Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 22. Aug. 2018 - 2 BvR 2647/17

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2018:rk20180822.2bvr264717
bei uns veröffentlicht am22.08.2018

Tenor

Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 26. Oktober 2017 - 13 A 528/17 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 26. Oktober 2017 - 13 A 528/17 - wird aufgehoben. Damit wird der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 7. November 2017 - 13 A 528/17 - gegenstandslos. Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Das Land Schleswig-Holstein hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 5.000 € (in Worten: fünftausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Das Verfahren betrifft die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Aufstockungsklage eines syrischen Asylsuchenden durch das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht.

2

1. Der am 1. Januar 2001 geborene Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger. Er reiste im Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte hier Asyl. Er begründete den Antrag unter anderem mit einer ihm drohenden Zwangsrekrutierung zum Wehrdienst. Soldaten hätten bereits bei einer Kontrolle im Februar 2015 seinen Personalausweis zerbrochen, um ihn später mitnehmen zu können, da man ohne Ausweis sein Alter nicht nachweisen könne. Bei einer Rückkehr drohe ihm die Einziehung zum Wehrdienst.

3

2. Der Beschwerdeführer erhob im Februar 2017 Untätigkeitsklage zum Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht und beantragte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

4

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erkannte ihm mit Bescheid vom 12. Juli 2017 den subsidiären Schutzstatus zu, lehnte den Antrag aber im Übrigen ab. Anhaltspunkte, die die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigten, seien nicht ersichtlich. Allein aufgrund der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des Aufenthalts im Bundesgebiet sei nicht mit einer Verfolgung durch den syrischen Staat zu rechnen.

5

Der Beschwerdeführer begründete die danach nur noch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage unter anderem mit der aus seiner Sicht ungeklärten Frage, inwieweit ihm als 16-jährigen und damit kurz vor dem wehrdienstfähigen Alter stehenden jungen Mann politische Verfolgung drohe, wenn er sich im Falle einer Rückkehr nach Syrien einer Zwangsrekrutierung entziehen beziehungsweise den Wehrdienst verweigern werde. Das Risiko einer Verfolgung werde dadurch erhöht, dass er Syrien ungenehmigt verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich längere Zeit im westlichen Ausland aufgehalten habe, dass er als Sunnit Mitglied einer Glaubensgemeinschaft sei, die den größten Teil der Regimegegner ausmache, und dass er aus Joubar/Damaskus stamme.

6

3. Das Verwaltungsgericht lehnte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit einem dem - ohne mündliche Verhandlung ergangenen - Urteil vom 26. Oktober 2017 beigefügten Beschluss, zugestellt am 27. Oktober 2017, ab, weil die Erfolgs-aussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung nach den Ausführungen im Urteil allenfalls entfernt erschienen. Die Klageabweisung begründete es damit, dass eine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung oder eine im Falle einer Rückkehr drohende Einberufung nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertige, weil diese Maßnahmen nicht an einen der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe anknüpften. Dies habe die Kammer in Übereinstimmung mit den Oberverwaltungsgerichten Rheinland-Pfalz, Saarland und Nordrhein-Westfalen und anders als der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bereits entschieden.

7

4. Die gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss erhobene "Rüge analog § 152a VwGO" wies das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 7. Novem-ber 2017 zurück. Es teile nicht die Prognose der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts in dessen "obiter dictum" in dem Beschluss vom 29. August 2017 - 2 BvR 351/17 u.a. -, dass auch die Frage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für wehrdienstpflichtige Syrer, jedenfalls bei einer ausstehenden Klärung der tatsächlichen Feststellungen durch das jeweils übergeordnete Oberverwaltungsgericht, eine schwierige Tatsachenfrage sein dürfte, die nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden könne. Die relevanten Erkenntnisse hätten bereits bei Klageeingang beziehungsweise Entscheidungsreife vorgelegen. Die rechtliche Bewertung sei anderweitig höchstrichterlich geklärt. Dass sich das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht mit der Frage der Wehrdienstentziehung noch nicht befasst habe, sei unerheblich. Außerdem sei die Möglichkeit, eine Rechts- beziehungsweise Tatsachenfrage in der höheren Instanz klären zu lassen, wegen der prozessualen Ausgestaltung des Asylverfahrens gerade nicht der Regelfall. Der Zugang zur höheren Instanz sei zudem durch die Gewährung von Prozesskostenhilfe für diese Instanz eröffnet.

8

5. Einen unter Hinweis auf die Entscheidung der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Oktober 2017 - 2 BvR 1352/17 u.a. - gestellten Antrag auf Abänderung des Prozesskostenhilfe versagenden Beschlusses lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. November 2017 ab. Ein Anspruch auf Abänderung scheitere bereits daran, dass das Verfahren in erster Instanz durch Urteil vom 26. Oktober 2017 abgeschlossen sei.

9

6. Der Beschwerdeführer hat am 27. November 2017 fristgerecht Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der er im Wesentlichen eine Verletzung der Rechtsschutzgleichheit rügt. In dem für die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife, aber auch gegenwärtig, sei die entscheidungserhebliche Tatsachenfrage nicht geklärt, ob wehrdienstfähigen syrischen Flüchtlingen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit deswegen Verfolgung drohe, weil sie sich dem Wehrdienst in der syrischen Armee durch Flucht nach Deutschland entzogen hätten beziehungsweise bei Rückkehr entziehen wollten. Weder das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht noch das Bundesverwaltungsgericht hätten sich bisher zu dieser Frage positioniert.

10

7. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Das Ministerium für Justiz, Europa, Verbraucherschutz und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein und das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

11

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 81, 347 <356 f.>). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist in einer die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seiner durch Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten Rechtsschutzgleichheit.

12

1. Das Recht auf effektiven und gleichen Rechtsschutz, das für die öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet wird, gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 78, 104 <117 f.>; 81, 347 <357> m.w.N.). Es ist dabei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.

13

Die Auslegung und Anwendung des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO (hier in Verbindung mit § 166 VwGO) wie auch des jeweils anzuwendenden einfachen Rechts obliegt hierbei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei von Verfassungs wegen den Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben. Das Bundesverfassungsgericht kann nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der durch das Grundgesetz verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen.

14

Die Fachgerichte überschreiten ihren Entscheidungsspielraum, wenn sie die Anforderungen an das Vorliegen einer Erfolgsaussicht überspannen und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357 f.>). Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>; vgl. Bergner/Pernice, in: Emmenegger/ Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band 2, 241 <258 ff.>). Prozesskostenhilfe ist allerdings nicht bereits zu gewähren, wenn die entscheidungserhebliche Frage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint. Ein Fachgericht, das § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dahin auslegt, dass auch schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren "durchentschieden" werden können, verkennt jedoch die Bedeutung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutzgleichheit (vgl. BVerfGE 81, 347 <359>). Denn dadurch würde dem unbemittelten Beteiligten im Gegensatz zu dem bemittelten die Möglichkeit genommen, seinen Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus in die höhere Instanz zu bringen (vgl. BVerfGK 2, 279 <282>; 8, 213 <217>).

15

Aus diesem verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt der Rechtsschutzgleichheit folgt, dass Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten, die nach der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags eintreten, grundsätzlich nicht mehr zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Oktober 2017 - 2 BvR 496/17 -, juris, Rn. 14; in jeweils unterschiedlichen Konstellationen BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. Juni 2003 - 1 BvR 1152/02 -, NJW 2003, S. 3190 <3191>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. Juli 2005 - 1 BvR 175/05 -, NJW 2005, S. 3489; BVerfGK 8, 213 <216 ff.>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Juli 2016 - 2 BvR 2231/13 -, NJW-RR 2016, S. 1264 <1266>; Linke, NVwZ 2003, S. 421 <423 ff.>). Denn der vernünftig abwägende Rechtsschutzsuchende kann die Entscheidung über die Klageerhebung - jedenfalls in einem Rechtsgebiet wie dem Asylrecht, in dem ein isolierter Prozesskostenhilfeantrag vielfach als unzulässig angesehen wird (vgl. kritisch und mit weiteren Nachweisen Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 166 Rn. 29) - nur innerhalb des Laufs der Rechtsbehelfsfristen treffen. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht zwischenzeitlich auch die Rechtsprechung der Obergerichte, wobei es verfassungsrechtlich unerheblich ist, ob für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgs-aussichten generell auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags abgestellt wird (vgl. BayVGH, Beschluss vom 7. April 2017 - 7 ZB 16.498 -, juris, Rn. 1; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 29. Juni 2012 - 12 PA 69/12 -, juris, Rn. 2) oder jedenfalls dem entscheidenden Gericht zuzurechnende Verzögerungen bei der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag nicht zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden berücksichtigt werden (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. März 2012 - 18 E 1326/11 -, juris, Rn. 19; OVG Bremen, Beschluss vom 2. September 2014 - 2 PA 93/14 -, juris, Rn. 3; jeweils zu der Frage des zwischenzeitlich rechtskräftigen Abschlusses des Hauptsacheverfahrens; a.A. und auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abstellend noch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 27. Juli 2004 - 2 PA 1176/04 -, DÖV 2005, S. 34).

16

2. Die angegriffene Entscheidung wird diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht, soweit sie der entscheidungserheblichen Frage, inwieweit wehrdienstfähigen syrischen Männern, die sich dem Wehrdienst durch Ausreise entzogen haben beziehungsweise sich im Falle einer Rückkehr dem Wehrdienst entziehen wollen, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, hinreichende Erfolgsaussichten abspricht. Denn diese Frage war, wovon auch das Verwaltungsgericht ausgeht, im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags in der Rechtsprechung des für das Verwaltungsgericht maßgeblichen Obergerichts nicht geklärt. In der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. November 2016 - 3 LB 17/16 - ist sie nicht beantwortet worden. Die Oberverwaltungsgerichte beziehungsweise Verwaltungsgerichtshöfe der anderen Länder vertraten im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife zu dieser Frage unterschiedliche Auffassungen (vgl. einerseits die Gefahr politischer Verfolgung bejahend BayVGH, Urteil vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30372 -; VGH BW, Urteil vom 14. Juni 2017 - A 11 S 511/17 -; Hessischer VGH, Urteil vom 6. Juni 2017 - 3 A 3040/16.A -; dies verneinend etwa OVG NRW, Urteil vom 4. Mai 2017 - 14 A 2023/16.A -; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 27. Juni 2017 - 2 LB 91/17 - und Beschluss vom 12. September 2017 - 2 LB 750/17 -; OVG Saarland, Urteile vom 18. Mai 2017 - 2 A 176/17 - und vom 22. August 2017 - 2 A 262/17 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16.OVG - jeweils in juris). Damit lag jedenfalls eine klärungsbedürftige Tatsachenfrage bezüglich der Verfolgungsgefahr für diese Gruppe in Syrien vor, die durch das Verwaltungsgericht nicht im Prozesskostenhilfeverfahren zu Lasten des Beschwerdeführers entschieden werden konnte. Auch das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 3. März 2017 - 13 A 317/17 - konnte insoweit keine abschließende Klärung herbeiführen. Vielmehr gebot es der Zweck der Prozesskostenhilfe, es dem Rechtsschutzsuchenden zu ermöglichen, die klärungsbedürftige Frage in die zur Klärung berufene Instanz zu bringen, Prozesskostenhilfe zu bewilligen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Oktober 2017 - 2 BvR 1352/17 u.a. -, juris, Rn. 14). Der Umstand, dass das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht die entscheidungserhebliche Tatsachenfrage der politischen Verfolgung bei (beabsichtigter) Wehrdienstentziehung inzwischen zu Ungunsten des Beschwerdeführers geklärt hat (vgl. Urteil vom 4. Mai 2018 - 2 LB 17/18 -, juris, Rn. 88 ff.), ändert daran nichts. Denn Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten, die nach der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags eintreten, können nicht mehr zu seinen Lasten berücksichtigt werden.

17

3. Soweit das Verwaltungsgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Verweis auf die Begründung der Klageabweisung in dem am selben Tag ergangenen Urteil abgelehnt hat, hat es zusätzlich die Bedeutung des Gebots der Rechtsschutzgleichheit verkannt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 15. November 2017 - 2 BvR 902/17 u.a. -, juris, Rn. 14 f.).

18

Zwar ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn zur Begründung der Versagung von Prozesskostenhilfe auf die Begründung einer Sachentscheidung Bezug genommen wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Juli 2016 - 2 BvR 2231/13 -, juris, Rn. 13). Allerdings unterliegen die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und diejenige über das Begehren in der Sache unterschiedlichen Maßstäben, die im Einzelfall eine gesonderte Begründung der Ablehnung der Prozesskostenhilfe erforderlich machen können (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 14). So kommt es für die Beurteilung hinreichender Erfolgsaussichten bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf die Auffassung des verständigen, unbemittelten Rechtssuchenden im Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags und damit auf eine ex-ante-Betrachtung an.

19

Diesen Anforderungen ist das Verwaltungsgericht nicht gerecht geworden, weil es im Prozesskostenhilfeverfahren und im Hauptsacheverfahren die gleichen Prüfungsmaßstäbe angewendet hat. Insofern hat es verkannt, dass Prozesskostenhilfe bereits dann zu gewähren ist, wenn die Klage lediglich in einer ex-ante-Perspektive hinreichende Erfolgsaussichten hat. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit einem dem Urteil beigefügten Beschluss abgelehnt und die Ablehnung damit begründet, dass "nach den Ausführungen im vorstehenden Urteil die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung allenfalls entfernt erscheinen". Das Verwaltungsgericht hat damit zwar eine Prognose hinsichtlich der Erfolgsaussichten vorgenommen und diese lediglich als entfernt bewertet. Die Begründung für die negative Prognose ist jedoch letztlich dieselbe wie die für die Klageabweisung. Selbstständige Erwägungen hinsichtlich des Prozesskostenhilfeantrags aus einer ex-ante-Sicht sind nicht erkennbar. Diese wären angesichts der in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilten und von dem übergeordneten Oberverwaltungsgericht damals noch nicht entschiedenen Tatsachenfrage der politischen Verfolgung bei (beabsichtigter) Wehrdienstentziehung jedoch gerade erforderlich gewesen.

20

4. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist aufzuheben und die Sache dorthin zurückzuverweisen, da nicht auszuschließen ist, dass das Verwaltungsgericht bei Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Maßgaben zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

III.

21

Das Land Schleswig-Holstein hat dem Beschwerdeführer gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG die notwendigen Auslagen zu erstatten. Die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG.

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(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn

1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt.

(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. § 67 Abs. 4 bleibt unberührt. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.

(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.

(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.

(6) § 149 Abs. 1 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.

(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.

(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Antrag auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 21. Dezember 2015 wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Verfahren auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts München vom 21. Dezember 2015 bleibt ohne Erfolg, weil die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung zum für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Maßgeblich für die Beurteilung, ob der Ausgang eines Rechtsstreits zumindest als offen anzusehen ist, ist der Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr. vgl. z.B. BayVGH, B.v. 10.2.2016 - 10 C 15.849 -juris m.w.N.). Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO) ein (vgl. BVerwG, B.v. 12.9.2007 - 10 C 39.07; BayVGH, B.v. 11.4.2016 - 7 C 15.10420 jeweils juris).

Vorliegend ist der vollständige Prozesskostenhilfeantrag am 8. März 2016 bei Gericht eingegangen, der Beklagte hat am 21. März 2016 inhaltlich Stellung genommen. Bereits am 18. März 2016 hat das Bundesverwaltungsgericht in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass die Erhebung eines Rundfunkbeitrags pro Wohnung rechtmäßig ist. Die vom Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist damit nicht mehr gegeben.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Das Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gerichtsgebührenfrei. Die im Prozesskostenhilfeverfahren entstandenen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst (vgl. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten über den ihm zugestandenen subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen kann.

Der Kläger ist ein am ... 1985 in D. geborener Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien arabischer Volkszugehörigkeit muslimischen Glaubens (Sunnit). Er reiste seinen Angaben zufolge am 20. Dezember 2015 auf dem Land Weg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 31. März 2016 einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 20. Mai 2016 äußerte er sich im Wesentlichen wie folgt:

Bis zu seiner Ausreise aus Syrien am 30. November 2015 habe er in D.,..., gelebt. Seine Ehefrau und sein Kind seien noch in D. Beide habe er aus finanziellen Gründen und aus Angst wegen der Gefährlichkeit der Reise nicht mitgebracht. Wehrdienst habe er vom 1. März 2004 bis zum 1. April 2006 geleistet. Er sei Gefreiter in nicht spezieller Funktion gewesen. Er sei auch nicht Mitglied einer nicht staatlichen bewaffneten Gruppierung gewesen oder in einer sonstigen politischen Organisation. Augenzeuge oder Opfer von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder von Übergriffen (Folter, Vergewaltigungen oder anderen Misshandlungen) durch kämpfende Einheiten auf die Zivilbevölkerung sei er nicht gewesen. Er habe auf seinem Weg nach Deutschland und in Deutschland weder Kenntnis von Personen erlangt, die er als Unterstützer oder Mitglieder von extremistischen oder terroristischen Organisationen eingeschätzt habe, noch von Personen, von denen er habe annehmen müssen, dass sie für einen Nachrichtendienst arbeiten. Er habe rechtzeitig seine Ausreise aus Syrien geplant, weil es zu dieser Zeit eine große Welle von Einberufungen zum Militärdienst gegeben habe. Das habe er vermeiden wollen. Zum Zeitpunkt der Ausreise habe er noch keine Einberufung erhalten gehabt. Ob jetzt eine Einberufung vorliege, wisse er nicht. Er kenne auch niemanden aus seinem Bekannten- und Freundeskreis, der dann einberufen worden sei, weil viele rechtzeitig vorzeitig ausgereist seien. Vor der Ausreise sei er außer der allgemeinen Lage, z. B. ständige Bombenanschläge, nicht persönlich bedroht gewesen. Bei einer Rückkehr nach Syrien habe er Angst verhaftet zu werden und zum Militärdienst zu müssen. Die allgemeine Sicherheitslage in Syrien sei schlecht. Dies treffe auch insbesondere auf seine Frau und sein Kind zu.

Das Bundesamt erkannte den Kläger mit Bescheid vom 6. Juni 2016 als subsidiär Schutzberechtigten an und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Beklagte mit Urteil vom 2. August 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Zur Begründung führte es u.a. aus: Der syrische Staat betrachte gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System, die das Gebot der Loyalität ihm gegenüber verletze. Ein solches Verhalten werde - ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen - vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und damit auch aus Deutschland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinn des § 3a AsylG zu rechnen.

2. Die Beklagte begründet die vom Senat mit Beschluss vom 22. September 2016 zugelassene Berufung wie folgt:

Es begegne Zweifeln, die Verfolgungsgefahr zumeist aus einem allgemeinen „Abschöpfungsinteresse“ hinsichtlich Erkenntnissen zur Exilopposition ableiten zu wollen. Die insoweit geschilderten Referenzfälle hätten Personen betroffen, bei denen zuvor ein individualisierter Verdacht bestanden habe. Gegen die Annahme einer Regimegegnerschaft jedes Rückkehrers spreche die sehr hohe Zahl der Flüchtlinge. Der syrische Staat dürfte weder Veranlassung noch Ressourcen haben, gegen jeden Rückkehrer vorzugehen. Auch die hohe Anzahl an ausgegebenen syrischen Reisepässen spreche dagegen, dass jedem Rückkehrer unbesehen eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt werde. Die Maßnahmen im Rahmen der Einreisekontrollen seien nicht systematisch, sondern willkürlich. Das erfülle nicht den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Eine unklare Tatsachensituation verlange im Rahmen der gebotenen Prognoseentscheidung tendenziell eine zurückhaltende Beurteilung. Für den Kläger als Reservisten bestehe zwar bei einer Rückkehr die Gefahr Militärdienst leisten zu müssen, allerdings sei noch keine Konkretisierung eingetreten etwa durch einen Einberufungsbefehl. Die abstrakte Möglichkeit, Militärdienst leisten zu müssen, werde nicht als hinreichend risikoerhöhend betrachtet. Eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG sei mangels Anhaltspunkt für eine individuelle Verantwortung bezüglich etwaiger Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht erkennbar.

Die Beklagte beantragt,

in Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 2. August 2016 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der syrische Staat werde die Flucht eines wehrdienstfähigen Mannes als Ausdruck der Gegnerschaft betrachten. Bei einer Rückkehr nach Syrien drohe dem Kläger daher politische Verfolgung. Es sei auch eine Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG gegeben. Der Kläger wäre im Falle der Einziehung zum Militärdienst gezwungen, an Kriegsverbrechen der syrischen Armee teilzunehmen.

Die Landesanwaltschaft Bayern äußert sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses insbesondere wie folgt:

Die erforderliche Verknüpfung zwischen schädigender Handlung und Verfolgungsgrund sei beim Kläger nicht gegeben. Die Annahme, dass aus dem westlichen Ausland zurückkehrende Syrer bei der in diesem Fall obligatorischen Befragung von den syrischen Sicherheitskräften allein wegen der Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositionelle betrachtet würden, sei wenig plausibel und letztlich lebensfremd.

3. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Der Kläger hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4, Abs. 1, AsylG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verpflichtet, dem Kläger - ungeachtet des ihm mit Bescheid vom 6. Juni 2016 zugesprochenen subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) - die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer - soweit hier von Interesse - Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Dem nicht vorverfolgt ausgereisten Kläger droht bei einer (rechtlich hypothetisch unterstellten) Rückkehr nach Syrien nach der Überzeugung des Senats mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.

1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinne des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergeben, hat der Kläger nicht substantiiert geltend gemacht. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren einen Vorfall genannt hat, der sich etwa einen Monat vor Ausreise ereignet haben soll, ist weder eine Anknüpfung der Maßnahme an ein flüchtlingsrechtlich relevantes Merkmal noch die erforderliche asylerhebliche Intensität vorhanden.

2. Eine begründete Furcht vor Verfolgung ergibt sich aber aus den Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem der Kläger Syrien verlassen hat (sog. Nachfluchtgründe (§ 28 Abs. 1a AsylG).

Ein solcher Nachfluchtgrund besteht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht deshalb, weil der Kläger aus Syrien ausgereist ist, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und sich seitdem hier aufgehalten hat. Diese Umstände allein rechtfertigen nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen den Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien als Oppositionellen betrachten und ihn deshalb wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung verfolgen (vgl. Urteile des Senats vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30338 und 16.30364, 16.30371 - juris).

Eine begründete Furcht vor Verfolgung besteht zur Überzeugung des Senats deshalb, weil sich der Kläger als Reservist durch seinen Auslandsaufenthalt dem Militärdienst entzogen hat.

Eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG liegt vor, wenn dem Kläger bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die „verständige Würdigung aller Umstände“ hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Klägers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - juris Rn. 37 und zu Art. 16a GG U.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - juris Rn. 17).

Nach diesem Maßstab und der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist es zur Überzeugung des Senats beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei einer Einreise über den Flughafen D. oder eine andere staatliche Kontrollstelle menschenrechtswidrige Maßnahmen drohen, insbesondere Folter als schwerwiegende Verletzung eines notstandsfesten grundlegenden Menschenrechts (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG, Art. 15 Abs. 2, Art. 3 EMRK). Aufgrund des Umstands, dass die syrischen Machthaber um des Erhalts ihrer infolge der militärischen Auseinandersetzung bedrohten Herrschaft willen mit äußerster Härte gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vorgehen, ist beachtlich wahrscheinlich, dass die syrischen Sicherheitsbehörden den Kläger, der sich als Reservist durch seinen Auslandsaufenthalt dem Militärdienst entzogen hat, bei Rückkehr in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Persönlichkeitsmerkmale, nämlich eine ihm wegen Verweigerung des Militärdienstes unterstellte regimefeindliche Gesinnung als Oppositionellen behandeln (vgl. allgemein dazu BVerfG, B.v. 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315/335; BVerwG, U.v. 19.1.2009 - 10 C 52.07 - juris Rn. 24).

Diese Beurteilung beruht auf einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts (2.3) unter Einbeziehung der Umstände, die das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad charakterisieren (2.1) und der übrigen für die Prognoseentscheidung erheblichen Tatsachen (2.2).

2.1 Eine Auswertung der in beiden Rechtszügen beigezogenen Erkenntnismittel zeigt, dass das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten ist. Der syrische Staat setzt deshalb alles daran, seine Macht zu erhalten und geht in seinem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor.

Zu den Zielen der syrischen Regierung führt Gerlach in „Was in Syrien geschieht - Essay“ vom 19. Februar 2016 (http: www.b...de/...) aus:

„Das erklärte Ziel des syrischen Regimes, das sich für den rechtmäßigen Vertreter des Staates hält, ist die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik, also gewissermaßen in den Grenzen von 2011. … Wichtiger noch: das Fortbestehen der Machtarchitektur ohne einschneidende Veränderung, die in einer Entmachtung des Präsidenten Assad oder in der Auflösung jenes Machtkomplexes der drei um den Präsidenten gruppierten Clans Assad, Makhlouf und Shalish bestehen könnte. Diesen Kriegszielen ordnete das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele unter - und zu ihrer Verteidigung nahm es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung, sondern auch massive eigene Verluste in Kauf.“

Einem „Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012)“ des Auswärtigen Amts vom 17. Februar 2012 ist zu entnehmen:

„Das syrische Regime setzt im Kampf gegen die syrische Opposition die Armee und Sicherheitskräfte gezielt gegen zivile Siedlungsgebiete ein. …

Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Es gibt vier große Sicherheitsdienste, die unabhängig voneinander alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie sich gegenseitig kontrollieren: Allgemeine Sicherheit, Politische Sicherheit, Militärische Sicherheit und die Sicherheit der Luftwaffe. … Die Befugnisse der Sicherheitsdienste unterliegen keinen definierten Beschränkungen. Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhörzentralen, bei denen es sich um rechtsfreie Räume handelt. …

Syrische Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen und die Neuordnung Syriens nach demokratischen, pluralistischen und rechtsstaatlichen Prinzipien anstreben, werden durch das Regime massiv unterdrückt. …

Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränken sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“ (enforced disappearance), tätlichen Angegriffen (z. B. der Karikaturist A. F. und der Oppositionspolitiker R. S.), Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte (z. B. das Kind H. al-K., der Aktivist C. M.) und Mordanschlägen (z.B. der kurdische Oppositionelle M. D.) belegt. Einige Oppositionelle sind daher in den Untergrund gegangen …; viele andere haben Syrien verlassen. …

Menschenrechtsverteidiger schätzen die Zahl der Verhafteten und Verschwundenen auf insgesamt über 40.000. … Willkürliche Verhaftungen sind in Syrien gegenwärtig sehr häufig und gehen von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen (sog. Shabbiha) aus. …

Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). …

Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. …

Es muss davon ausgegangen werden, dass exilpolitische Tätigkeiten den syrischen Sicherheitsdiensten bekannt werden. Auch ist nicht auszuschließen, dass syrische Familien in Deutschland von den Sicherheitsdiensten als Druckmittel gegenüber noch in Syrien lebenden Verwandten (oder umgekehrt) missbraucht werden. …

Obwohl die syrische Verfassung (Art. 28) und das syrische Strafrecht Folter verbieten und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, wenden Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt an. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko. …Gegenwärtig kann sich das Individuum de facto in keiner Weise gegenüber staatlichen Willkürakten zur Wehr setzen. Vieles deutet darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art ´carte blanche´ erhalten haben. …

Es kommt seit Beginn der Unruhen regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen durch die Sicherheitsdienste, Rechtsmittel dagegen existieren nicht. Vor allem im Gewahrsam der außerhalb jeder Kontrolle agierenden Geheimdienste kommt es zu Drohungen und körperlichen Misshandlungen sowie zu ungeklärten Todesfällen. …

Fälle von Verschwindenlassen haben seit März 2011 erheblich zugenommen“ (Namen sind im Original vollständig wiedergegeben).

Der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe „Syrien: Umsetzung der Amnestien“ vom 14. April 2015 (https: www...ch/...) kann entnommen werden:

„Human Rights Watch kritisierte im Januar 2015, dass trotz der Amnestie noch eine Vielzahl Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger, Medienschaffende sowie Personen, die humanitäre Hilfe geleistet haben, inhaftiert oder in Untersuchungshaft sind. …

In vielen Fällen werden vor allem Aktivisten, Anwälte und Menschenrechtsaktivisten von den Geheimdiensten wochen- und monatelang ohne Verfahren festgehalten. …

Die Anzahl der seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 verhafteten Personen ist umstritten. Das Violations Documentation Center, eine lokale Monitoring Gruppe, ging im Juli 2014 davon aus, dass 40.853 Personen in Haft sind. Der ehemalige UN-Sondergesandte für Syrien, Lakhdar Brahimi, ging von zwischen 50.000 und 100.000 Inhaftierten des syrischen Regimes aus. Der UN High Commissioner for Human Rights, Zeid Ra'ad Al Hussein, weist auf Schätzungen zwischen zehntausenden und hunderttausenden Inhaftierten hin. Das Syrian Observatory for Human Rights schätzt, dass 200.000 Personen in syrischen Gefängnissen sitzen. …

Dass die Haftbedingungen schlecht sind und in den Gefängnissen gefoltert wird, ist seit langem dokumentiert, auch bereits vor dem Konflikt. Folter ist insbesondere in der ersten Zeit der Haft üblich, um an Informationen zu kommen, die Häftlinge einzuschüchtern und um Schuldeingeständnisse zu erzwingen. Folter und die schlechten Haftbedingungen führen zu Todesfällen. …

Viele friedliche Aktivisten, die aufgrund des Anti-Terrorismus-Gesetzes verurteilt worden sind und von der Amnestie hätten profitieren sollen, blieben weiterhin in Haft.“

Die vierte aktualisierte Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015 (https: www.e...net/...) äußert sich in Fußnummer 74 u.a. wie folgt:

„Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die man für einen Regierungsgegner hält, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen einschließlich der Kinder der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder zur Vergeltung der Aktivitäten bzw. des Loyalitätsbruchs der gesuchten Person oder zwecks Einholung von Informationen über ihren Aufenthaltsort oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen anzuerkennen.”

Die Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada (Immigration and Refugee Board of Canada) verweist in einem Bericht (Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 4 - zitiert nach der in das Verfahren eingeführten Übersetzung in die deutsche Sprache) auf folgende Erkenntnisse von Amnesty International (Between Prison and the Grave, Enforced Disappearances in Syria, November 2015), Human Rights Watch (Syria, World Report 2015: Events of 2014, 29.1.2015) und OHCHR (Open Wounds: Torture and Ill-Treatment in the Syrian Arab Republic, 14.4.2014) hin:

„Laut AI hat die in Syrien stationierte Kontrollgruppe Syrian Network for Human Rights über 58.000 Fälle von Zivilisten dokumentiert, die zwischen März 2011 und August 2015 durch die syrische Regierung ´zwangsweise´ verschwunden sind, und am 30. August 2015 immer noch als vermisst gelten (AI, Nov. 2015, 7). Des Weiteren vermerkt dieselbe Quelle, dass alle vier Truppengattungen der syrischen Sicherheitskräfte, bestehend aus dem militärischen Geheimdienst, dem Geheimdienst der Luftwaffe, dem politischen Sicherheitsdienst und dem allgemeinen Geheimdienst (auch Staatsicherheit genannt), Personen zwangsweise verschwinden lassen würden und dass es überall im Land Gefangenenlager gebe (ebd.). AI erklärt, dass diese Gefangenen ´außerhalb des gesetzlichen Schutzes gestellt werden, und dass ihnen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder ein faires Gerichtsverfahren verwehrt wird´; dass Gefangene in überfüllten Behausungen gehalten und regelmäßig einem Katalog der Folter ausgesetzt werden´(ebd., 8). Human Rights Watch und der UNHCR berichten über die weit verbreitete Anwendung des Verschwindenlassens, der Inhaftierung und Folter durch syrische Behörden (UN, 14. Apr. 2014, 1; Human Rights Watch, 29. Jan. 2015, 2 - 3).“

Nach den im Amnesty Report 2016 vom 2. März 2016 (http: www.a...de/...) festgehaltenen Erkenntnissen von Amnesty International hat sich an dieser Lage nichts zum Guten geändert. Dem Report ist u.a. zu entnehmen:

„Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben „verschwunden“. Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. …

Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. …

10.000 Personen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterrorgericht oder vor militärischen Feldgerichten.“

2.2 Darüber hinaus sind folgende Prognosetatsachen zu berücksichtigen:

2.2.1 Es ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien über den Flughafen D. oder eine andere staatliche Kontrollstelle im Rahmen einer strengen Einreisekontrolle durch verschiedene Geheimdienste über seinen Auslandsaufenthalt und den Grund seiner Abschiebung befragt wird. Die Sicherheitsbeamten werden dabei auch Einblick in die Computerdatenbanken nehmen, um zu prüfen, ob der Kläger von den Behörden gesucht wird. Die obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte und die Sicherheitskontrollen, die von Grenzbeamten am Flughafen D. und anderen Eingangshäfen durchgeführt wird, beinhaltet zu überprüfen, ob der Rückkehrer seinen Wehrdienst abgeleistet hat (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 2 f. und 8, Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier v. 12.10.2016 zur Ausreisekontrolle). Auch nach einer Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee“, v. 30.7.2014, S. 7) können Personen, die während ihres Auslandsaufenthalts zum Wehrdienst einberufen wurden, bei ihrer Einreise durch die syrischen Behörden identifiziert werden, da ihr Name auf einer entsprechenden Suchliste zu finden ist.

2.2.2 Zu den Umständen und Folgen einer solchen Überprüfung für einen abgelehnten Asylbewerber, der sich als Wehrpflichtiger oder Reservist durch den Auslandsaufenthalt der Einberufung zum Militärdienst entzogen hat, ergibt die Auskunftslage Folgendes:

Die Ermittlungsabteilung (Research Direcorate) der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde hat dazu verschiedene sachkundige Personen befragt. Ein leitender auf Syrien spezialisierter Gast-Forschungsbeauftragter am King´s College London (Visiting Senior Research Fellow, telefonische Befragung am 15.12.2015) bekundete gegenüber der kanadischen Behörde, dass Sicherheitsbeamte am Flughafen und anderen Grenzübergängen eine „carte blanche“ hätten, um zu tun, was immer sie tun wollen, wenn sie jemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen. Wenn ein Sicherheitsbeamter jemanden verdächtige, nähmen sie ihn möglicherweise sofort mit. In diesem Fall könne die Person verschwinden oder gefoltert werden. Das System sei sehr unberechenbar, Rechtsbehelfe gegen die Misshandlungen der Grenzbeamten gebe es nicht. Mehrere Quellen berichten, dass Männer im wehrpflichtigen Alter besonders gefährdet seien, von den Sicherheitskräften am Flughafen und anderen Eingangshäfen misshandelt zu werden (so ein emeritierter Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford - emeritus Professor of anthropology and forced migration at Oxford University, telefonische Befragung am 11.12.2015; sowie der Vorstand der Nichtregierungsorganisation „Syrisches Zentrum für Justiz und Rechenschaftspflicht“ - Executive Director „Syria Justice and Accountability Center“, telefonische Befragung am 14.12.2015). Der emeritierter Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford (telefonische Befragung am 11.12.2015) beschrieb Männer im wehrpflichtigen Alter als die „meist gefährdete“ Gruppe in Bezug auf die Behandlung seitens der syrischen Behörden an den Eingangshäfen, „besonders wenn sie niemals im Militär gedient haben“. Eine Programmbeauftragte (program officer) am Center for Civilians in Conflict (CIVIC), die sich spezialisiert hat auf humanitäre und Flüchtlingsthemen in Syrien und im Irak, äußerte in einem Telefoninterview am 11. Dezember 2015, dass junge Männer zwischen 16 und 40 Jahren von den Grenzbeamten „besonders verfolgt“ werden und „allseits der Zwangswehrpflicht unterstellt seien“, auch wenn sie ihren Militärdienst schon abgeleistet hätten (vgl. zum Ganzen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 8f.).

2.2.3 Auch aus dem System der allgemeinen Wehrpflicht in Syrien und den während des Kriegs eingeführten Reisebeschränkungen für militärdienstpflichtige Männer lassen sich Erkenntnisse für die vorzunehmende Gesamtschau gewinnen.

Das System der allgemeinen Wehrpflicht beruht auf folgenden Grundsätzen: In Syrien besteht allgemeine Wehrpflicht ab 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren. Männer, die 18 Jahre alt werden, müssen sich zur Generalrekrutierungsstelle begeben (Befragung, Foto, Bluttest). Danach wird ihnen ein Militärdienstbuch ausgehändigt. Bei Beginn des Militärdienstes müssen bei der Generalrekrutierungsstelle die zivilen Ausweise und das Militärdienstbuch abgegeben werden und der Betreffende erhält umgehend den Militärdienstausweis bevor er zu seiner Einheit entsandt wird. Wenn der Dienst absolviert ist, bekommt man „Entlassungspapiere“, die man bei der Generalrekrutierungsstelle abgibt und erhält den zivilen Ausweis und das Militärbuch - versehen mit dem Stempel, dass der Militärdienst geleistet und die Person entlassen wurde (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada - Antworten auf Informationsanfragen v. 13.8.2014, SYR104921.E, S. 5).

Syrische Behörden hätten nach den Ermittlungen der Agence-France-Presse (AFP) das Recht, im Kriegsfall oder im Falle einer Erklärung eines Ausnahmezustands, alle männlichen Personen zwischen 18 und 42 Jahren, die ihren Wehrdienst abgeleistet hatten, wieder einzuberufen (AFP v. 27.3.2012 „Syria Imposes Travel Ban on Men Under 42: Reports“). Zum Thema Reisebeschränkungen der militärdienstpflichtigen Männer heißt es, dass die Regierung allen Männern zwischen 18 und 42 Jahren offiziell verboten habe, außerhalb des Landes zu reisen (The Christian Science Monitor v. 27.3.2012, „As Syria’s War Rages, Assad Bans Military-Age Men From Leaving“). Einschränkend gibt die AFP an, dass diese Männer reisen dürften, aber vorher eine Genehmigung von den Behörden bräuchten und das bisherige Reiseverbot sich nur auf Männer bezogen habe, die ihre zweijährige Wehrpflicht noch nicht abgeleistet hätten (AFP v. 27.3.2012; vgl. zum Ganzen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada - Antworten auf Informationsanfragen v. 13.8.2014, SYR104921.E, S. 6 f.).

Nach den Erkenntnissen des Orient-Instituts habe die syrische Regierung im März 2012 beschlossen, dass die Ausreise für alle männlichen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 42 Jahren untersagt bzw. nur nach einer zuvor erteilten Genehmigung gestattet sei, auch wenn diese bereits den Wehrdienst abgeleistet hätten. Männliche syrische Staatsangehörige sähen sich nach einer Wiedereinreise nach Syrien in das durch die syrische Regierung kontrollierte Gebiet, wenn sie älter als 18 Jahre seien, der Einberufung in den Wehrdienst gegenüber. Für den Fall, dass der Wehrdienst vor der Ausreise nicht abgeleistet worden sei, könne dies von der syrischen Regierung verlangt werden. Habe die Ausreise unter anderem dem Zweck gedient, sich dem Wehrdienst zu entziehen (z.B. durch Flucht oder Bestechung eines direkten Vorgesetzten), so habe dies eine harte Bestrafung bis hin zur Todesstrafe, aber auch Folter zur Folge. Auch wenn der Wehrdienst bereits verrichtet worden sei, komme es seit Anfang 2011 dazu, dass männliche Staatsangehörige bis zu einem Alter von 42 Jahren erneut eingezogen würden (Deutsches Orient-Institut an das Schleswig-Holsteinische OVG undatiert).

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe führt aus („Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee“, v. 30.7.2014, S. 3 ff.), Männer hätten, nachdem sie die allgemeine Wehrpflicht absolviert hätten, die Möglichkeit, für die Dauer von fünf Jahren in den aktiven Militärdienst einzutreten. Ansonsten dienten sie während der nächsten 18 Jahre als Reservisten. Es gebe keine Möglichkeit für einen Ersatzdienst. Wehrdienstverweigerung werde gemäß dem Military Penal Code von 1950, der 1973 angepasst worden sei, bestraft. In Art. 68 sei festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft werde, wer sich der Einberufung entziehe. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlasse und sich so der Einberufung entziehe, werde mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Gemäß Art. 101 werde Desertion mit fünf Jahren oder mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlassen habe.

Im Herbst 2014 habe das Regime verschiedene Maßnahmen erlassen, um die Ausreise wehrdienstpflichtiger Männer zu verhindern. Bereits seit dem Ausbruch des Krieges hätten die syrischen Behörden bei der Ausreise von Männern, die zwischen 18 und 42 Jahre alt seien, eine offizielle Beglaubigung des Militärs verlangt, dass sie vom Dienst freigestellt seien. Am 20. Oktober 2014 habe die „General Mobilisation Administration des Department of Defense“ allen Männern die Ausreise verboten, die zwischen 1985 und 1991 geboren seien. Mit diesen neuen Restriktionen hätten Männer in den Zwanzigern keine Möglichkeiten mehr, das Land legal zu verlassen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien, Mobilisierung in die syrische Armee v. 28.3.2015, S. 4).

2.2.4 Zum Vorgehen des syrischen Regimes bei der Rekrutierung von Wehrdienstverweigerern sind folgende Umstände in den Blick zu nehmen:

Nach den Erkenntnissen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe werden in Kriegszeiten Reservisten einberufen. Die Einberufung als Reservist werde wie die Einberufung in den Militärdienst individuell ausgehändigt. Seit Ende 2012 werden immer mehr Reservisten in den Militärdienst einberufen. Tausende sollen 2012 einen Einberufungsbefehl erhalten haben. Präsident Assad sei dringend auf den Einsatz von Reservisten angewiesen. Im März 2012 habe die syrische Regierung deshalb allen Männern zwischen 18 und 42 Jahren verboten, das Land ohne Bewilligung zu verlassen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee v. 30.7.2014, S. 6 f). Seit Herbst 2014 habe das syrische Regime die Mobilisierungsmaßnahmen in die syrische Armee für Rekruten und Reservisten intensiviert. Seither komme es zu großflächiger Mobilisierung von Reservisten, Verhaftungswellen von Deserteuren und Männern, die sich bis dahin dem Militärdienst entzogen hätten. Das Office of United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR) habe bei von Sicherheitsdiensten aufgegriffenen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen hätten, Fälle von Folter dokumentiert. Viele Männer, die im Rahmen der Maßnahmen einberufen würden, erhielten eine nur sehr begrenzte militärische Ausbildung und würden zum Teil innerhalb nur weniger Tage an die Front geschickt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee v. 28.3.2015, S. 3 f).

Die Deutsche Botschaft Beirut (Referat 313) hat am 3. Februar 2016 eine Anfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Rückkehrgefährdung dahingehend beantwortet, dass in den vergangenen Wochen mehrere tausend Personen in Syrien zum Wehrdienst eingezogen worden seien. Laut Augenzeugenberichten soll sich die Anzahl junger Männer in den Straßen von D. deutlich verringert haben. Einige hätten darüber berichtet, dass über die Überprüfung an Checkpoints hinaus auch Wohnhäuser aufgesucht worden seien, um Wehrdienstverweigerer zu rekrutieren. Auch habe es verlässliche Berichte darüber gegeben, dass Personen aus dem Gefängnis hinaus zum Wehrdienst eingezogen worden seien.

Nach einem Artikel in „Syria Deeply“ (unabhängiges digitales Medienprojekt in New York) vom 16. Dezember 2015 habe es in D. eine erhöhte Anzahl von Verhaftungen an staatlichen Kontrollstellen gegeben; die Behörden würden vermehrt prüfen, ob jemand sich dem Wehrdienst entziehe (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 8f.).

2.2.5 Nach der Überzeugung des Senats kann der von der Beklagten eingewandten gelockerten Ausstellungspraxis bei syrischen Reisepässen seit April 2015 wegen der wirtschaftlichen Dimension für den syrischen Staatshaushalt durch erhebliche Einnahmen keine Zielrichtung des Inhalts entnommen werden, dass dadurch die Ausreise von Männern im militärdienstpflichtigen Alter (Wehrpflichtige, Reservisten) staatlicherseits geduldet werden soll.

Nach Auskunft der Botschaft Beirut (Referat 313) vom 3. Februar 2016 (Antwort auf eine Anfrage des Bundesamts) werden seit April 2015 von syrischen Stellen innerhalb Syriens, aber auch von den syrischen Auslandsvertretungen wieder vermehrt syrische Reisepässe ausgestellt. Die Kosten belaufen sich innerhalb Syriens (D.) auf ca. 40 USD, außerhalb Syriens auf ca. 400 USD. Da sich die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes im ersten Quartal 2015 weiter verschlechtert habe, sei zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen syrischen Staatshaushalt zugute kämen. Letztlich lägen der Botschaft Beirut aber keine konkreten Erkenntnisse zur Verwendung syrischer staatlicher Einnahmen vor. Im Übrigen kann ein Staat auch andere geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Ausreise der Personengruppe der militärdienstpflichtigen Männer zu erschweren, wie z.B. das Erfordernis einer behördlichen Ausreisegenehmigung (s.o. 2.2.3). Eine gelockerte Ausstellungspraxis bei syrischen Reisepässen lässt daher im Hinblick auf die hier relevante Personengruppe der militärdienstpflichtigen Männer keine Schlüsse auf eine geänderte Haltung syrischer Sicherheitskräfte gegenüber Rückkehrern bei deren Einreise über den Flughafen D. bzw. andere Grenzkontrollen zu.

2.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht zur Überzeugung des Senats fest, dass Rückkehrern im militärdienstpflichtigen Alter (Wehrpflichtige, Reservisten), die sich durch Flucht ins Ausland einer in der Bürgerkriegssituation drohenden Einberufung zum Militärdienst entzogen haben, bei der Einreise im Zusammenhang mit den Sicherheitskontrollen von den syrischen Sicherheitskräften, in Anknüpfung an eine (unterstellte) oppositionelle Gesinnung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine menschenrechtswidrige Behandlung, insbesondere Folter, droht.

Aus den Erkenntnisquellen geht übereinstimmend hervor, dass jeder über eine offizielle Grenzstelle - insbesondere den Flughafen D. - zurückkehrende Syrer den strengen obligatorischen Einreisekontrollen der syrischen Sicherheitskräfte unterzogen wird. Weiter ist davon auszugehen, dass die Sicherheitskräfte darüber informiert sind (Datenbanken bzw. Kontrolllisten), ob die betreffende Person Wehrpflichtiger oder Reservist ist. Ebenso wird für die Sicherheitskräfte ersichtlich sein, ob der Rückkehrer im militärdienstpflichtigen Alter ggf. gegen die Mitteilungspflicht seines Wohnortes gegenüber den Militärbehörden verstoßen hat bzw. ob eine Ausreiseerlaubnis der Militärbehörde vorlag. Mehrere Quellen berichten, dass Männer im wehrpflichtigen Alter besonders gefährdet seien, von den Sicherheitskräften am Flughafen und anderen Eingangshäfen misshandelt zu werden (Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 9).

Auch das Auswärtige Amt unterscheidet im Hinblick auf eine Rückkehrgefährdung: Dort liegen zwar keine Erkenntnisse vor, dass unverfolgt ausgereiste Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts und Asylantragstellung Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien (Auswärtiges Amt an das Schleswig-Holsteinische OVG v. 7.11.2016). Dem Auswärtigen Amt sind aber Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien. Dies stehe überwiegend im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammen arbeite (Deutsche Botschaft Beirut v. 3.2.2016 an das Bundesamt).

Seit dem generellen Abschiebestopp im April 2011 liegen nur vereinzelt Fallbeispiele von Rücküberstellungen aus westlichen Ländern vor, so dass insoweit von „Referenzfällen“ nicht ausgegangen werden kann. Laut Auskunft eines juristischen Mitarbeiters vom UNHCR Kanada gebe es nur eingeschränkte Informationen bezüglich der Behandlung von syrischen Rückkehrern seit 2011. Die Presse berichte nicht über die Behandlung von Rückkehrern durch Grenzbeamte (Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E, v. 19.1.2016, S. 5).

Vor diesem Hintergrund ergibt sich die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Merkmale vornehmlich aus dem Charakter des um seine Existenz kämpfenden Staates und den von seinen Machthabern mit größter Härte und unter Einsatz menschenrechtswidriger Mittel verfolgten Zielen. Das erklärte Ziel des syrischen Regimes ist unter Fortbestehen der Machtarchitektur die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik. Diesen Kriegszielen hat das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele untergeordnet - und zu ihrer Verteidigung hat es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung in Kauf genommen, sondern auch massive eigene Verluste (s.o. Nr. 2.1, Gerlach, „Was in Syrien geschieht - Essay“ v. 19. 2.2016).

Die erheblichen Verluste auf Seiten des syrischen Militärs führten dazu, dass im Verlaufe des Krieges die Mobilisierungsmaßnahmen in die syrische Armee für Rekruten und Reservisten erheblich intensiviert wurden. Dabei sind bei von Sicherheitsdiensten aufgegriffenen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen hatten, auch Fälle von Folter dokumentiert worden. Die Ausreise von militärpflichtigen Personen wurde durch verschiedene Maßnahmen (z.B. Ausreiseerlaubnis) erschwert.

Insoweit wird deutlich, dass das Interesse des syrischen Regimes an einer jederzeit möglichen Einberufung seiner militärdienstpflichtigen Staatsbürger zur Weiterverfolgung seiner Kriegsziele und damit letztlich für die Wiederherstellung und den Erhalt seiner Macht von entscheidender Bedeutung ist. Im Zusammenwirken mit dem Charakter des bedingungslos zur Erreichung seiner Ziele agierenden syrischen Regimes unter weitverbreitetem Einsatz von menschenrechtswidrigen Mitteln, wie insbesondere Folter, ist davon auszugehen, dass das syrische Regime Personen, die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, regelmäßig eine illoyale, politisch oppositionelle Haltung unterstellt. Denn diese Personen haben sich trotz des das Regime in seiner Existenz bedrohenden Krieges nicht für einen Militäreinsatz bereitgehalten und so aus der Sicht der Machthaber ein Verhalten gezeigt, das dessen drängenden militärischen Bedürfnissen zuwiderläuft.

An diese (unterstellte) oppositionelle Gesinnung des Rückkehrers knüpft bei seiner Einreise beachtlich wahrscheinlich eine Folterbehandlung an, die der Einschüchterung und Bestrafung für die regimefeindliche Gesinnung dient. Der Rückkehrer soll durch die unmittelbar bei Einreise erfolgende „Sonderbehandlung“ der Folter - neben der flüchtlingsrechtlich im Grundsatz nicht relevanten Zwangsrekrutierung und ggf. erfolgenden Bestrafung wegen eines Wehrdelikts - für seine in der Bürgerkriegssituation politisch unzuverlässige Haltung und die darin zum Ausdruck kommende regimefeindliche Gesinnung eingeschüchtert und bestraft werden. Diese Verhaltensmuster der syrischen Sicherheitskräfte finden ihre Entsprechung und Bestätigung im allgemeinen Vorgehen der syrischen Regierung gegen Personen, die im Verdacht stehen Oppositionsbewegungen zu unterstützen. Die Auswertung der beigezogenen Erkenntnismittel zeigt vielmehr, dass das syrische Regime zur Erhaltung seiner Macht ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner mit größter Rücksichtslosigkeit vorgeht. So führt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International im jüngsten Bericht zu Haftbedingungen in Syrien betreffend das Jahr 2016 an, dass die Nachforschungen der Organisation seit dem Beginn der Krise darauf hindeuten würden, dass jeder, der als oppositionell wahrgenommen werden könnte, Gefahr laufe willkürlich inhaftiert zu werden, zu verschwinden oder gefoltert oder misshandelt zu werden und möglicherweise in der Haft zu sterben. Die Gründe für eine Verhaftung wegen des Verdachts der Regimefeindlichkeit würden variieren (Amnesty Report 2016 v. 2. März 2016, S. 16).

Auch aus den Umständen, dass das syrische Regime bei „missliebigen Personen“ menschenrechtswidrige Maßnahmen, insbesondere Folter und „Verschwindenlassen“ anwendet, und zulässt, dass sich das Opfer gegenüber staatlichen Willkürakten nicht zur Wehr setzen kann, können Schlüsse darauf gezogen werden, wie ein Unrechtsstaat mit Personen, die er als illoyal und regimefeindlich einstuft, bei deren Rückkehr verfährt. Human Rights Watch und der UNHCR haben über die weitverbreitete Anwendung des Verschwindenlassens, Inhaftierung und Folter durch syrische Behörden berichtet (Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 4; OHCHR, Open Wounds: Torture and Ill-Treatment in the Syrian Arab Republic v. 14.4.2014; Human Rights Watch, Syria, World Report 2015, 29.1.2015). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe verweist auf die von Human Rights Watch 2012 ausführlich dokumentierte Vorgehensweise der Geheimdienste, die Willkür der Inhaftierung und die miserablen Haftbedingungen in den Haftzentren der verschiedenen Geheimdienstabteilungen. Gemäß dem Bericht des United States Departement of State 2015 habe die Anzahl willkürlicher Verhaftungen vor allem von Jungen ab 10 Jahren sowie Männern im Jahr 2014 zugenommen. Viele Verhaftungen hätten an Checkpoints stattgefunden, die vom Militär, einem der Geheimdienste oder den Paramilitärischen National Defense Forces unterhalten werden. Die UN Kommission über Syrien (UN Commission of Inquiry on Syria) habe über Massenverhaftungen von Männern im wehrdienstfähigen Alter berichtet. Dies sei vor allem in Regionen geschehen, die vom syrischen Regime zurückerobert worden seien. Human Rights Watch habe 2012 über zwanzig verschiedene Foltermethoden dokumentiert, die in den Haftzentren der Geheimdienste entwickelt und angewendet würden. Straffreiheit der Sicherheitskräfte sei die Norm. Aus dem Jahr 2014 seien dem United States Departement of State keine strafrechtlichen Verfahren oder Verurteilungen von Angehörigen der Sicherheitsdienste wegen Missbrauchs oder Korruption bekannt (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse v. 26.10.2015 zu Syrien: Geheimdienst, S. 4f. m.w.N.)

Der UNHCR kommt für den Fall der „Prüfung individueller Asylanträge“ zu der Einschätzung, es sei wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. Art. 1 A (2) der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllen. (S.25 f, Nr. 36,). Der UNHCR ist der Ansicht, dass Personen mit einem oder mehreren der beschriebenen Risikoprofile „wahrscheinlich“ internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention benötigten. Unter ein solches Risikoprofil fallen nach Auffassung des UNHCR unter anderem „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Aufständische, Aktivisten und sonstige Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden; Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen bzw. Personen, die als Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen angesehen werden; Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte…“ (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S.25 f.). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom 15. Oktober 2015 die Ansicht von Human Rights Watch zugrunde gelegt, dass junge Männer im wehrfähigen Alter von Haft und Misshandlung besonders bedroht seien (vgl. EGMR U.v. 15.10.2015 - 40081/14, 40127/14 - L.M. u.a. ./ Russische Föderation, NVwZ 2016, 1779, Rn. 123-125).

Nach alldem ist nach der Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass die syrischen Sicherheitskräfte die Rückkehrer nicht pauschal der Opposition zuordnen, sondern danach differenzieren, ob der Rückkehrer als Unpolitischer oder Oppositioneller einzustufen ist. Die Verfolgungsprognose führt nach der Überzeugung des Senats auch unter Berücksichtigung der hohen Flüchtlingszahlen (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 6, bis Herbst 2015 seien mehr als vier Millionen Syrer ins Ausland geflohen) zu dem Ergebnis, dass die Personengruppe der militärdienstpflichtigen Personen (Wehrpflichtige, Reservisten), die sich im Bürgerkrieg nicht den Regierungstruppen zur Verfügung gestellt haben, sondern durch Flucht ins Ausland ihren staatsbürgerlichen Aufgaben nicht nachgekommen sind, aus Sicht des syrischen Regimes als oppositionell eingestuft werden und dementsprechend bei einer Rückkehr beachtlich wahrscheinlich der weit verbreiteten Folterbehandlung unterzogen werden.

3. Ausführungen zu weiteren möglichen Verfolgungshandlungen (§ 3a Abs. 1 und 2 AsylG) seitens des syrischen Regimes im Hinblick auf rückkehrende Militärdienstpflichtige, wie insbesondere zu § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG einschließlich der glaubhaften Darlegung eines ernsthaften Gewissenskonflikts (vgl. Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 3a Rn 36, 41), sowie zur flüchtlingsrechtlichen Relevanz einer dem Kläger drohenden Bestrafung wegen Kriegsdienstverweigerung mit politischem Charakter („Politmalus“) sind nicht veranlasst.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 1, § 711 ZPO.

6. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages ab-wenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger, geboren am …, ist syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens sunnitischer Ausrichtung. Vor seiner Ausreise lebte er in dem Ort … in der Provinz Deir ez-Zor. Er reiste nach eigenen Angaben am 10.2.2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 16.3.2016 einen Asylantrag.

2

Die Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgte am 21.3.2016. In dieser gab der Kläger an, er habe sich in Syrien weder den Regierungstruppen noch den terroristischen Gruppen angeschlossen. Im Falle seiner Rückkehr müsse er jedoch Wehrdienst leisten, was er nicht wolle, da das Militär das Volk töten würde. In seinem Heimatland wäre er in Gefahr, obwohl ihm dies seinerzeit nicht direkt angedroht worden sei. Er befürchte zudem, in Syrien nicht studieren und arbeiten zu können.

3

Mit Bescheid vom 23.12.2016, zugestellt am 28.12.2016, erkannte die Beklagte dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu (Nr. 1) und lehnte seinen Asylantrag im Übrigen ab (Nr. 2). Zur Begründung wurde (im Wesentlichen) ausgeführt, aus seinem Vortrag würden sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er aufgrund eines asyl- und flüchtlingsrelevanten Merkmales von staatlicher Seite oder nichtstaatlichen Dritten in Syrien verfolgt werde. Dies gelte auch im Hinblick auf die behauptete drohende Wehrdiensteinziehung.

4

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 11.1.2017 Klage erhoben.

5

Zur Begründung trägt er (im Wesentlichen) vor:

6

Unabhängig von einer Vorverfolgung sei er aufgrund der momentanen Situation in Syrien aus beachtlichen Nachfluchtgründen von Verfolgung wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und seinem Aufenthalt im Ausland (mit längerfristigen Aufenthaltszweck) bedroht. Im Hinblick darauf, dass er sich durch die illegale Ausreise aus Syrien einer Heranziehung zum Militärdienst entzogen habe, drohe ihm bei einer Wiedereinreise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter und Inhaftierung in Anknüpfung an eine unterstellte Regimefeindlichkeit. Zu berücksichtigen sei außerdem, dass der Kläger aus der - von der Al-Nusra Front und dem sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) beherrschten – Provinz Deir ez-Zor stamme und hieraus bei einer Rückkehr vielfältige Gefährdungen für ihn resultieren würden.

7

Der Kläger beantragt,

8

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Dezember 2016 (Gz.) in Ziffer 2 zu verpflichten, den Kläger als Flüchtling gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) anzuerkennen.

9

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

10

Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört worden. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Verhandlungsniederschrift Bezug genommen.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige - insbesondere fristgerecht erhobene - Klage ist unbegründet.

13

Der Bescheid des Bundesamtes vom 23.12.2016 ist - soweit er angefochten worden ist - rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dieser hat im hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz AsylG) keinen Anspruch auf die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.

14

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt nach § 3 Abs. 1 AsylG voraus, dass der Ausländer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet. Gemäß § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

15

Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn sie aufgrund der im Herkunftsland des Betroffenen gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013, - 10 C 23.12 -, juris). Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013, - 10 C 23.12 -, juris m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, juris).

16

Als Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen oder der Ausländer von einem Zusammentreffen unterschiedlicher Maßnahmen in ähnlich gravierender Weise betroffen ist.

17

Für die Annahme einer Verfolgungsmaßnahme ist weiterhin erforderlich, dass der Flüchtling aus den genannten Gründen gezielten Rechtsverletzungen ausgesetzt ist, die ihn ihrer Intensität nach aus der staatlichen Friedensordnung ausgrenzen. Vor Rechtsverletzungen, die nicht gezielt in Anknüpfung an persönliche, asylrelevante Merkmale zugefügt werden, sondern ihn als Folge der allgemein im Herkunftsstaat herrschenden Zustände treffen, schützt das Asylrecht nicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989, - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, juris; BVerwG, Urteil vom 20.02.2013, - 10 C 23.12 -, juris, m. w. N.).

18

Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG) und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss dabei eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).

19

Ist der Ausländer unverfolgt ausgereist, muss er glaubhaft machen, dass ihm wegen vorgetragener Nachfluchtgründe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung droht, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt.

20

Ist er dagegen verfolgt ausgereist, d.h. hat er Verfolgungsmaßnahmen bereits erlitten oder standen solche unmittelbar bevor, findet die in Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie vorgesehene Beweiserleichterung Anwendung. Danach ist diese Tatsache ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Schutzsuchenden vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung bedroht wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010, - 10 C 4.09 -, juris).

21

Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO gilt dabei folgendes: Das Gericht muss insoweit die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden kommt dabei besondere Bedeutung zu. Ihm selbst obliegt es, seine Gründe für das Vorliegen politischer Verfolgung folgerichtig, substantiiert, widerspruchsfrei und mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989, - 9 B 239/89 -, juris).

22

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger sein Heimatland Syrien unverfolgt verlassen hat. Er ist wegen der in seinem Heimatland aufgrund des Bürgerkrieges allgemein herrschenden Zustände ausgereist. Insoweit wird zunächst gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Auch sein Vorbringen im Rahmen der informatorischen Anhörung während der mündlichen Verhandlung gibt diesbezüglich keinen Anlass für eine abweichende Bewertung. Das Vorbringen des Klägers ist unglaubhaft und der Kläger insoweit unglaubwürdig. So hat der Kläger erstmals vorgetragen, nicht nur von der syrischen Armee, sondern auch vom IS konkret aufgefordert worden zu sein, auf seiner Seite im Rahmen des Bürgerkrieges zu kämpfen. Zudem sei er gemeinsam mit einem Freund für sechs Stunden von IS-Einheiten inhaftiert worden, weil er und sein Freund Fußball gespielt hätten. Während dieser Inhaftierung hätten sie dreimal beten müssen und ihnen sei mitgeteilt worden, dass sie an einem Aufklärungsseminar über den Dschihad teilzunehmen hätten. Dieses Vorbringen ist bereits als gesteigert und damit unglaubhaft anzusehen. Auch unter Berücksichtigung der im Rahmen der mündlichen Verhandlung hierzu abgegebenen Erklärungen ist für die Kammer nicht nachvollziehbar, warum der Kläger dieses für die Begründung seines Verfolgungsschicksals wesentliche Ereignis im Rahmen der insgesamt 50-minütigen Anhörung vor dem Bundesamt nicht einmal ansatzweise erwähnt hat, obwohl er explizit danach befragt wurde, was ihm persönlich vor der Ausreise passiert sei. Darüber hinaus vermag die Kammer selbst unter Zugrundelegung der Schilderungen des Klägers hierin weder Handlungen zu erkennen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung als Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a Asylgesetz zu qualifizieren wären noch ist für sie diesbezüglich eine Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal i.S.d. §§ 3, 3b AsylG ersichtlich.

23

Der Kläger kann sich vorliegend auch nicht auf Nachfluchtgründe im Sinne des § 28 Abs. 1a AsylG berufen.

24

In Betracht kommt hierbei zunächst allein eine Verfolgung durch den syrischen Staat, da eine – hypothetische – Abschiebung alleine über eine Flugverbindung nach Damaskus denkbar ist (so zuletzt auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.2.2017, - 14 A 2316/16.A -, juris m. w. N.).

25

Diesbezüglich ist derzeit nicht ersichtlich, dass bei einer – unterstellten - Rückkehr des unverfolgt ausgereisten Klägers nach Syrien mögliche Reaktionen der syrischen Behörden auf seine tatsächliche oder vermeintliche illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den Auslandsaufenthalt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund eines ihm (zugeschriebenen) Verfolgungsgrundes im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, insbesondere einer regimekritischen politischen Überzeugung, erfolgen würden. Nach der Rechtsprechung des schleswig-holsteinischen Oberverwaltungsgerichtes (Urteil vom 23.11.2016, - 3 LB 17/16 -, juris), der sich die Kammer anschließt, besteht nach der gegenwärtigen Erkenntnislage keine hinreichende Grundlage für die Annahme, dass der totalitäre syrische Staat jeden Rückkehrer pauschal unter eine Art Generalsverdacht stellt, der Opposition anzugehören (so auch OVG Saarland, Urteil vom 2.2.2017, - 2 A 515/16 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016, -1A 10922/16 -; Bayrischer VGH, Urteil vom 12.12.16, - 21 B 16.30364; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.2.2017, - 14 A 2316/16.A -; alle zitiert nach juris). Zwar ist davon auszugehen, dass zurückgeführte Personen bei ihrer Einreise über den Flughafen Damaskus zunächst durch die Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt befragt werden; es sind auch Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden sind (vgl. Auskunft der Botschaft Beirut, Referat 313 vom 3.2.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Auch nach den neuesten der Kammer vorliegenden Erkenntnissen, gibt es jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer grundsätzlich allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts und Asylantragstellung Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt wären (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 2.1.2017 an das Verwaltungsgericht Wiesbaden). Gegen die Annahme, sämtliche ausgereiste Syrer würden von Regierungsstellen als Oppositionelle und nicht als Kriegsflüchtlinge eingestuft, sprechen zudem sowohl die Dimension der Ausreisewelle (nach Angaben der UNHCR sollen rund 4,8 Millionen Menschen das Land verlassen haben, Stand August 2016) als auch die Praxis im Zusammenhang mit der Ausgabe von 800.000 Reisepässen, mit der das syrische Regime letztlich die Ausreise unterstützt hat (vgl. Auskunft des Bundesamtes für Flüchtlinge und Migration an das Verwaltungsgericht des Saarlandes vom 16.9.2016).

26

Eine andere Bewertung folgt auch nicht aus der vorgetragenen Befürchtung des Klägers, im Falle einer Rückkehr nach Syrien zum Militärdienst eingezogen zu werden. Zwar bestünde für ihn im Falle einer Rückkehr nach Syrien grundsätzlich die Gefahr, wegen Wehrdienstentziehung bestraft und zwangsweise von der syrischen Armee eingezogen zu werden. Die Frage, ob ihm damit angesichts dessen, dass der Militärdienst in der syrischen Armee möglicherweise Verbrechen oder Handlungen im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde, eine Verfolgungshandlung im Sinne § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG droht, kann jedoch vorliegend offen bleiben. Denn zur Überzeugung der Kammer besteht auf der Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung der derzeit verfügbaren Erkenntnismittel keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass die dem Kläger drohenden Maßnahmen in Anknüpfung an einen der in § 3 AsylG genannten Gründe- konkret einer als der Wehrdienstentziehung zugrunde liegend vermuteten politischen Opposition zum Regime - ergehen würden.

27

Im Hinblick auf die Heranziehung zum Wehrdienst fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten für eine entsprechende Auswahl anhand der in § 3 AsylG genannten Verfolgungsgründe; vielmehr rekrutiert die syrische Armee prinzipiell alle Männer unabhängig vom ethnischen und religiösen Hintergrund (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in der syrischen Armee vom 28.3.2015). Es liegen nach der derzeitigen Erkenntnislage auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass ein Auslandsaufenthalt und eine Asylantragstellung zu einer härteren Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung führen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 2.1.2017 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf).

28

Es ist auch nicht ersichtlich, dass einer möglichen Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung eine politische Motivation zugrunde liegen würde. Von einer derartigen politischen Motiviertheit wäre dann auszugehen, wenn dem Betroffenen wegen seiner Wehrdienstentziehung beachtlich wahrscheinlich eine an seine politische Überzeugung anknüpfende härtere Bestrafung als sonst üblich – ein sogenannter Politmalus (BVerfG, Beschluss vom 29. April 2009 – 2 BvR 78/08 –, juris, m. w. N.) – drohen würde. Hierfür liegen indessen keine zureichenden Anhaltspunkte vor.

29

Gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Falle bloßer Wehrdienstentziehung spricht bereits das erhebliche Mobilisierungsinteresse der syrischen Armee. Unter den fast fünf Millionen Flüchtlingen, die Syrien verlassen haben, dürften sich nach der Lebenserfahrung Hunderttausende junger Männer befinden, die noch nicht einberufen worden sind bzw. als Reservisten erneut eingezogen werden könnten. Jedenfalls hinsichtlich dieses Personenkreises dürfte es dem syrischen Staat in erster Linie darum gehen, die Betroffenen schnellstmöglich seiner notleidenden Armee zuzuführen. Diese Einschätzung wird gestützt durch Berichte, wonach zwar einige der Verhafteten zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen, andere indessen lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt werden (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in der syrischen Armee vom 28.3.2015). Hinzu kommt eine im Juli 2015 erlassene Generalamnestie, welche über Wehrdienstverweigerer hinaus sogar auch Deserteure erfasst hat (vgl. Zeit Online, Assad gehen die Soldaten aus, vom 26.7.2015).

30

Für bestimmte Gruppen erfolgen indes nach wie vor Freistellungen vom allgemeinen Militärdienst, etwa für Einzelkinder bzw. einzige Söhne einer Familie oder Schüler bzw. Studenten (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in der syrischen Armee vom 28.3.2015, Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 2.1.2017, Ziffer 3a). Zudem besteht für syrische Männer, die im Ausland leben, grundsätzlich noch immer die Möglichkeit, sich gegen Zahlung eines Geldbetrages von ca. 4.000 bis 5.000 US- Dollar vom Militärdienst freizukaufen (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in der syrischen Armee vom 28.3.2015, Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 2.1.2017, Ziffern 3a und 3n).

31

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Umstände ist es nach Überzeugung der Kammer nicht beachtlich wahrscheinlich, dass das syrische Regime durchgängig und ausnahmslos jeden, der sich weigert, seinen Militärdienst für den syrischen Staat abzuleisten, als „Verräter“ ansieht und ihm eine politisch oppositionelle Haltung unterstellt (so aber Bayrischer VGH, Urteil vom 12.12.2016, - 21 B 16.30372 -, juris). Das um seine Existenz kämpfende syrische Regime geht bekanntermaßen gegen (aus seiner Sicht) oppositionelle Personen allgemein mit äußerster Härte und mit menschenrechtswidrigen Mitteln vor (vgl. hierzu beispielhaft nur Amnesty International, Amnesty Report 2016 – Syrien). Im Gegensatz dazu sind im Hinblick auf Wehrdienstverweigerer zumindest teilweise nicht einmal die gesetzlich vorgesehenen Strafen verhängt bzw. vollstreckt worden (s. o.). Es wurde darüber hinaus sogar eine Generalamnestie erlassen. Dieses Vorgehen – welches erkennbar nicht dem sonst bekannten Umgang des syrischen Staates mit Oppositionelle entspricht - sowie die nach wie vor bestehende Möglichkeit, sich vom Wehrdienst freikaufen bzw. freistellen zu können, lassen es im Ergebnis unwahrscheinlich erscheinen, dass das Regime durchgängig allen Personen, die nicht bereit sind, auf seiner Seite zu kämpfen, pauschal eine Regimegegnerschaft zuschreibt. Dies dürfte im besonderen Maße auch für diejenigen gelten, die aus Syrien aufgrund des Bürgerkrieges – und damit zwangsläufig gleichzeitig auch vor der Einberufung durch die Armee – geflohen sind. Denn auch dem syrischen Regime dürfte letztlich bewusst sein, dass die Flucht in aller Regel nicht durch politische Gegnerschaft zum syrischen Staat motiviert ist, sondern durch die Angst vor den mit dem Krieg einhergehenden Gefährdungen für Leib und Leben.

32

Dass es im Rahmen des willkürlichen Agierens syrischer Sicherheitskräfte auch gegenüber Wehrdienstverweigerern mehreren Berichten zufolge zu Folter kommen kann (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in der syrischen Armee, vom 28.3.2015, Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an das OVG Schleswig-Holstein vom 8.11.2016) stellt zwar für die hiervon Betroffenen eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne des § 3 a AsylG dar. Es fehlt jedoch auch insoweit an zureichenden Anhaltspunkten dafür, dass diese wegen eines der in § 3 AsylG genannten Merkmale – konkret: der politischen Überzeugung des Betroffenen – erfolgt (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016, -1A 10922/16 -, juris). Allein die im Falle einer Rückkehr bestehende Gefahr der Folter oder unmenschlichen bzw. erniedrigende Behandlung ohne eine entsprechende Verknüpfung zu einem asylrelevanten Verfolgungsgrund führt jedoch als solche zur – auch im Falle des Klägers erfolgten – Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG).

33

Im Ergebnis bestehen unter Berücksichtigung all dieser Umstände letztlich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass Personen, die sich während des Bürgerkrieges dem Wehrdienst bzw. einer erneuten Einberufung entweder in Syrien selbst oder durch Flucht ins Ausland entzogen haben, bei ihrer Ergreifung allein aufgrund dieser Wehrdienstentziehung beachtlich wahrscheinlich eine regimegegnerische Haltung unterstellt würde und sie aus diesem Grunde eine über die gesetzlich vorgesehene Bestrafung für Wehrdienstentzug hinausgehende Verfolgung zu befürchten hätten (so auch OVG Saarland, Urteil vom 2.2.2017, - 2 A 515/16 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016, -1A 10922/16 -; VG Minden, Urteil vom 22.12.2016, - 1 K 5137/16.A -; VG Gießen, Urteil vom 23.11.2016, - 2 K 969/16.GI.A; alle zitiert nach juris).

34

Es ist auch nicht feststellbar, dass dem (unverfolgt ausgereisten) Kläger bei einer – unterstellten – Rückkehr in seinen derzeit von dem IS beherrschten Heimatort (im Anschluss an eine Wiedereinreise nach Syrien über Damaskus) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal i.S.d. §§ 3, 3b AsylG anknüpfende Verfolgungshandlungen durch einen nichtstaatlichen Akteur i.S.d. § 3c Nr. 3 AsylG drohen. Allein die Ausreise aus von nichtstaatlichen Akteuren wie dem IS beherrschten Gebieten rechtfertigt für sich genommen noch nicht die Annahme einer Verfolgungsgefahr und deren Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund nach dem Asylgesetz. Für die Annahme, dass oppositionelle Kräfte wie der IS unterschiedslos jeden der in ihre Gebiete Zurückkehrenden allein wegen seines Auslandsaufenthaltes oder gar aufgrund seiner bürgerkriegsbedingten Ausreise politisch verfolgen würden, liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte vor (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 24.1.2017, - 17 K 9400/16.A, juris).

35

Nach der aktuellen Erkenntnislage kann mangels Referenzfällen über die Situation von Rückkehrern in das IS-Gebiet über entsprechende Konsequenzen nur spekuliert werden; verlässliche Aussagen sind deshalb nicht möglich (vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 2.1.2017, Ziffer 1c und 2). Rein spekulative Erwägungen, wie die pauschale Annahme, der IS würde grundsätzlich jede Ausreise als „Desertieren“ interpretieren (vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 2.1.2017, Ziffer 1c), reichen jedoch nicht aus, um mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgung auszugehen (so auch VG Düsseldorf, Urteil vom 24.1.2017, - 17 K 9400/16.A, juris). Als gesicherte Erkenntnis gilt hingegen, dass der IS neben unmittelbaren Konfliktgegnern in erster Linie „Ungläubige“, insbesondere Jeziden, Christen oder Schiiten, als unmittelbare Gegner ansieht - darüber hinaus liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass Syrer, die dem IS nicht aktiv entgegentreten und sich seinen (islamistischen) Regeln unterwerfen, mit einer Verfolgung i.S.d. §§ 3a, 3b AsylG zu rechnen haben (VG Chemnitz, Urteil vom 29.4.2016, - 5 K 725/16.A, juris, m. w. N.). Der Kläger gehört weder einer der Gruppen an, die der IS als unmittelbare Gegner ansieht noch hat er vorgetragen, ihm aktiv entgegengetreten zu sein.

36

Nach alledem hat die Beklagte dem Kläger zu Recht (nur) subsidiären Schutz gewährt.

37

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG.

38

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO


Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 16. August 2016 – 12. Kammer, Einzelrichter – geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Feststellungsklage wird ebenfalls abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger sind syrische Staatsangehörige, arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischer Glaubensrichtung. Sie begehren ihre Anerkennung als Flüchtling im Sinne von § 3 AsylG bzw. der Genfer Flüchtlingskonvention.

2

Die Kläger zu 1) bis 5) reisten nach eigenen Angaben am 24. November 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Der Kläger zu 6) wurde am 4. Mai 2016 in … geboren. Die Kläger stellten am 7. Juli 2016 einen Asylantrag. Die persönlichen Anhörungen des Klägers zu 1) sowie der Klägerinnen zu 2) und 3) fanden am gleichen Tag statt.

3

Der im Jahr 1974 geborene Kläger zu 1) gab zur Begründung seines Asylantrags an, dass er bis zu seiner Ausreise im Jahr 2013 mit seiner Familie in Damaskus gelebt habe. Im Juli 2013 sei er in den Irak gegangen, da er dort eine Arbeit gefunden habe. Im November 2013 sei seine Frau, die Klägerin zu 2), nachgereist. In den Jahren 1995 bis 1997 habe er seinen Wehrdienst abgeleistet. Mitglied in einer nichtstaatlichen, bewaffneten Gruppierung oder in einer sonstigen politischen Organisation sei er nicht gewesen. Durch den Krieg habe er seine Arbeit und die Familie ihr Haus verloren. Es gebe keine Sicherheit mehr in Syrien. Bei einer Rückkehr befürchte er, sofort zum Militär eingezogen zu werden und kämpfen zu müssen. Eine Einberufung hätte er noch nicht erhalten. Vor der Ausreise sei ihm persönlich nichts passiert.

4

Die im Jahr 1983 geborene Klägerin zu 2) trug zur Begründung ihres Fluchtschicksals vor, dass die Familie Syrien verlassen hätte, da die Gegend, in der sie wohnten, von Rebellen angegriffen worden sei. Um die Rebellen zurückzudrängen, hätte die syrische Regierung die Gegend dann bombardiert. Bei einer Rückkehr nach Syrien fürchte sie um ihre Sicherheit, da noch immer Krieg herrsche. Sie habe auch Angst um ihren Mann, da dieser als Soldat eingezogen werden könnte. Vor der Ausreise sei ihr persönlich nichts passiert.

5

Die im Jahr 2002 geborene Klägerin zu 3) gab an, dass es in Syrien nicht mehr sicher gewesen sei. Vor der Ausreise sei ihr persönlich nichts passiert.

6

Mit Bescheid vom 16. August 2016 erkannte die Beklagte die Kläger als subsidiär Schutzberechtigte an und lehnte die Asylanträge im Übrigen ab.

7

Mit ihrer am 29. August 2016 erhobenen Klage haben die Kläger geltend gemacht, im Falle einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen betroffen zu sein. Der Kläger zu 1) hätte zwar keinen Einberufungsbescheid erhalten. Dies sei bei den Regierungsverhältnissen in Syrien auch nicht mehr erforderlich. Man schnappe sich im wehrfähigen Alter befindliche Männer und nehme sie in die Armee auf.

8

Die Kläger haben beantragt,

9

die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 16. August 2016 dahingehend abzuändern, dass den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird.

10

Die Beklagte hat beantragt,

11

die Klage abzuweisen.

12

Mit Gerichtsbescheid vom 5. September 2016 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen und den Bescheid vom 16. August 2016 aufgehoben, soweit er dem entgegensteht. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kläger sich unabhängig davon, ob sie vorverfolgt aus Syrien ausgereist seien, auf beachtliche Nachfluchtgründe berufen könnten. Der syrische Staat sehe gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfungspunkt und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System an. Auch die steigende Zahl an Flüchtlingen aus Syrien habe nicht zur Folge, dass der einzelne, sich im westlichen Ausland aufhaltende Flüchtling aufgrund dieses Massenphänomens nicht mehr als potentieller politischer Gegner des Regimes angesehen werde. Unter den derzeitigen Umständen habe jeder sich im westlichen Ausland aufhaltende Syrer im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an seine vermutete oppositionelle Gesinnung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen. Die obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte bei der Rückkehr knüpfe an die vom Staat unterstellte politische Überzeugung an. Den Klägern stehe keine sichere, innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Es bestehe nur die Möglichkeit einer Einreise über den von syrischen Regierungskräften kontrollierten Flughafen von Damaskus.

13

Zur mit Beschluss vom 7. Dezember 2017 zugelassenen Berufung trägt die Beklagte Folgendes vor: Die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte Quellenlage ließe sich hinsichtlich der Frage, ob bei Konstellationen der vorliegenden Art die nötige Anknüpfung an ein Verfolgungsmerkmal bzw. ob ein „Politmalus“ feststellbar sei, unterschiedlich interpretieren. Rückkehrer unterlägen zwar allgemein der Gefahr der Folter oder unmenschlicher Behandlung. Es gebe jedoch keine gesicherten Anhaltspunkte dafür, dass abgeschobenen Rückkehrern grundsätzlich ungeachtet besonderer persönlicher Umstände oppositionelle Tätigkeit unterstellt werde und die Befragungen und damit teilweise einhergehende Misshandlungen in Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal erfolgten. Vielmehr beschränkten sich die zur Verfügung stehenden Auskünfte auf die Schilderung von Einzelfällen, aus denen sich für die Motivation des syrischen Staates – ungeachtet des Unrechtsgehalts dieses staatlichen Handelns – nichts ableiten lasse. Eine vorherige Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien deshalb für sich allein kein Grund für Verhaftung oder Repressalien.

14

Die Beklagte beantragt,

15

den Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 12. Kammer, Einzelrichter – vom 16. August 2016 abzuändern und die Klage abzuweisen.

16

Die Kläger beantragen,

17

1. Die Berufung der Beklagten, soweit es den Kläger zu 1) betrifft, zurückzuweisen;

18

2. für die Kläger zu 2) bis 6) festzustellen, dass sie in die Flüchtlingseigenschaft des Klägers zu 1) einzubeziehen sind.

19

Die Kläger tragen zur Begründung vor, die 12. Kammer des Verwaltungsgerichts habe in späteren Entscheidungen nur die Verfolgungsgefahr für Erwachsene und nicht für Kinder gesehen. Zutreffend habe das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 23. November 2016 (3 LB 17/16) die Flüchtlingseigenschaft einer Frau verneint. Angesichts der großen Zahl von Flüchtlingen könne nicht davon ausgegangen werden, dass das Regime jeden Erwachsenen durch seine Flucht und Asylantragstellung im Ausland als zu verfolgenden Staatsfeind ansehe. Dies gelte jedoch nicht für den Kläger zu 1). Dieser befürchte zu Recht, erneut als Reservist zum Wehrdienst einberufen zu werden. Insoweit würden die Feststellungen des Baden-Württembergischen Verwaltungsgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 2. Mai 2017 (A 11 S 562/17) auch für den Kläger zu 1) gelten. Wehrpflichtige müssten befürchten, festgenommen, gefoltert und in Armeegefängnisse eingewiesen zu werden. Wehrpflichtigen, die vor allem in das westliche Ausland geflüchtet sind, mache man den Vorwurf, nicht an der Verteidigung des Regimes mitzuwirken. Der Kläger zu 1) komme sowohl wegen seiner militärischen Vorerfahrung durch den abgeleisteten Wehrdienst als auch altersmäßig für eine Einberufung in die Armee in Betracht. Er habe sich dieser Einberufung durch Flucht entzogen und würde als Regimegegner angesehen werden.

20

Der Kläger zu 1) ist in der mündlichen Verhandlung vom Senat ergänzend informatorisch angehört worden.

Entscheidungsgründe

21

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, so dass der Gerichtsbescheid zu ändern war. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG (I.). Der erstmals im Berufungsverfahren gestellte Feststellungsantrag der Kläger zu 2) bis 6) ist unzulässig (II.).

22

Der Senat hat, soweit es um die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG geht, im Rahmen des Berufungsverfahrens über die gesamte Klage der Kläger zu 1) bis 6 ) zu entscheiden. Mit der geänderten Antragstellung begehren die Kläger zu 2) bis 6) zwar nicht mehr die Anerkennung als Flüchtlinge gemäß § 3 AsylG, sondern die Gewährung des sogenannten Familienflüchtlingsschutzes nach § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2, Abs. 1 und 2 AsylG. Bei dem zusätzlich zum Zurückweisungsantrag für den Kläger zu 1) gestellten Feststellungsantrag für die Kläger zu 2) bis 6) handelt es sich insoweit um eine Klageänderung im Sinne von § 91 Abs. 1 VwGO (vgl. Ortloff/ Riese, in: Schoch/ Schneider/ Bier, VwGO, Stand: Juni 2017, § 91 Rn. 21 m.w.N.). Wegen der Zulässigkeit der Klageänderung wird auf die Ausführungen unter II. verwiesen.

23

Die geänderte Antragstellung führt jedoch zu keiner wirksamen Änderung des Streitgegenstandes hinsichtlich des Anspruchs der Kläger auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Es kann insoweit dahinstehen, ob es sich bei dieser Klageänderung um eine sogenannte verstecke Klagerücknahme gemäß § 92 Abs. 1 VwGO handelt, zumal der Berufungsantrag der Beklagten insoweit unerwidert geblieben ist. Denn eine Klagerücknahme wäre mangels Einwilligung der Beklagten nicht wirksam geworden. Bei einer Klagerücknahme in der Rechtsmittelinstanz ist stets die Einwilligung der Beklagten erforderlich, ohne dass es darauf ankommt, ob in der Vorinstanz durch Urteil (mit oder ohne mündliche Verhandlung) oder durch Gerichtsbescheid entschieden worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. März 1990 – 5 B 16.90 – juris, Rn. 4 m.w.N.; Clausing, in: Schoch/ Schneider/ Bier, VwGO, Stand: Juni 2017, § 92 Rn. 28 m.w.N.).

24

Die Beklagte hat weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung eine solche Einwilligung erteilt. Eine wirksame Einwilligung enthält auch nicht die allgemeinen Prozesserklärung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. Juni 2017 (Az. 234 – 7604/1.17). Die dortigen Erklärungen gelten nur für Verfahren vor den Verwaltungsgerichten. Für Verfahren vor den Oberverwaltungsgerichten und Verwaltungsgerichtshöfen werden vielmehr im Einzelfall sachgerechte Prozesserklärungen abgegeben.

25

I. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG. Nach § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründen) außerhalb des Landes (Herkunftslands) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

26

Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG kann als eine solche Verfolgung insbesondere die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt gelten. Als Verfolgung kann gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 3 AsylG auch eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten. Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind u. a. gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen.

27

Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Erforderlich ist ein gezielter Eingriff, wobei die Zielgerichtetheit sich nicht nur auf die durch die Handlung bewirkte Rechtsgutsverletzung selbst bezieht, sondern auch auf die Verfolgungsgründe, an die die Handlung anknüpfen muss. Maßgebend ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit die Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 – 10 C 52.07 – juris, Rn. 22, 24). Die Schwere des befürchteten Eingriffs kann dabei je nach Einzelfall, insbesondere im Zusammenhang mit willkürlich handelnden Staatsmächten, nur bedingt Erkenntnisse zur Gerichtetheit der Verfolgung geben. Dabei entspricht die zunächst zum nationalen Recht entwickelte Rechtsdogmatik zur Frage der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ auch dem neueren europäischen Recht, welches hierfür den Begriff des „real risk“ verwendet (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 – juris, Rn. 22 m.w.N.).

28

Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 – juris, Rn. 19). Der danach relevante Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Zu bewerten ist letztlich, ob aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint; insoweit geht es also um die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat (BVerwG, Urteil vom 6. März 1990 – 9 C 14.89 – juris, Rn. 13). Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. Ergeben die Gesamtumstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung, wird ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert (BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 – 9 C 118.90 – juris, Rn. 17). Auch in solchen Fällen müssen aber die festgestellten Verfolgungsfälle nach Intensität und Häufigkeit zur Größe der Zahl der Verfolgten als ins Gewicht fallend angesehen werden können, wenn das Anknüpfungsmerkmal für eine mögliche Verfolgung auf eine Vielzahl von Personen zutrifft (hier: Asylantragstellung und Aufenthalt im westlichen Ausland bzw. Entziehung vor Einberufung bzw. Wehrdienstverweigerung); es muss dann also – vergleichbar einer Gruppenverfolgung – eine entsprechende Verfolgungsdichte vorliegen. Hiervon kann nur dann abgesehen werden, wenn ein staatliches Verfolgungsprogramm besteht, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht und das deshalb hinreichend wahrscheinlich eine Verfolgung erwarten lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Februar 2010 – 10 B 18.09 – juris, Rn. 2 m.w.N.; vgl. zu den Prognosegrundsätzen bei gruppengerichteten Verfolgungen: Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 2009, § 27).

29

Beim Flüchtlingsschutz gilt für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU (ABl. L 337/9) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 2012 – 10 C 7.11 – juris, Rn. 12).

30

Das gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, nicht durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Verfolgungshandlungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 – juris, Rn. 23). Dabei gilt als vorverfolgt, wer seinen Heimatstaat entweder vor eingetretener oder vor unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat (vgl. BVerwG, Urteil 14. Dezember 1993 – 9 C 45.92 – juris, Rn. 8).

31

1. Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Furcht der Kläger vor einer Verfolgung wegen eines flüchtlingsrechtlich relevanten Grundes unbegründet.

32

Zu bewerten ist allein eine Verfolgung durch den syrischen Staat. Auf eine solche stellen auch die Kläger ausschließlich ab. Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist der tatsächliche Zielort des Ausländers bei seiner Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15.12 – juris, Rn. 13 ff. m.w.N.). Dabei ist auch zu prüfen, ob der Ausländer seinen Herkunftsort gefahrlos erreichen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Februar 1993 – 9 C 31.92 – juris, Rn. 9). Unabhängig davon, unter wessen Kontrolle der Heimatort der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung steht, ist der in der Nähe von Damaskus gelegene Heimatort nur über einen Reiseweg bzw. über Gebiete erreichbar, die vom syrischen Regime kontrolliert werden. Dies gilt in erster Linie für eine – hypothetische – Rückführung der Kläger, die derzeit allein über eine Flugverbindung denkbar ist. Insoweit kommt nach aktuellem Erkenntnisstand nur Damaskus in Betracht (vgl. Auswärtiges Amt [AA], Auskunft vom 12. Oktober 2016 an VG Trier zu den beiden allein geöffneten Flughäfen Damaskus und dem im Kurdengebiet gelegenen Qamishly. Daneben soll auch noch der unter Kontrolle des syrischen Regimes stehende Flughafen Latakia für internationale Flüge offen stehen, vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH] vom 21. März 2017, Syrien: Rückkehr, S. 6.). Dies gilt aber auch für eine (legale) Rückkehr auf einem anderen Reiseweg. Nach der aktuellen Auskunftslage werden Damaskus selbst und die Region um Damaskus fast ausschließlich vom syrischen Regime kontrolliert (siehe kartographische Darstellungen bei Spiegel Online, Assad zielt ins Herz der Revolution, Karte Stand 12. April 2018,und Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA] Länderinformationsblatt Syrien vom 25. Januar 2018, S. 12). Auch die vereinzelten noch von den syrischen Rebellen-Milizen kontrollierten Bereiche werden danach ausschließlich von Gebieten umschlossen, die unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehen.

33

2. Die Kläger zu 1) bis 5) sind nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Die Kläger zu 1) bis 3) haben bei ihren persönlichen Anhörungen angegeben, dass sie vor ihrer Ausreise keine Probleme in Syrien gehabt hätten und allein wegen der Auswirkungen des seit 2011 anhaltenden Bürgerkrieges ausgereist seien. Den Klägern drohte vor der Ausreise auch keine unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung wegen ihrer Religionszugehörigkeit oder regionalen Herkunft, siehe sogleich unter 3. b). Eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung des Klägers zu 1) ergibt sich zudem nicht aus dem Umstand, dass er als Reservist für den Wehrdienst in der syrischen Armee herangezogen werden könnte. Wegen der insoweit relevanten rechtlichen Maßstäbe wird auf die nachfolgenden Ausführungen zu 3. c) Bezug genommen. Der Kläger zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung zudem angegeben, dass er, seitdem er sich im Jahre 2002 vom weiteren Wehrdienst „freigekauft“ habe und bis zu seiner Ausreise im Jahr 2013 nicht mehr vom Militär angesprochen worden sei.

34

3. Eine Flüchtlingsanerkennung der Kläger kommt nicht wegen Ereignissen und einer damit einhergehenden Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG in Betracht, die eingetreten sind, nachdem sie ihr Herkunftsland verlassen haben (vgl. § 28 Abs. 1a AsylG, sog. Nachfluchttatbestände). Die Kläger können sich zur Begründung der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht auf die illegale Ausreise und/ oder den längeren Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung berufen (a). Bei ihnen liegen auch weder im Hinblick auf ihre Glaubenszugehörigkeit noch wegen ihrer Herkunft aus einem Gebiet, das unter der Kontrolle von Oppositionellen steht bzw. gestanden hat, risikoerhöhende Umstände vor (b). Für den Kläger zu 1) ergibt sich eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr auch nicht aus dem Umstand einer etwaigen Wehrdienstentziehung (c). Selbst wenn man alle Umstände im Rahmen einer Gesamtwürdigung gemeinsam betrachtet, ergibt sich nichts Abweichendes (d).

35

a) Die Begründung des Verwaltungsgerichts, dass allein der Aufenthalt der Kläger im westlichen Ausland und die Asylantragstellung in der Bundesrepublik vom syrischen Staat als Ausdruck einer regimefeindlichen Gesinnung angesehen werde und die Kläger im Falle einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aus diesem Grund mit Verfolgungshandlungen rechnen müssten, wird vom Senat angesichts der aktuellen Erkenntnislage und weiterer Erwägungen nicht geteilt und rechtfertigt daher die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht.

36

Unter Beachtung der vorgenannten Maßstäbe ist bei der Prüfung danach zu differenzieren, ob einem Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungshandlung droht und – falls dies bejaht wird – zwischen der Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund (hier: politische Überzeugung wegen einer vermeintlich oppositionellen Einstellung gegenüber dem syrischen Regime) eine Verknüpfung besteht. Für beides fehlt es an hinreichend gesicherten Erkenntnissen.

37

Das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht hat bereits mit Urteil vom 23. November 2016 (3 LB 17/16, juris) entschieden, dass nach der gegenwärtigen Erkenntnislage keine hinreichende Grundlage für die Annahme besteht, dass der totalitäre Staat Syrien jeden Rückkehrer, auch solche, die ihr Land unverfolgt verlassen haben, pauschal unter eine Art Generalverdacht stellt, der Opposition anzugehören. Im Einzelnen hat der 3. Senat hierzu Folgendes ausgeführt:

38

„In diesem Sinne sind auch die vom Verwaltungsgericht angestellten Erwägungen, die sich im Wesentlichen auf Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte/ Verwaltungsgerichtshöfe sowie auf die vom Verwaltungsgericht Regensburg herangezogenen „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (November 2015, Asyldokumentation Nr. 598b) beziehen, nicht geeignet, konkrete Anhaltspunkte für eine - pauschal alle Rückkehrer betreffende - Rückkehrgefährdung anzunehmen. Nach den Erwägungen des UNHCR kann aus Syrien ausgereisten syrischen Staatsangehörigen Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die diesen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt wird, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliert, aus denen die Betroffenen stammen. Diese Einschätzung ist jedoch nicht ausreichend für die Annahme, allen aus Syrien ausgereisten Flüchtlingen würde mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Wiedereinreise asylrelevante Verfolgung drohen.

39

(…)

40

Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage ist zur Überzeugung des Senats nicht davon auszugehen, dass die Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen seitens des syrischen Staates bei einer Rückkehr in ihr Heimatland zu rechnen hätte. (…) Der Senat geht davon aus, dass angesichts der erheblichen Zahl der insbesondere im vergangenen Jahr aus Syrien ausgereisten Menschen (knapp 430.000 Flüchtlinge, vgl. ZEIT ONLINE vom 8. Juni 2016, Asyldokumentation Nr. 599c, und Mediendienst-Integration, Stand: 1. August 2016, Asyldokumentation Nr. 599e) auch dem syrischen Staat bekannt sein dürfte, dass - wie die Klägerin - die weit überwiegende Anzahl der Flüchtenden aus Angst vor dem Bürgerkrieg und den daraus resultierenden Folgen ihr Heimatland verlassen haben. Allein die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der Auslandsaufenthalt stellen daher keine Anzeichen für politische Gegnerschaft zum syrischen Regime dar (so auch Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - 14 A 1852/16.A -, juris Rn. 18). Diese Einschätzung deckt sich mit der gegenwärtig vorliegenden Auskunftslage, wonach auf Ebene der Bundesregierung keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass Rückkehrer allein aufgrund ihres vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sind. Ebenfalls liegen keine Erkenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien vor (Auswärtiges Amt, Auskunft an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht vom 7. November 2016, Asyldokumentation Nr. 602). In Übereinstimmung hiermit steht eine Auskunft des Deutschen Orient-Instituts (vom 8. November 2016 an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht, Asyldokumentation Nr. 603), wonach die syrische Regierung, nachdem in beinahe allen Landesteilen im Frühjahr 2011 Proteste und Unruhen ausgebrochen waren, die Kontrolle über größere Teile des Staatsgebiets verloren hat. Danach werden im Osten nach wie vor weiter besiedelte Gebietsteile durch den sogenannten Islamischen Staat kontrolliert. Die Grenzregionen zu Jordanien und der Türkei werden von verschiedenen oppositionellen Rebellengruppen beherrscht; der mehrheitlich kurdische Teil Syriens, besonders im Norden und Nordosten, hat sich selbst zu föderalen Provinzen erklärt. Die Gebiete zwischen den größten Städten im Westen des Landes (vor allem Damaskus und Umland, Hama, Homs, Aleppo und mit Abstrichen auch Latakia) werden durch verschiedene Gruppierungen oder die Regierung kontrolliert. Die Grenzziehung zwischen diesen Zonen unterliegt einer stetigen Veränderung der Frontverläufe und Kontrolle. Befragungen oder Verfolgung durch die syrische Regierung sind also derzeit zunächst nicht in allen Landesteilen realistisch.“

41

Die Einschätzung des 3. Senats ist auch in Anbetracht der seit der Entscheidung eingetretenen Entwicklungen in Syrien sowie den hierzu veröffentlichen Auskünften und Stellungnahmen zutreffend und wird vom erkennenden Senat geteilt.

42

Dass Rückkehrer (gegenwärtig nur aus dem arabischen Raum, zu dem noch Flugverbindungen bestehen) am Flughafen von Damaskus und ggf. Latakia intensiven Kontrollen ausgesetzt sind und dass Personen, bei denen der Verdacht besteht, dass diese gegen das Assad-Regime eingestellt sind oder oppositionell aktiv gewesen sind, den Flughafen nicht wie beabsichtigt wieder verlassen können und ihnen Folter oder andere gravierende Misshandlungen drohen, wird allgemein angenommen und dürfte hinreichend gesichert sein (siehe OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018 – 1 Bf 81/17.A – juris, Rn. 51; OVG Lüneburg, zuletzt mit Beschluss vom 22. Februar 2018 – 2 LB 1789/17 – juris, Rn. 57, jeweils m.w.N.; BFA vom 25. Januar 2018, S. 81 ff. m.w.N.)

43

Im Hinblick auf die bestehende Erkenntnislage wird jedoch unterschiedlich beurteilt, ob grundsätzlich allen Personen wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung oder längerem Aufenthalt im westlichen Ausland bei einer Rückkehr nach Syrien eine (Verfolgungs-)Handlung i.S.d. § 3a AsylG – hier: Befragung mit der konkreten Gefahr einer Verhaftung und/ oder einer schwerwiegenden Misshandlung bis hin zur Folter und willkürlichen Tötung – mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (die Gefahr einer Verfolgungshandlung verneinend: VGH München, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 B 16/30338 – juris, Rn. 70 ff.; OVG Münster, Urteil vom 21. Februar 2017 – 14 A 2316/16 – juris, Rn. 35-44; OVG Hamburg, a.a.O., Rn. 52; aufgrund von Zweifeln eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungshandlung verneinend: OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 44; Beschluss vom 12. September 2017 – 2 LB 750/17 – juris, Rn. 40; zweifelnd, aber offen gelassen: OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 48 ff.; OVG Saarlouis, Urteil vom 2. Februar 2017 – 2 A 515/16 – juris, Rn. 22 f., vom 11. März 2017 – 2 A 215/27 – juris, Rn. 23 f.; die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung bejahend: OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018 – 2 LB 194/17 – juris, Rn. 36; so wohl auch OVG, Bautzen, Urteil vom 7. Februar 2018 – 5 A 1245/17 – juris, Rn. 22).

44

Der Senat hat zumindest erhebliche Zweifel daran, ob die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG auf die zur Verfügung stehende Erkenntnislage gestützt werden kann (vgl. zu den unterschiedlichen Auffassungen über die Bestimmung des Prognosemaßstabs OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Februar 2018, a.a.O. und OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018, a.a.O.).

45

Über die Behandlung von Rückkehrern nach Syrien liegen beispielsweise dem UNHCR (Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien, von Februar 2017, deutsche Übersetzung von April 2017, S. 5) „kaum konkrete Informationen“ vor. In der benannten Stellungnahme des UNHCR heißt es nachfolgend zu dieser Feststellung:

46

„Quellen zufolge werden Personen an der Grenzübergangsstelle (Landgrenze, Flughafen) bei ihrer Einreise untersucht, um festzustellen, ob sie im Zusammenhang mit sicherheitsbezogenen Vorfällen (wie Straftaten, tatsächliche oder vermeintliche regierungsfeindliche Aktivitäten oder Ansichten, Kontakte zu politischen Oppositionellen im Ausland, Einberufung etc.) gesucht werden.

47

Personen, deren Profil irgendeinen Verdacht erregt, insbesondere aus den unter den Risikoprofilen unten beschriebenen Gründen, sind Berichten zufolge dem Risiko einer längeren incommunicado Haft und Folter ausgesetzt. Es wird berichtet, dass für Rückkehrer außerdem das Risiko besteht, inhaftiert zu werden, weil Familienmitglieder von den Behörden gesucht werden, weil sie ihren Militärdienst nicht geleistet haben, weil sie aus einem Gebiet stammen, das sich unter der Kontrolle der Opposition befindet oder weil sie aufgrund ihrer konservativen Kleidung als religiös wahrgenommen werden. Andere werden, wie berichtet wird, ohne bestimmten Grund entsprechend der weit verbreiteten Willkür und des Machtmissbrauchs durch Sicherheitsbeamte inhaftiert und misshandelt.“

48

Dem Auswärtigen Amt liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass unverfolgt Ausgereiste nach Rückkehr systematisch befragt werden und dass Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sind (AA vom 7. November 2016 an OVG Schleswig zu Az. 3 LB 17/16). Es gebe Berichte über Befragungen des syrischen Regimes nach einer Rückkehr aus dem Ausland. Zum Inhalt derartiger Befragungen könnten keine Aussagen gemacht werden. Zu einer systematischen Anwendung von schwerwiegenden Eingriffen in die Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit oder physische Freiheit bei derartigen Befragungen lägen keine Erkenntnisse vor. Es sei jedoch bekannt, dass die syrischen Sicherheitsdienste de facto im rechtsfreien Raum agierten und im Allgemeinen Folter in größerem Maßstab anwendeten (AA vom 2. Januar 2017 an VG Düsseldorf zu Az. 5 K 7221/16 A, S. 2 f.). Vielmehr seien dem Auswärtigen Amt Fälle bekannt, in denen syrische Staatsangehörige nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus dem Bundesgebiet für mehrere Monate nach Syrien zurückgekehrt seien (AA vom 2. Januar 2017, a.a.O., S. 5).

49

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe führt ebenfalls aus, dass Informationen über Rückkehrerinnen und Rückkehrer seit dem Ausbruch des Krieges 2011 sehr limitiert seien (SFH vom 21. März 2017, S. 6 m.w.N.). Es gebe auch kaum Informationen und aufgearbeitete Einzelfälle zur Behandlung von abgewiesenen Asylsuchenden bei ihrer Rückkehr (SFH, a.a.O., S. 9). Gleichwohl führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe nachfolgend aus (S. 10), dass prinzipiell davon ausgegangen werden müsse, dass jede Person, die nach Syrien zurückkehrt, verhaftet und misshandelt werden könne. Nachfolgend werden unter wesentlicher Bezugnahme auf die Ausführungen einer Auskunft des Immigration and Refugee Board of Canada (IRB) vom 19. Januar 2016 Personengruppen benannt, die bei einer Einreise als besonders gefährdet gelten würden. Bezüglich der Bewertung der vom IRB angeführten Quellen und deren Aussagen durch den Senat wird auf die nachfolgenden Ausführungen (weiter unten, ab Seite 21) verwiesen. Des Weiteren würden nach Angaben eines Direktors einer Nichtregierungsorganisation in einem Interview mit der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 7. Dezember 2016 Asylsuchende bei einer Einreise nach Syrien verhaftet und misshandelt (SFH, a.a.O, S. 11). Konkrete belegte Fälle werden jedoch nicht geschildert. Ferner enthält die Aussage keine Angaben zur quantitativen Dimension von Misshandlungen bei rückkehrenden Asylsuchenden.

50

Zweifel an der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung wegen der Ausreise aus Syrien und einer eventuellen Asylantragstellung im Ausland ergeben sich zudem aus der ständig gestiegenen Zahl der in den letzten Jahren aus Syrien Geflohenen. Nach Angaben des UNHCR (Situation Syria Regional Refugee Response, abgerufen am 28. März 2018 und Mitteilung vom 9. März 2018) wurden seit 2011 insgesamt mehr als 5,6 Millionen Syrer als Flüchtlinge in den Ländern Türkei (3,567 Mio.), Libanon (ca. 1 Mio.), Jordanien (ca. 659 T.), Irak (ca. 248 T.), Ägypten (ca. 128 T.) und in Nordafrika (ca. 33 T.) registriert. Hinzu kommen circa 970.000 syrische Flüchtlinge, die bis Mitte 2017 ins westliche Europa geflüchtet sind (vgl. UNHCR, November 2017, S. 24), hiervon allein bis November 2017 700.000 nach Deutschland (vgl. https://mediendienst-integration.de/migration/flucht-asyl/syrische-fluechtlinge.html, abgerufen am 28. März 2018). Bei dieser Zahl von Flüchtlingen im Ausland handelt es sich im Vergleich zur Bevölkerungszahl von rund 21 Millionen im Jahr 2010 (Quelle: Weltbank, https://data.worldbank.org/indicator/SP.POP.TOTL?locations=SY&name_desc=false, abgerufen am 28. März 2018) um mehr als ein Viertel der Bevölkerung Syriens.

51

Der Senat hält in diesem Zusammenhang das in der obergerichtlichen Rechtsprechung formulierte Argument, dass angesichts dieser Zahlen bei realitätsnaher Betrachtung nicht von einem bei jedem Rückkehrer in gleicher Weise bestehenden Risiko von Inhaftierung, Misshandlung oder Folter ausgegangen werden dürfte, für zutreffend und schließt sich dem an. Dem syrischen Regime dürfte sich bei der hohen Zahl von Flüchtlingen aufdrängen, dass es sich hierbei weit überwiegend um Bürgerkriegsflüchtlinge handelt (so beispielsweise auch OVG Münster, a.a.O. Rn. 66; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 52).

52

Weitere Zweifel an der beachtlich wahrscheinlichen Verfolgung jedes Rückkehrers bzw. einer signifikanten Größenordnung von Rückkehrern ergeben sich zudem aus der nicht geringen Zahl freiwilliger Rückkehrer aus dem Ausland. So sollen im August 2015 mehrere tausend Personen über die syrisch-jordanische Grenze und im Juli 2015 rd. 2300 Personen aus dem Irak zurückgekehrt sein (vgl. SFH vom 21. März 2017, S. 4; Deutsches Orient Institut [DOI], Auskunft an VGH Mannheim vom 22. Februar 2017; DOI, Auskunft an VGH Kassel vom 1.2.2017, S. 1). Andere Berichte (vgl. IRB vom 19. Januar 2016, S. 2) gehen davon aus, dass „Hunderttausende von Flüchtlingen jedes Jahr nach Syrien reisen, meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, um Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in benachbarte Länder einreisen“. Nach Angaben des UNHCR (Mitteilung vom 30. Juni 2017) seien seit 2015 insgesamt 260.000 syrische Flüchtlinge aus den angrenzenden Nachbarländern nach Syrien zurückgekehrt, davon die meisten aus der Türkei in den Norden Syriens; im 1. Halbjahr 2017 seien 31.000 Syrer aus den angrenzenden Nachbarländern nach Syrien zurückgekehrt. Laut der International Organization for Migration (IOM) seien zwischen Januar und Juli 2017 602.759 vertriebene Syrer in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. 93 Prozent davon seien Binnenvertriebene und sieben Prozent seien aus der Türkei, dem Libanon, Jordanien und dem Irak nach Syrien zurückgekehrt (zitiert nach BFA, Länderinformationsblatt vom 25. Januar 2018, S. 81 f.). Unter Zugrundelegung der Zahlen der IOM kehrten demnach im ersten Halbjahr 2017 ca. 42.000 Personen aus den angrenzenden Staaten nach Syrien zurück.

53

Die jedenfalls vielfach beobachtete Land-Einreise über die Staatsgrenzen (u.a. aus Jordanien, Irak, Türkei) lässt zwar keine zwingenden Rückschlüsse auf die Umstände einer (offiziellen) Einreise über den für Rückkehrer derzeit vor allem in Betracht zu ziehenden Flughafen Damaskus zu. Sie zeigt aber, dass diese Personen trotz der vorherigen Flucht das Risiko einer Rückkehr auf sich genommen haben und stellt ein Indiz im Rahmen der Gesamtbetrachtung dar.

54

Einige Erkenntnisquellen weisen zwar auf eine große Anzahl verschwundener und in der Regel unter Misshandlungen getöteter Syrer hin (z.B. AA, Ad hoc-Bericht vom 17. Februar 2012, S. 7 ff., erwähnt eine präzedenzlose Verhaftungswelle anlässlich der Protestbewegung von März 2011, Menschenrechtsverteidiger hätten die Zahl der Verschwundenen und Verhafteten damals auf circa 40.000 geschätzt, die syrische Plattform Violations Documentation Centre habe damals namentlich ca. 19.400 Haftfälle belegt; vgl. zu den Angaben von Amnesty International [AI] für die Jahre 2011 bis 2015: OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 49). Diesen Quellen lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass darunter in beachtlicher Zahl auch rückkehrende Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem (westlichen) Ausland waren.

55

Selbst wenn man aber eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a AsylG bejahte, fehlt es zumindest an der beachtlichen Wahrscheinlichkeit bezüglich der nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung der Verfolgungshandlung mit einem Verfolgungsgrund.

56

Die zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen lassen einen hinreichend gesicherten Schluss auf das Bestehen der notwendigen Verknüpfung nicht zu. Für den Senat ist nicht feststellbar, dass das syrische Regime mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit jedem unverfolgt für längere Zeit ausgereisten syrischen Staatsbürger, der im Ausland ein Asylverfahren betrieben hatte und wieder zurückkehrt, pauschal unterstellt, ein Regimegegner zu sein bzw. in Verbindung mit oppositionellen Kreisen im Exil zu stehen, sofern nicht besondere, individuelle gefahrerhöhende Merkmale vorliegen (wie hier im Ergebnis auch: OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 54 ff.; OVG Saarlouis, Urteile vom 2. Februar 2017 – 2 A 515/16 – juris und vom 17. Oktober 2017 – 2 A 365/17 – juris, Rn. 22 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. September 2017 – 2 LB 750/17 – juris; VGH Mannheim, Urteil vom 9. August 2017 – A 11 S 513/17 – juris, Rn. 42 ff.; OVG Schleswig, a.a.O.; VGH München, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 B 16.30338 – juris; OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018 – 1 Bf 81/17.A – juris, Rn. 63 ff.; OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018 – 2 LB 194/17 – juris – Rn. 38 ff.; OVG Bautzen, Urteil vom 7. Februar 2018 – 5 A 1245/17 – juris, Rn. 23 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. November 2017 – OVG 3 B 12.17 – juris, Rn. 20 ff.).

57

Wie bereits ausgeführt, liegen nur wenige (konkrete) Dokumente vor, welche die hier aufgeworfene Fragestellung der aktuellen Behandlung von Rückkehrern erörtern. Ihnen lassen sich ausnahmslos keine konkreten und nachvollziehbaren Gesichtspunkte entnehmen, die einen verlässlichen Schluss auf die erforderliche Gerichtetheit zulassen. Im Einzelnen:

58

Für die Zeit vor dem Ausbruch der Unruhen in Syrien und bis in die Anfangszeit des Bürgerkriegs hinein ließ sich der weitgehend gesicherten Erkenntnislage zwar entnehmen, dass Rückkehrer aus dem Ausland nach der ständigen Praxis der syrischen Sicherheitskräfte bei der offiziellen Wiedereinreise nach einem längeren Auslandsaufenthalt regelmäßig einem intensiven Verhör unterzogen wurden, welches je nach den Umständen auch Stunden dauern konnte. Vor allem bei einer Verbringung in ein Haft- oder Verhörzentrum der (vier) syrischen Geheimdienste drohte zudem konkret die Anwendung von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung. Anlässlich dessen sollten regelmäßig auch Informationen über eventuelle eigene regimekritische Handlungen im Ausland, aber auch über die Exilszene im Allgemeinen herausgepresst werden. Diese Gefahr wurde beispielsweise vom Auswärtigen Amt als sehr hoch eingeschätzt (vgl. AA, Lagebericht vom 27. September 2010, S. 16). In der Rechtsprechung wurde daher zum Teil angenommen, den staatlichen Maßnahmen komme auch die erforderliche Gerichtetheit zu (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 19. Juni 2013 – A 11 S 927/13 – juris; a.A. OVG Münster, Beschluss vom 7. Mai 2013 – 14 A 1008/13.A – juris).

59

Hiervon kann aber gegenwärtig nicht (mehr) ausgegangen werden. Im Laufe des Bürgerkriegs haben sich in verschiedener Hinsicht Veränderungen in Syrien ergeben. Verschiedenen Quellen zufolge ist zwar eine erhebliche Zunahme von Misshandlungen und Folter einschließlich Verschwindenlassen der Betroffenen festzustellen (vgl. zuletzt AI, Report 2018). Es handelt sich allerdings um Praktiken, die von Seiten des syrischen Regimes im Grundsatz schon seit vielen Jahren systematisch eingesetzt werden, um jede Opposition und jeden Widerstand zu unterdrücken bzw. zu zerschlagen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Syrien vom 25. Januar 2018 S. 34 f., 50 f., jeweils m.w.N.). Zudem ist die Zahl der im Ausland lebenden syrischen Flüchtlinge seit dem Beginn des Bürgerkriegs auf ca. 6,6 Millionen gestiegen (Nachweise siehe oben).

60

Aufgrund der Komplexität des Konfliktes und der Beteiligung zahlreicher Konfliktparteien ist die Situation in Syrien unübersichtlich(er) und ständigen Veränderungen unterworfen. Konkrete Informationen über die aktuelle Lage sind daher schwierig zu erlangen (Danish Refugee Council/ Danish Immigration Service [DRC], August 2017, S. 5; vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 38: „unklare Auskunftslage“; OVG Bautzen spricht von einer „dünnen“ Auskunftslage, Urteil vom 7. Februar 2018 – 5 A 1245/17 – juris, Rn. 25). Seit Beginn des Bürgerkrieges gibt es allenfalls „anekdotenhafte“ Berichte über Rückkehrer (IRB vom 19. Januar 2016, S. 4; vgl. auch SFH vom 21. März 2017, S. 9 und DRC, August 2017, S. 27: Kaum Informationen zur Behandlung von abgewiesenen Asylsuchenden bei Rückkehr).

61

Dementsprechend unterschiedlich äußern sich die verfügbaren Einschätzungen. Laut dem Direktor des Syria Justice and Accountability Center würden Asylsuchende bei einer Rückkehr „definitiv“ festgenommen und inhaftiert. Sie würden als Oppositionelle behandelt und gefoltert (IRB vom 19. Januar 2016, S. 5; die gleiche Einschätzung zitierend SFH, 21. März 2017, S. 9; vgl. auch U.S. Department of State, Syria 2016 Human Rights Report vom 3. März 2017, S. 39). Eine vom IRB zitierte emeritierte Professorin „vermutet“ Festnahme, Inhaftierung und Folter (IRB vom 19. Januar 2016, S. 5; die gleiche Einschätzung zitierend SFH, 21. März 2017, S. 9). Dieselbe Quelle führt allerdings auch aus, dass „alle“ Personen einem Misshandlungsrisiko durch Grenzbehörden ausgesetzt seien (UNHCR vom April 2017, S. 6, Fn. 32). Diese Aussagen können nicht als gesicherte Grundlage für eine entsprechende Gefahrenprognose herangezogen werden. Sie sind insgesamt zu pauschal und unbsubstantiiert (vgl. hierzu auch OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 53; VGH München, Urteil vom 21. März 2017 – 21 B 16.31011 – juris, Rn. 62).

62

Die weiteren vorhandenen Berichte über Einzelfälle betreffen spezielle Personengruppen, die jedenfalls nicht mit den Klägern vergleichbar sind. Betroffen waren namentlich ein Journalist, ein Leiter einer Nichtregierungsorganisation, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen sowie ein früherer syrischer Grenzsoldat, der sich in die Türkei abgesetzt hatte (vgl. IRB, vom 19. Januar 2016, S. 3). Des Weiteren soll ein syrischer Mann, der in Australien ohne Erfolg Asyl beantragt hatte, bei seiner Rückkehr im August 2015 von syrischen Regierungsbeamten am Flughafen Damaskus „ausgesondert“ worden sein, „weil er von Al-Harra in der Provinz Daraa stammte“. Den Berichten zufolge beschuldigten ihn syrische Beamte, ein „Finanzier der Revolution“ zu sein, als sie Bargeld bei ihm fanden, das ihm von der australischen Regierung für seine Rückkehr gegeben worden war; er sei 20 Tage lang festgehalten und wiederholt geschlagen worden. Das IRB verweist des Weiteren auf eine Stellungnahme von Human Rights Watch vom November 2013. Nach dieser sollen laut UNHCR etwa 35 Palästinenser aus Syrien, die während des syrischen Konflikts nach Ägypten geflohen waren, nach Syrien zurückgeschickt worden sein; einige seien bei Ankunft am Flughafen festgenommen worden (IRB vom 19. Januar 2016, S. 5; auch SFH vom 21. März 2017, S. 9).

63

Die geschilderten Konstellationen sind mit der hier zu beurteilenden nicht vergleichbar und belegen vielmehr, dass die syrischen Sicherheitsbehörden willkürlich vorgehen. Es fehlt in diesen Fällen an der Gerichtetheit der Maßnahme und der erforderlichen Verknüpfung. Eher ist die Annahme gerechtfertigt, dass Personen betroffen sind, bei denen zusätzlich zur Rückkehrsituation weitere Verdachtsmomente vorliegen. Jedenfalls lassen diese Informationen nicht die hinreichend gesicherte Annahme zu, dass zurückkehrende Asylbewerber grundsätzlich gerade in dieser Eigenschaft und ohne zusätzliche prägende gefahrerhöhende Merkmale vom syrischen Regime als vermeintliche Oppositionelle mit flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen behandelt werden (vgl. ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 9. August 2017 – A 11 S 710/17 – juris, Rn. 46).

64

Diese Einschätzung wird durch diverse gleichlautende Auskünfte bestätigt, nach denen eine Systematik bei der Behandlung von Rückkehrern derzeit nicht erkennbar sei und sich diese häufig willkürlich gestalte (vgl. u.a. DRC vom August 2017, S. 17). Sicherheitsbeamte hätten einen Freibrief und könnten im Falle eines Verdachts jeden verhaften. Das System sei sehr unberechenbar. Ein Rückkehrer könne auch ohne triftigen Grund misshandelt werden, wenn ein Sicherheitsbeamter eine Abneigung gegen diesen empfinde (IRB vom 19. Januar 2016, S. 2). Ebenso meint ein auf Syrien spezialisierter Gastwissenschaftler am Londoner Kings College, ein abgelehnter Asylbewerber könne wegen der Beantragung von Asyl festgenommen werden, dies sei aber nicht automatisch der Fall. Nichts sei vorhersagbar (IRB vom 19. Januar 2016, S. 5, Einschätzung vom 15. Dezember 2015). Das Risiko nach einem längeren Aufenthalt im Ausland sei mangels belastbarer Zahlen kaum zu beurteilen. Es gebe zum Teil aber auch Berichte über Befragungen oder gar einen allgemeinen Verdacht gegenüber Rückkehrern. Ob davon alle wiedereinreisenden Personen betroffen seien, könne nicht mit Sicherheit gesagt werden (DOI, Auskunft an VGH Kassel vom 1. Februar 2017, S. 1 f.).

65

Eine andere Einschätzung ergibt sich nach Auffassung des Senats auch nicht aus den vom UNHCR mehrfach erwähnten Risikoprofilen. Im Bericht vom Februar 2017 (deutsche Übersetzung von April 2017) wird unter Verweis auf das IRB vom 19. Januar 2016 Folgendes ausgeführt (S. 5, Fn. 26):

66

„Aus Quellen geht hervor, dass für die folgenden Gruppen ein höheres Misshandlungsrisiko durch Grenzbehörden besteht: Kurden (…), Palästinenser, (…), Sunniten (…), bekannte Islamisten (…) und Personen, die aufgrund ihrer Kleidung religiös erscheinen (…). Quellen zufolge besteht für regierungskritische Aktivisten ein größeres Misshandlungsrisiko durch Flughafen- und Grenzbehörden (…) als für Familienmitglieder der Aktivisten (…). Außerdem sind Quellen zufolge Rückkehrer aus Gebieten, in denen die Opposition aktiver ist (…) oder kämpft, einem größeren Risiko harter Behandlung ausgesetzt.“

67

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass in der 4. aktualisierten Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015, die Gruppe der im (westlichen) Ausland um Asyl nachsuchenden Personen nicht als eigenständige Risikogruppe benannt worden war (siehe S. 25 ff.). Auch in der 5. Aktualisierung (englische Fassung: International Protection Considerations with Regard to the People Fleeing thy Syrian Arab Rebublic Update V) vom November 2017 werden diese Personen – jedenfalls nicht ausdrücklich – als eigenständige Risikogruppe eingestuft (siehe S. 34 f.). Hingegen gibt der UNHCR in seinem Bericht vom Februar 2017 (dt. Fassung, April 2017, S. 30) an, dass aus Berichten hervorgehe, die Regierung betrachte bestimmte Aktivitäten von im Ausland lebenden Syrern als Ausdruck einer oppositionellen Einstellung. Unter diese Aktivitäten würden auch Anträge auf Asyl fallen. Ausweislich der in Fußnote 146 (S. 30) aufgeführten Quellen würden abgelehnten Asylbewerbern Inhaftierung und Folter drohen. Zu diesen Quellen gehören vor allem die bereits dargestellten Äußerungen einer emeritierten Professorin aus Oxford, des Executive Director des Syria Justice und Accountability Center sowie eines Gastwissenschaftlers vom Kings College London. Auf die obigen Einschätzungen des Senats zu diesen Quellen wird insoweit Bezug genommen.

68

Nach Auffassung des Senats kann den Stellungnahmen des UNHCR und den in Bezug genommen Quellenangaben nicht mit hinreichender Sicherheit entnommen werden kann, dass es grundsätzlich bei jedem Rückkehrer aus dem westlichen Ausland zu zielgerichteten Verfolgungshandlungen kommt. Vielmehr ist diesen in der Gesamtschau zu entnehmen, dass die Gefahr einer Inhaftierung oder von Folterhandlungen vom Vorhandensein weiterer – konkreter – risikoerhöhender Merkmale abhängt.

69

Dem Auswärtigen Amt liegen – wie bereits dargestellt – keine Erkenntnisse vor, dass Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthaltes und einer Asylantragstellung Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien. Anders könne dies aussehen, wenn das Regime davon ausgeht, dass sich die Person oppositionell betätigt hat (AA an VG Wiesbaden vom 2. Januar 2017 und an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zu Az. 5 K 7221/16.A, S. 2; vgl. auch AA an OVG Schleswig vom 7. November 2016). Zwar seien Berichte über Befragungen vorhanden, es gebe jedoch keine Kenntnisse von Übergriffen in diesem Zusammenhang. Die syrischen Sicherheitsdienste agierten allerdings de facto im rechtsfreien Raum (AA an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zu Az. 5 K 7221/16.A, S. 2 f.). Einer Auskunft der Deutschen Botschaft in Beirut zufolge gebe es keine Erkenntnisse über Sanktionen ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthaltes. Fälle, in denen Rückkehrer befragt, inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien, stünden im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder einem nicht abgeleisteten Militärdienst (Deutsche Botschaft Beirut vom 3. Februar 2016, S. 1).

70

Die vom Verwaltungsgericht Dresden als Sachverständige zur Auskunft herangezogene Petra Becker gibt an, dass Befragungen und eventuelle Misshandlungen nicht an eine (zugeschriebene) politische Gesinnung anknüpften. Vielmehr werde jeder Rückkehrer befragt und Misshandlung gehöre einfach zur Routine eines Verhörs durch das Regime, unabhängig von der Person des Betroffenen (Auskunft vom 6. Februar 2017 zu Az.: 5 A 1237/17.A). Einem weiteren Bericht nach werde in der Praxis angesichts der großen Zahl illegal ausgereister Syrer niemand allein deswegen bestraft, auch wenn die Ausreise ohne die erforderlichen Dokumente im Prinzip illegal sei (DRC August 2017, S. 27 f.).

71

Gegen die Annahme, das syrische Regime betrachte jedenfalls Syrer, die im westlichen Ausland einen Asylantrag gestellt haben, als regierungsfeindlich, spricht zudem, dass zwischen April 2011 und Juli 2017 über 970.000 syrische Staatsangehörige Asyl in Europa beantragt haben (UNHCR, November 2017, S. 24). Dass es sich hierbei mehrheitlich nicht um Oppositionelle handelt, sondern vorwiegend um Bürgerkriegsflüchtlinge, dürfte auch den syrischen Behörden bekannt sein. Der Senat schließt sich dieser in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Sichtweise an (vgl. ebenso OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 44, 52, 59; OVG Saarlouis, Urteil vom 2. Februar 2017 – 2 A 515/16 – juris, Rn. 22; OVG Münster, Urteil vom 21. Februar 2017 – 14 A 2316/16.A – juris, Rn. 60; OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16.OVG – juris, Rn. 167; OVG Bautzen, Urteil vom 7. Februar 2018 – 5 A 1245/17.A – juris, Rn. 24). Im Rahmen der Gesamtwürdigung sind auch die Zahl der insgesamt aus Syrien geflohenen Personen und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen zu berücksichtigen (siehe oben).

72

Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht im Lichte der kurz vor der mündlichen Verhandlung veröffentlichen Berichte über eine vom syrischen Regime geplante Bodenreform. Die Süddeutsche Zeitung vom 23. April 2018 – „Assad macht Eigentum zur Waffe“ – berichtet insoweit:

73

„Dekret Nummer 10, das Präsident Baschar al-Assad am 4. April unterzeichnet hat, ermöglicht es der Regierung, neue Bebauungspläne zu erlassen. Lokale Expertenkomitees sollen dann die Eigentumsverhältnisse in den Gebieten klären, wo es keine formellen Kataster gibt - oder diese im Krieg zerstört wurden, wie etwa in Homs. Binnen 30 Tagen nachdem ein solcher Entwicklungsplan per Dekret erlassen wird, müssen die Besitzer von Grundstücken, Gebäuden und Wohnungen ihre Eigentumsrechte nachweisen. Anderenfalls kann ihr Besitz versteigert oder der öffentlichen Hand zugeschlagen werden. Entschädigungen sind nur beschränkt vorgesehen.“

74

Die geplante Bodenreform könnte im Falle ihrer Umsetzung vor allem für nach Europa geflüchtete Syrer die Schwierigkeit begründen, dass sie überhaupt nicht oder nicht rechtzeitig die Eigentumsverhältnisse an ihnen gehörenden Immobilien nachweisen können. Allerdings ergibt sich für den Senat aus der zitierten Berichterstattung nicht, ob und unter welchen Umständen sich betroffene Eigentümer bei dem vorgesehenen Verfahren von Dritten vertreten lassen können oder eine Geltendmachung auf andere Art und Weise auch aus dem Ausland möglich ist. Unabhängig von der Frage, ob man auf diesem Dekret beruhende Enteignungen als Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG ansehen kann, geht aus dem Bericht nicht hervor, dass bei den angekündigten Maßnahmen zwischen sog. Binnenvertriebenen innerhalb Syriens oder in das Ausland Geflohenen unterschieden wird. Die angekündigten Maßnahmen dürften daher – jedenfalls rein formal – jeden syrischen Staatsbürger mit Grundbesitz treffen. Des Weiteren ergibt sich aus der Berichterstattung nicht, ob das Dekret Entschädigungszahlungen für die Betroffenen oder Rechtsschutzmöglichkeiten vorsieht. Aus diesen Gründen und auch mangels anderweitiger Erkenntnisse ist für den Senat nicht ersichtlich, dass etwaige auf dem benannten Dekret beruhende Enteignungen aufgrund einer (ggf. unterstellten) oppositionellen Einstellung des betroffenen Eigentümers bzw. Besitzers erfolgen.

75

Nach der gebotenen Gesamtwürdigung der insoweit relevanten Umstände geht der Senat davon aus, dass das syrische Herrschaftsregime (Assad-Regime) nicht jedem rückkehrenden Asylbewerber aus dem westlichen Ausland eine (vermeintliche) Regimegegnerschaft unterstellt, sofern nicht besondere, individuell gefahrerhöhende Umstände vorliegen, die auf eine oppositionelle Einstellung hinweisen.

76

b) Im Falle der Kläger liegen keine solchen risikoerhöhenden Faktoren für die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung bzw. einer Verfolgung wegen einer vermeintlich oppositionellen Einstellung vor. Anknüpfend an die soeben dargestellten Erkenntnisse und den vor allem in den Berichten des UNHCR aufgeführten Risikoprofilen sind bei allen Klägern die Aspekte ihrer Religionszugehörigkeit (aa) sowie ihrer regionalen Herkunft (bb) näher zu erörtern.

77

aa) Die Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben allein stellt keinen risikoerhöhenden Faktor dar, aufgrund dessen den Klägern bei einer Rückkehr nach Syrien beachtlich wahrscheinlich die Gefahr einer Verfolgung drohen würde, weil ihnen deshalb eine regimefeindliche Haltung zugeschrieben werden würde. Der Kläger zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung insoweit klargestellt, ebenfalls der sunnitischen Glaubensrichtung anzugehören.

78

Nach Berichten des UNHCR bestehe zwar die von der Regierung bekämpfte Opposition größtenteils aus sunnitischen Arabern (vgl. UNHCR vom November 2017, S. 54). Die Zugehörigkeit zur Religionsgruppe der Sunniten erhöhe daher die Gefahr, Opfer staatlicher Verfolgung zu werden (so bereits UNHCR vom April 2017, S. 5; SFH vom 21. März 2017, S. 11; siehe auch UNHCR vom November 2015, S. 26, wonach die Mitgliedschaft in religiösen Gruppen – darunter auch die Sunniten – ein gefahrerhöhendes Moment sein könne). Anderen Berichten zufolge seien alle Rückkehrer von Misshandlungen am Flughafen und Grenzübergängen bedroht. Ethnizität und Religion seien keine Aspekte, die sich auf die Gefährdung durch Misshandlung auswirkten (vgl. IRB vom 19. Januar 2016, S. 7).

79

Trotz des vor allem vom UNHCR definierten Risikoprofils kann eine generelle Gefährdung sunnitischer Syrer bereits deshalb nicht angenommen werden, weil 74 % der syrischen Bevölkerung der Glaubensgruppe der Sunniten angehören (Stand 2006, siehe http://m.bpb.de/nachschlagen/lexika/fischer-weltalmanach/65805/syrien). Ferner sind Sunniten sowohl im Regime als auch in den Streitkräften – zum Teil in hohen Stellungen – vertreten (vgl. Gerlach, „Was in Syrien geschieht“, Bundeszentrale für politische Bildung, vom 19. Februar 2016; vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 21. Februar 2017, a.a.O., Rn. 83 f.; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017, a.a.O., Rn. 68). Allenfalls kann die sunnitische Religionszugehörigkeit ein weiterer Faktor bei der Bestimmung des Risikoprofils in dem Sinne sein, dass eine aus anderen Gründen den Regierungskräften verdächtig erscheinende Person als umso verdächtiger wahrgenommen werden wird, wenn sie sunnitischer Glaubenszugehörigkeit ist (in diese Richtung ebenfalls UNHCR vom Februar 2017, S. 2).

80

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der UNHCR in seiner Stellungnahme von November 2017 (S. 54 ff.) die Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben nicht mehr als per se risikoerhöhenden Faktor ansieht und auch nicht als ein Merkmal, aufgrund dessen der Person regierungsfeindliche Absichten unterstellt werden (ebenso: VGH Mannheim, Urteil vom 9. August 2017 – A 11 S 710/17 – juris, Rn. 48). Vielmehr geht auch der UNHCR davon aus, dass die Verfolgungsgefahr für Mitglieder religiöser und ethnischer Gruppen von Region zu Region variiert und von den spezifischen Konfliktbedingungen der jeweiligen Region abhänge. Eine Verfolgungsgefahr ergebe sich insbesondere für Angehörige religiöser und ethnischer Gruppen, die aus Gebieten stammten, die von regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, so dass diesen abhängig von den individuellen Umständen des Einzelfalles der Flüchtlingsschutz zu gewähren sei.

81

Hierunter fallen die Kläger nicht. Es liegen insbesondere keine Erkenntnisse vor, dass Sunniten in Damaskus oder dessen unmittelbarer Umgebung wegen ihrer Religionszugehörigkeit durch das Assad-Regime verfolgt werden (so auch OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018 – 1 Bf 81/17.A – juris, Rn. 86).

82

bb) Eine den Klägern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung wegen einer ihnen seitens des syrischen Regimes zugeschriebenen politischen Überzeugung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sie nach eigenen Angaben aus einem Gebiet stammen, das unter Kontrolle von oppositionellen Truppen gestanden hat.

83

Der Kläger zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung insoweit angegeben, dass sein Herkunftsort namens Sbena, ein Vorort von Damaskus, jedenfalls im Zeitpunkt ihrer Ausreise unter der Kontrolle von oppositionellen Kräften gestanden habe. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben des Klägers zu 1) nicht zutreffen. Vielmehr bestätigen vorhandene Berichte, dass sowohl Vororte als auch Stadteile von Damaskus zwischen den Truppen des Assad-Regimes und anderen Konfliktparteien umkämpft sind bzw. waren (vgl. beispielhaft Spiegel-Online vom 21. April 2018, Viertel Jarmuk in Damaskus, Zwei Quadratkilometer Bürgerkrieg; Spiegel-Online vom 16. Dezember 2016, Bürgerkrieg in Syrien – Assad lässt Damaskus bombardieren).

84

Der UNHCR meint, aus Unruhegebieten stammende Personen würden von der Regierung mit oppositionellen Gruppen in Verbindung gebracht und als regierungsfeindlich betrachtet (UNHCR vom November 2017, S. 33, 37; und vom Februar 2017, S. 16). Willkürliche Festnahmen basierten häufig allein auf der Herkunft aus einem Ort, in dem oppositionelle Kräfte aktiv sind (UNHCR vom November 2017, S. 37; Februar 2017, S. 21). So sei es in Gebieten, in denen die Regierung die Kontrolle wiedererlangt habe, zu Festnahmen von Männern und Jungen über 12 Jahren allein wegen der ihnen von der Regierung zugeschriebenen Unterstützung für regierungsfeindliche bewaffnete Kräfte gekommen (UNHCR, Februar 2017, S. 20). Einigen Auskünften zufolge erhöhe daher die Herkunft aus von der Opposition besetzten oder umkämpften Regionen die Gefahr, Opfer staatlicher Verfolgung zu werden (UNHCR vom Februar 2017, S. 5; vgl. SFH vom 21. März 2017, S. 11).

85

Es gibt allerdings keine dahingehenden Informationen, dass aus dem Ausland nach Syrien Zurückkehrende allein aufgrund ihrer Herkunft aus einer vermeintlich regierungsfeindlichen Region Verfolgung ausgesetzt gewesen wären. Zumeist ist nur von gefahrerhöhenden Umständen die Rede. Der Senat schließt sich zudem der in obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Auffassung an, dass viel dafür spricht, dass diejenigen, die vor den Auseinandersetzungen zwischen dem Assad-Regime und Konfliktparteien in ihrer Region ins Ausland geflohen sind, sich also dem Konflikt gerade entzogen haben, auch aus Sicht des syrischen Regimes nicht als Bedrohung aufgefasst werden (so OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018
2 LB 194/17 – juris, Rn. 66 ff.; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 71; vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 160 ff.).

86

cc) Ungeachtet der voranstehenden Ausführungen genügt allein die pauschale Bezugnahme auf eines oder mehrere vom UNHCR definierten Risikoprofile nach Auffassung des Senats nicht, um die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten (politischen) Verfolgung durch das Assad-Regime begründen zu können. Es bedarf stets einer konkreten Einzelfallbetrachtung. Die Zugehörigkeit zu den vom UNHCR in den International Protection Considerations with Regards to People Fleeing the Syrian Arab Republic, Update V, vom November 2017 benannten Risikogruppen indiziert zwar nach wie vor die Wahrscheinlichkeit, dass die betroffene Person Internationalen Schutz benötigt; dies wird jedoch durchweg durch die Worte relativiert: "depending on the individual circumstances of the case". Es ist also schon nach dem eigenen Anspruch der "Considerations" nicht angängig, die Annahme einer politischen Verfolgung allein auf die pauschale Zuordnung zu einer oder mehreren der Risikoprofile zu stützen, insbesondere ohne Rücksicht auf die Frage, in welches Umfeld der Betroffene hypothetisch zurückkehren müsste. Erforderlich ist vielmehr auch danach stets eine hinreichend substantiierte Einzelfallbetrachtung (ebenso OVG Lüneburg, Beschluss vom 14. März 2018 – 2 LB 1749/17 – juris, Rn. 118; OVG Saarlouis, Beschluss vom 11. April 2018 – 2 A 147/18 –, juris Rn. 9).

87

Die Kläger zu 2) bis 6) haben keine (weiteren) konkreten Umstände vorgetragen, weshalb ihnen vom Assad-Regime eine oppositionelle Einstellung unterstellt werden könnte und ihnen deshalb Verfolgungsmaßnahmen drohen könnten.

88

c) Für den Kläger zu 1) gilt dies auch in Ansehung seines Vortrags, er werde bei einer Rückkehr als Reservist zum Wehrdienst einberufen. Der Umstand, dass er sich dem Wehr- bzw. Militärdienst durch seinen Auslandsaufenthalt entzogen hat, begründet keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung durch den syrischen Staat.

89

aa) Der Senat geht nach Auswertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel hinsichtlich der tatsächlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Wehrdienst in der syrischen Armee von Folgendem aus:

90

In Syrien besteht eine allgemeine Wehrpflicht, die grundsätzlich für alle syrischen Männer unabhängig von ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund wie auch für Palästinenser gilt, die in Syrien leben. Oppositionelle werden ebenfalls einberufen. Die Registrierung für die Wehrpflicht erfolgt im Alter von 18 Jahren. Nach Auskunft des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Österreich (vom 25. Januar 2018, S. 38) sind junge Männer im Alter von 17 Jahren aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von mindestens 18 Jahren werden die Männer per Einberufungsbescheid zum Ableisten des Wehrdienstes aufgefordert. Zudem werden junge Männer an Kontrollstellen oder bei Razzien auf öffentlichen Plätzen (zwangs)rekrutiert (AA vom 2. Januar 2017 an VG Düsseldorf zu Az. 5 K 7480/16.A, S. 3; BFA vom August 2017, S. 18; DRC, August 2017, S. 13). Jeder Mann im Alter zwischen 18 und 42 Jahren ist gesetzlich verpflichtet, einen zweijährigen Militärdienst abzuleisten. Die Wehrpflicht besteht auch für Verheiratete und Familienväter (AA an VG Düsseldorf, a.a.O.). Aufgrund der prekären Personalsituation soll es sogar zu Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen gekommen sein (BFA vom August 2017, S. 18; SFH vom 23. März 2017, S. 5 ff.).

91

Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen – von Bestechungen abgesehen – bei Personen jüdischen Glaubens oder bei Untauglichkeit. Zudem bestehen Regelungen über Ansprüche auf Aufschub vom Antritt des Grundwehrdienstes etwa für Einzelkinder oder Studenten. Diese Regelungen gelten zwar formal weiterhin, in der Praxis finden sie allerdings aufgrund des stark zunehmenden Personalbedarfs nur eingeschränkt und zunehmend willkürlich Anwendung. Für im Ausland lebende Männer gibt es die gesetzliche Möglichkeit, sich gegen Zahlung einer Geldkompensation vom Militärdienst zu befreien (vgl. BFA vom August 2017, S. 20; DRC vom August 2017, S. 8 f.; SFH vom 23. März 2017, S. 8). Nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (a.a.O., m.w.N.) gelte dies nur für Männer, die entweder legal für ihre Arbeit oder ihr Studium ausgereist seien, oder für Söhne von Diplomaten und die mehr als fünf Jahre außerhalb des Landes gelebt haben. Die zu zahlende Gebühr wurde von 5.000 US-Dollar im Jahr 2014 auf 8.000 US-Dollar erhöht (vgl. BFA vom 25. Januar 2018, S. 42, und AA an VG Düsseldorf zu Az. 5 K 7480/16.A vom 2. Januar 2017, S. 6).

92

Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (UNHCR vom April 2017, S. 30; AA vom 2. Januar 2017 an VG Düsseldorf zu Az. 5 K 7480/16.A, S. 5; SFH vom 23. März 2017, S. 4). Entlassungen aus dem Militärdienst sind nach den vorliegenden Erkenntnisquellen seit dem Jahre 2011, dem Beginn der militärischen Auseinandersetzung, eher zur Ausnahme geworden. Viele Wehrpflichtige sind über Jahre hinweg in der Armee tätig und oftmals wäre Desertion die einzige Möglichkeit, den Militärdienst zu beenden (SFH vom 23. März 2017, S. 5 f.; Finnish Immigration Service [FIS] vom 23. August 2016, S. 12).

93

Gediente Wehrpflichtige müssen nach Beendigung des Wehrdienstes als Reservisten jederzeit abrufbar sein und mit ihrer Einberufung rechnen (AA vom 2. Januar 2017 an VG Düsseldorf zu Az. 5 K 7480/16.A, S. 4). Reservisten werden wie Rekruten einberufen. Entweder erhalten sie eine Benachrichtigung des Rekrutierungsbüros oder sie werden über öffentliche Aufrufe im Fernsehen, Radio oder über die Presse einberufen (SFH vom 18. Januar 2018, S. 6). In der Vergangenheit wurden alle Männer bis zum Alter von 42 Jahren als Reservisten geführt. Aufgrund der prekären Personalsituation gibt es nach den vorliegenden Auskünften gegenwärtig kein festgesetztes Höchstalter für die Aktivierung von Reservisten mehr, vielmehr würden im Einzelfall Männer im Alter von bis zu 50 oder sogar 60 Jahren erneut zum Dienst verpflichtet (BFA vom August 2017, S. 20; so auch FIS vom 23. August 2016, S.11). Nach Angaben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Österreich (vom 25. Januar 2018, S. 20) bestand der Reservedienst vor dem Ausbruch des Konflikts im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der im Militär erforderlichen Fähigkeiten und Reservisten seien nur selten einberufen worden. Dies habe sich seit 2011 jedoch geändert. Es würden einzelne Berichte vorliegen, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen habe (z.B. Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung; so auch UNHCR vom April 2017, S. 24 f., Fn. 118). Bei der Einberufung von Reservisten sei das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung einer Person sowie ihr Rang und ihre Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der die Person gedient habe (BFA vom 25. Januar 2018, S. 40 mit Verweis auf DRC vom 26. Februar 2015 und vom August 2017, S. 10). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe gibt an, dass „verschiedenen Quellen“ zufolge Männer bis zum 54. Lebensjahr eingezogen werden (Auskunft an VG Wiesbaden vom 17. Januar 2017). Dem Auswärtigen Amt liegen Berichte vor, wonach die Wehrpflicht in der Praxis bis zum 50. Lebensjahr ausgeweitet werde (Auskunft an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017, S. 3). Nach einer weiteren Auskunft könnten Männer bis zum 52. Lebensjahr einberufen werden (Deutsche Botschaft Beirut vom 3. Februar 2016, S. 2). Vereinzelt werden demgegenüber Berichte über die Einziehung jenseits der Altersgrenze von 42 Jahren als „Gerüchte“ bezeichnet (DRC vom August 2017, S. 40).

94

Über die aktuelle (allgemeine) Praxis der Rekrutierung wird berichtet (vgl. insgesamt zum Nachfolgenden: BFA vom 25. Januar 2018, S. 38 ff., und vom 5. Januar 2017, S. 23; DRC, August 2017, S. 8, 13), dass es im Zeitraum von März 2016 bis März 2017 keine Generalmobilmachung gegeben habe. Jedoch seien offenbar in verschiedenen Wellen die Bemühungen intensiviert worden, Wehrpflichtige und Reservisten einzuziehen; nach einigen Quellenangaben erfolgte dies deshalb, weil nur wenige Männer auf die Einberufung reagiert und sich zum Dienst eingefunden haben (DRC vom August 2017, S. 8). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe berichtet: Das syrische Regime habe seit Herbst 2014 die Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten und die Suche nach Wehrdienstentziehern und Deserteuren intensiviert und dieses Vorgehen seit Januar 2016 nochmals gesteigert. Es erfolgten örtliche Generalmobilmachungen und intensive Razzien im öffentlichen und privaten Bereich. An den Checkpoints der syrischen Armee gebe es Listen mit Namen von einzuziehenden Reservisten und erstmals wehrdienstpflichtigen jungen Männern, die bei Aufgreifen verhaftet würden (SFH vom 23. März 2017, S. 6 f., und vom 28. März 2015, S. 2 ff.). Die regulären Rekrutierungsmethoden würden immer noch angewendet, weil das Regime zeigen wolle, dass sich nichts verändert habe. So würden Rekrutierungsschreiben verschickt, wenn Männer das wehrfähige Alter erreichen. Es gebe aber auch Männer im wehrpflichtigen Alter, die, ohne einberufen worden zu sein, in Syrien lebten (BFA vom 5. Januar 2017, S. 23). Insgesamt sei schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee tatsächlich durchgesetzt werde. In der syrischen Armee herrsche zunehmende Willkür und die Situation könne sich von einer Person zur anderen unterscheiden (BFA vom 5. Januar 2017, S. 22 mit Verweis auf FIS vom 23. August 2016, S. 5 ff.). So wird beispielsweise über die im Land errichteten Kontrollstellen berichtet (UNHCR, vom April 2017, S. 24 ff.; UNHCR, Auskunft an VGH Kassel vom 30. Mai 2017, S. 2), dass an diesen in großem Maße Männer im wehrdienstfähigen Alter, die einen Einberufungsbescheid erhalten hätten, aber auch solche, bei denen dies noch nicht der Fall gewesen sei, eingezogen würden. Während an anderer Stelle berichtet wird, an den Kontrollstellen würden Bestechungsgelder verlangt (vgl. SFH vom 28. März 2015, S. 4), um sich vom Militärdienst freizukaufen. Es gebe weitere Beispiele, dass Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft hätten, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden könne, sondern schlicht Willkür darstelle. So sei es vor dem Bürgerkrieg gängige Praxis gewesen, sich vom Wehrdienst freizukaufen, was aber nicht davor schütze, im Zuge des aktuellen Konflikts – manchmal sogar Jahre danach – dennoch eingezogen zu werden (BFA vom 25. Januar 2018, S. 41).

95

Männer im Alter zwischen 18 und 42 Jahren dürfen seit März 2012 nur mit einer offiziellen Beglaubigung des Militärs, mit der bescheinigt wird, dass sie von der Wehrpflicht bzw. vom Militärdienst freigestellt sind, ausreisen. Seit Herbst 2014 besteht darüber hinaus für Männer, die zwischen 1985 und 1991 geboren sind, ein generelles Ausreiseverbot (SFH vom 23. März 2017, S. 13 f., SFH vom 28. März 2015, S. 4 f.). Jungen Männern vor Erreichen des 18. Lebensjahres werde die Ausreise erschwert, indem ihnen Reisepässe nur für eine kurze Gültigkeitsdauer ausgestellt würden (BFA vom 5. Januar 2017, S. 24). Männer, die ihren Wehrdienst bereits abgeleistet hätten, könnten eine Ausreisegenehmigung einfacher bekommen (BFA, August 2017, S. 24). Die Ausreise ohne die erforderliche Genehmigung bzw. über einen nicht genehmigten Ausreisepunkt sei strafbar. Einschätzungen des UNHCR zufolge sei es jedoch unklar, ob das Gesetz tatsächlich angewandt werde und Rückkehrer entsprechender Strafverfolgung ausgesetzt seien, da die Gesetzesumsetzung in Syrien willkürlich und nicht vorhersehbar sei (UNHCR vom April 2017, S. 2 f.).

96

Wehrdienstverweigerung wird in Syrien nach dem Military Penal Code geahndet (vgl. AA an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zu Az. 5 K 7480/16.A, S. 4 f.; Deutsche Botschaft Beirut vom 3. Februar 2016, S. 2; SFH, vom 30. Juli 2014, S. 3 f. und vom 23. März 2017, S. 8 f.). Dessen Artikel 98 bestimmt, dass derjenige, der sich der Einberufung entzieht, mit Haft zwischen einem und sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird. Wer das Land verlässt, ohne eine Adresse zu hinterlassen, unter der er immer erreichbar ist, und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion im eigentlichen Sinn werden in Artikel 101 fünf Jahre Haft angedroht bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre. Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft. Berichten zufolge kann auch ein Wehrdienstentzug durch illegale Ausreise von nicht gemusterten bzw. nicht einberufenen Wehrpflichtigen mit Geldbuße oder Gefängnis bestraft werden (AA an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zum Az. 5 K 7480/16.A, S. 5).

97

Die Umsetzung der Bestrafung scheint nach den vorliegenden Erkenntnisquellen willkürlich zu sein (siehe SFH, 23. März 2017, S. 10 f. mit Verweis auf FIS vom 23. August 2016, S. 12 f. und weitere Quellen). In diesem Zusammenhang gibt es etwa Stellungnahmen, dass zurückkehrenden Wehrdienstpflichtigen Haft, Folter, Misshandlungen, Einsatz an der Front sowie dauerhaftes Verschwinden bzw. Tod drohe (vgl. beispielhaft DOI an OVG Schleswig vom 8. November 2016; Deutsche Botschaft Beirut vom 3. Februar 2016, S. 1 f., wonach im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst Fälle von Haft oder dauerndem Verschwinden bekannt geworden seien bzw. verlässlichen Berichten zufolge inhaftierte Personen aus dem Gefängnis heraus zum Militärdienst eingezogen wurden; IRB vom 19. Januar 2016, wonach Wehrdienstpflichtige eine sehr vulnerable Gruppe darstellen; SFH vom 28. März 2015, wonach es bei ergriffenen Wehrdienstverweigerern in der Haft zu Folter komme).

98

Zum anderen ergibt sich aus den zur Verfügung stehenden Berichten auch, dass die Bestrafung häufig von der Position und dem Rang des Betroffenen, seinem Profil, der Herkunftsregion aber auch dem Bedarf an der Front abhänge. Bestehe der Verdacht, dass Kontakte zur Opposition bestehen, würden die Untersuchungen und die Folter intensiviert (SFH vom 23. März 2017, S. 10 mit Verweis auf weitere Quellen, u.a. FIS vom 23. August 2016, S. 12 f.; BFA vom 5. Januar 2017, S. 27). Es wird auch dargestellt, dass einige der Verhafteten zwar zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen, andere aber lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt würden (SFH vom 28. März 2015, S. 4; BFA, 5. Januar 2017, S. 27). Nach dem UNHCR würden Wehrdienstentzieher in der Praxis eher, als dass sie nach dem Militärstrafgesetzbuch bestraft würden, innerhalb von Tagen oder Wochen nach ihrer Verhaftung an die Front geschickt, oft nach nur minimaler Ausbildung (UNHCR, November 2017, S. 40). Der Danish Refugee Council (August 2017, S. 13 f., Fn. 62) berichtet unter Berufung auf verschiedene Quellen, dass Wehrdienstentzieher, wenn sie aufgegriffen werden, riskierten, in den Militärdienst gesandt zu werden, während Deserteuren härtere Strafen drohten, wie z.B. Haft oder Todesstrafe. Nach anderen Berichten gebe es aber auch Deserteure, die nachdem sie wieder aufgegriffen worden seien, in den Militärdienst bzw. an die Front geschickt worden seien (DRC vom August 2017, S. 14, Fn. 67 – 69, SFH vom 23. März 2017, S. 10 m.w.N.).

99

bb) Hiervon ausgehend ist es hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger zu 1) im Falle einer Rückkehr nach Syrien als Reservist zum Militärdienst einberufen würde. Auch dürfte er sich wegen seines längeren Aufenthalts im westlichen Ausland der Wehr- bzw. Militärdienstentziehung strafbar gemacht haben.

100

Zwar hat der Kläger zu 1) zwischenzeitlich das gesetzliche Höchstalter für den Militärdienst von 42 Jahren überschritten. Dieser Umstand allein steht der Einberufung jedoch nicht entgegen. Zum einen ergibt sich aus den dargestellten Erkenntnissen, dass dem gesetzlichen Höchstalter für den Militärdienst angesichts des hohen Personalbedarfs in der syrischen Armee keine bzw. nur eine geringfügige Relevanz zukommt. Zum anderen ist der Kläger zu 1) im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung 43 Jahre alt. Er überschreitet das gesetzliche Höchstalter daher nur geringfügig. Ferner befand er sich im Zeitpunkt der Ausreise mit 39 Jahren noch im Reservistenalter und unterlag somit den dargestellten gesetzlichen Pflichten. Die berufliche Qualifikation und die bisherige Verwendung im Militär lassen demgegenüber keine unmittelbaren Schlussfolgerungen auf die Wahrscheinlichkeit einer Einziehung zum Reservedienst zu. Den Angaben des Klägers zufolge habe er bei seinem Wehrdienst in den Jahren 1995 bis 1997 eher einfache Bürotätigkeiten in der Personalverwaltung im Generalkommando in Damaskus ausgeübt. Er sei vorwiegend als Schreibkraft an PCs tätig gewesen. An Kampfeinsätzen habe er nicht teilgenommen. Vor seiner Ausreise hätte er zudem als angelernter Drucker gearbeitet. Gleichwohl könnten die vom Kläger zu 1) geschilderten Tätigkeiten im EDV-Bereich zu einem erhöhten Rekrutierungsinteresse führen. Gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Rekrutierung des Klägers zu 1) lässt sich auch nicht anführen, dass sich der Kläger zu 1) seinen Angaben zufolge im Jahr 2002 von einem weiteren Wehrdienst „freigekauft“ habe. Sollte es sich hierbei um eine gültige bzw. offizielle Befreiung gehandelt haben, wäre das Einholen einer Genehmigung der Militärbehörden für die Ausreise in den Irak im Jahr 2013 wohl nicht erforderlich gewesen. Zudem ergibt sich aus den Erkenntnisquellen, dass man trotz eines „Freikaufens“ vom Wehrdienst vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs nicht davor geschützt sei, im Zuge des aktuellen Konflikts eingezogen zu werden.

101

Der Kläger zu 1) ist nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung legal über den Flughafen von Damaskus und mit einer Genehmigung der Militärbehörden im Jahr 2013 in den Irak ausgereist. Insofern liegt zwar kein Verstoß gegen die dargestellten gesetzlichen Vorgaben zur Verfügbarkeit für das syrische Militär vor. Allerdings ist davon auszugehen, dass die spätere Weiterreise des Klägers zu 1) in das westliche Europa nicht von der ursprünglichen Ausreisegenehmigung gedeckt gewesen ist und er sich durch die unterlassene Mitteilung einer Anschrift nach den dargestellten syrischen Vorschriften strafbar gemacht hat bzw. gesetzeswidrig verhalten hat.

102

cc) Unter Zugrundelegung der Annahme, das syrische Regime werde den Kläger zu 1) aufgrund seines längeren Auslandsaufenthalts im wehrdienstfähigen Alter bei einer hypothetischen Rückkehr wie einen Wehr- bzw. Militärdienstentzieher behandeln, der der Einberufung nicht gefolgt ist bzw. ohne eine Genehmigung des Militärs das Land verlassen und keine Adresse hinterlassen hat, unter der er für die Militärbehörden erreichbar ist, hat sich der Kläger zwar strafbar gemacht. Der Senat hält es gleichwohl schon nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass ihm eine Verfolgungshandlung (1), insbesondere eine Bestrafung aus den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründen (2), etwa wegen einer unterstellten Regimegegnerschaft, droht.

103

Voranzustellen ist dabei, dass die Heranziehung zur Wehrpflicht bzw. Rekrutierung volljähriger Männer als solche keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung darstellt, weil diese nicht wegen eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale erfolgt, sondern alle Männer trifft, die den Wehrdienst abzuleisten haben oder als Reservist wieder eingezogen werden könnten. Auch die zwangsweise Heranziehung zum Wehrdienst und die damit im Zusammenhang stehenden Sanktionen wegen Kriegsdienstverweigerung oder Desertion, selbst wenn sie von weltanschaulich totalitären Staaten ausgehen, stellen nicht schon für sich allein eine politische Verfolgung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. August 1986 – 9 C 322.85 – juris, Rn. 11; OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. September 2017 – 2 LB 750/17 – juris, Rn. 63). Anderes gilt nur dann, wenn beides nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dient, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen soll (stRspr., vgl. BVerwG, Urteile vom 19. August 1986 – 9 C 322.85 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 54 = DVBl 1987, 47, vom 6. Dezember 1988 – 9 C 22.88 – BVerwGE 81, 41 <44> und vom 25. Juni 1991 – 9 C 131.90 – Buchholz 402.25 § 2 AsylVfG Nr. 21 = InfAuslR 1991, 310 <313>; zuletzt Beschluss vom 24. April 2017 – 1 B 22.17 – juris, Rn. 14; allgemein zur Erforderlichkeit der Anknüpfung an die politische Überzeugung als Grundlage eines zielgerichteten Eingriffs in ein flüchtlingsrechtlich geschütztes Rechtsgut s.a. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 – BVerfGE 80, 315 <335>; BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 – 10 C 52.07 – BVerwGE 133, 55 <60 f.>).

104

Es kann daher offen bleiben, ob die Rekrutierung des Klägers eine Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a AsylG darstellte. Jedenfalls fehlt es in Bezug auf die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft daran, dass die Rekrutierung zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt wird, die durch die Maßnahmen gerade wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe getroffen werden sollen. Insbesondere stellt die Gruppe der Männer, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, keine soziale Gruppe im Sinn des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG dar. Insoweit fehlt es jedenfalls daran, dass die Gruppe dieser Männer in Syrien eine abgegrenzte Identität hat (vgl. zu den Maßstäben bei einer Gruppenverfolgung auch OVG Schleswig, Urteil vom 14. Dezember 2006 – 1 LB 67/05 – juris, Rn. 30 m.w.N.). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die syrische Gesellschaft die Männer, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, als soziale Gruppe wahrnimmt. Auch liegt insoweit keine Anknüpfung an das (männliche) Geschlecht vor. Sanktionen wegen Verletzung dieser Pflicht richten sich ausschließlich nur deshalb gegen Männer, weil eine Wehrdienstpflicht in Syrien nur für Männer besteht (vgl. zuletzt DOI, Auskunft an VGH Kassel vom 22. Februar 2018, S. 4; AA an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zu Az. 5 K 7480/16.A, S. 4).

105

(1) Für die Frage des Vorliegens einer Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG ist zu bewerten, ob sich aus den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen in hinreichender Dichte Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Kläger zu 1) bei der gedanklich zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien bestraft bzw. inhaftiert werden würde (mit der damit verbundenen Gefahr der Folter oder Misshandlung), wenn ihm das syrische Regime die Erfüllung der Straftatbestände der Wehrdienst- bzw. Militärdienstentziehung unterstellt. Ob einem Wehr- bzw. Militärdienstentzieher allein die Einziehung zum Wehrdienst und ein Militäreinsatz oder zusätzlich eine Inhaftierung bzw. ein Strafverfahren drohen, wird in den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nicht einheitlich beurteilt. Der Senat ist nach der Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände jedoch der Auffassung, dass keine hinreichenden Erkenntnisse dafür vorliegen, dass (ggf. zurückkehrenden) Wehr- bzw. Militärdienstdienstverweigerern beachtlich wahrscheinlich eine Bestrafung und/ oder Inhaftierung droht, sofern keine weiteren individuellen Anhaltspunkte auf eine Regimegegnerschaft hindeuten. Vor allem im Hinblick auf den weiterhin hohen Personalbedarf in der syrischen Armee und die Rekrutierungsbemühungen des Assad-Regimes fallen selbst die geschilderten – wenn auch nur zum Teil belegten – Verfolgungsfälle nicht im erforderlichen Maße ins Gewicht (so ebenfalls OVG Hamburg, Urteil vom
11. Januar 2018 – 1 Bf 81/17.A – juris, Rn. 107 ff.; die Frage einer Verfolgungshandlung ebenfalls verneinend OVG Lüneburg, zuletzt mit Beschluss vom 22. Februar 2018 – 2 LB 1789/17 – juris, Rn. 94 ff.; die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung im Ergebnis wohl bejahend: OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris, Rn. 41; OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 147, 152).

106

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führt aus, dass bei Einreisen nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft werde, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn sie ihren Militärdienst absolviert hätten, komme es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert würden (BFA vom 25. Januar 2018, S. 40 mit Verweis auf IRB vom 19. Januar 2016, S. 6 f.).

107

Der UNHCR führt in seinen Stellungnahmen aus November 2017 (S. 40, Fn. 227 unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des UNHCR aus Februar 2017) und vom 30. Mai 2017 (S. 2) aus, dass Berichten zufolge Wehr- bzw. Militärdienstentziehern eher als strafrechtliche Sanktionen (Inhaftierung) nach dem Militärstrafgesetz innerhalb von Tagen bzw. Wochen nach ihrer Festnahme ein Einsatz an vorderster Front drohe, oft nur mit einer minimalen Ausbildung. In der deutschen Übersetzung von April 2017 (S. 23 und Fn. 113) der in Bezug genommenen Stellungnahme vom Februar 2017 heißt es, dass Wehrdienstentzieher Berichten zufolge in der Praxis festgenommen und unterschiedlich lange inhaftiert würden, sie müssten danach in ihrer militärischen Einheit Dienst leisten. Aus Berichten gehe weiter hervor, dass sie während der Haft dem Risiko von Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt seien. Als Referenz wird eine Anwältin von Human Rights Watch mit der Äußerung zitiert, Human Rights Watch wisse, dass Menschen in Syrien aufgrund ihrer Weigerung, in der Armee zu dienen, inhaftiert seien. Zudem wird ein Bericht aus Al Jazeera vom Juni 2016 angeführt, wonach mögliche Folgen für Wehrdienstentzieher umgehende Einziehung nach der Festnahme, Einsatz an vorderster Front, Untersuchung und Folter und/ oder Inhaftierung seien. Welche Konsequenz(en) die Wehrdienstentziehung habe, könne vom Profil der betreffenden Person, ihren Verbindungen und dem Gebiet abhängen (siehe auch UNHCR vom 30. Mai 2017, S. 4 Fn. 15: „…Die Quellen sprechen von mehreren möglichen Konsequenzen, wenn ein Wehrdienstentzieher von den Behörden gefasst wird; unmittelbar nach der Festnahme verordnete Einberufung in den Wehrdienst, Einsatz an vorderster Front, Ermittlungen und Folter, und/ oder Inhaftierung. Welche dieser Konsequenzen oder welche Kombination an aufgeführten Konsequenzen eine Person zu befürchten hat, hängt vom persönlichen Profil der Person, ihren Verbindungen und ihrem Wohnort ab. Wenn die Behörden besagte Person verdächtigen, in Verbindung mit Oppositionsgruppen zu stehen und mit diesen womöglich zu kooperieren, wird sie Ermittlungen und Misshandlungen einschließlich Folter unterzogen werden. …“.).

108

Der Bericht von Al Jazeera und die weiteren Ausführungen im Bericht des UNHCR deuten eher darauf hin, dass eine Inhaftierung mit Misshandlung und Folter dann droht, wenn aufgrund weiterer Umstände von einer oppositionellen Haltung der betroffenen Person ausgegangen wird. Dem Bericht der Anwältin hingegen ist nicht zu entnehmen, auf welche Tatsachengrundlage er gestützt wird. Auch eine bezifferte Dimension von Inhaftierungs- bzw. von Folterfällen kann dem Bericht nicht entnommen werden.

109

Soweit von einem Einsatz an vorderster Front innerhalb von wenigen Tagen und Wochen nach der Festnahme berichtet wird, führt der UNHCR in seiner Stellungnahme aus April 2017 an anderer Stelle (S. 25 und Fn. 122) aus, es sei gängige Praxis, Wehrpflichtige und Reservisten nach begrenzter Ausbildung oder ganz ohne militärische Ausbildung an den Frontlinien einzusetzen. Als Referenz wird in der Fußnote 122 der Syrienexperte des Institute for the Study of War (ISW), Herr Kozak, zitiert, wonach Reservisten fast grundsätzlich an die vorderste Front und neu eingezogene Wehrdienstleistende fast ohne Ausbildung in den Kampf geschickt würden. Aufgrund dessen kann nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass Militärdienstentzieher nach ihrer Festnahme härter behandelt werden als Personen, die der Einberufung zum Wehrdienst bzw. der Einberufung als Reservist gefolgt sind (vgl. zum sog. Politmalus: BVerfG, Beschluss vom 29. April 2009 – 2 BvR 78/08 – juris, Rn.18 m.w.N.).

110

Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Inhaftierung lässt sich auch nicht aus der Stellungnahme von Herrn Kozak gewinnen, die in den Berichten des UNHCR vom November 2017 sowie vom 30. Mai 2017 wiedergegeben wird (UNHCR vom November 2017, S. 40, Fn. 226 - E-Mail von C. Kozak vom 6. Oktober 2017 -; UNHCR, Auskunft an VGH Kassel vom 30. Mai 2017, S. 3 Fn. 14 - E-Mail von C. Kozak vom 18. Mai 2017 -, vgl. auch S. 6, E-Mail vom 24. Mai 2017). Herr Kozak wird dahingehend zitiert, er habe Berichte gehört, wonach das Verhalten eingezogener Wehrdienstentzieher durch Militäroffiziere und andere Offizielle als verräterisch und regierungsfeindlich angesehen würde. In der Stellungnahme des UNHCR vom 30. Mai 2017 (S. 6) wird er dahingehend zitiert, dass die Regierung in der Praxis aufgrund des anhaltenden Bedarfes an Streitkräften ein begrenztes Interesse daran zeige, Wehrdienstentzieher den geltenden rechtlichen Sanktionen zu unterziehen. Anstatt langjähriger Gefängnisstrafen scheine die rasche Einberufung in den Wehrdienst die bevorzugte Reaktion auf Wehrdienstentziehung zu sein und zwar selbst bei Personen, die in Regionen wohnten, die zuvor unter der Kontrolle von Oppositionsgruppen gestanden hätten. Die meisten Wehrdienstentzieher befänden sich daher vermutlich nicht für lange Zeit im Strafverfolgungssystem. Die brutalen Bedingungen der Einziehung zum Militärdienst mit haftähnlicher Internierung auf Militärstützpunkten und minimalem Training vor dem Fronteinsatz blieben jedoch bestehen.

111

Auch wenn sich die verschiedenen Äußerungen inhaltlich nicht widersprechen, lassen sie hinsichtlich der beachtlichen Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgungshandlung verschiedene Deutungsmöglichkeiten zu. Den Äußerungen von Herrn Kozak kann zudem nicht entnommen werden, auf welchen tatsächlichen Grundlagen sie beruhen, ob es sich um eine eigene Bewertung handelt oder diesen Äußerungen Erkenntnisse über entsprechende Vorgänge und ggf. in welcher Dimension bzw. unter welchen Umständen zugrunde liegen. Die weiteren vom UNHCR in der Stellungnahme vom 30. Mai 2017 (S. 6 f.) genannten Referenzquellen (J. Landis, R. Davis und L. Fakih) gehen nach ihrem Verständnis des Assad-Regimes bzw. auf der Grundlage von nicht näher genannten Interviews davon aus, dass Wehrdienstverweigerung als regierungsfeindlich angesehen werde. Den Äußerungen lässt sich ebenfalls – soweit es sich nicht nur um Wertungen handelt – keine Tatsachengrundlage entnehmen.

112

Der Danish Refugee Council (vom August 2017, S. 13 unter Hinweis auf C. Kozak) geht davon aus, dass die individuelle Verfolgung von einzelnen Personen, die sich dem Wehrdienst bzw. dem Militärdienst entzogen hätten, auch angesichts der Vielzahl derjenigen, die der Einberufung nicht gefolgt seien, nicht im Vordergrund stehe. Weiter wird dort (S. 13 f., Fn. 62) unter Berufung auf C. Kozak und andere Quellen ausgeführt, dass Wehrdienstentzieher, wenn sie festgenommen werden, riskierten zum Militärdienst eingezogen zu werden, während Deserteuren eher schwerere Konsequenzen drohten, wie Inhaftierung (imprisonment) oder die Todesstrafe.

113

Das Auswärtige Amt (Auskunft an VG Düsseldorf zu Az. 5 K 7221/16 A vom 2. Januar 2017, S. 2 f.) berichtet – wie bereits ausgeführt – allgemein über Befragungen von Rückkehrern aus dem Ausland und führt gleichzeitig aus, dass zu einer systematischen Anwendung von schwerwiegenden Eingriffen bei derartigen Befragungen keine Erkenntnisse vorlägen. Zur speziellen Verfolgungsgefahr für zurückkehrende Wehrdienstentzieher äußert sich das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom 13. September 2017 an das Verwaltungsgericht Köln (S. 1). Es führt aus, dass über die Exekution von desertierten Soldaten berichtet werde, sowie über willkürliche Verhaftungen von Männern, die sich nicht ausweisen könnten und aus umkämpften Gebieten geflohen seien. „Dies gilt auch für Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich dem Militärdienst entzogen haben“. Unabhängig von der genauen semantischen Bedeutung der zitierten Formulierung, ist die Belastbarkeit dieser weiter nicht belegten Äußerung vor allem angesichts der gegenteiligen Erkenntnisse, dass die Rekrutierung von Wehrpflichtigen im Vordergrund stehe, zumindest fraglich. In der Auskunft der deutschen Botschaft Beirut an das BAMF (3. Februar 2016, S. 1) wird von Fällen – auch im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Wehrdienst – berichtet, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert und dauerhaft verschwunden seien. Dies stehe aber überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten.

114

Das Deutsche Orient-Institut führt in seiner Auskunft vom 8. November 2016 an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht (S. 1, 2) zwar aus, dass, wenn die Ausreise u.a. dem Zweck gedient habe, sich dem Wehrdienst zu entziehen, dies eine harte Bestrafung nach sich ziehe. Allerdings wird weiter ausgeführt, dass die zur Verfügung stehende Datenlage aufgrund der aktuellen Lage in Syrien hinsichtlich behördlicher Aktivitäten und Vorgehensweisen des syrischen Staates nicht immer belastbar sei.

115

Das IRB berichtet in seiner Stellungnahme vom 19. Januar 2016 (S. 5 f. dt. Übersetzung) von einer Gefährdung nicht gedienter Männer bei einer Einreise über die Flughäfen. Verschiedene Quellen hätten festgestellt, dass Männer im wehrfähigen Alter besonders gefährdet seien, von Sicherheitsbehörden am Flughafen und anderen Grenzübergangsstellen misshandelt zu werden. Es ist jedoch unklar, auf welcher Datenlage die benannten Quellen zu der Einschätzung gekommen sind und ob es bei den inhaftierten Personen weitere Anhaltspunkte für eine mögliche oppositionelle Einstellung oder das Zuschreiben einer regimefeindlichen Einstellung gab. So wird an anderer Stelle im Bericht auch ausgeführt (S. 4 f. dt. Übersetzung), dass es nur „limitierte“ Informationen bezüglich der Behandlung von syrischen Rückkehrern seit 2011 gebe bzw. es „sehr schwer“ sei, Informationen über die Behandlung von Rückkehrern durch Grenzbeamte zu erhalten, da die Presse darüber nicht berichten könne. Die im Weiteren geschilderten Einzelfälle können nach Ansicht des Senats schon angesichts der Vielzahl von Wehrdienstentziehern nicht als ausreichende Faktenlage für die Annahme einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgung dienen.

116

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Auskunft vom 21. März 2017, S. 8) zitiert im Wesentlichen den Bericht des IRB vom 19. Januar 2016 (S. 8 f. dt. Übersetzung), wonach Männer im wehrdienstfähigen Alter besonders gefährdet seien, Opfer von Misshandlungen zu werden. Auf die vorstehenden Ausführungen zu dieser Stellungnahme wird Bezug genommen. Wehrdienstentziehern drohe je nach Profil und Umständen sofortiger Einzug zum Militär, Einzug an die Front oder Haft und Folter (SFH vom 23. März 2017, S. 10 m.w.N.). Mit Verweis auf den Finish Immigration Service führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) weiter aus, dass die Umsetzung der Bestrafung willkürlich sei. Die Bestrafung hänge von der Position und dem Rang des Deserteurs wie auch dem Bedarf an der Front ab. In einer Stellungnahme vom 18. Januar 2018 (S, 7 f.) führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe unter Verweis auf den UNHCR weiter aus, dass Wehrdienstentziehung als oppositionelle Handlung bewertet und Wehrdienstentzieher in der Praxis zu unterschiedlich langen Haftstrafen verurteilt würden. In der Haft komme es zu Folter und anderen Misshandlungen.

117

Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA vom 5.1.2017, S. 27) führt unter Berufung auf den Danish Immigration Service aus, dass ein Wehrdienstverweigerer, der aufgegriffen würde, zum Dienst in der Armee geschickt werden könnte. Die Konsequenzen hingen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gebe, wären die Folgen ernster. Im Bericht des Bundesamtes aus August 2017 (S. 20 und Fn. 51) geht dieses unter Berufung auf Interviews mit einer europäischen diplomatischen Quelle in Beirut am 18. Mai 2017 sowie vom selben Tag mit Lama Fakih davon aus, dass bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung die Meinungen der Quellen auseinandergingen. Während die einen darin eine „Foltergarantie“ und ein „Todesurteil“ sähen, würden andere sagen, dass Verweigerer sofort eingezogen würden.

118

In der schriftlichen Auskunft an das Verwaltungsgericht Dresden (Az. 5 A 1337/17.A) vom 6. Februar 2017 gibt die als Sachverständige beauftrage Petra Becker an, dass derjenige, der sich dem Wehrdienst durch Flucht ins Ausland entzieht, bei seiner Rückkehr mit Gefängnis und Folter rechnen müsse, auch wenn sie es für das Wahrscheinlichste halte, dass ein rückkehrender Wehrpflichtiger bei seiner Einreise direkt dem Wehrdienst zugeführt wird.

119

Abgesehen von der danach unklaren und mit nur wenig Fakten belegten Erkenntnislage sind nach Auffassung des Senats zudem die nachfolgenden Erwägungen bei der Beurteilung, ob zurückkehrenden Wehrdienstverweigerern beachtlich wahrscheinlich eine Bestrafung und/ oder Inhaftierung droht, wenn keine individuellen Anhaltspunkte auf eine Regimegegnerschaft hindeuten, zu berücksichtigen:

120

Die syrische Armee ist durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen erheblich geschwächt und hat einen Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Es wird berichtet (BFA vom 25. Januar 2018, S. 23 und vom 5. Januar 2017, S. 23; DRC vom August 2017, S. 8; SFH vom 23. März 2017, S. 2), dass viele Männer ihrer Einberufung nicht Folge leisten. Auskünften zufolge sollen die kampffähigen Truppen der syrischen Armee von ehemals 300.000 Soldaten auf ca. 125.000 bis 175.000, nach anderen Angaben auf 80.000 bis 100.000 reduziert worden sein. Bereits im Jahr 2014 soll das Assad-Regime nur noch über 100.000 Soldaten verfügt haben (UNHCR vom 30. Mai 2017, S. 2, Fn. 7 unter Verweis auf C. Kozak), von denen nur 30.000 bis 40.000 Soldaten den Eliteeinheiten angehören, die tatsächlich in der Lage gewesen seien, militärische Operationen durchzuführen (SFH vom 23. März 2017, S. 2). Anderen Angaben zufolge soll die syrische Armee im November 2016 nur noch über 50.000 Soldaten verfügt haben (SFH vom 23. März 2017, S. 2, Fn. 6).

121

Hinzu kommt, dass diverse Quellen berichten, die syrische Armee sei inzwischen nur teilweise in große Militäroperationen involviert. Bei diesen verlasse sich das Assad-Regime auf eine Mischung aus Elite-Einheiten, loyalen Milizen und ausländischer Unterstützung, insbesondere die iranischen „Islamischen Revolutionsgarden“, afghanische und irakische schiitische Milizen und die libanesischen Hisbollah-Milizen. Diejenigen Einheiten, in denen Wehrpflichtige überwiegend eingesetzt würden, seien daran nicht beteiligt (DRC vom August 2017, S. 9; zum militärischen Einfluss von Russland, dem Iran anderen internationalen Akteuren vgl. BFA vom 25. Januar 2018, S. 9, 13, 19; Bundeszentrale für politische Bildung vom 20. Oktober 2017, Syrien – Die aktuelle Situation; SFH vom 23. März 2017, S. 3 f.; Spiegel-Online vom 4. April 2018 – Dreigipfel zu Syrien – Teile und herrsche).

122

Gleichzeitig hat das syrische Regime verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die personellen Verluste zu kompensieren. Es wird beispielsweise über Verhaftungen von Deserteuren und von Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, sowie Zwangsrekrutierungen berichtet (SFH vom 23. März 2017, S. 2). Darüber hinaus wird geschildert, das Assad-Regime verlange bei Kapitulationsverhandlungen über Gebiete, die von der Opposition besetzt waren, dass die jungen Männer der Region in die syrische Armee eintreten. Nach der Eroberung von Ost-Aleppo sollen etwa 5000 Männer in den Wehrdienst eingezogen worden sein. Selbst Häftlinge sollen unter Druck gesetzt werden, in die syrische Armee einzutreten (vgl. SFH vom 23. März 2017, S. 7). Auch intern Vertriebene werden an ihren neuen Aufenthaltsorten registriert und in den Militärdienst aufgeboten (SFH vom 28. März 2015 [Mobilisierung], S. 2). Andererseits versucht das Assad-Regime, mit Amnestien und der Erhöhung des Soldes Anreize für den Eintritt in den Militärdienst zu schaffen (SFH vom 23. März 2017, S. 3, 12; BFA vom August 2017, S. 23).

123

Dem Bestreben des Assad-Regimes nach einer Erhöhung der Zahl seiner Militärangehörigen durch Rekrutierung dürfte es auch angesichts der Berichte darüber, dass den Einberufungen im großem Umfang (nach Angaben der SFH sollen zwischen 70.000 bis 110.000 Soldaten desertiert sein oder sich dem Wehrdienst entzogen haben) nicht Folge geleistet wird (DRC vom August 2017, S. 8; SFH vom 23. März 2017, S. 2), widersprechen, wenn die so rekrutierten Soldaten zunächst inhaftiert und dann gegebenenfalls misshandelt und im schlimmsten Fall getötet würden. So wird auch berichtet, dass dem Regime nicht daran liege, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es würden nämlich auch künftig motivierte Kämpfer benötigt (BFA vom 25.Januar 2018 mit Verweis auf FIS vom 23. August 2016).

124

Diese Einschätzung wird nicht dadurch entkräftet, dass ein hoher Vertreter des syrischen Militärs eine harte Bestrafung der Zurückkehrenden angekündigt hat (Spiegel vom 11. September 2017, Assads Top-General droht Flüchtlingen). Es fehlen zureichende Anhaltspunkte dafür, dass diese Einzeläußerung repräsentativ für das syrische Regime gestanden hat. So hat Präsident Assad Ende 2015 in einem TV-Interview Gegenteiliges erklärt (vgl. hierzu OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/1 – juris, Rn. 50 f.; OVG Münster, Urteil vom 21. Februar 2017 – 14 A 2316/16 – juris, Rn. 66 f.). Nach einer Auskunft der Deutschen Orient-Stiftung (an VG Freiburg zum Az. 4 A 3 K 3579/16 vom 29. November 2017) seien die Äußerungen des Generals nicht über das offizielle Sprachrohr der syrischen Regierung erfolgt. Neben verschiedenen Medienberichten würden von offizieller Seite keine Stellungnahmen, Bestätigungen oder Dementi vorliegen. Nach einem englischen Zeitungsbericht habe sich der zwischenzeitlich Verstorbene Issam Zaherddine später für seine Äußerung entschuldigt und klargestellt, dass er Kämpfer des IS und Rebellen gemeint habe, die syrische Truppen getötet hätten (vgl. The Telegraph vom 18. Oktober 2017, zitiert nach https://www.telegraph.co.uk/news/ 2017/10/18/top-syrian-general-killed-isil-landmine-near-deir-ezzor/).

125

Bei der vom Senat anzustellenden Prognose ist zudem die große Anzahl von syrischen Flüchtlingen im (benachbarten) Ausland zu berücksichtigen (siehe oben zu den konkreten Zahlen). Allein unter den vom UNHCR erfassten 5,6 Mio. Flüchtlingen befinden sich circa 25 % männliche Flüchtlinge im Alter zwischen 18 und 59 Jahren. Bei der bei der Prognose zu unterstellenden Rückkehr einer Vielzahl dieser Flüchtlinge nach Syrien kann nicht sicher vorhergesagt werden, wie sich das syrische Regime diesen gegenüber verhalten wird. Insbesondere eine Bestrafung auch nur eines beachtlichen Teils dieser mehr als 1,5 Millionen männlichen Rückkehrer ist nicht hinreichend wahrscheinlich. Ergänzend ist – wie bei der allgemeinen Rückkehrfrage – darauf hinzuweisen, dass auch der Umstand, dass seit 2015 rund 260.000 Syrer, davon 31.000 im 1. Halbjahr 2017, zumindest zeitweise nach Syrien zurückgekehrt sind – darunter dürften auch Männer im wehrdienstfähigen Alter sein – Zweifel daran begründet, dass eine Inhaftierung einer signifikanten Zahl von Rückkehrern im wehrdienstfähigen Alter beachtlich wahrscheinlich ist.

126

Angesichts der dargestellten Erwägungen zum Personalbedarf in der syrischen Armee und der hohen Zahl von ausgereisten männlichen syrischen Bürgern sowie den Auskünften, die dafür sprechen, dass Wehrdienstentzieher nach einer Festnahme ohne vorangegangenes Strafverfahren oder Strafhaft umgehend zum Militärdienst eingezogen werden, sind für den Senat die (vereinzelten) Berichte über konkrete Verfolgungsfälle im Zusammenhang mit der Wehr- bzw. Militärdienstentziehung quantitativ und qualitativ nicht ausreichend, um eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung annehmen zu können. Diversen Berichten fehlt vor allem die Angabe einer die jeweiligen Einschätzungen stützenden Tatsachengrundlage. Eine solche wäre angesichts der dargestellten entgegenstehenden Gesichtspunkte jedoch erforderlich.

127

(2) Ungeachtet der Bewertung, dass danach bereits eine Verfolgungshandlung nicht beachtlich wahrscheinlich angenommen werden kann, lassen sich den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nach Ansicht des Senats keine hinreichend verlässlichen und ausreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass Wehrdienst- bzw. Militärdienstentziehern beachtlich wahrscheinlich durch das syrische Regime eine regimefeindliche Haltung unterstellt wird und ihnen daher in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine relevante Verfolgung droht. Es fehlt mithin auch an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund.

128

Neben den bereits Eingangs (oben cc) vor (1), S. 37 f.) dargestellten Erwägungen sind folgende Erkenntnisse und Gesichtspunkte im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung zu berücksichtigen:

129

Die syrische Armee rekrutiert Berichten zufolge grundsätzlich unabhängig von ethnischen oder religiösen Hintergründen (SFH vom 28. März 2015, S. 2 f.). Bei der Einberufung, die auf Grundlage des Kriegsrechts innerhalb weniger Tage erfolgen kann, wird zudem keine Unterscheidung zwischen Anhängern bzw. Unterstützern des Regimes und potentiellen Oppositionellen gemacht (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30. Juli 2014, S. 7). Dies zeigt sich auch daran, dass bei Kapitulationsverhandlungen über Gebiete, die von der Opposition besetzt waren, verlangt wird, dass die jungen Männer der Region in die syrische Armee eintreten (SFH vom 23. März 2017, S. 7, und vom 28. März 2015, S. 2 f.).

130

Wie bereits dargestellt, ergibt sich aus einer Vielzahl der vom Senat ausgewerteten Erkenntnisquellen, dass die Bestrafung von Wehrdienstverweigerern willkürlich erfolgt und häufig von der Position und dem Rang des Betreffenden, der Herkunftsregion aber auch von dem Bedarf an der Front abhängig ist. Bestehe der Verdacht, dass Kontakte zur Opposition bestehen, würden die Untersuchungen und Folter intensiviert (SFH vom 23. März 2017, S. 10 mit Verweis auf FIS vom 23. August 2016, S. 12 f. und weitere Quellen; BFA vom 5. Januar 2017, S. 27). Ebenfalls wird berichtet, dass einige der Festgenommenen zwar zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen würden, andere aber lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt würden (SFH vom 28. März 2015, S. 4). An anderer Stelle weist die Schweizerische Flüchtlingshilfe (vom 21. März 2017, S. 10) darauf hin, dass prinzipiell davon ausgegangen werden müsse, dass jede Person, die nach Syrien zurückkehre, verhaftet und misshandelt werden könne. Die Willkür zeige sich auch darin, dass sich Einzelne mit Bestechung freikaufen könnten. Amnesty International beschreibe den weit verbreiteten Opportunismus der syrischen Sicherheitsbeamten, die entweder aus Profitgier oder aus persönlicher Rache Menschen verhaften und verschwinden ließen. Auch seien viele Menschen in Haft, weil sie aus persönlichen Gründen von Informanten diffamiert worden seien. Diese Willkür spiegele sich auch in der Struktur der Sicherheitsdienste wieder (SFH vom 21. März 2017, S. 10).

131

Der UNHCR gibt an, dass nach Stellungnahmen unabhängiger Beobachter Wehrdienstentziehung „wahrscheinlich“ als politischer Akt gegen die Regierung aufgefasst werde, was die Behandlung, der Wehrdienstentzieher ausgesetzt seien, ganz oder teilweise motivieren könne. Es könne zur einer Bestrafung kommen, die über die strafrechtlich vorgesehenen Sanktionen hinausgehe, einschließlich härtere Behandlung bei der Inhaftierung, während der Haft und Befragungen sowie während des militärischen Einsatzes (Bericht vom November 2017, S. 39 unten/ S. 40 oben mit Fn. 224; Auskunft an VGH Kassel vom 30. Mai 2017, S. 3 mit Fn. 13 und 14, S. 6 f.). Wie bereits oben dargestellt, führt der UNHCR allerdings in seiner Stellungnahme vom 30. Mai 2017 (S. 3) weiter aus, dass „oft nicht zu unterscheiden und festzustellen“ sei, ob die gegen die Betroffenen angewandten Sanktionen als Antwort auf die Straftat der Wehrdienstentziehung oder auf die unterstellten oppositionellen Überzeugungen erfolgten. Auch im Bericht vom November 2017 wird ausgeführt, dass Berichten zufolge Wehrdienstentzieher aber eher, als dass sie nach dem Militärstrafgesetzbuch bestraft, innerhalb von Tagen oder Wochen nach ihrer Verhaftung an die Front geschickt würden, oft nur nach minimaler Ausbildung. Anderen Berichten zufolge gebe es auch Deserteure, die nachdem sie aufgegriffen wurden, in den Militärdienst bzw. an die Front geschickt worden seien (DRC, August 2017 S. 14 Fn. 67 – 69; SFH vom 23. März 2017, S. 10 m.w.N.). Die vom UNHCR angeführten Referenzquellen lassen – auch dies ist bereits oben festgestellt worden – zudem nicht erkennen, auf welcher Tatsachengrundlage die Einschätzung der Unterstellung einer regimefeindlichen Haltung beruht.

132

Der vom UNHCR als Referenzquelle genannte Herr Kozak hat angegeben (UNHCR vom 30. Mai 2017, S. 3, Fn. 14, E-Mail von C. Kozak vom 18. Mai 2017), er habe gehört, dass das Verhalten von bereits einberufenen Wehrdienstverweigerern von Militäroffizieren und anderen Beamten als verräterisch und regierungsfeindlich angesehen werde könne. In der Stellungnahme des UNHCR vom November 2017 (S. 39, Fn. 224) wird Herr Kozak dahingehend zitiert (E-Mail vom 6. Oktober 2017), dass nach seiner Einschätzung die Regierung Sanktionen gegen Wehrdienstentzieher als strafrechtliche Ahndung verhänge, aber auch weil sie die Wehrdienstentziehung als politische oder regierungsfeindliche Tätigkeit ansehe.

133

Die in der Stellungnahme des UNHCR vom 30. Mai 2017 (S. 6) aufgeführten weiteren Referenzquellen (J. Landes, R. Davis und L. Fakih) geben z.T. ihre subjektive Einschätzung wieder. Es ist nicht erkennbar, auf Grundlage welcher Fakten (genannt werden von R. Davis „Interviews“) diese Einschätzung erlangt worden ist. Bei der Bewertung der Stellungnahme des UNHCR vom 30. Mai 2017 (S. 4) ist weiterhin zu beachten, dass dort die Relevanz des Vorliegens weiterer Risikofaktoren herausgestellt wird, mithin das persönliche Profil der jeweiligen Person die Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen betroffen zu sein, maßgeblich mitbestimmt (weitere Ausführungen hierzu siehe oben und Fn. 18 auf S. 4 der Stellungnahme des UNHCR, wo es heißt: „Berichten zufolge verhaftete die Regierung Männer im wehrdienstfähigen Alter, bei denen eine Verbindung mit Oppositionsgruppen vermutet wurde, insbesondere Sunniten.“).

134

Weiter wird berichtet, dass die Ausbildungszeit der Wehrpflichtigen oft kurz (45 Tage) sei (BFA vom August 2017, S. 18) und die Betreffenden häufig unverzüglich an die Front geschickt würden (UNHCR vom April 2017, S. 25 f.). Angesichts der Schilderungen, dass dies scheinbar alle Wehrpflichtigen und Reservisten treffe (vgl. UNHCR vom April 2017, S. 25 und Fn. 122), ist die Annahme nicht belastbar, wonach dies nur Wehrdienstverweigerer oder Reservisten treffe, die sich der Einberufung entzogen haben. Es ist daher auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dies in Anknüpfung an eine aufgrund der Wehrdienstentziehung dem Kläger zu 1) zugeschriebene regimefeindliche Haltung erfolgt.

135

Die Unabhängige Untersuchungskommission für Syrien führt im Bericht vom 11. August 2016 (A/HRC/33/55, S. 13 Rn. 75) aus, dass Zivilisten, hauptsächlich Männer im kampffähigen Alter, weiterhin von den Straßen Syriens verschwinden würden. Zehntausende von Syrern würden vermisst, viele unter Umständen, die vermuten ließen, dass sie gewaltsam verschwunden seien. Nicht weiter erläutert wird, ob es sich um (Zwangs-)Rekrutierungen oder Inhaftierungen handelt und aus welchen Gründen diese erfolgten.

136

Insbesondere das dargestellte (Rekrutierungs-)Verhalten des syrischen Regimes scheint insoweit primär durch Überlegungen zur Erhaltung seiner Macht gekennzeichnet zu sein. Demgegenüber fehlen nach Auffassung des Senats jedenfalls hinreichend verdichtete Erkenntnisse darüber, wie das syrische Regime mit der bei der Prognose zu unterstellenden Vielzahl zurückkehrender Männer, die sich der Einberufung zum Wehrdienst oder dem Wehrdienst durch Flucht ins Ausland entzogen haben, umgehen würde und ob ihnen allein wegen der Wehrdienstentziehung eine oppositionelle Haltung unterstellt würde. Darüber hinaus ist berücksichtigen, dass sich wehrpflichtige Männer durch eine Flucht aus einem „Oppositions-Gebiet“ auch einem etwaigen Einsatz in Einheiten, die gegen das syrische Herrschaftsregime kämpfen, entzogen haben.

137

Die gebotene Gesamtwürdigung der dargelegten Auskünfte, die in erheblichem Umfang von willkürlichen Verhaltensweisen des Regimes und seiner Vertreter berichten, der bereits zu der Frage einer Verfolgungshandlung ausgewerteten Erkenntnislage sowie der dargelegten Interessenlage des syrischen Regimes im Hinblick auf die Rückführung der Vielzahl von Wehr- und Militärdienstentziehern in die syrische Armee führt nach Auffassung des Senats zu der Schlussfolgerung, dass eine Inhaftierung und anschließende Misshandlung und damit eine Verfolgungshandlung wegen einer (unterstellten) regimefeindlichen Haltung nicht als beachtlich wahrscheinlich anzusehen ist, sofern nicht weitere risikoerhöhende Faktoren in der jeweiligen Person vorliegen (so im Ergebnis auch OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 139 ff.; OVG Saarlouis, Urteil vom 2. Februar 2017 – 2 A 515/16 – juris, Rn. 31; OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris, Rn. 53 ff.; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 85 ff.; OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018 – 1 Bf 81/17.A – juris, Rn. 131 ff.; bejahend, wenn auch nicht entscheidungserheblich OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018 – 2 LB 194/17 – juris, Rn. 71).

138

Andere Obergerichte (VGH München, Urteil vom 14. Februar 2017 – 21 B 16.31001 – juris; VGH Mannheim, Urteil vom 28. Juni 2017 – A 11 S 664/17 – juris; VGH Kassel, Urteil vom 6. Juni 2017 – 3 A 3040/16.A – juris, für rückkehrende Wehrdienstentzieher, die aus einem regierungsfeindlichen Gebiet stammen; OVG Bautzen, Urteil vom 7. Februar 2018 – 5 A 1245/17.A – juris, Rn. 38 ff.) sind zu der Überzeugung gelangt, dass nach Syrien zurückkehrenden Männern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Inhaftierung und menschenrechtswidrige Misshandlung droht, weil ihnen vom syrischen Regime eine regimefeindliche Haltung zugeschrieben werde. Zum Teil wird dies, da keine hinreichenden Erkenntnisse über nach Syrien zurückkehrende Männer vorliegen, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst durch Flucht ins Ausland entzogen haben, aus der Brutalität des Vorgehens des Assad-Regimes gegenüber Regimegegnern, insbesondere aus dem Vorgehen der Geheimdienste, geschlossen sowie aus dem Charakter des um seine Existenz kämpfenden Staates zur Wiederherstellung seines Herrschaftsmonopols abgeleitet (vgl. VGH München, a.a.O., Rn. 83 ff.; dort heißt es wörtlich: „Vor diesem Hintergrund [Anmerkung: Das Vorliegen nur vereinzelter Fallbeispiele und dass von Referenzfällen nicht ausgegangen werden könne, siehe Rn. 82] ergibt sich die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Merkmale vornehmlich aus dem Charakter des um seine Existenz kämpfenden Staates und den von seinen Machthabern mit größter Härte und unter Einsatz menschenrechtswidriger Mittel verfolgten Zielen.“). Andererseits wird angenommen, dass eine harte und menschenrechtswidrige Bestrafung von Männern, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, belegt sei, und von der erforderlichen Gerichtetheit auf Merkmale i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG im Hinblick auf den gegen die Zivilbevölkerung geführten Vernichtungskrieg, das dominierende Freund-/ Feind-Schema und wegen der Intensität der Verfolgungsmaßnahmen auszugehen sei (VGH Mannheim, Urteil vom 28. Juni 2017 – A 11 S 664/17 – Rn. 59 ff.; an diese Bewertung schließt sich das OVG Bautzen, a.a.O, juris, Rn. 40 ff. an; dieses geht weiterhin davon aus [a.a.O. Rn. 35], dass Rückkehrern im wehrdienstfähigen Alter nicht nur die gesetzlich dafür vorgesehene Bestrafung und/ oder die Einziehung droht, sondern insbesondere im Zusammenhang mit den drohenden Verhören und Bestrafungen auch Folter und der Einsatz an der Front mit oft nur minimaler Ausbildung, d. h. als „Kanonenfutter“.).

139

Der Einschätzung der benannten Obergerichte ist nicht zu folgen. Es ist – wie bereits dargestellt – schon zweifelhaft, ob mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgungshandlung ausgegangen werden kann oder ob nicht vielmehr den Erkenntnisquellen in erforderlichem Maße entnommen werden kann, dass Personen, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, im ausgeführten Gesamtkontext und angesichts des Bedarfs an Soldaten (nur) in das Militär eingezogen werden bzw. eine Inhaftierung nur beim Vorliegen von risikoerhöhenden Faktoren erfolgt. Zudem werden das nach dem dargestellten Erkenntnisstand beachtliche Interesse des syrischen Regimes an einer Truppenverstärkung und die schon immer praktizierte Einbindung auch oppositioneller Gruppen in die syrische Armee sowie der Umstand, dass sich die Betreffenden durch Flucht aus einer regierungsfeindlichen Zone dem Konflikt und damit der Einnahme durch den Regierungsgegner gerade entzogen haben, nicht zureichend in die Bewertung aufgenommen (ebenso OVG Lüneburg, zuletzt mit Beschluss vom 22. Februar 2018 – 2 LB 1789/17 – juris, Rn. 123, dessen Würdigung sich der Senat anschließt).

140

Jedenfalls das Fehlen einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit für eine an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal anknüpfende Verfolgungshandlung beruht auf einer anderen Bewertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen und den dem syrischen Regime zu unterstellenden Handlungsmotiven. Es ist nämlich fraglich, ob als handlungsleitendes Muster des Assad-Regimes ein solches Freund-/ Feind-Schema vorliegt, welches darauf schließen lässt, dass im Grunde jeder Wehrdienstentzieher als Gegner des Herrschaftsregimes angesehen wird. Neben der sich aus den Erkenntnisquellen ergebenden Willkür einzelner staatlicher Akteure dürften die Handlungen des syrischen Regimes vor allem dadurch bestimmt sein, was der Machterhaltung bzw. dem Vorteil des Regimes dient.

141

Des Weiteren ist bei der Gesamtwürdigung Folgendes zu berücksichtigen: Angesichts des kulturübergreifend verbreiteten Phänomens der Furcht vor einem Kriegseinsatz als Motivation zur Wehrdienstentziehung in Kriegszeiten dürfte es für jedermann auf der Hand liegen, dass Flucht und Asylbegehren syrischer Wehrpflichtiger in der Regel nichts mit politischer Opposition zum syrischen Regime, sondern allein mit – verständlicher – Furcht vor einem Kriegseinsatz zu tun hat. Es hieße, dem syrischen Regime ohne greifbaren Anhalt Realitätsblindheit zu unterstellen, wenn angenommen würde, es könne dies nicht erkennen und schreibe deshalb jedem Wehrdienstentzieher eine gegnerische politische Gesinnung zu. Für eine solche Annahme des Regimes gibt es keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte. Sie ist zudem nicht derartig verifiziert, dass darauf die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung gestützt werden kann (so ausdrücklich OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris Rn. 70; ebenso OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 153; OVG Saarlouis, Urteil vom 2. Februar 2017 – 2 A 515/16 – juris, Rn. 31; OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Februar 2018 – 2 LB 1789/17 – juris, Rn. 99).

142

Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof benennt zu dem entscheidenden Punkt, dass der syrische Staat Wehrdienstentziehern eine oppositionelle Gesinnung unterstelle (VGH München, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 B 16.30372 – juris, Rn. 72, 78 f.) keine tatsächlichen Anhaltspunkte, sondern beschränkt sich auf eine Spekulation. Die von ihm festgestellten Tatsachen, dass der syrische Staat wegen des bürgerkriegsbedingt hohen Bedarfs an Soldaten versucht, wehrdienstpflichtige Männer im Lande zu halten, Reservisten einzuberufen und nach ungedienten Wehrpflichtigen zu fahnden (vgl. VGH München, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 B 16.30372 – juris, Rn. 60 ff.), erklären das brutale Vorgehen gegen Wehrdienstentzieher ohne jeden Zusammenhang mit der politischen Gesinnung der Wehrpflichtigen. Soweit eingewandt wird, das syrische Regime sei unberechenbar, rationale Überlegungen könnten ihm nicht unterstellt werden, so mag das zutreffen (zur willkürlichen Gewaltanwendung syrischer Sicherheitskräfte vgl. SFH vom 21. März 2017, S. 8 f). Daraus folgt aber lediglich, dass mit willkürlicher Anwendung von Folter und willkürlichen Misshandlungen gerechnet werden muss, also gerade nicht mit (systematischen) Verfolgungshandlungen in Verknüpfung mit spezifischen Verfolgungsgründen. Solche willkürliche, von den spezifischen Verfolgungsgründen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG losgelöste Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung begründen jedoch keinen Flüchtlingsschutz, sondern einen Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, den der Kläger zu 1) bereits von der Beklagten zuerkannt bekommen hat (ebenso zum Ganzen: OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris, Rn. 76 ff.).

143

Auch der im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg enthaltene Hinweis auf „Willkür“, extralegale Tötungen, Folterungen und Verschwindenlassen „von Personen jeder Herkunft ungeachtet des konkreten Hintergrundes“ weist nach den vorangehenden Ausführungen nicht auf eine politische Gerichtetheit, sondern vielmehr auf das Fehlen eines Verfolgungsgrundes hin. Es fehlt für die Flüchtlings-anerkennung mithin an der erforderlichen Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommen muss (vgl. insoweit BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 – 10 C 52.07 – juris, Rn. 22, 24). Nach Auffassung des Senats ist auch die besondere Intensität der drohenden Verfolgungshandlungen angesichts des seit jeher stark repressiven Charakters des syrischen Staates nicht geeignet, die Gerichtetheit der drohenden Maßnahmen auf einen Verfolgungsgrund zu indizieren (ebenso ausdrücklich OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Februar 2018 – 2 LB 1789/17 – juris, Rn. 123). Angesichts der in Syrien generell herrschenden Brutalität und Willkür von Sicherheits- und Justizorganen stellt die Anwendung von Folter als solche jedenfalls kein gewichtiges Indiz für die politische Motiviertheit einer Verfolgung wegen Wehrdienstentziehung dar (ebenso OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 154).

144

dd) Ein Anspruch des Klägers zu 1) auf Zuerkennung der Flüchtlingsanerkennung im Zusammenhang mit einer möglichen Rekrutierung als Reservist folgt auch nicht aus § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3a Abs. 2 Nr. 5, § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylG.

145

Nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG kann die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, eine Verfolgungshandlung sein. § 3 Abs. 2 AsylG erfasst Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

146

Es ist bereits fraglich, ob eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass dem Kläger zu 1) überhaupt Verfolgung i. S. d. § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG droht. Nach dem oben Gesagten hat der Kläger durch seine Ausreise und den längeren Auslandsaufenthalt sich zwar einer Wehrdienstentziehung strafbar gemacht, es ist jedoch schon nicht beachtlich wahrscheinlich, dass er deshalb auch tatsächlich mit einer Verfolgungshandlung zu rechnen hat. Unabhängig davon hat der Kläger zu 1) zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich oder sinngemäß mitgeteilt, dass er im Falle einer sich der Rückkehr nach Syrien anschließenden Rekrutierung den Militärdienst deshalb verweigern werde, weil dieser Handlungen im Sinne von § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde. Lediglich der Prozessbevollmächtigte des Klägers zu 1) hat im Rahmen der Erörterungen zu § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG in der mündlichen Verhandlung angemerkt, dass sich sein Mandant hierauf berufe. Der Kläger zu 1) hat auch nicht in Syrien den Wehrdienst verweigert, sondern sich diesem „nur“ durch Flucht entzogen. Ob diese Fallgestaltung – Entziehung durch Flucht – überhaupt dem Begriff der Wehrdienstverweigerung i. S. d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG unterfällt, ist zumindest zweifelhaft (verneinend OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris, Rn. 95). Der Senat kann die Beantwortung dieser Frage aufgrund der nachfolgenden Erwägungen jedoch offenlassen.

147

Zwar ist bekannt, dass die verschiedenen, teilweise durch Interessen von außen gesteuerten Konfliktparteien des Bürgerkriegs in Syrien schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts begangen haben (vgl. UNHCR vom November 2017, S. 9, AI, Report Syrien 2018, S. 2 ff.; Human Rights Watch vom 13. Februar 2017, Syria: Coordinates Chemical Attacks on Aleppo; OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris, Rn. 92; OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Februar 2018 – 2 LB 1789/17 – juris, Rn. 104 m.w.N.). Auch kann sich grundsätzlich jeder Militärangehörige auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG berufen, auch derjenige, der lediglich logistische oder unterstützende Funktionen hat; die Vorschrift ist damit nicht darauf beschränkt, dass der betreffende Militärangehörige persönlich Verbrechen der genannten Art begehen müsste (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – C-472/13 – Shepherd, juris, Rn. 33, 37 zu dem der Regelung zugrunde liegenden Artikel 9 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2004/83/EG).

148

Jedoch kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Union der Schutz auf nicht den Kampftruppen angehörende Personen nur dann ausgedehnt werden, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass sie sich bei der Ausübung ihrer Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müssten (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – C-472/13 – juris, Rn. 38). Folglich obliegt es demjenigen, der die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt bekommen möchte, mit hinreichender Plausibilität darzulegen, dass die Einheit, der er angehört, die Einsätze, mit denen sie betraut wurde, unter Umständen durchführt oder in der Vergangenheit durchgeführt hat, unter denen Handlungen der in dieser Bestimmung genannten Art mit hoher Wahrscheinlichkeit begangen werden oder wurden (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – C-472/13 – juris, Rn. 43). Es muss also der geleistete Militärdienst selbst in einem bestimmten Konflikt die Begehung von Kriegsverbrechen umfassen, einschließlich der Fälle, in denen der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Begehrende nur mittelbar an der Begehung solcher Verbrechen beteiligt wäre, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass er durch die Ausübung seiner Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Verbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würde (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – C-472/13 – juris, Rn. 46).

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Hiervon ist im Falle des Klägers zu 1) nicht auszugehen. Nach den Äußerungen des Klägers zu 1) im Verwaltungsverfahren und in der mündlichen Verhandlung, ist völlig offen, in welcher Funktion und welcher Einheit er bei einer hypothetischen Rückkehr und einer ebenfalls hypothetischen Heranziehung zum Militärdienst zugeordnet würde. Ginge man beispielsweise davon aus, dass der Kläger in ähnlicher Funktion eingesetzt werden wird wie bei seinem Militärdienst in den Jahren 1995 - 1997, sprechen seine Angaben dagegen, dass er sich bei der Ausübung seiner Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an entsprechenden Handlungen beteiligen müsste. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger nämlich geschildert, dass er als einfacher Soldat vor allem im Verwaltungsbereich (Personalverwaltung) eingesetzt worden sei. An Kampfeinsätzen habe er nicht teilgenommen. Beim Bundesamt hat er zudem die Frage, ob er selbst Augenzeuge, Opfer oder Täter von begangenem Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit; Übergriffen (Folter, Vergewaltigungen oder andere Misshandlungen) von kämpfenden Einheiten auf die Zivilbevölkerung, Hinrichtungen bzw. Massengräbern oder Einsätzen von Chemiewaffen gewesen ist, verneint (siehe Bl. 106 des Verwaltungsvorgangs). Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass mehrere Quellen angeben, die syrische Armee setze für Kampfeinsätze vorrangig auf Elitetruppen, loyale Milizen und Unterstützung aus dem Ausland. Wehrpflichtige Syrer seien hieran wenig beteiligt, sondern viele würden insbesondere für administrative und logistische Tätigkeiten verwendet (DRC vom August 2017, S. 9, 67, 85). Bei vernünftiger Betrachtung ist es demnach nicht wahrscheinlich, dass der Kläger zu 1) durch die Ausübung seiner (wahrscheinlichen) Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Verbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würde.

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Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht mehr auf die Frage an, ob es im Hinblick auf § 3a Abs. 2 Nr. 5, § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylG ebenso wie bei den übrigen Verfolgungshandlungen einer Verknüpfung gemäß § 3a Abs. 3 AsylG bedarf (bejahend u.a. OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris, Rn. 87, und Beschluss vom 7. November 2017 – 14 A 2295/17.A – juris, Rn. 16; vgl. zum Meinungsstand OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 97 ff.), die voraussetzen würde, dass dem Kläger zu 1) wegen einer unterstellten Wehrdienstverweigerung beachtlich wahrscheinlich eine an die ihm zugeschriebene politische Überzeugung anknüpfende Bestrafung droht, die sich als härter als üblich darstellt (sog. Politmalus).

151

d) Selbst wenn man bei den Klägern alle vorgenannten Umstände – die illegale Ausreise und/ oder den längeren Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung, die Glaubenszugehörigkeit, die regionale Herkunft sowie bei dem Kläger zu 1) die Frage der Wehrdienstentziehung – zusammen in die zu treffende Prognoseentscheidung einbezieht, ergibt sich daraus keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine flüchtlingsrechtlich relevante (politische) Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG. Bei den Klägern liegen keine besonderen, individuell gefahrerhöhenden Umstände vor, weshalb ihnen vom syrischen Regime eine oppositionelle Haltung unterstellt werden könnte und ihnen deshalb Verfolgungsmaßnahmen drohten.

152

II. Der erstmals im Berufungsverfahren gestellte Feststellungsantrag für die Kläger zu 2) bis 6) hat ebenfalls keinen Erfolg. Da die Beklagte weder ausdrücklich noch konkludent ihre Einwilligung zur Änderung der Klage erklärt hat (§ 91 Abs. 2 VwGO), kommt es für deren Zulässigkeit auf ihre Sachdienlichkeit an. Eine solche Sachdienlichkeit liegt nicht vor. Einer geänderten (neuen) Klage fehlt die Eignung zur endgültigen Beilegung des Streitstoffs, wenn sie erkennbar unzulässig ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 7. Oktober 1980 – 6 C 39.80 – juris, Rn. 13 und vom 3. Juli 1987 – 4 C 12.84 – juris, Rn. 7). Die hier um eine allgemeine Feststellungsklage erweiterte Klage müsste als unzulässig abgewiesen werden. Sie ist jedenfalls mangels erforderlichen Rechtschutzbedürfnisses offensichtlich unzulässig.

153

Das Rechtsschutzbedürfnis ist etwa dann zu verneinen, wenn der angestrebte Rechtsschutz die Rechtsstellung des Rechtsschutzsuchenden nicht verbessern kann (vgl. Ehlers, in: Schoch/ Schneider/ Bier, VwGO, Stand: Juni 2017, Vorbemerkung § 40 Rn. 94). Eine solche Verbesserung der Rechtsstellung der Kläger zu 2) bis 6) ist in diesem Verfahren offensichtlich nicht möglich. § 26 AsylG erfordert zunächst einen gesonderten Antrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Einen solchen Antrag haben die Kläger zu 2) bis 6) (noch) nicht gestellt. Hierfür bestand bislang auch kein Bedürfnis, da die Beklagte vom Verwaltungsgericht zur Gewährung des Flüchtlingsstatus auch für die Kläger zu 2) bis 6) verpflichtet wurde. Allerdings scheitert ein positiver Ausspruch zum Familienflüchtlingsschutz zum jetzigen Zeitpunkt schon daran, dass entgegen den in § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 AsylG enthaltenen Vorgaben keine unanfechtbare Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Klägers zu 1) vorliegt. Unabhängig von den weiteren Anspruchsvoraussetzungen des § 26 Abs. 1 AsylG handelt es sich hierbei um einen ohne erhebliche Schwierigkeiten zu prüfenden Umstand. Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Feststellungsklage in der vorliegenden Art besteht daher nur dann, wenn die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Stammberechtigten unanfechtbar ist (vgl. im Übrigen Marx, Asylgesetz, 9. Auflage 2016, § 26 Rn. 47, wonach eine Feststellungsklage wegen Subsidiarität nach § 43 Abs. 2 VwGO unzulässig sei). Dies würde auch dann gelten, wenn der Senat entgegen den obigen Ausführungen einen solchen Anspruch des Klägers zu 1) bejaht hätte. Die Unanfechtbarkeit der Verpflichtung zur Gewährung der Flüchtlingseigenschaft würde auch dann erst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist aus § 133 Abs. 2 VwGO eintreten.

154

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.

155

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

156

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.


(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu ersetzen.

(2) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet, so sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten.

(3) In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.

(1) Die Vorschriften für die Revision in Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 3 des Vergütungsverzeichnisses gelten entsprechend in folgenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Verfassungsgericht (Verfassungsgerichtshof, Staatsgerichtshof) eines Landes:

1.
Verfahren über die Verwirkung von Grundrechten, den Verlust des Stimmrechts, den Ausschluss von Wahlen und Abstimmungen,
2.
Verfahren über die Verfassungswidrigkeit von Parteien,
3.
Verfahren über Anklagen gegen den Bundespräsidenten, gegen ein Regierungsmitglied eines Landes oder gegen einen Abgeordneten oder Richter und
4.
Verfahren über sonstige Gegenstände, die in einem dem Strafprozess ähnlichen Verfahren behandelt werden.

(2) In sonstigen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Verfassungsgericht eines Landes gelten die Vorschriften in Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 des Vergütungsverzeichnisses entsprechend. Der Gegenstandswert ist unter Berücksichtigung der in § 14 Absatz 1 genannten Umstände nach billigem Ermessen zu bestimmen; er beträgt mindestens 5 000 Euro.

(1) Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden. Bei Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandswert richten, ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

(2) Ist eine Rahmengebühr auf eine andere Rahmengebühr anzurechnen, ist die Gebühr, auf die angerechnet wird, so zu bestimmen, als sei der Rechtsanwalt zuvor nicht tätig gewesen.

(3) Im Rechtsstreit hat das Gericht ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen, soweit die Höhe der Gebühr streitig ist; dies gilt auch im Verfahren nach § 495a der Zivilprozessordnung. Das Gutachten ist kostenlos zu erstatten.