Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 27. Sept. 2011 - 2 BvR 86/11
Gericht
Gründe
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Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Minderung der ihr ausgezahlten Beihilfe um eine sogenannte Eigenbeteiligung.
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I.
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1. Die Beschwerdeführerin ist Richterin im Ruhestand und Empfängerin von Versorgungsbezügen. Der für sie maßgebliche Beihilfebemessungssatz beträgt 70 %. Die Beschwerdeführerin unterhält mehrere private Krankenversicherungen. Dieser Umstand zieht es nach sich, dass sie erheblich mehr als 30 % ihrer krankheitsbedingten, beihilfefähigen Aufwendungen durch ihre private Krankenversicherungen ersetzt bekommt. Art. 96 Abs. 2 Satz 2 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG) vom 29. Juli 2008 (GVBl S. 500) in der Fassung des Dienstrechtneuregelungsgesetzes vom 5. August 2010 (GVBl S. 410) bestimmt, dass Beihilfen nur gewährt werden dürfen, soweit die Beihilfe und Leistungen Dritter aus demselben Anlass die dem Grunde nach beihilfefähigen Aufwendungen nicht überschreiten. Art. 96 Abs. 3 Satz 5 BayBG ordnet an, dass die festgesetzte Beihilfe um 6,00 Euro je Rechnungsbeleg bei bestimmten medizinischen Leistungen und um 3,00 Euro je verordnetem Arzneimittel, Verbandmittel und Medizinprodukt zu mindern ist. In Art. 96 Abs. 3 Satz 6 BayBG führt das Gesetz die Fälle auf, in denen eine Eigenbeteiligung unterbleibt. So ist eine Eigenbeteiligung unter anderem insoweit nicht vorgesehen, als sie für den Beihilfeberechtigten und berücksichtigungsfähige Dritte zusammen eine sogenannte Belastungsgrenze überschreitet, die sich nach den Jahresdienst- beziehungsweise Jahresversorgungsbezügen bemisst. Die Vorschrift ist im Wesentlichen identisch mit ihrer Vorgängerregelung in Art. 86a BayBG a.F., die durch Gesetz vom 8. Dezember 2006 (GVBl S. 987) in das Bayerische Beamtengesetz in der Fassung der Neubekanntmachung vom 27. August 1998 (GVBl S. 702) eingefügt worden war.
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Die Beschwerdeführerin stellte in den Jahren 2007 und 2008 mehrere Anträge auf Beihilfe wegen verschiedener dem Grunde nach beihilfefähiger Aufwendungen. Die Höhe der zu gewährenden Beihilfe ermittelte das Landesamt für Finanzen, indem es im ersten Schritt die der Höhe nach beihilfefähigen Aufwendungen mit dem Bemessungssatz von 70 % multiplizierte. Sodann addierte es die Kostenerstattungen durch die privaten Krankenversicherungen der Beschwerdeführerin. Von diesem Betrag zog es die dem Grunde nach beihilfefähigen Aufwendungen ab. Schließlich wurde dieser Differenzbetrag von dem im ersten Schritt ermittelten Betrag abgezogen. Zuletzt erfolgte eine Minderung um die Eigenbeteiligungen. Diese Berechnungsweise zieht es nach sich, dass die Beschwerdeführerin aufgrund der Leistungen ihrer privaten Krankenversicherung und der Beihilfekasse keinesfalls mehr als den vollen Betrag ihrer beihilfefähigen Aufwendungen ersetzt bekommt und dass sie die Eigenbeteiligung stets selbst trifft.
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Gegen die Beihilfebescheide erhob die Beschwerdeführerin nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage zum Verwaltungsgericht. Sie vertrat die Auffassung, dass sie die Eigenbeteiligung wegen ihrer mehr als lediglich komplementären privaten Krankenversicherungen nicht treffen dürfe. Die Eigenbeteiligung sei nicht erst im letzten Schritt in Ansatz zu bringen, vielmehr mindere sie bereits die in die Beihilfeberechnung einzustellende Höhe der beihilfefähigen Aufwendungen. Die Differenz zwischen der vom Landesamt für Finanzen und der von der Beschwerdeführerin für zutreffend erachteten Berechnungsweise belaufe sich stets auf die Höhe der Eigenbeteiligungen.
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Die Klage der Beschwerdeführerin blieb ohne Erfolg, ihren Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der Verwaltungsgerichtshof ab. Wortlaut und Systematik der Art. 96 Abs. 3 BayBG und seiner Vorgängerregelung zeigten, dass die Eigenbeteiligung im letzten Berechnungsschritt von der Beihilfe abzuziehen sei. Der weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im Bereich des Beihilferechts lasse die Festlegung einer solchen Berechnungsweise zu, um Beihilfeaufwendungen steuernd zu begrenzen. Die Möglichkeit zur amtsangemessenen Lebensführung werde durch die Eigenbeteiligung nicht beeinträchtigt, denn die Belastungsgrenze verhindere eine unverhältnismäßige finanzielle Belastung.
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2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde greift die Beschwerdeführerin die ergangenen Verwaltungsakte und gerichtlichen Entscheidungen an und verfolgt ihr Anliegen weiter. Sie rügt eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 33 Abs. 5 GG. Sie sieht in den Eigenbeteiligungen eine verdeckte Bearbeitungsgebühr und vertritt die Auffassung, Alimentations- und Fürsorgeleistungen des Dienstherrn dürften nicht an die Entrichtung einer solchen Gebühr geknüpft werden. Jedenfalls aber müsse es ihr möglich sein, die Aufwendungen für die Eigenbeteiligung durch ihre private Krankenversicherung auszugleichen. Dass dies nach der gerichtlich gebilligten Berechnungsweise des Dienstherrn nicht möglich sei, verletze zudem ihre allgemeine Handlungsfreiheit und die verfassungsrechtliche Garantie ihres Eigentums.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Ihr kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist die Annahme zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung der Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG rügt, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Im Übrigen ist sie unbegründet.
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1. Die Beschwerdeführerin legt nicht in einer den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Weise dar, dass durch die Minderung der auszuzahlenden Beihilfe um die Eigenbeteiligung eine verfassungsrechtlich als Eigentum geschützte Rechtsposition beeinträchtigt ist. Ein teilweiser Entzug ihrer Forderung gegen ihre privaten Krankenversicherer, auf den die Beschwerdeführerin insoweit verweist, findet nicht statt. Hinsichtlich der Beihilfeminderung als solcher geht Art. 33 Abs. 5 GG als speziellere Grundgesetzbestimmung dem Art. 14 GG vor (vgl. BVerfGE 17, 337 <355>). Entsprechendes gilt mit Blick auf die gerügte Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG.
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2. Die angegriffenen Verwaltungsakte und gerichtlichen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 33 Abs. 5 GG.
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a) Die Gewährung von krankheitsbedingten Unterstützungsleistungen findet ihre Grundlage in der durch Art. 33 Abs. 5 GG statuierten Fürsorgepflicht des Dienstherrn (vgl. BVerfGE 83, 89 <99>; 106, 225 <232>). In einer bestimmten einfachrechtlichen Ausgestaltung, etwa in ihrer gegenwärtigen Gestalt, gehört die Beihilfe nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Dementsprechend besteht auch keine verfassungsrechtliche Verpflichtung, den Beamten und Versorgungsempfängern für Krankheitsfälle und vergleichbare Belastungen Unterstützung gerade in Form von Beihilfen oder gar von solchen Beihilfen in einer bestimmten Höhe zu gewähren (vgl. BVerfGE 58, 68 <77>; 79, 223 <235>; 83, 89 <98>; 106, 225 <232>; BVerfGK 13, 278 <281>). Der Dienstherr muss allerdings Vorkehrungen dafür treffen, dass der amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten bei Eintritt besonderer finanzieller Belastungen durch Krankheits-, Geburts- oder Todesfälle nicht gefährdet wird. Ob er dieser Pflicht über eine entsprechende Bemessung der Dienstbezüge, über Sachleistungen, Zuschüsse oder in sonstiger geeigneter Weise Genüge tut, bleibt von Verfassungs wegen seiner Entscheidung überlassen. Entscheidet sich der Dienstherr, seiner Fürsorgepflicht durch die Eigenvorsorge des Beamten ergänzende Beihilfen nachzukommen, so muss er sicherstellen, dass der Beamte nicht mit erheblichen Aufwendungen belastet bleibt, die er auch über eine ihm zumutbare Eigenvorsorge nicht absichern kann. Der Dienstherr darf somit die Beihilfe - da er sie als eine die Eigenvorsorge ergänzende Leistung konzipiert hat - nicht ohne Rücksicht auf die vorhandenen Versicherungsmöglichkeiten ausgestalten. Eine in Ergänzung der zumutbaren Eigenvorsorge lückenlose Erstattung jeglicher Aufwendungen verlangt die Fürsorgepflicht dagegen nicht (BVerfGE 106, 225 <233>; BVerfGK 13, 278 <282>; vgl. auch BVerfGE 83, 89 <101 f.>).
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b) Die angegriffenen Rechtsakte genügen diesem Maßstab. Beihilfegesetzgeber und Dienstherr sind verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, gesetzliche Regelungen so zu gestalten beziehungsweise die bestehenden Regelungen so auszulegen, dass der Beamte seine nicht von der Beihilfe abgedeckten Aufwendungen vollständig versichern kann. Durch den Abschluss einer privaten Krankenversicherung werden die mit einer Krankheit verbundenen finanziellen Risiken besser beherrschbar und das Risiko einer ruinösen finanziellen Belastung wird weitestgehend ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund wäre es dem Gesetzgeber verwehrt, es dem Beamten durch die Ausgestaltung der beihilferechtlichen Regelungen unmöglich zu machen, die mit einer Krankheit verbundenen, individuell unkalkulierbaren finanziellen Risiken zu versichern. Die Eigenbeteiligungen nach Art. 96 Abs. 3 BayBG begründen dagegen für den Beamten kein unkalkulierbares finanzielles Risiko im Fall der Krankheit. Die Eigenbeteiligungen sind durch die Belastungsgrenze nach Art. 96 Abs. 3 Satz 7 und 8 BayBG der Höhe nach begrenzt. Dass bei der Entrichtung von Eigenbeteiligungen in Höhe der Belastungsgrenze eine amtsangemessene Alimentation nicht mehr gewährleistet ist, behauptet die Beschwerdeführerin ausdrücklich nicht; hierfür ist auch nichts ersichtlich. Zugleich ließ sich der Beihilfegesetzgeber bei der Einführung der Eigenbeteiligungen von sachlichen Gründen leiten, die einer Versicherbarkeit dieser Beiträge gerade entgegenstehen. Die Eigenbeteiligungen sollen nach dem Willen des Gesetzgebers dieselbe Funktion erfüllen wie die Eigenbehalte (etwa die "Praxisgebühr") im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Die kaum modifizierte Übertragung dieses Regelungskomplexes auf den Bereich der Beihilfe hatte den Festsetzungsaufwand stark verkompliziert und sich damit als unzweckmäßig erwiesen. Die beihilferechtlichen Regelungen zur Eigenbeteiligung sollen die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen in gleicher Weise steuern, aber einfacher zu vollziehen sein (vgl. Bayerischer Landtag, LTDrucks 15/6302, S. 7).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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Annotations
(1) Die Verfassungsbeschwerde bedarf der Annahme zur Entscheidung.
(2) Sie ist zur Entscheidung anzunehmen,
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soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, - b)
wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt ist; dies kann auch der Fall sein, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
(1) Anträge, die das Verfahren einleiten, sind schriftlich beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Sie sind zu begründen; die erforderlichen Beweismittel sind anzugeben.
(2) Der Vorsitzende oder, wenn eine Entscheidung nach § 93c in Betracht kommt, der Berichterstatter stellt den Antrag dem Antragsgegner, den übrigen Beteiligten sowie den Dritten, denen nach § 27a Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird, unverzüglich mit der Aufforderung zu, sich binnen einer zu bestimmenden Frist dazu zu äußern.
(3) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann jedem Beteiligten aufgeben, binnen einer zu bestimmenden Frist die erforderliche Zahl von Abschriften seiner Schriftsätze und der angegriffenen Entscheidungen für das Gericht und für die übrigen Beteiligten nachzureichen.
In der Begründung der Beschwerde sind das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen.
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.
(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.
(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.
(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.
(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.