Bundesverwaltungsgericht Urteil, 28. Sept. 2017 - 5 C 10/16

ECLI:ECLI:DE:BVerwG:2017:280917U5C10.16.0
28.09.2017

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die anteilige Erstattung der Aufwendungen für eine vorsorgliche Brustdrüsenentfernung (prophylaktische Mastektomie) mit Implantatrekonstruktion im Rahmen der beamtenrechtlichen Beihilfegewährung.

2

Die 1975 geborene Klägerin ist beihilfeberechtigte Beamtin des Landes Hessen. Zwei ihrer Verwandten in direkter mütterlicher Linie waren an Brustkrebs erkrankt. Bei ihr besteht eine BRCA2-Genmutation. Wegen des erhöhten Risikos, an Brustkrebs zu erkranken, wurde sie als Hochrisikopatientin eingestuft. Ihr Ersuchen auf Übernahme der Kosten einer vorsorglichen operativen Brustdrüsenentfernung und nachfolgender Implantatrekonstruktion im Rahmen der beamtenrechtlichen Beihilfegewährung lehnte der beklagte Dienstherr ab. Auf ihre Klage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten antragsgemäß verpflichtet, die Aufwendungen, die der Klägerin im Rahmen der mittlerweile durchgeführten prophylaktischen Mastektomie entstanden sind, als beihilfefähig anzuerkennen.

3

Die hiergegen vom Beklagten eingelegte Berufung hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Beihilfeanspruch ergebe sich aus § 6 Abs. 1 HBeihVO. Der Krankheitsbegriff dieser Vorschrift sei im Lichte der Fürsorgepflicht des Dienstherrn nach Art. 33 Abs. 5 GG verfassungskonform auszulegen. Dies führe dazu, dass bei der Klägerin bereits das Vorhandensein der BRCA2-Genmutation als behandlungsbedürftige Krankheit anzusehen sei. Im Hinblick auf die Fürsorgepflicht dürften Leistungen für existenzielle Maßnahmen, für die im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung einen verfassungsunmittelbaren Leistungsanspruch annehme, nicht von der Beihilfegewährung ausgeschlossen werden. Die vorsorgliche Brustdrüsenentfernung sei für die Klägerin angesichts eines lebenslangen Risikos von unstrittig jedenfalls 80 %, an potenziell tödlich verlaufendem Brustkrebs zu erkranken, von existenzieller Bedeutung, weil dadurch das Erkrankungsrisiko auf unter 2 % gesenkt werden könne. Das Nichtvorliegen einer Funktionsbeeinträchtigung sei hier nicht entscheidungserheblich; das Kriterium werde als Korrektiv herangezogen, um gesundheitlich irrelevante Normabweichungen namentlich im kosmetischen Bereich aus dem Krankheitsbegriff auszuscheiden, worum es vorliegend nicht gehe.

4

Mit seiner Revision rügt der Beklagte neben Verfahrensfehlern eine Verletzung der in Art. 33 Abs. 5 GG normierten Fürsorgepflicht des Dienstherrn sowie die Verkennung des Krankheitsbegriffs des § 6 HBeihVO. Das angefochtene Urteil überdehne die Fürsorgepflicht des Dienstherrn, die nicht verlange, eine ohne Krankheit bestehende Notlage zu beseitigen. Vielmehr müsse der Dienstherr erst wegen der durch Krankheit entstandenen besonderen Belastungen eingreifen. Das Vorliegen einer (physischen oder psychischen) Funktionsbeeinträchtigung sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts konstitutives Merkmal einer Krankheit. Dem Gesichtspunkt der Funktionsstörung komme für den Krankheitsbegriff auch eine erhöhte Bedeutung zu angesichts der durch die moderne Medizintechnik erweiterten Möglichkeiten der Diagnostik und des damit verbundenen Aufdeckens potentieller Erkrankungsrisiken und Normabweichungen, die nichts darüber besagten, ob sich diese Risiken jemals realisierten. Auch sage das statistische Lebenszeitrisiko nichts darüber aus, ob bei dem Betreffenden innerhalb eines überschaubaren Zeitraums von wenigen Jahren mit einem Ausbruch der Krankheit zu rechnen sei. Schließlich sei die prophylaktische Mastektomie auch deshalb für die Klägerin nicht existenziell, weil es mit intensiven Früherkennungsmaßnahmen eine Behandlungsalternative gebe.

5

Die Klägerin verteidigt das angegriffene Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision des Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil steht nicht in Einklang mit revisiblem Landesrecht (§ 191 Abs. 2 VwGO, § 127 Nr. 2 BRRG i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG; vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2013 - 5 C 32.12 - BVerwGE 148, 106 Rn. 8). Es verletzt § 6 der Hessischen Beihilfenverordnung (HBeihVO) vom 5. Dezember 2001 (GVBl. S. 482), für den hier maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. März 2015 - 5 C 9.14 - BVerwGE 151, 386 Rn. 8) zuletzt geändert durch die Zwölfte Verordnung zur Änderung der Hessischen Beihilfenverordnung vom 25. Juni 2012 (GVBl. S. 182). Entgegen der entscheidungstragenden Annahme des Verwaltungsgerichtshofs ist für die hier im Streit stehende Fallgruppe des erhöhten Erkrankungsrisikos eine verfassungskonforme Auslegung des einfachrechtlichen Krankheitsbegriffs im Lichte der in Art. 33 Abs. 5 GG verankerten Fürsorgepflicht des Dienstherrn nicht geboten. Vielmehr ergibt bereits eine Auslegung des einfachen Verordnungsrechts, dass unter bestimmten engen Voraussetzungen ein Erkrankungsrisiko als Krankheit im beihilferechtlichen Sinn anzusehen ist. Weil der Verwaltungsgerichtshof die insoweit erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat, ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an ihn zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Damit bedarf es keiner Entscheidung über die vom Beklagten geltend gemachten Verfahrensrügen.

7

Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 und § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 6 HBeihVO besteht ein Rechtsanspruch auf Beihilfe unter anderem für ambulante ärztliche Leistungen und stationäre Krankenhausleistungen, wenn sie dem Grunde nach notwendig und soweit sie der Höhe nach angemessen sind. Die Aufwendungen müssen "aus Anlass einer Krankheit" entstanden sein.

8

Für den Krankheitsbegriff im Sinne des § 6 Abs. 1 HBeihVO ist mangels einer eigenständigen Begriffsbestimmung in der Beihilfenverordnung grundsätzlich auf den sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zurückzugreifen, wie er insbesondere in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelt worden ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Februar 1982 - 6 C 8.77 - BVerwGE 65, 87 <91> und vom 10. Oktober 2013 - 5 C 32.12 - BVerwGE 148, 106 Rn. 11 m.w.N.). Danach ist Krankheit ein regelwidriger Zustand des Körpers oder des Geistes, der der ärztlichen Behandlung bedarf oder - zugleich oder ausschließlich - Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Als regelwidrig ist ein Körper- oder Geisteszustand anzusehen, der von der durch das Leitbild eines gesunden Menschen geprägten Norm abweicht. Dabei ist der Begriff der Gesundheit mit dem Zustand gleichzusetzen, der dem Einzelnen die Ausübung körperlicher oder geistiger Funktionen ermöglicht. Jemand ist krank, wenn er in seiner Körper- oder Geistesfunktion beeinträchtigt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2013 - 5 C 32.12 - BVerwGE 148, 106 Rn. 11; BSG, Urteil vom 28. September 2010 - B 1 KR 5/10 R - SozR 4-2500 § 27 Nr. 20 m.w.N.; Nitze, HBeihVO, Stand Juli 2015, § 6 Abs. 1 Anm. 2). An diesem Verständnis des Krankheitsbegriffs hält der Senat fest. Danach ist - neben anderen Voraussetzungen - grundsätzlich nur krank, wer in seinen körperlichen oder geistigen Funktionen beeinträchtigt ist. Das schließt es jedoch nicht aus, in bestimmten Konstellationen, in denen es - wie bei der nicht an Brustkrebs erkrankten Klägerin - (noch) an einer Funktionsbeeinträchtigung fehlt, ausnahmsweise bereits das Vorliegen einer Krankheit zu bejahen.

9

Der Krankheitsbegriff erfasst unter engen Voraussetzungen auch Fallgestaltungen, in denen ein erhebliches und schwerwiegendes Erkrankungsrisiko besteht. Der Wortlaut "Krankheit" und der hiermit verknüpfte mögliche Wortsinn als Grenze jeder Auslegung stehen diesem Verständnis nicht entgegen. Es kann dahinstehen, ob im allgemeinen Sprachgebrauch das Wort "krank" mit einer spürbaren Beeinträchtigung verbunden wird, so dass auch ein signifikant erhöhtes Krankheitsrisiko mangels aktueller Funktionsbeeinträchtigung noch nicht als "Krankheit" anzusehen wäre. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Wortlautauslegung ist der tradierte Fachsprachgebrauch, an dem sich Gesetz- und Verordnungsgeber orientiert haben. Danach ist es nicht ausgeschlossen, auch Fälle eines erheblichen Erkrankungsrisikos unter den Krankheitsbegriff zu fassen. Denn der Krankheitsbegriff ist - obgleich er einen tradierten Begriffskern enthält - nicht abschließend, sondern in dynamischer Weise für die Bewertung neuer Phänomene und die Zulassung von Ausnahmefällen offen. Sein inhaltliches Verständnis unterliegt durchaus Wandlungen, die mit der Entwicklung der Medizin und den daran anknüpfenden gesellschaftlichen Anschauungen von Krankheit verbunden sind (vgl. etwa Steege, in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2017, § 27 Rn. 26 und 40; Nolte, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand Juli 2017, § 27 SGB V Rn. 14a und 27). Hiervon geht auch der Gesetzgeber aus und hat deshalb für den sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff bewusst auf eine gesetzliche Begriffsdefinition verzichtet (BT-Drs. 11/2237 S. 170).

10

Entscheidendes Gewicht für die Auslegung kommen Systematik, Sinn und Zweck des Krankheitsbegriffs sowie seiner historischen Entwicklung zu. Der Krankheitsbegriff ist ein rechtlicher Zweckbegriff, der von seiner Funktion geprägt wird, das durch ihn abgedeckte Risiko im Krankheitsbereich zu bestimmen und die Leistungspflicht auszulösen (vgl. Nolte, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand Juli 2017, § 27 SGB V Rn. 9). Demzufolge wird eine Krankheit unabhängig von einer Funktionsbeeinträchtigung auch dann angenommen, wenn eine anatomische Abweichung entstellend wirkt (vgl. BSG, Urteil vom 22. April 2015 - B 3 KR 3/14 R - SozR 4-2500 § 33 Nr. 45 Rn. 19). Zudem werden auch Fälle eines bloßen Krankheitsverdachts erfasst, in denen nicht feststeht, ob objektiv tatsächlich eine Gesundheitsbeeinträchtigung zu besorgen ist (vgl. BSG, Urteile vom 1. Februar 1995 - 6 RKa 9/94 - SozR 3-2500 § 76 Nr. 2<5> und vom 24. Juli 1985 - 9b RU 36/83 - NZA 1986, 343; Steege, in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2017, § 27 Rn. 48).

11

Darüber hinaus kann nach Auffassung des Bundessozialgerichts unter dem Gesichtspunkt der Behandlungsbedürftigkeit auch schon ein Erkrankungsrisiko die Leistungspflicht auslösen (vgl. hierzu Hauck, NJW 2016, 2695). Dies betrifft zunächst Fallgestaltungen, in denen bei einer bestehenden Grunderkrankung Behandlungsbedürftigkeit in Bezug auf das Risiko einer Verschlimmerung oder weiterer Folgeerkrankungen anzunehmen ist (vgl. BSG, Urteile vom 18. November 1969 - 3 RK 75/66 - BSGE 30, 151 <151>, vom 20. Oktober 1972 - 3 RK 93/71 - BSGE 35, 10 <13>, vom 16. November 1999 - B 1 KR 9/97 R - BSGE 85, 132 <137>, vom 19. Februar 2003 - B 1 KR 1/02 R - BSGE 90, 289 <290 f.> und vom 17. Februar 2010 - B 1 KR 10/09 R - SozR 4-2500 § 27 Nr. 18 Rn. 16).

12

Des Weiteren hat das Bundessozialgericht - in vorliegendem Zusammenhang von besonderer Bedeutung - in zwei Urteilen, auf die Entscheidungen jüngeren Datums Bezug nehmen (vgl. BSG, Urteile vom 16. November 1999 - B 1 KR 9/97 R - BSGE 85, 132 und vom 17. Februar 2010 - B 1 KR 10/09 R - SozR 4-2500 § 27 Nr. 18 Rn. 16), für die Annahme einer Krankheit ein Erkrankungsrisiko auch ohne eine schon bestehende Grunderkrankung im Sinne einer aktuellen Funktionsbeeinträchtigung ausreichen lassen: Bei einer bestehenden Kieferanomalie ohne wesentliche Funktionsbeeinträchtigungen und unklarer weiterer Entwicklung während der Wachstumsphase war entscheidend, dass die Gefahr einer Verschlimmerung der Situation zwar nicht wahrscheinlich, andererseits aber auch "keine entfernte Möglichkeit" darstellte, die Entwicklung des Gebisses nur in bestimmten Phasen des Frühstadiums günstig beeinflusst werden konnte und bei rechtzeitiger Einleitung der Behandlung ein Behandlungserfolg gewährleistet erschien; maßgeblich war der Vergleich des Risikos einer unterbliebenen oder zu spät eingeleiteten Behandlung mit dem Ausmaß und der Schwere der Gefährdung (vgl. BSG, Urteil vom 23. Februar 1973 - 3 RK 82/72 - SozR Nr. 56 zu § 182 RVO). Im Fall einer medizinisch gesunden Versicherten, deren Sohn an einer erblich bedingten Augenerkrankung litt und bei der zu erwarten war, dass weitere Kinder ebenfalls krank geboren werden würden, hat das Bundessozialgericht die Verschreibung von Kontrazeptiva zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung befürwortet und dabei entscheidend darauf abgestellt, dass bei einer neuerlichen Schwangerschaft der Versicherten die Gefahr einer schwerwiegenden Schädigung ihres körperlichen oder geistig-seelischen Zustandes bestünde; die Erkrankung brauche nicht bereits vorzuliegen, es genüge die ernste Gefahr einer Erkrankung. Bis zum Eintritt der Krankheit abzuwarten, obwohl früheres ärztliches Eingreifen bessere und weniger aufwändige Möglichkeiten der Behandlung biete, sei weder vom Standpunkt der Versichertengemeinschaft zu verantworten noch der Versicherten zuzumuten (vgl. BSG, Urteil vom 13. Februar 1975 - 3 RK 68/73 - BSGE 39, 167 <170>).

13

Allen genannten Entscheidungen des Bundessozialgerichts liegt im Wesentlichen zugrunde, dass eine Krankheit vorliegen kann, wenn eine auf Tatsachen gestützte Prognose den künftigen Eintritt schwerwiegender Funktionsbeeinträchtigungen erwarten lässt, wobei eine sofortige Behandlung wirksam, eine erfolgversprechende Behandlung nach Eintritt der erwarteten Funktionsbeeinträchtigung jedoch nicht möglich oder in ihrem Ausgang zumindest ungewiss ist, und diese Ungewissheit es für den Betreffenden unzumutbar (und für die Versichertengemeinschaft nicht verantwortbar) macht, den Eintritt der Funktionsstörung abzuwarten. Ob und ggf. welche Folgerungen sich hieraus für den sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff in allgemeiner Form ergeben, braucht der Senat nicht festzulegen und kann daher offenbleiben.

14

Für das Beihilferecht hat das Bundesverwaltungsgericht bereits in ähnlicher Weise entschieden, dass nach den besonderen Umständen des Einzelfalls schon die konkrete Gefahr einer künftigen Erkrankung ausreichend sein kann, um das Vorliegen einer Krankheit zu bejahen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1982 - 6 C 8.77 - BVerwGE 65, 87 <92>). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung und unter Berücksichtigung der vom Bundessozialgericht zugrunde gelegten Merkmale, bei deren Vorhandensein schon einem Erkrankungsrisiko Krankheitswert zukommen kann, ergibt sich für das Beihilferecht Folgendes: Eine Krankheit im beihilferechtlichen Sinne liegt auch dann vor, wenn die auf Tatsachen gestützte konkrete Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsschädigung besteht und die schädigenden Folgen, die im Falle des Ausbruchs der Krankheit einträten, so schwer sind, dass die Behandlungsbedürftigkeit bereits vor Realisierung der Gefahr zu bejahen ist, weil der betreffenden Person bei wertender Gesamtbetrachtung nicht zuzumuten ist, dem Geschehen seinen Lauf zu lassen und sich auf die Inanspruchnahme von Früherkennungsmaßnahmen zu beschränken.

15

Gemessen daran gilt für die vorliegende Fallgruppe des (genetisch bedingten) erhöhten Krankheitsrisikos, dass ein regelwidriger Körperzustand nicht allein aus dem Umstand des Bestehens einer Genmutation resultiert, sondern aus einem signifikant erhöhten Risiko folgt, an Brustkrebs zu erkranken (vgl. Huster/Harney, MedR 2016, 367 <368>). Dem Erkrankungsrisiko kommt Krankheitswert zu, wenn der betreffenden Person im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung nicht zuzumuten ist, dem Geschehen seinen Lauf zu lassen und sich auf die Inanspruchnahme von Früherkennungsmaßnahmen zu beschränken. Insoweit ist nicht nur das statistische Lebenszeitrisiko zu berücksichtigen, also die Wahrscheinlichkeit, innerhalb der üblichen Lebensspanne an Brustkrebs zu erkranken, weil es den im jeweiligen Einzelfall gegebenen individuellen Verhältnissen nicht hinreichend Rechnung trägt. Um dies zu gewährleisten, sind zusätzlich jedenfalls folgende Aspekte im Rahmen einer maßgeblich unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten vorzunehmenden Risikobewertung in den Blick zu nehmen: Zum einen ist das individuelle Risiko einzubeziehen, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums zu erkranken; in diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, ob die Brustkrebserkrankungen von Familienmitgliedern einer bestimmten Altersspanne zuzuordnen sind und in welchem Altersabstand sich die betreffende Person befindet, wobei angesichts der potenziellen Lebensbedrohlichkeit einer Brustkrebserkrankung ggf. ein angemessener Sicherheitsabstand einzustellen ist. Zum anderen ist zu prüfen, ob Früherkennungsmaßnahmen vorhanden sind, die hinreichend sensitiv sind, um bei festgestellter Brustkrebserkrankung gute Heilungschancen zu bieten. Denn dem Erkrankungsrisiko kommt umso eher Krankheitswert zu, je zeitnäher nach den Verhältnissen des Einzelfalls die Erkrankung selbst zu erwarten ist oder je weniger sensitiv Früherkennungsmaßnahmen bzw. je geringer oder weniger verlässlich die Heilungschancen einzuschätzen sind.

16

Aus Verfassungsrecht ergeben sich für die Bewertung des Risikos, bei vorhandener BRCA2-Genmutation und familiärer Vorbelastung an Brustkrebs zu erkranken, keine anderen Voraussetzungen, unter denen für eine Bewertung des Erkrankungsrisikos als Krankheit auf die vorgenannten Abwägungskriterien verzichtet werden könnte.

17

Es bedarf zunächst - wie dargelegt - keines Rückgriffs auf die in Art. 33 Abs. 5 GG verankerte Fürsorgepflicht des Dienstherrn im Wege verfassungskonformer Auslegung beihilferechtlicher Vorschriften. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Fürsorgepflicht des Dienstherrn verlangte, in den Fällen der vorliegenden Art das Erkrankungsrisiko unter Verzicht (einzelner) der vorgenannten Abwägungskriterien als Krankheit einzustufen. Der vom Berufungsgericht angeführte Beschluss des Senats vom 18. Januar 2013 (- 5 B 44.12 - USK 2013, 145) ist im Übrigen auch nicht einschlägig. Gegenstand dieses Beschlusses waren die Grundsätze, nach denen sich bei bestehender Erkrankung die Vereinbarkeit eines Leistungsausschlusses im Beihilferecht mit höherrangigem Recht bemisst, während hier die Frage inmitten steht, ob und unter welchen Voraussetzungen bei fehlender Funktionsbeeinträchtigung überhaupt eine Krankheit im beihilferechtlichen Sinne vorliegt.

18

Soweit das Berufungsgericht ergänzend auch auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (- 1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25) verweist, der sich für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung mit (ausnahmsweise) anzunehmenden verfassungsunmittelbaren, über den Leistungskatalog der Krankenversicherung hinausgehenden Leistungsansprüchen befasst, ergibt sich unabhängig von der Frage ihrer Übertragbarkeit auf den Bereich der beamtenrechtlichen Beihilfegewährung aus dieser Rechtsprechung nichts für die vorliegende Fallgestaltung. Das Bundesverfassungsgericht bezieht seine Rechtsprechung ausdrücklich nur auf eine hier nicht gegebene "notstandsähnliche Situation", "in der ein erheblicher Zeitdruck für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist". Eine Übertragung dieser Rechtsprechung ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts selbst auf Erkrankungen, die wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbar sind, von Verfassungs wegen nicht geboten (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11. April 2017 - 1 BvR 452/17 - NJW 2017, 2096 <2097>). Davon abgesehen kann die in Bezug genommene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hier auch deshalb nicht herangezogen werden, weil sie das Vorliegen einer Krankheit voraussetzt.

19

Auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Senat die erforderliche Gesamtabwägung nicht selbst vornehmen. So hat die Vorinstanz etwa zu der Frage, wie hoch sich das Risiko für die Klägerin ausnahm, innerhalb einer überschaubaren Zeitspanne an Brustkrebs zu erkranken, keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Deshalb ist die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zur weiteren Sachaufklärung zurückzuverweisen. Mit Blick auf die erneute Befassung des Berufungsgerichts weist der Senat darauf hin, dass dessen nicht näher begründete Feststellung, das Lebenszeitrisiko der Klägerin betrage "unstrittig jedenfalls 80 %", nicht mit dem Inhalt der Akten übereinstimmt, wonach bezogen auf die Klägerin Werte zwischen 70 und 85 % genannt sind, während in einem ihre Mutter betreffenden Arztbrief vom 10. November 2011 das Risiko mit "40 bis 70 %" angegeben wird.

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Tatbestand 1 Die Beteiligten streiten über die Kosten der Lagerung von Eierstockgewebe durch Kryokonservierung.

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(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.

(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

Für die Revision gegen das Urteil eines Oberverwaltungsgerichts über eine Klage aus dem Beamtenverhältnis gilt folgendes:

1.
Die Revision ist außer in den Fällen des § 132 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung zuzulassen, wenn das Urteil von der Entscheidung eines anderen Oberverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht, solange eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist.
2.
Die Revision kann außer auf die Verletzung von Bundesrecht darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Landesrecht beruht.

(1) Die §§ 25 und 50 treten am Tag nach der Verkündung in Kraft. Gleichzeitig treten die §§ 25 und 26 Abs. 3 sowie die §§ 56 bis 56f des Beamtenrechtsrahmengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. März 1999 (BGBl. I S 654), das zuletzt durch Artikel 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 5. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2748) geändert worden ist, außer Kraft.

(2) § 62 Abs. 13 und 14 tritt für Bundesbeamtinnen und Bundesbeamte am 12. Februar 2009 in Kraft.

(3) Im Übrigen tritt das Gesetz am 1. April 2009 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Beamtenrechtsrahmengesetz mit Ausnahme von Kapitel II und § 135 außer Kraft.

(4) Die Länder können für die Zeit bis zum Inkrafttreten des § 11 Landesregelungen im Sinne dieser Vorschrift in Kraft setzen. In den Ländern, die davon Gebrauch machen, ist § 8 des Beamtenrechtsrahmengesetzes nicht anzuwenden.

(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.

(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft sie das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß.

(2) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundesverwaltungsgericht die Revision zurück.

(3) Ist die Revision begründet, so kann das Bundesverwaltungsgericht

1.
in der Sache selbst entscheiden,
2.
das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
Das Bundesverwaltungsgericht verweist den Rechtsstreit zurück, wenn der im Revisionsverfahren nach § 142 Abs. 1 Satz 2 Beigeladene ein berechtigtes Interesse daran hat.

(4) Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.

(5) Verweist das Bundesverwaltungsgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 49 Nr. 2 und nach § 134 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Oberverwaltungsgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht anhängig geworden wäre.

(6) Das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

(7) Die Entscheidung über die Revision bedarf keiner Begründung, soweit das Bundesverwaltungsgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend hält. Das gilt nicht für Rügen nach § 138 und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt

1.
Ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung,
2.
zahnärztliche Behandlung,
2a.
Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen,
3.
Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen,
4.
häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege und Haushaltshilfe,
5.
Krankenhausbehandlung,
6.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.
Zur Krankenbehandlung gehört auch die palliative Versorgung der Versicherten. Bei der Krankenbehandlung ist den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen, insbesondere bei der Versorgung mit Heilmitteln und bei der medizinischen Rehabilitation. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verlorengegangen war. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur vertraulichen Spurensicherung am Körper, einschließlich der erforderlichen Dokumentation sowie Laboruntersuchungen und einer ordnungsgemäßen Aufbewahrung der sichergestellten Befunde, bei Hinweisen auf drittverursachte Gesundheitsschäden, die Folge einer Misshandlung, eines sexuellen Missbrauchs, eines sexuellen Übergriffs, einer sexuellen Nötigung oder einer Vergewaltigung sein können.

(1a) Spender von Organen oder Geweben oder von Blut zur Separation von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen (Spender) haben bei einer nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes erfolgenden Spende von Organen oder Geweben oder im Zusammenhang mit einer im Sinne von § 9 des Transfusionsgesetzes erfolgenden Spende zum Zwecke der Übertragung auf Versicherte (Entnahme bei lebenden Spendern) Anspruch auf Leistungen der Krankenbehandlung. Dazu gehören die ambulante und stationäre Behandlung der Spender, die medizinisch erforderliche Vor- und Nachbetreuung, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie die Erstattung des Ausfalls von Arbeitseinkünften als Krankengeld nach § 44a und erforderlicher Fahrkosten; dies gilt auch für Leistungen, die über die Leistungen nach dem Dritten Kapitel dieses Gesetzes, auf die ein Anspruch besteht, hinausgehen, soweit sie vom Versicherungsschutz des Spenders umfasst sind. Zuzahlungen sind von den Spendern nicht zu leisten. Zuständig für Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 ist die Krankenkasse der Empfänger von Organen, Geweben oder Blutstammzellen sowie anderen Blutbestandteilen (Empfänger). Im Zusammenhang mit der Spende von Knochenmark nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes, von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen nach § 9 des Transfusionsgesetzes können die Erstattung der erforderlichen Fahrkosten des Spenders und die Erstattung der Entgeltfortzahlung an den Arbeitgeber nach § 3a Absatz 2 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes einschließlich der Befugnis zum Erlass der hierzu erforderlichen Verwaltungsakte auf Dritte übertragen werden. Das Nähere kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den für die nationale und internationale Suche nach nichtverwandten Spendern von Blutstammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut maßgeblichen Organisationen vereinbaren. Für die Behandlung von Folgeerkrankungen der Spender ist die Krankenkasse der Spender zuständig, sofern der Leistungsanspruch nicht nach § 11 Absatz 5 ausgeschlossen ist. Ansprüche nach diesem Absatz haben auch nicht gesetzlich krankenversicherte Personen. Die Krankenkasse der Spender ist befugt, die für die Leistungserbringung nach den Sätzen 1 und 2 erforderlichen personenbezogenen Daten an die Krankenkasse oder das private Krankenversicherungsunternehmen der Empfänger zu übermitteln; dies gilt auch für personenbezogene Daten von nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Krankenversicherungspflichtigen. Die nach Satz 9 übermittelten Daten dürfen nur für die Erbringung von Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 verarbeitet werden. Die Datenverarbeitung nach den Sätzen 9 und 10 darf nur mit schriftlicher Einwilligung der Spender, der eine umfassende Information vorausgegangen ist, erfolgen.

(2) Versicherte, die sich nur vorübergehend im Inland aufhalten, Ausländer, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt wurde, sowie

1.
asylsuchende Ausländer, deren Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist,
2.
Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 des Bundesvertriebenengesetzes sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes, ihre Ehegatten, Lebenspartner und Abkömmlinge im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes haben Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz, wenn sie unmittelbar vor Inanspruchnahme mindestens ein Jahr lang Mitglied einer Krankenkasse (§ 4) oder nach § 10 versichert waren oder wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen ausnahmsweise unaufschiebbar ist.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 10. November 2009 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin auf Kosten der beklagten Krankenkasse (KK) eine operative Behandlung zu gewähren ist, mit der sie weitere Körpermerkmale des männlichen Geschlechts erhält.

2

Die 1973 geborene Klägerin leidet unter einer Störung der Geschlechtsidentität (ICD-10-Code: F 64.8) in Form einer sog Zisidentität, bei der von dem/der Betroffenen eine Anpassung an das andere (hier: männliche) Geschlecht unter Beibehaltung beidgeschlechtlicher körperlicher Merkmale angestrebt wird. Seit 1997 wird sie deswegen psychotherapeutisch behandelt. Die Beklagte gewährte ihr eine die Mammae reduzierende Operation; seit 2000 wird - ebenfalls zu Lasten der Beklagten - eine geschlechtsangleichende Hormontherapie mit Testosteron durchgeführt, die zu einer Klitorisvergrößerung führt. Dem im Februar 2006 gestellten Antrag der Klägerin auf Gewährung einer subkutanen Mastektomie (Re-Modellierung einer männlichen Brust mit Mamillenverkleinerung und Drüsen-/Fettentfernung) gab die Beklagte statt. Sie lehnte aber nach Einholung von Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK; Gutachten vom 29.8.2006 und 13.7.2007 - Dr. P. sowie vom 19.12.2006 - Dr. M.) die ebenfalls begehrte operative Angleichung im Genitalbereich (Ablösung der Klitoris von der Scheide und deren Vergrößerung, so dass ein Minipenis entsteht, sowie dauerhafte Verdickung der Schamlippen) ab (Bescheid vom 5.6.2007; Widerspruchsbescheid vom 4.10.2007).

3

Die auf die Übernahme der Kosten für eine stationär durchzuführende geschlechtsangleichende Operation in Form einer Klitorisvergrößerung mit Schamlippenimplantaten gerichtete Klage hat das SG abgewiesen: Ein Anspruch der Klägerin scheitere daran, dass keine körperliche "Krankheit" im Sinne des § 27 Abs 1 SGB V bestehe, deren operative Behandlung in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) falle. Eine nach "objektiven" Kriterien festzustellende Abweichung des Aussehens der Klägerin von der Norm liege nicht vor; vielmehr begehre sie aus psychischen Motiven heraus eine Operation am gesunden (Frauen-) Körper, indem sie diesem Geschlechtsmerkmale hinzufügen wolle, die einem männlichen Körper eigen seien. Die Geschlechtsidentitätsstörung in der Form einer Zisidentität sei kein Fall der Transsexualität, wie sie dem "Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen" (vom 10.9.1980, BGBl I 1654, Transsexuellengesetz - TSG) zu Grunde liege. Der erstrebte operative Zustand würde die Klägerin in einen regelwidrigen neuen Zustand versetzen, weil dem Menschsein naturgemäß entweder weibliche oder männliche Geschlechtsmerkmale eigen seien. Zu der Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs 1 SGB V seien grundsätzlich nur solche Maßnahmen zu zählen, die unmittelbar an der eigentlichen Krankheit ansetzten. Dies sei hier die Beseitigung/Linderung der psychischen Belastung. Eine aus psychischen Motiven verlangte Operation am gesunden Körper sei nur wie bei der Transsexualität (im Sinne des TSG) im Ausnahmefall zulässig. Auch wenn ein vergleichbarer krankhafter Leidensdruck bei der Klägerin gegeben sei, fehle es am Nachweis der Zweckmäßigkeit des operativen Eingriffs, nämlich der wahrscheinlichen Heilung oder zumindest Linderung durch die begehrten operativen Maßnahmen. Auch sei ein Leistungsanspruch gegen die Beklagte nicht aus dem Verfassungsrecht, etwa aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, abzuleiten (Urteil vom 10.11.2009).

4

Mit ihrer Sprungrevision rügt die Klägerin die Verletzung von § 27 Abs 1 SGB V und macht Verfahrensfehler geltend. Zisidentität sei eine Krankheit im Sinne des § 27 Abs 1 SGB V und die operative Behandlung zur Annäherung an die Zweigeschlechtlichkeit vom Leistungsumfang der GKV gedeckt. Sie sei eine besondere Form der Transsexualität; für den Krankheitsbegriff des SGB V sei das TSG ohne Bedeutung. Eine Krankheit bestehe bei Transsexualität einschließlich der Zisidentität, wenn ein regelwidriger Zustand im Sinne der Gebrochenheit des geschlechtsspezifischen Identitätsbewusstseins vorliege und zusätzlich im Einzelfall ein schwerer Leidensdruck existiere, der eine medizinische Behandlung erfordere. Der Fall der geschlechtsangleichenden Operation sei nicht vergleichbar mit dem Wunsch nach einem operativen Eingriff in einen für sich genommen nicht behandlungsbedürftigen Körperzustand zum Zwecke der Behebung oder Linderung einer psychischen Störung (BSGE 82, 158 = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 - Hodenprothese; BSGE 72, 96 = SozR 3-2200 § 182 Nr 14 - Beinverlängerung). Transsexuelle Menschen einschließlich derer mit Zisidentität hätten keine gestörte Psyche, sondern ein von der Mehrheit der Menschen abweichendes geschlechtsspezifisches Identitätsbewusstsein. Mit dem Hinweis auf die Herstellung eines regelwidrigen Zustandes könne die begehrte Operation nicht abgelehnt werden. Auch bei der "totalen" Geschlechtsumwandlung im Falle der Transsexualität stelle sich das umoperierte Geschlecht - trotz der optisch eindeutigen Zuordnung zu einem der beiden Geschlechter - als regelwidrig dar. Die Behandlungsbedürftigkeit sei entgegen den SG-Feststellungen gegeben, weil der Leidensdruck einer medizinischen Behandlung bedürfe. Ausreichend sei insofern eine Linderung der Beschwerden. Das SG nehme zu Unrecht an, dass bei psychischen Störungen die Behandlung grundsätzlich auf die Mittel der Psychiatrie und Psychotherapie beschränkt sei und verneine ohne Begründung die Zweckmäßigkeit einer Operation. Mit den Stellungnahmen der Ärzte Dr. S. und Dr. S., aus denen sich die Notwendigkeit des begehrten operativen Eingriffs aus dem festgestellten erheblichen Leidensdruck und zur Vermeidung der Nebenwirkungen der Hormontherapie ergebe, setze sich das SG nicht auseinander. Auf die MDK-Gutachten habe sich das SG nicht stützen dürfen, zumal sie - die Klägerin - dagegen Einwände vorgebracht habe; vielmehr habe es den Sachverhalt durch Einholung eines Sachverständigengutachtens weiter aufklären müssen. Die mangelnde Auseinandersetzung des SG mit diesen Einwänden stelle einen Verfahrensfehler dar.

5

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 10. November 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 5. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2007 zu verurteilen, ihr eine Operation in Form einer Klitorisvergrößerung mit Korrektur im Hautfaltenbereich der Klitoris und Schamlippenimplantate zu gewähren.

6

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Sprungrevision der von Zisidentität - einer Störung der Geschlechtsidentität - betroffenen Klägerin ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage gegen die ablehnenden Bescheide der beklagten KK abgewiesen und die Gewährung einer operativen Vergrößerung der Klitoris und die Versorgung mit Schamlippenimplantaten als Naturalleistung der Beklagten abgelehnt.

9

Entweder sind die Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V nicht erfüllt oder seine Rechtsfolge umfasst nicht das erstrebte Begehren der Klägerin. Der Senat lässt offen, ob die Klägerin überhaupt an einer behandlungsbedürftigen Krankheit leidet, sei es in Form einer körperlichen oder einer geistigen Regelwidrigkeit. Fehlt es hieran, besteht schon deshalb kein Anspruch der Klägerin (dazu 1.). Leidet die Klägerin an einer geistigen Regelwidrigkeit, die ärztlicher Behandlung bedarf, kann sie die begehrte Naturalleistung nicht beanspruchen, weil sie dann grundsätzlich nur psychische Behandlung verlangen kann und es um keinen Ausnahmefall geht, in dem dennoch ein Eingriff in den gesunden Körper zu beanspruchen ist (dazu 2.). Leidet die Klägerin schließlich an einer behandlungsbedürftigen körperlichen Regelwidrigkeit, scheitert ein Anspruch daran, dass § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V das erstrebte Behandlungsziel "Herstellung eines körperlichen Zustandes mit beidgeschlechtlichen Merkmalen" nicht erfasst(dazu 3.).

10

1. Falls bei der Klägerin keine behandlungsbedürftige Regelwidrigkeit besteht, scheiden Ansprüche auf Krankenbehandlung von vornherein schon mangels vorliegender "Krankheit" aus. Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte nämlich nur dann Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Unter einer "Krankheit" im Rechtssinne versteht die Rechtsprechung des BSG einen regelwidrigen, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (stRspr, vgl zB BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14 RdNr 10; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 4; BSGE 85, 36, 38 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 38; BSGE 72, 96, 98 = SozR 3-2200 § 182 Nr 14 S 64, jeweils mwN). Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt (stRspr, vgl zB BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 11; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 6; BSGE 93, 94, 102 = SozR 4-2500 § 13 Nr 4 S 29; zu einer Hodenprothese BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f; vgl auch BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45 S 253 f).

11

Dass die Klägerin an keiner "Krankheit" in Form eines behandlungsbedürftigen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes leidet, kann der Fall sein, weil jedenfalls zu Beginn der Behandlung der Zisidentität - vor der bereits teilweise erfolgten Vornahme von Veränderungen am Körper - keine körperliche Anomalie in Form der Beeinträchtigung von Körperfunktionen oder einer Entstellung bestand. Die Klägerin befand sich zu diesem Zeitpunkt in einer regelhaften körperlichen Verfassung einer Frau. Dies entnimmt der Senat den Feststellungen des SG, an die er gebunden ist (§§ 163, 161 Abs 4 SGG). Eine "Entstellung" oder mit der begehrten Operation zu behandelnde Funktionsbeeinträchtigung hat das SG nicht bindend festgestellt.

12

2. Wenn die Zisidentität der Klägerin - alternativ unterstellt - als psychische Erkrankung (und nicht als physische Erkrankung, dazu 3.) einzustufen ist, kann sie die begehrte Naturalleistung nicht beanspruchen, weil sie dann grundsätzlich nur psychische Behandlung verlangen kann (dazu a) und es um keinen Ausnahmefall geht, in dem Krankenbehandlung dennoch einen Eingriff in den gesunden Körper umfasst (dazu b).

13

a) Die Rechtsprechung des BSG verneint die Behandlungsbedürftigkeit psychischer Krankheiten mittels angestrebter körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch körperliche Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden (vgl nur BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 16; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 5; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f, jeweils mwN). In Bezug auf Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, lässt sich ausgehend von der aufgezeigten Rechtsprechung grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit nicht begründen. Daran hält der Senat fest.

14

Allein das subjektive Empfinden eines Versicherten vermag die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht zu bestimmen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 Satz 3, § 28 Abs 1 Satz 1 SGB V; vgl zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 23 mwN)und - bei der Frage, ob eine Entstellung besteht - der objektive Zustand einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14 LS und RdNr 13 f). Andernfalls würde der Krankheitsbegriff über Gebühr relativiert und an Konturen verlieren. Es würde nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits angestrebt. Eine Rechtfertigung für Operationen am gesunden Körper zur Behebung von psychischen Störungen hat der Senat vor allem wegen der Schwierigkeiten einer Vorhersage der psychischen Wirkungen von körperlichen Veränderungen und der deshalb grundsätzlich unsicheren Erfolgsprognose in ständiger Rechtsprechung verneint (zusammenfassend: BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 18 mwN). Selbst wenn ein Versicherter hochgradig akute Suizidgefahr geltend macht, kann er regelmäßig lediglich eine spezifische Behandlung etwa mit den Mitteln der Psychiatrie oder Psychotherapie beanspruchen, nicht aber Leistungen außerhalb des Leistungskatalogs der GKV (vgl BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 6 - Cabaseril, LS und RdNr 19). Der damit aufgestellte Grundsatz wäre nur dann zu überprüfen, wenn sich die wissenschaftliche Bewertung der generellen psychotherapeutischen Eignung chirurgischer Eingriffe wesentlich geändert hätte. Für eine solche Annahme besteht jedoch kein Anlass (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 16; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 9).

15

b) Eine Ausnahme von den dargestellten Grundsätzen kommt de lege lata in dem hier betroffenen Bereich nur im Falle einer besonders tief greifenden Form der Transsexualität in Betracht. So hat der 3. Senat des BSG - noch unter Geltung der RVO - die Leistungspflicht einer KK für eine geschlechtsangleichende Operation bejaht (BSGE 62, 83 = SozR 2200 § 182 Nr 106). Nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen, die damals verwertet wurden, handelt es sich bei der Transsexualität um eine komplexe, die gesamte Persönlichkeit erfassende tief greifende Störung mit sowohl seelischen als auch körperlichen Beeinträchtigungen. Der Gesetzgeber hat durch Schaffung des TSG bestätigt, dass der Befund der Transsexualität eine außergewöhnliche rechtliche Bewertung rechtfertigt (BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11). Auch unter Geltung des SGB V ist eine solche Ausnahme mit den in der Rechtsprechung entwickelten Grenzen anzuerkennen (noch offengelassen: BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3<1. Senat>, RdNr 11). Die Einräumung von Ansprüchen für transsexuelle Versicherte führen nicht dazu, dass Betroffene Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer möglichst großen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der GKV vorgegebenen allgemeinen Grenzen haben (vgl bereits BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11). Die Ansprüche sind vielmehr beschränkt auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt (vgl auch § 8 Abs 1 Nr 4 TSG; zur Ablehnung einer Mamma-Augmentationsplastik bei einer Mann-zu-Frau-Transsexuellen trotz einziger Möglichkeit, die psychische Erkrankung einschließlich ihrer körperlichen Begleiterscheinungen zu beheben: Sächsisches LSG, Urteil vom 3.2.1999 - L 1 KR 31/98 - juris RdNr 37; vgl auch Bayerisches LSG vom 30.10.2003 - L 4 KR 203/01 - zu einer besonderen Penisplastik zur Ermöglichung des Urinierens im Stehen bei Frau-zu-Mann-Transsexualität).

16

Voraussetzung für eine an die Wertungen des TSG anknüpfende Behandlungsbedürftigkeit ist allerdings stets, dass das Ziel der Krankenbehandlung zumindest auf die Annäherung an einen regelhaften Zustand - also dem körperlichen Zustand einer Frau bzw eines Mannes - gerichtet ist. Weitergehende Rechte lassen sich auch nicht aus dem TSG ableiten. Das Begehren der Klägerin zielt aber gerade nicht auf die Annäherung an einen regelhaften Zustand (dazu 3.).

17

Der erkennende Senat sieht sich aufgrund der bestehenden Gesetzeslage (§ 31 SGB I) daran gehindert, der Klägerin im Wege richterlicher Rechtsfortbildung Ansprüche zuzuerkennen, die über den vom TSG gezogenen Rahmen hinausgehen. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit dürfen die dort erkennbar gezogenen Grenzen nicht überschreiten. Der Gesetzgeber hat nämlich im Bereich des Umgangs mit Störungen der Geschlechtsidentität in Staat und Gesellschaft, einer atypischen, gleichwohl aber hochsensiblen Materie, mit den Wertungen des TSG auch für das SGB V zu erkennen gegeben, inwieweit er bereit ist, betroffenen Personen auf Kosten der GKV Leistungsansprüche einzuräumen.

18

3. Auch wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, dass sie an einer behandlungsbedürftigen körperlichen Regelwidrigkeit leidet (dazu a), scheitert ein Anspruch daran, dass § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V das erstrebte Behandlungsziel "Herstellung eines körperlichen Zustandes mit beidgeschlechtlichen Merkmalen" nicht erfasst(dazu b).

19

a) Als behandlungsbedürftige körperliche Erkrankungen der Klägerin kommen - ausgehend von den festzustellenden Funktionsbeeinträchtigungen oder Entstellungen - die Folgen der bereits durchgeführten Hormontherapie in Betracht. Von einer hieraus resultierenden Entstellung ist hinsichtlich ihrer Geschlechtsorgane nach der aufgezeigten Rechtsprechung nicht auszugehen (vgl zB BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 11; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 6; BSGE 93, 94, 102 = SozR 4-2500 § 13 Nr 4 S 29; zu einer Hodenprothese BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f; vgl auch BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45 S 253 f). Ansatzpunkte könnten der physische Zustand ihrer Geschlechtsorgane im Falle von - hier allerdings nicht festgestellten - Funktionsstörungen und die mit der Hormontherapie ggf verbundenen durch die begehrte operative Behandlung als mittelbare Folge möglicherweise entfallenden negativen Nebenwirkungen (Haarausfall etc) sein.

20

b) Das von der Klägerin erstrebte Behandlungsziel im körperlichen Bereich ist indes nicht von § 27 Abs 1 SGB V gedeckt. Bei - im dargelegten Umfang unterstellt - regelwidrigem physischen Zustand aufgrund der Hormontherapie begehrt sie nicht, diese dann bestehende körperliche Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder die Krankheitsbeschwerden zu lindern. Vielmehr will sie gerade durch die gewünschte operative Behandlung einen Zustand schaffen, der sich weitergehend von der am Leitbild des gesunden Menschen ausgerichteten Regel entfernt. Denn sie möchte mit der begehrten operativen Behandlung neben ihren noch vorhandenen weiblichen Körpermerkmalen zusätzlich diejenigen des männlichen Geschlechts erhalten. Sie verfolgt mit der Behandlung nicht das Ziel, eine Regelwidrigkeit zu beseitigen oder - so weit wie möglich - einen regelhaften Körperzustand herzustellen. Die streitige Behandlung soll einen nach den Wünschen der Klägerin ausgerichteten körperlichen Zustand zwischen den beiden menschlichen Geschlechtstypen und nicht einen möglichst annähernd regelgerechten Zustand - etwa den eines männlichen Körpers - schaffen. Die erstrebte plastische chirurgische Herausbildung eines Minipenis bei gleichzeitiger Erhaltung und Vergrößerung der vorhandenen Schamlippen entspricht weder dem regelgerechten Zustand einer Frau noch demjenigen eines Mannes. Der Umstand, dass es Menschen mit beidgeschlechtlichen Merkmalen bisweilen bereits von Geburt an gibt, spricht - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht für eine Regelhaftigkeit eines solchen angestrebten Zustandes. Solche Fälle können Anlass für Ansprüche auf Krankenbehandlung sein, die darauf gerichtet ist, den betroffenen Versicherten einem geschlechtlichen Regeltypus anzugleichen, nicht aber darauf, den Zustand des Beidgeschlechtlichen zu vertiefen. Das wäre weder eine Heilung noch eine Verhütung einer Verschlimmerung.

21

Etwas anderes lässt sich - entgegen der Ansicht der Klägerin - auch nicht daraus ableiten, dass § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V neben dem Ziel der Heilung und der Verhütung der Verschlimmerung der Krankheit auch die Linderung der Krankheitsbeschwerden nennt. Zu den Krankheitsbeschwerden sind nicht nur Schmerzen zu rechnen, die vom Patienten empfunden werden, sondern auch andere krankheitsbedingte Beeinträchtigungen des körperlichen, geistigen und seelischen Zustandes, die für den Patienten eine Belastung und Bürde bedeuten, auch wenn sie von ihm (krankheitsbedingt) nicht bewusst wahrgenommen werden (vgl BSG USK 80211; zur Berücksichtigung von Behinderungen vgl etwa BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 2 RdNr 6 und 8 - Dauerpigmentierung von Gesichtspartien). Das Ziel, Beschwerden zu lindern, trägt den Grenzen der Möglichkeiten Rechnung, zu heilen und Verschlimmerungen zu verhüten. Der Ausgangspunkt - die Beschwerden - beleuchtet die Nähe zur Psyche, den Empfindungen. Deshalb kann das Behandlungsziel der Beschwerdelinderung nicht dazu eingesetzt werden, um Grenzen zu verschieben, die bei der Behandlung psychischer Krankheiten durch Eingriffe in intakte Organsysteme gezogen sind.

22

Wie bereits oben dargelegt, kommt schließlich nicht in Betracht, die von § 27 Abs 1 SGB V gezogenen Grenzen nach den subjektiven Vorstellungen der Betroffenen auszuweiten. Das betrifft nicht nur die Voraussetzungen der Norm, sondern auch ihre Rechtsfolgen. Orientiert am objektiven Krankheitsbegriff muss spiegelbildlich auch das Ziel der von einer KK geschuldeten Krankenbehandlung die Herstellung eines regelhaften Zustandes im beschriebenen Sinne sein. Ausschlaggebend sind demnach nicht subjektive Vorstellungen, sondern ein verallgemeinernder, sich an einer gewissen Typik und Variationsbreite ausrichtender regelhafter Maßstab. Auch die Art und der Umfang einer Operation im Falle der Transsexualität, die eine möglichst große Annäherung an das andere Geschlecht anstrebt, richtet sich dementsprechend nicht nach den subjektiven Vorstellungen des Betroffenen.

23

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt

1.
Ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung,
2.
zahnärztliche Behandlung,
2a.
Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen,
3.
Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen,
4.
häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege und Haushaltshilfe,
5.
Krankenhausbehandlung,
6.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.
Zur Krankenbehandlung gehört auch die palliative Versorgung der Versicherten. Bei der Krankenbehandlung ist den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen, insbesondere bei der Versorgung mit Heilmitteln und bei der medizinischen Rehabilitation. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verlorengegangen war. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur vertraulichen Spurensicherung am Körper, einschließlich der erforderlichen Dokumentation sowie Laboruntersuchungen und einer ordnungsgemäßen Aufbewahrung der sichergestellten Befunde, bei Hinweisen auf drittverursachte Gesundheitsschäden, die Folge einer Misshandlung, eines sexuellen Missbrauchs, eines sexuellen Übergriffs, einer sexuellen Nötigung oder einer Vergewaltigung sein können.

(1a) Spender von Organen oder Geweben oder von Blut zur Separation von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen (Spender) haben bei einer nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes erfolgenden Spende von Organen oder Geweben oder im Zusammenhang mit einer im Sinne von § 9 des Transfusionsgesetzes erfolgenden Spende zum Zwecke der Übertragung auf Versicherte (Entnahme bei lebenden Spendern) Anspruch auf Leistungen der Krankenbehandlung. Dazu gehören die ambulante und stationäre Behandlung der Spender, die medizinisch erforderliche Vor- und Nachbetreuung, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie die Erstattung des Ausfalls von Arbeitseinkünften als Krankengeld nach § 44a und erforderlicher Fahrkosten; dies gilt auch für Leistungen, die über die Leistungen nach dem Dritten Kapitel dieses Gesetzes, auf die ein Anspruch besteht, hinausgehen, soweit sie vom Versicherungsschutz des Spenders umfasst sind. Zuzahlungen sind von den Spendern nicht zu leisten. Zuständig für Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 ist die Krankenkasse der Empfänger von Organen, Geweben oder Blutstammzellen sowie anderen Blutbestandteilen (Empfänger). Im Zusammenhang mit der Spende von Knochenmark nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes, von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen nach § 9 des Transfusionsgesetzes können die Erstattung der erforderlichen Fahrkosten des Spenders und die Erstattung der Entgeltfortzahlung an den Arbeitgeber nach § 3a Absatz 2 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes einschließlich der Befugnis zum Erlass der hierzu erforderlichen Verwaltungsakte auf Dritte übertragen werden. Das Nähere kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den für die nationale und internationale Suche nach nichtverwandten Spendern von Blutstammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut maßgeblichen Organisationen vereinbaren. Für die Behandlung von Folgeerkrankungen der Spender ist die Krankenkasse der Spender zuständig, sofern der Leistungsanspruch nicht nach § 11 Absatz 5 ausgeschlossen ist. Ansprüche nach diesem Absatz haben auch nicht gesetzlich krankenversicherte Personen. Die Krankenkasse der Spender ist befugt, die für die Leistungserbringung nach den Sätzen 1 und 2 erforderlichen personenbezogenen Daten an die Krankenkasse oder das private Krankenversicherungsunternehmen der Empfänger zu übermitteln; dies gilt auch für personenbezogene Daten von nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Krankenversicherungspflichtigen. Die nach Satz 9 übermittelten Daten dürfen nur für die Erbringung von Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 verarbeitet werden. Die Datenverarbeitung nach den Sätzen 9 und 10 darf nur mit schriftlicher Einwilligung der Spender, der eine umfassende Information vorausgegangen ist, erfolgen.

(2) Versicherte, die sich nur vorübergehend im Inland aufhalten, Ausländer, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt wurde, sowie

1.
asylsuchende Ausländer, deren Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist,
2.
Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 des Bundesvertriebenengesetzes sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes, ihre Ehegatten, Lebenspartner und Abkömmlinge im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes haben Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz, wenn sie unmittelbar vor Inanspruchnahme mindestens ein Jahr lang Mitglied einer Krankenkasse (§ 4) oder nach § 10 versichert waren oder wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen ausnahmsweise unaufschiebbar ist.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Februar 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Versorgung des Klägers mit einer Perücke als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

2

Der 1938 geborene Kläger leidet seit 1983 an vollständiger Haarlosigkeit des Kopfes (Alopecia totalis) sowie des gesamten Körpers (Alopecia areata universalis). Hinzu kommt die Neigung zur Bildung von Weißflecken (Vitiligo) bei ohnehin hellem Hauttyp. Die beklagte Krankenkasse hat ihn in der Vergangenheit wiederholt, zuletzt im Dezember 2006, mit Perücken versorgt. Seinen Antrag vom 16.11.2011 auf erneute Versorgung mit einer - vertragsärztlich verordneten - Kunsthaarperücke lehnte die Beklagte ab, weil Kahlköpfigkeit bei älteren Männern nicht als störende Auffälligkeit wahrgenommen werde und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben deshalb auch ohne Perücke uneingeschränkt möglich sei (Bescheid der Beklagten vom 28.11.2011, Widerspruchsbescheid vom 8.3.2012).

3

Der Kläger hat sich die Kunsthaarperücke für 820 Euro auf eigene Kosten beschafft (Rechnung vom 17.12.2011). Er macht geltend, der totale Haarverlust verursache einen hohen psychischen Leidensdruck, sodass er verschiedentlich schon psychotherapeutische Hilfe benötigt habe. Ihm könne nicht zugemutet werden, in der Öffentlichkeit stets eine Kopfbedeckung zu tragen, um sich vor den neugierigen Blicken der Mitmenschen zu schützen und der Gefahr von Sonnenbrand und der Entstehung von Hautkrebs vorzubeugen. Frauen in gleicher Lage würden von den Krankenkassen ohne Weiteres mit Perücken ausgestattet. Mit Blick auf das Verbot der Benachteiligung eines Menschen wegen seines Geschlechts (Art 3 Abs 3 Satz 1 GG) könne Männern daher die Versorgung mit einer Perücke bei krankheitsbedingtem Haarverlust nicht verwehrt werden.

4

Das SG hat die - auf Sachleistung gerichtete - Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 23.7.2013). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 20.2.2014): Weder der Verlust des Kopfhaares noch die Weißfleckenkrankheit entfalte beim Kläger eine entstellende Wirkung, sodass seiner Teilnahme am gesellschaftlichen Leben objektiv keine krankheitsbedingten Hindernisse entgegenstünden. Ein effektiver Schutz vor Sonnenbrand und Hautkrebs könne durch Kopfbedeckungen und Sonnenschutzcremes erlangt werden. Die geltend gemachten psychischen Beeinträchtigungen begründeten ebenfalls keinen Anspruch auf Versorgung mit einer Perücke, sondern allenfalls einen Anspruch auf Behandlung dieser Störung mit den Mitteln der Psychiatrie oder Psychotherapie. Auf das geschlechtsspezifische Benachteiligungsverbot könne sich der Kläger nicht berufen, weil der teilweise oder vollständige Verlust der Kopfbehaarung bei Männern als natürliche Erscheinung allgemein akzeptiert werde, während dieser Verlust bei Frauen äußerst selten vorkomme, daher bei ihnen regelmäßig entstellend wirke und der Zustand so zu einem ernsthaften Außenseiterproblem werden könne.

5

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 33 Abs 1 Satz 1 SGB V, Art 3 Abs 3 Satz 1 GG). Die Ungleichbehandlung gegenüber Frauen sei nicht gerechtfertigt, weil es keinen medizinischen Erfahrungssatz gebe, dass der totale Haarverlust Männer psychisch weniger belaste als Frauen. Die Perücke sei auch deswegen zu leisten, weil generell ein Anspruch auf eine deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild eines normalen, gesunden Mannes gleichen Alters bestehe.

6

Der Kläger begehrt im Revisionsverfahren nunmehr die Erstattung der für den Kauf der Perücke aufgewandten Kosten und beantragt demgemäß,

        

das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 20.2.2014 und den Gerichtsbescheid des SG Speyer vom 23.7.2013 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 28.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.3.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm 820 Euro zu zahlen.

7

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, hält den Kostenerstattungsanspruch für unbegründet und beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist zulässig, in der Sache aber unbegründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den Kläger mit einer Perücke zu versorgen bzw ihm die Kosten dafür zu erstatten, nachdem er sich das Hilfsmittel selbst beschafft hatte.

9

1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Es ist unschädlich, dass für die vom SG und LSG entschiedene Klage auf Versorgung des Klägers mit einer neuen Kunsthaarperücke durch die Beklagte (Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG) das Rechtsschutzinteresse gefehlt hat, weil es infolge der - dem SG und dem LSG nicht mitgeteilten - Anschaffung der Perücke durch den Kläger nicht mehr um die Erfüllung eines Sachleistungsanspruchs gehen konnte. Der Übergang vom Sachleistungsanspruch (§ 33 Abs 1 Satz 1 iVm § 2 Abs 2 Satz 1 SGB V) zum Kostenerstattungsanspruch, der wegen der schon am 17.12.2011 erfolgten Selbstbeschaffung des begehrten Hilfsmittels bereits in der ersten und zweiten Instanz hätte den eigentlichen Streitgegenstand innerhalb des allgemeinen Klagebegehrens auf "Kostenübernahme" für die Perücke bilden müssen, war sachgerecht und auch im Revisionsverfahren noch zulässig, weil eine derartige Umstellung des Klageantrags bei gleich gebliebenem Klagegrund (auch) von § 99 Abs 3 Nr 2 SGG erfasst wird(vgl BSGE 99, 180 = SozR 4-2500 § 13 Nr 15 RdNr 10; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 99 RdNr 4a), also fiktiv nicht als Klageänderung iS des § 99 Abs 1 und 2 SGG gilt, und deshalb nicht gegen das prozessuale Verbot der Klageänderung im Revisionsverfahren(§ 168 Satz 1 SGG) verstößt. Die Regelung des § 99 Abs 3 Nr 3 SGG, die ebenfalls auf den Übergang vom Sachleistungs- auf den Kostenerstattungsanspruch anwendbar ist(BSG SozR 4-1300 § 48 Nr 10 RdNr 12; Leitherer, aaO, RdNr 5), kann hingegen im vorliegenden Fall nicht zur prozessualen Zulässigkeit der Antragsumstellung führen, weil diese Vorschrift auf Sachverhalte beschränkt ist, in denen - anders als hier - die Veränderung der anspruchsbegründenden Umstände erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit der Klage (§ 94 SGG) eingetreten ist oder die schon zuvor eingetretene Änderung dem Kläger erst nach Rechtshängigkeit der Klage bekannt geworden ist (Leitherer, aaO, RdNr 5 mwN).

10

2. Grundlage des Erstattungsanspruchs ist § 13 Abs 3 SGB V: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war". In Betracht kommt hier allein der Fall der unberechtigten Ablehnung einer Leistung (2. Alternative). Dabei reicht es grundsätzlich aus, dass der Versicherte sich die begehrte Leistung auf eigene Kosten beschafft hat, nachdem ihm die Krankenkasse die Entscheidung über die Ablehnung des Leistungsantrags bekannt gegeben hat (Ablehnungsbescheid). Es ist in der Regel nicht erforderlich, dass der Versicherte mit der Selbstbeschaffung der Leistung bis zur Entscheidung der Krankenkasse über den Widerspruch gegen die Leistungsablehnung wartet (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 11, 22; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 37; stRspr). Daher steht dem Kostenerstattungsanspruch im vorliegenden Fall nicht bereits der Umstand entgegen, dass der Kläger sich die begehrte Perücke zwar nach der Ablehnungsentscheidung vom 28.11.2011, aber noch vor der Entscheidung über den Widerspruch gegen diesen Bescheid (Widerspruchsbescheid vom 8.3.2012) auf eigene Kosten beschafft hat (Rechnung vom 17.12.2011).

11

Die Selbstbeschaffung eines aus medizinischen bzw rehabilitativen Gründen erforderlichen Hilfsmittels durch den Versicherten nach Ablehnung seines Leistungsantrags durch die Krankenkasse kann jedoch nur dann zu einem Kostenerstattungsanspruch führen, wenn ihm ein entsprechender Sachleistungsanspruch (§ 2 Abs 2 Satz 1 SGB V) zugestanden hätte. Das war hier nicht der Fall.

12

3. Rechtsgrundlage des ursprünglich geltend gemachten Sachleistungsanspruchs ist § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V in der ab 1.4.2007 geltenden Fassung von Art 1 Nr 17 GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26.3.2007 (BGBl I 378). Nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Dabei besteht ein Anspruch auf Versorgung mit Blick auf die "Erforderlichkeit im Einzelfall" nur, soweit das begehrte Hilfsmittel geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet; darüber hinausgehende Leistungen darf die Krankenkasse gemäß § 12 Abs 1 SGB V nicht bewilligen(vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 11 - zweisitziges Elektrofahrzeug; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 40 - Unterschenkel-Sportprothese; BSGE 107, 44 = SozR 4-2500 § 33 Nr 31 - Treppensteighilfe).Nicht entscheidend für den Versorgungsanspruch ist, ob das begehrte Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis (§ 139 SGB V) gelistet ist, denn es handelt sich bei diesem Verzeichnis nicht um eine abschließende Regelung im Sinne einer Positivliste (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 16, 20, 27; BSGE 99, 197 = SozR 4-2500 § 33 Nr 16, RdNr 20).

13

a) Der Hilfsmittelbegriff wird seit dem Inkrafttreten des SGB IX (durch Art 1 des Gesetzes vom 19.6.2001, BGBl I 1046) zum 1.7.2001 für alle Träger von Leistungen der medizinischen Rehabilitation (§ 6 Abs 1, § 5 Nr 1 SGB IX) durch § 31 Abs 1 SGB IX einheitlich definiert. Danach versteht der Gesetzeber unter dem Begriff Hilfsmittel die Körperersatzstücke sowie die orthopädischen und anderen Hilfsmittel. Erfasst werden alle Hilfen, die von den Leistungsempfängern getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich sind, um (1.) einer drohenden Behinderung vorzubeugen, (2.) den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder (3.) eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen, soweit sie nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind. Da sich die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe gemäß § 7 Satz 2 SGB IX nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen richten, ergibt sich der Rechtsanspruch der Versicherten weiterhin aus § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Bei der Definition des Hilfsmittelbegriffs in der medizinischen Rehabilitation hat sich der Gesetzgeber an der Rechtsprechung des BSG zum Hilfsmittelbegriff in der GKV orientiert. Eine Ausweitung der Leistungspflicht der GKV war bei der Hilfsmittelversorgung aber mit der Einführung des SGB IX nicht beabsichtigt (vgl auch BSGE 107, 44 = SozR 4-2500 § 33 Nr 31, RdNr 39). Als bewegliche Sachen erfüllen Perücken diesen Hilfsmittelbegriff, und zwar in der Ausprägung als Körperersatzstück, weil die Vollperücke das nicht (mehr) vorhandene Haupthaar vollständig ersetzen soll.

14

b) Der Anspruch scheitert nicht an der Ausnahmeregelung des § 33 Abs 1 Satz 1 letzter Halbsatz SGB V, wonach allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen sind. Dem vollständigen Haarersatz dienende Vollperücken sind keine allgemeinen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, weil sie für die speziellen Bedürfnisse an totalem Haarverlust leidender Menschen hergestellt und nur von diesem Personenkreis benutzt werden (vgl zum Begriff des allgemeinen Gebrauchsgegenstands BSGE 84, 266 = SozR 3-2500 § 33 Nr 33). Andere Perücken und sonstige Haarteile, insbesondere Damenperücken, werden zwar vielfach auch aus modischen Gründen verwandt, dann aber am vorhandenen Haupthaar befestigt und dienen als "Zweitfrisur". Als vollständiger Haarersatz - wie hier - sind Perücken teilweise anders gearbeitet (zB andere Art der Befestigung) und dienen auch einer anderen Zweckbestimmung, nämlich dem optischen Ausgleich des fehlenden natürlichen Haupthaares, und damit gerade nicht als "Zweitfrisur". Perücken gehören auch nicht mehr, wie vor 300 Jahren, zur üblichen standesgemäßen Ausstattung gehobener gesellschaftlicher Kreise.

15

c) Ein Anspruchsausschluss nach § 34 Abs 4 Satz 1 SGB V greift ebenfalls nicht ein. Nach dieser Vorschrift (idF durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vom 20.12.1991, BGBl I 2325) kann das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Heil- und Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis bestimmen, deren Kosten die Krankenkasse nicht übernimmt. In der auf Grund dieser Ermächtigung erlassenen Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung (KVHilfsmV) vom 13.12.1989 (BGBl I 2237), die in der Fassung durch die Verordnung vom 17.1.1995 (BGBl I 44) gilt, sind das Kopfhaar vollständig ersetzende Perücken nicht erfasst.

16

d) Der Anspruch lässt sich nicht bereits aus der Verwaltungspraxis der Beklagten bis 2006 ableiten. Es gibt keinen "Grundbescheid", mit dem die Beklagte grundsätzlich die regelmäßig wiederkehrende Versorgung des Klägers mit Perücken bewilligt hätte. In der Vergangenheit hat die Beklagte ausdrücklich immer nur Einzelfallentscheidungen erlassen. Demgemäß ist, wie bei dem Ersatz anderer Hilfsmittel (§ 33 Abs 1 Satz 2 SGB V)auch, grundsätzlich stets erneut zu prüfen, ob das begehrte Hilfsmittel weiterhin notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist (§ 2 Abs 4, § 12 Abs 1 und § 33 Abs 1 SGB V; vgl auch BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 21 - Blindenführhund). Dabei stellt sich die vertragsärztliche Verordnung eines bestimmten Hilfsmittels (§ 73 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB V) rechtlich nur als ärztliche Empfehlung dar, bindet die Krankenkasse im Verhältnis zum Versicherten aber nicht, weil ihr gemäß § 275 Abs 3 Nr 1 SGB V ein Prüfungsrecht zur Erforderlichkeit des Hilfsmittels zusteht(BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 25 und 27, stRspr).

17

4. Die Leistungsablehnung durch die Beklagte ist rechtmäßig, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V für die Versorgung des Klägers mit einer Perücke nicht erfüllt sind; das Hilfsmittel dient weder der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung noch dem Ausgleich einer Behinderung. Die Variante "Abwendung einer drohenden Behinderung" kommt nach der Sachlage ohnehin nicht in Betracht.

18

a) Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte nur dann Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Zum Anspruch auf Krankenbehandlung gehört auch die Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V).

19

aa) Unter einer Krankheit iS des § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V wird allgemein ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand verstanden, der ärztlicher Heilbehandlung bedarf oder - zugleich oder allein - den Betroffenen arbeitsunfähig macht(BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 10; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 4; BSGE 85, 36, 38 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 38; BSGE 72, 96, 98 = SozR 3-2200 § 182 Nr 14 S 64; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 10; stRspr). Da aber nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit auch Krankheitswert zukommt, hat die Rechtsprechung diese Grundvoraussetzung dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 11 zu Brustangleichungsoperationen; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 6 zu kosmetischen Brustvergrößerungen; BSGE 93, 94, 102 = SozR 4-2500 § 13 Nr 4 S 29 zu Feuermalen der Haut; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 zu einer Hodenprothese; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 2 zur Dauerpigmentierung bei fehlenden Augenbrauen und Wimpern). Der Gesetzgeber selbst hat bewusst davon abgesehen, den Begriff der Krankheit im Gesetz zu definieren, da sein Inhalt ständigen Änderungen unterliege. Stattdessen hat er in der Gesetzbegründung Bezug genommen auf die herrschende Rechtsprechung und Praxis (Begründung des Entwurfs zum GRG, BT-Drucks 11/2237, S 170). Trotz der vom Gesetzgeber angenommenen ständigen Änderungen des Krankheitsbegriffs ist aber die grundlegende Begriffsdefinition gleich geblieben. Die Anpassung an die fortschreitende medizinische Entwicklung erfolgt in der Regel im Rahmen der einzelnen Begriffsmerkmale. Die Ausweitung der therapeutischen Möglichkeiten schlägt sich insbesondere in dem Begriffsmerkmal der "Behandlungsbedürftigkeit" nieder (Fahlbusch in jurisPK-SGB V, 2. Aufl 2012, § 27 RdNr 31 und 42 mwN).

20

Der krankenversicherungsrechtliche Krankheitsbegriff ist enger als der Krankheitsbegriff im allgemein-medizinischen Sinne, der jede "Störung der Lebensvorgänge in Organen oder im gesamten Organismus mit der Folge von subjektiv empfundenen bzw objektiv feststellbaren körperlichen, geistigen oder seelischen Veränderungen" bzw "eine definierbare Einheit typischer ätiologisch, morphologisch, symptomatisch oder nosologisch beschreibbarer Erscheinungen, die als eine bestimmte Erkrankung verstanden werden" umfasst. Bei dem medizinischen Krankheitsbegriff kommt es insbesondere auf Behandlungsbedürftigkeit bzw Arbeitsunfähigkeit nicht an. Ebenfalls nicht maßgeblich für das Krankenversicherungsrecht ist der weite sozialpolitische Krankheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die den Gegenbegriff der Gesundheit definiert als "Zustand völligen körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Wohlempfindens" (Fahlbusch, aaO, § 27 RdNr 34).

21

bb) Den Krankheiten gleichgestellt sind in weitgehendem Umfang Behinderungen (vgl § 2 Abs 1 SGB IX, § 33 SGB V). Das Gesetz macht keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Krankheiten im engeren Sinne, bei denen die Betonung auf dem regelmäßig nur vorübergehenden Charakter einer als überwindbar angesehenen Gesundheitsbeeinträchtigung liegt, und Behinderungen, die als weitgehend unabänderlich vor allem unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs für eine dauerhaft regelwidrige Körperfunktion die Leistungspflicht begründen können (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 2 RdNr 6). Die neuere, gemäß § 5 Nr 1, § 6 Abs 1 Nr 1 und § 31 SGB IX auch für das SGB V und damit für die Krankenkassen geltende Definition des Begriffs der Behinderung findet sich nunmehr in § 2 Abs 1 SGB IX. Danach sind Menschen teilhaberechtlich behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (Satz 1). Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist (Satz 2). Dabei entspricht der erste Teil der Definition der "Behinderung" iS des § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX, also die dauerhaft regelwidrige Körperfunktion bzw das Funktionsdefizit, dem herkömmlichen rein medizinischen Behinderungsbegriff, während der zweite Teil der Definition, also die Teilhabebeeinträchtigung als Folge des Funktionsdefizits, die durch das SGB IX erfolgte Erweiterung des herkömmlichen Behinderungsbegriffs darstellt(vgl dazu auch Löbner, Der gesetzliche Behinderungsbegriff im Wandel der Zeit, Behindertenrecht 2015, 1).

22

b) Unter dem Gesichtspunkt des vollständigen Ausfalls des biologischen Prozesses "Neubildung und Wachstum der Haare" kann der körperliche Zustand des Klägers schon deshalb nicht als behandlungsbedürftige Krankheit bewertet werden, weil die Haarlosigkeit nicht zu einer Beeinträchtigung der Körperfunktionen führt und zudem weder die Perücke noch ein anderes Mittel der Krankenbehandlung dem Kläger die verlorene Körperbehaarung, hier speziell das Kopfhaar, wieder zu beschaffen vermag. Der Versuch einer medikamentösen Therapie ist nach Feststellung des LSG zwar unternommen, dann aber wegen Aussichtslosigkeit nicht fortgesetzt worden; Behandlungsmöglichkeiten sind bei einer schon länger andauernden Alopecia areata universalis auch nicht ersichtlich (vgl zu den Therapiemöglichkeiten bei den verschiedenen Alopecia-Formen Psychrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Aufl 2007, Stichworte Alopecia androgenetica und Alopecia areata). Es fehlt deshalb am Merkmal der Behandlungsbedürftigkeit, das seinerseits die Behandlungsfähigkeit voraussetzt (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 2 RdNr 7).

23

c) Dennoch kann der Totalverlust der Haare im Einzelfall Krankheitswert haben und deshalb als Krankheit iS des § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V gelten. Krankheitswert kann dem vollständigen Haarverlust unter dem Aspekt der entstellenden Wirkung zukommen. Dabei ist nach dem Geschlecht sowie nach Ursache und Ausmaß des Haarverlustes zu differenzieren.

24

aa) Der übliche Schwund der Kopfbehaarung beim Mann, der von sich vergrößernden "Geheimratsecken" über die "hohe Stirn" und die Teilglatze an der Tonsurstelle bis zur vollständigen Glatzenbildung geht (Alopecia androgenetica), die Wimpern, die Augenbrauen und die Barthaare aber nicht erfasst, ist schon keine Krankheit und - als Dauerzustand - auch keine Behinderung. Es handelt sich insoweit nicht um einen regelwidrigen Körperzustand, weil der teilweise bzw vollständige Haarverlust - altersabhängig - die Mehrzahl aller Männer trifft (Alopecia senilis). Eine Differenzierung nach dem Alter ist - von Kindern und Jugendlichen abgesehen - weder möglich noch erforderlich, weil vom Zurückweichen der Kopfbehaarung erwachsene Männer aller Altersstufen in unterschiedlichem Ausmaß betroffen sind. Wenn das insbesondere bei jungen Männern mit starker Glatzenbildung (Alopecia praematura) anders gesehen und insoweit von einer körperlichen Regelwidrigkeit ausgegangen würde, käme ihr kein Krankheitswert zu; denn das fehlende Haupthaar beeinträchtigt die Körperfunktionen des Mannes nicht und wirkt auch nicht entstellend. Männer ohne Haupthaar erregen für sich genommen, also ohne ein bestimmtes Erscheinungsbild (zB Kleidung, Tätowierungen), in der Öffentlichkeit keine Aufmerksamkeit im Sinne von Anstarrung oder Stigmatisierung. Das wird in jüngerer Zeit auch dadurch bestätigt, dass der haarlose Kopf vielfach mit Eigenschaften wie zB Energiegeladenheit und Sportlichkeit oder aber - zusammen mit einem prägnanten Outfit - mit einem bestimmten politischen oder gesellschaftlichen Standpunkt in Verbindung gebracht wird. Deshalb greifen auch Männer, die noch über Haupthaar oder einen Haarkranz verfügen, nicht selten zum Mittel der totalen Kopfrasur, um sich so ein markantes Äußeres zu verschaffen, das dem Stil ihres Vorbilds oder ihrer Gruppe entspricht.

25

bb) In der Wahrnehmung des vollständig haarlosen Kopfes durch das Publikum liegt auch der Grund, weshalb der Anspruch nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V auf Versorgung mit einer Perücke bei Frauen bestehen kann(BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45). Der typische männliche Haarausfall ohne Beteiligung von Wimpern und Augenbrauen tritt aus biologischen Gründen bei Frauen kaum auf, auch wenn bei diesen das Haarvolumen im Laufe des natürlichen Alterungsprozesses zurückgeht. Deshalb erregt eine haarlose Frau auch dann, wenn sie nicht an dem Vollbild der Alopecia areata universalis leidet, immer noch Aufsehen, und ihr Aussehen wird ggf als entstellend wahrgenommen, sodass der Verlust der Kopfbehaarung dort als Krankheit eingestuft werden kann. Auch diese Bewertung wird dadurch bestätigt, dass bei Frauen - anders als bei Männern - die Glatze (Calvities) nicht mit Energiegeladenheit, Sportlichkeit und/oder einem bestimmten Statement verbunden, sondern ganz verbreitet als "Defekt" wahrgenommen wird. Die nach dem Geschlecht differenzierende Anwendung des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V hinsichtlich der Versorgung mit Perücken nach Verlust des Haupthaares (ohne Beteiligung der Augenbrauen und Wimpern) stellt vor diesem Hintergrund keine unzulässige Benachteiligung von Männern wegen des Geschlechts(Art 3 Abs 3 Satz 1 GG) dar (dazu näher 6.).

26

cc) Die Folgen des vollständigen Haarverlustes des Kopfes, der auch die Wimpern, die Augenbrauen und die Barthaare (Alopecia totalis) erfasst, können demgegenüber je nach dem Alter des betroffenen Mannes und Aussehen des unbehaarten Kopfes entstellende Wirkung (im Sinne einer störenden, Aufmerksamkeit bzw Neugier erregenden Auffälligkeit) haben. Es bedarf hier keiner exakten Abgrenzung, bis zu welchem Lebensalter - etwa 30 Jahre - das Aussehen eines Mannes ganz ohne Haare ausgrenzende Wirkung haben kann, weil der haarlose Kopf bei einem jungen Erwachsenen Blicke auf sich ziehen mag und dem Beobachter dann (erst) auffällt, dass der Betroffene völlig haarlos ist.

27

d) Soweit der vollständigen Haarlosigkeit des Kopfes eine entstellende Wirkung zukommt, handelt es sich um einen Zustand körperlicher Regelwidrigkeit mit Krankheitswert. Der Anspruch auf Ausstattung mit einer Perücke nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V beruht dann auf dem Tatbestand der Hilfsmittelversorgung zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung (1. Variante). Dies gilt für vorübergehende Zustände mit potenziell entstellender Wirkung, wie sie zB bei der Kahlköpfigkeit von Krebspatienten als Begleiterscheinung einer Chemotherapie auftreten können, ebenso wie für Dauerzustände mit potenziell entstellender Wirkung wie zB bei der Alopecia areata universalis.

28

Demgemäß ist bei solchen Dauerzuständen eine genaue Abgrenzung zur 3. Variante des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V, nämlich der Hilfsmittelversorgung zum Ausgleich einer Behinderung, entbehrlich. In seiner Entscheidung zum Anspruch einer an Alopecia areata universalis leidenden Frau auf Versorgung mit einer Echthaarperücke hatte der erkennende Senat maßgeblich auf den teilhaberechtlichen Behinderungsbegriff des § 2 Abs 1 SGB IX abgestellt(Urteil vom 23.7.2002 - B 3 KR 66/01 R - SozR 3-2500 § 33 Nr 45) und dabei den Krankheitswert der bei Frauen entstellenden Wirkung der Alopecia areata universalis einer dauerhaften körperlichen Funktionsbeeinträchtigung gleichgestellt: Ein Mensch ist wegen seiner Kahlköpfigkeit teilhaberechtlich behindert, wenn der körperliche Zustand entstellend wirkt und er deshalb ohne ausgleichende Maßnahmen an der uneingeschränkten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gehindert ist. Die Kahlköpfigkeit hat bei Frauen eine entstellende Wirkung, die zwar nicht zum Verlust oder zur Störung einer motorischen oder geistigen Funktion führt, es einer Frau aber erschwert oder gar unmöglich macht, sich frei und unbefangen unter den Mitmenschen zu bewegen; eine kahlköpfige Frau zieht "naturgemäß" ständig alle Blicke auf sich und wird zum Objekt der Neugier. Dies hat in aller Regel zur Folge, dass sich die Betroffene aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzieht und zu vereinsamen droht. Ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist beeinträchtigt. Deshalb haben unter Kahlköpfigkeit leidende Frauen regelmäßig einen Anspruch gegen ihre Krankenkasse auf Versorgung mit einer Echthaarperücke (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45).

29

Gerade bei älteren Männern kann in der Regel jedoch nicht von einer entstellenden Wirkung der Kahlköpfigkeit gesprochen werden, und deshalb sind sie auch nicht an der uneingeschränkten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gehindert. Dies gilt nach Feststellung des LSG auch im Fall des Klägers, der bei der Beschaffung der Perücke im Jahr 2011 73 Jahre alt war. Die im Verwaltungsverfahren eingesandten und vom LSG ausgewerteten Fotos, die im Januar 2012 angefertigt worden sind und sich in den - vom LSG zum Gegenstand des Verfahrens gemachten - Verwaltungsakten befinden (Bl 13 VA), schließen die Annahme eines entstellenden Aussehens von vornherein aus.

30

e) Im Übrigen spielt die - häufig als Begleiterscheinung der Alopecia areata universalis auftretende - Weißfleckenkrankheit (Vitiligo) im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle, weil ausweislich der in den Verwaltungsakten befindlichen Fotos der Kopf des Klägers von dieser Krankheit nicht betroffen ist. Dies ergibt sich auch aus dem Neufeststellungsbescheid des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung Rheinland-Pfalz zum schwerbehinderungsrechtlichen Status des Klägers vom 19.8.2014, wonach Vitiligo (nur) am Oberkörper und an beiden Armen besteht.

31

5. Der Umstand, dass der Kläger den vollständigen Haarverlust offenbar als sein Äußeres entstellend empfindet und das Aussehen für ihn eine psychische Belastung darstellt, kann nicht den Anspruch auf die Versorgung mit einer Perücke auslösen; denn es kommt auf die Erforderlichkeit des Hilfsmittels zur Beseitigung einer objektiv eingetretenen entstellenden Wirkung an (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 14). Selbst ein Zustand mit Krankheitswert würde die Krankenkasse lediglich zu medizinisch notwendigen Behandlungsmaßnahmen verpflichten und nicht dazu, jede vom Versicherten gewünschte, von ihm für optimal gehaltene Maßnahme zur Heilung oder Linderung des krankhaften Zustands zu gewähren. Daran hat auch das am 1.7.2001 in Kraft getretene SGB IX nichts geändert, denn in Bezug auf die Zuständigkeit des Leistungsträgers und die Leistungsvoraussetzungen verweist § 7 Satz 2 SGB IX ausdrücklich auf die speziellen Leistungsgesetze, hier also das SGB V(BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 2 RdNr 8). Danach sind die Ansprüche des Versicherten auf diejenigen Maßnahmen begrenzt, die nach objektiven Maßstäben als ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich anzusehen sind und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 12 Abs 1 SGB V).

32

Da der Haarverlust des Klägers diesen nicht entstellt, handelt es sich - allenfalls - um eine bloße optische Unregelmäßigkeit, deren Beseitigung bzw Kaschierung als kosmetische Maßnahme in die Eigenverantwortung des Betroffenen fällt. Einen Anspruch gegen die Krankenkasse auf "Angleichung" an das Aussehen eines völlig gesunden Menschen gleichen Alters gibt es schon deshalb nicht, weil bei Männern im Alter des Klägers vielfach teilweiser oder vollständiger Verlust des Kopfhaares festzustellen ist, es also um einen natürlichen, keinerlei Aufmerksamkeit der Mitmenschen erregenden Zustand geht, und es sich bei gewünschter Korrektur dieser Unregelmäßigkeit ohne Krankheitswert somit nur um eine kosmetische Maßnahme handelt. Die Kosten der Perücke hat der Kläger daher selbst zu tragen.

33

6. Dieses Ergebnis verstößt nicht gegen das grundgesetzliche Verbot der Benachteiligung eines Menschen wegen seines Geschlechts (Art 3 Abs 3 Satz 1 GG). Anknüpfungspunkt für die unterschiedliche Behandlung von Frauen und Männern bei der Versorgung mit Perücken im Fall des vollständigen Haarverlustes bei Alopecia areata universalis ist ausschließlich die entstellende Wirkung der Kahlköpfigkeit und deren Auswirkung auf die uneingeschränkte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Anspruchsgrund ist also nicht die Alopecia areata universalis selbst, die bei Frauen und Männern gleichermaßen auftreten kann, sondern die daraus im Einzelfall resultierende entstellende Wirkung der Kahlköpfigkeit. Die entstellende Wirkung tritt in den Augen der Mitmenschen aber naturgemäß (fast) nur bei Frauen auf, die aus biologischen Gründen - anders als viele Männer - regelmäßig nicht von einem teilweisen oder vollständigen Verlust des Kopfhaares betroffen sind. Teil- und Vollglatzen sind bei Männern mit zunehmendem Alter normal und werden von den Mitmenschen auch als alltägliche natürliche Erscheinung ohne Korrekturbedarf empfunden, während Kahlköpfigkeit bei einer Frau eine störende Auffälligkeit darstellt, die die neugierigen Blicke der Menschen auf sich zieht und Abhilfe erfordert, damit sich die betroffene Frau unbefangen und frei in der Öffentlichkeit bewegen kann. In die "Außenseiterrolle" können aus biologischen Gründen daher regelmäßig nur die betroffenen Frauen geraten. Der Versorgungsanspruch nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V knüpft hier also nicht unmittelbar an die Eigenschaft als Mann oder Frau an, stellt folglich keine direkte Ungleichbehandlung dar, sondern es geht nur um die entstellende Wirkung der Kahlköpfigkeit und deren Folgen für die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, die bei Frauen und Männern unterschiedlich ausfallen. Eine derartige indirekte Ungleichbehandlung ist zulässig, wenn sie auf hinreichenden sachlichen Gründen beruht bzw wenn sie durch gewichtige objektive Gründe gerechtfertigt ist und somit nichts mit einer Diskriminierung wegen der Eigenschaft als Frau oder Mann zu tun hat (BVerfGE 113, 1, 20; BAGE 83, 327, 337; Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl 2014, Art 3 RdNr 86, 95, 96). Die Anknüpfung des Versorgungsanspruchs an die - objektiv vorhandene und nicht nur subjektiv so empfundene - entstellende Wirkung der Kahlköpfigkeit und deren teilhaberechtlichen Auswirkungen ist ein solcher sachlicher Grund.

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7. Mit dieser Entscheidung steht der Kläger als Versicherter der GKV möglicherweise schlechter da als ein Beamter in gleicher Lage als Beihilfeberechtigter. Nach § 25 Abs 1 Satz 1 BBhV sind Aufwendungen für ärztlich verordnete Hilfsmittel, Geräte zur Selbstbehandlung und Selbstkontrolle sowie Körperersatzstücke beihilfefähig, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Dabei sind Perücken nach Abschnitt 2 der Anlage 11 zu § 25 Abs 1 und 4 BBGV bis zu einem Betrag von 512 Euro beihilfefähig, "wenn ein krankhafter entstellender Haarausfall (zB Alopecia areata), eine erhebliche Verunstaltung (zB infolge Schädelverletzung) oder totaler oder weitgehender Haarausfall vorliegt". Die Beihilfe wird danach in der angegebenen Höhe bei totalem oder weitgehendem Haarausfall grundsätzlich unabhängig von Alter und Geschlecht gewährt. Das wird auf die Rechtsprechung des BVerwG aus dem Jahre 2002 (BVerwG Urteil vom 31.1.2002 - 2 C 1/01 - NJW 2002, 2045 = DVBl 2002, 1216 = Buchholz 237.0 § 101 BaWüLBG Nr 1)zurückzuführen sein, das eine Regelung in der Beihilfeverordnung für das Land Baden Württemberg, nach der bei totalem oder sehr weitgehendem Haarausfall Beihilfe nur männlichen Personen bis zum 30. Lebensjahr und weiblichen Personen gewährt wurde (§ 6 Abs 1 Nr 4 der Verordnung des Finanzministeriums des Landes Baden-Württemberg über die Gewährung von Beihilfe in Geburts-, Krankheits-, Pflege- und Todesfällen vom 28.7.1995, GBl S 561), als unvereinbar mit dem Verbot der Benachteiligung eines Menschen wegen seines Geschlechts (Art 3 Abs 3 Satz 1 GG) angesehen und die entsprechende Klausel der BVO BW als verfassungswidrig verworfen hatte (Art 100 GG).

35

Dies ist allerdings kein Grund, dem Kläger einen entsprechenden krankenversicherungsrechtlichen Anspruch zuzubilligen; denn es existiert kein Gebot der leistungsrechtlichen Gleichbehandlung von Versicherten der GKV und beihilfeberechtigten Beamten oder Versorgungsempfängern. Gerade in der vorliegenden Konstellation beruht die Differenzierung auf systembedingten Unterschieden zwischen dem Leistungsrecht der GKV und dem Beihilferecht für Beamte. Denn während die vom BVerwG gerügte beihilferechtliche Vorschrift einen Anspruch auf Beihilfe bei totalem oder sehr weitgehendem Haarausfall für Männer ab dem 30. Lebensjahr kategorisch ausgeschlossen hatte, beruht die vorliegende Entscheidung des Senats auf einer wertenden Betrachtung der Entstellung. Der Senat hat dargelegt, aus welchen sachlich-biologischen Gründen eine Entstellung durch Haarverlust bei Frauen eher in Betracht kommt als bei Männern. Das geschlechtsspezifische Benachteiligungsverbot aus Art 3 Abs 3 Satz 1 GG wird dabei nicht verletzt. Ob dies bei einem generellen Leistungsausschluss durch eine beihilferechtliche Vorschrift ohne Wertungsmöglichkeit im Einzelfall anders zu beurteilen ist, bedarf keiner Entscheidung durch den erkennenden Senat. Wenn der beihilferechtliche Verordnungsgeber aufgrund dieser Entscheidung des BVerwG dann allen Beihilfeberechtigten ohne Unterscheidung nach Alter oder Geschlecht Beihilfe zu Perücken und Toupets gewährt, zwingt dies nicht zu einer ebenso weiten Auslegung der Vorschriften der GKV, in denen solche konkreten Vorgaben nicht enthalten sind.

36

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Kosten der Lagerung von Eierstockgewebe durch Kryokonservierung.

2

Die am 14.4.1980 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Klägerin erkrankte im Jahre 2006 an einem Mammakarzinom. Am 3.1.2007 beantragte sie bei der Beklagten, die Kosten für die Entnahme und Aufbewahrung von Gewebe aus den Eierstöcken zu übernehmen. Sie legte eine ärztliche Bescheinigung der Dres B. und M. vom 4.1.2007 vor: Die Kryokonservierung von Eierstockgewebe sei erforderlich, weil die Klägerin nach der Chemotherapie mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 % nie mehr einen Eisprung haben werde und somit im späteren Leben keine eigenen Kinder mehr gebären könne. Deshalb solle eizellbildendes Gewebe entnommen, eingefroren, später aufgetaut und in den Körper der Klägerin reimplantiert werden; Ziel sei es, die Fertilität der Klägerin wenigstens teilweise zu erhalten. Die Beklagte lehnte die "Übernahme von Kosten, die im Zusammenhang mit einer Kryokonservierung von Eierstockgewebe … entstehen," ab, weil sie keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sei (Bescheid vom 4.1.2007, Widerspruchsbescheid vom 20.2.2007).

3

Am 10.1.2007 wurde das Mammakarzinom operativ entfernt und gleichzeitig durch Biopsie Ovargewebe zur Kryokonservierung entnommen. Danach wurde die Chemotherapie durchgeführt. Das der Klägerin entnommene Eierstockgewebe wurde bei der I. GbR eingelagert. Am 17.7.2007, 19.1.2008, 7.7.2008 und 14.1.2009 bezahlte die Klägerin für die Lagerung inklusive des Verbrauchs von Flüssig-Stickstoff und die Bereitstellung in der Zeit vom 1.7.2007 bis zum 30.6.2009 jeweils für das laufende Halbjahr 142,80 Euro.

4

Das Sozialgericht hat die Klage unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 1) abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 26.10.2007). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Die Kryokonservierung sei keine Krankenbehandlung, die unter § 27 Abs 1 Satz 1 und 4 SGB V falle, denn die Empfängnisunfähigkeit als Folge der Chemotherapie werde dadurch nicht geheilt. Auch gehöre die begehrte Konservierung nicht zu den Leistungen nach § 27a SGB V, weil sich eine künstliche Befruchtung nur auf Maßnahmen erstrecke, die dem Zeugungsakt entsprächen und unmittelbar der Befruchtung dienten (Urteil vom 20.2.2009).

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 27 Abs 1 Satz 1 und Satz 4 SGB V: Die Einlagerung von Eierstockgewebe sei eine originäre Krankenbehandlung, sie sei nicht mit Maßnahmen der künstlichen Befruchtung verbunden. Wegen der damals drohenden, inzwischen eingetretenen Unfruchtbarkeit durch die Chemotherapie sei die Kryokonservierung eine für die Wiederherstellung der Empfängnisfähigkeit notwendige Krankenbehandlung; sie diene zumindest der Linderung von Krankheitsfolgen. Anders als die Einlagerung von männlichem Samen, der "hilfsmittelgleich" der späteren (künstlichen) Befruchtung diene, unterscheide sich die Konservierung von weiblichem Eierstockgewebe nicht von der als Leistung nach dem SGB V anerkannten präoperativen Eigenblutspende nebst Einlagerung.

6

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. Februar 2009 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26. Oktober 2007 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2007 zu verurteilen, ihr 571,20 Euro zu erstatten und sie von der Tragung der Kosten für die Lagerung des Ovargewebes für die Zeit vom 10. Januar 2007 bis 30. Juni 2007 und vom 1. Juli 2009 bis längstens zum Ablauf des 13. April 2020 freizustellen.

7

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält das LSG-Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

10

Das angefochtene LSG-Urteil ist aufzuheben, weil es auf der Verletzung des § 27 Abs 1 Satz 1 und Satz 4 SGB V iVm § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V beruht und sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist. Wegen fehlender Tatsachenfeststellungen des LSG kann der Senat nicht in der Sache selbst abschließend über den Erfolg der Berufung gegen den die Klage abweisenden Gerichtsbescheid entscheiden.

11

Allein in Betracht kommende Rechtsgrundlage des Kostenerstattungsanspruchs ist § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V. Diese Vorschrift bestimmt: Hat die Krankenkasse (KK) eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der KK in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die KKn allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, jeweils RdNr 11 mwN - LITT; zuletzt zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16 RdNr 8 mwN; vgl zum Ganzen: E. Hauck in H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung Bd 1, 19. Aufl, 68. Lfg, Stand: 1.9.2008, § 13 SGB V RdNr 233 ff).

12

Es fehlt an den notwendigen Feststellungen des LSG, um abschließend zu entscheiden, ob die Voraussetzungen dieser Norm erfüllt sind. Der Senat kann auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht beurteilen, ob die beklagte Ersatzkasse die begehrte Kryokonservierung und Lagerung von Eierstockgewebe zu Unrecht abgelehnt hat, weil die bei ihr versicherte Klägerin diese Naturalleistung als Teil einer Krankenbehandlung iS des § 27 Abs 1 SGB V beanspruchen kann. Insbesondere fehlt es an hinreichenden Feststellungen zum Eintritt des Versicherungsfalls "Krankheit" (dazu 1.) und zur Beachtung des Qualitätsgebots (dazu 2.). Ebenso liegen keine Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen des § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V vor (dazu 3.).

13

1. Es steht bereits nicht fest, dass die Klägerin an einer Krankheit leidet, deren Beschwerden die Kryokonservierung lindern soll, wie von § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V vorausgesetzt. Hiernach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern; nach Satz 4 dieser Vorschrift gehören zur Krankenbehandlung auch Leistungen zu Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verloren gegangen war.

14

a) Festzustellen hat das LSG zunächst, ob die Klägerin hier die Behandlung einer Krankheit iS des § 27 Abs 1 SGB V verlangt. Abzugrenzen ist der Ansprüche nach § 27 SGB V auslösende Versicherungsfall der Krankheit von dem Versicherungsfall des § 27a SGB V: der Unfähigkeit eines Ehepaares, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen nebst der daraus resultierenden Notwendigkeit einer künstlichen Befruchtung (vgl zB BSGE 88, 62, 64 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3, stRspr; BVerfG NJW 2007, 1343, 1344; E. Hauck SGb 2009, 321, 322) . Die in § 27a SGB V geregelten medizinischen Maßnahmen dienen nicht der Beseitigung einer Krankheit iS von § 11 Abs 1 Nr 4 und § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V. Der Gesetzgeber hat medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft vielmehr nur den für Krankheiten geltenden Regelungen des SGB V unterstellt (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum KOV-Anpassungsgesetz 1990, BT-Drucks 11/6760, S 14 zu Nr 2) .

15

Ginge es der Klägerin bloß um Leistungen nach § 27a SGB V, hätte sie keinen Naturalleistungsanspruch auf Kryokonservierung. Denn diese Regelung erfasst nur Maßnahmen, die dem einzelnen natürlichen Zeugungsakt entsprechen und unmittelbar der Befruchtung dienen, nicht aber Kryokonservierung und Lagerung (BSGE 86, 174 = SozR 3-2500 § 27a Nr 1 - Kryokonservierung vorsorglich gewonnener imprägnierter Eizellen; BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 1 RdNr 8 f - Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen; BSG SozR 3-2200 § 182 Nr 3 - Kryokonservierung von männlichen Samenzellen; BSG, Beschluss vom 9.12.2004 - B 1 KR 95/03 B - Kryokonservierung von männlichen Samenzellen). Auch die Klägerin geht im Revisionsverfahren von dieser Rechtslage aus. Um Klarheit darüber zu erlangen, ob die Reimplantation des Eierstockgewebes bloß zu einer Empfängnisfähigkeit auf künstlichem Wege führt oder eine Schwangerschaft durch natürlichen Zeugungsakt ermöglicht, bedarf es noch näherer Feststellungen, die das LSG zu treffen hat.

16

b) Festzustellen hat das LSG ferner, dass die Klägerin bei der Entnahme und Einlagerung des Eierstockgewebes an einer Krankheit litt. Nach ihrem Vorbringen bestand aufgrund ihrer vorhandenen Krebserkrankung und der Behandlungsfolgen eine unmittelbare, konkrete Gefahr, dass ihre Empfängnisfähigkeit verloren gehen würde. Sollte sich dieser Sachverhalt als zutreffend erweisen, genügte dies für die Annahme einer "Krankheit". Denn nicht nur eine eingetretene krankheitsbedingte Empfängnisunfähigkeit ist gemäß § 27 Abs 1 Satz 4 SGB V eine Krankheit (Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des SGB V, BT-Drucks 11/2237 S 170 zu § 27; vgl zur eingetretenen schicksalhaften Unfruchtbarkeit zB BSGE 59, 119, 121 f = SozR 2200 § 182 Nr 101; vgl auch BSGE 85, 36, 42 f = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 42 f), sondern auch bereits der therapiebedingt drohende Eintritt der Empfängnisunfähigkeit. Zieht eine Krankheit in unbehandeltem oder behandeltem Zustand zwangsläufig oder mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Erkrankungen nach sich, so sind medizinische Maßnahmen, die dem entgegenwirken und eine Verschlechterung des Gesamtgesundheitszustandes verhüten sollen, als Behandlung der Grundkrankheit und damit als Krankenbehandlung iS des § 27 Abs 1 SGB V aufzufassen (vgl BSGE 85, 132, 137 = SozR 3-2500 § 27 Nr 12 - medizinische Fußpflege unter Hinweis auf BSGE 39, 167 = SozR 2200 § 182 Nr 9 - Maßnahmen zur Verhütung der Schwangerschaft wegen der Gefahr einer schwerwiegenden Schädigung des körperlichen oder geistig-seelischen Zustandes des Versicherten; BSGE 66, 163 = SozR 3-2200 § 182 Nr 1 - empfängnisverhütende Maßnahmen wegen drohender Schädigung der Leibesfrucht) . Die fehlenden erforderlichen Feststellungen dazu, dass der Klägerin aufgrund der Chemotherapie zur Behandlung der Folgen ihres Mammakarzinoms die unmittelbare, konkrete Gefahr drohte, die Empfängnisfähigkeit zu verlieren, wird das LSG nachzuholen haben.

17

c) Ist die Lagerung des Eierstockgewebes zusammen mit der späteren Reimplantation auf die Wiederherstellung der Empfängnisfähigkeit durch natürlichen Zeugungsakt gerichtet, scheitert eine Leistungspflicht der Beklagten allerdings nicht etwa daran, dass das Einfrieren und die Lagerung von Eierstockgewebe als Teilausschnitt der Gesamtbehandlung keine "ärztliche" Behandlung iS von § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB V darstellt (vgl BSG SozR 3-2200 § 182 Nr 3 S 6 f) . Denn sie wäre in diesem Falle eine unselbstständige Vorbereitungshandlung der späteren (eigentlichen) ärztlichen Krankenbehandlung, die in Form der Implantation des Gewebes stattfindet. Auch steht eine möglicherweise lediglich vorübergehende Behebung der Unfruchtbarkeit der Leistungspflicht der KK nicht entgegen. Nicht nur die Heilung einer Krankheit, sondern auch die Linderung von Krankheitsbeschwerden gehört zur Krankenbehandlung iS des § 27 Abs 1 SGB V.

18

Dass die Kryokonservierung erst zusammen mit dem weiteren, derzeit noch ungewissen Ereignis der Implantation des Gewebes zur Realisierung eines erst künftig auftretenden Kinderwunsches die Wiederherstellung der Fruchtbarkeit ermöglichen soll, hindert die Entstehung eines Anspruchs ebenfalls nicht. Insoweit ist nämlich nicht an die Verwirklichung des Kinderwunsches anzuknüpfen, sondern an die konkrete Möglichkeit, die Empfängnisfähigkeit wiederherzustellen. Anders als Maßnahmen nach § 27a SGB V, die auf die Herbeiführung einer Schwangerschaft gerichtet sein müssen, zielt die Krankenbehandlung zur Beseitigung der Unfruchtbarkeit auf die Wiederherstellung der Empfängnisfähigkeit. Dies ist ausreichend, falls durch Reimplantation des Eierstockgewebes die Fruchtbarkeit wiederhergestellt werden kann.

        
19

2. Falls die Ermittlungen des LSG zu dem Ergebnis führen sollten, dass bei der Klägerin im og Sinne eine Krankheit bestand und die Lagerung des Eierstockgewebes zusammen mit der späteren Reimplantation auf die Wiederherstellung der Empfängnisfähigkeit durch natürlichen Zeugungsakt gerichtet ist, fehlt es noch an weiteren Feststellungen, um entscheiden zu können, ob die Entnahme, Lagerung und spätere Reimplantation des Eierstockgewebes unter dem Aspekt des Qualitätsgebots (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) eine von der Leistungspflicht der KK umfasste Behandlungsmethode bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs war, also bei der Entnahme und dem (erstmaligen) Einfrieren des Eierstockgewebes ( vgl etwa BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, jeweils RdNr 15 f - LITT; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8 RdNr 23 - Brachytherapie ). Dies hängt auch davon ab, ob die Reimplantation als wesentlicher Teil der Behandlungsmaßnahme, etwa durch Bauchspiegelung oder Bauchschnitt (vgl die Beschreibung des Verfahrens durch das Universitätsklinikum Erlangen: http://www.kinderwunsch-nach-krebserkrankung.de/e1662/e321/e333/index_print_ger.html, recherchiert am 26.1.2010) - entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst regelmäßig als ambulante Behandlung (dazu a) durchzuführen ist oder als stationäre Krankenhausbehandlung (dazu b).

20

a) Ein Anspruch auf ambulante ärztliche Implantation des Eierstockgewebes könnte daran scheitern, dass es sich um eine neue Behandlungsmethode handelt, der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) die Methode nicht positiv zur Anwendung in der GKV empfohlen hat, und dass kein Ausnahmefall vorliegt, in welchem dies entbehrlich ist.

21

Die sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Anforderungen sind bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V nur dann gewahrt, wenn der GBA in Richtlinien (RL) nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch RL nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 iVm § 135 Abs 1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der KKn erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese RL auch der Umfang der den Versicherten von den KKn geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (stRspr, vgl zB BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12 , jeweils RdNr 12 mwN - LITT; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 20 , RdNr 20 mwN - Magenhand) . Ärztliche “Behandlungsmethoden” iS der GKV sind medizinische Vorgehensweisen, denen ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (vgl BSGE 82, 233, 237 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 - Jomol; vgl auch BSGE 88, 51, 60 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 mwN ; BSG SozR 3-5533 Nr 2449 Nr 2 S 9 f; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8 RdNr 17). Darum geht es ggf bei der von der Klägerin selbst beschafften Leistung als Teil der anvisierten Gesamtleistung einschließlich der Reimplantation. "Neu" ist eine Methode, wenn sie - wie hier die streitige Methode - zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen enthalten ist (vgl BSG, Urteil vom 27.9.2005 - B 1 KR 28/03 R - USK 2005-77; BSGE 81, 54, 58 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 ; BSGE 81, 73, 75 f = SozR 3-2500 § 92 Nr 7 ) . Als nicht vom GBA empfohlene neue Methode ist die ambulante Reimplantation des Gewebes grundsätzlich kein Leistungsgegenstand der GKV.

22

Es fehlt indes an Feststellungen des LSG dazu, dass die Voraussetzungen von Ausnahmefällen erfüllt sind, in denen es keiner Empfehlung des GBA bedarf (vgl insoweit zur Seltenheit einer Erkrankung: BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1 , jeweils RdNr 21 ff - Visudyne; zum Systemversagen: BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12 , jeweils RdNr 17 mwN - LITT). Eine grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts der GKV (vgl zB im Anschluss an BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 : BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12 , jeweils RdNr 20 ff mwN - LITT) kommt allerdings nicht Betracht. Eine solche verfassungskonforme Auslegung setzt nämlich ua voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4 , jeweils RdNr 21 und 30 mwN - Tomudex) oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt (vgl BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7 , jeweils RdNr 31-32 - D-Ribose). Daran fehlt es bei einem drohenden Eintritt der Unfruchtbarkeit (vgl zu den bereits vom BSG entschiedenen Fällen: SozR 4-2500 § 27 Nr 16 RdNr 13 ff - ICL).

23

b) Für den (alternativ in Betracht kommenden) Anspruch der Klägerin auf Reimplantation des Gewebes in Form einer Krankenhausbehandlung steht nicht fest, dass die Behandlungsmethode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht (§ 2 Abs 1 Satz 3; § 12 Abs 1, § 27 Abs 1 Satz 1, § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V). Dies ist zweifelhaft. So wird die Methode der fertilitätserhaltenden Kryokonservierung von dem Universitätsklinikum Erlangen "immer noch als experimentell" eingestuft (vgl zB http://www.kinderwunsch-nach-krebserkrankung. de/e1662/e321/e333/index_print_ger.html; vgl auch den Bericht des Universitätsklinikums Erlangen vom 7.4.2008 "Kinderwunsch nach Krebs - Erste erfolgreiche Wiedereinpflanzung von tiefgefrorenem Eierstockgewebe macht krebskranken Frauen Mut", http://www.kinderwunsch-nach-krebserkrankung.de/e1852/e1855/e744/index_ger.html; jeweils recherchiert am 26.1.2010). Der Anspruch auf Krankenhausbehandlung setzt zwar keine positive Empfehlung des GBA voraus, erfordert aber dennoch abgesehen von den hier nicht einschlägigen Fällen eines Negativvotums des GBA nach § 137c SGB V, dass die streitige Maßnahme nach Überprüfung im Einzelfall dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht (vgl BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6 jeweils RdNr 52 unter Aufgabe von BSGE 90, 289 = SozR 4-2500 § 137c Nr 1) . Den insoweit bestehenden Hinweisen auf den experimentellen Charakter der Methode muss im weiteren Verfahren nachgegangen werden, soweit die Frage entscheidungserheblich sein sollte.

24

3. Sollte ein Naturalleistungsanspruch der Klägerin bestehen, müsste das LSG schließlich feststellen, dass die weiteren Voraussetzungen des § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V gegeben sind. Die zeitliche Dauer des Anspruchs - abhängend von dem Zeitpunkt der Herstellung der Fruchtbarkeit und damit des Zeitraums der Lagerung - hätte sich in diesem Fall (nur) an der typischen Dauer der natürlichen Konzeptionsfähigkeit einer gesunden Frau zu orientieren. Die beantragte Lagerung des Eierstockgewebes längstens bis zur Vollendung des 40. Lebensjahrs der Klägerin erscheint nicht unangemessen. Die Orientierung an der Altersgrenze, ab der ein Anspruch einer weiblichen Versicherten auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nach § 27a Abs 3 Satz 1 SGB V ausgeschlossen sind, ist vielmehr sachgerecht. Bei der Festlegung dieser Grenze hat der Gesetzgeber sich auch an der höheren Konzeptionswahrscheinlichkeit bis zu diesem Alter orientiert (vgl BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 7 RdNr 15 f).

25

4. In der abschließenden Entscheidung muss das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens befinden.

(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.

(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Der Antrag auf Auslagenerstattung wird abgelehnt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versorgung der Beschwerdeführerin mit einer intravenösen Immunglobulintherapie (IVIG-Therapie)zur Behandlung einer Urticariavasculitis im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung.

2

1. Bei der 1958 geborenen Beschwerdeführerin wurde im Jahre 1993 ein systemischer Lupus erythematodes (SLE) diagnostiziert, der mit verschiedenen Folgeerkrankungen beziehungsweise Komplikationen verbunden ist. Von besonderer Bedeutung für das hiesige Verfahren ist dabei eine im Jahre 2008 erstmals diagnostizierte Urticariavasculitis mit dadurch verursachten Zungenschwellungen.

3

Im Oktober 2009 beantragte sie bei ihrer Krankenkasse, der im Ausgangsverfahren Beklagten (im Folgenden: Beklagte), die Übernahme der Kosten für eine IVIG-Therapie. Die Ambulanz der Hautklinik des Universitätsklinikums H., wo sie in Behandlung war und ist, führte zur Begründung insbesondere aus, dass seit Juni 2008 urticarielle Hautveränderungen aufgetreten seien. Wegen der damit verbundenen Zungenschwellungen bestehe prinzipiell Erstickungsgefahr. Aufgrund der Erfolglosigkeit der bisherigen Therapiebemühungen und der Progredienz der Symptome, der dadurch bedingten Gefährdung sowie der stark eingeschränkten Lebensqualität der Beschwerdeführerin sei eine Therapie mit hochdosierten intravenösen Immunglobulinen medizinisch dringend indiziert. Im Übrigen sei der Beschwerdeführerin wegen der drohenden Schwellungen ein Notfallset rezeptiert worden, welches sie immer bei sich führe.

4

Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die Voraussetzungen für einen sogenannten Off-Label-Use der Immunglobuline, die für die Behandlung der bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Erkrankungen nicht zugelassen sind, nicht vorlägen. Auf den mit Erhebung der Klage hiergegen gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz erließ das Sozialgericht M. eine einstweilige Anordnung, auf deren Grundlage die Beschwerdeführerin seit 1. Juni 2010 mit intravenös applizierten Immunglobulinen, konkret mit dem Medikament Intratect, versorgt wurde. Auch in der Hauptsache war die Beschwerdeführerin erfolgreich; das Sozialgericht verurteilte die Beklagte, die Kosten für eine intravenöse Immunglobulintherapie zu übernehmen. Die Voraussetzungen für deren zulassungsüberschreitende Anwendung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung seien gegeben, da als Komplikation des SLE mehrfach ein akutes Larynxödem mit anschwellender Zunge aufgetreten sei, welches einen lebensbedrohlichen Zustand mit der Gefahr des Erstickungstodes darstelle.

5

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg wies die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurück, dass diese verurteilt werde, der Beschwerdeführerin die IVIG-Therapie als Sachleistung zu gewähren. Hinsichtlich der auf der Grundlage der einstweiligen Anordnung bereits gewährten Leistungen habe sich die Klage erledigt. Denn mit dem Beschluss im einstweiligen Rechtsschutz habe das Sozialgericht die Hauptsache ausnahmsweise im Rahmen einer Folgenabwägung komplett vorweggenommen. Ein auf die Erstattung der Sachleistung in Geld gerichteter Anspruch scheide daher ebenso aus wie ein Schadensersatzanspruch.

6

Die Beschwerdeführerin habe aber auch für die Zukunft einen Anspruch auf die streitige Leistung, allerdings nicht als ambulante Versorgung. In diesem Rahmen seien die Voraussetzungen für die Versorgung nach den Grundsätzen eines sogenannten Off-Label-Use oder einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode nicht erfüllt. Die Beschwerdeführerin habe ferner keinen aus dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip und dem Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) beruhenden verfassungsunmittelbaren Leistungsanspruch wegen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung. Eine extreme Situation einer krankheitsbedingten Lebensgefahr sei ersichtlich nicht gegeben. Ein Anspruch der Beschwerdeführerin ergebe sich auch nicht aus § 2 Abs. 1a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Mit dieser Regelung werde der vom Bundesverfassungsgericht entwickelte verfassungsunmittelbare Leistungsanspruch gesetzlich normiert und auf wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungsfälle erweitert. Auch die Annahme einer Erkrankung, die wertungsmäßig mit einer regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung vergleichbar sei, sei nur gerechtfertigt, wenn eine notstandsähnliche Situation mit einem gewissen Zeitdruck vorliege, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch sei. Das bedeute, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen müsse, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen werde. Das Landessozialgericht hielt es jedoch nicht für erwiesen, dass bei der Beschwerdeführerin eine lebensbedrohliche beziehungsweise regelmäßig tödlich verlaufende oder wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vorliege. Zwar stehe aufgrund der medizinischen Ermittlungen fest, dass die Erkrankung aufgrund der Zungenschwellungen potentiell lebensgefährlich sein könne. Mit Hilfe der Medikamente des der Beschwerdeführerin zur Verfügung stehenden Notfallsets sei es jedoch nach Eintritt von Zungenschwellungen zum Abklingen der Beschwerden gekommen, so dass keine intensiv-medizinische Behandlung erforderlich gewesen sei.

7

Dagegen seien die Voraussetzungen für eine Versorgung mit IVIG als teilstationärer Krankenhausbehandlung gegeben. In diesem Kontext sei es - anders als bei einer ambulanten Behandlung - nach § 137c Abs. 3 SGB V in der ab 23. Juli 2015 maßgeblichen Fassung unschädlich, dass ein Votum des Gemeinsamen Bundesausschusses hinsichtlich der als "neu" anzusehenden Behandlungsmethode bislang fehle.

8

Das Bundessozialgericht hob auf Revision der Beklagten die Urteile des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts auf und wies die Klage ab. Entgegen der Auffassung des Landessozialgerichts habe sich die Klage hinsichtlich der auf Grund der einstweiligen Anordnung erbrachten Leistungen nicht erledigt. Bei einem Unterliegen im Hauptsacheverfahren komme nämlich eine Pflicht zur Erstattung der erbrachten Sachleistungen in Geld nach § 50 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch oder ein Schadensersatzanspruch nach § 86b Abs. 2 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz in Verbindung mit § 945 Zivilprozessordnung in Betracht.

9

In der Sache sei die Revision begründet. So habe die Beschwerdeführerin keinen bei grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts sich ergebenden Leistungsanspruch auf Versorgung mit IVIG, da nach den bindenden Feststellungen des Landessozialgerichts bei ihr schon keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorliege. Sie könne sich auch nicht auf einen sogenannten Seltenheitsfall berufen. Dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des Landessozialgerichts sei zu entnehmen, dass der SLE systematisch erforscht sei. Bei der Urticariavasculitis erschwerten die Seltenheit und unzureichende Definitionen und Klassifizierungen zwar deren systematische Erforschung, machten sie aber nicht unmöglich. Ein Anspruch auf eine IVIG-Therapie - bei der er es sich überdies nicht um eine neue Behandlungsmethode handele - bestehe schließlich auch nicht im Rahmen einer teilstationären Krankenhausbehandlung. Diese diene weder dazu, arzneimittelrechtliche Grenzen - außerhalb der hier nicht betroffenen Sonderregelungen für Arzneimittelstudien - zu überspielen noch dazu, bei ambulant möglicher Behandlung deren Zugangshürden durch ein Ausweichen auf diese Form der Krankenhausbehandlung zu umgehen. Vorliegend sei zudem eine teilstationäre Behandlung nicht erforderlich gewesen.

10

Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts hörte die Beklagte die Beschwerdeführerin wegen einer Erstattung der auf Grund der sozialgerichtlichen einstweiligen Anordnung erbrachten Leistungen in Höhe von 831.825,68 Euro an.

11

2. Zur Begründung ihrer gegen die Urteile des Bundessozialgerichts und des Landessozialgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde führt die Beschwerdeführerin insbesondere aus, sie sei durch diese in Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip sowie Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt, nachdem diese einen Anspruch auf eine ambulante IVIG-Therapie verneint hätten; hinsichtlich des ihr im Ergebnis günstigen Urteils des Landessozialgerichts ergebe sich eine Beschwer zumindest aus den Ausführungen in den Urteilsgründen.

12

In der Sache stehe ihr entsprechend der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze ein Anspruch auf die streitige Versorgung zu, da bei ihr eine lebensbedrohliche und seltene Erkrankung vorliege, für die keine etablierten Behandlungsmethoden, insbesondere keine zugelassenen Arzneimittel, zur Verfügung stünden. Landessozialgericht und Bundessozialgericht hätten dies zu Unrecht verneint. Mit dem Notfallset werde sie auf Rettungsmöglichkeiten verwiesen, die einer intensivmedizinischen Behandlung glichen und daher nicht zumutbar seien, umso mehr als das Notfallset Epinephrin enthalte, also ein in der Notfallmedizin angewandtes Medikament. Vor Beginn der erfolgreichen Behandlung mit IVIG habe sie das Notfallset zweimal benötigt, wobei sie es in einem Fall nicht mehr selbst habe anwenden können, sondern ihre Schwester dies habe übernehmen müssen. Schon in alltäglichen Situationen wie etwa beim Duschen sei das Set im Übrigen nicht "unmittelbar erreichbar". Die Gerichte hätten auch die hohe Wahrscheinlichkeit einer erneuten Larynxschwellung nicht hinreichend gewürdigt.

13

Hinsichtlich eines Versorgungsanspruchs wegen eines sogenannten Seltenheitsfalles sei das Bundessozialgericht auf Grund des Zusammenhangs der Feststellungen des Landessozialgerichts davon ausgegangen, dass eine systematische Erforschung der Urticariavasculitis zwar erschwert, aber nicht unmöglich sei. Das Landessozialgericht habe hierzu aber das im Wege des Sachverständigenbeweises bei Prof. Dr. S. eingeholte Gutachten nur unvollständig wiedergegeben. Das Bundessozialgericht habe zudem nicht hinreichend präzisiert, wann von einem Seltenheitsfall auszugehen sei. Schließlich sei der Verweis auf sogenannte Phase III-Studien, die voraussichtlich niemals durchgeführt würden, "unethisch".

II.

14

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne von § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

15

1. Das ergibt sich allerdings nicht bereits daraus, dass dem Subsidiaritätsgebot (vgl. § 90 Abs. 2 BVerfGG) nicht genügt wäre: Für die auf der Grundlage der einstweiligen Anordnung erbrachten Leistungen ist wegen des ausstehenden Erstattungsbescheides zwar noch ungeklärt, ob es zu einer Rückforderung überhaupt kommen wird. Hinsichtlich der Ansprüche für die Zukunft ist die Beschwerdeführerin nicht gehindert, einen neuen Antrag bei der Beklagten (und gegebenenfalls einen neuen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz) zu stellen. Landessozialgericht und Bundessozialgericht haben sich zwar ausdrücklich auch "für die Zukunft" geäußert. Das ändert aber nichts daran, dass die zeitliche Reichweite eines Ablehnungsbescheides einfachrechtlich grundsätzlich nicht weiter als bis zu einer Entscheidung über einen erneuten Antrag reicht und ein solcher durch die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen nicht ausgeschlossen wird.

16

Dennoch scheitert die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht an der mangelnden Wahrung des Subsidiaritätsgebots. Hinsichtlich der bereits erbrachten Leistungen folgt dies daraus, dass, wenn die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg hat, zwischen den Beteiligten des Ausgangsverfahrens feststeht, dass die Beschwerdeführerin diese zu Unrecht erhalten hat. Es wären nur noch die sonstigen Erstattungsvoraussetzungen zu klären, zudem die Frage, ob die Einziehung der Forderung unbillig sein und daher ein Erlass nach § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch in Betracht kommen kann. Soweit die aktuell und zukünftig zu erbringenden Leistungen betroffen sind, ist die Verweisung auf die für diese Leistungen prinzipiell mögliche Neuantragstellung gegenwärtig unzumutbar, nachdem das Bundessozialgericht sich gerade erst geäußert hat, auch wenn es dabei von - nach Auffassung der Beschwerdeführerin - unzutreffenden tatsächlichen Feststellungen ausgegangen sein sollte.

17

2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landessozialgerichts richtet, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil die Beschwerdeführerin durch dieses nicht beschwert ist.

18

Das Landessozialgericht hat die Berufung gegen das zu ihren Gunsten ergangene Urteil des Sozialgerichts in vollem Umfang zurückgewiesen. Es ist - wie bereits das Sozialgericht, nur aus anderen Gründen - von einer Verpflichtung der Beklagten ausgegangen, genau die Behandlung zu gewähren, auf die das Begehren der Beschwerdeführerin gerichtet war und die sie seit 2010 in Anspruch genommen hat. Dass es - wie die Beschwerdeführerin meint - eine Gewährung dieser Leistung "als ambulante Krankenbehandlung" abgelehnt hätte, ist nicht ersichtlich, nachdem es sich dabei nur um eine Frage der Begründung handelte, nämlich welche Anspruchsnorm das konkrete - und von Sozialgericht und Landessozialgericht in vollem Umfang zugesprochene - Begehren der Beschwerdeführerin tragen konnte; dementsprechend hatte diese auch zu keinem Zeitpunkt beantragt, die Leistung gerade als ambulante Krankenbehandlung zu erhalten, so dass kein Raum für die Annahme ist, sie habe vor dem Landessozialgericht nicht voll obsiegt.

19

Grundsätzlich muss sich bei einer Urteilsverfassungsbeschwerde die Beschwer, gegen die sich der Betroffene wendet, aber gerade aus dem Tenor ergeben; Rechtsausführungen begründen allein keine die Verfassungsbeschwerde eröffnende Beschwer (vgl. BVerfGE 8, 222 <224 f.>; BVerfGK 10, 263 <265>). Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn in den Entscheidungsgründen Ausführungen enthalten sind, die den Betroffenen für sich genommen so belasten, dass eine erhebliche, ihm nicht zumutbare Beeinträchtigung eines grundrechtlich geschützten Interesses festzustellen ist (vgl. BVerfGE 6, 7 <9>; 28, 151 <160 f.>).

20

Dass und warum dieser Ausnahmefall hier vorliegen könnte, hat die Beschwerdeführerin nicht substantiiert dargetan. Konkrete Anhaltspunkte hierfür sind im Übrigen auch sonst nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass das Landessozialgericht tatsächliche Feststellungen getroffen hat, die das Bundessozialgericht seiner der Beschwerdeführerin nachteiligen Entscheidung als bindend zugrunde gelegt hat, genügt insofern nicht, nachdem die Beschwerdeführerin - das Vorliegen eines Verfahrensfehlers unterstellt - diese Bindungswirkung hätte vermeiden können, wenn sie eine sogenannte Gegenrüge erhoben hätte. Mit dieser kann der Revisionsbeklagte geltend machen, dass in der Vorinstanz tatsächliche Feststellungen fehlerhaft getroffen worden seien; damit kann er gerade der Gefahr, die sich nach Auffassung der Beschwerdeführerin im hiesigen Verfahren realisiert habe, begegnen, dass bei einer vom Vordergericht abweichenden rechtlichen Würdigung des Revisionsgerichts eine abschließende Entscheidung zu seinem Nachteil auf der Grundlage von verfahrensfehlerhaft zustande gekommenen tatsächlichen Feststellungen der letzten Tatsacheninstanz ergeht, er selbst aber mangels Beschwer keine Revision einlegen konnte (vgl. GmS-OGB, Beschluss vom 16. März 1976 - GmS-OGB 1.75 -, BVerwGE 50, 369 <375>, juris, Rn. 34; BSG, Urteil vom 18. April 2001 - B 9 VG 3/00 R -, BSGE 88, 96 <97>, juris, Rn. 13).

21

3. Aber auch die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundessozialgerichts ist unzulässig. Insofern hat die Beschwerdeführerin eine mögliche Verletzung in Grund- oder grundrechtsgleichen Rechten nicht hinreichend substantiiert und damit nicht entsprechend den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG dargetan. Konkret rügt die Beschwerdeführerin nur die Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip sowie ihres Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

22

a) Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluss vom 6. Dezember 2005 (BVerfGE 115, 25), auf den sich die Beschwerdeführerin wiederholt beruft, aus den genannten Grundrechten einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Krankenversorgung abgeleitet, wenn in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung vom regulären Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung umfasste Behandlungsmethoden nicht vorliegen und die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht. Im Beschluss vom 10. November 2015 hat das Bundesverfassungsgericht die enge Begrenzung dieses verfassungsunmittelbaren Anspruchs klarstellend betont (vgl. - auch zum Folgenden - BVerfGE 140, 229 <236 Rn. 18>). Danach ist es nicht geboten, die Grundsätze des Beschlusses vom 6. Dezember 2005 (BVerfGE 115, 25) schon von Verfassungs wegen auf Erkrankungen zu erstrecken, die wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbar sind. Es würde dem Ausnahmecharakter eines solchen Leistungsanspruchs nicht gerecht, würde man diesen in großzügiger Auslegung der Verfassung erweitern. Die notwendige Gefährdungslage liegt erst in einer notstandsähnlichen Situation vor, in der ein erheblicher Zeitdruck für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Anknüpfungspunkt eines derartigen verfassungsrechtlich gebotenen Anspruchs ist deswegen allein das Vorliegen einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. März 2014 - 1 BvR 2415/13 -, juris, Rn. 14).

23

Die Schutzwirkungen des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG vermitteln allerdings auch über diesen verfassungsunmittelbaren Leistungsanspruch hinaus subjektivrechtlichen Grundrechtsschutz (vgl. hierzu und zum Folgenden BVerfGE 140, 229 <237 Rn. 20>). Die Ausgestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich an der grundrechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu stellen (vgl. BVerfGE 115, 25 <44 f.>). Zugleich schützt das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip in einem auf Zwangsmitgliedschaft und Beitragspflicht beruhenden Versicherungssystem, bei dem der Einzelne typischerweise keinen unmittelbaren Einfluss auf die Höhe seines Beitrags und auf Art und Ausmaß der aus seinem Versicherungsverhältnis zu beanspruchenden Leistung hat, den beitragspflichtigen Versicherten vor einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung. Zwar ergibt sich daraus grundsätzlich kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf bestimmte Leistungen zur Krankenbehandlung. Gesetzliche oder auf Gesetz beruhende Leistungsausschlüsse und Leistungsbegrenzungen sind aber daraufhin zu prüfen, ob sie im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 GG gerechtfertigt sind (vgl. BVerfGE 115, 25 <43>). Den Versicherten steht insoweit ein Anspruch auf eine verfassungsmäßige Ausgestaltung und auf eine grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung zu (vgl. BVerfGE 115, 25 <45>).

24

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Beschwerdeführerin eine mögliche Grundrechtsverletzung nicht hinreichend substantiiert geltend gemacht.

25

aa) Zentral stützt sie ihre Verfassungsbeschwerde darauf, bei ihr liege eine lebensbedrohliche Erkrankung vor, die angesichts gänzlich fehlender oder jedenfalls unzumutbarer Alternativen nur durch die Off-Label-Versorgung mit IVIG therapiert werden könne, so dass von Verfassungs wegen ein entsprechender Anspruch gegen ihre Krankenkasse bestehe. Das entsprechende Vorbringen ist aber nicht hinreichend substantiiert. Die Fachgerichte sind zu Recht davon ausgegangen, dass ein Mittel, das potentiell letale Komplikationen hinreichend zuverlässig verhindern kann, einen entsprechenden Anspruch ausschließt. In der Sache ist entscheidend, dass der verfassungsunmittelbare Anspruch von der durch nahe Lebensgefahr geprägten notstandsähnlichen Lage begründet wird, also durch die Gefahr, dass eine Krankheit, die mit vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung regulär umfassten Mitteln nicht behandelt werden kann, in überschaubarer Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit (vgl. zu diesem Gesichtspunkt - allerdings in etwas anderem Zusammenhang - BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Februar 2007 - 1 BvR 3101/06 -, juris, Rn. 22) das Leben beenden kann, so dass die Versicherten nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen. Ist dies nicht der Fall, fehlt es an einer notstandsähnlichen Lage und damit an hinreichenden Gründen, um den gesetzgeberischen Spielraum bei der Ausgestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung durch einen unmittelbar aus der Verfassung abgeleiteten Anspruch zu überspielen.

26

Der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte verfassungsunmittelbare Anspruch besteht daher nicht, wenn die Verhältnisse so gestaltet sind, dass einer Lebensgefahr hinreichend sicher begegnet werden kann. Davon ist das Bundessozialgericht vorliegend auf der Grundlage der Feststellungen des Landessozialgerichts ausgegangen. Auch aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ergibt sich nicht, dass diese Bewertung schlechterdings unvertretbar wäre oder auch nur deutliche Fehler enthielte (vgl. zu diesem Prüfungsmaßstab, wenn wegen des sachlichen Gewichts der Grundrechtsbeeinträchtigung Anlass besteht, über den grundsätzlichen Prüfungsumfang des Bundesverfassungsgerichts hinauszugehen, BVerfGE 136, 382 <390 Rn. 27 f.>). Vor diesem Hintergrund ist, nachdem jedenfalls in diesem Rahmen die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts Sache der Fachgerichte ist, ein möglicher Grundrechtsverstoß nicht hinreichend substantiiert dargetan.

27

bb) Soweit die Beschwerdeführerin eine Grundrechtsverletzung unter dem Gesichtspunkt eines von den Gerichten verkannten Seltenheitsfalles geltend macht, kommt ein verfassungsunmittelbarer Leistungsanspruch nicht in Betracht. Die Beschwerdeführerin hat nicht dargetan, dass die diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen beziehungsweise die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze hierzu ihren Anspruch auf eine verfassungskonforme Ausgestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung verletzt haben könnten.

28

Soweit sie rügt, das Bundessozialgericht habe keine hinreichend nachvollziehbaren und -prüfbaren Kriterien zu einem Anspruch auf Off-Label-Behandlung in einem Seltenheitsfall entwickelt, hätte dies vorausgesetzt, dass sich die Beschwerdeführerin eingehend mit der diesbezüglichen umfangreichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auseinandersetzt (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 27/02 R -, BSGE 93, 236 <243 ff.>, juris, Rn. 28 ff.; Urteil vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 16/07 R -, BSGE 100, 103 <111 f.>, juris, Rn. 30).

III.

29

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

IV.

30

Für eine Erstattung der notwendigen Auslagen (§ 34a BVerfGG) besteht auch unter Billigkeitsgesichtspunkten kein Anlass.

31

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.