für den Fall des überregionalen Katastrophennotstandes ausdrücklich vor, dass die Streitkräfte nur eingesetzt werden dürfen, soweit es zur wirksamen Bekämpfung der durch eine Naturkatastrophe oder einen besonders schweren Unglücksfall veranlassten Gefahr erforderlich ist. Die Erforderlichkeitsklausel des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG zielt auf die Subsidiarität der Bundesintervention im Verhältnis zu den Ländern (vgl. Magen, in: Umbach/Clemens, GG, Bd. I, 1. Aufl. 2002, Art. 35 Rn. 37; Bauer, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 32; v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Bd. 2, Art. 35 Rn. 79; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 53; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 35 Rn. 29). Im Übrigen entspricht die strenge Beschränkung auf das Erforderliche - sowohl was das Ob als auch was das Wie, einschließlich der konkreten Einsatzmittel, angeht - für Einsätze nach Absatz 2 Satz 2 wie für Einsätze nach Absatz 3 Satz 1 des Art. 35 GG dem in Art. 87a Abs. 2 GG zum Ausdruck gebrachten Willen des Verfassungsgebers zur engen Begrenzung des zulässigen Streitkräfteeinsatzes im Innern (vgl. Knödler, BayVBl 2002, S. 107 <108>).

49

c) Im Ergebnis sieht Art. 35 GG differenzierte Möglichkeiten einer Verwendung der Streitkräfte zur Gewährleistung der Luftsicherheit vor.

50

aa) Aus Art. 87a Abs. 2 GG ergeben sich Grenzen hinsichtlich der Abwehr von Gefahren, die von einem als Angriffsmittel genutzten Flugzeug ausgehen, nur, soweit es sich um einen Einsatz handelt. Deshalb sind Maßnahmen der Streitkräfte in einer den Verursachern gegenüber rein unterstützenden und solche Unterstützung vorbereitenden Funktion - etwa zur Hilfe bei technisch oder durch gesundheitliche Probleme eines Piloten bedingten Orientierungsschwierigkeiten und zur Aufklärung, ob solche Hilfe benötigt wird - nicht ausgeschlossen. Art. 87a Abs. 2 GG bindet nicht jede Nutzung personeller und sächlicher Ressourcen der Streitkräfte an eine ausdrückliche grundgesetzliche Zulassung, sondern nur ihre Verwendung als Mittel der vollziehenden Gewalt in einem Eingriffszusammenhang (vgl. BTDrucks V/2873, S. 13; BVerwGE 132, 110 <119>; Brenneisen, in: ders./Staack/Kischewski, 60 Jahre Grundgesetz, 2010, S. 485 <488>; Wolff, in: Weingärtner, Die Bundeswehr als Armee im Einsatz, 2010, S. 171 <177>). Dementsprechend kann auf Luftzwischenfälle in rein technisch-unterstützender Funktion reagiert werden. Dies verbleibt im Rahmen des Art. 35 Abs. 1 GG und ist daher von den Beschränkungen, die für einen Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG gelten, nicht betroffen. Allerdings liegt eine Verwendung in einem Eingriffszusammenhang nicht erst bei einem konkreten Vorgehen mit Zwang, sondern bereits dann vor, wenn personelle oder sachliche Mittel der Streitkräfte in ihrem Droh- oder Einschüchterungspotential genutzt werden (vgl. BVerwGE 132, 110 <119 f.>; Fehn/Brauns, Bundeswehr und innere Sicherheit, 2003, S. 38 f.; Senger, Streitkräfte und materielles Polizeirecht, 2011, S. 79 ff. <80>).

51

bb) Eine umfassende Gefahrenabwehr für den Luftraum mittels der Streitkräfte kann auf Art. 35 Abs. 2 und 3 GG nicht gestützt werden. Insbesondere berechtigt nicht jeder Luftzwischenfall, zu dessen Bewältigung eine technische Unterstützung nicht ausreicht, automatisch zum Einsatz der Streitkräfte. De constitutione lata ist der Einsatz der Streitkräfte nur bei besonders gravierenden Luftzwischenfällen zulässig, die den qualifizierten Anforderungen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG genügen.

III.

52

Zur dritten Vorlagefrage:

53

Der Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG ist, auch in Eilfällen, allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässig.

54

1. Das Grundgesetz unterscheidet systematisch zwischen Befugnissen und Zuständigkeiten der Bundesregierung und solchen einzelner Bundesminister (s. etwa einerseits Art. 84 Abs. 2, Art. 87a Abs. 4 Satz 1, Art. 91 Abs. 2 Satz 3, Art. 108 Abs. 7 GG, andererseits Art. 65 Satz 2, Art. 65a, Art. 95 Abs. 2, Art. 112 Satz 1 GG). Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG weist die Befugnis, im Fall des überregionalen Katastrophennotstandes Einheiten der Streitkräfte einzusetzen, der Bundesregierung zu. Die Bundesregierung besteht nach Art. 62 GG aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern. Der Einsatz der Streitkräfte im überregionalen Katastrophennotstand setzt danach einen Beschluss der Bundesregierung als Kollegium (vgl. BVerfGE 26, 338 <396>; 91, 148 <166>; 115, 118 <149>) voraus. Es gilt nichts anderes als für den Einsatz der Streitkräfte im Fall des inneren Notstandes, für den Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG ebenfalls die Entscheidungszuständigkeit der Bundesregierung vorsieht und der unstreitig nur aufgrund eines Kabinettsbeschlusses zulässig ist (s. statt vieler Heun, in: Dreier, GG, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 87a Rn. 33; Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Rn. 160; Ruge, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 87a Rn. 8; Hernekamp, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 87a Rn. 37; Denninger, in: Benda/ Maihofer/Vogel, HdVerfR, 2. Aufl. 1994, § 16 Rn. 60).

55

Zu einer Delegation der zugewiesenen Beschlusszuständigkeit auf ein einzelnes Mitglied (vgl. Robbers, in: Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 26. April 2004, ProtokollNr. 15/35, S. 54) ist die Bundesregierung nicht befugt. Staatsorganisationsrechtliche Kompetenzen stehen im Grundsatz nicht zur freien Disposition ihrer Träger (vgl. zum Verhältnis von Bundes- und Länderkompetenzen BVerfGE 1, 14 <35>; 39, 96 <109>; 41, 291 <311>; 63, 1 <39>). Sie sind daher grundsätzlich weder verzichtbar noch beliebig delegierbar. Darin unterscheiden sie sich von subjektiven Rechten, über die der Inhaber im Prinzip verfügen kann.

56

2. Eine Eilkompetenz für ein anderes als das regulär vorgesehene Organ, wie sie in verschiedenen Grundgesetzbestimmungen für den Fall der Gefahr im Verzug vorgesehen ist (Art. 13 Abs. 2, Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 2, 2. Halbsatz GG; vgl. auch Art. 119 Satz 3 GG: Auswechselung des Weisungsadressaten bei Gefahr im Verzug), sieht Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht vor; ermächtigt wird allein die Bundesregierung. Danach besteht eine Delegationsbefugnis der Bundesregierung oder eine Befugnis des Gesetzgebers zu abweichender Zuständigkeitsbestimmung auch für Eilfälle nicht (vgl. Bauer, in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 32; v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Bd. 2, Art. 35 Rn. 79; Hömig, in: ders., GG, 9. Aufl. 2010, Art. 35 Rn. 10; Erbguth, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 41; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 8; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 49; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 35 Rn. 29; Martínez Soria, DVBl 2004, S. 597 <603>; v. Danwitz, Rechtsfragen terroristischer Angriffe auf Kernkraftwerke, 2002, S. 56; Arndt, DVBl 1968, S. 729 <732>; Sattler, NVwZ 2004, S. 1286 <1289>; Lepsius, in: Festgabe für Dr. Burkhard Hirsch, 2006, S. 47 <57>).

57

Die Ressortzuständigkeit der Bundesminister (Art. 65 Satz 2 GG) und die Zuweisung der Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte an den Bundesminister der Verteidigung (Art. 65a GG) können eine abweichende Auslegung (vgl. Epping, Schriftliche Stellungnahme im Rahmender öffentlichen Sachverständigenanhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 26. April 2004, ADrs 15(4)102B, S. 8) nicht begründen, weil Art. 35 Abs. 3 Satz 1GG für die Befugnis, über den Einsatz der Streitkräfte im überregionalen Katastrophennotstand zu entscheiden, eine demgegenüber speziellere Regelung trifft.

58

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass das Bundesverfassungsgericht in einzelnen Bereichen Eilzuständigkeiten in Abweichung von einer grundsätzlich gegebenen Parlamentszuständigkeit anerkannt hat (vgl. BVerfGE 90, 286 <388> und BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris, Rn. 109 ff., 113, 150). Dies betraf Bereiche, für die die Entscheidungszuständigkeit im Grundgesetz gerade nicht ausdrücklich geregelt ist. Die Frage, ob und inwieweit Sonderkompetenzen für Eilfälle auch entgegen ausdrücklich - und ohne Ausnahme für den Eilfall -im Grundgesetz getroffenen Zuständigkeitsregelungen anerkennungsfähig sein könnten, ist damit nicht beantwortet.

59

Angesichts der nach Wortlaut und Systematik eindeutigen ausschließlichen Kompetenzzuweisung an die Bundesregierung kann eine abweichende Zuständigkeit nicht aus einem auf wirksame Gefahrenabwehr gerichteten Zweck des Art. 35 Abs. 3 GG (vgl. Franz, Der Staat 45 <2006>, S. 501 <530>; Franz/Günther, VBlBW 2006, S. 340 <343>; Schenke, NJW 2006, S. 736 <737 f.>; Palm, AöR 132 <2007>, S. 95 <104>; Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2007, S. 252) oder aus staatlichen Schutzpflichten (Epping, a.a.O., S. 8) abgeleitet werden. Der Verfassungsgesetzgeber hat Einsätze der Streitkräfte bewusst nur unter engen Voraussetzungen zugelassen. Für die Auslegung der betreffenden Vorschriften, die in einer politisch hochumstrittenen Materie als Ergebnis ausführlicher, kontroverser Diskussionen zustande gekommen sind, gilt das Gebot strikter Texttreue (s.o. unter II.). Jedenfalls deshalb verbietet sich eine auf die Vermeidung von Schutzlücken gerichtete teleologische Verfassungsinterpretation, die vom bewusst und in Übereinstimmung mit der Systematik gewählten ausdrücklichen Wortlaut abweicht. Aus demselben Grund kann - unabhängig von der allgemeineren Frage des möglichen Stellenwerts von Notstandsgesichtspunkten, die in positiven Verfassungsbestimmungen gerade nicht aufgegriffen sind - auch auf ungeschriebene Sonderkompetenzen für Eil- und Notfälle (vgl. Wieland, in: Fleck, Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, S. 167 <179>; Epping, Schriftliche Stellungnahme, a.a.O., S. 8) jedenfalls bei Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht zurückgegriffen werden.

Abw. Meinung

60

Die Entscheidung des Plenums trage ich zur ersten und dritten Vorlagefrage mit, der Beantwortung der zweiten Vorlagefrage stimme ich hingegen nicht zu.

61

Das Bundesverfassungsgericht wird gerne als Ersatzgesetzgeber bezeichnet; mit der nun getroffenen Entscheidung des Plenums läuft das Gericht Gefahr, künftig mit der Rollenzuschreibung als verfassungsändernder Ersatzgesetzgeber konfrontiert zu werden. Denn mit seiner Antwort auf die zweite Vorlagefrage schenkt das Plenum den Vorgaben des eigenen Gerichts zur Verfassungsinterpretation keine ausreichende Beachtung. Es wird weder der Wortlaut der einschlägigen Verfassungsnormen unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte hinreichend gewürdigt (dazu BVerfGE 88, 40 <56>), noch erfolgt eine systematische Auslegung mit Blick auf die Einheit der Verfassung (dazu BVerfGE 55, 274 <300>) als "vornehmstes Interpretationsprinzip" (so aber BVerfGE 19, 206 <220>). Im Ergebnis hat die Auslegung der Regelungen zum Katastrophennotstand, die der Plenarbeschluss bei seiner Antwort auf die zweite Vorlagefrage zugrunde legt, die Wirkungen einer Verfassungsänderung. Deshalb folge ich dem Plenarbeschluss insoweit nicht.

I.

62

Das Grundgesetz ist auch eine Absage an den deutschen Militarismus, der Ursache für die unvorstellbaren Schrecken und das millionenfache Sterben in zwei Weltkriegen war. 1949 ist die Bundesrepublik Deutschland als Staat ohne Armee entstanden; schon die Einfügung der Wehrverfassung in das Grundgesetz im Jahr 1956 wird zu Recht "eine Wende in der Entwicklung der Bundesrepublik" genannt (Hofmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., 2003, Bd. I, § 9 Rn. 51). Dabei wurde durch Art. 143 GG in der Fassung von 1956 klargestellt, dass im Zuge der "Wiederbewaffnung" eine Befugnis zum Einsatz der Streitkräfte im Inneren selbst in Fällen des Notstandes nicht gegeben war (vgl. Meixner, in: Dolzer/Kahl/Waldhoff/Graßhof, BK, Art. 143 Rn. 4 ). Nach diesem ersten folgte 1968 ein zweiter Schritt im Zuge der Implementierung der Notstandsverfassung in das Grundgesetz. Nun wurde der Einsatz der Streitkräfte auch im Inland zugelassen, allerdings nur in wenigen eng begrenzten Fällen, die zudem in der Verfassung ausdrücklich geregelt sein müssen (Art. 87a Abs. 2 GG). Dies sind der regionale und der überregionale Katastrophennotstand (Art. 35 Abs. 2 und 3 GG), der äußere Notstand (Art. 87a Abs. 3 GG) und der Staatsnotstand als qualifizierter Fall des inneren Notstandes (Art. 87a Abs. 4 GG). Dabei ist mit der Zulässigkeit des Einsatzes der Streitkräfte im Inneren noch keine Aussage über die Mittel getroffen, die hierbei zum Einsatz gelangen können. Vielmehr bleibt - wie vom Ersten Senat im Urteil vom 15. Februar 2006 (BVerfGE 115, 118 <146 ff., 150 f.>) erkannt - ein Einsatz spezifisch militärischer Waffen in Fällen des Katastrophennotstandes auch dann ausgeschlossen, wenn gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 Satz 1 GG die Streitkräfte herangezogen werden dürfen. Bei beiden Verfassungsänderungen hat der Gesetzgeber also nicht aus dem Blick verloren, dass der Einsatz von Streitkräften im Inneren mit besonderen Gefahren für Demokratie und Freiheit verbunden ist und daher ebenso strikter wie klarer Begrenzung bedarf.

63

Auch und gerade seitdem nach der Notstandsgesetzgebung der Einsatz des Militärs im Inneren nicht mehr schlechthin unzulässig ist, bleibt strenge Restriktion geboten. Es ist sicherzustellen, dass die Streitkräfte niemals als innenpolitisches Machtinstrument eingesetzt werden. Abgesehen von dem extremen Ausnahmefall des Staatsnotstandes, in dem nur zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer als letztes Mittel auch Kampfeinsätze der Streitkräfte im Inland zulässig sind (Art. 87a Abs. 4 GG), ist die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit Aufgabe allein der Polizei. Ihre Funktion ist die der Gefahrenabwehr und nur über hierfür geeignete und erforderliche Waffen darf die Polizei verfügen; hingegen sind Kampfeinsätze der Streitkräfte auf die Vernichtung des Gegners gerichtet, was spezifisch militärische Bewaffnung notwendig macht. Beide Aufgaben sind strikt zu trennen. Hiermit zieht unsere Verfassung aus historischen Erfahrungen die gebotenen Konsequenzen und macht den grundsätzlichen Ausschluss der Streitkräfte von bewaffneten Einsätzen im Inland zu einem fundamentalen Prinzip des Staatswesens. Mit anderen Worten: Die Trennung von Militär und Polizei gehört zum genetischen Code dieses Landes (so Heinrich Wefing, in: Zeit-Online vom 14. Januar 2009, http://www.zeit.de/2008/42/Bundeswehr).

64

Wer hieran etwas ändern will, muss sich nicht nur der öffentlichen politischen Debatte stellen, sondern auch die zu einer Verfassungsänderung erforderlichen parlamentarischen Mehrheiten (Art. 79 Abs. 2 GG) für sich gewinnen. Im Anschluss an das Urteil des Ersten Senats war demgemäß eine Änderung des Grundgesetzes beabsichtigt, um den am 11. September 2001 deutlich gewordenen Gefahren des internationalen Terrorismus effektiv begegnen zu können. Das Vorhaben scheiterte, weil sich - trotz der damaligen "großen" Regierungskoalition - für die von der Bundesregierung beabsichtigte Zulassung "militärischer Mittel" generell in "besonders schweren Unglücksfällen" im Bundestag nicht die erforderliche Mehrheit fand und allenfalls eine Begrenzung militärischer Kampfeinsätze zur Abwehr von Angriffen aus der Luft oder von See aus hätte erreicht werden können (vgl. Zeit-Online vom 14. Januar 2009, http://www.zeit.de/online/2008/42/bundeswehr-grundgesetz). Der Plenarbeschluss gibt nun das, was für die Bundesregierung vor drei Jahren gegen einen der Koalitionspartner - und auch gegen die Stimmverhältnisse im Bundesrat - nicht durchsetzbar war. Selbst wenn man es unerträglich empfindet, dass die Streitkräfte hiernach bei terroristischen Angriffen untätig in der Rolle des Zuschauers verharren müssen, ist es nicht Aufgabe und nicht Befugnis des Bundesverfassungsgerichts korrigierend einzuschreiten.

II.

65

Nach meiner Ansicht schließt das Grundgesetz in seiner gegenwärtigen Fassung den Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen sowohl in Fällen des regionalen (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG) wie in Fällen des überregionalen (Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG) Katastrophennotstandes aus; insoweit ist also an der Auffassung des Ersten Senats im Urteil vom 15. Februar 2006 (BVerfGE 115, 118 <146 ff., 150 f.>) festzuhalten. Hierbei kann dahinstehen, ob die Wortlautargumente, die im Urteil des Ersten Senats in den Vordergrund gestellt wurden, den Argumenten des Plenarbeschlusses Stand halten und die ihnen beigelegte tragende Bedeutung weiterhin beanspruchen können. Denn es lässt sich auch mit einer historischen Verfassungsinterpretation, vor allem aber mit einer systematischen Auslegung des Grundgesetzes begründen, dass ein Einsatz der Streitkräfte mit militärischer Bewaffnung in beiden Fällen des Katastrophennotstandes nicht erlaubt und damit aufgrund des Art. 87a Abs. 2 GG von Verfassungs wegen untersagt ist.

66

1. Der Plenarbeschluss will zwar davon ausgehen, dass sich aus den Gesetzgebungsmaterialien "insgesamt kein klares Bild" für einen bestimmten Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers ergebe. Bei vollständiger Ausschöpfung der verfügbaren Quellen und bei Würdigung der dort dokumentierten Erklärungen im Zusammenhang vermag ich diese Einschätzung allerdings nicht zu teilen.

67

a) Unklarheiten können, anders als der Plenarbeschluss ausführt, nicht aus dem Protokoll über die gemeinsame Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses des Bundestages am 30. November 1967 (BTDrucks V/1879 und V/2130) hergeleitet werden. Zwar trifft es zu, dass die dort festgehaltenen Äußerungen der verschiedenen angehörten Sachverständigen unterschiedliche Meinungen zur Zulässigkeit des Einsatzes militärischer Waffen wiedergeben; ferner ist auch zutreffend, dass diese Anhörung Grundlage für den Bericht des Rechtsausschusses wurde, der wiederum Grundlage für den Gesetzesbeschluss des Bundestages zur Verfassungsänderung geworden ist. Es gibt jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, sondern ist schon im Ansatz fernliegend, dass das uneinheitliche Meinungsbild einer Anhörung unverändert in die Beschlussfassung des Rechtsausschusses eingeflossen ist. Das Gegenteil ist richtig. Der Rechtsausschuss musste - jedenfalls mit der Mehrheit der Stimmen seiner Mitglieder - eine klare Entscheidung treffen und hat dies auch getan.

68

Die Auffassung des Rechtsausschusses steht allerdings der Einschätzung des Plenums entgegen und findet in dessen Argumentation keine hinreichende Beachtung: Nachdem die Sachverständigen Kluncker und Kuhlmann in der gemeinsamen Informationssitzung des Innen- und des Rechtsausschusses angeregt hatten, den waffenlosen Einsatz der Bundeswehreinheiten im Katastrophen- und Unglücksfall zum Ausdruck zu bringen (vgl. Protokoll der 3. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses vom 30. November 1967, a.a.O., S. 42, 50), nimmt der schriftliche Bericht des Rechtsausschusses diese Hinweise auf, zieht daher den Einsatz militärisch bewaffneter Streitkräfte überhaupt nur für den Fall des Art. 87a Abs. 4 GG in Betracht und beschränkt ihn zugleich auf den Staatsnotstand als eine besonders gefährdende Situation des inneren Notstandes. Im Bericht des Rechtsausschusses heißt es unmissverständlich (BTDrucks V/2873, S. 2):

69

"Der Hauptunterschied zur Regierungsvorlage liegt darin, dass die Schwelle für den Einsatz der Streitkräfte als bewaffnete Macht angehoben worden ist. Der Rechtsausschuss schlägt vor, den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr nur dann zuzulassen, wenn dies zur Bekämpfung von Gruppen militärisch bewaffneter Aufständischer erforderlich ist (Artikel 87a Abs. 4)."

70

Entgegen der Ansicht des Plenums, das die Bedeutung dieser Äußerung ins Ungewisse stellt ("… muss nicht dahin verstanden werden …"), wird damit ein bewaffneter Einsatz auch in den Fällen des Katastrophennotstandes ausgeschlossen; denn diese Passage findet sich unter der Überschrift "Innerer Notstand" in dem Abschnitt des Berichts, der sich eingehend dazu verhält, dass die zuvor in der Regierungsvorlage zusammenfassend geregelten "Fälle des Inneren Notstandes" nunmehr nach ihrem "sachlichen Inhalt" getrennt in eigenen Vorschriften normiert werden sollen. Da angesichts der Zusammenfassung im Regierungsentwurf seinerzeit in den Begriff des "Inneren Notstandes" auch die Fälle des Katastrophennotstandes einbezogen wurden (vgl. Lenz, Notstandsverfassung des Grundgesetzes - Kommentar, 1971, Art. 35 Rn. 2), war der Ausschluss spezifisch militärischer Waffen ersichtlich auch und gerade für die nun in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG gesondert zu regelnden Einsätze bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen gewollt.

71

b) Dies wird - entgegen der Ansicht des Plenums - durch weitere Quellen bestätigt. Ein anderes Verständnis trifft nicht die historischen Gegebenheiten im Umfeld der Verfassungsänderung des Jahres 1968. Das Plenum lässt völlig außer Acht, dass zur Zeit der Notstandsgesetzgebung eine weitergehende Zulassung des Einsatzes militärisch bewaffneter Einheiten der Streitkräfte im Inneren politisch nicht durchsetzbar gewesen wäre. Seit dem Bundestag im Jahre 1960 ein erster Entwurf vorgelegt worden war, kam es über Jahre hinweg zu grundlegenden politischen Diskussionen in der - angesichts der Erfahrungen mit der deutschen Geschichte - sensibilisierten Öffentlichkeit, die sich im Zuge der abschließenden Beratungen noch erheblich verschärften (vgl. etwa Scheuner, in: Lenz, a.a.O., Einleitung, S. 13). So richtete sich der vor allem von den Gewerkschaften getragene Widerstand gegen die Notstandsverfassung in Sonderheit gegen die zutreffend erkannte Gefahr eines Einsatzes der Streitkräfte als innenpolitisches Machtinstrument gegen die Bevölkerung namentlich bei Arbeitskämpfen (vgl. Hoffmann, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, 1968, S. 87 f.). Als Beispiel für die mit der Notstandsgesetzgebung verknüpften Befürchtungen mag das von Ekkehart Stein und Helmut Ridder schon 1963 verfasste Memorandum der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler "Der permanente Notstand" (abgedruckt in Ridder, Gesammelte Schriften, 2010, S. 563 <566>) dienen, in dem es heißt:

72

"Das Friedensrecht darf nicht vom Kriegsrecht material unterwandert werden, d.h. im Frieden dürfen keine Maßnahmen zugelassen werden, die in einem Krieg zur Bewältigung dieser extremen Gefahrenlage entwickelt wurden und nur im Kriegsfall zu rechtfertigen sind."

73

Vor diesem Hintergrund stellte der Abgeordnete Dr. Lenz (CDU/CSU) als Berichterstatter des Rechtsausschusses bei den abschließenden Beratungen im Bundestag die restriktiven Ziele beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte klar (PlProt 5/174, S. 9311 <9313>):

74

"Es ist nicht wahr, dass durch diese Vorlage der Bürgerkrieg vorbereitet wird. Sowohl bei der Formulierung des staatsbürgerlichen Widerstandsrechts als auch bei der Möglichkeit der Bundesregierung, im äußersten Notfall Truppen gegen militärisch bewaffnete Aufständische einzusetzen, hat der Rechtsausschuss sich bemüht, klarzustellen, dass dies nur die Ultima ratio, das letzte Mittel sein dürfte, wenn alle anderen Mittel versagt haben."

75

2. Diese historisch fundierte Ausgangsprämisse des verfassungsändernden Gesetzgebers findet deutlichen Niederschlag in der Systematik, die das Grundgesetz mit der Implementierung der "Notstandsverfassung" durch das 17. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl I S. 709) erfahren hat. Der Plenarbeschluss geht hierauf nicht ein.

76

Gerade wegen der starken öffentlichen Kritik, die sich an dem Streitkräfteeinsatz im Fall des inneren Notstandes entzündet hatte, wandte sich der Rechtsausschuss gegen eine zusammenfassende Regelung, wie sie in dem vorangegangenen Regierungsentwurf vorgeschlagen worden war. Die Trennung der - als unproblematisch angesehenen - Regelung des Katastrophennotstandes einerseits von der des inneren Notstandes andererseits erfolgte, um die entstandene Debatte zu entpolitisieren und den Verdacht auszuräumen, dass mit dem Katastrophennotstand auch der innere Notstand bekämpft werden solle (vgl. Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. Februar 1968, dort S. 10). Dies belegt einmal mehr, dass diese beiden Fälle des Streitkräfteeinsatzes im Inneren völlig unterschiedliche, sich nicht überschneidende Anwendungsbereiche haben und deshalb nicht durch die Zulassung spezifisch militärischer Bewaffnung auch in Fällen des Katastrophennotstandes vermengt werden dürfen. Demgemäß führt der Berichterstatter des Rechtsausschusses, der Abgeordnete Dr. Lenz, in dem von ihm 1971 verfassten Kommentar zur Notstandsverfassung bei Art. 35 Abs. 2 GG (a.a.O., Art. 35 Rn. 9) aus:

77

"Die Anforderung geschieht 'zur Hilfe'. Damit ist ein unbewaffneter - dies ist vor allem im Hinblick auf die Streitkräfte von Bedeutung - technischer Hilfseinsatz gemeint."

78

In Einklang damit steht der Hinweis in dem abschließenden Bericht des Rechtsausschusses, dass die im Fall des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG zur Verfügung gestellten Kräfte anderer Länder und des Bundes "den Rechtsnormen des im Einsatzland geltenden Landespolizeirechts" unterstehen (BTDrucks V/2873, S. 10). Zu Art. 35 Abs. 3 GG verweist der Bericht ausdrücklich auf die Ausführungen zu Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG (BTDrucks V/2873, S. 10). Für beide Fälle des Katastrophennotstandes wurden also mit der Maßgeblichkeit des Landespolizeirechts die Voraussetzungen für die Einbindung der Streitkräfte in den zivilen Katastrophenschutz geschaffen und damit nur polizeiliche Maßnahmen, nicht aber militärische Kampfmaßeinsätze ermöglicht (vgl. auch Cl. Arndt, DVBl 1968, S. 729 f.). Auch die im Bericht des Rechtsausschusses im Einzelnen angeführten Beispiele für den Einsatz der Streitkräfte in den Fällen von Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG, nämlich "Absperrungen von gefährdeten Grundstücken und Verkehrsregelungen" (BTDrucks V/2873, S. 10), sprechen deutlich für einen Einsatz der Streitkräfte, der hinsichtlich der einsetzbaren Mittel nicht über die im jeweiligen Landespolizeirecht der Länder vorgesehenen hinausgehen darf. In der Begründung des Rechtsausschusses zu Art. 87a Abs. 4 GG findet sich demgegenüber die Aussage, dass für den dort geregelten Einsatzfall militärische Mittel nicht von vornherein ausgeschlossen werden sollten, wobei konsequenterweise nicht auf die Anwendbarkeit des jeweiligen Landespolizeirechts verwiesen wird (BTDrucks V/2873, S. 14).

79

3. Weiteres kommt hinzu. Im Rahmen der systematischen Auslegung ist auch zu beachten, dass im Fall des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG allein der Bundesregierung eine Initiativbefugnis zusteht, sie demnach - wie auch der Plenarbeschluss in Bestätigung der Rechtsauffassung des Ersten Senats (BVerfGE 115, 118 <149 f.>) zur dritten Vorlagefrage zutreffend erkennt - nur als Kollegialorgan über den Einsatz der Streitkräfte in überregionalen Katastrophen- oder Unglücksfällen zu befinden vermag. Diese Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers für das Initiativrecht nur der Bundesregierung als Kollegialorgan ist auch für die Zulässigkeit eines bewaffneten Einsatzes der Streitkräfte im Inneren von Belang; denn sie gibt auch Aufschluss über den als zulässig angesehenen und der Regelung daher zugrunde gelegten Mitteleinsatz.

80

Entscheidungen eines Gremiums erfordern naturgemäß einen größeren zeitlichen Vorlauf; das Verfahren ist schwerfälliger als das einer ministeriellen Einzelentscheidung und bringt daher schwerwiegende Effektivitätsnachteile mit sich. Diese können bis zur Erfolglosigkeit einer Maßnahme infolge Zeitablaufs reichen, wenn es sich um eine Gefahrenlage handelt, die ein sofortiges Eingreifen zwingend erfordert. Hingegen zeichnen sich die Naturkatastrophen und Unglücksfälle, für die in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG ein Einsatz der Streitkräfte vorgesehen wurde, typischerweise dadurch aus, dass sie einen gewissen, wenn auch eng begrenzten zeitlichen Spielraum lassen. Unglücksfälle treten generell, Naturkatastrophen bisweilen so plötzlich ein, dass nur noch eine Bekämpfung hinsichtlich der Folgen möglich ist, was aufgrund der Notwendigkeit, Einsatzkräfte und Material heranzuführen, ohnehin geraume Zeit in Anspruch nehmen muss. Ansonsten weisen Naturkatastrophen in ihrer Entstehung oder Folgeentwicklung eine zeitliche Streckung zumindest über Stundenzeiträume auf. All diese Umstände erlauben die Befassung eines Kollegialorgans wie der Bundesregierung, ohne hierdurch die Wirksamkeit des Streitkräfteeinsatzes ernsthaft zu gefährden.

81

Hingegen ist ein unausweichlicher Druck zur Entscheidung innerhalb kürzester Frist gerade für solche Gefahren typisch, denen effektiv nur mit dem Einsatz solcher Waffen begegnet werden kann, die in ihrer zerstörenden Wirkung über die polizeirechtlich zulässige Bewaffnung hinausgehen. Spezifische Militärwaffen sind mit ihrer zerstörerischen Kraft auf die Vernichtung des Gegners angelegt. Ist außerhalb einer kriegerischen Auseinandersetzung zur Gefahrenabwehr der Einsatz solcher Vernichtungskraft im Sinne der Verhältnismäßigkeitsmaxime angemessen und insbesondere auch erforderlich, so wird typischerweise - wie eben bei der Entführung von Flugzeugen zum Einsatz als Anschlagswaffe ("Renegade"-Fälle) - ein Verlauf bereits eingeleitet sein, der bei ungehindertem Fortgang in kürzester Zeit den Verlust zahlreicher Menschenleben oder ungeheuere Schäden erwarten lässt und daher nur durch den Einsatz massivster Mittel endgültig gestoppt werden kann. Solche Gefährdungslagen sind also dadurch gekennzeichnet, dass ihrer Beseitigung jede zeitliche Verzögerung abträglich ist. Dann wäre aber die Betrauung eines in der Entscheidungsfindung vergleichsweise schwerfälligen Kollegialorgans mit der Initiativbefugnis zum Einschreiten geradezu dysfunktional und als Zuständigkeitsentscheidung mit Blick auf die vom verfassungsändernden Gesetzgeber angestrebte "wirksame Bekämpfung" fernliegend. Wenn daher - wie in Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG geschehen - der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Bundesregierung einem Kollegialorgan die Zuständigkeit für die Einsatzentscheidung zuweist, kann hieraus nur der Schluss gezogen werden, dass er von vornherein den Einsatz spezifisch militärischer Waffen nicht für erforderlich hielt und damit auch nicht legitimieren wollte.

III.

82

Dem geschilderten Ergebnis einer historischen und systematischen Auslegung des Grundgesetzes entspricht die Rechtsauffassung des Ersten Senats im Urteil vom 15. Februar 2006, wonach "auch im Fall des überregionalen Katastrophennotstandes ein Einsatz der Streitkräfte mit typisch militärischen Waffen von Verfassungs wegen nicht erlaubt ist" (BVerfGE 115, 118 <150>). Ihm ließe sich aber auch noch dadurch Rechnung tragen, dass die im Plenarbeschluss dargestellte "Sperrwirkung" des Art. 87a Abs. 4 GG als unüberwindliche Schranke des Einsatzes militärischer Waffen im Inland strikt eingehalten wird. Damit wäre der Einsatz militärspezifischer Waffen in Katastrophenfällen namentlich gegen Sachen - wie etwa bei dem gängigen Beispiel des Bombardierens von Deichen zur Herbeiführung einer kontrollierten Überflutung - zu rechtfertigen. Das Plenum will diesen Weg zwar beschreiten und bringt dies scheinbar auch im Beschlusstenor mit der Antwort auf die zweite Vorlagefrage zum Ausdruck. Allerdings erfährt der Tenor durch die anschließenden Gründe des Beschlusses eine entscheidende Ausdehnung, die als tragende Begründung letztlich für das Verständnis und die Wirkungen der Entscheidung des Plenums maßgeblich ist (vgl. BVerfGE 3, 261 <264>; 36, 342 <359 f.> jeweils zu Art. 100 Abs. 3 GG). Damit macht das Plenum den Ansatz einer "strikten Begrenzung" durch Art. 87a Abs. 4 GG selbst zur Makulatur; denn der "Sperrwirkung" wird nur "grundsätzlich" Geltung beigelegt, was es ermöglicht, Inlandseinsätze der Streitkräfte mit militärischer Bewaffnung auch dann zuzulassen, wenn es gilt, einem "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze" eintretenden "katastrophalen Schaden" entgegenzuwirken, der auch durch absichtliches Handeln verursacht sein kann.

83

1. Vieles spricht dafür, dass die Vorstellungen des verfassungsändernden Gesetzgebers bei Regelung des Katastrophennotstandes in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG neben Naturkatastrophen - wie der Hamburger Sturmflut 1962 - nur auf besonders schwere Unglücksfälle im Sinne schicksalhafter, zufälliger Verläufe gerichtet waren (vgl. etwa die Beispiele bei Lenz, a.a.O., Art. 35 Rn. 6 "Explosionsunglück" oder "Kollision von Öltankern in Küstennähe"). Der Erste Senat hat den Begriff des Unglücksfalls jedoch auch für solche Schadensereignisse geöffnet, die "von Dritten absichtlich herbeigeführt werden" (BVerfGE 115, 118 <144>). Erst damit konnte es zu Überschneidungen mit der Regelung des (inneren) Staatsnotstandes in Art. 87a Abs. 4 GG kommen, der unter engen Voraussetzungen einen Waffeneinsatz der Streitkräfte nur gegen organisierte und militärisch bewaffnete Aufständische erlaubt.

84

Will man daher mit dem Ersten Senat den Einsatz militärischer Waffen in den Fällen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG nicht schon generell untersagen, so ist zur Wahrung der in der Verfassung angelegten strikten Trennung zwischen Katastrophennotstand einerseits und innerem Notstand andererseits ein geeignetes Kriterium zu finden, das Umgehungen der streng restriktiven Regelung für Kampfeinsätze in Art. 87a Abs. 4 GG zwingend und effektiv vermeidet. Dazu ist es notwendig, den Zweck der verfassungsrechtlichen Trennung beider Einsätze ernst zu nehmen. Es ging darum, den Katastrophenschutz durch Unterstützung der Streitkräfte zu verbessern, gleichzeitig aber die damit faktisch auch eröffnete Möglichkeit zu verschließen, das Militär als innenpolitisches Machtinstrument zu nutzen (vgl. Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. Februar 1968, dort S. 10). Selbst wenn Gewalttätigkeiten oder Unruhen drohen sollten, die in ihren Folgen das Ausmaß besonders schwerer Unglücksfälle erreichen, dürfen bewaffnete Streitkräfte im Inneren nicht etwa dazu eingesetzt werden, um allein schon durch ihre Präsenz die Bevölkerung etwa bei Demonstrationen einzuschüchtern. Um dieses Ziel zu erreichen, muss Art. 87a Abs. 4 GG eine Sperrwirkung beigelegt werden, die es verhindert, dass bewaffnete Streitkräfte gegen Menschen zum Einsatz kommen, die vorsätzlich die öffentliche Sicherheit gefährden, selbst wenn sie sich absichtlich und in aggressiver Weise gegen den Staat wenden und sich hierbei strafbar machen sollten. Die Bekämpfung solcher Gefährdungen ist selbstverständlich zulässig und geboten, aber sie ist nach dem geltenden Verfassungsrecht in Deutschland eine ausschließlich polizeiliche, nicht jedoch eine militärische Aufgabe. Dies bestätigt die Verfassung selbst durch Art. 91 GG. Denn sogar wenn es zu einer Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kommt, sieht Art. 91 GG für diesen Fall des inneren Notstandes nur den Einsatz von Polizeikräften anderer Länder oder der Bundespolizei vor, nicht aber den Einsatz der Streitkräfte. Deren Heranziehung macht Art. 87a Abs. 4 GG schon für den bloßen Objektschutz vielmehr von weiteren Voraussetzungen abhängig, wobei der Einsatz von Waffen in jedem Fall nur gegen organisierte und militärisch bewaffnete Aufständische zulässig ist (vgl. Lenz, a.a.O., Art. 87a Rn. 18). Mit den Waffen des Militärs dürfen also nur Personengruppen bekämpft werden, die selbst militärisch bewaffnet sind, sich gegen den Staat erhoben haben und über ein System der Einsatzleitung verfügen (vgl. Lenz, a.a.O., Art. 87a Rn. 19).

85

2. Der Plenarbeschluss geht darüber hinaus. Er ist zwar von der redlichen und anerkennenswerten Absicht getragen, den bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren restriktiv zu halten, setzt sich aber über die selbst erkannte Sperrwirkung hinweg und kann daher mit den von ihm entwickelten Kriterien eine Umgehung der engen Voraussetzungen des inneren Notstandes nach Art. 87a Abs. 4 GG durch die weniger strengen Voraussetzungen des Katastrophennotstandes nicht verhindern. Durch den Versuch der weiteren Einhegung des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG durch das Erfordernis eines zwar nicht das "Vorfeld" eines Unglücksfalls erfassenden, gleichwohl aber "unmittelbar bevorstehenden" Schadenseintritts "von katastrophischen Dimensionen" wird die Rechtsanwendung zwar um neue Begrifflichkeiten bereichert, nicht aber um die nötige Klarheit und Berechenbarkeit. Es handelt sich um gänzlich unbestimmte, gerichtlich kaum effektiv kontrollierbare Kategorien, die in der täglichen Anwendungspraxis viel Spielraum für subjektive Einschätzungen, persönliche Bewertungspräferenzen und unsichere, wenn nicht gar voreilige Prognosen lassen. Jedenfalls bei Inlandseinsätzen militärisch bewaffneter Streitkräfte ist das nicht hinnehmbar. Im Schatten eines Arsenals militärischer Waffen kann freie Meinungsäußerung schwerlich gedeihen. Wie ist beispielsweise zu verhindern, dass im Zusammenhang mit regierungskritischen Großdemonstrationen - wie etwa im Juni 2007 aus Anlass des "G8-Gipfels" in Heiligendamm - schon wegen befürchteter Aggressivität einzelner teilnehmender Gruppen "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze" eintretende massive Gewalttätigkeiten mit "katastrophalen Schadensfolgen" angenommen werden und deswegen bewaffnete Einheiten der Bundeswehr aufziehen? Der bloße Hinweis des Plenums, dass Gefahren, die "aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen", nicht genügen sollen, kann in diesen Fällen die selbst definierten Einsatzvoraussetzungen kaum wirksam suspendieren.

86

3. Dass die vom Plenarbeschluss entwickelte Lösung einer überzeugenden dogmatischen Grundlage entbehrt, kommt hinzu. Wie es angesichts der auch im Plenarbeschluss anerkannten Sperrwirkung zulässig sein kann, diese gleichwohl -und sei es auch nur in besonders qualifizierten Unglücksfällen - bei Seite zu schieben und den Einsatz bewaffneter Streitkräfte auch dann zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Art. 87a Abs. 4 GG nicht vorliegen, erschließt sich nicht und wird in der Entscheidung nicht begründet. Eine Begründung lässt sich auch schwerlich finden; denn wenn - bildlich gesprochen - das Öffnen einer Tür verboten ist, dann kann es nicht erlaubt sein, sie auch nur einen Spalt weit zu öffnen.

IV.

87

Letztlich wirft der Plenarbeschluss auch die Frage auf, was durch den nun erweiterten Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Inneren an Vorteilen für den Schutz der Bevölkerung namentlich vor terroristischen Angriffen erreicht werden kann. Die Antwort lautet: wenig bis nichts.

88

1. Angesichts des beim Zweiten Senat anhängigen Normenkontrollverfahrens wird darüber zu befinden sein, welche Vorschriften des Luftsicherheitsgesetzes zur Abwehr besonders schwerer Unglücksfälle durch den Einsatz bewaffneter Einheiten der Streitkräfte verfassungsrechtlichen Bestand haben können. Auf der Grundlage des Plenarbeschlusses mag es de lege lata zulässig sein, dass Kampfflugzeuge unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 LuftSiG "Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben". Die erfolgreiche Gefahrenabwehr durch solche Maßnahmen wird allerdings insbesondere in "Renegade"-Fällen deshalb wenig wahrscheinlich sein, weil Konsequenzen in Form eines Abschusses unzulässig sind, nachdem die - eine "unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt" gestattende - Vorschrift des § 14 Abs. 3 LuftSiG durch das Urteil des Ersten Senats für verfassungswidrig und nichtig erklärt worden ist (BVerfGE 115, 118). De lege ferenda mag ohne Verfassungsänderung eine gesetzliche Neuregelung möglich sein, diese könnte jedoch eine unmittelbare Einwirkung mit militärischer Waffengewalt nur gegen ein unbemanntes Luftfahrzeug erlauben oder ausschließlich gegen die Personen gerichtet sein, die das Luftfahrzeug als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen einsetzen wollen (vgl. BVerfGE 115, 118 <160>). Hingegen kann der deutsche Gesetzgeber den Abschuss solcher Flugzeuge nicht erlauben, in denen sich - wie bei den terroristischen Angriffen am 11. September 2001 - Passagiere und Besatzungsmitglieder befinden, die selbst Opfer der Luftpiraten geworden sind. Insoweit hat auch der Plenarbeschluss nichts daran geändert, dass die den Umständen nach wahrscheinliche Tötung dieser Menschen mit dem Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) in Verbindung mit der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) unvereinbar ist. Es kommt hinzu, dass - auch nach der Auffassung des Plenums - ohne Verfassungsänderung allein die Bundesregierung nach Maßgabe des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG über den Einsatz militärischer Waffen gegen Luftfahrzeuge befinden kann, was angesichts des vergleichsweise kleinen deutschen Luftraums kaum jemals rechtzeitig zu einer Maßnahme nach § 14 Abs. 1 LuftSiG oder - nach gesetzlicher Neuregelung - zu einem eingeschränkt zulässigen Abschuss eines Luftfahrzeugs führen wird. Soll danach der Rahmen, den das materielle Verfassungsrecht für eine effektive Abwehr von Gefahren aus dem Luftraum lässt, genutzt werden, so ist trotz der erweiterten Zulässigkeit von Kampfeinsätzen nach der Entscheidung des Plenums eine Verfassungsänderung gleichwohl unvermeidlich.

89

2. Es lässt sich nicht leugnen und ist positiv zu bewerten, dass die Antwort des Plenums deutlich hinter dem aus der Vorlagefrage ersichtlichen Anliegen des Zweiten Senats zurückbleibt, das auf eine Umgestaltung der Regelungen des Katastrophennotstandes hin zu einer subsidiären allgemeinen Gefahrenabwehr mit militärischen Waffen zielte. Gleichwohl hat das Plenum aber zugunsten eines geringen, praktisch kaum realisierbaren Gewinns an Sicherheit die Zulässigkeit des Einsatzes der Streitkräfte im Inneren mit Hilfe derart unbestimmter Rechtsbegriffe erweitert, dass militärische Einsätze zu innenpolitischen Zwecken nicht ausgeschlossen werden können. Für einen kaum messbaren Nutzen wurden fundamentale Grundsätze aufgegeben. Daher wäre es ein fataler Fehler, sich angesichts der Entscheidung des Plenums damit zu trösten, dass der Berg gekreißt, aber nur eine Maus geboren hat.

Tenor

1. Soweit der Antrag sich auf § 14 Absatz 3 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) bezog, wird das Verfahren eingestellt.

2. § 13 Absatz 3 Satz 2 und 3 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) ist mit Artikel 35 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

3. Im Übrigen sind die §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite78), geändert durch Artikel 7 Nummer 2 des Gesetzes zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften vom 29. Juli 2009 (Bundesgesetzblatt I Seite 2424) - soweit nicht als Folge der Nichtigerklärung des § 14 Absatz 3 des Luftsicherheitsgesetzes durch das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006 - 1 BvR 357/05 - gegenstandslos geworden (§ 14 Absatz 4 Satz 1 Luftsicherheitsgesetz und die in § 15 Absatz 1 und 2 Luftsicherheitsgesetz enthaltenen Bezugnahmen auf § 14 Absatz 3 Luftsicherheitsgesetz) - in den genannten Fassungen mit dem Grundgesetz vereinbar.

4. § 16 Absatz 2 und Absatz 3 Satz 2 und 3 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite78) sowie Artikel 2 Nummer 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben sind mit dem Grundgesetz vereinbar.

Gründe

A.

1

Der Antrag im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle betrifft die Vorschriften des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) zur Verwendung der Streitkräfte bei einem besonders schweren Unglücksfall (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG), der von einem Luftfahrzeug ausgeht (§§ 13 bis 15 LuftSiG), sowie die gesetzlichen Bestimmungen, die es dem Bund erlauben, Luftsicherheitsaufgaben, die den Ländern zur Ausführung in Auftragsverwaltung übertragen sind (§ 16 Abs. 2 LuftSiG), durch Entscheidung des Bundesministeriums des Innern wieder an sich zu ziehen (§ 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 i.V.m. § 16 Abs. 2 LuftSiG, Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 ).

I.

2

1. Das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (BGBl I S. 78) und - als dessen Artikel 1 - das Luftsicherheitsgesetz traten am 15. Januar 2005 in Kraft (zu den Hintergründen BVerfGE 115, 118 <119 ff.>). Die im Antrag genannten Bestimmungen sind in der damaligen Fassung zur Prüfung gestellt. In dieser Fassung haben sie folgenden Wortlaut:

3

§ 13 LuftSiG

Entscheidung der Bundesregierung

(1) Liegen auf Grund eines erheblichen Luftzwischenfalls Tatsachen vor, die im Rahmen der Gefahrenabwehr die Annahme begründen, dass ein besonders schwerer Unglücksfall nach Artikel 35 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 des Grundgesetzes bevorsteht, können die Streitkräfte, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, zur Unterstützung der Polizeikräfte der Länder im Luftraum zur Verhinderung dieses Unglücksfalles eingesetzt werden.

(2) Die Entscheidung über einen Einsatz nach Artikel 35 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes trifft auf Anforderung des betroffenen Landes der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern. Ist sofortiges Handeln geboten, ist das Bundesministerium des Innern unverzüglich zu unterrichten.

(3) Die Entscheidung über einen Einsatz nach Artikel 35 Abs. 3 des Grundgesetzes trifft die Bundesregierung im Benehmen mit den betroffenen Ländern. Ist eine rechtzeitige Entscheidung der Bundesregierung nicht möglich, so entscheidet der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern. Die Entscheidung der Bundesregierung ist unverzüglich herbeizuführen. Ist sofortiges Handeln geboten, sind die betroffenen Länder und das Bundesministerium des Innern unverzüglich zu unterrichten.

(4) Das Nähere wird zwischen Bund und Ländern geregelt. Die Unterstützung durch die Streitkräfte richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes.

4

§ 14 LuftSiG

Einsatzmaßnahmen, Anordnungsbefugnis

(1) Zur Verhinderung des Eintritts eines besonders schweren Unglücksfalles dürfen die Streitkräfte im Luftraum Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben.

(2) Von mehreren möglichen Maßnahmen ist diejenige auszuwählen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Die Maßnahme darf nur so lange und so weit durchgeführt werden, wie ihr Zweck es erfordert. Sie darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht.

(3) Die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ist nur zulässig, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, und sie das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist.

(4) Die Maßnahme nach Absatz 3 kann nur der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung anordnen. Im Übrigen kann der Bundesminister der Verteidigung den Inspekteur der Luftwaffe generell ermächtigen, Maßnahmen nach Absatz 1 anzuordnen.

5

§ 15 LuftSiG

Sonstige Maßnahmen

(1) Die Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 und 3 dürfen erst nach Überprüfung sowie erfolglosen Versuchen zur Warnung und Umleitung getroffen werden. Zu diesem Zweck können die Streitkräfte auf Ersuchen der für die Flugsicherung zuständigen Stelle im Luftraum Luftfahrzeuge überprüfen, umleiten oder warnen. Ein generelles Ersuchen ist zulässig. Die Voraussetzungen für ein Tätigwerden werden in diesem Fall durch vorherige Vereinbarung festgelegt.

(2) Der Bundesminister der Verteidigung kann den Inspekteur der Luftwaffe generell ermächtigen, Maßnahmen nach Absatz 1 anzuordnen. Der Inspekteur der Luftwaffe hat den Bundesminister der Verteidigung unverzüglich über Situationen zu informieren, die zu Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 und 3 führen könnten.

(3) Die sonstigen Vorschriften und Grundsätze der Amtshilfe bleiben unberührt.

6

§ 16 LuftSiG

Zuständigkeiten

(1) ...

(2) Die Aufgaben der Luftsicherheitsbehörden nach diesem Gesetz und nach der Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt (ABl. EG Nr. L 355 S. 1) werden von den Ländern im Auftrage des Bundes ausgeführt, soweit in den Absätzen 3 und 4 nichts anderes bestimmt ist.

(3) ... Im Übrigen können die Aufgaben der Luftsicherheitsbehörden nach diesem Gesetz in bundeseigener Verwaltung ausgeführt werden, wenn dies zur Gewährleistung der bundeseinheitlichen Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen erforderlich ist. In den Fällen des Satzes 2 werden die Aufgaben von der vom Bundesministerium des Innern bestimmten Bundesbehörde wahrgenommen; das Bundesministerium des Innern macht die Übernahme von Aufgaben sowie die zuständigen Bundesbehörden im Bundesanzeiger bekannt.

(4) ...

7

Art. 2 Nr. 10 Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben

Änderung des Luftverkehrsgesetzes

Das Luftverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. März 1999 (BGBl. I S. 550), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 6. April 2004 (BGBl. I S. 550, 1027), wird wie folgt geändert:

...

10. § 31 Abs. 2 wird wie folgt geändert:

a) In Nummer 18 wird das Semikolon am Ende durch einen Punkt er- setzt.

b) Nummer 19 wird aufgehoben.

...

8

Bei dem gemäß Buchstabe b) dieser Bestimmung aufgehobenen § 31 Abs. 2 Nr. 19 des LuftVG a.F. handelte es sich um die frühere Regelung zur Art und Weise der Ausführung von Aufgaben des Schutzes vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs. Für diese Aufgaben war danach grundsätzlich die Ausführung durch die Länder im Auftrage des Bundes vorgesehen und die Möglichkeit der Ausführung in bundeseigener Verwaltung - nur - auf Antrag eines Landes eröffnet.

9

2. Die wiedergegebenen Bestimmungen sind zwischenzeitlich nur unwesentlich geändert worden. In § 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG wurden die Wörter "für die Flugsicherung zuständigen Stelle" durch das Wort "Flugsicherungsorganisation" (Gesetz zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften vom 29. Juli 2009, BGBl I S. 2424) und in § 16 Abs. 4 Satz 2 LuftSiG die Wörter "Verkehr, Bau- und Wohnungswesen" durch die Wörter "Verkehr, Bau und Stadtentwicklung" ersetzt (Neunte Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 31. Oktober 2006, BGBl I S. 2407).

II.

10

1. Der Normenkontrollantrag ging am 28. April 2005 beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Bearbeitung des Verfahrens wurde zurückgestellt bis zur Entscheidung des Ersten Senats über mehrere anhängige Verfassungsbeschwerden gegen § 14 Abs. 3 LuftSiG.

11

2. Mit Urteil vom 15. Februar 2006 - 1 BvR 357/05 - (BVerfGE 115, 118) erklärte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts § 14 Abs. 3 LuftSiG für mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 87a Abs. 2 und Art. 35 Abs. 2 und 3 sowie in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig. Für die Bestimmung fehle die Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Dessen Befugnis, gesetzliche Regelungen zum Einsatz der Streitkräfte im regionalen oder überregionalen Katastrophennotstand zu treffen, könne nicht auf Art. 73 Nr. 1 oder Art. 73 Nr. 6 GG gestützt werden, sondern folge unmittelbar aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG selbst (a.a.O., S. 140 f.). Von der durch diese Verfassungsnormen eröffneten Kompetenz sei § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht gedeckt (a.a.O., S. 141 ff.). Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG stünden zwar einem Einsatz im Fall eines vorsätzlich herbeigeführten Unglücksfalls ebensowenig entgegen wie einem Einsatz zur Abwehr eines noch nicht eingetretenen, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze zu erwartenden, unmittelbar drohenden Schadensereignisses (a.a.O., S. 143 ff.). Nach Wortlaut und durch die Entstehungsgeschichte bestätigtem Zweck des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG sei jedoch ein Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht erlaubt (a.a.O., S. 146 ff.). § 14 Abs. 3 LuftSiG sei auch mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht vereinbar. Verfassungsrechtlichen Bedenken begegne die Vorschrift schon deshalb, weil der danach zulässige Streitkräfteeinsatz gemäß § 13 Abs. 3 LuftSiG nicht durchweg, wie von Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 62 GG gefordert, eine vorherige Einsatzentscheidung der Bundesregierung als Kollegium voraussetze (a.a.O., S. 148 ff.). Auch im Fall des überregionalen Katastrophennotstands sei zudem ein Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht erlaubt (a.a.O., S. 150 f.). Materiell stehe § 14 Abs. 3 LuftSiG darüber hinaus nicht mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG in Einklang, soweit er es den Streitkräften gestatte, Luftfahrzeuge abzuschießen, in denen sich neben den Angreifern auch Menschen befinden, die an dem Angriff nicht beteiligt, sondern als Opfer von ihm betroffen sind (a.a.O., S. 151 ff.). Auf die Frage, ob das Gesetz, mit dem § 14 Abs. 3 LuftSiG in Kraft gesetzt wurde, der Zustimmung des Bundesrates bedurft hätte, ging der Senat nicht ein; die diesbezügliche Rüge genüge nicht den Begründungsanforderungen der §§ 92, 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BVerfGG (a.a.O., S. 135 f.).

12

3. Die Antragstellerinnen erklärten daraufhin ihren Antrag in dem vorliegenden Verfahren für erledigt, soweit er § 14 Abs. 3 LuftSiG betraf. Die Bearbeitung des Verfahrens blieb auf ihr Ersuchen zunächst weiterhin zurückgestellt.

13

4. Ihren Antrag begründeten die Antragstellerinnen wie folgt:

14

a) Für den Erlass der §§ 13 bis 15 LuftSiG habe dem Bund die Gesetzgebungskompetenz gefehlt. Die in §§ 13 bis 15 LuftSiG geregelten Einsatzmaßnahmen dienten nicht der Verteidigung im Sinne des Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG und des Art. 87a Abs. 1 GG. Der Angriff mittels eines Flugzeuges von außerhalb der Staatsgrenzen sei ein durch Verteidigung im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG zu beantwortender Angriff nur, wenn es sich dabei um einen Angriff eines anderen Staates oder eines De-facto-Regimes auf die Bundesrepublik Deutschland handle oder wenn und soweit internationale terroristische Aggressionen ein Ausmaß erreichten, das das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta auslöse. Ob die Grundsatz- und Grenzbestimmung des Grundgesetzes für den Verteidigungsauftrag der Streitkräfte durch ein ungeschriebenes Staatsnotrecht für den Fall von Angriffen, die auf die Beseitigung des Gemeinwesens und die Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsordnung gerichtet sind, ergänzt werden müsse, könne offen bleiben, da die §§ 13 ff. LuftSiG keine derartigen Vorgänge voraussetzten.

15

Kraft des nach der bindenden Entscheidung des Ersten Senats dem Bund unmittelbar aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG zustehenden Gesetzgebungsrechts für Fälle der Unterstützung der Länder in der polizeilichen Gefahrenabwehr könne ein Einsatz mit spezifisch militärischen Waffen nicht durch Bundesgesetz vorgesehen und geregelt werden.

16

Es stehe mit Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG nicht in Einklang, dass das Luftsicherheitsgesetz den Bund ermächtige, die Bundeswehr zur Gefahrenabwehr mit militärischen Waffen nach Bundesrecht einzusetzen. Nach Art. 35 GG könnten die Streitkräfte nur von den Befugnissen Gebrauch machen, die das Landesrecht für die polizeiliche Aufgabe der Gefahrenabwehr bereithalte. § 14 Abs. 1 LuftSiG regle demgegenüber bundesrechtlich den Einsatz der Streitkräfte in ihrer spezifischen Eigenschaft und Fähigkeit als bewaffnete Macht und gestatte die Verwendung spezifisch militärischer Waffen. § 13 Abs. 3 Satz 2 bis 4 LuftSiG stehe, wie das Urteil des Ersten Senats bestätige, nicht in Einklang mit Art. 35 Abs. 3 GG, der die Entscheidung über den Einsatz, da es sich hier um einen schwerwiegenden Eingriff in das bundesstaatliche Rechtsverhältnis handele, der Bundesregierung als Kollegialorgan (Art. 62 GG) zuweise.

17

§ 14 Abs. 4 sowie § 15 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 LuftSiG seien, soweit auf § 14 Abs. 3 LuftSiG bezogen, mit der Nichtigerklärung dieser Bestimmung obsolet geworden.

18

b) Die mit § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG sowie Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben getroffenen Regelungen hätten gemäß Art. 87d Abs. 2 GG der Zustimmung des Bundesrates bedurft. Die Kompetenz des Bundes gemäß Art. 87d Abs. 2 GG, bundeseigene Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung gemäß Art. 87d Abs. 1 Satz 1 GG den Ländern als Auftragsverwaltung zu übertragen, umfasse auch die Befugnis, die übertragenen Aufgaben ganz oder teilweise zurückzunehmen. Die Rückübertragung könne auch aufgrund einer ausreichenden Ermächtigung in dem Gesetz durch eine Regelung der Exekutive erfolgen. Die Voraussetzungen der Rückübertragung müssten aber durch das Gesetz in bestimmter Weise vorgezeichnet sein. Die Generalklausel des § 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG lasse Ermessensentscheidungen ohne hinreichend bestimmte und berechenbare Maßgaben zu. Ein Gesetz, das ein mit Zustimmung des Bundesrates ergangenes Gesetz ändere, sei zustimmungsbedürftig, wenn es Regelungen ändere, welche die Zustimmungsbedürftigkeit des geänderten Gesetzes ausgelöst haben. Eine Einschränkung dieser Regel werde offenbar für Regelungskonstellationen im Bereich von Art. 84 Abs. 1 GG anerkannt, die keinen weiteren Einbruch des Bundes in die Verwaltungszuständigkeit der Länder bewirken. Das Organisations- und Verwaltungsinteresse der Länder werde jedoch bei der Übertragung und Rückübertragung von Aufgaben gemäß Art. 87d Abs. 2 GG in anderer Weise berührt als bei einer bundesgesetzlichen Regelung der Behördeneinrichtung und des Verwaltungsverfahrens. Der äußerlich als actus contrarius zur Aufgabenübertragung erscheinende Akt der Rückübertragung stelle eine selbständige Regelung der bundesstaatlichen Kompetenzordnung dar, die das Grundgesetz einer besonderen Entscheidung des Gesetzgebers überlassen habe. In beiden Fällen müsse folgerichtig die Frage der notwendigen Zustimmung durch den Bundesrat in gleicher Weise beantwortet werden. Die Rückübertragung beeinträchtige zudem die organisatorischen und finanziellen Belange der Länder, die die für den Verwaltungsvollzug notwendigen personellen und sachlichen Vorkehrungen getroffen hätten.

19

Überdies verletze die in § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG getroffene Regelung den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens.

III.

20

1. Die Bundesregierung äußerte sich dahin, dass der Normenkontrollantrag unbegründet sei.

21

a) Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Erlass der §§ 13 bis 15 LuftSiG sei aus Art. 73 Nr. 1 GG a.F. und aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG ableitbar; sie bestehe unabhängig davon, welche dieser beiden Vorschriften herangezogen werde. Hilfsweise lasse sie sich auch aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG begründen.

22

Der Gesetzgebungskompetenz des Bundes stehe, auch wenn man mit dem Urteil des Ersten Senats davon ausgehe, dass sie sich aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG ergibt, nicht entgegen, dass diese Vorschriften einen Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht erlaubten. Die nach der Nichtigerklärung des § 14 Abs. 3 LuftSiG verbleibenden Regelungen der §§ 13 bis 15 LuftSiG setzten nicht den Einsatz militärischer Kampfmittel voraus. § 14 Abs. 1 LuftSiG erlaube zwar die Androhung von Waffengewalt und die Abgabe von Warnschüssen. Diese Bestimmung lasse sich jedoch zwanglos dahin auslegen, dass nur die Waffen gemeint seien, die das Recht des betreffenden Landes für dessen Polizeikräfte vorsehe.

23

Die in § 13 Abs. 3 LuftSiG statuierte Eilkompetenz für den Fall einer nicht rechtzeitig möglichen Entscheidung der Bundesregierung sei von Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG gedeckt. Soweit diese Verfassungsbestimmung Maßnahmen des Bundes zur Gefahrenabwehr gestatte, gelte dies zugleich für die notwendige Regelung von Verfahren, um diese Maßnahmen effektiv treffen zu können. § 13 Abs. 3 LuftSiG trage dem grundsätzlichen Entscheidungsvorbehalt der Bundesregierung soweit wie möglich Rechnung, indem er in Satz 3 deren unverzügliche nachträgliche Entscheidung gebiete.

24

b) Das Luftsicherheitsgesetz sei weder im Hinblick auf die Übertragung von Aufgaben auf die Länder in §§ 7 f. LuftSiG noch im Hinblick auf die Einführung der Bundesinitiativlösung in § 16 Abs. 3 Satz 3 LuftSiG oder die Regelung des Verwaltungsverfahrens in § 7 LuftSiG zustimmungsbedürftig gewesen. Zustimmungspflichtig sei zunächst die Übertragung von Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung auf die Länder. Ein Änderungsgesetz, das übertragene Aufgaben betreffe, bedürfe der Zustimmung nur, wenn die bereits übertragenen Aufgaben qualitativ verändert würden, ihnen also eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite verliehen werde. Das sei hier nicht der Fall. Bereits nach § 31 Abs. 2 Nr. 19 LuftVG a.F. sei den Ländern die gesamte Aufgabe der Abwehr von Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs als Auftragsangelegenheit übertragen gewesen; die neuen Regelungen gingen hierüber nicht hinaus. Ein Aufgabenzuwachs quantitativer Art begründe keine neue Zustimmungsbedürftigkeit, wenn der Bundesrat der fraglichen Aufgabenwahrnehmung schon früher zugestimmt habe. Die in § 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG getroffene Regelung sei nicht zustimmungspflichtig, da Art. 87d Abs. 2 GG einen Zustimmungsvorbehalt nur für die Übertragung vorsehe. Zur analogen Anwendung dieser Bestimmung auf Rückübertragungen bestehe kein Anlass. Die Rückübertragung beeinträchtige keine schutzwürdigen Länderbelange. Auch der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens begründe deshalb keinen Zustimmungsvorbehalt. Das Verwaltungsverfahren zur Zuverlässigkeitsprüfung sei mit § 7 LuftSiG nur modifiziert, nicht aber substantiell neu geregelt worden. Zudem lasse sich aus Art. 85 Abs. 1 GG kein Zustimmungsvorbehalt für Regelungen des Verwaltungsverfahrens ableiten.

25

2. Die weiteren Äußerungsberechtigten haben keine Stellungnahme abgegeben.

IV.

26

In einer mündlichen Verhandlung am 10. Februar 2010 haben die Antragstellerinnen und die Bundesregierung ihren schriftlichen Vortrag ergänzt und vertieft.

27

Als sachkundige Auskunftspersonen äußerten sich für die Bayerische Staatsregierung der Sachgebietsleiter Einsatz der Bayerischen Polizei im Bayerischen Staatsministerium des Innern, Ministerialrat Hubertus Andrä, für die Hessische Landesregierung der Inspekteur der Hessischen Polizei, Udo Münch, sowie Polizeivizepräsident Robert Schäfer (Polizeipräsidium Wiesbaden), und für die Bundesregierung der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, der Präsident des Bundespolizeipräsidiums, Matthias Seeger, sowie der Kommandeur der Führungszentrale Nationale Luftverteidigung, Generalleutnant Friedrich-Wilhelm Ploeger. Die Auskunftspersonen äußerten sich zur Gefahr von Anschlägen unter anderem aus dem Luftraum beziehungsweise zu den bestehenden Abwehrmöglichkeiten. Es bestand Übereinstimmung, dass die Gefahr ernstzunehmen sei und ihr mit den Mitteln der Polizeien nicht ausreichend begegnet werden könne.

28

Generalleutnant Ploeger stellte die praktischen Vorkehrungen für eine Verwendung der Luftwaffe in den Fällen des Luftsicherheitsgesetzes dar. Hierfür würden Flugzeuge genutzt, die primär der integrierten NATO-Luftverteidigung zur Verfügung stünden und entsprechend ausgerüstet seien. Diese überwache den Luftraum über den Mitgliedstaaten zum Schutz vor Angriffen kontinuierlich und möglichst lückenlos. Im Fall des Verdachts auf einen bevorstehenden kriminellen Anschlag mittels eines Luftfahrzeuges (sog. Renegade-Fall) stünden die NATO-Mittel den Mitgliedstaaten in nationaler Verantwortung zur Verfügung. Die sonst für die operative Luftverteidigung bei einem militärischen Angriff zuständige Führungszentrale Nationale Luftverteidigung könne dann ein Luftlagebild erstellen, die Kommunikation zwischen zivilen und militärischen Stellen gewährleisten und gegebenenfalls den Einsatz von Jagdflugzeugen steuern. Dies erfolge anhand der Zusammenarbeitsgrundsätze von Bund und Ländern, die alle Informationsabläufe, Verfahrensweisen und Rahmenbedingungen regelten, um Gefahren für die Sicherheit im deutschen Luftraum durch Renegade-Luftfahrzeuge bestmöglich abzuwehren. Gehe der Funkkontakt zu einem Luftfahrzeug verloren, werde die Führungszentrale informiert. Dort würden alle zu dem Luftfahrzeug verfügbaren Daten zusammengeführt. Könne der Funkkontakt auf den herkömmlichen Wegen nicht wiederhergestellt werden, stiegen Jagdflugzeuge auf. Dies geschehe etwa 30 bis 40 Mal jährlich. Gleichzeitig mit dem Start der Jagdflugzeuge würden der Inspekteur der Luftwaffe und über den Verbindungsbeamten der Bundespolizei im Führungszentrum die Lagezentren des Bundes und der Länder informiert. Die Besatzungen der Jagdflugzeuge versuchten dann, Sichtkontakt mit der Besatzung des anderen Flugzeugs aufzunehmen. Dieser könnten durch Flügelbewegungen gemäß internationalem Code Verhaltenssignale übermittelt werden. Gemäß § 14 Abs. 1 LuftSiG könnten die Jagdflugzeuge bei Bedarf sogenannte Infrarot-Täuschkörper zünden, die selbst in hellem Sonnenlicht von der Besatzung des Renegade-Flugzeugs nicht übersehen werden könnten und ihr signalisierten, dass Anweisungen der Jagdflugzeugbesatzung zu befolgen seien. Nach der Nichtigerklärung von § 14 Abs. 3 LuftSiG bestehe keine Möglichkeit mehr, die Befolgung zu erzwingen; insofern sei man letztlich auf Kooperation angewiesen. Die Aussicht auf solche Kooperation könne aber durch die verbleibenden Handlungsmöglichkeiten gesteigert werden. Aufgrund der Geschwindigkeit heutiger Verkehrsflugzeuge, die in der Minute etwa 12 bis 15 km zurücklegten, vergingen zwischen dem ersten Gefahranzeichen und dem Eintritt des Schadens im Ernstfall möglicherweise nur 15 bis 20 Minuten. Deshalb sei es im Renegade-Fall wichtig, kurzfristig Informationen auch unmittelbar an dem betroffenen Flugzeug zu sammeln, um die Gefahr richtig beurteilen und die angemessenen Abwehrmaßnahmen einleiten zu können.

29

Der Inspekteur der Hessischen Polizei und der Präsident des Bundeskriminalamts legten ebenfalls dar, dass die verbleibenden Möglichkeiten der Informationsgewinnung und Beeinflussung von Bedeutung seien. Von einem begleitenden Jagdflugzeug aus könne ermittelt werden, was im Cockpit des Renegade-Flugzeugs vor sich gehe, wer das Flugzeug steuere, ob ein Täter fliege, die Flugbewegungen unsicher und Waffen erkennbar seien. Diese Informationen könnten Anhaltspunkte für die Nutzung polizeipsychologischer Mittel liefern. Jagdflugzeuge könnten als polizeitaktisches Mittel zur Verunsicherung des Täters genutzt werden, zumal es nach polizeilicher Erfahrung kein festes Täterraster gebe, Angreifer vielmehr auf ihre Taten physisch und psychisch unterschiedlich vorbereitet seien.

30

Die Ergebnisse dieser mündlichen Verhandlung sind über die Abschrift des Tonbandprotokolls (§ 25a Satz 2 BVerfGG) in die Beratung über die vorliegende Entscheidung einbezogen worden (s. dazu unter A.VI.2. und B.).

V.

31

Der Zweite Senat, der bei seiner Entscheidung in drei Punkten von Rechtsauffassungen des Ersten Senats in dessen Urteil zum Luftsicherheitsgesetz (s.o. II.2.) abweichen wollte, hat das Plenum des Bundesverfassungsgerichts angerufen. Dieses hat über die zwischen den Senaten strittigen Verfassungsfragen mit Beschluss vom 3. Juli 2012 (- 2 PBvU 1/11 -, juris) folgendermaßen entschieden:

32

1. Die Gesetzgebungszuständigkeit für die §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) ergibt sich aus Artikel 73 Nummer 6 des Grundgesetzes in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 2034) geltenden Fassung.

2. Artikel 35 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 des Grundgesetzes schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei einem Einsatz der Streitkräfte nach diesen Vorschriften nicht grundsätzlich aus, lassen sie aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die einem bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren durch Artikel 87a Absatz 4 GG gesetzt sind.

3. Der Einsatz der Streitkräfte nach Artikel 35 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes ist, auch in Eilfällen, allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässig.

VI.

33

1. Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2012 haben die Antragstellerinnen unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen in den früheren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010 erklärt, der Normenkontrollantrag werde aufrechterhalten.

34

Der Bund könne von seinem Gesetzgebungsrecht über den Luftverkehr (Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG) oder kraft konkludenter Kompetenz zur Regelung der Amtshilfe durch die Streitkräfte (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG) nur Gebrauch machen, wenn ein Einsatz der Streitkräfte durch das Grundgesetz ausdrücklich zugelassen sei (Art. 87a Abs. 2 GG). Eine entsprechende Zulassung könne sich nur aus den Amtshilfevorschriften des Art. 35 GG ergeben. Die in § 14 Abs. 1 LuftSiG vorgesehenen Maßnahmen der Streitkräfte seien ein Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen als Mittel der vollziehenden Gewalt, fielen damit unter den Vorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG und könnten, soweit verfassungsrechtlich zulässig, bei einem überregionalen Unglücksfall nur durch die Bundesregierung angeordnet werden (Art. 35 Abs. 3 GG).

35

Der Beschluss des Plenums vom 3. Juli 2012 befinde nicht über konkrete Rechtsfolgen, sondern über die vorgelegte abstrakte Rechtsauffassung. Das Plenum habe sich weder die Rechtsauffassung des Ersten Senats zu eigen gemacht noch die in der Vorlage des Zweiten Senats enthaltene abweichende Rechtsauffassung übernommen.

36

Die angenommene "Sperrwirkung" des Art. 87a Abs. 4 GG für die Abwehr innerer Unruhen, die von nichtstaatlichen Angreifern ausgehen, könne und müsse möglicherweise der Sache nach so verstanden werden, dass ein Kampfeinsatz der Streitkräfte mit militärischen Waffen, der - wie in § 14 LuftSiG vorgesehen - hoheitliche Gewalt gegen Personen einschließe, nur in dem abschließend geregelten Fall des inneren Notstandes im Sinne des Art. 87a Abs. 4 GG zulässig sei. Diese Auslegung werde durch Art. 91 GG bekräftigt, wonach zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes nur ein Einsatz von Polizeikräften vorgesehen und zugelassen sei. Die danach gegebene Unterscheidung der Zulässigkeit des Kampfeinsatzes der Streitkräfte einerseits im inneren Notstand, andererseits bei der Amtshilfe sei überdies - wie in der abweichenden Meinung des Richters Gaier überzeugend dargelegt - klar in der Entstehungsgeschichte der Notstands-Novelle von 1968 hervorgetreten. Aus alledem folge, dass Art. 35 GG jedenfalls bei der Anwendung spezifisch militärischer Mittel gegen Personen ein dem Vorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG genügender Einsatztatbestand nicht entnommen werden könne.

37

Die Klausel "zur Unterstützung" der Polizeikräfte betreffe die Art und Weise des Einsatzes, enthalte aber für sich genommen keinen die Zulässigkeit des Einsatzes begründenden Tatbestand. Sie habe deshalb in Art. 35 Abs. 3 GG und in Art. 87a Abs. 4 GG eine unterschiedliche, durch die jeweils geregelte Gefahrenlage bestimmte Bedeutung. Aber auch wenn man mit dem Plenarbeschluss annehme, dass Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG unter bestimmten eine Ausnahmesituation darstellenden Umständen einen Streitkräfteeinsatz mit militärischen Mitteln zuließen, um eines besonderen Unglücksfalles Herr zu werden, lasse sich die Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG, insbesondere des § 14 Abs. 1 LuftSiG, nicht begründen. Das Plenum beschreibe das Tatbestandsmerkmal des besonders schweren Unglücksfalles dahingehend, dass nur Ereignisse von "katastrophischen Dimensionen", "ungewöhnliche Ausnahmesituationen", "äußerste Ausnahmefälle", bei "besonders gravierenden Luftzwischenfällen" den Streitkräfteeinsatz mit militärischen Waffen zuließen. Dem trügen die gesetzlichen Regelungen der §§ 13 bis 15 LuftSiG nicht Rechnung; sie stellten allein darauf ab, dass aufgrund eines erheblichen Zwischenfalls Tatsachen vorlägen, die im Rahmen der Gefahrenabwehr die Annahme begründeten, dass ein besonders schwerer Unglücksfall nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG bevorstehe. Die Amtshilfe umfasse nach der Verfassung nicht auch einen Kampfeinsatz der Streitkräfte zur Bekämpfung krimineller oder terroristischer Angriffe. Die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit müssten hier auch und gerade eine Schranke des militärischen Handelns der Streitkräfte bilden. Mit der bloßen Wiederholung des aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG entnommenen Merkmals des "besonders schweren Unglücksfalles" seien die vom Plenarbeschluss geforderten engeren Eingriffsvoraussetzungen in den §§ 13 bis 15 LuftSiG nicht hinreichend bestimmt festgelegt. Hinzu komme, dass nach Auffassung des Plenums der Unglücksfall bereits vorliegen müsse, während § 13 Abs. 1 LuftSiG es genügen lasse, dass ein Unglücksfall bevorstehe, und § 14 Abs. 1 LuftSiG den Einsatz spezifisch militärischer Mittel schon "zur Verhinderung des Eintritts" eines besonders schweren Unglücksfalles zulasse. Der Mangel eines hinreichend eng begrenzten und bestimmten Eingriffstatbestandes könne nicht durch Bindung an die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit ersetzt oder kompensiert werden.

38

Das Luftsicherheitsgesetz beachte das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates nicht, das sich aus den Regelungen des § 16 Abs. 2 und 3 Sätze 2 und 3 LuftSiG, Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben ergebe. Auch wenn die Rückübertragung von Aufgaben der Ausführung von Bundesgesetzen, die zunächst den Ländern übertragen gewesen seien, auf den Bund der Zustimmung des Bundesrates als solche nicht unterworfen sei, wie der erkennende Senat im Beschluss vom 4. Mai 2010 (BVerfGE 126, 77) entschieden habe, könne sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles etwas anderes ergeben. Der Bundesgesetzgeber habe bei der Wahrnehmung der Möglichkeit der Rückübertragung von Aufgaben den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens zu beachten. Die Aufgabenübertragung sei ursprünglich nach § 31 Abs. 2 Nr. 19 Satz 2 LuftVG a.F. mit guten Gründen von einem Antrag eines Landes abhängig gewesen. Dabei sei gerade auch von Bedeutung gewesen, dass die fraglichen Vollzugsaufgaben hier im Rahmen der Amtshilfe und der Unterstützung für die Polizeikräfte ein von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG verfassungsrechtlich spezifisch vorstrukturiertes Zusammenwirken der Polizei- und Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes sowie der Streitkräfte im Bundesstaat voraussetzten. Ein Einvernehmen des Landes mit der Rückübertragung von Aufgaben der Luftsicherheit auf den Bund würde der fortbestehenden Kompetenz des Landes für die Gefahrenabwehr im Bereich der inneren Sicherheit entsprechen und der Organisations- und Finanzverantwortung des Landes Rechnung tragen. Es würde überdies eine sachgerechte Erfüllung der fraglichen Aufgaben sicherstellen. Unter diesen Umständen müsse aus der Bindung der dem Bund nach Art. 87d Abs. 2 GG zustehenden Kompetenz zur Rückübertragung von Aufgaben an die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten das Verfassungsgebot abgeleitet werden, auf die hier berührten Belange der Länder Rücksicht zu nehmen, zumindest durch geeignete Mitwirkungsrechte des Landes. Ein Gesetz, das wie das Luftsicherheitsgesetz die in Art. 87d Abs. 2 GG geregelte Zuständigkeit von Bund und Ländern bei der Ausführung von Bundesrecht wesentlich ändere, bedürfe der Zustimmung des Bundesrates.

39

2. Mit Schriftsatz vom 12. November 2012 haben die Antragstellerinnen unter erneuter Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen, einschließlich des Vorbringens in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010, für das sie auf das Tonbandprotokoll gemäß § 25a BVerfGG verweisen (vgl. dazu u. B.), auf eine erneute mündliche Verhandlung verzichtet.

40

3. Eine Gegenäußerung der Bundesregierung ist nicht erfolgt.

B.

41

Der Senat hat in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung zu entscheiden und kann dies ohne erneute mündliche Verhandlung tun.

42

Im Zeitraum seit der ersten Beratung der Sache im Senat am 24. November 2009 sind vier Richter aus dem Senat ausgeschieden. Da die an ihrer Stelle neu hinzugekommenen Richter Huber, Hermanns, Müller und Kessal-Wulf nicht zur Fortsetzung der bereits begonnenen Beratung hinzutreten können (§ 15 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG) und der Senat mit den aus der früheren Besetzung verbliebenen vier Richtern nicht beschlussfähig ist (§ 15 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG), musste gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG die Beratung neu begonnen werden. Für die nach erneuter Beratung zu treffende Entscheidung ist der Senat in seiner vollen Besetzung - nicht in einer nur bis zum Wiedererreichen des Beschlussfähigkeitsquorums von sechs Richtern aufgefüllten - zuständig. Dies ist die Normalbesetzung (§ 2 Abs. 2 BVerfGG). Von ihr unter den vorliegenden Umständen abzuweichen sieht das Gesetz nicht vor.

43

Eine erneute mündliche Verhandlung war nicht erforderlich, weil die Antragstellerinnen gemäß § 25 Abs. 1 BVerfGG auf sie verzichtet haben. Da die Antragstellerinnen auf ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010 Bezug nehmen, hat allen Mitgliedern des Senats die Abschrift des Tonbandprotokolls dieser Verhandlung vorgelegen.

C.

I.

44

1. Das Verfahren ist, soweit es § 14 Abs. 3 LuftSiG betrifft, durch das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006 - 1 BvR 357/05 - (BVerfGE 115, 118 <119>) erledigt und daher gemäß der Erklärung der Antragstellerinnen (A.II.3.) einzustellen.

45

2. Der Antrag ist dahin auszulegen, dass er sich auf die infolge der Nichtigerklärung des § 14 Abs. 3 LuftSiG (BVerfG a.a.O.) gegenstandslos gewordenen Teile der §§ 13 bis 16 LuftSiG14 Abs. 4 Satz 1 LuftSiG sowie die in § 15 Abs. 1 und 2 LuftSiG enthaltenen Verweisungen auf § 14 Abs. 3 LuftSiG), hinsichtlich derer er mangels objektiven Klarstellungsinteresses unzulässig wäre (vgl. BVerfGE 97, 198 <213 f.>; 113, 167 <193>; 119, 394 <410>), nicht bezieht. Die Antragstellerinnen selbst haben diese Teile als obsolet bezeichnet und damit verdeutlicht, dass sie insoweit eine verfassungsgerichtliche Klarstellung nicht begehren.

II.

46

Der in dieser Auslegung uneingeschränkt zulässige Antrag ist begründet, soweit er die Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes zur ministeriellen Eilkompetenz für die Entscheidung über einen Streitkräfteeinsatz im überregionalen Katastrophennotstand betrifft (1.). Im Übrigen ist der Antrag unbegründet (2.).

47

1. § 13 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG ist mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar und nichtig.

48

a) Ist im Falle eines überregionalen Katastrophennotstandes (Art. 35 Abs. 3 GG) eine rechtzeitige Entscheidung der regulär zuständigen Bundesregierung (§ 13 Abs. 3 Satz 1 LuftSiG) über einen Einsatz der Streitkräfte nicht möglich, so entscheidet nach § 13 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern. Nach § 13 Abs. 3 Satz 3 LuftSiG ist auch in diesem Fall die Entscheidung der Bundesregierung unverzüglich herbeizuführen.

49

Diese Regelungen sind unvereinbar mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG, der, wie das Plenum des Bundesverfassungsgerichts entschieden hat, einen Einsatz der Streitkräfte auch in Eilfällen allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässt (vgl. Beschluss vom 3. Juli 2012 - 2 PBvU 1/11 -, juris, Nr. 3 des Tenors sowie Rn. 52 ff.).

50

b) Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit des § 13 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG ist die Nichtigkeit (§ 78 Satz 1 BVerfGG). Eine bloße Unvereinbarerklärung (§ 31 Abs. 2 Satz 3, § 79 Abs. 1 BVerfGG), gar in Verbindung mit dem Ausspruch der Verpflichtung des Gesetzgebers, innerhalb einer bestimmten Frist eine verfassungskonforme Regelung zu treffen (vgl. BVerfGE 101, 106 <132>; 118, 45 <78>; 121, 266 <316>; 125, 175 <257 f., 259>), kommt nicht in Betracht.

51

Eine bloße Unvereinbarkeit ist allerdings auszusprechen, wenn der Zustand, der sich im Falle der Nichtigkeit ergäbe, der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner stünde als die befristete Weitergeltung der verfassungswidrigen Regelung (vgl. nur BVerfGE 41, 251 <267>; 61, 319 <356>; 83, 130 <154>; 85, 386 <401>; 87, 153 <177 f.>; 97, 228 <270>). Die Beschränkung auf eine Unvereinbarerklärung, mit der dem Gesetzgeber Zeit gegeben wird, die Rechtslage verfassungskonform zu gestalten, ohne dass zwischenzeitlich ein verfassungswidriger Rechtszustand durch einen noch verfassungsferneren ersetzt wird, kann unter anderem für den Fall geboten sein, dass anderenfalls Schutzlücken entstünden (vgl. BVerfGE 83, 130 <154>; 109, 190 <235 f.>).

52

Mit der Nichtigerklärung der Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes zur ministeriellen Eilkompetenz für Einsatzentscheidungen im überregionalen Katastrophennotstand kann sich - abhängig auch von den für die Willensbildung der Bundesregierung maßgeblichen Bestimmungen - zwar eine gravierende Schutzlücke (vgl. Fastenrath, JZ 2012, S. 1128 <1131>) ergeben, weil insbesondere im Fall eines Terrorangriffs mittels Flugzeugs die bei überregionaler Bedeutung erforderliche Einsatzentscheidung der Bundesregierung unter Umständen nicht rechtzeitig wird herbeigeführt werden können. Eine solche Schutzlücke wäre jedoch nicht durch das einfache Recht, sondern durch die Verfassung selbst bedingt. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht befugt, eine von der Verfassung vorgegebene Rechtslage als verfassungsfern zu qualifizieren.

53

2. Im Übrigen sind die §§ 13 bis 15 LuftSiG, soweit Verfahrensgegenstand (s. unter C.I.), sowie § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG und Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben mit dem Grundgesetz sowohl in formeller (a)) als auch in materieller Hinsicht (b)) vereinbar.

54

a) aa) Der Bund hat die Gesetzgebungskompetenz für die zur Prüfung stehenden Vorschriften.

55

Für die §§ 13 bis 15 LuftSiG in der zur Prüfung gestellten Fassung ergibt sich die Gesetzgebungszuständigkeit aus Art. 73 Nr. 6 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die ausschließliche Gesetzgebung über den Luftverkehr zuweist (vgl. BVerfG, Beschluss des Plenums vom 3. Juli 2012 - 2 PBvU 1/11 -, juris, Nr. 1 des Tenors sowie Rn. 14 ff.; s.o. A.V.). Soweit die Antragstellerinnen vorbringen, der Bund könne von diesem Gesetzgebungsrecht nur Gebrauch machen, wenn ein Einsatz der Streitkräfte durch das Grundgesetz ausdrücklich zugelassen sei, kann dies nicht die aus der genannten Grundgesetzbestimmung folgende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die §§ 13 bis 15 LuftSiG in Frage stellen, die von den materiell-verfassungsrechtlichen Grenzen der Einsetzbarkeit der Streitkräfte gerade nicht abhängt (vgl. BVerfG , a.a.O. Rn. 16).

56

Ob die Regelungen des § 16 LuftSiG und des Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben, soweit sie die Rückübertragung von Luftsicherheitsaufgaben aus der Auftragsverwaltung der Länder auf den Bund betreffen, ebenfalls eine kompetenzielle Grundlage in Art. 73 Nr. 6 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG) finden, kann offenbleiben. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich insoweit jedenfalls aus Art. 87d Abs. 2 GG, der für die Übertragung von Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung auf die Länder ausdrücklich ein Bundesgesetz vorsieht und damit auch eine Bundeskompetenz für etwaige Rückübertragungsregelungen begründet (vgl. BVerfGE 97, 198 <226>).

57

bb) Das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben und damit auch das Luftsicherheitsgesetz, das als dessen zentraler Bestandteil erlassen wurde, bedurften, wie das Bundesverfassungsgericht zwischenzeitlich in einem anderen Verfahren entschieden hat, nicht der Zustimmung des Bundesrates (vgl. BVerfGE 126, 77 <98>). Ein Zustimmungserfordernis folgte insbesondere auch nicht aus dem Inhalt der in § 16 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG und Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben getroffenen Regelungen (vgl. BVerfG, a.a.O. S. 108 und 110 f.).

58

Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens. Dieser Grundsatz betrifft die Ausübung gegebener Kompetenzen des Bundes und der Länder (s.u. C.II.2.b)bb)(2)), begründet aber keine Zustimmungserfordernisse im Gesetzgebungsverfahren.

59

b) Mit Ausnahme der Regelungen zur ministeriellen Eilkompetenz (s.o. C.II.1.) sind die §§ 13 bis 15 LuftSiG, soweit Verfahrensgegenstand, auch materiell mit dem Grundgesetz vereinbar (aa)). Dasselbe gilt für § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG und Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben (bb)).

60

aa) (1) Die §§ 13 und 14 LuftSiG sind nicht deshalb verfassungswidrig, weil sie vom Grundgesetz nicht zugelassene Einsätze der Streitkräfte im Inneren ermöglichten oder die Voraussetzungen hierfür nicht hinreichend bestimmt festlegten.

61

Nach § 14 Abs. 1 in Verbindung mit § 13 LuftSiG dürfen die Streitkräfte unter näher bezeichneten Voraussetzungen im Luftraum Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben. Damit wird ein Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Mitteln zugelassen.

62

(a) Der Zulässigkeit eines solchen Einsatzes steht nicht die Sperrwirkung des Art. 87a Abs. 4 GG entgegen. Zwar entfaltet diese Bestimmung, die den Einsatz der Streitkräfte im Fall des inneren Notstandes regelt, eine Sperrwirkung dahingehend, dass in Ausnahmesituationen der in Art. 87a Abs. 4 GG geregelten Art die engen Voraussetzungen, an die der Einsatz der Streitkräfte hier geknüpft ist, nicht dadurch unterlaufen werden dürfen, dass ein Einsatz stattdessen etwa auf der Grundlage des Art. 35 Abs. 2 oder 3 GG erfolgt (vgl. BVerfG, Beschluss des Plenums vom 3. Juli 2012 - 2 PBvU 1/11 -, juris, Rn. 45 f.). In Ausnahmesituationen, die nicht von der in Art. 87a Abs. 4 GG geregelten Art sind, kann jedoch ein Einsatz der Streitkräfte auf der Grundlage des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG auch zur Bekämpfung eines Angreifers zulässig sein (BVerfG, a.a.O. Rn. 46). Um solche Ausnahmesituationen handelt es sich bei der Abwehr von Gefahren nach §§ 13, 14 LuftSiG.

63

(b) Die in § 13 und § 14 LuftSiG getroffenen Regelungen überschreiten nicht die Grenzen, die der Zulassung eines Einsatzes der Streitkräfte im Katastrophennotstand dadurch gesetzt sind, dass ein solcher Einsatz nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG einen besonders schweren Unglücksfall voraussetzt. Ihnen fehlt insoweit auch nicht die notwendige Bestimmtheit.

64

(aa) Der Annahme eines besonders schweren Unglücksfalls steht bei einem Ereignis von katastrophischem Ausmaß nicht entgegen, dass es absichtlich herbeigeführt ist (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 46; ebenso bereits BVerfGE 115, 118 <143 f.>).

65

(bb) Ein Verfassungsverstoß liegt auch nicht darin, dass nach dem Wortlaut der zu prüfenden Vorschriften ein Einsatz nicht erst dann zulässig sein soll, wenn ein besonders schwerer Unglücksfall eingetreten ist, sondern - unter näher bezeichneten Voraussetzungen - bereits dann, wenn er "bevorsteht" (§ 13 Abs. 1 LuftSiG) und Einsatzmaßnahmen "zur Verhinderung des Eintritts" des besonders schweren Unglücksfalles (§ 14 Abs. 1 LuftSiG) erforderlich sind.

66

Im Urteil des Ersten Senats zum Luftsicherheitsgesetz vom 15. Februar 2006 ist es als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen worden, dass Einsatzmaßnahmen nach § 14 LuftSiG schon zu einem Zeitpunkt zulässig sein sollen, zu dem sich zwar bereits ein erheblicher Luftzwischenfall im Sinne des § 13 Abs. 1 LuftSiG ereignet hat, der besonders schwere Unglücksfall selbst, der mit den zugelassenen Einsatzmaßnahmen gerade abgewehrt werden soll, aber noch nicht eingetreten ist (vgl. BVerfGE 115, 118 <144>).

67

Von dieser Auslegung der verfassungsrechtlichen Einsatzvoraussetzungen rückt auf den ersten Blick der Plenumsbeschluss vom 3. Juli 2012 ab. Der Unglücksfall muss danach bereits vorliegen, damit zu seiner Bekämpfung oder zur Bekämpfung seiner Schadensfolgen Streitkräfte eingesetzt werden dürfen (BVerfG , a.a.O. Rn. 47). Diese Abkehr von der Rechtsprechung des Ersten Senats betrifft jedoch allein die begriffliche Konstruktion. Eine inhaltlich andere Eingrenzung der Einsatzvoraussetzungen in der Frage, ob und inwieweit bereits vor Schadensverwirklichung eingeschritten werden darf, ist damit nicht verbunden: Dass der Unglücksfall bereits vorliegen muss, damit zu seiner Bekämpfung Streitkräfte eingesetzt werden dürfen, bedeutet nach dem Plenumsbeschluss nicht, dass auch Schäden notwendigerweise bereits eingetreten sein müssen. Von einem Unglücksfall kann auch dann gesprochen werden, wenn zwar die zu erwartenden Schäden noch nicht eingetreten sind, der Unglücksverlauf aber bereits begonnen hat und der Eintritt katastrophaler Schäden unmittelbar droht. Ist die Katastrophe bereits in Gang gesetzt und kann sie nur noch durch den Einsatz der Streitkräfte unterbrochen werden, muss nicht abgewartet werden, bis der Schaden sich realisiert hat. Der Schadenseintritt muss jedoch unmittelbar bevorstehen. Dies ist der Fall, wenn der katastrophale Schaden, sofern ihm nicht rechtzeitig entgegengewirkt wird, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze eintreten wird (vgl. BVerfG , a.a.O. Rn. 47). Bei alledem bezieht sich der Plenumsbeschluss zustimmend, nicht abgrenzend, auf die einschlägigen Ausführungen im Urteil des Ersten Senats (vgl. BVerfG, a.a.O., sowie BVerfGE 115, 118 <144 f.>).

68

Der Unterschied zwischen beiden Entscheidungen liegt demnach in diesem Punkt allein in der Frage, ob die einvernehmlich angenommene Zulässigkeit präventiver Einsätze zur Vermeidung eines unmittelbar bevorstehenden katastrophalen Schadensereignisses mit einer entsprechend weiten Auslegung des Begriffs des besonders schweren Unglücksfalles begründet wird, wonach ein solcher Unglücksfall schon vor Schadenseintritt gegeben sein kann (so der Plenumsbeschluss), oder mit der Annahme der Zulässigkeit eines Einsatzes im unmittelbaren Vorfeld eines enger definierten, erst mit der Schadensverwirklichung eintretenden derartigen Unglücksfalles (so das Urteil des Ersten Senats) begründet wird. Dieser Unterschied ist rein terminologischer Art; er hat keinerlei Rechtsfolgenrelevanz und betrifft daher nicht die Rechtslage in ihrem Inhalt.

69

Entsprechendes gilt für die in § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 14 Abs. 1 LuftSiG gewählten Formulierungen. Die Wortwahl dieser Regelungen entspricht derjenigen im Urteil des Ersten Senats; eine inhaltliche Abweichung von den Maßgaben des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG in ihrer durch den Plenumsbeschluss klargestellten Bedeutung liegt darin, wie gezeigt, nicht. Angesichts des engen Kreises derer, die über das Ob eines Einsatzes zu entscheiden haben (§ 13 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 LuftSiG), liegt in der Wortfassung der § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 14 Abs. 1 LuftSiG auch keine Undeutlichkeit, deretwegen diesen Vorschriften die notwendige maßstäbliche Klarheit und Bestimmtheit (vgl. BVerfGE 110, 33 <54>; 113, 348 <375>) abzusprechen wäre. Insbesondere besteht nicht die Gefahr, dass die Befugnis zum schadenspräventiven Einsatz, die im Grundgesetz und im Luftsicherheitsgesetz gleichermaßen, aber in unterschiedlicher terminologischer Zuordnung angelegt ist, aufgrund dieses Unterschiedes doppelt und damit im Übermaß genutzt wird.

70

(cc) Die §§ 13 und 14 LuftSiG halten sich im Rahmen der Begrenzungen, die sich für Einsätze nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG daraus ergeben, dass die Einsatzvoraussetzung des besonders schweren Unglücksfalls nur in äußersten Ausnahmefällen, bei Ereignissen von katastrophischen Dimensionen (vgl. BVerfG , a.a.O. Rn. 26, 43, 46, 51), erfüllt ist. Mit der Anknüpfung an das - Art. 35 GG entnommene - Tatbestandsmerkmal des besonders schweren Unglücksfalles nehmen § 13 Abs. 1 und § 14 Abs. 1 LuftSiG alle darin liegenden Beschränkungen auf.

71

Mit der Übernahme des verfassungsrechtlichen Begriffs des besonders schweren Unglücksfalles in den genannten Vorschriften ist in der vorliegenden Konstellation auch den Anforderungen an die Bestimmtheit der gesetzlichen Regelungen genügt. Es ist nicht ersichtlich, dass Präzisierungen geeignet sein könnten, die Orientierungsfunktion der gesetzlichen Vorgaben in sachangemessener Weise deutlich zu verbessern.

72

Dass bereits das Grundgesetz selbst in Art. 35 GG für die Bestimmung der Einsatzvoraussetzungen mit dem unbestimmten Rechtsbegriff des besonders schweren Unglücksfalles arbeitet, hat seinen Grund nicht nur in der besonderen, mit detailgenauer Konkretisierung nur eingeschränkt verträglichen Funktion einer Verfassung, sondern auch in der Natur des zu bewältigenden Problems. Schon wegen der Vielfalt der Faktoren und Faktorenkombinationen, die für die besondere Schwere eines Unglücksfalles von Bedeutung sein können, ist der Begriff des besonders schweren Unglücksfalles einer handhabbaren Konkretisierung kaum zugänglich, zumal die Eilbedürftigkeit von Einsatzentscheidungen nach dem Luftsicherheitsgesetz keine langwierigen punktgenauen Ermittlungen auf unterschiedliche Bestimmungsgrößen hin, sondern nur eine mehr oder weniger intuitive Einschätzung erlauben wird. Es ist daher sachgerecht, dass bei Erlass des Luftsicherheitsgesetzes auf eine trennscharfe Präzisierung verzichtet wurde und nur in der Gesetzesbegründung exemplarisch Beispiele aufgeführt sind, die zur Orientierung dienen können (vgl. BRDrucks 827/03, S. 36, sowie BTDrucks 15/2361, S. 20: "Beispiele: Angriff auf Hochhaus, gefährliche Industrieanlage, AKW etc.").

73

(dd) Die strenge verfassungsrechtliche Beschränkung des Streitkräfteeinsatzes auf das Erforderliche, die sowohl das "Ob" als auch das "Wie" des Einsatzes, einschließlich der konkreten Einsatzmittel, betrifft (vgl. BVerfG , a.a.O., Rn. 48), ist mit den zur Prüfung gestellten Vorschriften gewahrt.

74

§ 13 Abs. 1 LuftSiG lässt einen Einsatz nur im Rahmen des Erforderlichen zu. Dass die Erforderlichkeitsklausel sich dabei dem Wortlaut nach auf die Bekämpfung eines bevorstehenden besonders schweren Unglücksfalles bezieht - die Einsatzermächtigung sich also der Formulierung nach nicht auf die Zulassung der Bekämpfung der Folgen eines bereits eingetretenen besonders schweren Unglücksfalles beschränkt -, ist aus den bereits dargestellten Gründen (s. (bb)) unbedenklich und ändert nichts daran, dass der Streitkräfteeinsatz nur als ultima ratio zur Schadensvermeidung zugelassen ist.

75

Entsprechendes gilt für § 14 LuftSiG, der die zulässigen konkreten Einsatzmaßnahmen und die Anordnungsbefugnis hierfür regelt.

76

An der Erforderlichkeit der in § 14 Abs. 1 LuftSiG getroffenen Einsatzregelung fehlt es auch nicht deshalb, weil sie für sich genommen mangels weiterreichender Eingriffsmöglichkeiten nicht geeignet wäre, den verfassungsrechtlichen Einsatzzweck zu fördern. Zwar stellt das Gesetz, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Ermächtigungsnorm des § 14 Abs. 3 LuftSiG für nichtig erklärt hat (vgl. BVerfGE 115, 118 <119>), allenfalls noch für Drohungen, nicht aber für die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt eine Eingriffsgrundlage bereit. Das mindert, jedenfalls gegenüber einem informierten Angreifer, zwangsläufig die Wirksamkeit der Androhung. Dasselbe gilt für die Möglichkeit, Warnschüsse abzugeben (§ 14 Abs. 1 LuftSiG). Es verbleibt aber - in diesem Sinne haben sich übereinstimmend auch die angehörten Fachleute in der mündlichen Verhandlung geäußert - die mögliche psychische Zwangs- oder Irritationswirkung solcher Maßnahmen und des nach § 14 Abs. 1 LuftSiG ebenfalls zulässigen Versuchs, das Luftfahrzeug, von dem die Gefahr ausgeht, durch Flugmanöver auf einen vom vermuteten Angriffsziel wegführenden Kurs zu drängen. Damit lassen sich, je nach den Umständen, auch die Chancen einer erfolgreichen Einwirkung durch Polizeipsychologen erhöhen. Die begrenzten Durchsetzungsmittel, die § 14 Abs. 1 LuftSiG bereitstellt, können danach, wenngleich Schutzlücken offen bleiben, jedenfalls den Einsatzzweck fördern. Für die verfassungsrechtlich unabdingbare Geeignetheit der Regelung reicht dies aus (vgl. im grundrechtlichen Zusammenhang BVerfGE 96, 10 <23>; 100, 313 <373>; 103, 293 <307>; 115, 118 <163>; 117, 163 <188 f.>).

77

(c) Auch die Regelung des § 14 Abs. 4 Satz 2 LuftSiG, die dem Bundesminister der Verteidigung die Möglichkeit einräumt, den Inspekteur der Luftwaffe generell zu ermächtigen, Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 LuftSiG anzuordnen, steht mit dem Grundgesetz in Einklang. Für Fälle, in denen eine auf das Gebiet eines einzelnen Landes beschränkte Gefahr abzuwehren ist (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG), sieht das Grundgesetz eine bestimmte Organzuständigkeit weder für die Entscheidung über den Einsatz als solchen (§ 13 LuftSiG) noch für die Entscheidung über die konkret zu treffenden Einsatzmaßnahmen (§ 14 LuftSiG) vor. Für den Fall des überregionalen Katastrophennotstandes weist Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG zwar der Bundesregierung die Grundsatzentscheidung über den Einsatz zu, trifft damit aber keine verbindliche Aussage darüber, wer die Anordnung konkreter Maßnahmen im Rahmen des von der Bundesregierung gebilligten Einsatzes auszusprechen befugt ist. Der Gesetzgeber ist danach für keinen der in Art. 35 GG geregelten Einsatzfälle gehindert, die auf einzelne Einsatzmaßnahmen bezogenen Befugnisse - auch generell - auf den Inspekteur der Luftwaffe zu übertragen (vgl. Keidel, Polizei und Polizeigewalt im Notstandsfall, 1971, S. 149; Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2007, S. 244; ders., NVwZ 2012, S. 1225 <1228>; Speth, Rechtsfragen des Einsatzes der Bundeswehr unter besonderer Berücksichtigung sekundärer Verwendungen, 1985, S. 142; Franz/Günther, VBlBW 2006, S. 340 <343>; Sattler, NVwZ 2004, S. 1286 <1289>; aus der Gesetzgebungsgeschichte s. BTDrucks V/2873, S. 14).

78

(2) Bei verfassungskonformer Auslegung ist auch § 15 LuftSiG mit dem Grundgesetz vereinbar.

79

Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG können die Streitkräfte auf Ersuchen der für die Flugsicherung zuständigen Stelle im Luftraum Luftfahrzeuge überprüfen, umleiten oder warnen. Der Gesetzgeber hat diese Maßnahmen, anders als die Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 LuftSiG, nicht als Einsatzmaßnahmen im Sinne des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG konzipiert (zur Würdigung als Eingriffsnormen in Abgrenzung zu bloßen Verfahrens- und Mittelbereitstellungsnormen bei der Bestimmung der Kompetenzgrundlage BVerfG , a.a.O. Rn. 20). § 14 LuftSiG ist mit "Einsatzmaßnahmen, Anordnungsbefugnis" überschrieben, § 15 LuftSiG dagegen mit "Sonstige Maßnahmen". In der Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben ist zu § 15 LuftSiG ausgeführt, dass es sich bei den nach Absatz 1 dieser Vorschrift vorrangig zu ergreifenden Maßnahmen um solche im Vorfeld eines Einsatzes nach § 14 LuftSiG, um bloße Amtshilfe, handele (vgl. BRDrucks 827/03, S. 39; BTDrucks 15/2361, S. 21; s. auch Giemulla, in: ders./ van Schyndel, LuftSiG, § 15 Rn. 1 <12/2009>). Die grundsätzliche Zuordnung zum Bereich der Amtshilfe hat zusätzlich in § 15 Abs. 3 LuftSiG Niederschlag gefunden, wonach die "sonstigen Vorschriften und Grundsätze der Amtshilfe" unberührt bleiben. Dieser Zuordnung folgt auch die in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010 - wie aus der Abschrift des Tonbandmitschnitts ersichtlich - dargestellte Praxis: Die zur Abklärung der Erforderlichkeit weitergehender Maßnahmen jährlich 30 bis 40 mal stattfindenden Alarmstarts von Jagdflugzeugen werden nicht als Einsätze im Sinne des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG behandelt und erfolgen daher ohne die Einschaltung der Bundesregierung oder, bei Unglücksfällen von nur regionaler Bedeutung, des Bundesministers der Verteidigung, die für einen Einsatz der Streitkräfte nach diesen Bestimmungen erforderlich wäre (vgl. auch Giemulla, in: ders./van Schyndel, LuftSiG, § 15 Rn. 4 <12/2009>).

80

Die gesetzliche Einordnung von Maßnahmen der Aufklärung und unterstützenden Information als bloße Amtshilfe (Art. 35 Abs. 1 GG), die nicht den Anforderungen für einen Einsatz der Streitkräfte (Art. 35 Abs. 2 und 3 GG) unterliegt, entspricht der verfassungsrechtlichen Abgrenzung. Art. 87a Abs. 2 GG bindet nicht jede Nutzung personeller und sächlicher Ressourcen der Streitkräfte an eine ausdrückliche grundgesetzliche Zulassung, sondern nur ihre Verwendung als Mittel der vollziehenden Gewalt in einem Eingriffszusammenhang. Dementsprechend kann auf Luftzwischenfälle in rein technisch-unterstützender Funktion reagiert werden. Dies verbleibt im Rahmen des Art. 35 Abs. 1 GG und ist daher von den Beschränkungen, die für einen Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG gelten, nicht betroffen (BVerfG, a.a.O. Rn. 50).

81

Allerdings liegt eine Verwendung in einem Eingriffszusammenhang nicht erst bei einem konkreten Vorgehen mit Zwang, sondern bereits dann vor, wenn personelle oder sachliche Mittel der Streitkräfte in ihrem Droh- oder Einschüchterungspotential genutzt werden (BVerfG , a.a.O. Rn. 50). Im Hinblick darauf, dass die Überprüfung eines Luftfahrzeugs durch aufsteigende Jagdflugzeuge nach § 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG typischerweise nicht zur Aufdeckung einer Angriffsabsicht (Renegade-Fall), sondern zur Feststellung eines Orientierungsbedarfs - etwa wegen ausgefallenen Funkkontakts oder sonstiger technischer Probleme - führt, dem mit Warn- und Leitungssignalen entsprochen werden kann, darf bei einem erheblichen Luftzwischenfall regelmäßig zunächst davon ausgegangen werden, dass die Verwendung von Jagdfliegern zur Abklärung und die Aussendung solcher Signale keine Nutzung von Mitteln der Streitkräfte in ihrem Droh- und Einschüchterungspotential, sondern eine technisch-unterstützende Maßnahme darstellt. Ergibt jedoch die Überprüfung, dass ein Renegade-Fall vorliegt, scheidet eine weitere Deutung als bloße Unterstützung aus; die Aktion kann dann nur noch als Entfaltung des Droh- und Einschüchterungspotentials der eingesetzten militärischen Mittel verstanden werden. Ihre Fortsetzung ist folglich nicht mehr auf der Grundlage des § 15 LuftSiG, sondern nur noch, sobald die hierfür erforderliche Einsatzentscheidung getroffen ist, als Einsatz nach §§ 13, 14 LuftSiG zulässig. Im Ergebnis muss § 15 LuftSiG dementsprechend als Norm ausgelegt werden, die allein Maßnahmen im Vorfeld eines Einsatzes zulässt.

82

bb) Die weiteren zur Prüfung gestellten Bestimmungen (§ 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 i.V.m. § 16 Abs. 2 LuftSiG, Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben) ermöglichen es dem Bund, die den Ländern gemäß Art. 87d Abs. 2 GG zur Ausführung in Auftragsverwaltung übertragenen Luftsicherheitsaufgaben durch einseitige Entscheidung des Bundesministeriums des Innern wieder an sich zu ziehen. Diese Bestimmungen sind ebenfalls mit dem Grundgesetz vereinbar.

83

(1) Grundsätze des Rechtsstaatsprinzips sind nicht verletzt.

84

§ 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG ermöglicht die Rückübertragung von Aufgaben für den Fall, dass dies zur Gewährleistung der bundeseinheitlichen Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen erforderlich ist. Damit sind die materiellrechtlichen Voraussetzungen einer Rückübertragung nur generalklauselartig bestimmt. Ein Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz liegt darin nicht. Der Gesetzgeber ist nach diesem Grundsatz nur gehalten, Normen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (vgl. BVerfGE 49, 168 <181>; 56, 1 <13>; 78, 205 <212>). Es reicht aus, wenn sich der Regelungsgehalt im Wege der Auslegung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt (vgl. BVerfGE 21, 209 <215>; 79, 106 <120>; 102, 254 <337>). Diesen Anforderungen genügt die Bindung der Übertragungsmöglichkeit an das Erforderlichkeitskriterium des § 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG. Dass in Fragen der föderalen Kompetenzzuordnung vernünftige allgemeine Regelungen häufig nur generalklauselartig möglich sind, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass das Grundgesetz selbst in diesem Zusammenhang auf Generalklauseln zurückgreift (vgl. nur etwa Art. 72 Abs. 2, Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG).

85

Auch die Grenzen zulässiger gesetzlicher Delegation der Übertragungsentscheidung sind nicht überschritten (vgl. BVerfGE 97, 198 <227>).

86

(2) Es verstößt nicht gegen die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten, dass die Bindung der Rückübertragungsmöglichkeit an einen Antrag des betroffenen Landes aufgegeben wurde.

87

Die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten verlangt, dass sowohl der Bund als auch die Länder bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen die gebotene und ihnen zumutbare Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaates und auf die Belange der Länder nehmen (vgl. BVerfGE 81, 310 <337> m.w.N.). Der Bund verstößt gegen diese Pflicht nicht schon dadurch, dass er von einer ihm durch das Grundgesetz eingeräumten Kompetenz Gebrauch macht; vielmehr muss deren Inanspruchnahme missbräuchlich sein (vgl. BVerfGE 81, 310 <337> m.w.N.) oder gegen prozedurale Anforderungen verstoßen, die aus diesem Grundsatz herzuleiten sind (vgl. BVerfGE 81, 310 <337>).

88

Dafür ist hier nichts ersichtlich. Art. 87d Abs. 2 GG stellt dem Bundesgesetzgeber anheim, ob und in welchem Umfang den Ländern Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung zur Ausführung im Auftrag des Bundes übertragen werden. Für die Rückübertragung, die Art. 87d Abs. 2 GG gleichfalls ermöglicht, gilt nichts anderes. Der Verfassungsgeber hat die Festlegung der Aufgabenzuordnung danach gerade nicht - was ohne weiteres möglich gewesen wäre - an ein Einvernehmen der Länder geknüpft. Unabhängig davon kann jedenfalls nicht schon in der bloßen gesetzlichen Eröffnung der Möglichkeit, von den Ländern in Auftragsverwaltung wahrgenommene Aufgaben ohne deren Zustimmung wieder in bundeseigene Verwaltung zu überführen, eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Kompetenzen oder ein Verstoß gegen Verfahrensanforderungen, die sich aus dem Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens ergeben, gesehen werden. Selbst wenn durch die Rücküberführung von Aufgaben in bundeseigene Verwaltung das Interesse eines einzelnen Landes in solchem Ausmaß betroffen sein könnte, dass die Aufgabenüberführung ohne dessen Einvernehmen missbräuchlich oder prozedural unzulässig erschiene, spräche jedenfalls nichts dafür, dass es sich im Regelfall so verhält und dies daher bereits auf der Ebene der gesetzlichen Ermöglichung der Rückübertragung seinen Niederschlag in einem Antrags- oder Einvernehmenserfordernis hätte finden müssen.

89

3. In den Entscheidungsausspruch ist, soweit die zur Prüfung gestellten Vorschriften zwischenzeitlich geändert wurden (s. A.I.2.), die geänderte Fassung entsprechend § 78 Satz 2 BVerfGG einzubeziehen.

D.

90

Diese Entscheidung ist mit 6:2 Stimmen ergangen.

Tenor

1. Die Gesetzgebungszuständigkeit für die §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) ergibt sich aus Artikel 73 Nummer 6 des Grundgesetzes in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 2034) geltenden Fassung.

2. Artikel 35 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 des Grundgesetzes schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei einem Einsatz der Streitkräfte nach diesen Vorschriften nicht grundsätzlich aus, lassen sie aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die einem bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren durch Artikel 87a Absatz 4 GG gesetzt sind.

3. Der Einsatz der Streitkräfte nach Artikel 35 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes ist, auch in Eilfällen, allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässig.

Gründe

A.

I.

1

1. Der Zweite Senat hat mit Beschluss vom 19. Mai 2010 (2 BvF 1/05) gemäß § 48 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts beim Ersten Senat angefragt, ob dieser an den Rechtsauffassungen festhält, wonach

2

1. die Gesetzgebungszuständigkeit für § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (BGBl I S. 78) sich nicht auf Art. 73 Nr. 1 oder Art. 73 Nr. 6 GG, sondern allein auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG stützen lässt (BVerfGE 115, 118<140 f.>),

3

2. Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht zulässt (BVerfGE 115, 118<146 ff., 150 f.>), und

4

3. § 13 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar sind, soweit sie eine Eilkompetenz des Bundesministers der Verteidigung auch für die Fälle des Art. 35 Abs. 3 GG vorsehen (BVerfGE 115, 118<149 f.>).

5

2. Der Anfrage liegt zugrunde, dass der Zweite Senat in einem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle (2 BvF 1/05) auf Antrag der Bayerischen Staatsregierung und der Hessischen Landesregierung darüber zu entscheiden hat, ob § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 LuftSiG, die die Voraussetzungen und Modalitäten eines Einsatzes der Streitkräfte zur Abwehr besonders schwerer von Luftfahrzeugen ausgehender Unglücksfälle regeln, mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Der Normenkontrollantrag betraf ursprünglich die §§ 13 bis 15 LuftSiG. Nachdem § 14 Abs. 3 LuftSiG, der zum Abschuss eines gegen das Leben von Menschen eingesetzten Luftfahrzeugs ermächtigte, durch Urteil des Ersten Senats vom 15. Februar 2006 für nichtig erklärt wurde (BVerfGE 115, 118 <119>), haben die Antragstellerinnen ihren Antrag insoweit für erledigt erklärt. Damit stehen in dem Ausgangsverfahren nur noch § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 LuftSiG zur Prüfung. Der Zweite Senat möchte in diesem Verfahren abweichend von den genannten Rechtsauffassungen entscheiden (§ 16 BVerfGG, § 48 Abs. 2 GOBVerfG).

6

3. Der Erste Senat hat mit Beschluss vom 12. Oktober 2010 erklärt, dass er an seinen Rechtsauffassungen festhält.

7

4. Mit Beschluss vom 3. Mai 2011 hat der Zweite Senat das Plenum angerufen.

8

5. Die Antragstellerinnen des Ausgangsverfahrens, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, das Bundesministerium des Innern und die (weiteren) Landesregierungen erhielten Kenntnis von der Vorlage. Stellungnahmen sind nicht eingegangen.

II.

9

Das Plenum ist zur Entscheidung über die Vorlage berufen.

10

1. Die Anrufung des Plenums (§ 16 BVerfGG) ist geboten, wenn ein Senat von einer Rechtsauffassung des anderen Senatsabweichen möchte, die für die Entscheidung des anderen Senats tragend war (vgl. BVerfGE 4, 27 <28>; 77, 84 <104>; 96, 375 <404>; 112, 1 <23>; 112, 50 <63>). Die Rechtsauffassungen, auf die sich die vorliegende Anfrage bezieht, waren in dem Urteil des Ersten Senats, mit dem über die Gültigkeit der gesetzlichen Ermächtigung des § 14 Abs. 3 LuftSiG entschieden wurde, tragend im für die Anwendung des § 16 BVerfGG maßgebenden Sinne.

11

2. An der tragenden Qualität fehlt es diesen Rechtsauffassungen nicht deshalb, weil § 14 Abs. 3 LuftSiG in dem Urteil nicht allein auf ihrer Grundlage, sondern auch wegen Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1 GG für nichtig erklärt wurde. Tragend sind jedenfalls diejenigen Rechtsauffassungen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele (vgl. BVerfGE 96, 375 <404>). Der Urteilsausspruch des Ersten Senats zu § 14 Abs. 3 LuftSiG lautete, dass die Bestimmung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 87a Abs. 2 und Art. 35 Abs. 2 und 3 sowie in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig sei (BVerfGE 115, 118<119>). Dieses im Urteilstenor ausgesprochene Entscheidungsergebnis hätte nicht dieselbe Gestalt, wenn der Erste Senat sich nicht über seine Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG hinaus auch auf Auslegungen des Art. 35 GG gestützt hätte, auf die sich die vorliegende Anfrage bezieht.

12

Allerdings wäre der Urteilsausspruch unverändert geblieben, wenn der Erste Senat seine Entscheidung allein auf die unter 1. und 2. der Anfrage aufgeführten Rechtsauffassungen gestützt hätte, nicht dagegen auch auf die Annahme, § 13 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG seien mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar, soweit sie eine Eilkompetenz des Bundesministers der Verteidigung auch für die Fälle des Art. 35 Abs. 3 GG vorsehen (Ziff. 3. der Anfrage). Diese letztere Annahme, die allein die Auslegung des Art. 35 Abs. 3 GG betrifft, kann hinweggedacht werden, ohne dass sich daraus Konsequenzen für den Urteilstenor ergäben. Denn dieser wird, soweit er Art. 35 Abs. 3 GG betrifft, zugleich durch die Rechtsauffassung gestützt, dass Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht zulasse (Ziff. 2. der Anfrage).

13

Dennoch ist auch die drittgenannte Rechtsauffassung für das Urteil des Ersten Senats vom 15. Februar 2006 tragend im hier maßgebenden Sinne. Wird das Kriterium, dem zufolge tragend diejenigen Rechtsauffassungen sind, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele, als nicht nur notwendiges, sondern hinreichendes, abschließend definierendes verstanden, so ist allerdings in Fällen, in denen das konkrete Entscheidungsergebnis auf mehrere voneinander unabhängige und jeweils selbständig tragfähige Rechtsauffassungen gestützt ist, keine dieser Rechtsauffassungen, für sich betrachtet, tragend. Ob und inwieweit ein solches Verständnis dem mit § 16 BVerfGG verfolgten Anliegen der Rechtsklarheit und den besonderen Erfordernissen der Kooperation zwischen den beiden Senaten des Bundesverfassungsgerichts im Allgemeinen gerecht wird, bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Jedenfalls wenn ein konkretes Ergebnis der Entscheidung eines Senats - wie im vorliegenden Fall der Tenor des Urteils des Ersten Senats vom 15. Februar 2006, soweit er Art. 35 Abs. 3 GG betrifft - sich auf mehrere selbständig tragfähige Rechtsauffassungen stützt und der andere Senat nicht nur von einer dieser Rechtsauffassungen, sondern von allen abweichen möchte, kann deren tragende Qualität nicht auf der Grundlage einer isolierten Betrachtung jeder einzelnen dieser Rechtsauffassungen nach dem genannten Kriterium verneint werden (vgl. zur Divergenzvorlage im einfachgesetzlichen Prozessrecht BFH, Beschluss vom 22. Juli 1977 - III B 34/74 -, BFHE 123, 112, Leitsatz 4). Eine Betrachtung, die jeder einzelnen der fraglichen Rechtsauffassungen für sich genommen die tragende Qualität mit Blick auf die Tragfähigkeit der jeweils verbleibenden anderen abspricht und so darauf hinausläuft, dass dem gefundenen Entscheidungsergebnis eine tragende Begründung im Ganzen abgesprochen wird, würde es in dieser Konstellation dem abweichungswilligen Senat ermöglichen, von Rechtsauffassungen des anderen Senats, die jedenfalls in der Gesamtbetrachtung tragend sind, insgesamt ohne Anrufung des Plenums abzuweichen. Dies kann schon deshalb nicht richtig sein, weil damit Divergenzen, die nicht einzelne Rechtsauffassungen, sondern Komplexe von selbständig tragfähigen Rechtsauffassungen betreffen, trotz Entscheidungserheblichkeit der Bereinigung durch das Plenum entzogen wären.

B.

I.

14

Zur ersten Vorlagefrage:

15

Die Gesetzgebungszuständigkeit für §13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und §15 LuftSiG ergibt sich nicht aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG, sondern als Annexkompetenz aus Art. 73 Nr. 6 GG in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I S. 2034) geltenden Fassung (Art. 73 Nr. 6 GG a.F.; heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr zuweist. Ob und inwieweit daneben Art. 73 Nr. 1 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG) als Kompetenzgrundlage in Betracht kommt, bleibt offen.

16

1. Art. 35 Abs. 2 und 3 GG bieten für Bundesrecht, das den Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand regelt, keine ausdrückliche Kompetenzgrundlage. Ihrem Wortlaut nach regeln diese Bestimmungen, soweit sie den Einsatz der Streitkräfte betreffen, materielle und prozedurale Voraussetzungen für einen solchen Einsatz. Ungeschriebene Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes in Sachnormen außerhalb des VII. Abschnitts des Grundgesetzes (Art. 70 ff.) aufzusuchen, liegt auch in systematischer Hinsicht und nach dem Schutzzweck der föderalen Zuständigkeitsordnung, die grundsätzlich nicht durch die Normen des materiellen Verfassungsrechts, sondern durch gesonderte, strikt auszulegende (vgl. BVerfGE 12, 205 <228>; 15, 1 <17>) und in ihrer Reichweite von materiellrechtlichen Vorgaben unabhängige Kompetenzvorschriften bestimmt ist, nicht nahe. Gegen eine solche Kompetenzzuschreibung spricht zudem, dass sich aus ihr nur schwer Klarheit über die Rechtsnatur der zugeschriebenen Kompetenz - ausschließlich oder konkurrierend - gewinnen lässt.

17

2 a) Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die §§ 13 ff. LuftSiG folgt aus Art. 73 Nr. 6 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr zuweist. Nach tradierter und im Grundsatz unbestrittener Auffassung steht dem Bund, soweit er für ein bestimmtes Sachgebiet die Gesetzgebungszuständigkeit hat, als Annexkompetenz auch die Gesetzgebungsbefugnis für die damit in einem notwendigen Zusammenhang stehenden Regelungen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in diesem Bereich zu (vgl. BVerfGE 3, 407 <433>; 8, 143, <150>; 78, 374 <386 f.>; 109, 190 <215>).

18

b) Dies gilt auch für das Sachgebiet "Luftverkehr". Die Gesetzgebungszuständigkeit für den Luftverkehr umfasst daher als Annex jedenfalls die Befugnis, Regelungen zur Abwehr solcher Gefahren zu treffen, die gerade aus dem Luftverkehr herrühren (vgl., mit im Einzelnen unterschiedlichen Abgrenzungen, jeweils aber mindestens die eben genannte Regelungskompetenz einschließend, BVerwGE 95, 188 <191>; BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1996 - 1 C 33/94 -, NVwZ-RR 1997, S. 350 <351>; Laschewski, Der Einsatz der deutschen Streitkräfte im Inland, 2005,S. 130; Paulke, Die Abwehr von Terrorgefahren im Luftraum, 2005, S. 24; Burkiczak, NZWehrr2006, S. 89 <95>; Schenke, NJW 2006, S. 736 <737>; Odendahl, Die Verwaltung 38 <2005>, S. 425 <438>; Baldus, NVwZ 2004, S. 1278 <1279 f.>; Gramm, NZWehrr 2003, S. 89 <96>).

19

Allerdings bedarf die Notwendigkeit des Zusammenhangs zwischen einer dem Bund zugewiesenen Regelungskompetenz für ein bestimmtes Sachgebiet und einschlägigen Regelungen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung strenger Prüfung. Dies gilt erst recht, wenn die sachgebietliche Kompetenz zu den ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes, insbesondere also zu den in Art. 73 GG aufgeführten, gehört. Jedenfalls für die Abwehr derjenigen spezifisch aus dem Luftverkehr herrührenden Gefahren, auf die die Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes zielen, ist der erforderliche notwendige Zusammenhang gegeben. Denn bei dezentraler Regelungskompetenz hätten unzureichend abwehrwirksame Regelungen eines einzelnen Landes erhebliche negative Folgen für die Sicherheit, die mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht im Wesentlichen auf das betreffende Land beschränkt wären.

20

aa) Art. 73 Nr. 6 GG a.F. scheidet als Kompetenzgrundlage für die §§ 13 ff. LuftSiG nicht deshalb aus, weil es sich bei diesen Bestimmungen nicht um eigenständiges Gefahrenabwehrrecht des Bundes, sondern allein um Verfahrens- und Mittelbereitstellungsregelungen für den Fall der Unterstützung von Gefahrenabwehrmaßnahmen der Länder handelte (vgl. BVerfGE 115, 118 <141>). Ungeachtet der Frage, ob dies eine Zuordnung zum Gefahrenabwehrrecht ausschlösse, beschränken sich die Vorschriften nicht auf das Vorfeld außenwirksamer Eingriffe. § 13 LuftSiG regelt nicht nur die Voraussetzungen für die unterstützende Bereitstellung von Streitkräften, sondern unmittelbar die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür, dass Streitkräfte, wenn auch in einer unterstützenden Funktion, "eingesetzt werden" können (Abs. 1), sowie die Zuständigkeiten zur Entscheidung über "einen Einsatz" (Abs. 2 und 3) und die normativen Rahmenbedingungen hierfür (Abs. 4: "Das Nähere wird zwischen Bund und Ländern geregelt. Die Unterstützung durch die Streitkräfte richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes."). Auch § 14 und § 15 LuftSiG sind als materielle Eingriffsnormen gefasst. Sie regeln, dass die Streitkräfte Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben "dürfen" (§ 14 Abs. 1 LuftSiG), dass sie auf Ersuchen der zuständigen Flugsicherungsstelle im Luftraum Luftfahrzeuge "überprüfen, umleiten oder warnen" können (§ 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG), welche "Maßnahmen" sie "auszuwählen" haben (§ 14 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG), welche sonstigen Maßgaben im Hinblick auf Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne einzuhalten sind (§ 14 Abs. 2 Satz 2, § 15 Abs. 1 Satz 1 LuftSiG), und dass der Bundesminister der Verteidigung den Inspekteur der Luftwaffe ermächtigen kann, die fraglichen "Maßnahmen … anzuordnen" (§ 15 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG). Der zwischenzeitlich für nichtig erklärte § 14 Abs. 3 LuftSiG bestimmte, unter welchen Voraussetzungen die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt "zulässig" sein sollte. Auch § 21 LuftSiG, der mit Blick auf das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich festhält, dass - unter anderem - das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit "nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt" wird, spricht für eine unmittelbar eingriffsermächtigende Bedeutung der Regelungen zum Streitkräfteeinsatz.

21

bb) Die Gesetzgebungsgeschichte ergibt keine Anhaltspunkte, die diesen Befund in Frage stellen, sondern bestätigt, dass nicht etwa nur die Bereitstellung von Ressourcen für allein auf landesrechtlicher Grundlage wahrzunehmende Aufgaben der Gefahrenabwehr geregelt, sondern unmittelbares Eingriffsrecht geschaffen werden sollte. So heißt es in der Begründung des Regierungsentwurfs, jenseits des von den Gefahrenabwehrbehörden der Länder Bewältigbaren sollten die Streitkräfte "ihre Maßnahmen" treffen (vgl. BTDrucks 15/2361, S. 20). § 14 LuftSiG regele "die Zwangsmittel der Streitkräfte, die ihnen zur Unterstützung der Polizei zur Verfügung stehen", und Absatz 3 verleihe "die Befugnis, unmittelbar mit Waffengewalt auf Luftfahrzeuge einzuwirken" (a.a.O., S. 21). In Bundesrat und Bundestag wurden die im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen zum Streitkräfteeinsatz dementsprechend als "Befugnisnormen" verstanden, die zu Maßnahmen der Gefahrenabwehr "aus eigenem Recht" ermächtigen sollten (vgl. aus dem Bundesrat die Niederschrift der 812. Sitzung des Ausschusses für Innere Angelegenheiten des Bundesrates, vom 4. Dezember 2003 - In 0141 (812) - Nr. 52/03 -, S. 37 f.; aus dem Bundestag s. die hinsichtlich der Auslegung als eingriffsermächtigende Befugnisnormen unwidersprochenen Redebeiträge der Abgeordneten Bosbach, BTPlProt 15/89, S. 7884, und Binninger, a.a.O., S. 7891). Nach den Worten des damaligen Bundesinnenministers Schily sollte das Gesetz "Luftsicherheit aus einer Hand" und damit "Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, zumal für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr", gewährleisten (BTPlProt 15/89, S. 7881 f.). Auch damit war vorausgesetzt, dass die §§ 13 ff. LuftSiG nicht bloß innerföderale Bereitstellungsvorgänge regeln, sondern zugleich außenwirksame Eingriffsermächtigungen enthalten.

22

3. Da der Bund demnach gemäß Art. 73 Nr. 6 GG a.F. regelungszuständig war, bedarf keiner Entscheidung, ob darüber hinaus Art. 73 Nr. 1 GG a.F., der im Regierungsentwurf des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben als Kompetenzgrundlage für die §§ 13 ff. LuftSiG in Anspruch genommen wurde (BTDrucks 15/2361, S. 14), eine Gesetzgebungszuständigkeit für diese Bestimmungen kraft Sachzusammenhangs ihres Regelungsgegenstandes mit dem Verteidigungswesen begründete.

II.

23

Zur zweiten Vorlagefrage:

24

Art. 35 Abs. 2Satz 2 und Abs. 3 GG schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei Einsätzen der Streitkräfte nach diesen Bestimmungen nicht grundsätzlich aus, lassen Einsätze aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die insbesondere sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die nach Art. 87a Abs. 4 GG einem Einsatz der Streitkräfte zum Kampf in inneren Auseinandersetzungen gesetzt sind.

25

1. Außer zur Verteidigung dürfen nach Art. 87a Abs. 2 GG die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Die begrenzende Funktion dieser Regelung ist durch strikte Texttreue bei der Auslegung der grundgesetzlichen Bestimmungen über den Einsatz der Streitkräfte im Innern zu wahren (vgl. BVerfGE 90, 286 <356 f.>; 115, 118 <142>; BVerwGE 127, 1 <12 f.>).

26

Die Verfassung begrenzt einen Streitkräfteeinsatz im Inneren in bewusster Entscheidung auf äußerste Ausnahmefälle. Soweit es um den Schutz vor Straftätern und Gegnern der freiheitlichen Ordnung geht, stellt deshalb Art. 87a Abs. 4 GG für einen Einsatz der Streitkräfte strenge Anforderungen, die selbst im Fall des inneren Notstands gemäß Art. 91 GG noch nicht automatisch erreicht sind. Im Unterschied dazu erlauben Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Streitkräfteeinsatz zur Unterstützung der Polizeikräfte bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders schweren Unglücksfall. Auch damit bindet die Verfassung den Einsatz der Streitkräfte an Anforderungen, die nicht immer schon dann erfüllt sind, wenn die Polizei durch das allgemeine Ziel der Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung überfordert ist; dies zeigt sich bereits darin, dass in Fällen von besonderer Bedeutung gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich nur Unterstützung durch Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes angefordert werden kann.

27

Nicht zuletzt um diesen differenzierten und restriktiven Regelungen der Verfassung Rechnung zu tragen, sah der Erste Senat den Streitkräfteeinsatz im Rahmen des Art. 35 GG auf Mittel begrenzt, die nach dem Gefahrenabwehrrecht des Einsatzlandes der Polizei zur Verfügung stehen oder verfügbar gemacht werden dürfen. Hieran hält das Plenum nicht fest (2.). Die von der Verfassung gewollten engen Grenzen für einen Streitkräfteeinsatz im Inneren ergeben sich aus anderen Kriterien (3.).

28

2. Eine Beschränkung des Streitkräfteeinsatzes auf diejenigen Mittel, die nach dem Gefahrenabwehrrecht des Einsatzlandes der Polizei zur Verfügung stehen oder verfügbar gemacht werden dürften, ist durch den Wortlaut des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG und die Systematik des Grundgesetzes nicht zwingend vorgegeben; der Regelungszweck spricht eher gegen eine solche Beschränkung (a). Auch eine Gesamtbetrachtung der Gesetzesmaterialien zwingt nicht zu der Annahme, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber eine derartige Beschränkung beabsichtigt hat (b).

29

a) Nach Art. 35 GG kann unter den jeweils näher bezeichneten Voraussetzungen im regionalen Katastrophennotstand ein Land "Kräfte und Einrichtungen... der Streitkräfte" anfordern (Abs. 2 Satz 2) und im überregionalen Katastrophennotstand die Bundesregierung "Einheiten ... der Streitkräfte" einsetzen (Abs. 3 Satz 1). Eine Beschränkung der damit zugelassenen Einsätze auf die Verwendung polizeilicher Einsatzmittel muss dem Wortlaut der Bestimmungen nicht entnommen werden. Sie ergibt sich insbesondere nicht zwingend daraus, dass Art. 35 GG den Einsatz der Streitkräfte nur zur "Unterstützung der Polizeikräfte" (Abs. 3 Satz 1) beziehungsweise zur polizeiunterstützenden "Hilfe" (Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1) vorsieht. Mit welchen Mitteln die Hilfe oder Unterstützung geleistet werden darf, ist damit noch nicht festgelegt.

30

Systematische Erwägungen sprechen dafür, dass aus der von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG vorgegebenen unterstützenden Funktion der Streitkräfte keine Beschränkung auf die aktuell oder potentiell polizeirechtlich zulässigen Einsatzmittel folgt. Denn auch Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG lässt für den dort umschriebenen Fall des inneren Notstandes einen Einsatz der Streitkräfte nur "zur Unterstützung" der Landes- und der Bundespolizei zu, beschränkt damit aber anerkanntermaßen den dort geregelten Einsatz, jedenfalls soweit es um die Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer geht, nicht von vornherein auf die Mittel, die den unterstützten Polizeien zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 115, 118 <148>; BTDrucks V/2873, S. 2, 14; Hase, in: AK-GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2001, Art. 87a Abs. 4 Rn. 5; Depenheuer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87a Rn. 169, 177 (Stand 10/2008); Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Abs. 4 Rn. 165; Kokott, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 87a Rn. 68; Keidel, Polizei und Polizeigewalt im Notstandsfall, 1971, S. 195 f., 197; Karpinski, Öffentlich-rechtliche Grundsätze für den Einsatz der Streitkräfte im Staatsnotstand, 1974, S. 76; Baldus, NVwZ 2004, S. 1278 <1280>; Linke, AöR 129 <2004>, S. 489>). Die Identität der Formulierungen deutet trotz der unterschiedlichen Zusammenhänge, in denen sie verwendet werden, darauf hin, dass ihnen keine unterschiedliche Bedeutung zukommen sollte, zumal die Bestimmungen im Gesetzgebungsverfahren durch Aufspaltung einer ursprünglich einheitlichen Regelung entstanden sind und daher nicht davon auszugehen ist, dass dem Gesetzgeber die Übereinstimmung des Wortlauts nicht vor Augen stand.

31

Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Zulassung des Streitkräfteeinsatzes in den erfassten Katastrophenfällen eine wirksame Gefahrenabwehr ermöglichen soll. Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unterstreicht dies mit der Bezugnahme auf das zur "wirksamen Bekämpfung" Erforderliche. Daher sprechen nach Auffassung des Plenums die besseren Gründe für eine Auslegung, die unter den engen Voraussetzungen, unter denen ein Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 GG überhaupt in Betracht kommt (s.u. 3.), die Verwendung ihrer spezifischen Mittel nicht generell ausschließt.

32

b) Die Entstehungsgeschichte steht dem nicht entgegen. Dem verfassungsändernden Gesetzgeber stand allerdings als typischer Anwendungsfall der Verfassungsbestimmungen zum Katastrophennotstand nicht ein Einsatzfall wie der in § 13 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 LuftSiG geregelte, sondern vor allem die Erfahrung der norddeutschen Flutkatastrophe des Jahres 1962 vor Augen (vgl. BVerfGE 115, 118 <148, m.w.N.>). Auch wenn dieses Ereignis die Vorstellung der am Gesetzgebungsprozess Beteiligten von den Erfordernissen eines Streitkräfteeinsatzes in einer begrenzenden Weise geprägt haben mag, schließt das nicht aus, Art. 35 Abs. 2 und 3 GG auch auf andersartige von Wortlaut und Systematik der Vorschrift erfasste Bedrohungslagen anzuwenden, und zwingt nicht zu einer angesichts heutiger Bedrohungslagen nicht mehr zweckgerechten Auslegung des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG.

33

Die Gesetzesmaterialien geben zur Frage der zulässigen Einsatzmittel keine eindeutigen Aufschlüsse. Zwar ist der Gesetzgebungsgeschichte zu entnehmen, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber die Regelung des Katastrophennotstandes bewusst aus der Regelung des inneren Notstandes herausgelöst hat, um die Bekämpfung des Katastrophennotstandes von der des inneren Notstands deutlicher abzuheben. Auch finden sich Anhaltspunkte dafür, dass einzelnen am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten für den Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 GG, sei es generell oder für den Fall des regionalen Katastrophennotstandes nach Absatz 2, eine Beschränkung der zulässigen Einsatzmittel durch das Polizeirecht des Einsatzlandes vorschwebte. Insgesamt ergibt sich jedoch kein klares Bild, das die Annahme eines insoweit bestimmten Willens des verfassungsändernden Gesetzgebers stützen könnte.

34

aa) Nach dem Bericht des Rechtsausschusses, auf den die Gesetz gewordene Fassung der hier zu betrachtenden Grundgesetzbestimmungen zurückgeht, sollte mit dessen Vorschlägen zur Regelung des inneren Notstandes "die Schwelle für den Einsatz der Streitkräfte als bewaffnete Macht angehoben" und der bewaffnete Einsatz der Bundeswehr nur zugelassen werden, "wenn dies zur Bekämpfung militärisch bewaffneter Aufständischer erforderlich" sei (BTDrucks V/2873, S. 2 , 14 ; vgl. auch Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. Februar 1968, S. 10; Lenz, Notstandsverfassung des Grundgesetzes, 1971, Art. 35 Rn. 2). Diese Äußerung muss nicht dahin verstanden werden, dass sie über die Konstellation des inneren Notstandes hinaus auch auf die des Katastrophennotstandes zielt, und zwingt daher nicht zu der Annahme, dass für den Fall des Katastrophennotstandes ein bewaffneter Einsatz der Streitkräfte prinzipiell ausgeschlossen werden sollte.

35

Die Erläuterungen zum vorgeschlagenen Art. 35 GG behandeln die Frage der einsetzbaren Mittel nicht. Zu Art. 35 Abs. 2 GG wird zwar unter anderem ausgeführt, dass die zur Verfügung gestellten Kräfte anderer Länder und des Bundes den Normen des im Einsatzland geltenden Landespolizeirechts unterstehen sollen (vgl. BTDrucks V/2873, S. 10); zu Art. 35 Abs. 3 GG findet sich dagegen keine entsprechende Erläuterung. Aus der Berichtsbegründung zu Art. 87a Abs. 4 GG geht hervor, dass der Ausschuss nach dem Ergebnis der durchgeführten Anhörungen die im Regierungsentwurf vorgesehene Formulierung, wonach die Streitkräfte "als Polizeikräfte" einsetzbar sein sollten, für zu eng befunden hatte, da eine Beschränkung etwa auf den Einsatz nichtmilitärischer Waffen nicht sachgerecht sei. Der Ausschuss schlug daher stattdessen vor, dass die Streitkräfte nur "zur Unterstützung der Polizei" eingesetzt werden dürften (a.a.O., S. 14). Dem folgte der verfassungsändernde Gesetzgeber. Die gleiche Abkehr von der ursprünglich vorgesehenen Formulierung ist aber auch in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG erfolgt. Dieser gesetzgeberischen Entscheidung muss eine Bedeutung für die Auslegung des Art. 35 GG nicht deshalb abgesprochen werden, weil erst der Rechtsausschuss des Bundestages (vgl. BTDrucks V/2873) vorgeschlagen hat, die nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BTDrucks V/1879) in Art. 91 GG angesiedelte Regelung des Streitkräfteeinsatzes bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen aus dem Zusammenhang der Bestimmungen zum inneren Notstand zu lösen und in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG zu regeln. Umgekehrt lässt sich auch argumentieren, dass gerade diese Herauslösung aus dem ursprünglich vorgesehenen einheitlichen Regelungszusammenhang es nahegelegt hätte, für den Fall des nunmehr gesondert in Art. 35 GG geregelten Katastrophennotstandes einem etwaigen Willen, die Art und Weise des zulässigen Einsatzes enger zu bestimmen als für den Fall des inneren Notstandes, durch entsprechend unterschiedliche Formulierung der jeweiligen Regelungen Ausdruck zu geben.

36

Das Protokoll der Anhörung zum Thema "Der innere Notstand und der Katastrophennotstand", auf die ausweislich des Berichts des Rechtsausschusses (vgl. BTDrucks V/2873,S. 14) dessen Vorschlag zurückgeht, die Worte "als Polizeikräfte" durch die Gesetz gewordenen Formulierungen zu ersetzen, zeigt zudem, dass sowohl bei den angehörten Sachverständigen als auch auf Seiten der Abgeordneten, die sich an der Aussprache beteiligten, in der Frage der Zulässigkeit des Einsatzes militärischer Waffen unterschiedliche und häufig - unter anderem hinsichtlich des Zusammenhangs mit der Frage der maßgebenden einfachrechtlichen Eingriffsgrundlagen - auch unklare Auffassungen bestanden (vgl. Protokoll der 3. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses am 30. November 1967, Nr. 59, Nr. 75).

37

So wiesen etwa der schleswig-holsteinische Innenminister Dr. Schlegelberger und der hamburgische Innensenator Ruhnau unwidersprochen auf die Funktion des Streitkräfteeinsatzes hin, Einsatzmittel bereitzustellen, über die die Polizei nicht verfüge (a.a.O., S. 3, 6, 12), vertraten aber - im Zusammenhang mit Einsätzen im Fall des inneren Notstandes - zugleich die Auffassung, dass Einsätze sich auf der Grundlage "des Polizeirechts mit polizeilichen Mitteln" beziehungsweise "nach den Einsatzprinzipien und mit den Einsatzmitteln der Polizei" vollziehen müssten (a.a.O., S. 4, 6, 12). Dabei wurde zudem nicht deutlich, ob allein an das Landespolizeirecht (vgl. Ruhnau, a.a.O., S. 14) als Rechtsgrundlage gedacht war oder auch an Bundesrecht, das in verschiedenen Diskussionsbeiträgen als anwendbar vorausgesetzt wurde (vgl. zum UZwG des Bundes Ruhnau u.a., a.a.O., S. 7, 58; für den Fall überregionaler Einsätze auch S. 14). Verschiedene Äußerungen deuten darauf hin, dass man sich einen Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand vor allem in der Form des Objektschutzes und der Abwehr von Plünderungen vorstellte (a.a.O., S. 5, 27, 28, 57 f., 71). Zur Sprache kam anderseits aber auch der Fall der Sprengung eines Hauses oder einer Brücke (a.a.O., S. 63).

38

In der Zweiten Beratung des Gesetzentwurfs, der neben dem Gesetzentwurf der Bundesregierung der Bericht des Rechtsausschusses (BTDrucks V/2873) zugrunde lag, fielen nur vereinzelt Äußerungen, die einen Bezug zum Inhalt der beschlossenen Regelungen in der Frage des bei Einsätzen der Streitkräfte anwendbaren Rechts oder unmittelbar in der Frage der bei solchen Einsätzen anwendbaren Mittel aufweisen. Auch diese Äußerungen sind nicht eindeutig und weisen, sofern sie überhaupt bestimmte Vorstellungen vom Inhalt der beschlossenen Regelungen zum Ausdruck bringen sollten, in unterschiedliche Richtungen (BTPlProt 5/174, S. 9313 f.; 5/175, S. 9437, 9452).

39

bb) Aus der Gesetzgebungsgeschichte wird danach weder ein eindeutiger Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers hinsichtlich der in den Fällen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einsetzbaren Mittel noch eine klare Konzeption in der Frage des anwendbaren Rechts erkennbar. Angesichts dieses Befundes ist es nicht zwingend, im Rahmen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einen nach textlicher, systematischer und teleologischer Auslegung nicht ausgeschlossenen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Mitteln - der, soweit es um die Abwehr von Gefahren durch ein als Angriffsmittel genutztes Luftfahrzeug geht, nur auf bundesrechtlicher Eingriffsgrundlage in Betracht kommt - allein deshalb für unzulässig zu halten, weil die konkreten Gefahrenfälle, die ihn erforderlich machen könnten, dem historischen verfassungsändernden Gesetzgeber noch nicht gegenwärtig waren.

40

3. Der Einsatz der Streitkräfte als solcher wie auch der Einsatz spezifisch militärischer Kampfmittel kommt allerdings nur unter engen Voraussetzungen in Betracht.

41

Bei der Auslegung und Anwendung der Voraussetzungen, unter denen Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte erlaubt, sind der Zweck des Art. 87a Abs. 2 GG und das Verhältnis der den Katastrophennotstand betreffenden Bestimmungen zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Einsatz der Streitkräfte im inneren Notstand (Art. 87a Abs. 4 GG) zu berücksichtigen. Art. 87a Abs. 2 GG zielt darauf, die Möglichkeiten für einen Einsatz der Streitkräfte im Innern zu begrenzen (vgl. BVerfGE 115, 118 <142>). Art. 87a Abs. 4 GG unterwirft auf dem Hintergrund historischer Erfahrungen (vgl. Wieland, in: Fleck, Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, S. 167 <169 ff.>, m.w.N.) den Einsatz der Streitkräfte zur Bewältigung innerer Auseinandersetzungen besonders strengen Beschränkungen. Diese Beschränkungen dürfen nicht dadurch umgangen werden, dass der Einsatz statt auf der Grundlage des Art. 87a Abs. 4 GG auf der des Art. 35 Abs. 2 oder 3 GG erfolgt. Das gilt erst recht für die Verwendung spezifisch militärischer Kampfmittel im Rahmen eines solchen Einsatzes.

42

a) Enge Grenzen sind dem Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand auf diesem Hintergrund durch das in Art. 35 Abs. 2 Satz 2GG ausdrücklich genannte und von Art. 35 Abs. 3Satz 1 GG in Bezug genommene Tatbestandsmerkmal des besonders schweren Unglücksfalls gesetzt.

43

aa) Die genannten Bestimmungen unterscheiden Naturkatastrophen und besonders schwere Unglücksfälle. Beide Ereignisarten wurden bereits im Gesetzgebungsverfahren unter dem Begriff der Katastrophe zusammengefasst (vgl. die Anhörung des Rechts- und des Innenausschusses zum Thema "Der innere Notstand und der Katastrophennotstand", Protokoll der 3. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses am 30. November 1967, Nr. 59, Nr. 75). Hieraus wie auch aus der normativen Parallelisierung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG wird deutlich, dass der hier verwendete Begriff des besonders schweren Unglücksfalls nur Ereignisse von katastrophischen Dimensionen erfasst (vgl. BVerfGE 115, 118 <143>). Insbesondere stellt nicht jede Gefahrensituation, die ein Land mittels seiner Polizei nicht zu beherrschen imstande ist, allein schon aus diesem Grund einen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG dar, der den Streitkräfteeinsatz erlaubte (vgl. Krings/Burkiczak, NWVBl 2004, S. 249 <252>). Besonders schwere Unglücksfälle sind vielmehr ungewöhnliche Ausnahmesituationen. Eine Betrauung der Streitkräfte mit Aufgaben der Gefahrenabwehr, die über die Bewältigung solcher Sondersituationen hinausgehen, kann daher nicht auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG gestützt werden.

44

bb) Die Voraussetzungen des besonders schweren Unglücksfalls gemäß Art. 35 Abs. 2 und 3 GG bestimmen sich zugleich in Abgrenzung zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Einsatz der Streitkräfte im inneren Notstand (Art. 87a Abs. 4 GG i.V.m. Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG).

45

(1) Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG regelt den Einsatz der Streitkräfte zur Abwehr von Gefahren für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, die das Land, in dem die Gefahr droht, zu bekämpfen selbst nicht in der Lage oder nicht bereit ist. Dabei erlaubt Art. 87a Abs. 4 GG den Einsatz der Streitkräfte insbesondere zur Unterstützung der Polizei bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer. Die Regelung der Abwehr innerer Unruhen, die von nichtstaatlichen Angreifern ausgehen, hat damit ihren Platz in Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 GG gefunden (vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 35 Rn. 15; Wolff, ThürVBl 2003, S. 176 <177>). Insoweit entfaltet daher diese Vorschrift grundsätzlich eine Sperrwirkung für den Einsatz der Streitkräfte nach anderen Bestimmungen (vgl. auch Fiebig, Der Einsatz der Bundeswehr im Innern, 2004, S. 326; Fischer, JZ 2004, S. 376 <381>; Sattler, NVwZ 2004, S. 1286 <1290>).

46

(2) Der Annahme eines besonders schweren Unglücksfalls steht bei einem Ereignis von katastrophischem Ausmaß nicht entgegen, dass es absichtlich herbeigeführt ist (vgl. BVerfGE 115, 118 <143 f.>). Angesichts der in Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 GG getroffenen Regelung der militärischen Bekämpfung nichtstaatlicher Gegner können die Streitkräfte auf der Grundlage von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG jedoch zur Bekämpfung eines Angreifers nur in Ausnahmesituationen eingesetzt werden, die nicht von der in Art. 87a Abs. 4 GG geregelten Art sind. So stellen namentlich Gefahren für Menschen und Sachen, die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen, keinen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 GG dar, der es rechtfertigen könnte, Streitkräfte auf der Grundlage dieser Bestimmung einzusetzen. Denn nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG dürfen selbst zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer Streitkräfte auch dann, wenn das betreffende Land zur Bekämpfung der Gefahr nicht bereit oder in der Lage ist (Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG i.V.m. Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG), nur unter der Voraussetzung eingesetzt werden, dass Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes besteht (vgl. Arndt, DVBl 1968, S. 729 <731 f.>).

47

cc) Der Unglücksfall muss, wie im Wortlaut des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 deutlich zum Ausdruck kommt, bereits vorliegen, damit zu seiner Bekämpfung oder zur Bekämpfung seiner Schadensfolgen Streitkräfte eingesetzt werden dürfen. Das bedeutet nicht, dass auch Schäden notwendigerweise bereits eingetreten sein müssen (vgl. BVerfGE 115, 118 <144 f.>). Von einem Unglücksfall kann auch dann gesprochen werden, wenn zwar die zu erwartenden Schäden noch nicht eingetreten sind, der Unglücksverlauf aber bereits begonnen hat und der Eintritt katastrophaler Schäden unmittelbar droht. Ist die Katastrophe bereits in Gang gesetzt und kann sie nur noch durch den Einsatz der Streitkräfte unterbrochen werden, muss nicht abgewartet werden, bis der Schaden sich realisiert hat. Der Schadenseintritt muss jedoch unmittelbar bevorstehen. Dies ist der Fall, wenn der katastrophale Schaden, sofern ihm nicht rechtzeitig entgegengewirkt wird, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze eintreten wird (vgl. BVerfGE 115, 118 <145>). Ein ins Vorfeld des Katastrophengeschehens verlagerter Einsatz der Streitkräfte ist unzulässig.

48

b) Der Einsatz der Streitkräfte wie der Einsatz spezifisch militärischer Abwehrmittel ist zudem auch in einer solchen Gefahrenlage nur als ultima ratio zulässig. Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG sieht für den Fall des überregionalen Katastrophennotstandes ausdrücklich vor, dass die Streitkräfte nur eingesetzt werden dürfen, soweit es zur wirksamen Bekämpfung der durch eine Naturkatastrophe oder einen besonders schweren Unglücksfall veranlassten Gefahr erforderlich ist. Die Erforderlichkeitsklausel des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG zielt auf die Subsidiarität der Bundesintervention im Verhältnis zu den Ländern (vgl. Magen, in: Umbach/Clemens, GG, Bd. I, 1. Aufl. 2002, Art. 35 Rn. 37; Bauer, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 32; v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Bd. 2, Art. 35 Rn. 79; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 53; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 35 Rn. 29). Im Übrigen entspricht die strenge Beschränkung auf das Erforderliche - sowohl was das Ob als auch was das Wie, einschließlich der konkreten Einsatzmittel, angeht - für Einsätze nach Absatz 2 Satz 2 wie für Einsätze nach Absatz 3 Satz 1 des Art. 35 GG dem in Art. 87a Abs. 2 GG zum Ausdruck gebrachten Willen des Verfassungsgebers zur engen Begrenzung des zulässigen Streitkräfteeinsatzes im Innern (vgl. Knödler, BayVBl 2002, S. 107 <108>).

49

c) Im Ergebnis sieht Art. 35 GG differenzierte Möglichkeiten einer Verwendung der Streitkräfte zur Gewährleistung der Luftsicherheit vor.

50

aa) Aus Art. 87a Abs. 2 GG ergeben sich Grenzen hinsichtlich der Abwehr von Gefahren, die von einem als Angriffsmittel genutzten Flugzeug ausgehen, nur, soweit es sich um einen Einsatz handelt. Deshalb sind Maßnahmen der Streitkräfte in einer den Verursachern gegenüber rein unterstützenden und solche Unterstützung vorbereitenden Funktion - etwa zur Hilfe bei technisch oder durch gesundheitliche Probleme eines Piloten bedingten Orientierungsschwierigkeiten und zur Aufklärung, ob solche Hilfe benötigt wird - nicht ausgeschlossen. Art. 87a Abs. 2 GG bindet nicht jede Nutzung personeller und sächlicher Ressourcen der Streitkräfte an eine ausdrückliche grundgesetzliche Zulassung, sondern nur ihre Verwendung als Mittel der vollziehenden Gewalt in einem Eingriffszusammenhang (vgl. BTDrucks V/2873, S. 13; BVerwGE 132, 110 <119>; Brenneisen, in: ders./Staack/Kischewski, 60 Jahre Grundgesetz, 2010, S. 485 <488>; Wolff, in: Weingärtner, Die Bundeswehr als Armee im Einsatz, 2010, S. 171 <177>). Dementsprechend kann auf Luftzwischenfälle in rein technisch-unterstützender Funktion reagiert werden. Dies verbleibt im Rahmen des Art. 35 Abs. 1 GG und ist daher von den Beschränkungen, die für einen Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG gelten, nicht betroffen. Allerdings liegt eine Verwendung in einem Eingriffszusammenhang nicht erst bei einem konkreten Vorgehen mit Zwang, sondern bereits dann vor, wenn personelle oder sachliche Mittel der Streitkräfte in ihrem Droh- oder Einschüchterungspotential genutzt werden (vgl. BVerwGE 132, 110 <119 f.>; Fehn/Brauns, Bundeswehr und innere Sicherheit, 2003, S. 38 f.; Senger, Streitkräfte und materielles Polizeirecht, 2011, S. 79 ff. <80>).

51

bb) Eine umfassende Gefahrenabwehr für den Luftraum mittels der Streitkräfte kann auf Art. 35 Abs. 2 und 3 GG nicht gestützt werden. Insbesondere berechtigt nicht jeder Luftzwischenfall, zu dessen Bewältigung eine technische Unterstützung nicht ausreicht, automatisch zum Einsatz der Streitkräfte. De constitutione lata ist der Einsatz der Streitkräfte nur bei besonders gravierenden Luftzwischenfällen zulässig, die den qualifizierten Anforderungen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG genügen.

III.

52

Zur dritten Vorlagefrage:

53

Der Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG ist, auch in Eilfällen, allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässig.

54

1. Das Grundgesetz unterscheidet systematisch zwischen Befugnissen und Zuständigkeiten der Bundesregierung und solchen einzelner Bundesminister (s. etwa einerseits Art. 84 Abs. 2, Art. 87a Abs. 4 Satz 1, Art. 91 Abs. 2 Satz 3, Art. 108 Abs. 7 GG, andererseits Art. 65 Satz 2, Art. 65a, Art. 95 Abs. 2, Art. 112 Satz 1 GG). Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG weist die Befugnis, im Fall des überregionalen Katastrophennotstandes Einheiten der Streitkräfte einzusetzen, der Bundesregierung zu. Die Bundesregierung besteht nach Art. 62 GG aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern. Der Einsatz der Streitkräfte im überregionalen Katastrophennotstand setzt danach einen Beschluss der Bundesregierung als Kollegium (vgl. BVerfGE 26, 338 <396>; 91, 148 <166>; 115, 118 <149>) voraus. Es gilt nichts anderes als für den Einsatz der Streitkräfte im Fall des inneren Notstandes, für den Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG ebenfalls die Entscheidungszuständigkeit der Bundesregierung vorsieht und der unstreitig nur aufgrund eines Kabinettsbeschlusses zulässig ist (s. statt vieler Heun, in: Dreier, GG, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 87a Rn. 33; Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Rn. 160; Ruge, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 87a Rn. 8; Hernekamp, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 87a Rn. 37; Denninger, in: Benda/ Maihofer/Vogel, HdVerfR, 2. Aufl. 1994, § 16 Rn. 60).

55

Zu einer Delegation der zugewiesenen Beschlusszuständigkeit auf ein einzelnes Mitglied (vgl. Robbers, in: Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 26. April 2004, ProtokollNr. 15/35, S. 54) ist die Bundesregierung nicht befugt. Staatsorganisationsrechtliche Kompetenzen stehen im Grundsatz nicht zur freien Disposition ihrer Träger (vgl. zum Verhältnis von Bundes- und Länderkompetenzen BVerfGE 1, 14 <35>; 39, 96 <109>; 41, 291 <311>; 63, 1 <39>). Sie sind daher grundsätzlich weder verzichtbar noch beliebig delegierbar. Darin unterscheiden sie sich von subjektiven Rechten, über die der Inhaber im Prinzip verfügen kann.

56

2. Eine Eilkompetenz für ein anderes als das regulär vorgesehene Organ, wie sie in verschiedenen Grundgesetzbestimmungen für den Fall der Gefahr im Verzug vorgesehen ist (Art. 13 Abs. 2, Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 2, 2. Halbsatz GG; vgl. auch Art. 119 Satz 3 GG: Auswechselung des Weisungsadressaten bei Gefahr im Verzug), sieht Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht vor; ermächtigt wird allein die Bundesregierung. Danach besteht eine Delegationsbefugnis der Bundesregierung oder eine Befugnis des Gesetzgebers zu abweichender Zuständigkeitsbestimmung auch für Eilfälle nicht (vgl. Bauer, in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 32; v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Bd. 2, Art. 35 Rn. 79; Hömig, in: ders., GG, 9. Aufl. 2010, Art. 35 Rn. 10; Erbguth, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 41; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 8; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 49; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 35 Rn. 29; Martínez Soria, DVBl 2004, S. 597 <603>; v. Danwitz, Rechtsfragen terroristischer Angriffe auf Kernkraftwerke, 2002, S. 56; Arndt, DVBl 1968, S. 729 <732>; Sattler, NVwZ 2004, S. 1286 <1289>; Lepsius, in: Festgabe für Dr. Burkhard Hirsch, 2006, S. 47 <57>).

57

Die Ressortzuständigkeit der Bundesminister (Art. 65 Satz 2 GG) und die Zuweisung der Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte an den Bundesminister der Verteidigung (Art. 65a GG) können eine abweichende Auslegung (vgl. Epping, Schriftliche Stellungnahme im Rahmender öffentlichen Sachverständigenanhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 26. April 2004, ADrs 15(4)102B, S. 8) nicht begründen, weil Art. 35 Abs. 3 Satz 1GG für die Befugnis, über den Einsatz der Streitkräfte im überregionalen Katastrophennotstand zu entscheiden, eine demgegenüber speziellere Regelung trifft.

58

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass das Bundesverfassungsgericht in einzelnen Bereichen Eilzuständigkeiten in Abweichung von einer grundsätzlich gegebenen Parlamentszuständigkeit anerkannt hat (vgl. BVerfGE 90, 286 <388> und BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris, Rn. 109 ff., 113, 150). Dies betraf Bereiche, für die die Entscheidungszuständigkeit im Grundgesetz gerade nicht ausdrücklich geregelt ist. Die Frage, ob und inwieweit Sonderkompetenzen für Eilfälle auch entgegen ausdrücklich - und ohne Ausnahme für den Eilfall -im Grundgesetz getroffenen Zuständigkeitsregelungen anerkennungsfähig sein könnten, ist damit nicht beantwortet.

59

Angesichts der nach Wortlaut und Systematik eindeutigen ausschließlichen Kompetenzzuweisung an die Bundesregierung kann eine abweichende Zuständigkeit nicht aus einem auf wirksame Gefahrenabwehr gerichteten Zweck des Art. 35 Abs. 3 GG (vgl. Franz, Der Staat 45 <2006>, S. 501 <530>; Franz/Günther, VBlBW 2006, S. 340 <343>; Schenke, NJW 2006, S. 736 <737 f.>; Palm, AöR 132 <2007>, S. 95 <104>; Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2007, S. 252) oder aus staatlichen Schutzpflichten (Epping, a.a.O., S. 8) abgeleitet werden. Der Verfassungsgesetzgeber hat Einsätze der Streitkräfte bewusst nur unter engen Voraussetzungen zugelassen. Für die Auslegung der betreffenden Vorschriften, die in einer politisch hochumstrittenen Materie als Ergebnis ausführlicher, kontroverser Diskussionen zustande gekommen sind, gilt das Gebot strikter Texttreue (s.o. unter II.). Jedenfalls deshalb verbietet sich eine auf die Vermeidung von Schutzlücken gerichtete teleologische Verfassungsinterpretation, die vom bewusst und in Übereinstimmung mit der Systematik gewählten ausdrücklichen Wortlaut abweicht. Aus demselben Grund kann - unabhängig von der allgemeineren Frage des möglichen Stellenwerts von Notstandsgesichtspunkten, die in positiven Verfassungsbestimmungen gerade nicht aufgegriffen sind - auch auf ungeschriebene Sonderkompetenzen für Eil- und Notfälle (vgl. Wieland, in: Fleck, Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, S. 167 <179>; Epping, Schriftliche Stellungnahme, a.a.O., S. 8) jedenfalls bei Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht zurückgegriffen werden.

Abw. Meinung

60

Die Entscheidung des Plenums trage ich zur ersten und dritten Vorlagefrage mit, der Beantwortung der zweiten Vorlagefrage stimme ich hingegen nicht zu.

61

Das Bundesverfassungsgericht wird gerne als Ersatzgesetzgeber bezeichnet; mit der nun getroffenen Entscheidung des Plenums läuft das Gericht Gefahr, künftig mit der Rollenzuschreibung als verfassungsändernder Ersatzgesetzgeber konfrontiert zu werden. Denn mit seiner Antwort auf die zweite Vorlagefrage schenkt das Plenum den Vorgaben des eigenen Gerichts zur Verfassungsinterpretation keine ausreichende Beachtung. Es wird weder der Wortlaut der einschlägigen Verfassungsnormen unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte hinreichend gewürdigt (dazu BVerfGE 88, 40 <56>), noch erfolgt eine systematische Auslegung mit Blick auf die Einheit der Verfassung (dazu BVerfGE 55, 274 <300>) als "vornehmstes Interpretationsprinzip" (so aber BVerfGE 19, 206 <220>). Im Ergebnis hat die Auslegung der Regelungen zum Katastrophennotstand, die der Plenarbeschluss bei seiner Antwort auf die zweite Vorlagefrage zugrunde legt, die Wirkungen einer Verfassungsänderung. Deshalb folge ich dem Plenarbeschluss insoweit nicht.

I.

62

Das Grundgesetz ist auch eine Absage an den deutschen Militarismus, der Ursache für die unvorstellbaren Schrecken und das millionenfache Sterben in zwei Weltkriegen war. 1949 ist die Bundesrepublik Deutschland als Staat ohne Armee entstanden; schon die Einfügung der Wehrverfassung in das Grundgesetz im Jahr 1956 wird zu Recht "eine Wende in der Entwicklung der Bundesrepublik" genannt (Hofmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., 2003, Bd. I, § 9 Rn. 51). Dabei wurde durch Art. 143 GG in der Fassung von 1956 klargestellt, dass im Zuge der "Wiederbewaffnung" eine Befugnis zum Einsatz der Streitkräfte im Inneren selbst in Fällen des Notstandes nicht gegeben war (vgl. Meixner, in: Dolzer/Kahl/Waldhoff/Graßhof, BK, Art. 143 Rn. 4 ). Nach diesem ersten folgte 1968 ein zweiter Schritt im Zuge der Implementierung der Notstandsverfassung in das Grundgesetz. Nun wurde der Einsatz der Streitkräfte auch im Inland zugelassen, allerdings nur in wenigen eng begrenzten Fällen, die zudem in der Verfassung ausdrücklich geregelt sein müssen (Art. 87a Abs. 2 GG). Dies sind der regionale und der überregionale Katastrophennotstand (Art. 35 Abs. 2 und 3 GG), der äußere Notstand (Art. 87a Abs. 3 GG) und der Staatsnotstand als qualifizierter Fall des inneren Notstandes (Art. 87a Abs. 4 GG). Dabei ist mit der Zulässigkeit des Einsatzes der Streitkräfte im Inneren noch keine Aussage über die Mittel getroffen, die hierbei zum Einsatz gelangen können. Vielmehr bleibt - wie vom Ersten Senat im Urteil vom 15. Februar 2006 (BVerfGE 115, 118 <146 ff., 150 f.>) erkannt - ein Einsatz spezifisch militärischer Waffen in Fällen des Katastrophennotstandes auch dann ausgeschlossen, wenn gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 Satz 1 GG die Streitkräfte herangezogen werden dürfen. Bei beiden Verfassungsänderungen hat der Gesetzgeber also nicht aus dem Blick verloren, dass der Einsatz von Streitkräften im Inneren mit besonderen Gefahren für Demokratie und Freiheit verbunden ist und daher ebenso strikter wie klarer Begrenzung bedarf.

63

Auch und gerade seitdem nach der Notstandsgesetzgebung der Einsatz des Militärs im Inneren nicht mehr schlechthin unzulässig ist, bleibt strenge Restriktion geboten. Es ist sicherzustellen, dass die Streitkräfte niemals als innenpolitisches Machtinstrument eingesetzt werden. Abgesehen von dem extremen Ausnahmefall des Staatsnotstandes, in dem nur zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer als letztes Mittel auch Kampfeinsätze der Streitkräfte im Inland zulässig sind (Art. 87a Abs. 4 GG), ist die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit Aufgabe allein der Polizei. Ihre Funktion ist die der Gefahrenabwehr und nur über hierfür geeignete und erforderliche Waffen darf die Polizei verfügen; hingegen sind Kampfeinsätze der Streitkräfte auf die Vernichtung des Gegners gerichtet, was spezifisch militärische Bewaffnung notwendig macht. Beide Aufgaben sind strikt zu trennen. Hiermit zieht unsere Verfassung aus historischen Erfahrungen die gebotenen Konsequenzen und macht den grundsätzlichen Ausschluss der Streitkräfte von bewaffneten Einsätzen im Inland zu einem fundamentalen Prinzip des Staatswesens. Mit anderen Worten: Die Trennung von Militär und Polizei gehört zum genetischen Code dieses Landes (so Heinrich Wefing, in: Zeit-Online vom 14. Januar 2009, http://www.zeit.de/2008/42/Bundeswehr).

64

Wer hieran etwas ändern will, muss sich nicht nur der öffentlichen politischen Debatte stellen, sondern auch die zu einer Verfassungsänderung erforderlichen parlamentarischen Mehrheiten (Art. 79 Abs. 2 GG) für sich gewinnen. Im Anschluss an das Urteil des Ersten Senats war demgemäß eine Änderung des Grundgesetzes beabsichtigt, um den am 11. September 2001 deutlich gewordenen Gefahren des internationalen Terrorismus effektiv begegnen zu können. Das Vorhaben scheiterte, weil sich - trotz der damaligen "großen" Regierungskoalition - für die von der Bundesregierung beabsichtigte Zulassung "militärischer Mittel" generell in "besonders schweren Unglücksfällen" im Bundestag nicht die erforderliche Mehrheit fand und allenfalls eine Begrenzung militärischer Kampfeinsätze zur Abwehr von Angriffen aus der Luft oder von See aus hätte erreicht werden können (vgl. Zeit-Online vom 14. Januar 2009, http://www.zeit.de/online/2008/42/bundeswehr-grundgesetz). Der Plenarbeschluss gibt nun das, was für die Bundesregierung vor drei Jahren gegen einen der Koalitionspartner - und auch gegen die Stimmverhältnisse im Bundesrat - nicht durchsetzbar war. Selbst wenn man es unerträglich empfindet, dass die Streitkräfte hiernach bei terroristischen Angriffen untätig in der Rolle des Zuschauers verharren müssen, ist es nicht Aufgabe und nicht Befugnis des Bundesverfassungsgerichts korrigierend einzuschreiten.

II.

65

Nach meiner Ansicht schließt das Grundgesetz in seiner gegenwärtigen Fassung den Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen sowohl in Fällen des regionalen (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG) wie in Fällen des überregionalen (Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG) Katastrophennotstandes aus; insoweit ist also an der Auffassung des Ersten Senats im Urteil vom 15. Februar 2006 (BVerfGE 115, 118 <146 ff., 150 f.>) festzuhalten. Hierbei kann dahinstehen, ob die Wortlautargumente, die im Urteil des Ersten Senats in den Vordergrund gestellt wurden, den Argumenten des Plenarbeschlusses Stand halten und die ihnen beigelegte tragende Bedeutung weiterhin beanspruchen können. Denn es lässt sich auch mit einer historischen Verfassungsinterpretation, vor allem aber mit einer systematischen Auslegung des Grundgesetzes begründen, dass ein Einsatz der Streitkräfte mit militärischer Bewaffnung in beiden Fällen des Katastrophennotstandes nicht erlaubt und damit aufgrund des Art. 87a Abs. 2 GG von Verfassungs wegen untersagt ist.

66

1. Der Plenarbeschluss will zwar davon ausgehen, dass sich aus den Gesetzgebungsmaterialien "insgesamt kein klares Bild" für einen bestimmten Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers ergebe. Bei vollständiger Ausschöpfung der verfügbaren Quellen und bei Würdigung der dort dokumentierten Erklärungen im Zusammenhang vermag ich diese Einschätzung allerdings nicht zu teilen.

67

a) Unklarheiten können, anders als der Plenarbeschluss ausführt, nicht aus dem Protokoll über die gemeinsame Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses des Bundestages am 30. November 1967 (BTDrucks V/1879 und V/2130) hergeleitet werden. Zwar trifft es zu, dass die dort festgehaltenen Äußerungen der verschiedenen angehörten Sachverständigen unterschiedliche Meinungen zur Zulässigkeit des Einsatzes militärischer Waffen wiedergeben; ferner ist auch zutreffend, dass diese Anhörung Grundlage für den Bericht des Rechtsausschusses wurde, der wiederum Grundlage für den Gesetzesbeschluss des Bundestages zur Verfassungsänderung geworden ist. Es gibt jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, sondern ist schon im Ansatz fernliegend, dass das uneinheitliche Meinungsbild einer Anhörung unverändert in die Beschlussfassung des Rechtsausschusses eingeflossen ist. Das Gegenteil ist richtig. Der Rechtsausschuss musste - jedenfalls mit der Mehrheit der Stimmen seiner Mitglieder - eine klare Entscheidung treffen und hat dies auch getan.

68

Die Auffassung des Rechtsausschusses steht allerdings der Einschätzung des Plenums entgegen und findet in dessen Argumentation keine hinreichende Beachtung: Nachdem die Sachverständigen Kluncker und Kuhlmann in der gemeinsamen Informationssitzung des Innen- und des Rechtsausschusses angeregt hatten, den waffenlosen Einsatz der Bundeswehreinheiten im Katastrophen- und Unglücksfall zum Ausdruck zu bringen (vgl. Protokoll der 3. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses vom 30. November 1967, a.a.O., S. 42, 50), nimmt der schriftliche Bericht des Rechtsausschusses diese Hinweise auf, zieht daher den Einsatz militärisch bewaffneter Streitkräfte überhaupt nur für den Fall des Art. 87a Abs. 4 GG in Betracht und beschränkt ihn zugleich auf den Staatsnotstand als eine besonders gefährdende Situation des inneren Notstandes. Im Bericht des Rechtsausschusses heißt es unmissverständlich (BTDrucks V/2873, S. 2):

69

"Der Hauptunterschied zur Regierungsvorlage liegt darin, dass die Schwelle für den Einsatz der Streitkräfte als bewaffnete Macht angehoben worden ist. Der Rechtsausschuss schlägt vor, den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr nur dann zuzulassen, wenn dies zur Bekämpfung von Gruppen militärisch bewaffneter Aufständischer erforderlich ist (Artikel 87a Abs. 4)."

70

Entgegen der Ansicht des Plenums, das die Bedeutung dieser Äußerung ins Ungewisse stellt ("… muss nicht dahin verstanden werden …"), wird damit ein bewaffneter Einsatz auch in den Fällen des Katastrophennotstandes ausgeschlossen; denn diese Passage findet sich unter der Überschrift "Innerer Notstand" in dem Abschnitt des Berichts, der sich eingehend dazu verhält, dass die zuvor in der Regierungsvorlage zusammenfassend geregelten "Fälle des Inneren Notstandes" nunmehr nach ihrem "sachlichen Inhalt" getrennt in eigenen Vorschriften normiert werden sollen. Da angesichts der Zusammenfassung im Regierungsentwurf seinerzeit in den Begriff des "Inneren Notstandes" auch die Fälle des Katastrophennotstandes einbezogen wurden (vgl. Lenz, Notstandsverfassung des Grundgesetzes - Kommentar, 1971, Art. 35 Rn. 2), war der Ausschluss spezifisch militärischer Waffen ersichtlich auch und gerade für die nun in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG gesondert zu regelnden Einsätze bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen gewollt.

71

b) Dies wird - entgegen der Ansicht des Plenums - durch weitere Quellen bestätigt. Ein anderes Verständnis trifft nicht die historischen Gegebenheiten im Umfeld der Verfassungsänderung des Jahres 1968. Das Plenum lässt völlig außer Acht, dass zur Zeit der Notstandsgesetzgebung eine weitergehende Zulassung des Einsatzes militärisch bewaffneter Einheiten der Streitkräfte im Inneren politisch nicht durchsetzbar gewesen wäre. Seit dem Bundestag im Jahre 1960 ein erster Entwurf vorgelegt worden war, kam es über Jahre hinweg zu grundlegenden politischen Diskussionen in der - angesichts der Erfahrungen mit der deutschen Geschichte - sensibilisierten Öffentlichkeit, die sich im Zuge der abschließenden Beratungen noch erheblich verschärften (vgl. etwa Scheuner, in: Lenz, a.a.O., Einleitung, S. 13). So richtete sich der vor allem von den Gewerkschaften getragene Widerstand gegen die Notstandsverfassung in Sonderheit gegen die zutreffend erkannte Gefahr eines Einsatzes der Streitkräfte als innenpolitisches Machtinstrument gegen die Bevölkerung namentlich bei Arbeitskämpfen (vgl. Hoffmann, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, 1968, S. 87 f.). Als Beispiel für die mit der Notstandsgesetzgebung verknüpften Befürchtungen mag das von Ekkehart Stein und Helmut Ridder schon 1963 verfasste Memorandum der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler "Der permanente Notstand" (abgedruckt in Ridder, Gesammelte Schriften, 2010, S. 563 <566>) dienen, in dem es heißt:

72

"Das Friedensrecht darf nicht vom Kriegsrecht material unterwandert werden, d.h. im Frieden dürfen keine Maßnahmen zugelassen werden, die in einem Krieg zur Bewältigung dieser extremen Gefahrenlage entwickelt wurden und nur im Kriegsfall zu rechtfertigen sind."

73

Vor diesem Hintergrund stellte der Abgeordnete Dr. Lenz (CDU/CSU) als Berichterstatter des Rechtsausschusses bei den abschließenden Beratungen im Bundestag die restriktiven Ziele beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte klar (PlProt 5/174, S. 9311 <9313>):

74

"Es ist nicht wahr, dass durch diese Vorlage der Bürgerkrieg vorbereitet wird. Sowohl bei der Formulierung des staatsbürgerlichen Widerstandsrechts als auch bei der Möglichkeit der Bundesregierung, im äußersten Notfall Truppen gegen militärisch bewaffnete Aufständische einzusetzen, hat der Rechtsausschuss sich bemüht, klarzustellen, dass dies nur die Ultima ratio, das letzte Mittel sein dürfte, wenn alle anderen Mittel versagt haben."

75

2. Diese historisch fundierte Ausgangsprämisse des verfassungsändernden Gesetzgebers findet deutlichen Niederschlag in der Systematik, die das Grundgesetz mit der Implementierung der "Notstandsverfassung" durch das 17. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl I S. 709) erfahren hat. Der Plenarbeschluss geht hierauf nicht ein.

76

Gerade wegen der starken öffentlichen Kritik, die sich an dem Streitkräfteeinsatz im Fall des inneren Notstandes entzündet hatte, wandte sich der Rechtsausschuss gegen eine zusammenfassende Regelung, wie sie in dem vorangegangenen Regierungsentwurf vorgeschlagen worden war. Die Trennung der - als unproblematisch angesehenen - Regelung des Katastrophennotstandes einerseits von der des inneren Notstandes andererseits erfolgte, um die entstandene Debatte zu entpolitisieren und den Verdacht auszuräumen, dass mit dem Katastrophennotstand auch der innere Notstand bekämpft werden solle (vgl. Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. Februar 1968, dort S. 10). Dies belegt einmal mehr, dass diese beiden Fälle des Streitkräfteeinsatzes im Inneren völlig unterschiedliche, sich nicht überschneidende Anwendungsbereiche haben und deshalb nicht durch die Zulassung spezifisch militärischer Bewaffnung auch in Fällen des Katastrophennotstandes vermengt werden dürfen. Demgemäß führt der Berichterstatter des Rechtsausschusses, der Abgeordnete Dr. Lenz, in dem von ihm 1971 verfassten Kommentar zur Notstandsverfassung bei Art. 35 Abs. 2 GG (a.a.O., Art. 35 Rn. 9) aus:

77

"Die Anforderung geschieht 'zur Hilfe'. Damit ist ein unbewaffneter - dies ist vor allem im Hinblick auf die Streitkräfte von Bedeutung - technischer Hilfseinsatz gemeint."

78

In Einklang damit steht der Hinweis in dem abschließenden Bericht des Rechtsausschusses, dass die im Fall des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG zur Verfügung gestellten Kräfte anderer Länder und des Bundes "den Rechtsnormen des im Einsatzland geltenden Landespolizeirechts" unterstehen (BTDrucks V/2873, S. 10). Zu Art. 35 Abs. 3 GG verweist der Bericht ausdrücklich auf die Ausführungen zu Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG (BTDrucks V/2873, S. 10). Für beide Fälle des Katastrophennotstandes wurden also mit der Maßgeblichkeit des Landespolizeirechts die Voraussetzungen für die Einbindung der Streitkräfte in den zivilen Katastrophenschutz geschaffen und damit nur polizeiliche Maßnahmen, nicht aber militärische Kampfmaßeinsätze ermöglicht (vgl. auch Cl. Arndt, DVBl 1968, S. 729 f.). Auch die im Bericht des Rechtsausschusses im Einzelnen angeführten Beispiele für den Einsatz der Streitkräfte in den Fällen von Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG, nämlich "Absperrungen von gefährdeten Grundstücken und Verkehrsregelungen" (BTDrucks V/2873, S. 10), sprechen deutlich für einen Einsatz der Streitkräfte, der hinsichtlich der einsetzbaren Mittel nicht über die im jeweiligen Landespolizeirecht der Länder vorgesehenen hinausgehen darf. In der Begründung des Rechtsausschusses zu Art. 87a Abs. 4 GG findet sich demgegenüber die Aussage, dass für den dort geregelten Einsatzfall militärische Mittel nicht von vornherein ausgeschlossen werden sollten, wobei konsequenterweise nicht auf die Anwendbarkeit des jeweiligen Landespolizeirechts verwiesen wird (BTDrucks V/2873, S. 14).

79

3. Weiteres kommt hinzu. Im Rahmen der systematischen Auslegung ist auch zu beachten, dass im Fall des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG allein der Bundesregierung eine Initiativbefugnis zusteht, sie demnach - wie auch der Plenarbeschluss in Bestätigung der Rechtsauffassung des Ersten Senats (BVerfGE 115, 118 <149 f.>) zur dritten Vorlagefrage zutreffend erkennt - nur als Kollegialorgan über den Einsatz der Streitkräfte in überregionalen Katastrophen- oder Unglücksfällen zu befinden vermag. Diese Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers für das Initiativrecht nur der Bundesregierung als Kollegialorgan ist auch für die Zulässigkeit eines bewaffneten Einsatzes der Streitkräfte im Inneren von Belang; denn sie gibt auch Aufschluss über den als zulässig angesehenen und der Regelung daher zugrunde gelegten Mitteleinsatz.

80

Entscheidungen eines Gremiums erfordern naturgemäß einen größeren zeitlichen Vorlauf; das Verfahren ist schwerfälliger als das einer ministeriellen Einzelentscheidung und bringt daher schwerwiegende Effektivitätsnachteile mit sich. Diese können bis zur Erfolglosigkeit einer Maßnahme infolge Zeitablaufs reichen, wenn es sich um eine Gefahrenlage handelt, die ein sofortiges Eingreifen zwingend erfordert. Hingegen zeichnen sich die Naturkatastrophen und Unglücksfälle, für die in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG ein Einsatz der Streitkräfte vorgesehen wurde, typischerweise dadurch aus, dass sie einen gewissen, wenn auch eng begrenzten zeitlichen Spielraum lassen. Unglücksfälle treten generell, Naturkatastrophen bisweilen so plötzlich ein, dass nur noch eine Bekämpfung hinsichtlich der Folgen möglich ist, was aufgrund der Notwendigkeit, Einsatzkräfte und Material heranzuführen, ohnehin geraume Zeit in Anspruch nehmen muss. Ansonsten weisen Naturkatastrophen in ihrer Entstehung oder Folgeentwicklung eine zeitliche Streckung zumindest über Stundenzeiträume auf. All diese Umstände erlauben die Befassung eines Kollegialorgans wie der Bundesregierung, ohne hierdurch die Wirksamkeit des Streitkräfteeinsatzes ernsthaft zu gefährden.

81

Hingegen ist ein unausweichlicher Druck zur Entscheidung innerhalb kürzester Frist gerade für solche Gefahren typisch, denen effektiv nur mit dem Einsatz solcher Waffen begegnet werden kann, die in ihrer zerstörenden Wirkung über die polizeirechtlich zulässige Bewaffnung hinausgehen. Spezifische Militärwaffen sind mit ihrer zerstörerischen Kraft auf die Vernichtung des Gegners angelegt. Ist außerhalb einer kriegerischen Auseinandersetzung zur Gefahrenabwehr der Einsatz solcher Vernichtungskraft im Sinne der Verhältnismäßigkeitsmaxime angemessen und insbesondere auch erforderlich, so wird typischerweise - wie eben bei der Entführung von Flugzeugen zum Einsatz als Anschlagswaffe ("Renegade"-Fälle) - ein Verlauf bereits eingeleitet sein, der bei ungehindertem Fortgang in kürzester Zeit den Verlust zahlreicher Menschenleben oder ungeheuere Schäden erwarten lässt und daher nur durch den Einsatz massivster Mittel endgültig gestoppt werden kann. Solche Gefährdungslagen sind also dadurch gekennzeichnet, dass ihrer Beseitigung jede zeitliche Verzögerung abträglich ist. Dann wäre aber die Betrauung eines in der Entscheidungsfindung vergleichsweise schwerfälligen Kollegialorgans mit der Initiativbefugnis zum Einschreiten geradezu dysfunktional und als Zuständigkeitsentscheidung mit Blick auf die vom verfassungsändernden Gesetzgeber angestrebte "wirksame Bekämpfung" fernliegend. Wenn daher - wie in Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG geschehen - der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Bundesregierung einem Kollegialorgan die Zuständigkeit für die Einsatzentscheidung zuweist, kann hieraus nur der Schluss gezogen werden, dass er von vornherein den Einsatz spezifisch militärischer Waffen nicht für erforderlich hielt und damit auch nicht legitimieren wollte.

III.

82

Dem geschilderten Ergebnis einer historischen und systematischen Auslegung des Grundgesetzes entspricht die Rechtsauffassung des Ersten Senats im Urteil vom 15. Februar 2006, wonach "auch im Fall des überregionalen Katastrophennotstandes ein Einsatz der Streitkräfte mit typisch militärischen Waffen von Verfassungs wegen nicht erlaubt ist" (BVerfGE 115, 118 <150>). Ihm ließe sich aber auch noch dadurch Rechnung tragen, dass die im Plenarbeschluss dargestellte "Sperrwirkung" des Art. 87a Abs. 4 GG als unüberwindliche Schranke des Einsatzes militärischer Waffen im Inland strikt eingehalten wird. Damit wäre der Einsatz militärspezifischer Waffen in Katastrophenfällen namentlich gegen Sachen - wie etwa bei dem gängigen Beispiel des Bombardierens von Deichen zur Herbeiführung einer kontrollierten Überflutung - zu rechtfertigen. Das Plenum will diesen Weg zwar beschreiten und bringt dies scheinbar auch im Beschlusstenor mit der Antwort auf die zweite Vorlagefrage zum Ausdruck. Allerdings erfährt der Tenor durch die anschließenden Gründe des Beschlusses eine entscheidende Ausdehnung, die als tragende Begründung letztlich für das Verständnis und die Wirkungen der Entscheidung des Plenums maßgeblich ist (vgl. BVerfGE 3, 261 <264>; 36, 342 <359 f.> jeweils zu Art. 100 Abs. 3 GG). Damit macht das Plenum den Ansatz einer "strikten Begrenzung" durch Art. 87a Abs. 4 GG selbst zur Makulatur; denn der "Sperrwirkung" wird nur "grundsätzlich" Geltung beigelegt, was es ermöglicht, Inlandseinsätze der Streitkräfte mit militärischer Bewaffnung auch dann zuzulassen, wenn es gilt, einem "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze" eintretenden "katastrophalen Schaden" entgegenzuwirken, der auch durch absichtliches Handeln verursacht sein kann.

83

1. Vieles spricht dafür, dass die Vorstellungen des verfassungsändernden Gesetzgebers bei Regelung des Katastrophennotstandes in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG neben Naturkatastrophen - wie der Hamburger Sturmflut 1962 - nur auf besonders schwere Unglücksfälle im Sinne schicksalhafter, zufälliger Verläufe gerichtet waren (vgl. etwa die Beispiele bei Lenz, a.a.O., Art. 35 Rn. 6 "Explosionsunglück" oder "Kollision von Öltankern in Küstennähe"). Der Erste Senat hat den Begriff des Unglücksfalls jedoch auch für solche Schadensereignisse geöffnet, die "von Dritten absichtlich herbeigeführt werden" (BVerfGE 115, 118 <144>). Erst damit konnte es zu Überschneidungen mit der Regelung des (inneren) Staatsnotstandes in Art. 87a Abs. 4 GG kommen, der unter engen Voraussetzungen einen Waffeneinsatz der Streitkräfte nur gegen organisierte und militärisch bewaffnete Aufständische erlaubt.

84

Will man daher mit dem Ersten Senat den Einsatz militärischer Waffen in den Fällen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG nicht schon generell untersagen, so ist zur Wahrung der in der Verfassung angelegten strikten Trennung zwischen Katastrophennotstand einerseits und innerem Notstand andererseits ein geeignetes Kriterium zu finden, das Umgehungen der streng restriktiven Regelung für Kampfeinsätze in Art. 87a Abs. 4 GG zwingend und effektiv vermeidet. Dazu ist es notwendig, den Zweck der verfassungsrechtlichen Trennung beider Einsätze ernst zu nehmen. Es ging darum, den Katastrophenschutz durch Unterstützung der Streitkräfte zu verbessern, gleichzeitig aber die damit faktisch auch eröffnete Möglichkeit zu verschließen, das Militär als innenpolitisches Machtinstrument zu nutzen (vgl. Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. Februar 1968, dort S. 10). Selbst wenn Gewalttätigkeiten oder Unruhen drohen sollten, die in ihren Folgen das Ausmaß besonders schwerer Unglücksfälle erreichen, dürfen bewaffnete Streitkräfte im Inneren nicht etwa dazu eingesetzt werden, um allein schon durch ihre Präsenz die Bevölkerung etwa bei Demonstrationen einzuschüchtern. Um dieses Ziel zu erreichen, muss Art. 87a Abs. 4 GG eine Sperrwirkung beigelegt werden, die es verhindert, dass bewaffnete Streitkräfte gegen Menschen zum Einsatz kommen, die vorsätzlich die öffentliche Sicherheit gefährden, selbst wenn sie sich absichtlich und in aggressiver Weise gegen den Staat wenden und sich hierbei strafbar machen sollten. Die Bekämpfung solcher Gefährdungen ist selbstverständlich zulässig und geboten, aber sie ist nach dem geltenden Verfassungsrecht in Deutschland eine ausschließlich polizeiliche, nicht jedoch eine militärische Aufgabe. Dies bestätigt die Verfassung selbst durch Art. 91 GG. Denn sogar wenn es zu einer Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kommt, sieht Art. 91 GG für diesen Fall des inneren Notstandes nur den Einsatz von Polizeikräften anderer Länder oder der Bundespolizei vor, nicht aber den Einsatz der Streitkräfte. Deren Heranziehung macht Art. 87a Abs. 4 GG schon für den bloßen Objektschutz vielmehr von weiteren Voraussetzungen abhängig, wobei der Einsatz von Waffen in jedem Fall nur gegen organisierte und militärisch bewaffnete Aufständische zulässig ist (vgl. Lenz, a.a.O., Art. 87a Rn. 18). Mit den Waffen des Militärs dürfen also nur Personengruppen bekämpft werden, die selbst militärisch bewaffnet sind, sich gegen den Staat erhoben haben und über ein System der Einsatzleitung verfügen (vgl. Lenz, a.a.O., Art. 87a Rn. 19).

85

2. Der Plenarbeschluss geht darüber hinaus. Er ist zwar von der redlichen und anerkennenswerten Absicht getragen, den bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren restriktiv zu halten, setzt sich aber über die selbst erkannte Sperrwirkung hinweg und kann daher mit den von ihm entwickelten Kriterien eine Umgehung der engen Voraussetzungen des inneren Notstandes nach Art. 87a Abs. 4 GG durch die weniger strengen Voraussetzungen des Katastrophennotstandes nicht verhindern. Durch den Versuch der weiteren Einhegung des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG durch das Erfordernis eines zwar nicht das "Vorfeld" eines Unglücksfalls erfassenden, gleichwohl aber "unmittelbar bevorstehenden" Schadenseintritts "von katastrophischen Dimensionen" wird die Rechtsanwendung zwar um neue Begrifflichkeiten bereichert, nicht aber um die nötige Klarheit und Berechenbarkeit. Es handelt sich um gänzlich unbestimmte, gerichtlich kaum effektiv kontrollierbare Kategorien, die in der täglichen Anwendungspraxis viel Spielraum für subjektive Einschätzungen, persönliche Bewertungspräferenzen und unsichere, wenn nicht gar voreilige Prognosen lassen. Jedenfalls bei Inlandseinsätzen militärisch bewaffneter Streitkräfte ist das nicht hinnehmbar. Im Schatten eines Arsenals militärischer Waffen kann freie Meinungsäußerung schwerlich gedeihen. Wie ist beispielsweise zu verhindern, dass im Zusammenhang mit regierungskritischen Großdemonstrationen - wie etwa im Juni 2007 aus Anlass des "G8-Gipfels" in Heiligendamm - schon wegen befürchteter Aggressivität einzelner teilnehmender Gruppen "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze" eintretende massive Gewalttätigkeiten mit "katastrophalen Schadensfolgen" angenommen werden und deswegen bewaffnete Einheiten der Bundeswehr aufziehen? Der bloße Hinweis des Plenums, dass Gefahren, die "aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen", nicht genügen sollen, kann in diesen Fällen die selbst definierten Einsatzvoraussetzungen kaum wirksam suspendieren.

86

3. Dass die vom Plenarbeschluss entwickelte Lösung einer überzeugenden dogmatischen Grundlage entbehrt, kommt hinzu. Wie es angesichts der auch im Plenarbeschluss anerkannten Sperrwirkung zulässig sein kann, diese gleichwohl -und sei es auch nur in besonders qualifizierten Unglücksfällen - bei Seite zu schieben und den Einsatz bewaffneter Streitkräfte auch dann zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Art. 87a Abs. 4 GG nicht vorliegen, erschließt sich nicht und wird in der Entscheidung nicht begründet. Eine Begründung lässt sich auch schwerlich finden; denn wenn - bildlich gesprochen - das Öffnen einer Tür verboten ist, dann kann es nicht erlaubt sein, sie auch nur einen Spalt weit zu öffnen.

IV.

87

Letztlich wirft der Plenarbeschluss auch die Frage auf, was durch den nun erweiterten Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Inneren an Vorteilen für den Schutz der Bevölkerung namentlich vor terroristischen Angriffen erreicht werden kann. Die Antwort lautet: wenig bis nichts.

88

1. Angesichts des beim Zweiten Senat anhängigen Normenkontrollverfahrens wird darüber zu befinden sein, welche Vorschriften des Luftsicherheitsgesetzes zur Abwehr besonders schwerer Unglücksfälle durch den Einsatz bewaffneter Einheiten der Streitkräfte verfassungsrechtlichen Bestand haben können. Auf der Grundlage des Plenarbeschlusses mag es de lege lata zulässig sein, dass Kampfflugzeuge unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 LuftSiG "Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben". Die erfolgreiche Gefahrenabwehr durch solche Maßnahmen wird allerdings insbesondere in "Renegade"-Fällen deshalb wenig wahrscheinlich sein, weil Konsequenzen in Form eines Abschusses unzulässig sind, nachdem die - eine "unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt" gestattende - Vorschrift des § 14 Abs. 3 LuftSiG durch das Urteil des Ersten Senats für verfassungswidrig und nichtig erklärt worden ist (BVerfGE 115, 118). De lege ferenda mag ohne Verfassungsänderung eine gesetzliche Neuregelung möglich sein, diese könnte jedoch eine unmittelbare Einwirkung mit militärischer Waffengewalt nur gegen ein unbemanntes Luftfahrzeug erlauben oder ausschließlich gegen die Personen gerichtet sein, die das Luftfahrzeug als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen einsetzen wollen (vgl. BVerfGE 115, 118 <160>). Hingegen kann der deutsche Gesetzgeber den Abschuss solcher Flugzeuge nicht erlauben, in denen sich - wie bei den terroristischen Angriffen am 11. September 2001 - Passagiere und Besatzungsmitglieder befinden, die selbst Opfer der Luftpiraten geworden sind. Insoweit hat auch der Plenarbeschluss nichts daran geändert, dass die den Umständen nach wahrscheinliche Tötung dieser Menschen mit dem Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) in Verbindung mit der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) unvereinbar ist. Es kommt hinzu, dass - auch nach der Auffassung des Plenums - ohne Verfassungsänderung allein die Bundesregierung nach Maßgabe des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG über den Einsatz militärischer Waffen gegen Luftfahrzeuge befinden kann, was angesichts des vergleichsweise kleinen deutschen Luftraums kaum jemals rechtzeitig zu einer Maßnahme nach § 14 Abs. 1 LuftSiG oder - nach gesetzlicher Neuregelung - zu einem eingeschränkt zulässigen Abschuss eines Luftfahrzeugs führen wird. Soll danach der Rahmen, den das materielle Verfassungsrecht für eine effektive Abwehr von Gefahren aus dem Luftraum lässt, genutzt werden, so ist trotz der erweiterten Zulässigkeit von Kampfeinsätzen nach der Entscheidung des Plenums eine Verfassungsänderung gleichwohl unvermeidlich.

89

2. Es lässt sich nicht leugnen und ist positiv zu bewerten, dass die Antwort des Plenums deutlich hinter dem aus der Vorlagefrage ersichtlichen Anliegen des Zweiten Senats zurückbleibt, das auf eine Umgestaltung der Regelungen des Katastrophennotstandes hin zu einer subsidiären allgemeinen Gefahrenabwehr mit militärischen Waffen zielte. Gleichwohl hat das Plenum aber zugunsten eines geringen, praktisch kaum realisierbaren Gewinns an Sicherheit die Zulässigkeit des Einsatzes der Streitkräfte im Inneren mit Hilfe derart unbestimmter Rechtsbegriffe erweitert, dass militärische Einsätze zu innenpolitischen Zwecken nicht ausgeschlossen werden können. Für einen kaum messbaren Nutzen wurden fundamentale Grundsätze aufgegeben. Daher wäre es ein fataler Fehler, sich angesichts der Entscheidung des Plenums damit zu trösten, dass der Berg gekreißt, aber nur eine Maus geboren hat.

(1) Die Maßnahmen nach § 14 Absatz 1 dürfen erst nach Überprüfung sowie erfolglosen Versuchen zur Warnung und Umleitung getroffen werden. Zu diesem Zweck können die Streitkräfte auf Ersuchen der Flugsicherungsorganisation im Luftraum Luftfahrzeuge überprüfen, umleiten oder warnen. Ein generelles Ersuchen ist zulässig. Die Voraussetzungen für ein Tätigwerden werden in diesem Fall durch vorherige Vereinbarung festgelegt.

(2) Der Bundesminister der Verteidigung kann den Inspekteur der Luftwaffe generell ermächtigen, Maßnahmen nach Absatz 1 anzuordnen. Der Inspekteur der Luftwaffe hat den Bundesminister der Verteidigung unverzüglich über Situationen zu informieren, die zu Maßnahmen nach § 14 Absatz 1 führen könnten.

(3) Die sonstigen Vorschriften und Grundsätze der Amtshilfe bleiben unberührt.

Tenor

1. Soweit der Antrag sich auf § 14 Absatz 3 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) bezog, wird das Verfahren eingestellt.

2. § 13 Absatz 3 Satz 2 und 3 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) ist mit Artikel 35 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

3. Im Übrigen sind die §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite78), geändert durch Artikel 7 Nummer 2 des Gesetzes zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften vom 29. Juli 2009 (Bundesgesetzblatt I Seite 2424) - soweit nicht als Folge der Nichtigerklärung des § 14 Absatz 3 des Luftsicherheitsgesetzes durch das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006 - 1 BvR 357/05 - gegenstandslos geworden (§ 14 Absatz 4 Satz 1 Luftsicherheitsgesetz und die in § 15 Absatz 1 und 2 Luftsicherheitsgesetz enthaltenen Bezugnahmen auf § 14 Absatz 3 Luftsicherheitsgesetz) - in den genannten Fassungen mit dem Grundgesetz vereinbar.

4. § 16 Absatz 2 und Absatz 3 Satz 2 und 3 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite78) sowie Artikel 2 Nummer 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben sind mit dem Grundgesetz vereinbar.

Gründe

A.

1

Der Antrag im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle betrifft die Vorschriften des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) zur Verwendung der Streitkräfte bei einem besonders schweren Unglücksfall (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG), der von einem Luftfahrzeug ausgeht (§§ 13 bis 15 LuftSiG), sowie die gesetzlichen Bestimmungen, die es dem Bund erlauben, Luftsicherheitsaufgaben, die den Ländern zur Ausführung in Auftragsverwaltung übertragen sind (§ 16 Abs. 2 LuftSiG), durch Entscheidung des Bundesministeriums des Innern wieder an sich zu ziehen (§ 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 i.V.m. § 16 Abs. 2 LuftSiG, Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 ).

I.

2

1. Das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (BGBl I S. 78) und - als dessen Artikel 1 - das Luftsicherheitsgesetz traten am 15. Januar 2005 in Kraft (zu den Hintergründen BVerfGE 115, 118 <119 ff.>). Die im Antrag genannten Bestimmungen sind in der damaligen Fassung zur Prüfung gestellt. In dieser Fassung haben sie folgenden Wortlaut:

3

§ 13 LuftSiG

Entscheidung der Bundesregierung

(1) Liegen auf Grund eines erheblichen Luftzwischenfalls Tatsachen vor, die im Rahmen der Gefahrenabwehr die Annahme begründen, dass ein besonders schwerer Unglücksfall nach Artikel 35 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 des Grundgesetzes bevorsteht, können die Streitkräfte, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, zur Unterstützung der Polizeikräfte der Länder im Luftraum zur Verhinderung dieses Unglücksfalles eingesetzt werden.

(2) Die Entscheidung über einen Einsatz nach Artikel 35 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes trifft auf Anforderung des betroffenen Landes der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern. Ist sofortiges Handeln geboten, ist das Bundesministerium des Innern unverzüglich zu unterrichten.

(3) Die Entscheidung über einen Einsatz nach Artikel 35 Abs. 3 des Grundgesetzes trifft die Bundesregierung im Benehmen mit den betroffenen Ländern. Ist eine rechtzeitige Entscheidung der Bundesregierung nicht möglich, so entscheidet der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern. Die Entscheidung der Bundesregierung ist unverzüglich herbeizuführen. Ist sofortiges Handeln geboten, sind die betroffenen Länder und das Bundesministerium des Innern unverzüglich zu unterrichten.

(4) Das Nähere wird zwischen Bund und Ländern geregelt. Die Unterstützung durch die Streitkräfte richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes.

4

§ 14 LuftSiG

Einsatzmaßnahmen, Anordnungsbefugnis

(1) Zur Verhinderung des Eintritts eines besonders schweren Unglücksfalles dürfen die Streitkräfte im Luftraum Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben.

(2) Von mehreren möglichen Maßnahmen ist diejenige auszuwählen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Die Maßnahme darf nur so lange und so weit durchgeführt werden, wie ihr Zweck es erfordert. Sie darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht.

(3) Die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ist nur zulässig, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, und sie das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist.

(4) Die Maßnahme nach Absatz 3 kann nur der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung anordnen. Im Übrigen kann der Bundesminister der Verteidigung den Inspekteur der Luftwaffe generell ermächtigen, Maßnahmen nach Absatz 1 anzuordnen.

5

§ 15 LuftSiG

Sonstige Maßnahmen

(1) Die Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 und 3 dürfen erst nach Überprüfung sowie erfolglosen Versuchen zur Warnung und Umleitung getroffen werden. Zu diesem Zweck können die Streitkräfte auf Ersuchen der für die Flugsicherung zuständigen Stelle im Luftraum Luftfahrzeuge überprüfen, umleiten oder warnen. Ein generelles Ersuchen ist zulässig. Die Voraussetzungen für ein Tätigwerden werden in diesem Fall durch vorherige Vereinbarung festgelegt.

(2) Der Bundesminister der Verteidigung kann den Inspekteur der Luftwaffe generell ermächtigen, Maßnahmen nach Absatz 1 anzuordnen. Der Inspekteur der Luftwaffe hat den Bundesminister der Verteidigung unverzüglich über Situationen zu informieren, die zu Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 und 3 führen könnten.

(3) Die sonstigen Vorschriften und Grundsätze der Amtshilfe bleiben unberührt.

6

§ 16 LuftSiG

Zuständigkeiten

(1) ...

(2) Die Aufgaben der Luftsicherheitsbehörden nach diesem Gesetz und nach der Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt (ABl. EG Nr. L 355 S. 1) werden von den Ländern im Auftrage des Bundes ausgeführt, soweit in den Absätzen 3 und 4 nichts anderes bestimmt ist.

(3) ... Im Übrigen können die Aufgaben der Luftsicherheitsbehörden nach diesem Gesetz in bundeseigener Verwaltung ausgeführt werden, wenn dies zur Gewährleistung der bundeseinheitlichen Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen erforderlich ist. In den Fällen des Satzes 2 werden die Aufgaben von der vom Bundesministerium des Innern bestimmten Bundesbehörde wahrgenommen; das Bundesministerium des Innern macht die Übernahme von Aufgaben sowie die zuständigen Bundesbehörden im Bundesanzeiger bekannt.

(4) ...

7

Art. 2 Nr. 10 Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben

Änderung des Luftverkehrsgesetzes

Das Luftverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. März 1999 (BGBl. I S. 550), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 6. April 2004 (BGBl. I S. 550, 1027), wird wie folgt geändert:

...

10. § 31 Abs. 2 wird wie folgt geändert:

a) In Nummer 18 wird das Semikolon am Ende durch einen Punkt er- setzt.

b) Nummer 19 wird aufgehoben.

...

8

Bei dem gemäß Buchstabe b) dieser Bestimmung aufgehobenen § 31 Abs. 2 Nr. 19 des LuftVG a.F. handelte es sich um die frühere Regelung zur Art und Weise der Ausführung von Aufgaben des Schutzes vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs. Für diese Aufgaben war danach grundsätzlich die Ausführung durch die Länder im Auftrage des Bundes vorgesehen und die Möglichkeit der Ausführung in bundeseigener Verwaltung - nur - auf Antrag eines Landes eröffnet.

9

2. Die wiedergegebenen Bestimmungen sind zwischenzeitlich nur unwesentlich geändert worden. In § 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG wurden die Wörter "für die Flugsicherung zuständigen Stelle" durch das Wort "Flugsicherungsorganisation" (Gesetz zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften vom 29. Juli 2009, BGBl I S. 2424) und in § 16 Abs. 4 Satz 2 LuftSiG die Wörter "Verkehr, Bau- und Wohnungswesen" durch die Wörter "Verkehr, Bau und Stadtentwicklung" ersetzt (Neunte Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 31. Oktober 2006, BGBl I S. 2407).

II.

10

1. Der Normenkontrollantrag ging am 28. April 2005 beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Bearbeitung des Verfahrens wurde zurückgestellt bis zur Entscheidung des Ersten Senats über mehrere anhängige Verfassungsbeschwerden gegen § 14 Abs. 3 LuftSiG.

11

2. Mit Urteil vom 15. Februar 2006 - 1 BvR 357/05 - (BVerfGE 115, 118) erklärte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts § 14 Abs. 3 LuftSiG für mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 87a Abs. 2 und Art. 35 Abs. 2 und 3 sowie in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig. Für die Bestimmung fehle die Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Dessen Befugnis, gesetzliche Regelungen zum Einsatz der Streitkräfte im regionalen oder überregionalen Katastrophennotstand zu treffen, könne nicht auf Art. 73 Nr. 1 oder Art. 73 Nr. 6 GG gestützt werden, sondern folge unmittelbar aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG selbst (a.a.O., S. 140 f.). Von der durch diese Verfassungsnormen eröffneten Kompetenz sei § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht gedeckt (a.a.O., S. 141 ff.). Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG stünden zwar einem Einsatz im Fall eines vorsätzlich herbeigeführten Unglücksfalls ebensowenig entgegen wie einem Einsatz zur Abwehr eines noch nicht eingetretenen, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze zu erwartenden, unmittelbar drohenden Schadensereignisses (a.a.O., S. 143 ff.). Nach Wortlaut und durch die Entstehungsgeschichte bestätigtem Zweck des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG sei jedoch ein Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht erlaubt (a.a.O., S. 146 ff.). § 14 Abs. 3 LuftSiG sei auch mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht vereinbar. Verfassungsrechtlichen Bedenken begegne die Vorschrift schon deshalb, weil der danach zulässige Streitkräfteeinsatz gemäß § 13 Abs. 3 LuftSiG nicht durchweg, wie von Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 62 GG gefordert, eine vorherige Einsatzentscheidung der Bundesregierung als Kollegium voraussetze (a.a.O., S. 148 ff.). Auch im Fall des überregionalen Katastrophennotstands sei zudem ein Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht erlaubt (a.a.O., S. 150 f.). Materiell stehe § 14 Abs. 3 LuftSiG darüber hinaus nicht mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG in Einklang, soweit er es den Streitkräften gestatte, Luftfahrzeuge abzuschießen, in denen sich neben den Angreifern auch Menschen befinden, die an dem Angriff nicht beteiligt, sondern als Opfer von ihm betroffen sind (a.a.O., S. 151 ff.). Auf die Frage, ob das Gesetz, mit dem § 14 Abs. 3 LuftSiG in Kraft gesetzt wurde, der Zustimmung des Bundesrates bedurft hätte, ging der Senat nicht ein; die diesbezügliche Rüge genüge nicht den Begründungsanforderungen der §§ 92, 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BVerfGG (a.a.O., S. 135 f.).

12

3. Die Antragstellerinnen erklärten daraufhin ihren Antrag in dem vorliegenden Verfahren für erledigt, soweit er § 14 Abs. 3 LuftSiG betraf. Die Bearbeitung des Verfahrens blieb auf ihr Ersuchen zunächst weiterhin zurückgestellt.

13

4. Ihren Antrag begründeten die Antragstellerinnen wie folgt:

14

a) Für den Erlass der §§ 13 bis 15 LuftSiG habe dem Bund die Gesetzgebungskompetenz gefehlt. Die in §§ 13 bis 15 LuftSiG geregelten Einsatzmaßnahmen dienten nicht der Verteidigung im Sinne des Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG und des Art. 87a Abs. 1 GG. Der Angriff mittels eines Flugzeuges von außerhalb der Staatsgrenzen sei ein durch Verteidigung im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG zu beantwortender Angriff nur, wenn es sich dabei um einen Angriff eines anderen Staates oder eines De-facto-Regimes auf die Bundesrepublik Deutschland handle oder wenn und soweit internationale terroristische Aggressionen ein Ausmaß erreichten, das das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta auslöse. Ob die Grundsatz- und Grenzbestimmung des Grundgesetzes für den Verteidigungsauftrag der Streitkräfte durch ein ungeschriebenes Staatsnotrecht für den Fall von Angriffen, die auf die Beseitigung des Gemeinwesens und die Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsordnung gerichtet sind, ergänzt werden müsse, könne offen bleiben, da die §§ 13 ff. LuftSiG keine derartigen Vorgänge voraussetzten.

15

Kraft des nach der bindenden Entscheidung des Ersten Senats dem Bund unmittelbar aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG zustehenden Gesetzgebungsrechts für Fälle der Unterstützung der Länder in der polizeilichen Gefahrenabwehr könne ein Einsatz mit spezifisch militärischen Waffen nicht durch Bundesgesetz vorgesehen und geregelt werden.

16

Es stehe mit Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG nicht in Einklang, dass das Luftsicherheitsgesetz den Bund ermächtige, die Bundeswehr zur Gefahrenabwehr mit militärischen Waffen nach Bundesrecht einzusetzen. Nach Art. 35 GG könnten die Streitkräfte nur von den Befugnissen Gebrauch machen, die das Landesrecht für die polizeiliche Aufgabe der Gefahrenabwehr bereithalte. § 14 Abs. 1 LuftSiG regle demgegenüber bundesrechtlich den Einsatz der Streitkräfte in ihrer spezifischen Eigenschaft und Fähigkeit als bewaffnete Macht und gestatte die Verwendung spezifisch militärischer Waffen. § 13 Abs. 3 Satz 2 bis 4 LuftSiG stehe, wie das Urteil des Ersten Senats bestätige, nicht in Einklang mit Art. 35 Abs. 3 GG, der die Entscheidung über den Einsatz, da es sich hier um einen schwerwiegenden Eingriff in das bundesstaatliche Rechtsverhältnis handele, der Bundesregierung als Kollegialorgan (Art. 62 GG) zuweise.

17

§ 14 Abs. 4 sowie § 15 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 LuftSiG seien, soweit auf § 14 Abs. 3 LuftSiG bezogen, mit der Nichtigerklärung dieser Bestimmung obsolet geworden.

18

b) Die mit § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG sowie Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben getroffenen Regelungen hätten gemäß Art. 87d Abs. 2 GG der Zustimmung des Bundesrates bedurft. Die Kompetenz des Bundes gemäß Art. 87d Abs. 2 GG, bundeseigene Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung gemäß Art. 87d Abs. 1 Satz 1 GG den Ländern als Auftragsverwaltung zu übertragen, umfasse auch die Befugnis, die übertragenen Aufgaben ganz oder teilweise zurückzunehmen. Die Rückübertragung könne auch aufgrund einer ausreichenden Ermächtigung in dem Gesetz durch eine Regelung der Exekutive erfolgen. Die Voraussetzungen der Rückübertragung müssten aber durch das Gesetz in bestimmter Weise vorgezeichnet sein. Die Generalklausel des § 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG lasse Ermessensentscheidungen ohne hinreichend bestimmte und berechenbare Maßgaben zu. Ein Gesetz, das ein mit Zustimmung des Bundesrates ergangenes Gesetz ändere, sei zustimmungsbedürftig, wenn es Regelungen ändere, welche die Zustimmungsbedürftigkeit des geänderten Gesetzes ausgelöst haben. Eine Einschränkung dieser Regel werde offenbar für Regelungskonstellationen im Bereich von Art. 84 Abs. 1 GG anerkannt, die keinen weiteren Einbruch des Bundes in die Verwaltungszuständigkeit der Länder bewirken. Das Organisations- und Verwaltungsinteresse der Länder werde jedoch bei der Übertragung und Rückübertragung von Aufgaben gemäß Art. 87d Abs. 2 GG in anderer Weise berührt als bei einer bundesgesetzlichen Regelung der Behördeneinrichtung und des Verwaltungsverfahrens. Der äußerlich als actus contrarius zur Aufgabenübertragung erscheinende Akt der Rückübertragung stelle eine selbständige Regelung der bundesstaatlichen Kompetenzordnung dar, die das Grundgesetz einer besonderen Entscheidung des Gesetzgebers überlassen habe. In beiden Fällen müsse folgerichtig die Frage der notwendigen Zustimmung durch den Bundesrat in gleicher Weise beantwortet werden. Die Rückübertragung beeinträchtige zudem die organisatorischen und finanziellen Belange der Länder, die die für den Verwaltungsvollzug notwendigen personellen und sachlichen Vorkehrungen getroffen hätten.

19

Überdies verletze die in § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG getroffene Regelung den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens.

III.

20

1. Die Bundesregierung äußerte sich dahin, dass der Normenkontrollantrag unbegründet sei.

21

a) Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Erlass der §§ 13 bis 15 LuftSiG sei aus Art. 73 Nr. 1 GG a.F. und aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG ableitbar; sie bestehe unabhängig davon, welche dieser beiden Vorschriften herangezogen werde. Hilfsweise lasse sie sich auch aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG begründen.

22

Der Gesetzgebungskompetenz des Bundes stehe, auch wenn man mit dem Urteil des Ersten Senats davon ausgehe, dass sie sich aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG ergibt, nicht entgegen, dass diese Vorschriften einen Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht erlaubten. Die nach der Nichtigerklärung des § 14 Abs. 3 LuftSiG verbleibenden Regelungen der §§ 13 bis 15 LuftSiG setzten nicht den Einsatz militärischer Kampfmittel voraus. § 14 Abs. 1 LuftSiG erlaube zwar die Androhung von Waffengewalt und die Abgabe von Warnschüssen. Diese Bestimmung lasse sich jedoch zwanglos dahin auslegen, dass nur die Waffen gemeint seien, die das Recht des betreffenden Landes für dessen Polizeikräfte vorsehe.

23

Die in § 13 Abs. 3 LuftSiG statuierte Eilkompetenz für den Fall einer nicht rechtzeitig möglichen Entscheidung der Bundesregierung sei von Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG gedeckt. Soweit diese Verfassungsbestimmung Maßnahmen des Bundes zur Gefahrenabwehr gestatte, gelte dies zugleich für die notwendige Regelung von Verfahren, um diese Maßnahmen effektiv treffen zu können. § 13 Abs. 3 LuftSiG trage dem grundsätzlichen Entscheidungsvorbehalt der Bundesregierung soweit wie möglich Rechnung, indem er in Satz 3 deren unverzügliche nachträgliche Entscheidung gebiete.

24

b) Das Luftsicherheitsgesetz sei weder im Hinblick auf die Übertragung von Aufgaben auf die Länder in §§ 7 f. LuftSiG noch im Hinblick auf die Einführung der Bundesinitiativlösung in § 16 Abs. 3 Satz 3 LuftSiG oder die Regelung des Verwaltungsverfahrens in § 7 LuftSiG zustimmungsbedürftig gewesen. Zustimmungspflichtig sei zunächst die Übertragung von Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung auf die Länder. Ein Änderungsgesetz, das übertragene Aufgaben betreffe, bedürfe der Zustimmung nur, wenn die bereits übertragenen Aufgaben qualitativ verändert würden, ihnen also eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite verliehen werde. Das sei hier nicht der Fall. Bereits nach § 31 Abs. 2 Nr. 19 LuftVG a.F. sei den Ländern die gesamte Aufgabe der Abwehr von Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs als Auftragsangelegenheit übertragen gewesen; die neuen Regelungen gingen hierüber nicht hinaus. Ein Aufgabenzuwachs quantitativer Art begründe keine neue Zustimmungsbedürftigkeit, wenn der Bundesrat der fraglichen Aufgabenwahrnehmung schon früher zugestimmt habe. Die in § 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG getroffene Regelung sei nicht zustimmungspflichtig, da Art. 87d Abs. 2 GG einen Zustimmungsvorbehalt nur für die Übertragung vorsehe. Zur analogen Anwendung dieser Bestimmung auf Rückübertragungen bestehe kein Anlass. Die Rückübertragung beeinträchtige keine schutzwürdigen Länderbelange. Auch der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens begründe deshalb keinen Zustimmungsvorbehalt. Das Verwaltungsverfahren zur Zuverlässigkeitsprüfung sei mit § 7 LuftSiG nur modifiziert, nicht aber substantiell neu geregelt worden. Zudem lasse sich aus Art. 85 Abs. 1 GG kein Zustimmungsvorbehalt für Regelungen des Verwaltungsverfahrens ableiten.

25

2. Die weiteren Äußerungsberechtigten haben keine Stellungnahme abgegeben.

IV.

26

In einer mündlichen Verhandlung am 10. Februar 2010 haben die Antragstellerinnen und die Bundesregierung ihren schriftlichen Vortrag ergänzt und vertieft.

27

Als sachkundige Auskunftspersonen äußerten sich für die Bayerische Staatsregierung der Sachgebietsleiter Einsatz der Bayerischen Polizei im Bayerischen Staatsministerium des Innern, Ministerialrat Hubertus Andrä, für die Hessische Landesregierung der Inspekteur der Hessischen Polizei, Udo Münch, sowie Polizeivizepräsident Robert Schäfer (Polizeipräsidium Wiesbaden), und für die Bundesregierung der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, der Präsident des Bundespolizeipräsidiums, Matthias Seeger, sowie der Kommandeur der Führungszentrale Nationale Luftverteidigung, Generalleutnant Friedrich-Wilhelm Ploeger. Die Auskunftspersonen äußerten sich zur Gefahr von Anschlägen unter anderem aus dem Luftraum beziehungsweise zu den bestehenden Abwehrmöglichkeiten. Es bestand Übereinstimmung, dass die Gefahr ernstzunehmen sei und ihr mit den Mitteln der Polizeien nicht ausreichend begegnet werden könne.

28

Generalleutnant Ploeger stellte die praktischen Vorkehrungen für eine Verwendung der Luftwaffe in den Fällen des Luftsicherheitsgesetzes dar. Hierfür würden Flugzeuge genutzt, die primär der integrierten NATO-Luftverteidigung zur Verfügung stünden und entsprechend ausgerüstet seien. Diese überwache den Luftraum über den Mitgliedstaaten zum Schutz vor Angriffen kontinuierlich und möglichst lückenlos. Im Fall des Verdachts auf einen bevorstehenden kriminellen Anschlag mittels eines Luftfahrzeuges (sog. Renegade-Fall) stünden die NATO-Mittel den Mitgliedstaaten in nationaler Verantwortung zur Verfügung. Die sonst für die operative Luftverteidigung bei einem militärischen Angriff zuständige Führungszentrale Nationale Luftverteidigung könne dann ein Luftlagebild erstellen, die Kommunikation zwischen zivilen und militärischen Stellen gewährleisten und gegebenenfalls den Einsatz von Jagdflugzeugen steuern. Dies erfolge anhand der Zusammenarbeitsgrundsätze von Bund und Ländern, die alle Informationsabläufe, Verfahrensweisen und Rahmenbedingungen regelten, um Gefahren für die Sicherheit im deutschen Luftraum durch Renegade-Luftfahrzeuge bestmöglich abzuwehren. Gehe der Funkkontakt zu einem Luftfahrzeug verloren, werde die Führungszentrale informiert. Dort würden alle zu dem Luftfahrzeug verfügbaren Daten zusammengeführt. Könne der Funkkontakt auf den herkömmlichen Wegen nicht wiederhergestellt werden, stiegen Jagdflugzeuge auf. Dies geschehe etwa 30 bis 40 Mal jährlich. Gleichzeitig mit dem Start der Jagdflugzeuge würden der Inspekteur der Luftwaffe und über den Verbindungsbeamten der Bundespolizei im Führungszentrum die Lagezentren des Bundes und der Länder informiert. Die Besatzungen der Jagdflugzeuge versuchten dann, Sichtkontakt mit der Besatzung des anderen Flugzeugs aufzunehmen. Dieser könnten durch Flügelbewegungen gemäß internationalem Code Verhaltenssignale übermittelt werden. Gemäß § 14 Abs. 1 LuftSiG könnten die Jagdflugzeuge bei Bedarf sogenannte Infrarot-Täuschkörper zünden, die selbst in hellem Sonnenlicht von der Besatzung des Renegade-Flugzeugs nicht übersehen werden könnten und ihr signalisierten, dass Anweisungen der Jagdflugzeugbesatzung zu befolgen seien. Nach der Nichtigerklärung von § 14 Abs. 3 LuftSiG bestehe keine Möglichkeit mehr, die Befolgung zu erzwingen; insofern sei man letztlich auf Kooperation angewiesen. Die Aussicht auf solche Kooperation könne aber durch die verbleibenden Handlungsmöglichkeiten gesteigert werden. Aufgrund der Geschwindigkeit heutiger Verkehrsflugzeuge, die in der Minute etwa 12 bis 15 km zurücklegten, vergingen zwischen dem ersten Gefahranzeichen und dem Eintritt des Schadens im Ernstfall möglicherweise nur 15 bis 20 Minuten. Deshalb sei es im Renegade-Fall wichtig, kurzfristig Informationen auch unmittelbar an dem betroffenen Flugzeug zu sammeln, um die Gefahr richtig beurteilen und die angemessenen Abwehrmaßnahmen einleiten zu können.

29

Der Inspekteur der Hessischen Polizei und der Präsident des Bundeskriminalamts legten ebenfalls dar, dass die verbleibenden Möglichkeiten der Informationsgewinnung und Beeinflussung von Bedeutung seien. Von einem begleitenden Jagdflugzeug aus könne ermittelt werden, was im Cockpit des Renegade-Flugzeugs vor sich gehe, wer das Flugzeug steuere, ob ein Täter fliege, die Flugbewegungen unsicher und Waffen erkennbar seien. Diese Informationen könnten Anhaltspunkte für die Nutzung polizeipsychologischer Mittel liefern. Jagdflugzeuge könnten als polizeitaktisches Mittel zur Verunsicherung des Täters genutzt werden, zumal es nach polizeilicher Erfahrung kein festes Täterraster gebe, Angreifer vielmehr auf ihre Taten physisch und psychisch unterschiedlich vorbereitet seien.

30

Die Ergebnisse dieser mündlichen Verhandlung sind über die Abschrift des Tonbandprotokolls (§ 25a Satz 2 BVerfGG) in die Beratung über die vorliegende Entscheidung einbezogen worden (s. dazu unter A.VI.2. und B.).

V.

31

Der Zweite Senat, der bei seiner Entscheidung in drei Punkten von Rechtsauffassungen des Ersten Senats in dessen Urteil zum Luftsicherheitsgesetz (s.o. II.2.) abweichen wollte, hat das Plenum des Bundesverfassungsgerichts angerufen. Dieses hat über die zwischen den Senaten strittigen Verfassungsfragen mit Beschluss vom 3. Juli 2012 (- 2 PBvU 1/11 -, juris) folgendermaßen entschieden:

32

1. Die Gesetzgebungszuständigkeit für die §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) ergibt sich aus Artikel 73 Nummer 6 des Grundgesetzes in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 2034) geltenden Fassung.

2. Artikel 35 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 des Grundgesetzes schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei einem Einsatz der Streitkräfte nach diesen Vorschriften nicht grundsätzlich aus, lassen sie aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die einem bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren durch Artikel 87a Absatz 4 GG gesetzt sind.

3. Der Einsatz der Streitkräfte nach Artikel 35 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes ist, auch in Eilfällen, allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässig.

VI.

33

1. Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2012 haben die Antragstellerinnen unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen in den früheren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010 erklärt, der Normenkontrollantrag werde aufrechterhalten.

34

Der Bund könne von seinem Gesetzgebungsrecht über den Luftverkehr (Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG) oder kraft konkludenter Kompetenz zur Regelung der Amtshilfe durch die Streitkräfte (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG) nur Gebrauch machen, wenn ein Einsatz der Streitkräfte durch das Grundgesetz ausdrücklich zugelassen sei (Art. 87a Abs. 2 GG). Eine entsprechende Zulassung könne sich nur aus den Amtshilfevorschriften des Art. 35 GG ergeben. Die in § 14 Abs. 1 LuftSiG vorgesehenen Maßnahmen der Streitkräfte seien ein Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen als Mittel der vollziehenden Gewalt, fielen damit unter den Vorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG und könnten, soweit verfassungsrechtlich zulässig, bei einem überregionalen Unglücksfall nur durch die Bundesregierung angeordnet werden (Art. 35 Abs. 3 GG).

35

Der Beschluss des Plenums vom 3. Juli 2012 befinde nicht über konkrete Rechtsfolgen, sondern über die vorgelegte abstrakte Rechtsauffassung. Das Plenum habe sich weder die Rechtsauffassung des Ersten Senats zu eigen gemacht noch die in der Vorlage des Zweiten Senats enthaltene abweichende Rechtsauffassung übernommen.

36

Die angenommene "Sperrwirkung" des Art. 87a Abs. 4 GG für die Abwehr innerer Unruhen, die von nichtstaatlichen Angreifern ausgehen, könne und müsse möglicherweise der Sache nach so verstanden werden, dass ein Kampfeinsatz der Streitkräfte mit militärischen Waffen, der - wie in § 14 LuftSiG vorgesehen - hoheitliche Gewalt gegen Personen einschließe, nur in dem abschließend geregelten Fall des inneren Notstandes im Sinne des Art. 87a Abs. 4 GG zulässig sei. Diese Auslegung werde durch Art. 91 GG bekräftigt, wonach zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes nur ein Einsatz von Polizeikräften vorgesehen und zugelassen sei. Die danach gegebene Unterscheidung der Zulässigkeit des Kampfeinsatzes der Streitkräfte einerseits im inneren Notstand, andererseits bei der Amtshilfe sei überdies - wie in der abweichenden Meinung des Richters Gaier überzeugend dargelegt - klar in der Entstehungsgeschichte der Notstands-Novelle von 1968 hervorgetreten. Aus alledem folge, dass Art. 35 GG jedenfalls bei der Anwendung spezifisch militärischer Mittel gegen Personen ein dem Vorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG genügender Einsatztatbestand nicht entnommen werden könne.

37

Die Klausel "zur Unterstützung" der Polizeikräfte betreffe die Art und Weise des Einsatzes, enthalte aber für sich genommen keinen die Zulässigkeit des Einsatzes begründenden Tatbestand. Sie habe deshalb in Art. 35 Abs. 3 GG und in Art. 87a Abs. 4 GG eine unterschiedliche, durch die jeweils geregelte Gefahrenlage bestimmte Bedeutung. Aber auch wenn man mit dem Plenarbeschluss annehme, dass Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG unter bestimmten eine Ausnahmesituation darstellenden Umständen einen Streitkräfteeinsatz mit militärischen Mitteln zuließen, um eines besonderen Unglücksfalles Herr zu werden, lasse sich die Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG, insbesondere des § 14 Abs. 1 LuftSiG, nicht begründen. Das Plenum beschreibe das Tatbestandsmerkmal des besonders schweren Unglücksfalles dahingehend, dass nur Ereignisse von "katastrophischen Dimensionen", "ungewöhnliche Ausnahmesituationen", "äußerste Ausnahmefälle", bei "besonders gravierenden Luftzwischenfällen" den Streitkräfteeinsatz mit militärischen Waffen zuließen. Dem trügen die gesetzlichen Regelungen der §§ 13 bis 15 LuftSiG nicht Rechnung; sie stellten allein darauf ab, dass aufgrund eines erheblichen Zwischenfalls Tatsachen vorlägen, die im Rahmen der Gefahrenabwehr die Annahme begründeten, dass ein besonders schwerer Unglücksfall nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG bevorstehe. Die Amtshilfe umfasse nach der Verfassung nicht auch einen Kampfeinsatz der Streitkräfte zur Bekämpfung krimineller oder terroristischer Angriffe. Die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit müssten hier auch und gerade eine Schranke des militärischen Handelns der Streitkräfte bilden. Mit der bloßen Wiederholung des aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG entnommenen Merkmals des "besonders schweren Unglücksfalles" seien die vom Plenarbeschluss geforderten engeren Eingriffsvoraussetzungen in den §§ 13 bis 15 LuftSiG nicht hinreichend bestimmt festgelegt. Hinzu komme, dass nach Auffassung des Plenums der Unglücksfall bereits vorliegen müsse, während § 13 Abs. 1 LuftSiG es genügen lasse, dass ein Unglücksfall bevorstehe, und § 14 Abs. 1 LuftSiG den Einsatz spezifisch militärischer Mittel schon "zur Verhinderung des Eintritts" eines besonders schweren Unglücksfalles zulasse. Der Mangel eines hinreichend eng begrenzten und bestimmten Eingriffstatbestandes könne nicht durch Bindung an die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit ersetzt oder kompensiert werden.

38

Das Luftsicherheitsgesetz beachte das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates nicht, das sich aus den Regelungen des § 16 Abs. 2 und 3 Sätze 2 und 3 LuftSiG, Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben ergebe. Auch wenn die Rückübertragung von Aufgaben der Ausführung von Bundesgesetzen, die zunächst den Ländern übertragen gewesen seien, auf den Bund der Zustimmung des Bundesrates als solche nicht unterworfen sei, wie der erkennende Senat im Beschluss vom 4. Mai 2010 (BVerfGE 126, 77) entschieden habe, könne sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles etwas anderes ergeben. Der Bundesgesetzgeber habe bei der Wahrnehmung der Möglichkeit der Rückübertragung von Aufgaben den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens zu beachten. Die Aufgabenübertragung sei ursprünglich nach § 31 Abs. 2 Nr. 19 Satz 2 LuftVG a.F. mit guten Gründen von einem Antrag eines Landes abhängig gewesen. Dabei sei gerade auch von Bedeutung gewesen, dass die fraglichen Vollzugsaufgaben hier im Rahmen der Amtshilfe und der Unterstützung für die Polizeikräfte ein von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG verfassungsrechtlich spezifisch vorstrukturiertes Zusammenwirken der Polizei- und Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes sowie der Streitkräfte im Bundesstaat voraussetzten. Ein Einvernehmen des Landes mit der Rückübertragung von Aufgaben der Luftsicherheit auf den Bund würde der fortbestehenden Kompetenz des Landes für die Gefahrenabwehr im Bereich der inneren Sicherheit entsprechen und der Organisations- und Finanzverantwortung des Landes Rechnung tragen. Es würde überdies eine sachgerechte Erfüllung der fraglichen Aufgaben sicherstellen. Unter diesen Umständen müsse aus der Bindung der dem Bund nach Art. 87d Abs. 2 GG zustehenden Kompetenz zur Rückübertragung von Aufgaben an die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten das Verfassungsgebot abgeleitet werden, auf die hier berührten Belange der Länder Rücksicht zu nehmen, zumindest durch geeignete Mitwirkungsrechte des Landes. Ein Gesetz, das wie das Luftsicherheitsgesetz die in Art. 87d Abs. 2 GG geregelte Zuständigkeit von Bund und Ländern bei der Ausführung von Bundesrecht wesentlich ändere, bedürfe der Zustimmung des Bundesrates.

39

2. Mit Schriftsatz vom 12. November 2012 haben die Antragstellerinnen unter erneuter Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen, einschließlich des Vorbringens in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010, für das sie auf das Tonbandprotokoll gemäß § 25a BVerfGG verweisen (vgl. dazu u. B.), auf eine erneute mündliche Verhandlung verzichtet.

40

3. Eine Gegenäußerung der Bundesregierung ist nicht erfolgt.

B.

41

Der Senat hat in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung zu entscheiden und kann dies ohne erneute mündliche Verhandlung tun.

42

Im Zeitraum seit der ersten Beratung der Sache im Senat am 24. November 2009 sind vier Richter aus dem Senat ausgeschieden. Da die an ihrer Stelle neu hinzugekommenen Richter Huber, Hermanns, Müller und Kessal-Wulf nicht zur Fortsetzung der bereits begonnenen Beratung hinzutreten können (§ 15 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG) und der Senat mit den aus der früheren Besetzung verbliebenen vier Richtern nicht beschlussfähig ist (§ 15 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG), musste gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG die Beratung neu begonnen werden. Für die nach erneuter Beratung zu treffende Entscheidung ist der Senat in seiner vollen Besetzung - nicht in einer nur bis zum Wiedererreichen des Beschlussfähigkeitsquorums von sechs Richtern aufgefüllten - zuständig. Dies ist die Normalbesetzung (§ 2 Abs. 2 BVerfGG). Von ihr unter den vorliegenden Umständen abzuweichen sieht das Gesetz nicht vor.

43

Eine erneute mündliche Verhandlung war nicht erforderlich, weil die Antragstellerinnen gemäß § 25 Abs. 1 BVerfGG auf sie verzichtet haben. Da die Antragstellerinnen auf ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010 Bezug nehmen, hat allen Mitgliedern des Senats die Abschrift des Tonbandprotokolls dieser Verhandlung vorgelegen.

C.

I.

44

1. Das Verfahren ist, soweit es § 14 Abs. 3 LuftSiG betrifft, durch das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006 - 1 BvR 357/05 - (BVerfGE 115, 118 <119>) erledigt und daher gemäß der Erklärung der Antragstellerinnen (A.II.3.) einzustellen.

45

2. Der Antrag ist dahin auszulegen, dass er sich auf die infolge der Nichtigerklärung des § 14 Abs. 3 LuftSiG (BVerfG a.a.O.) gegenstandslos gewordenen Teile der §§ 13 bis 16 LuftSiG14 Abs. 4 Satz 1 LuftSiG sowie die in § 15 Abs. 1 und 2 LuftSiG enthaltenen Verweisungen auf § 14 Abs. 3 LuftSiG), hinsichtlich derer er mangels objektiven Klarstellungsinteresses unzulässig wäre (vgl. BVerfGE 97, 198 <213 f.>; 113, 167 <193>; 119, 394 <410>), nicht bezieht. Die Antragstellerinnen selbst haben diese Teile als obsolet bezeichnet und damit verdeutlicht, dass sie insoweit eine verfassungsgerichtliche Klarstellung nicht begehren.

II.

46

Der in dieser Auslegung uneingeschränkt zulässige Antrag ist begründet, soweit er die Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes zur ministeriellen Eilkompetenz für die Entscheidung über einen Streitkräfteeinsatz im überregionalen Katastrophennotstand betrifft (1.). Im Übrigen ist der Antrag unbegründet (2.).

47

1. § 13 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG ist mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar und nichtig.

48

a) Ist im Falle eines überregionalen Katastrophennotstandes (Art. 35 Abs. 3 GG) eine rechtzeitige Entscheidung der regulär zuständigen Bundesregierung (§ 13 Abs. 3 Satz 1 LuftSiG) über einen Einsatz der Streitkräfte nicht möglich, so entscheidet nach § 13 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern. Nach § 13 Abs. 3 Satz 3 LuftSiG ist auch in diesem Fall die Entscheidung der Bundesregierung unverzüglich herbeizuführen.

49

Diese Regelungen sind unvereinbar mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG, der, wie das Plenum des Bundesverfassungsgerichts entschieden hat, einen Einsatz der Streitkräfte auch in Eilfällen allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässt (vgl. Beschluss vom 3. Juli 2012 - 2 PBvU 1/11 -, juris, Nr. 3 des Tenors sowie Rn. 52 ff.).

50

b) Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit des § 13 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG ist die Nichtigkeit (§ 78 Satz 1 BVerfGG). Eine bloße Unvereinbarerklärung (§ 31 Abs. 2 Satz 3, § 79 Abs. 1 BVerfGG), gar in Verbindung mit dem Ausspruch der Verpflichtung des Gesetzgebers, innerhalb einer bestimmten Frist eine verfassungskonforme Regelung zu treffen (vgl. BVerfGE 101, 106 <132>; 118, 45 <78>; 121, 266 <316>; 125, 175 <257 f., 259>), kommt nicht in Betracht.

51

Eine bloße Unvereinbarkeit ist allerdings auszusprechen, wenn der Zustand, der sich im Falle der Nichtigkeit ergäbe, der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner stünde als die befristete Weitergeltung der verfassungswidrigen Regelung (vgl. nur BVerfGE 41, 251 <267>; 61, 319 <356>; 83, 130 <154>; 85, 386 <401>; 87, 153 <177 f.>; 97, 228 <270>). Die Beschränkung auf eine Unvereinbarerklärung, mit der dem Gesetzgeber Zeit gegeben wird, die Rechtslage verfassungskonform zu gestalten, ohne dass zwischenzeitlich ein verfassungswidriger Rechtszustand durch einen noch verfassungsferneren ersetzt wird, kann unter anderem für den Fall geboten sein, dass anderenfalls Schutzlücken entstünden (vgl. BVerfGE 83, 130 <154>; 109, 190 <235 f.>).

52

Mit der Nichtigerklärung der Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes zur ministeriellen Eilkompetenz für Einsatzentscheidungen im überregionalen Katastrophennotstand kann sich - abhängig auch von den für die Willensbildung der Bundesregierung maßgeblichen Bestimmungen - zwar eine gravierende Schutzlücke (vgl. Fastenrath, JZ 2012, S. 1128 <1131>) ergeben, weil insbesondere im Fall eines Terrorangriffs mittels Flugzeugs die bei überregionaler Bedeutung erforderliche Einsatzentscheidung der Bundesregierung unter Umständen nicht rechtzeitig wird herbeigeführt werden können. Eine solche Schutzlücke wäre jedoch nicht durch das einfache Recht, sondern durch die Verfassung selbst bedingt. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht befugt, eine von der Verfassung vorgegebene Rechtslage als verfassungsfern zu qualifizieren.

53

2. Im Übrigen sind die §§ 13 bis 15 LuftSiG, soweit Verfahrensgegenstand (s. unter C.I.), sowie § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG und Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben mit dem Grundgesetz sowohl in formeller (a)) als auch in materieller Hinsicht (b)) vereinbar.

54

a) aa) Der Bund hat die Gesetzgebungskompetenz für die zur Prüfung stehenden Vorschriften.

55

Für die §§ 13 bis 15 LuftSiG in der zur Prüfung gestellten Fassung ergibt sich die Gesetzgebungszuständigkeit aus Art. 73 Nr. 6 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die ausschließliche Gesetzgebung über den Luftverkehr zuweist (vgl. BVerfG, Beschluss des Plenums vom 3. Juli 2012 - 2 PBvU 1/11 -, juris, Nr. 1 des Tenors sowie Rn. 14 ff.; s.o. A.V.). Soweit die Antragstellerinnen vorbringen, der Bund könne von diesem Gesetzgebungsrecht nur Gebrauch machen, wenn ein Einsatz der Streitkräfte durch das Grundgesetz ausdrücklich zugelassen sei, kann dies nicht die aus der genannten Grundgesetzbestimmung folgende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die §§ 13 bis 15 LuftSiG in Frage stellen, die von den materiell-verfassungsrechtlichen Grenzen der Einsetzbarkeit der Streitkräfte gerade nicht abhängt (vgl. BVerfG , a.a.O. Rn. 16).

56

Ob die Regelungen des § 16 LuftSiG und des Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben, soweit sie die Rückübertragung von Luftsicherheitsaufgaben aus der Auftragsverwaltung der Länder auf den Bund betreffen, ebenfalls eine kompetenzielle Grundlage in Art. 73 Nr. 6 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG) finden, kann offenbleiben. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich insoweit jedenfalls aus Art. 87d Abs. 2 GG, der für die Übertragung von Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung auf die Länder ausdrücklich ein Bundesgesetz vorsieht und damit auch eine Bundeskompetenz für etwaige Rückübertragungsregelungen begründet (vgl. BVerfGE 97, 198 <226>).

57

bb) Das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben und damit auch das Luftsicherheitsgesetz, das als dessen zentraler Bestandteil erlassen wurde, bedurften, wie das Bundesverfassungsgericht zwischenzeitlich in einem anderen Verfahren entschieden hat, nicht der Zustimmung des Bundesrates (vgl. BVerfGE 126, 77 <98>). Ein Zustimmungserfordernis folgte insbesondere auch nicht aus dem Inhalt der in § 16 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG und Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben getroffenen Regelungen (vgl. BVerfG, a.a.O. S. 108 und 110 f.).

58

Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens. Dieser Grundsatz betrifft die Ausübung gegebener Kompetenzen des Bundes und der Länder (s.u. C.II.2.b)bb)(2)), begründet aber keine Zustimmungserfordernisse im Gesetzgebungsverfahren.

59

b) Mit Ausnahme der Regelungen zur ministeriellen Eilkompetenz (s.o. C.II.1.) sind die §§ 13 bis 15 LuftSiG, soweit Verfahrensgegenstand, auch materiell mit dem Grundgesetz vereinbar (aa)). Dasselbe gilt für § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG und Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben (bb)).

60

aa) (1) Die §§ 13 und 14 LuftSiG sind nicht deshalb verfassungswidrig, weil sie vom Grundgesetz nicht zugelassene Einsätze der Streitkräfte im Inneren ermöglichten oder die Voraussetzungen hierfür nicht hinreichend bestimmt festlegten.

61

Nach § 14 Abs. 1 in Verbindung mit § 13 LuftSiG dürfen die Streitkräfte unter näher bezeichneten Voraussetzungen im Luftraum Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben. Damit wird ein Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Mitteln zugelassen.

62

(a) Der Zulässigkeit eines solchen Einsatzes steht nicht die Sperrwirkung des Art. 87a Abs. 4 GG entgegen. Zwar entfaltet diese Bestimmung, die den Einsatz der Streitkräfte im Fall des inneren Notstandes regelt, eine Sperrwirkung dahingehend, dass in Ausnahmesituationen der in Art. 87a Abs. 4 GG geregelten Art die engen Voraussetzungen, an die der Einsatz der Streitkräfte hier geknüpft ist, nicht dadurch unterlaufen werden dürfen, dass ein Einsatz stattdessen etwa auf der Grundlage des Art. 35 Abs. 2 oder 3 GG erfolgt (vgl. BVerfG, Beschluss des Plenums vom 3. Juli 2012 - 2 PBvU 1/11 -, juris, Rn. 45 f.). In Ausnahmesituationen, die nicht von der in Art. 87a Abs. 4 GG geregelten Art sind, kann jedoch ein Einsatz der Streitkräfte auf der Grundlage des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG auch zur Bekämpfung eines Angreifers zulässig sein (BVerfG, a.a.O. Rn. 46). Um solche Ausnahmesituationen handelt es sich bei der Abwehr von Gefahren nach §§ 13, 14 LuftSiG.

63

(b) Die in § 13 und § 14 LuftSiG getroffenen Regelungen überschreiten nicht die Grenzen, die der Zulassung eines Einsatzes der Streitkräfte im Katastrophennotstand dadurch gesetzt sind, dass ein solcher Einsatz nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG einen besonders schweren Unglücksfall voraussetzt. Ihnen fehlt insoweit auch nicht die notwendige Bestimmtheit.

64

(aa) Der Annahme eines besonders schweren Unglücksfalls steht bei einem Ereignis von katastrophischem Ausmaß nicht entgegen, dass es absichtlich herbeigeführt ist (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 46; ebenso bereits BVerfGE 115, 118 <143 f.>).

65

(bb) Ein Verfassungsverstoß liegt auch nicht darin, dass nach dem Wortlaut der zu prüfenden Vorschriften ein Einsatz nicht erst dann zulässig sein soll, wenn ein besonders schwerer Unglücksfall eingetreten ist, sondern - unter näher bezeichneten Voraussetzungen - bereits dann, wenn er "bevorsteht" (§ 13 Abs. 1 LuftSiG) und Einsatzmaßnahmen "zur Verhinderung des Eintritts" des besonders schweren Unglücksfalles (§ 14 Abs. 1 LuftSiG) erforderlich sind.

66

Im Urteil des Ersten Senats zum Luftsicherheitsgesetz vom 15. Februar 2006 ist es als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen worden, dass Einsatzmaßnahmen nach § 14 LuftSiG schon zu einem Zeitpunkt zulässig sein sollen, zu dem sich zwar bereits ein erheblicher Luftzwischenfall im Sinne des § 13 Abs. 1 LuftSiG ereignet hat, der besonders schwere Unglücksfall selbst, der mit den zugelassenen Einsatzmaßnahmen gerade abgewehrt werden soll, aber noch nicht eingetreten ist (vgl. BVerfGE 115, 118 <144>).

67

Von dieser Auslegung der verfassungsrechtlichen Einsatzvoraussetzungen rückt auf den ersten Blick der Plenumsbeschluss vom 3. Juli 2012 ab. Der Unglücksfall muss danach bereits vorliegen, damit zu seiner Bekämpfung oder zur Bekämpfung seiner Schadensfolgen Streitkräfte eingesetzt werden dürfen (BVerfG , a.a.O. Rn. 47). Diese Abkehr von der Rechtsprechung des Ersten Senats betrifft jedoch allein die begriffliche Konstruktion. Eine inhaltlich andere Eingrenzung der Einsatzvoraussetzungen in der Frage, ob und inwieweit bereits vor Schadensverwirklichung eingeschritten werden darf, ist damit nicht verbunden: Dass der Unglücksfall bereits vorliegen muss, damit zu seiner Bekämpfung Streitkräfte eingesetzt werden dürfen, bedeutet nach dem Plenumsbeschluss nicht, dass auch Schäden notwendigerweise bereits eingetreten sein müssen. Von einem Unglücksfall kann auch dann gesprochen werden, wenn zwar die zu erwartenden Schäden noch nicht eingetreten sind, der Unglücksverlauf aber bereits begonnen hat und der Eintritt katastrophaler Schäden unmittelbar droht. Ist die Katastrophe bereits in Gang gesetzt und kann sie nur noch durch den Einsatz der Streitkräfte unterbrochen werden, muss nicht abgewartet werden, bis der Schaden sich realisiert hat. Der Schadenseintritt muss jedoch unmittelbar bevorstehen. Dies ist der Fall, wenn der katastrophale Schaden, sofern ihm nicht rechtzeitig entgegengewirkt wird, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze eintreten wird (vgl. BVerfG , a.a.O. Rn. 47). Bei alledem bezieht sich der Plenumsbeschluss zustimmend, nicht abgrenzend, auf die einschlägigen Ausführungen im Urteil des Ersten Senats (vgl. BVerfG, a.a.O., sowie BVerfGE 115, 118 <144 f.>).

68

Der Unterschied zwischen beiden Entscheidungen liegt demnach in diesem Punkt allein in der Frage, ob die einvernehmlich angenommene Zulässigkeit präventiver Einsätze zur Vermeidung eines unmittelbar bevorstehenden katastrophalen Schadensereignisses mit einer entsprechend weiten Auslegung des Begriffs des besonders schweren Unglücksfalles begründet wird, wonach ein solcher Unglücksfall schon vor Schadenseintritt gegeben sein kann (so der Plenumsbeschluss), oder mit der Annahme der Zulässigkeit eines Einsatzes im unmittelbaren Vorfeld eines enger definierten, erst mit der Schadensverwirklichung eintretenden derartigen Unglücksfalles (so das Urteil des Ersten Senats) begründet wird. Dieser Unterschied ist rein terminologischer Art; er hat keinerlei Rechtsfolgenrelevanz und betrifft daher nicht die Rechtslage in ihrem Inhalt.

69

Entsprechendes gilt für die in § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 14 Abs. 1 LuftSiG gewählten Formulierungen. Die Wortwahl dieser Regelungen entspricht derjenigen im Urteil des Ersten Senats; eine inhaltliche Abweichung von den Maßgaben des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG in ihrer durch den Plenumsbeschluss klargestellten Bedeutung liegt darin, wie gezeigt, nicht. Angesichts des engen Kreises derer, die über das Ob eines Einsatzes zu entscheiden haben (§ 13 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 LuftSiG), liegt in der Wortfassung der § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 14 Abs. 1 LuftSiG auch keine Undeutlichkeit, deretwegen diesen Vorschriften die notwendige maßstäbliche Klarheit und Bestimmtheit (vgl. BVerfGE 110, 33 <54>; 113, 348 <375>) abzusprechen wäre. Insbesondere besteht nicht die Gefahr, dass die Befugnis zum schadenspräventiven Einsatz, die im Grundgesetz und im Luftsicherheitsgesetz gleichermaßen, aber in unterschiedlicher terminologischer Zuordnung angelegt ist, aufgrund dieses Unterschiedes doppelt und damit im Übermaß genutzt wird.

70

(cc) Die §§ 13 und 14 LuftSiG halten sich im Rahmen der Begrenzungen, die sich für Einsätze nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG daraus ergeben, dass die Einsatzvoraussetzung des besonders schweren Unglücksfalls nur in äußersten Ausnahmefällen, bei Ereignissen von katastrophischen Dimensionen (vgl. BVerfG , a.a.O. Rn. 26, 43, 46, 51), erfüllt ist. Mit der Anknüpfung an das - Art. 35 GG entnommene - Tatbestandsmerkmal des besonders schweren Unglücksfalles nehmen § 13 Abs. 1 und § 14 Abs. 1 LuftSiG alle darin liegenden Beschränkungen auf.

71

Mit der Übernahme des verfassungsrechtlichen Begriffs des besonders schweren Unglücksfalles in den genannten Vorschriften ist in der vorliegenden Konstellation auch den Anforderungen an die Bestimmtheit der gesetzlichen Regelungen genügt. Es ist nicht ersichtlich, dass Präzisierungen geeignet sein könnten, die Orientierungsfunktion der gesetzlichen Vorgaben in sachangemessener Weise deutlich zu verbessern.

72

Dass bereits das Grundgesetz selbst in Art. 35 GG für die Bestimmung der Einsatzvoraussetzungen mit dem unbestimmten Rechtsbegriff des besonders schweren Unglücksfalles arbeitet, hat seinen Grund nicht nur in der besonderen, mit detailgenauer Konkretisierung nur eingeschränkt verträglichen Funktion einer Verfassung, sondern auch in der Natur des zu bewältigenden Problems. Schon wegen der Vielfalt der Faktoren und Faktorenkombinationen, die für die besondere Schwere eines Unglücksfalles von Bedeutung sein können, ist der Begriff des besonders schweren Unglücksfalles einer handhabbaren Konkretisierung kaum zugänglich, zumal die Eilbedürftigkeit von Einsatzentscheidungen nach dem Luftsicherheitsgesetz keine langwierigen punktgenauen Ermittlungen auf unterschiedliche Bestimmungsgrößen hin, sondern nur eine mehr oder weniger intuitive Einschätzung erlauben wird. Es ist daher sachgerecht, dass bei Erlass des Luftsicherheitsgesetzes auf eine trennscharfe Präzisierung verzichtet wurde und nur in der Gesetzesbegründung exemplarisch Beispiele aufgeführt sind, die zur Orientierung dienen können (vgl. BRDrucks 827/03, S. 36, sowie BTDrucks 15/2361, S. 20: "Beispiele: Angriff auf Hochhaus, gefährliche Industrieanlage, AKW etc.").

73

(dd) Die strenge verfassungsrechtliche Beschränkung des Streitkräfteeinsatzes auf das Erforderliche, die sowohl das "Ob" als auch das "Wie" des Einsatzes, einschließlich der konkreten Einsatzmittel, betrifft (vgl. BVerfG , a.a.O., Rn. 48), ist mit den zur Prüfung gestellten Vorschriften gewahrt.

74

§ 13 Abs. 1 LuftSiG lässt einen Einsatz nur im Rahmen des Erforderlichen zu. Dass die Erforderlichkeitsklausel sich dabei dem Wortlaut nach auf die Bekämpfung eines bevorstehenden besonders schweren Unglücksfalles bezieht - die Einsatzermächtigung sich also der Formulierung nach nicht auf die Zulassung der Bekämpfung der Folgen eines bereits eingetretenen besonders schweren Unglücksfalles beschränkt -, ist aus den bereits dargestellten Gründen (s. (bb)) unbedenklich und ändert nichts daran, dass der Streitkräfteeinsatz nur als ultima ratio zur Schadensvermeidung zugelassen ist.

75

Entsprechendes gilt für § 14 LuftSiG, der die zulässigen konkreten Einsatzmaßnahmen und die Anordnungsbefugnis hierfür regelt.

76

An der Erforderlichkeit der in § 14 Abs. 1 LuftSiG getroffenen Einsatzregelung fehlt es auch nicht deshalb, weil sie für sich genommen mangels weiterreichender Eingriffsmöglichkeiten nicht geeignet wäre, den verfassungsrechtlichen Einsatzzweck zu fördern. Zwar stellt das Gesetz, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Ermächtigungsnorm des § 14 Abs. 3 LuftSiG für nichtig erklärt hat (vgl. BVerfGE 115, 118 <119>), allenfalls noch für Drohungen, nicht aber für die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt eine Eingriffsgrundlage bereit. Das mindert, jedenfalls gegenüber einem informierten Angreifer, zwangsläufig die Wirksamkeit der Androhung. Dasselbe gilt für die Möglichkeit, Warnschüsse abzugeben (§ 14 Abs. 1 LuftSiG). Es verbleibt aber - in diesem Sinne haben sich übereinstimmend auch die angehörten Fachleute in der mündlichen Verhandlung geäußert - die mögliche psychische Zwangs- oder Irritationswirkung solcher Maßnahmen und des nach § 14 Abs. 1 LuftSiG ebenfalls zulässigen Versuchs, das Luftfahrzeug, von dem die Gefahr ausgeht, durch Flugmanöver auf einen vom vermuteten Angriffsziel wegführenden Kurs zu drängen. Damit lassen sich, je nach den Umständen, auch die Chancen einer erfolgreichen Einwirkung durch Polizeipsychologen erhöhen. Die begrenzten Durchsetzungsmittel, die § 14 Abs. 1 LuftSiG bereitstellt, können danach, wenngleich Schutzlücken offen bleiben, jedenfalls den Einsatzzweck fördern. Für die verfassungsrechtlich unabdingbare Geeignetheit der Regelung reicht dies aus (vgl. im grundrechtlichen Zusammenhang BVerfGE 96, 10 <23>; 100, 313 <373>; 103, 293 <307>; 115, 118 <163>; 117, 163 <188 f.>).

77

(c) Auch die Regelung des § 14 Abs. 4 Satz 2 LuftSiG, die dem Bundesminister der Verteidigung die Möglichkeit einräumt, den Inspekteur der Luftwaffe generell zu ermächtigen, Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 LuftSiG anzuordnen, steht mit dem Grundgesetz in Einklang. Für Fälle, in denen eine auf das Gebiet eines einzelnen Landes beschränkte Gefahr abzuwehren ist (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG), sieht das Grundgesetz eine bestimmte Organzuständigkeit weder für die Entscheidung über den Einsatz als solchen (§ 13 LuftSiG) noch für die Entscheidung über die konkret zu treffenden Einsatzmaßnahmen (§ 14 LuftSiG) vor. Für den Fall des überregionalen Katastrophennotstandes weist Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG zwar der Bundesregierung die Grundsatzentscheidung über den Einsatz zu, trifft damit aber keine verbindliche Aussage darüber, wer die Anordnung konkreter Maßnahmen im Rahmen des von der Bundesregierung gebilligten Einsatzes auszusprechen befugt ist. Der Gesetzgeber ist danach für keinen der in Art. 35 GG geregelten Einsatzfälle gehindert, die auf einzelne Einsatzmaßnahmen bezogenen Befugnisse - auch generell - auf den Inspekteur der Luftwaffe zu übertragen (vgl. Keidel, Polizei und Polizeigewalt im Notstandsfall, 1971, S. 149; Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2007, S. 244; ders., NVwZ 2012, S. 1225 <1228>; Speth, Rechtsfragen des Einsatzes der Bundeswehr unter besonderer Berücksichtigung sekundärer Verwendungen, 1985, S. 142; Franz/Günther, VBlBW 2006, S. 340 <343>; Sattler, NVwZ 2004, S. 1286 <1289>; aus der Gesetzgebungsgeschichte s. BTDrucks V/2873, S. 14).

78

(2) Bei verfassungskonformer Auslegung ist auch § 15 LuftSiG mit dem Grundgesetz vereinbar.

79

Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG können die Streitkräfte auf Ersuchen der für die Flugsicherung zuständigen Stelle im Luftraum Luftfahrzeuge überprüfen, umleiten oder warnen. Der Gesetzgeber hat diese Maßnahmen, anders als die Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 LuftSiG, nicht als Einsatzmaßnahmen im Sinne des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG konzipiert (zur Würdigung als Eingriffsnormen in Abgrenzung zu bloßen Verfahrens- und Mittelbereitstellungsnormen bei der Bestimmung der Kompetenzgrundlage BVerfG , a.a.O. Rn. 20). § 14 LuftSiG ist mit "Einsatzmaßnahmen, Anordnungsbefugnis" überschrieben, § 15 LuftSiG dagegen mit "Sonstige Maßnahmen". In der Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben ist zu § 15 LuftSiG ausgeführt, dass es sich bei den nach Absatz 1 dieser Vorschrift vorrangig zu ergreifenden Maßnahmen um solche im Vorfeld eines Einsatzes nach § 14 LuftSiG, um bloße Amtshilfe, handele (vgl. BRDrucks 827/03, S. 39; BTDrucks 15/2361, S. 21; s. auch Giemulla, in: ders./ van Schyndel, LuftSiG, § 15 Rn. 1 <12/2009>). Die grundsätzliche Zuordnung zum Bereich der Amtshilfe hat zusätzlich in § 15 Abs. 3 LuftSiG Niederschlag gefunden, wonach die "sonstigen Vorschriften und Grundsätze der Amtshilfe" unberührt bleiben. Dieser Zuordnung folgt auch die in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010 - wie aus der Abschrift des Tonbandmitschnitts ersichtlich - dargestellte Praxis: Die zur Abklärung der Erforderlichkeit weitergehender Maßnahmen jährlich 30 bis 40 mal stattfindenden Alarmstarts von Jagdflugzeugen werden nicht als Einsätze im Sinne des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG behandelt und erfolgen daher ohne die Einschaltung der Bundesregierung oder, bei Unglücksfällen von nur regionaler Bedeutung, des Bundesministers der Verteidigung, die für einen Einsatz der Streitkräfte nach diesen Bestimmungen erforderlich wäre (vgl. auch Giemulla, in: ders./van Schyndel, LuftSiG, § 15 Rn. 4 <12/2009>).

80

Die gesetzliche Einordnung von Maßnahmen der Aufklärung und unterstützenden Information als bloße Amtshilfe (Art. 35 Abs. 1 GG), die nicht den Anforderungen für einen Einsatz der Streitkräfte (Art. 35 Abs. 2 und 3 GG) unterliegt, entspricht der verfassungsrechtlichen Abgrenzung. Art. 87a Abs. 2 GG bindet nicht jede Nutzung personeller und sächlicher Ressourcen der Streitkräfte an eine ausdrückliche grundgesetzliche Zulassung, sondern nur ihre Verwendung als Mittel der vollziehenden Gewalt in einem Eingriffszusammenhang. Dementsprechend kann auf Luftzwischenfälle in rein technisch-unterstützender Funktion reagiert werden. Dies verbleibt im Rahmen des Art. 35 Abs. 1 GG und ist daher von den Beschränkungen, die für einen Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG gelten, nicht betroffen (BVerfG, a.a.O. Rn. 50).

81

Allerdings liegt eine Verwendung in einem Eingriffszusammenhang nicht erst bei einem konkreten Vorgehen mit Zwang, sondern bereits dann vor, wenn personelle oder sachliche Mittel der Streitkräfte in ihrem Droh- oder Einschüchterungspotential genutzt werden (BVerfG , a.a.O. Rn. 50). Im Hinblick darauf, dass die Überprüfung eines Luftfahrzeugs durch aufsteigende Jagdflugzeuge nach § 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG typischerweise nicht zur Aufdeckung einer Angriffsabsicht (Renegade-Fall), sondern zur Feststellung eines Orientierungsbedarfs - etwa wegen ausgefallenen Funkkontakts oder sonstiger technischer Probleme - führt, dem mit Warn- und Leitungssignalen entsprochen werden kann, darf bei einem erheblichen Luftzwischenfall regelmäßig zunächst davon ausgegangen werden, dass die Verwendung von Jagdfliegern zur Abklärung und die Aussendung solcher Signale keine Nutzung von Mitteln der Streitkräfte in ihrem Droh- und Einschüchterungspotential, sondern eine technisch-unterstützende Maßnahme darstellt. Ergibt jedoch die Überprüfung, dass ein Renegade-Fall vorliegt, scheidet eine weitere Deutung als bloße Unterstützung aus; die Aktion kann dann nur noch als Entfaltung des Droh- und Einschüchterungspotentials der eingesetzten militärischen Mittel verstanden werden. Ihre Fortsetzung ist folglich nicht mehr auf der Grundlage des § 15 LuftSiG, sondern nur noch, sobald die hierfür erforderliche Einsatzentscheidung getroffen ist, als Einsatz nach §§ 13, 14 LuftSiG zulässig. Im Ergebnis muss § 15 LuftSiG dementsprechend als Norm ausgelegt werden, die allein Maßnahmen im Vorfeld eines Einsatzes zulässt.

82

bb) Die weiteren zur Prüfung gestellten Bestimmungen (§ 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 i.V.m. § 16 Abs. 2 LuftSiG, Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben) ermöglichen es dem Bund, die den Ländern gemäß Art. 87d Abs. 2 GG zur Ausführung in Auftragsverwaltung übertragenen Luftsicherheitsaufgaben durch einseitige Entscheidung des Bundesministeriums des Innern wieder an sich zu ziehen. Diese Bestimmungen sind ebenfalls mit dem Grundgesetz vereinbar.

83

(1) Grundsätze des Rechtsstaatsprinzips sind nicht verletzt.

84

§ 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG ermöglicht die Rückübertragung von Aufgaben für den Fall, dass dies zur Gewährleistung der bundeseinheitlichen Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen erforderlich ist. Damit sind die materiellrechtlichen Voraussetzungen einer Rückübertragung nur generalklauselartig bestimmt. Ein Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz liegt darin nicht. Der Gesetzgeber ist nach diesem Grundsatz nur gehalten, Normen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (vgl. BVerfGE 49, 168 <181>; 56, 1 <13>; 78, 205 <212>). Es reicht aus, wenn sich der Regelungsgehalt im Wege der Auslegung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt (vgl. BVerfGE 21, 209 <215>; 79, 106 <120>; 102, 254 <337>). Diesen Anforderungen genügt die Bindung der Übertragungsmöglichkeit an das Erforderlichkeitskriterium des § 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG. Dass in Fragen der föderalen Kompetenzzuordnung vernünftige allgemeine Regelungen häufig nur generalklauselartig möglich sind, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass das Grundgesetz selbst in diesem Zusammenhang auf Generalklauseln zurückgreift (vgl. nur etwa Art. 72 Abs. 2, Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG).

85

Auch die Grenzen zulässiger gesetzlicher Delegation der Übertragungsentscheidung sind nicht überschritten (vgl. BVerfGE 97, 198 <227>).

86

(2) Es verstößt nicht gegen die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten, dass die Bindung der Rückübertragungsmöglichkeit an einen Antrag des betroffenen Landes aufgegeben wurde.

87

Die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten verlangt, dass sowohl der Bund als auch die Länder bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen die gebotene und ihnen zumutbare Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaates und auf die Belange der Länder nehmen (vgl. BVerfGE 81, 310 <337> m.w.N.). Der Bund verstößt gegen diese Pflicht nicht schon dadurch, dass er von einer ihm durch das Grundgesetz eingeräumten Kompetenz Gebrauch macht; vielmehr muss deren Inanspruchnahme missbräuchlich sein (vgl. BVerfGE 81, 310 <337> m.w.N.) oder gegen prozedurale Anforderungen verstoßen, die aus diesem Grundsatz herzuleiten sind (vgl. BVerfGE 81, 310 <337>).

88

Dafür ist hier nichts ersichtlich. Art. 87d Abs. 2 GG stellt dem Bundesgesetzgeber anheim, ob und in welchem Umfang den Ländern Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung zur Ausführung im Auftrag des Bundes übertragen werden. Für die Rückübertragung, die Art. 87d Abs. 2 GG gleichfalls ermöglicht, gilt nichts anderes. Der Verfassungsgeber hat die Festlegung der Aufgabenzuordnung danach gerade nicht - was ohne weiteres möglich gewesen wäre - an ein Einvernehmen der Länder geknüpft. Unabhängig davon kann jedenfalls nicht schon in der bloßen gesetzlichen Eröffnung der Möglichkeit, von den Ländern in Auftragsverwaltung wahrgenommene Aufgaben ohne deren Zustimmung wieder in bundeseigene Verwaltung zu überführen, eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Kompetenzen oder ein Verstoß gegen Verfahrensanforderungen, die sich aus dem Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens ergeben, gesehen werden. Selbst wenn durch die Rücküberführung von Aufgaben in bundeseigene Verwaltung das Interesse eines einzelnen Landes in solchem Ausmaß betroffen sein könnte, dass die Aufgabenüberführung ohne dessen Einvernehmen missbräuchlich oder prozedural unzulässig erschiene, spräche jedenfalls nichts dafür, dass es sich im Regelfall so verhält und dies daher bereits auf der Ebene der gesetzlichen Ermöglichung der Rückübertragung seinen Niederschlag in einem Antrags- oder Einvernehmenserfordernis hätte finden müssen.

89

3. In den Entscheidungsausspruch ist, soweit die zur Prüfung gestellten Vorschriften zwischenzeitlich geändert wurden (s. A.I.2.), die geänderte Fassung entsprechend § 78 Satz 2 BVerfGG einzubeziehen.

D.

90

Diese Entscheidung ist mit 6:2 Stimmen ergangen.

(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.

(1a) Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen für die Bundeswehr mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten. Auf die Kreditermächtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 nicht anzuwenden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.

(3) Die Streitkräfte haben im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle die Befugnis, zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen, soweit dies zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrages erforderlich ist. Außerdem kann den Streitkräften im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden; die Streitkräfte wirken dabei mit den zuständigen Behörden zusammen.

(4) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft sie das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß.

(2) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundesverwaltungsgericht die Revision zurück.

(3) Ist die Revision begründet, so kann das Bundesverwaltungsgericht

1.
in der Sache selbst entscheiden,
2.
das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
Das Bundesverwaltungsgericht verweist den Rechtsstreit zurück, wenn der im Revisionsverfahren nach § 142 Abs. 1 Satz 2 Beigeladene ein berechtigtes Interesse daran hat.

(4) Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.

(5) Verweist das Bundesverwaltungsgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 49 Nr. 2 und nach § 134 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Oberverwaltungsgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht anhängig geworden wäre.

(6) Das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

(7) Die Entscheidung über die Revision bedarf keiner Begründung, soweit das Bundesverwaltungsgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend hält. Das gilt nicht für Rügen nach § 138 und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.