Bundessozialgericht Urteil, 07. Sept. 2017 - B 10 LW 1/16 R

ECLI:ECLI:DE:BSG:2017:070917UB10LW116R0
bei uns veröffentlicht am07.09.2017

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. September 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Verzinsung einer Beitragserstattung.

2

Sie ist seit 15.9.2009 verbeamtete Lehrerin und heiratete am 11.12.2010 einen Landwirt. Im März 2012 stellte die Beklagte rückwirkend ab dem Tag der Eheschließung die Versicherungspflicht der Klägerin fest (Bescheid vom 12.3.2012). Sie setzte einen laufenden Beitrag ab April 2012 fest. Den Beitragsrückstand der Klägerin bezifferte sie auf 3512 Euro.

3

Die Klägerin erhob Widerspruch und beantragte, sie von der Versicherungspflicht zu befreien. Als Beamtin sei sie ausreichend abgesichert. Falls die Vorschriften über die rückwirkende Beitragspflicht keinen Bestand haben würden, verlange sie die entrichteten Beiträge nebst vier Prozent Zinsen zurück. Die ausstehenden Beiträge beglich die Klägerin in Raten. Dafür erteilte sie der Beklagten eine Einzugsermächtigung für ihr Girokonto.

4

Die Beklagte befreite die Klägerin daraufhin ab dem 1.4.2012 von der Versicherungspflicht (Bescheid vom 12.4.2012). Mit ihrem dagegen gerichteten Widerspruch verlangte die Klägerin, sie darüber hinaus rückwirkend bereits ab dem Tag der Eheschließung zu befreien. Am 30.4.2012 reichte sie auf Verlangen der Beklagten eine Bescheinigung ihres Dienstherrn über ihr Dienstverhältnis und ihre Besoldung nach.

5

Die Beklagte half dem Widerspruch ab. Die Rechtslage habe sich durch das BUK-Neuorganisationsgesetz (BUK-NOG) vom 19.10.2013 zu Gunsten der Klägerin geändert. Auf dieser neuen Rechtsgrundlage befreie sie die Klägerin rückwirkend auch für die Zeit vom 1.12.2010 bis 31.3.2012 von ihrer Versicherungspflicht. Es ergebe sich ein Guthaben von 1800 Euro. Die Auszahlung des Erstattungsbetrags erfolge im November 2013. Die verlangte Verzinsung stehe der Klägerin dagegen nicht zu (Abhilfebescheid vom 13.11.2013).

6

Mit ihrem Widerspruch verlangte die Klägerin von der Beklagten Zinsen auf den Erstattungsanspruch in Höhe von 51,73 Euro. Widerspruch und anschließende Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21.11.2013, Urteil des SG vom 7.8.2014).

7

Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG die Beklagte verurteilt, den Erstattungsbetrag ab dem 1.6.2012 nach den gesetzlichen Vorschriften zu verzinsen (Urteil vom 10.9.2015). Die Beklagte habe die Klägerin rückwirkend von der Versicherungspflicht befreit; daher seien die Beitragszahlungen ohne Rechtsgrund und damit zu Unrecht erfolgt. Wie die Verjährung müsse umgekehrt auch die Verzinsung des Erstattungsanspruchs nicht denknotwendig an seinen Entstehungszeitpunkt geknüpft werden. Das folge ua aus ihrer wirtschaftlichen Ausgleichsfunktion. Die Klägerin habe im April 2012 ihren Erstattungsantrag vervollständigt, als sie die erbetene Bescheinigung des Dienstherrn übersandt habe. Die Beklagte habe ihre Bankverbindung gekannt und eine Annahmeverweigerung nicht zu befürchten brauchen.

8

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Revision und trägt ua vor, der Erstattungsanspruch sei erst mit der später rückwirkend ausgesprochenen Beitragsbefreiung entstanden (Hinweis auf BSG Urteil vom 26.3.1987 - 11a RLw 3/86 - BSGE 61, 226 = SozR 1200 § 39 Nr 5). Das Gesetz knüpfe die Verzinsungspflicht an Umstände, die in den Risikobereich des Schuldners fielen und von ihm zu beeinflussen seien. Daher sei § 27 Abs 1 S 1 SGB IV im Fall des rückwirkenden Inkrafttretens einer Gesetzesänderung einschränkend auszulegen. Die Frist für das Entstehen des Verzinsungsanspruchs habe damit nicht vor der Verkündung des BUK-NOG im Bundesgesetzblatt am 24.10.2013 beginnen können. Die Überlegungen des BSG zum Beginn der Verjährungsfrist könnten nicht auf den Beginn der Verzinsungsfrist übertragen werden. Verzinsung und Verjährung dienten verschiedenen Zwecken und folgten unterschiedlichen Regeln. Die Klägerin habe zudem keinen vollständigen Erstattungsantrag gestellt, weil sie keine Kontoverbindung für die Erstattung angegeben habe.

9

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. September 2015 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 7. August 2014 zurückzuweisen.

10

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

11

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

12

Das BSG hat die Frist zur Begründung der Revision bis zum 15.11.2016 verlängert. Die Revisionsschrift der Beklagten ist beim BSG mit dem Eingangsstempel des 16.11.2016 versehen worden. Ihr Prozessbevollmächtigter trägt vor, er habe die Revisionsbegründung persönlich am 15.11.2016 in den Nachtbriefkasten des BSG eingeworfen. Der Senat hat dazu eine schriftliche Auskunft des Leiters der Poststelle des BSG eingeholt und den Bevollmächtigten in der mündlichen Senatsverhandlung angehört.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist zulässig, aber unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).

14

1. Die Beklagte hat die Revision fristgemäß eingelegt und begründet. Insbesondere hat sie die antragsgemäß bis zum 15.11.2016 verlängerte Frist zur Revisionsbegründung gewahrt (§ 164 Abs 2 S 1 und 2 SGG). Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Revisionsschriftsatz an diesem Tag beim BSG eingegangen ist, obwohl er den Eingangsstempel mit dem Datum des 16.11.2016 trägt. Dessen Beweiskraft sieht der Senat durch die besonderen Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise als widerlegt an.

15

Ein Eingangsstempel mit dem Datumsaufdruck und einem Handzeichen eines Bediensteten des Gerichts stellt eine öffentliche Urkunde iS von § 418 Abs 1 ZPO über Wahrnehmungen und Handlungen eines Gerichts dar. Er erbringt vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Zwar dokumentiert der Eingangsstempel streng genommen nur, dass ein Bediensteter des Gerichts diesen auf das Schriftstück gesetzt und mit seinem Handzeichen versehen hat. Wie die höchstrichterliche Rechtsprechung indes anerkannt hat, erbringt ein solcher Stempel darüber hinaus Beweis für Zeit und Ort des Eingangs eines damit versehenen Schreibens (BGH Urteil vom 31.5.2017 - VIII ZR 224/16 - NJW 2017, 2285; vgl auch BSG Beschluss vom 9.3.2011 - B 4 AS 60/10 BH - Juris; BFH Beschluss vom 14.3.2011 - VI R 81/10 - Juris). Dies unterstellt allerdings eine Organisation gerichtsinterner Abläufe, die sicherstellt, dass der Stempel die tatsächlichen Geschehnisse wahrheitsgetreu widerspiegelt. Im Fall der Klägerin wird diese Annahme als allgemeiner Erfahrungssatz durch die besonderen Umstände des Einzelfalls entkräftet. § 418 Abs 2 ZPO lässt einen solchen Beweis der Unrichtigkeit des Eingangsstempels als öffentliche Urkunde zu. Die Anforderungen an diesen Gegenbeweis dürfen nicht überspannt werden (BGH aaO). Denn der Rechtsmittelführer befindet sich insoweit regelmäßig in Beweisnot, weil er gerichtsinterne Vorgänge nicht kennen kann (BSG Beschluss vom 8.2.2012 - B 5 RS 76/11 B - Juris; auch BFH Beschluss vom 14.3.2011 - VI R 81/10 - Juris).

16

Nach diesem Maßstab steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Eingangsstempel auf dem Revisionsschriftsatz der Beklagten ein falsches Datum aufweist und der Schriftsatz tatsächlich einen Tag früher bei Gericht eingegangen ist. In Betracht zu ziehende Ursachen für diesen Fehler hat die vom Senat eingeholte dienstliche Stellungnahme des Leiters der Gerichtspoststelle aufgezeigt. Er hielt ein technisches Versagen der Briefkastenklappe, die zur Kontrolle der Fristwahrung dient, für möglich. Speziell für den Schriftsatz der Klägerin konnte er einen solchen Fehler auch nicht ausschließen. Zudem war am Tag des Fristablaufs der Gerichtsmitarbeiter, der den Nachtbriefkasten normalerweise entleert, nicht im Dienst, sodass der Poststellenleiter Abstimmungsprobleme und ein Unterbleiben der Leerung am Tage des Fristablaufs in Erwägung gezogen hat. Obwohl andere Zugangsprobleme in diesem Zeitraum nicht bekannt geworden sind, lässt sich nach dieser Stellungnahme die beschriebene gute Möglichkeit einer unerkannt verspäteten Leerung nicht widerlegen. Ein Posteingangsbuch zum Nachtbriefkasten wird beim BSG nicht geführt. Seine ordnungsgemäße Leerung wird auch nicht, wie etwa beim Bundesfinanzhof (vgl BFH Beschluss vom 14.3.2011 - VI R 81/10 - Juris), in einem besonderen Protokoll dokumentiert, was ebenfalls eine höhere Richtigkeitsgewähr des Eingangsstempels böte.

17

Die ausführlichen schriftlichen und mündlichen Angaben des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, die der Senat im Freibeweis verwertet hat, haben die gute Möglichkeit eines falschen Friststempels zur Gewissheit verdichtet. Anlass für Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Prozessbevollmächtigten besteht nicht. Es handelt sich um einen erfahrenen Behördenvertreter, der mit dem Prozessrecht bestens vertraut ist und sich auch im Umgang mit Fristen in der Vergangenheit als verlässlich erwiesen hat.

18

Seine Angaben sind plausibel, widerspruchsfrei und glaubhaft. Der Bevollmächtigte hat detailreich und anschaulich seinen persönlichen Tagesablauf am 15.11.2016 geschildert. Darin fügt sich der fristgemäße Einwurf des Schriftsatzes beim BSG an diesem Tag nahtlos ein. Weiter hat der Bevollmächtigte überzeugend dargelegt, warum er das Gericht am Folgetag nur schwerlich hätte persönlich aufsuchen können. Er hat schließlich dem Gericht einen Computerausdruck übersandt, der auf eine letztmalige Veränderung der Revisionsbegründung am 15.11.2016 um 11:01 Uhr hindeutet. Alle diese Umstände lassen die behauptete Abgabe um 14:30 Uhr am selben Tag angesichts der geschilderten Gesamtumstände ebenfalls viel wahrscheinlicher erscheinen als einen Einwurf am Folgetag. Der Prozessbevollmächtigte konnte schließlich mehrere Schriftstücke bzw Urkunden vorlegen, die jedenfalls belegen, dass er die rechtzeitige Abgabe des Schriftsatzes dreifach bestätigt hat. Wie aus diesen Unterlagen hervorgeht, hat der Prozessbevollmächtigte - erstens - den 15.11.2016 als Datum des Einwurfs handschriftlich auf der entsprechenden hausinternen Verfügung vermerkt und mit seinem Handzeichen versehen. Zweitens hat er die fristgemäße Abgabe in seiner privaten Erledigungsliste notiert sowie - drittens - von seiner persönlichen Assistenz in deren Fristenkalender vermerken lassen. Dieser Ring von Indizien spräche nur dann gegen einen rechtzeitigen Zugang, wenn der Prozessbevollmächtigte sich entweder über das Datum der Abgabe um einen ganzen Tag geirrt oder unmittelbar danach wissentlich mehrfach falsche Angaben darüber gemacht hätte. Dafür ist indessen nichts ersichtlich. Angesichts der mehrfachen Absicherung der rechtzeitigen Abgabe über den dienstlichen und privaten Fristenkalender des Bevollmächtigten sowie seiner Assistenz ließe sich damit nicht erklären, wie es gleichwohl zu einer Überschreitung der Abgabefrist um volle 24 Stunden hätte kommen können. Der Senat ist nach allem davon überzeugt, dass die Revisionsbegründung rechtzeitig zugegangen ist, und sieht die Beweiskraft des Friststempels als widerlegt an.

19

Die Revision ist auch im Übrigen zulässig. Die ausführliche Revisionsschrift genügt den Begründungserfordernissen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Sie enthält einen bestimmten Antrag und bezeichnet die nach ihrer Ansicht verletzte Rechtsnorm, wie es die Vorschrift verlangt. Sie setzt sich auch unter ausreichender Wiedergabe des vom LSG festgestellten Lebenssachverhalts umfassend mit der angegriffenen Entscheidung auseinander und zeugt von einer gründlichen Prüfung und Durcharbeitung des Prozessstoffes (vgl BSG Urteil vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 16/06 R - SozR 4-1500 § 164 Nr 3 mwN; BSG Urteil vom 23.7.2015 - B 5 R 32/14 R - Juris RdNr 8 mwN).

20

2. Die zulässige Revision ist unbegründet. Das LSG hat der Klägerin auf ihre zulässige Klage und Berufung (a) im Ergebnis zu Recht einen Anspruch auf Verzinsung der erstatteten Beiträge nach der Vervollständigung ihres Erstattungsantrags zugesprochen (b).

21

a) Die Klägerin verfolgt ihren Zinsanspruch zulässigerweise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage, gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils iS des § 130 Abs 1 SGG(§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG).

22

Das LSG hat auf eine statthafte Berufung entschieden. Zwar verlangt die Klägerin mit ihrer Klage nur rund 50 Euro Zinsen, indes hat das SG die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§§ 143, 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG).

23

Streitgegenstand bildet der Abhilfebescheid der Beklagten vom 13.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.11.2013. Darin hat die Beklagte die Klägerin antragsgemäß rückwirkend von ihrer Versicherungspflicht zur landwirtschaftlichen Alterskasse befreit und die Erstattung der bereits gezahlten Beiträge in Höhe von 1800 Euro angekündigt. Im Streit steht der Bescheid nur noch insoweit, als die Beklagte damit eine Verzinsung des Erstattungsbetrags abgelehnt hat.

24

b) Der Klägerin steht gegen die Beklagte aus § 27 Abs 1 S 1 iVm § 26 Abs 2, Abs 3 S 1 SGB IV ein Anspruch auf Verzinsung des Erstattungsbetrages von 1800 Euro zu. Der Anspruch besteht in der Höhe von vier vom Hundert und für die Dauer vom 1.6.2012 bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Erstattung. Denn die Klägerin hat einen rückwirkenden Erstattungsanspruch erworben (dazu unter aa), der auch rückwirkend zu verzinsen war (dazu unter bb). Die Verzinsungspflicht begann im Juni 2012 zu laufen, weil die Klägerin im April 2012 ihren Erstattungsantrag vervollständigt hatte (dazu unter cc).

25

aa) Die Klägerin hat rückwirkend ab Eingang ihrer jeweiligen Beiträge bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch aus § 26 Abs 2 S 1, Abs 3 S 1 SGB IV erworben. Danach sind zu Unrecht entrichtete Beiträge demjenigen zu erstatten, der sie getragen hat. Zu Unrecht gezahlt sind Beiträge, wenn für die Zahlung kein Rechtsgrund (mehr) besteht. Die Klägerin hat für die Zeit vom 1.12.2010 bis 31.3.2012 an die Beklagte in diesem Sinne zu Unrecht Beiträge zur landwirtschaftlichen Altersversorgung gezahlt, weil der Rechtsgrund für die Zahlung nachträglich weggefallen ist.

26

Den materiellen Rechtsgrund für ihre Zahlung bildete anfangs § 1 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 2 und Abs 3 S 1 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG). Danach galt die Klägerin seit dem Tag ihrer Eheschließung mit einem Landwirt selbst als Landwirtin und war als solche versicherungspflichtig. Diesen Rechtsgrund hat die Beklagte mit ihrem Beitragsbescheid vom 12.3.2012 zunächst formell bestätigt, allerdings nachträglich wieder beseitigt. Denn mit Abhilfebescheid vom 13.11.2013 hat sie die Klägerin nach § 3 Abs 2 S 4, § 34 Abs 2 S 3 ALG rückwirkend für die Zeit ab 1.12.2010 bis 31.3.2012 von der Versicherungspflicht befreit. Eine solche Befreiung lässt alle mit der Versicherungspflicht verbundenen Rechte und Pflichten entfallen. Pflichtbeiträge, die für Zeiten gezahlt worden sind, für die wirksam eine Befreiung ausgesprochen ist, sind zu Unrecht gezahlt worden. Sie sind nach § 26 Abs 2 SGB IV zu erstatten(BSG Urteil vom 27.8.1998 - B 10/4 LW 11/96 R - SozR 3-5868 § 76 Nr 1 S 2 f; vgl auch BSG Urteil vom 24.6.2010 - B 10 LW 4/09 R - BSGE 106, 239 = SozR 4-2400 § 27 Nr 4; BSG Urteil vom 31.3.2015 - B 12 AL 4/13 R - BSGE 118, 213 = SozR 4-2400 § 27 Nr 6, RdNr 29; Zieglmeier in Kasseler Komm, Sozialversicherungsrecht, 95. EL Juli 2017, SGB IV, § 26 RdNr 32).

27

Anders als die Beklagte argumentiert, ist der Erstattungsanspruch nicht erst für die Zukunft ab Veröffentlichung des BUK-NOG am 24.10.2013 entstanden. Denn genauso wie die mit Bescheid vom 13.11.2013 ausgesprochene Befreiung selbst wirkte der durch sie begründete Erstattungsanspruch auf den jeweiligen Zeitpunkt der Beitragszahlung vor Bescheiderlass zurück. Dieses Ergebnis folgt aus der Systematik der sozialrechtlichen Regeln über die Beitragserstattung aus §§ 26 ff SGB IV. Sie bilden eine besondere Ausprägung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs, der aus rechtsstaatlichen Gründen generell eine Korrektur rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen gebietet. Diese Regeln folgen denselben allgemeinen Rechtsgedanken wie das Bereicherungsrecht (Ossenbühl, NVwZ 1991, S 513, 516; vgl Udsching in Hauck/Noftz, SGB, 7/15, § 26 SGB IV RdNr 1a). Der Erstattungsanspruch nach § 26 Abs 2 SGB IV entsteht daher kraft Gesetzes, sobald nicht geschuldete Beiträge gezahlt werden. Eine solche Zahlung bewirkt eine Vermögensverschiebung ohne rechtlichen Grund, deren Ausgleich der Erstattungsanspruch dient (vgl Zieglmeier in Kasseler Komm Sozialversicherungsrecht, 93. EL März 2017, § 26 SGB IV RdNr 37). Fehlt der Rechtsgrund für die Zahlung nicht von Anfang an, so entsteht der Erstattungsanspruch, wenn und weil der Rechtsgrund für die Vermögensverschiebung später wegfällt (vgl für das zivilrechtliche Bereicherungsrecht BGH Urteil vom 7.10.1994 - V ZR 4/94 - Juris). Mit Wegfall des rechtlichen Grunds für die Beitragszahlung verwandelt sich das gesetzliche Beitrags- von Gesetzes wegen in ein gesetzliches Erstattungsschuldverhältnis (vgl Niedersächsisches Finanzgericht Urteil vom 1.2.1995 - VI 521/92 - Juris). Es dient dem vollständigen Ausgleich der rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung. Kern dieses gesetzlichen Schuldverhältnisses ist der Erstattungsanspruch als Kehrseite der vorangegangenen rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung. Entfällt daher der Rechtsgrund für eine Beitragszahlung mit Wirkung für die Vergangenheit, so wirkt der dadurch begründete Erstattungsanspruch genau in derselben Weise zurück.

28

Dementsprechend ist die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 31.3.2015 - B 12 AL 4/13 R - BSGE 118, 213 = SozR 4-2400 § 27 Nr 6, RdNr 28 f) davon ausgegangen, wegen der ex-tunc-Wirkung eines Urteils, das einen Beitragsbescheid aufhebt, entstehe der Erstattungsanspruch nicht erst mit der Aufhebung, sondern rückwirkend bereits im Zeitpunkt der Entrichtung der Beiträge. Dies, obwohl ein Beitragsbescheid, solange er wirksam ist, das Entstehen eines Erstattungsanspruchs selbst bei materieller Rechtswidrigkeit verhindern kann, weil er eine formelle Rechtsgrundlage der Beitragszahlung bildet (vgl BSG Urteil vom 31.3.2015 - B 12 AL 4/13 R - BSGE 118, 213 = SozR 4-2400 § 27 Nr 6, RdNr 30; vgl Udsching in Hauck/Noftz, SGB, 7/15, § 26 SGB IV RdNr 4b; allg Ossenbühl, NVwZ 1991, S 513, 518). Lässt demnach der rückwirkende Wegfall des formellen Rechtsgrunds der Beitragszahlung einen Erstattungsanspruch ex tunc entstehen, so kann nichts anderes gelten, wenn nicht ein Gerichtsurteil rückwirkend den Rechtsgrund beseitigt, sondern ein späterer, gegenläufiger (Befreiungs-)Bescheid. Das Gesetz und die Dogmatik rechtsgrundloser Vermögensverschiebung kennen keine Rechtsgrundlosigkeit minderer Qualität, die in dieser Konstellation einen rückwirkenden Erstattungsanspruch ausschließen könnte, obwohl auch der Rechtsgrund rückwirkend weggefallen ist. Die Literatur erkennt die Möglichkeit eines rückwirkenden Erstattungsanspruchs ebenfalls an (vgl Waßer in JurisPK-SGB IV, 3. Aufl 2015, § 27 RdNr 20 und 40 mwN; Zieglmeier in Kasseler Komm, Sozialversicherungsrecht, 95. EL Juli 2017, § 27 SGB IV RdNr 6).

29

Zwar hat der früher für das Recht der gesetzlichen Alterssicherung für Landwirte zuständige 11a. Senat demgegenüber angenommen, eine rückwirkende Befreiung von der Beitragspflicht lasse den Erstattungsanspruch erst von der Beitragsbefreiung an für die Zukunft entstehen (Urteil vom 26.3.1987 - 11a RLw 3/86 - BSGE 61, 226 = SozR 1200 § 39 Nr 5; offengelassen in BSG Urteil vom 24.6.2010 - B 10 LW 4/09 R - BSGE 106, 239 = SozR 4-2400 § 27 Nr 4, RdNr 14). Daran hält der erkennende Senat jedenfalls für die hier vorliegende Konstellation nicht mehr fest. Einer Anfrage nach § 41 Abs 3 S 1 SGG bei dem zuvor zuständigen Senat bedarf es nicht. Denn inzwischen ist die Entscheidungszuständigkeit für die landwirtschaftliche Alterssicherung vollständig auf den erkennenden Senat übergegangen (vgl zur Entbehrlichkeit der Anfrage Roos in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 41 RdNr 14 mwN).

30

Der 11a. Senat argumentierte seinerzeit, der dortige Kläger hätte den Anspruch auf Erstattung der Beiträge nicht erst Jahre nach seiner Veranlagung zur Beitragspflicht, sondern sogleich nach deren Entrichtung durch früher gestellte Befreiungsanträge begründen können (BSG Urteil vom 26.3.1987 - 11a RLw 3/86 - BSGE 61, 226 S 227 f = SozR 1200 § 39 Nr 5 S 3 f). Der Fall der Klägerin liegt demgegenüber rechtlich und tatsächlich wesentlich anders. Sie hat nämlich zugleich mit der Beitragsentrichtung eine Befreiung von der Beitragspflicht verlangt und vorsorglich eine Rückzahlung nebst Verzinsung beantragt. Die Beklagte konnte sie zwar für die Zukunft sofort, für die Vergangenheit indes erst später wirksam von ihrer Beitragspflicht befreien. Vorher musste zunächst der Gesetzgeber den erforderlichen Befreiungstatbestand der § 3 Abs 2 S 4, § 34 Abs 2 S 3 ALG in seiner ursprünglichen Form wieder aufleben lassen. Dafür hat er die entsprechende Neuregelung rückwirkend bereits zum 11.8.2010 in Kraft gesetzt (Art 16 Abs 17 Nr 1, 17 Abs 1a BUK-NOG). Der rechtsstaatlich gebotene Vertrauensschutz steht dieser echten Rückwirkung (vgl dazu allg BVerfG Beschluss vom 16.12.2015 - 2 BvR 1958/13 - BGBl I 2016, 244) nicht entgegen, weil sie die davon betroffenen Ehegatten von Landwirten ausschließlich begünstigt hat. Denn die Rechtsänderung hat sie lediglich wieder so gestellt, wie es der bis 2010 geltenden Gesetzeslage entsprach (vgl 11. Ausschuss für Arbeit und Soziales, Beschlussempfehlung und Bericht zum BUK-NOG, BT-Drucks 17/13808 S 14). Diese Entstehungsgeschichte des aktuellen Befreiungstatbestands der § 3 Abs 2 S 4, § 34 Abs 2 S 3 ALG spricht daher in der Zusammenschau mit der allgemeinen Dogmatik des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs insgesamt maßgeblich für eine Rückwirkung dieses Anspruchs.

31

bb) Der rückwirkende Erstattungsanspruch der Klägerin war nach § 27 Abs 1 S 1 SGB IV auch rückwirkend zu verzinsen(vgl BSG Urteil vom 16.4.1985 - 12 RK 19/83 - SozR 2100 § 27 Nr 3; OVG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 19.3.1991 - 4 A 298/89 - Juris RdNr 9 hinsichtlich der rückwirkenden Aufhebung eines Zuwendungsbescheids), sobald die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen für die Verzinsung vorlagen (dazu unter cc). Nur so lässt sich die rechtsgrundlose Vermögensverschiebung vollständig ausgleichen, die durch die Zahlung nicht geschuldeter Beiträge bewirkt worden ist. Ohne Verzinsung würde diese Vermögensverschiebung trotz Beitragserstattung teilweise fortwirken. Denn zahlt der Beitragsschuldner und Erstattungsgläubiger zu Unrecht Beiträge, nimmt ihm dies bis zur Erstattung die Möglichkeit, die Beiträge wirtschaftlich zu nutzen. Erst eine Verzinsung, nicht schon die Beitragserstattung, gleicht diese entgangene Nutzungsmöglichkeit vollständig aus.

32

Sinn und Zweck des Zinsanspruchs im Sozialrecht stehen der rückwirkenden Verzinsung nicht entgegen. Anders als das SG in seinem Urteil ausgeführt hat, sind die Regelungen des SGB IV zur Verzinsung nicht mit den zivilrechtlichen Regelungen über Verzugs- und Prozesszinsen zu vergleichen. Deshalb hängt der Zinsanspruch zum einen nicht von der Fälligkeit des Erstattungsanspruchs ab, wie das LSG zutreffend angenommen hat. Zum anderen kommt es auf einen konkreten Schaden des Erstattungsberechtigten oder auf ein Verschulden des Versicherungsträgers nicht an (BSG Urteil vom 16.4.1985 - 12 RK 19/83 - SozR 2100 § 27 Nr 3). Aus diesem Grund scheidet die von der Beklagten verlangte einschränkende Auslegung der Verzinsungsvorschriften aus. Es spielt keine Rolle, dass erst eine erneute Kehrtwende des Gesetzgebers die Beitragsbefreiung der Klägerin und ihren korrespondierenden Erstattungsanspruch ermöglicht hat. Denn die rückwirkende Verzinsung bedeutet keine Sanktion für ein Fehlverhalten der Beklagten, sondern schafft lediglich einen gesetzlich typisierten Ausgleich für die der Klägerin zeitweise entzogene Möglichkeit, ihre zu Unrecht gezahlten Beiträge anderweit zu nutzen.

33

Ist der Erstattungsanspruch der Klägerin somit rückwirkend entstanden und zu verzinsen, so kann dahinstehen, ob der Zinslauf sogar noch vor Anspruchsentstehung hätte beginnen können, wie das LSG annimmt. Zur Begründung seiner Rechtsansicht verweist das Berufungsgericht auf die Rechtsprechung des BSG zum Verjährungsbeginn. Diese stützt sich indes maßgeblich auf den Wortlaut des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV(vgl BSG Urteil vom 17.12.2015 - B 2 U 2/14 R - SozR 4-2400 § 27 Nr 7; BSG Urteil vom 24.6.2010 - B 10 LW 4/09 R - BSGE 106, 239 = SozR 4-2400 § 27 Nr 4, RdNr 14). Danach verjährt der Erstattungsanspruch vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Über den Beginn der Verzinsung des Erstattungsanspruchs besagt dieser Wortlaut für sich genommen aber nichts. Zudem lassen sich die aus den Verjährungszwecken abgeleiteten Argumente wie insbesondere das Ziel, mit Zeitablauf Rechtsfrieden zu schaffen (vgl BSG aaO), auf die Verzinsung nicht ohne Weiteres übertragen.

34

cc) Die Pflicht zur Verzinsung begann nach § 27 Abs 1 S 1 SGB IV am 1.6.2012 zu laufen. Danach ist der Erstattungsanspruch nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags zu verzinsen. Vollständig ist ein solcher Antrag iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB IV, wenn er alle Angaben enthält, die der Versicherungsträger für seine Entscheidung über die Erstattung benötigt(vgl Udsching in Hauck/Noftz, SGB, 2/04, § 27 SGB IV RdNr 4). Ein vollständiger Erstattungsantrag der Klägerin lag demnach ab April 2012 vor. Die Klägerin hat bereits mit ihrem ersten Widerspruch gegen den Beitragsbescheid der Beklagten vorsorglich eine Beitragserstattung beantragt. Vervollständigt hat sie diesen Antrag am 30.4.2012, als sie die von der Beklagten nachgeforderte Verdienstbescheinigung übersandt hat. Mehr brauchte die Beklagte nicht zu wissen, um die Klägerin von ihrer Beitragspflicht zu befreien und ihre dann zu Unrecht entrichteten Beiträge zu erstatten. Ein Bankkonto für die Erstattung brauchte die Klägerin dagegen nicht nochmals anzugeben. Nach den für den Senat nach § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG kannte die Beklagte die Kontoverbindung der Klägerin. Sie hatte keinen Anlass zu der Befürchtung, diese werde die Annahme der Erstattung verweigern. Die Beklagte hat insbesondere mit ihrem Abhilfebescheid vom 13.11.2013 ohne weitere Nachfragen angekündigt, die zu Unrecht gezahlten Beiträge auf das zuvor für den Beitragseinzug genutzte Konto der Klägerin zu erstatten. Ebenso wenig hat das LSG andere Umstände festgestellt, die es gerechtfertigt hätten, den zwischen den Beteiligten eingespielten Zahlungsweg anzuzweifeln. Hätte die Beklagte zudem solche Zweifel gehegt, so wäre sie gehalten gewesen, die zutreffende Kontoverbindung zu erfragen, wenn sie allein deshalb die geschuldete Zahlung zurückhalten wollte. Darauf hat das Berufungsgericht zu Recht hingewiesen. Diese Nebenpflicht der Beklagten ergab sich aus dem gesetzlichen Erstattungsschuldverhältnis, das sie mit der Klägerin verband.

35

Zu den von der Revision angestellten allgemeinen Erwägungen über mögliche Risiken durch eine Beitragserstattung auf ein falsches Konto bietet der Fall keinen Anlass. Die von ihr zitierte Entscheidung des 13. Senats (Urteil vom 14.8.2003 - B 13 RJ 11/03 R - SozR 4-7610 § 362 Nr 1) behandelt eine ganz andere Konstellation. Das Urteil geht der Frage nach, auf welches von mehreren bekannten Konten der Schuldner mit befreiender Wirkung leisten kann, wenn der Gläubiger ihm die Eröffnung eines zusätzlichen neuen Kontos mitgeteilt und - erfolglos - die Zahlung darauf erbeten hat. Diese Frage stellte sich der Beklagten im Verhältnis zur Klägerin nach dem Gesagten nicht.

36

Die Beklagte ist daher verpflichtet, den Erstattungsbetrag bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Auszahlung des Erstattungsbetrags mit vier vom Hundert zu verzinsen.

37

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 163


Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 170


(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision eb

Zivilprozessordnung - ZPO | § 418 Beweiskraft öffentlicher Urkunden mit anderem Inhalt


(1) Öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 bezeichneten Inhalt haben, begründen vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. (2) Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig, sofern nicht die Lande

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 164


(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das an

Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte - ALG | § 1 Versicherte kraft Gesetzes


(1) Versicherungspflichtig sind 1. Landwirte,2. mitarbeitende Familienangehörige. (2) Landwirt ist, wer als Unternehmer ein auf Bodenbewirtschaftung beruhendes Unternehmen der Landwirtschaft betreibt, das die Mindestgröße (Absatz 5) erreicht. Unt

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 130


(1) Wird gemäß § 54 Abs. 4 oder 5 eine Leistung in Geld begehrt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann auch zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden. Hierbei kann im Urteil eine einmalige oder laufende vorläufige Leistung angeordnet w

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(1) Sind Pflichtbeiträge in der Rentenversicherung für Zeiten nach dem 31. Dezember 1972 trotz Fehlens der Versicherungspflicht nicht spätestens bei der nächsten Prüfung beim Arbeitgeber beanstandet worden, gilt § 45 Absatz 2 des Zehnten Buches entsp

Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte - ALG | § 3 Befreiung von der Versicherungspflicht


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(1) Bei dem Bundessozialgericht wird ein Großer Senat gebildet. (2) Der Große Senat entscheidet, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will. (3) Eine Vorlage an den Großen Sen

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 27 Verzinsung und Verjährung des Erstattungsanspruchs


(1) Der Erstattungsanspruch ist nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags, beim Fehlen eines Antrags nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Erstattung bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung

Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte - ALG | § 34 Fälligkeit, Beginn und Änderung von Beitragszuschüssen


(1) Der Zuschuß zum Beitrag wird monatlich geleistet und zum selben Zeitpunkt wie der Beitrag fällig. (2) Der Zuschuß zum Beitrag wird von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Voraussetzungen erfüllt sind, wenn der Antrag bis zum Ende des drit

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIII ZR 224/16 Verkündet am: 31. Mai 2017 Ermel, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

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Bundessozialgericht Urteil, 24. Juni 2010 - B 10 LW 4/09 R

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Tenor I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 04.08.2016 aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 17.03.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.04.2015 abgeändert. Die Beklagte w

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(1) Der Erstattungsanspruch ist nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags, beim Fehlen eines Antrags nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Erstattung bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. Verzinst werden volle Euro-Beträge. Dabei ist der Kalendermonat mit dreißig Tagen zugrunde zu legen.

(2) Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Beanstandet der Versicherungsträger die Rechtswirksamkeit von Beiträgen, beginnt die Verjährung mit dem Ablauf des Kalenderjahrs der Beanstandung.

(3) Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. Die Verjährung wird auch durch Antrag auf Erstattung oder durch Erhebung eines Widerspruchs gehemmt. Die Hemmung endet sechs Monate nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Antrag oder den Widerspruch.

(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision ebenfalls zurückzuweisen.

(2) Ist die Revision begründet, so hat das Bundessozialgericht in der Sache selbst zu entscheiden. Sofern dies untunlich ist, kann es das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverweisen, welches das angefochtene Urteil erlassen hat.

(3) Die Entscheidung über die Revision braucht nicht begründet zu werden, soweit das Bundessozialgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 202 in Verbindung mit § 547 der Zivilprozeßordnung und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(4) Verweist das Bundessozialgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 161 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Landessozialgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung beim Landessozialgericht anhängig geworden wäre.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

(1) Öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 bezeichneten Inhalt haben, begründen vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen.

(2) Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig, sofern nicht die Landesgesetze diesen Beweis ausschließen oder beschränken.

(3) Beruht das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson, so ist die Vorschrift des ersten Absatzes nur dann anzuwenden, wenn sich aus den Landesgesetzen ergibt, dass die Beweiskraft des Zeugnisses von der eigenen Wahrnehmung unabhängig ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 224/16 Verkündet am:
31. Mai 2017
Ermel,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Der auf einem Schriftsatz aufgebrachte Eingangsstempel des Gerichts erbringt als
öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 Abs. 1 ZPO Beweis dafür, dass ein in den
Nachtbriefkasten des Gerichts eingeworfener Schriftsatz erst an dem im Stempel
angegebenen Tag beim Berufungsgericht eingegangen ist. Hiergegen ist jedoch
gemäß § 418 Abs. 2 ZPO der im Wege des Freibeweises zu führende Gegenbeweis
zulässig, der die volle Überzeugung des Gerichts von dem rechtzeitigen Eingang
des Schriftsatzes erfordert (im Anschluss an BGH, Urteil vom 30. März 2000 - IX ZR
251/99, NJW 2000, 1872 unter II 1 a; Beschlüsse vom 5. Juli 2000 - XII ZB 110/00,
NJW-RR 2001, 280; vom 21. Februar 2007 - XII ZB 37/06, juris Rn. 8; vom
8. Oktober 2013 - VIII ZB 13/13, NJW-RR 2014, 179 Rn. 10).

b) Dabei dürfen wegen der Beweisnot der betroffenen Partei die Anforderungen an die
Erbringung dieses Gegenbeweises nicht überspannt werden. Da der Außenstehende
in der Regel keinen Einblick in die Funktionsweise des gerichtlichen Nachtbriefkastens
sowie in das Verfahren bei dessen Leerung und damit keinen Anhaltspunkt
für etwaige Fehlerquellen hat, ist es zunächst Sache des Gerichts, die insoweit zur
Aufklärung nötigen Maßnahmen zu ergreifen (im Anschluss an BGH, Urteile vom
30. März 2000 - IX ZR 251/99, aaO unter II 1 b; vom 14. Oktober 2004 - VII ZR
33/04, NJW-RR 2005, 75 unter II 2; Beschlüsse vom 3. Juli 2008 - IX ZB 169/07,
NJW 2008, 3501 Rn. 11; vom 8. Oktober 2013 - VIII ZB 13/13, aaO Rn. 14; jeweils
mwN).

c) Bei einer detaillierten Schilderung der Partei über die genauen Umstände des Einwurfs
des Schriftstücks darf sich das Gericht nicht mit einer pauschal gehaltenen
dienstlichen Stellungnahme des/der zuständigen Mitarbeiters/in der Poststelle begnügen
, die sich in der Aussage erschöpft, es seien weder Störungen festgestellt
noch Fehler gemacht worden.
BGH, Urteil vom 31. Mai 2017 - VIII ZR 224/16 - LG Leipzig
AG Leipzig
ECLI:DE:BGH:2017:310517UVIIIZR224.16.0

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 31. Mai 2017 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Milger, die Richterinnen Dr. Hessel und Dr. Fetzer sowie die Richter Dr. Bünger und Hoffmann

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 31. August 2016 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Beklagten bewohnen auf dem Grundstück der Klägerin Mieträume. Zwischen den Parteien steht im Streit, ob die Beklagten auch berechtigt sind, zwei auf dem Grundstück gelegene Garagen zu nutzen. Das Amtsgericht hat die Beklagten zur Herausgabe der Garagen (nebst Schlüsseln) und ferner dazu verurteilt, es zu unterlassen, das Grundstück mit Kraftfahrzeugen zu befahren und solche dort abzustellen. Gegen das ihr am 5. Februar 2016 zugestellte Urteil hat die Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit am 7. März 2016 (Montag) eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt.
2
Die Berufungsbegründungsfrist ist am 5. April 2016 abgelaufen. Der zur Akte gelangte Begründungsschriftsatz trägt jedoch den Eingangsstempel "Nachtbriefkasten Sächsischer Verfassungsgerichtshof Landgericht Leipzig Eing. 06. April 2016" und weist kein Handzeichen auf. Die Beklagten haben geltend gemacht, ihre Prozessbevollmächtigte habe am Abend des 5. April 2016 zwischen 21.35 Uhr und 21.42 Uhr die Berufungsbegründung gleichzeitig mit der in einem zweiten Umschlag befindlichen Berufungsbegründung in einem Parallelverfahren in den Nachtbriefkasten des Landgerichts eingeworfen. Der aufgebrachte Eingangsstempel sei daher unrichtig.
3
Das Original der Berufungsbegründung im Parallelverfahren, die vorab per Fax übermittelt worden ist, trägt ebenfalls das aufgestempelte Eingangsdatum "06. April 2016" und weist wiederum kein Handzeichen auf. Hierbei wurde allerdings nicht der Nachtbriefkastenstempel, sondern ein anderer Stempel ("Tagesstempel") mit dem Aufdruck "Gemeinsame Posteinlaufstelle Sächsischer Verfassungsgerichtshof und Landgericht Leipzig" verwendet.
4
Aufgrund eines am 12. April 2016 zwischen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten und dem Vizepräsidenten des Landgerichts wegen möglicher Störungen bei der gerichtsinternen Erfassung der Schriftsätze geführten Telefonats hat dieser eine dienstliche Stellungnahme der zuständigen Bediensteten der Poststelle und des Leiters der Poststelle eingeholt. Die Stellungnahmen hat er der Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit Schreiben vom 3. Mai 2016 übermittelt und zugleich mitgeteilt, eine Störung der Funktion des - im Dezember 2015 turnusgemäß gewarteten - Nachtbriefkastens sei bei einer von ihm veranlassten Prüfung nicht festgestellt worden.
5
Die dienstliche Erklärung der zuständigen Poststellenmitarbeiterin vom 12. April 2016, die bezüglich Ziffer 1 vom Leiter der Poststelle gegengezeichnet ist (eine weitere Stellungnahme hat dieser nicht abgegeben), lautet wie folgt: "Ich erkläre ausdrücklich: 1. Ich war am 6. April 2016 für das Stempeln des Nachtbriefkastens verantwortlich. 2. Ich habe keine Störung des Nachtbriefkastens festgestellt. 3. Ich habe den richtigen Stempel mit dem richtigen Datum für die Post aus dem Nachtbriefkasten verwendet."
6
Bereits mit Verfügung vom 26. April 2016 hatte die Vorsitzende der Berufungskammer den Hinweis erteilt, es sei beabsichtigt, die Berufung der Beklagten wegen Versäumung der Begründungsfrist als unzulässig zu verwerfen. Auf den daraufhin gestellten Antrag der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, eine dienstliche Stellungnahme des/der zuständigen Poststellenmitarbeiters/in einzuholen, hat die Berufungskammer sich mit einem entsprechenden Anliegen an den Vizepräsidenten des Landgerichts gewandt, sich dann aber mit dessen Schreiben vom 26. Mai 2016 begnügt, in dem dieser auf den Inhalt der bereits vorliegenden dienstlichen Erklärungen verwiesen hat.
7
In dem genannten Schreiben hat der Vizepräsident auch zu weiteren Anträgen der Beklagtenvertreterin Stellung genommen. Soweit diese um Ermittlungen dazu gebeten hat, ob noch weitere Beschwerden bezüglich der Korrektheit eines auf den 6. April 2016 lautenden Eingangsstempels vorlägen, hat er mitgeteilt, eine Rückfrage bei den Serviceeinheiten der 1. bis 9. Zivilkammer habe ergeben, dass keine weiteren Beschwerden bezüglich der Unkorrektheit des Eingangsstempels vom 6. April 2016 bekannt geworden seien. Hinsichtlich des weiteren Begehrens, für die Nacht vom 5. April auf den 6. April 2016 die korrekte Funktionsweise des Nachtbriefkastens im Hinblick auf eine digitale Fehlfunktion der Verschlusseinrichtung zu überprüfen sowie nachzuprüfen, ob ein Vertauschen der Nacht- und Tagespost bei der Entnahme am 6. April auszuschließen sei, hat der Vizepräsident des Landgerichts unter Wiederholung seiner bereits mit Schreiben vom 3. Mai 2016 erfolgten Mitteilung und unter Beifügung eines Wartungsscheins ausgeführt, Störungen seien nicht festgestellt worden; der Nachtbriefkasten sei zuletzt im Dezember 2015 turnusgemäß ohne Störungsbefund gewartet worden.
8
Das Berufungsgericht hat sodann die Prozessbevollmächtigte der Beklagten zum Geschehen als Zeugin vernommen, jedoch nicht deren für die Begleitumstände ebenfalls als Zeugen benannten Ehemann. Die Beklagtenvertreterin hat im Einklang mit ihrer schriftsätzlichen Darstellung als Zeugin bekundet, sie habe die Berufungsbegründung am 5. April 2016 um 21.03 Uhr fertiggestellt und ausgefertigt. Gegen 21.15 Uhr sei sie im Besitz dieses Schriftsatzes und des Begründungsschriftsatzes für das Parallelverfahren, die sich in zwei getrennten Briefumschlägen befunden hätten, mit ihrem Pkw von ihrem Wohnund Kanzleisitz abgefahren. Sie habe dann das Fahrzeug gegen 21.35 Uhr vor der S. -Buchhandlung geparkt. Anschließend sei sie die "paar Meter" zu Fuß gegangen und habe beide DIN-A4-Umschläge in den Nachtbriefkasten eingeworfen.
9
Weitere Ermittlungen zur Funktionsweise des Nachtbriefkastens und den gerichtsinternen Abläufen bei der Erfassung und Verteilung der Eingangspost hat das Landgericht nicht angestellt. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen hat es die Berufung der Beklagten durch Urteil als unzulässig verworfen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

10
Die Revision hat Erfolg.

I.

11
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
12
Die Berufung der Beklagten sei unzulässig, da sie nicht innerhalb von zwei Monaten ab Zustellung des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils begründet worden sei. Der auf der Berufungsbegründung aufgedruckte Eingangsstempel erbringe gemäß § 418 Abs. 1 ZPO den Beweis dafür, dass der Schriftsatz nicht innerhalb der am 5. April 2016 ablaufenden Frist bei Gericht eingegangen sei, sondern erst am 6. April 2016. Die Beklagten hätten den ihnen bezüglich der Unrichtigkeit des Eingangsstempels obliegenden Gegenbeweis nicht erbracht.
13
Es stehe nicht zur Überzeugung des Berufungsgerichts fest, dass die als Zeugin vernommene Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Berufungsbegründungsschrift in der vorliegenden Sache am 5. April 2016 in den Nachtbriefkasten des Landgerichts eingeworfen habe. Zweifel an dem ordnungsgemäßen Funktionieren des - zuletzt im Dezember 2015 beanstandungsfrei gewarteten und an eine Zeitschaltuhr gekoppelten - Nachtbriefkastens, bei dem um 24 Uhr eine mittels eines Magneten festgehaltene Klappe in eine waagrechte Position falle, wodurch die vor diesem Zeitpunkt eingeworfene Post von der danach eingeworfenen Post getrennt werde, bestünden nicht. Eine Fehlfunktion des Nachtbriefkastens, die bereits von außen durch das Aufleuchten eines Lichts zu ersehen sei, habe am 6. April 2016 nach den Angaben der zuständigen Mitarbeiterin nicht festgestellt werden können.
14
Auch von einer fehlerhaften Verwendung des Eingangsstempels sei nicht auszugehen. Wie eine Nachfrage des Vizepräsidenten des Landgerichts bei allen Serviceeinheiten der 1. bis 9. Zivilkammer ergeben habe, sei allein im Streitfall die Korrektheit des am 6. April 2016 aufgebrachten Eingangsstempels angezweifelt worden. Die verantwortliche Mitarbeiterin der Poststelle habe ausdrücklich erklärt, den richtigen Stempel mit dem zutreffenden Datum für die aus dem Nachtbriefkasten entnommene Post verwendet zu haben. Anhaltspunkte für ein Vertauschen der Eingangspost vom 5. April und vom 6. April 2016 bestünden danach nicht.
15
Außerdem bestünden an dem von der Zeugin bekundeten zeitlichen Ablauf im Hinblick darauf, dass der Schriftsatz im Parallelverfahren keinen für die Post aus dem Nachtbriefkasten bestimmten Eingangsstempel trage, erhebliche Zweifel. Der Umstand, dass der Schriftsatz im vorliegenden Verfahren einen Stempel mit dem Aufdruck "Nachtbriefkasten", der für das Parallelverfahren bestimmte zweite Schriftsatz dagegen den (Tages-)Stempelaufdruck "Gemeinsame Posteinlaufstelle des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs und Landgerichts Leipzig" trage, lasse sich nicht mit einem technischen Defekt begründen, da "beide Briefkästen örtlich voneinander getrennt seien".
16
Eine Vernehmung des Ehemanns der Prozessbevollmächtigten der Beklagten sei nicht geboten, da dieser zum Einwurf in den Nachtbriefkasten keine Angaben mache könne. Auch die durch Angaben zur Ortung ihres Mobiltelefons unter Beweis gestellte Ortsabwesenheit der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zum fraglichen Zeitpunkt könne unterstellt werden. Sie sei nicht geeignet , den rechtzeitigen Einwurf des Begründungsschriftsatzes zu belegen. Die anwaltlich versicherte Erklärung der Beklagtenvertreterin zu den von ihr im Postausgangsbuch am 5. April 2016 eingetragenen Vermerken führe ebenfalls zu keiner abweichenden Würdigung.

II.

17
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung hätte das Berufungsgericht nicht von einer Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 2 ZPO) ausgehen dürfen. Es hätte sich nicht mit den angestellten rudimentären Ermittlungen begnügen dürfen, sondern war gehalten, die Abläufe bei der Entnahme, der Sortierung und der Verteilung der Eingangspost im Allgemeinen und - soweit möglich - konkret für den 5./6. April 2016 aufzuklären.
18
1. Frei von Rechtsfehlern hat das Berufungsgericht allerdings angenommen , dass der auf die Berufungsbegründung aufgebrachte Eingangsstempel "Nachtbriefkasten Sächsischer Verfassungsgerichtshof Landgericht Leipzig Eing. 06. April 2016" als öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 Abs. 1 ZPO Beweis dafür erbringt, dass der Schriftsatz erst an dem im Stempel angegebenen Tag beim Berufungsgericht eingegangen ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 31. Mai 1995 - XII ZR 206/94, VersR 1995, 1467 unter I; vom 30.März 2000 - IX ZR 251/99, NJW 2000, 1872 unter II 1 a; Beschlüsse vom 15. September 2005 - III ZB 81/04, NJW 2005, 3501 unter II; vom 21. Februar 2007 - XII ZB 37/06, juris Rn. 8; vom 8. Oktober 2013 - VIII ZB 13/13, NJW-RR 2014, 179 Rn. 10). Es hat auch nicht verkannt, dass hiergegen gemäß § 418 Abs. 2 ZPO der im Wege des Freibeweises zu führende Gegenbeweis zulässig ist, der die volle Überzeugung des Gerichts von dem rechtzeitigen Eingang des Schriftsatzes erfordert (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2000 - IX ZR 251/99, aaO; Beschlüsse vom 5. Juli 2000 - XII ZB 110/00, NJW-RR 2001, 280; vom 15. September 2005 - III ZB 81/04, aaO; vom 21. Februar 2007 - XII ZB 37/06, aaO; vom 8. Oktober 2013 - VIII ZB 13/13, aaO; jeweils mwN).
19
2. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch die Anforderungen an den nach § 418 Abs. 2 ZPO von den Beklagten zu erbringenden Beweis der Unrichtigkeit des aufgebrachten Eingangsstempels überspannt und den Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt. Ob eine Berufung zulässig ist oder nicht, haben sowohl das Berufungsgericht als auch das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (BGH, Urteile vom 30. März 2000 - IX ZR 251/99, aaO; vom 27. September 2001 - IX ZR 471/00, juris Rn. 4; jeweils mwN), wobei das Revisionsgericht weder an die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts (BGH, Urteile vom 27. September 2001 - IX ZR 471/00, aaO; vom 25. Oktober 1977 - VI ZR 198/76, VersR 1978, 155 unter II 2 mwN; Beschluss vom 27. November 1996 - XII ZB 177/96, NJW 1997, 1312 unter II mwN) noch an dessen Feststellungen (BGH, Beschluss vom 4. Juni 1992 - IX ZB 10/92, NJW-RR 1992, 1338 unter II 2 mwN) gebunden ist.
20
a) Zwar reicht die bloße, in aller Regel nicht völlig auszuschließende Möglichkeit, dass ein Nachtbriefkasten aus technischen Gründen nicht richtig funktioniert oder bei der Abstempelung Fehler unterlaufen, zur Führung des Beweises der Unrichtigkeit des Eingangsstempels nach § 418 Abs. 2 ZPO nicht aus. Auf der anderen Seite dürfen wegen der Beweisnot der betroffenen Partei die Anforderungen an diesen Gegenbeweis nicht überspannt werden (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 30. März 2000 - IX ZR 251/99, aaO unter II 1 b; vom 14. Oktober 2004 - VII ZR 33/04, NJW-RR 2005, 75 unter II 2; vom 2. November 2006 - III ZR 10/06, NJW 2007, 603 Rn. 5; Beschlüsse vom 27. November 2002 - VIII ZB 45/02, juris Rn. 5; vom 15. September 2005 - III ZB 81/04, aaO; vom 8. Oktober 2013 - VIII ZB 13/13, aaO; jeweils mwN). Da der Außenstehende in der Regel keinen Einblick in die Funktionsweise des gerichtlichen Nachtbriefkastens sowie in das Verfahren bei dessen Leerung und damit keinen Anhaltspunkt für etwaige Fehlerquellen hat, ist es zunächst Sache des Gerichts, die insoweit zur Aufklärung nötigen Maßnahmen zu ergreifen (BGH, Urteile vom 30. März 2000 - IX ZR 251/99, aaO; vom 14. Oktober 2004 - VII ZR 33/04, aaO; Beschlüsse vom 3. Juli 2008 - IX ZB 169/07, NJW 2008, 3501 Rn. 11; vom 8. Oktober 2013 - VIII ZB 13/13, aaO Rn. 14; jeweils mwN).
21
b) Diesen Anforderungen ist das Berufungsgericht nur unzureichend nachgekommen. Es hat sich maßgeblich auf die inhaltlich karge dienstliche Stellungnahme der zuständigen Mitarbeiterin der Poststelle vom 12. April 2016 gestützt, deren Aussagegehalt sich in der allgemein gehaltenen Erklärung erschöpft , am 6. April 2016 für das Stempeln des Nachtbriefkastens verantwortlich gewesen zu sein, keine Störung des Nachtbriefkastens festgestellt und den richtigen Stempel mit dem richtigen Datum für die Post aus dem Nachtbriefkasten verwendet zu haben. Mit dieser, inhaltlich nicht ergiebigen Stellungnahme hätte sich das Berufungsgericht indessen, wie die Revision zu Recht geltend macht, nicht zufrieden gegeben dürfen (vgl. auch BGH, Urteil vom 30. März 2000 - IX ZR 251/99, aaO).
22
aa) Es fehlen bereits konkrete Angaben zur allgemeinen Organisation der Abläufe bei der Leerung des Nachtbriefkastens, der Sortierung der Post und der Aufbringung eines Eingangsstempels. Der Stellungnahme der zuständigen Poststellenmitarbeiterin lässt sich weder entnehmen, auf welche Weise und zu welchen Zeitpunkten die Funktionsweise des Nachtbriefkastens bei der Leerung geprüft noch mit welchen Maßnahmen sichergestellt wird, dass die darin in unterschiedlichen Fächern befindliche Post vom Zeitpunkt der Entnahme bis zur Abstempelung getrennt aufbewahrt wird. Insbesondere haben weder die zuständige Mitarbeiterin noch der Leiter der Poststelle Angaben dazu gemacht, wo genau eine aus dem Nachtbriefkasten entnommene Post und die sonstige Eingangspost abgelegt und anschließend abgestempelt werden und welcher Stempel für welche Eingangspost vorgesehen ist.
23
Auch sind keine Angaben dazu erfolgt, welche Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Post aus dem Nachtbriefkasten mit anderweitiger Eingangspost (etwa durch ein Verrutschen von Stapeln) vermengt wird oder dass ein eingehendes Schriftstück zunächst unbemerkt bleibt und infolgedessen zu einem späteren Zeitpunkt einen unzutreffenden Stempel erhält (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 1983 - IX ZB 4/83, juris Rn. 5 mwN). Dem Berufungsurteil lässt sich nicht entnehmen, dass es sich bezüglich dieser von den Beklagten ausdrücklich als aufklärungsbedürftig gerügten Organisationsabläufe auf andere Weise ausreichende Kenntnis verschafft hat. Es hat sich mit der Beschreibung der - bereits vom Klägervertreter dargestellten - Funktionsweise des Nachtbriefkastens und einer Skizzierung des Leerungsvorgangs begnügt. Außerdem ist es offensichtlich von der nicht näher begründeten und nach der Darstellung der Beklagten sowie der Revision auch unzutreffenden Annahme ausgegangen, es gäbe zusätzlich einen vom Nachtbriefkasten örtlich getrennten weiteren Briefkasten.
24
bb) Weiter hat das Berufungsgericht, was die Revision ebenfalls zu Recht rügt (und die Beklagten schon in der Vorinstanz geltend gemacht haben), nicht berücksichtigt, dass eine Schilderung der allgemeinen Organisationabläufe für sich genommen nicht ausreicht, sondern auch in geeigneter Weise (jedenfalls im Streitfall vorzugsweise durch eine eingehende persönliche Anhörung der zuständigen Mitarbeiterin) der Frage nachzugehen ist, ob die mit der Leerung des Nachtbriefkastens und der Erfassung der Post betraute Mitarbeiterin noch über eine konkrete Erinnerung über die Geschehnisse am 6. April 2016 verfügt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. April 1996 - XII ZB 42/96, NJW 1996, 2038 unter b; vom 27. November 2002 - VIII ZB 45/02, aaO Rn. 6). Zu einer solchen Aufklärung hätte schon im Hinblick auf die pauschal gehaltene dienstliche Erklärung der Mitarbeiterin, der eine detaillierte Schilderung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten gegenübersteht, Anlass bestanden. Erst recht gilt dies vor dem Hintergrund, dass die Beklagten geltend gemacht haben, die Mitarbeiterin der Poststelle habe sich bei Abgabe ihrer Stellungnahme nach Auskunft des Vizepräsidenten des Landgerichts noch im Krankenstand befunden. Nach derzeitigem Stand der Dinge kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Mitarbeiterin ihre dienstliche Stellungnahme ohne konkreten Zugriff auf die in Frage stehenden Schriftstücke abgegeben hat und damit auf Mutmaßungen angewiesen war.
25
cc) Da das Landgericht somit bereits die naheliegenden dienstlichen Erkenntnisquellen nicht ausgeschöpft hat, hätte es schon aus diesem Grunde nicht die abweichenden Bekundungen der als Zeugin vernommenen Prozessbevollmächtigten der Beklagten als nicht nachvollziehbar bewerten dürfen. Es trifft zwar zu, dass sich die auf den beiden Schriftsätzen befindlichen unterschiedlichen , jeweils aber das Datum vom 6. April 2016 ausweisenden Eingangsstempel nur dann mit der Darstellung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten in Einklang bringen lassen, wonach sie beide, sich in getrennten Umschlägen befindlichen Schriftstücke zusammen in den Nachtstunden des 5. April 2016 in den Nachtbriefkasten des Landgerichts eingeworfen habe, wenn der Posteingangsstelle ein Doppelfehler unterlaufen wäre. Zum einen müsste auf die Berufungsbegründung in der vorliegenden Sache versehentlich der Nachtbriefkastenstempel des Folgetages aufgebracht worden sein und zum anderen müsste der Schriftsatz in dem weiteren Verfahren irrtümlicherweise einen für sonstige Eingangspost bestimmten (Tages-)Stempelaufdruck erhalten haben.
26
Nach derzeitigem Erkenntnisstand kann aber mangels Aufklärung der allgemeinen Organisationsabläufe und der konkreten Verhältnisse am 6. April 2016 nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einer solchen doppelten Fehlstempelung gekommen ist. Denkbar wäre etwa, dass bei der Erfassung der unterschiedlichen Arten der Eingangspost (möglicherweise unbemerkt) einzelne Poststücke verrutscht und infolgedessen die Berufungsbegründung im vorliegenden Verfahren mit einem falschen Nachtbriefkastenstempelaufdruck verse- hen worden ist. Ebenso wäre es möglich, dass der Schriftsatz in der Parallelsache zunächst gar nicht abgestempelt und erst später einen nicht das richtige Eingangsdatum ausweisenden Stempel erhalten hat.
27
c) Weiter ist das Berufungsgericht nicht allen erheblichen Beweisangeboten der Prozessbevollmächtigten der Beklagten nachgegangen. Die Beklagten haben sich unter substantiierter Darlegung des von ihnen behaupteten Geschehensablaufs darauf berufen, ihre Prozessbevollmächtigte habe sich am 5. April 2016 gegen 21.15 Uhr von ihrem Ehemann und Mitinhaber der gemeinsamen Rechtsanwaltskanzlei mit der Bemerkung verabschiedet, die beiden fristgebundenen Schriftsätze in dem vorliegenden und dem parallel geführten Berufungsverfahren "noch schnell beim Landgericht" einwerfen zu wollen, und habe gemeinsam mit diesem bei ihrer Rückkehr festgestellt, dass sie sich gegen 22 Uhr wieder in dem als Kanzlei und als Wohnung genutzten Anwesen eingefunden und daher die Fahrt weniger Zeit als ursprünglich angenommen in Anspruch genommen habe.
28
Dieses Beweisangebot hat das Berufungsgericht für unerheblich gehalten , weil es sich nur auf die Begleitumstände, nicht aber auf den Einwurf der Schriftstücke in den Nachtbriefkasten als solchen beziehe. In Anbetracht der gewählten Formulierung des Anschlusssatzes ("Auch die unter Beweis gestellte Ortsabwesenheit der Prozessbevollmächtigten kann unterstellt werden") steht zu vermuten, dass das Berufungsgericht die von ihm für unerheblich erachteten Begleitumstände als wahr unterstellen wollte. Dabei hat es aber nicht bedacht, dass eine Zeugenaussage des Ehemanns der Prozessbevollmächtigten der Beklagten über die beschriebenen Begleitumstände und etwaige hierbei geschilderte weitere Einzelheiten für die Glaubhaftigkeit der Bekundungen der Prozessbevollmächtigen der Beklagten von entscheidender Bedeutung sein können. Es hätte daher von der hierzu beantragten Zeugenvernehmung nur dann absehen dürfen, wenn es die von den Beklagten insoweit aufgestellten Behauptungen mit dem ihnen von diesen beigelegten Gewicht als wahr unterstellt hätte (vgl. Senatsurteil vom 15. März 2017 - VIII ZR 270/15, WuM 2017, 285 Rn. 26).
29
d) Darüber hinaus hat das Berufungsgericht bei seiner Beweiswürdigung, an die das Revisionsgericht - wie oben unter II 2 ausgeführt - nicht gebunden ist, unberücksichtigt gelassen, dass die Prozessbevollmächtigte der Beklagten eine detaillierte Schilderung der Geschehnisse am 5. April 2016 abgegeben und dabei auch detaillierte Angaben zur Bearbeitung und zum Einwurf der das Parallelverfahren betreffenden Berufungsbegründung gemacht hat, obwohl ihr zu diesem Zeitpunkt schon bekannt war, dass der auf diesen Schriftsatz aufgebrachte Stempel nicht das Eingangsdatum 5. April 2016 auswies, sondern einen - die Erbringung des von ihr verlangten Beweis des Gegenteils noch weiter erschwerenden - Tagesstempel mit dem Datum 6. April 2016. Falls sie bestrebt gewesen wäre, eine unwahre, aber schlüssige Erklärung dafür zu liefern, warum der im vorliegenden Verfahren gefertigte und nach ihrer Darstellung in den Nachtbriefkasten eingeworfene Schriftsatz ein unrichtiges Eingangsdatum erhalten hat, hätte es nahegelegen, sich allein auf eine dieses Schriftstück betreffende Fehlstempelung zu berufen und nicht noch den weiteren Schriftsatz mit dem darauf aufgebrachten Tagesstempel von sich aus anzusprechen und damit einen - noch schwerer auszuräumenden - Doppelfehler des Landgerichts ins Spiel zu bringen. Dass sie sich gegen eine solche Vereinfachung der Geschehensabläufe entschieden hat, spricht - anders als das Berufungsgericht meint - eher für als gegen die Glaubhaftigkeit ihrer detaillierten und durch zusätzliche Indizien (Ortungsangaben bezüglich ihres Mobiltelefons; Kalendereintragung) belegten Aussage.

III.

30
Nach alledem hat das angefochtene Urteil keinen Bestand; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, da das Berufungsgericht bislang keine ausreichenden Feststellungen zu der strittigen Frage des Zeitpunkts des Eingangs der Berufungsbegründung getroffen hat. Sie ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Anders als die Revision meint, ist der Senat nicht gehalten, die fehlenden Feststellungen selbst nachzuholen. Vielmehr ist es schon im Hinblick auf die größere Orts- und Sachnähe sachgerecht, die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen selbst trifft (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2000 - IX ZR 251/99, juris Rn. 10; Beschlüsse vom 4. Juni 1992 - IX ZB 10/92, aaO unter II 3; vom 7. Oktober 1992 - XII ZB 100/92, FamRZ 1993, 313 unter [II] 1 b; vgl. ferner Urteile vom 14. Oktober 2004 - VII ZR 33/04, aaO unter 4; vom 17. Februar 2012 - V ZR 254/10, NJW-RR 2012, 701 Rn. 11 ff.; Beschlüsse vom 21. Februar 2007 - XII ZB 37/06, aaO Rn. 12; vom 11. Januar 2011 - VIII ZB 44/10, juris Rn. 11; vom 8. Oktober 2013 - VIII ZB 13/13, NJW-RR 2014, 179 Rn. 19 f.).
31
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
32
Falls das Berufungsgericht nach Durchführung der erforderlichen Ermittlungen nach wie vor nicht die volle richterliche Überzeugung zu gewinnen vermag , dass die Berufungsbegründung entgegen dem Eingangsstempel rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangen ist, wird es ergänzend zu prüfen haben, ob nicht wenigstens eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 3. März 1983 - IX ZB 4/83, VersR 1983, 491 mwN) dafür spricht, dass die Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Berufungsbegründung noch am 5. April 2016 in den Nachtbriefkasten eingeworfen hat und damit ein fehlendes Verschulden an der Fristversäumnis glaubhaft gemacht worden wäre (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 6. März 2007 - VIII ZB 102/06, juris Rn. 3; vom 8. Oktober 2013 - VIII ZB 13/13, NJW-RR 2014, 179 Rn. 13 - 20; vom 1. März 2016 - VIII ZB 57/15, NJW 2016, 2042 Rn. 15 [jeweils für eine Übermittlung per Telefax]), so dass den Beklagten gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre. Dr. Milger Dr. Hessel Dr. Fetzer Dr. Bünger Hoffmann
Vorinstanzen:
AG Leipzig, Entscheidung vom 28.01.2016 - 161 C 6659/15 -
LG Leipzig, Entscheidung vom 31.08.2016 - 1 S 133/16 -

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für die Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 18. August 2010 - L 6 AS 381/08 - vor dem Bundessozialgericht Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin A beizuordnen, wird abgelehnt.

Gründe

1

I. Streitig sind Kosten der Unterkunft und Heizung für die Zeit von Januar 2005 bis Juni 2008.

2

Der Berufungsschriftsatz des Klägers gegen das am 7.10.2008 zugestellte klageabweisende Urteil des SG vom 11.9.2008 trägt den Eingangsstempel des SG vom 10.11.2008. Der zugehörige Umschlag enthält als vom Kläger unterschriebenen Vermerk ua "Einwurf Fristenbriefkasten, Sozialgericht MR am 7.11.2008 um 19.30 Uhr" (Unterschrift). Nachdem dem Kläger zunächst mitgeteilt worden war, die Berufung sei fristgerecht eingelegt worden, weil der 10.11.2008 ein Montag sei (Schreiben vom 20.11.2008), hat das LSG nach Berichterstatterwechsel im März 2010 Auskünfte des SG Marburg angefordert, danach den früheren Leiter der Poststelle des SG zur Frage des Eingangs der Berufungsschrift vernommen und die Berufung als unzulässig verworfen (Urteil des LSG vom 18.8.2010). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, ausweislich des Eingangsstempels sei die Berufungsschrift erst am Montag, dem 10.11.2008, und damit verspätet beim SG eingegangen. Der Vermerk auf dem Umschlag spreche gegen den fristgerechten Einwurf in den Gerichtsbriefkasten. Der Kläger habe nicht dargelegt, dass und/oder warum er Anlass gehabt habe, der Fristendokumentation des Briefkastens zu misstrauen. Der als Zeuge vernommene ehemalige Leiter der Poststelle habe ausgeführt, dass er sich an den Vorgang noch gut erinnern könne, weil der Berufungsschriftsatz mit dem auffallenden Umschlag am 10.11.2008 auf der Klappe des Nachtbriefkastens zusammen mit der Tagespresse vom selben Tag gelegen habe, also nach Schließen der Klappe eingeworfen worden sei. Eine Störung des Mechanismus sei ihm nicht erinnerlich und wäre selbst bei einem Stromausfall nicht anzunehmen, weil dann der Kontakt zur Klappenschließung nicht ausgelöst worden wäre.

3

II. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens ist abzulehnen. Nach § 73a SGG iVm § 114 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es hier. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG unter Berücksichtigung der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgezählten Zulassungsgründe erfolgreich begründen könnte.

4

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG die hier angestrebte Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur zulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und tatsächlich vorliegt. Weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Klägervorbringen wird deutlich, worin eine grundsätzliche, über den Fall des Klägers hinausgehende allgemeine Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG liegen könnte, die rechtlich noch ungeklärte Fragestellungen aufwirft. Auch eine Abweichung des angefochtenen Urteils von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG ist weder zu erkennen noch geltend gemacht.

5

Aus dem Akteninhalt und dem Vortrag des Klägers ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Prozessbevollmächtigter des Klägers erfolgreich einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geltend machen kann, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist(§ 160 Abs 2 Satz 1 Nr 3 Halbs 2 SGG). Soweit der Kläger als Verstoß gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens (vgl hierzu zB BSG vom 21.7.2009 - B 7 AL 9/09 B) rügt, das LSG habe die angebotene Gegenbeweisführung vereitelt, indem es ihm erst 20 Monate nach Eingang des Rechtsmittels der Berufung mitgeteilt habe, dass diese verfristet sei, liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass das LSG zu einem anderen Beweisergebnis hätte gelangen können. Ein entsprechender Beweisantrag liegt nicht vor. Das LSG hat insofern eine Beweiswürdigung vorgenommen, die einer Überprüfung im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht zugänglich ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Gerichtliche Eingangsstempel erbringen im Übrigen regelmäßig den Beweis für Zeit und Ort des Eingangs eines Schreiben oder eines Schriftsatzes (BGH Beschluss vom 30.10.1997 - VII ZB 19/97 - NJW 1998, 461). Wird die Unrichtigkeit eines gerichtlichen Eingangsstempels nach Einwurf eines Schriftsatzes in den Nachtbriefkasten vorgetragen, muss das Gericht zunächst durch Einholung einer dienstlichen Äußerung der Wachtmeisterei aufklären, ob es im Hinblick auf die Funktionsweise des Nachtbriefkastens oder das bei der Leerung zu beachtende Verfahren einen Fehler gegeben hat (vgl zB BGH Beschluss vom 3.7.2008 - IX ZB 169/07 - NJW 2008, 3501). Diese Überprüfung hat das LSG mit für den Kläger negativem Ergebnis durchgeführt, welches durch die Vernehmung des Zeugen B bestätigt worden ist. Dabei ist in Ausnahmefällen - hier der vorgelagerten Prüfung der Zulässigkeit der Berufung - die Vernehmung von Zeugen im Verfahren der Bewilligung von PKH nach § 118 Abs 2 Satz 3 ZPO möglich.

6

Auch soweit der Kläger als Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 GG) geltend macht, mangels zeitnaher Entscheidung über seinen PKH-Antrag habe das LSG seine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vom 18.8.2010 vereitelt und ihm die Möglichkeit genommen, dem Zeugen Fragen zu stellen, ist nicht erkennbar, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter insofern erfolgreich einen Verfahrensfehler im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde geltend machen könnte. Prüfungsgegenstand bei der Nichtzulassungsbeschwerde ist insofern nicht die Rechtmäßigkeit des Beschlusses über die Ablehnung der PKH, sondern die Frage, ob dem Kläger durch rechtswidrige Vorenthaltung der beantragten PKH eine sachgerechte Prozessführung und insbesondere die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts vom 18.8.2010 verwehrt und dadurch sein in Art 103 Abs 1 GG verfassungsrechtlich garantierter Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden ist. Insofern muss rückschauend beurteilt werden, ob dem Kläger bei zeitgerechter Entscheidung über seinen Antrag PKH zugestanden hätte (BSG Beschluss vom 4.12.2007 - B 2 U 165/06 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 9, RdNr 10). Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg iS des § 114 ZPO ist ua gegeben, wenn das Gericht in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Umgekehrt kann die Erfolgsaussicht verneint werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfGE 81, 347, 356 ff). Nach diesen Maßstäben war - wegen der Beweiskraft des gerichtlichen Eingangsstempels - im konkreten Fall bereits bei Einlegung der Berufung im November 2008 eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht anzunehmen.

7

Mit der Ablehnung der beantragten PKH entfällt zugleich die Beiordnung von Rechtsanwältin A im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 ZPO).

Tatbestand

1

I. Das Finanzgericht München entschied im Verfahren 8 K 2633/08 am 24. September 2010 vorab durch Zwischenurteil und ließ die Revision zu. Das Urteil ist der Prozessbevollmächtigten des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) am 8. Oktober 2010 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 8. November 2010 legte der Kläger gegen das Urteil Revision ein. Der in den Nachtbriefkasten des Bundesfinanzhofs (BFH) eingeworfene Schriftsatz wurde laut Eingangsstempel am 10. November 2010 entnommen und an diesem Tag mit der Eingangslistennummer 2182/10 erfasst. Der Stempel lautet im Einzelnen wie folgt:

2

"Dem Nachtbriefkasten heute entnommen aus dem Behältnis V (vor 24 Uhr) - Störungen am Nachtbriefkasten wurden nicht festgestellt.

Bundesfinanzhof

München, den 10.11.10

. . . . . . .          . . . . . . ."

(Unterschrift)          (Unterschrift)

3

Unterschrieben ist der Eingangsstempel von den Beamten Erster Justizhauptwachtmeister (E.JHW) A und Erster Hauptwachtmeister (E.HW) B des BFH. Lt. "Protokoll über die Leerung des Nachtbriefkastens des Bundesfinanzhofs" für den Monat November 2010 (Gerichtsakte Bl. 56) waren die genannten Beamten am 10. November 2010 für die Leerung des Nachtbriefkastens zuständig. Am 9. November 2010 war neben E.JHW A der Beamte E.HW C zuständig. Dies wird durch die eigenhändigen Unterschriften der genannten Personen im Protokoll dokumentiert.

4

Mit Schreiben vom 19. November 2010 teilte der Vorsitzende des erkennenden Senats dem Kläger mit, dass die Revision "erst am 9. November 2010 beim Bundesfinanzhof - und daher verspätet - eingegangen" sei. Daraufhin beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2010 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision. Zur Begründung trägt der Kläger unter entsprechender Glaubhaftmachung durch eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwalts und Steuerberaters S vor:

5

Die Prozessbevollmächtigte habe mit dem Kläger bereits am Freitag, den 5. November 2010, abgestimmt, dass die Revision am 8. November 2010 durch persönlichen Einwurf in den Briefkasten am Haupteingang des BFH eingelegt werden solle. Der Schriftsatz zur Einlegung der Revision sei an dem genannten Montag gegen 17:00 Uhr unterzeichnet worden. Anschließend sei der Kläger darüber informiert worden, dass die Revisionsschrift am selben Tag dem BFH zugehen werde.

6

Das Sekretariat der Prozessbevollmächtigten habe den DIN A4-Umschlag mit der Revisionsschrift am Nachmittag des 8. November 2010 fertig gestellt und S übergeben. S habe es persönlich übernommen, den Umschlag mit dem Schriftsatz auf seinem Heimweg nach Arbeitsschluss vom Büro nach Hause in den Gerichtsbriefkasten des BFH einzuwerfen.

7

S sei am Abend des 8. November 2010 noch bis ca. 20:00 Uhr in seinem Büro (…) tätig gewesen. Auf dem Weg nach Hause sei er zwischen 20:00 Uhr und 21.00 Uhr, jedenfalls mehrere Stunden vor Mitternacht, mit seinem Fahrzeug vom Effnerplatz kommend beim Haupteingang des BFH vorgefahren und habe den Briefumschlag in den ihm bestens bekannten Gerichtsbriefkasten rechts vom Haupteingang eingeworfen. S habe an diesem Gerät keine Irregularität feststellen können. Er sei deshalb bis zum Schreiben des Vorsitzenden des erkennenden Senats vom 19. November 2010 vom fristgerechten Zugang der Revisionsschrift ausgegangen. Es sei unerklärlich, wie es zu der Fristüberschreitung habe kommen können.

8

Da dem Kläger die nähere technische Beschaffenheit des Gerichtsbriefkastens des BFH nicht bekannt sei, könne und wolle er auch keine Vermutungen darüber anstellen, ob überhaupt und aufgrund welcher technischer oder eventuell auch menschlicher Vorkommnisse der nach bestem Wissen am 8. November 2010 eingeworfene Umschlag erst am 9. November 2010 beim BFH eingegangen sei.

9

In der beim BFH fristgerecht eingegangenen Revisionsbegründungsschrift beantragt der Kläger, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) zu verpflichten, unter Änderung des Nachforderungsbescheids vom 20. Dezember 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 2008 die Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer und Solidaritätszuschlag 2003 um 17.947,46 € herabzusetzen.

10

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

II.Die Revision ist unzulässig und deshalb gemäß § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss zu verwerfen. Die Revision ist verspätet eingelegt worden; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht.

12

1. Die gegen das Zwischenurteil (§ 99 Abs. 2 FGO) gerichtete Revision ist verspätet eingelegt worden.

13

a) Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision beim BFH innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen. Im Streitfall endete nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung am 8. Oktober 2010 die Revisionsfrist am 8. November 2010. Die ausweislich des beim BFH angebrachten Eingangsstempels erst am 9. November 2010 eingegangene Revision war daher verspätet.

14

b) Soweit der Kläger die sachliche Unrichtigkeit des Eingangsstempels in Zweifel zieht, kann dem nicht gefolgt werden.

15

Im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 121 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) muss der BFH von der Rechtzeitigkeit einer Rechtsmitteleinlegung überzeugt sein (BFH-Urteil vom 19. Juli 1995 I R 87, 169/94, BFHE 178, 303, BStBl II 1996, 19). Auch im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung kommt einer öffentlichen Urkunde entsprechend § 418 der Zivilprozessordnung (ZPO) ein hoher Beweiswert zu, so dass diese nach allgemeinen Erfahrungssätzen im Regelfall vollen Beweis für die in ihr beurkundeten Tatsachen erbringt. So erbringt der Eingangsstempel eines Gerichts grundsätzlich Beweis für Zeit und Ort des Eingangs eines Schreibens (BFH-Urteil in BFHE 178, 303, BStBl II 1996, 19; BFH-Beschluss vom 7. April 1998 VII R 70/96, BFH/NV 1998, 1115; BFH-Beschluss vom 25. April 1988 X R 90/87, BFH/NV 1989, 110; Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 96 FGO Rz 95). Zwar ist der Gegenbeweis zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO). Die Rechtzeitigkeit des Eingangs muss aber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden. Durch bloße Zweifel an der Richtigkeit der urkundlichen Feststellungen ist der Gegenbeweis noch nicht erbracht (Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., § 418 Rz 4; s. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 1115, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 19. Mai 1999 VI B 342/98, BFH/NV 1999, 1460). Allein die kaum jemals völlig auszuschließende Möglichkeit, dass ein Nachtbriefkasten aus technischen Gründen nicht richtig funktioniert oder bei der Abstempelung Fehler unterlaufen, reicht zur Führung des Gegenbeweises nicht aus. Andererseits dürfen wegen der Beweisnot der betroffenen Partei die Anforderungen an den Gegenbeweis nicht überspannt werden (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 14. Oktober 2004 VII ZR 33/04, Betriebs-Berater 2005, 182).

16

c) Im Streitfall hat der Kläger den Gegenbeweis dafür, dass der Eingangsstempel des BFH unzutreffend ist, nicht geführt. Seine Behauptung, S habe den Schriftsatz selbst am 8. November 2010 vor Mitternacht in den Nachtbriefkasten eingeworfen, kann mit der dem Senat vorgelegten eidesstattlichen Versicherung nicht bewiesen werden. Denn die eidesstattliche Versicherung ist letztlich ein Mittel der Glaubhaftmachung, aber nicht des Beweises (§ 155 FGO i.V.m. § 294 ZPO; BFH-Urteil in BFHE 178, 303, BStBl II 1996, 19; BGH-Urteil vom 30. März 2000 IX ZR 251/99, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2000, 852). Die Glaubhaftmachung, die anders als der Vollbeweis nur eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung ist, kommt nur in den gesetzlich zugelassenen Fällen in Betracht (Zöller/ Greger, a.a.O., § 294 Rz 1; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 96 Rz 42).

17

Nach den Feststellungen des Senats funktionierte der Nachtbriefkasten des BFH im fraglichen Zeitraum einwandfrei; zu Störfällen ist es nicht gekommen, wie auch das erwähnte Protokoll dokumentiert. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die für die Leerung am 9. November 2010 zuständigen Bediensteten versehentlich ein falsches Datum (etwa 10. statt 9. November 2010) gestempelt und zu Protokoll gegeben hätten. Dagegen spricht bereits, dass E.HW B, dessen Unterschrift sich auf dem Eingangsstempel befindet, lt. erwähntem Protokoll am 9. November 2010 an der Leerung des Nachtbriefkastens nicht beteiligt war und deshalb die Unterschrift an diesem Tag weder auf dem Stempel noch im Protokoll leisten konnte. Es kommt hinzu, dass die Revisionsschrift ebenfalls erst am 10. November 2010 von der Gerichtsverwaltung als neues Verfahren "erfasst" worden ist. Regelmäßig wird nämlich die dem Nachtbriefkasten entnommene Post, die keinem Verfahren zugeordnet werden kann, unverzüglich der Erfassungsstelle weitergeleitet.

18

Die nicht völlig auszuschließende Möglichkeit, dass der nach Angaben des S am 8. November 2010 in den Nachtbriefkasten eingeworfene Schriftsatz bei der Entleerung am Morgen des 9. November 2010 versehentlich nicht entnommen worden ist, reicht, wie dargestellt, zur Führung des Gegenbeweises nicht aus.

19

2. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen Versäumung der Revisionsfrist kann nicht gewährt werden.

20

Eine solche Wiedereinsetzung ist auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert ist (§ 56 Abs. 1 FGO). Dabei muss sich der Beteiligte das Verschulden seines Bevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen.

21

Das Vorbringen des Klägers ist nicht geeignet, ein Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Revisionsfrist auszuschließen. Nach der Darstellung des Klägers hat S, einer der beiden Unterzeichner der Revisionsschrift, den Schriftsatz persönlich am Abend des 8. November 2010 in den Nachtbriefkasten des BFH einwerfen wollen. Der Kläger hat nicht behauptet, dass der Einwurf durch ein von S nicht zu vertretendes Ereignis verzögert worden wäre. Wenn gleichwohl aus den genannten Gründen ein verspäteter Einwurf als bewiesen anzusehen ist, kann das nur daran liegen, dass der Schriftsatz zu spät aus dem Machtbereich der Prozessbevollmächtigten herausgelangt ist; das wäre nach dem von dem Kläger geschilderten Geschehensablauf nicht ohne Verschulden des S denkbar (s. BGH-Urteil in HFR 2000, 852).

(1) Öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 bezeichneten Inhalt haben, begründen vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen.

(2) Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig, sofern nicht die Landesgesetze diesen Beweis ausschließen oder beschränken.

(3) Beruht das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson, so ist die Vorschrift des ersten Absatzes nur dann anzuwenden, wenn sich aus den Landesgesetzen ergibt, dass die Beweiskraft des Zeugnisses von der eigenen Wahrnehmung unabhängig ist.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 23. August 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Mit Gerichtsbescheid vom 12.4.2011, der dem Kläger am 18.4.2011 zugestellt worden ist, hat das SG Chemnitz die Feststellung der Zeiten vom 1.10.1966 bis 16.1.1972 und vom 1.7.1986 bis 16.4.1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) einschließlich der dabei erzielten Arbeitsentgelte verneint. Der Berufungsschriftsatz des Klägers vom 17.5.2011 trägt den Posteingangsstempel des Sächsischen LSG von Donnerstag, den "19. Mai 2011", sowie den Zusatz "Nachtbriefkasten". Das LSG wies den Kläger darauf hin, dass die Berufung nach Lage der Akten verfristet sei, und übermittelte ihm eine Auskunft der Poststelle zur Funktionsweise des Nachtbriefkastens. Der Klägerbevollmächtigte versicherte anwaltlich, er habe den kuvertierten Berufungsschriftsatz am 18.5.2011 zwischen 18.30 Uhr und 18.45 Uhr persönlich in den Nachtbriefkasten des LSG eingelegt, hilfsweise werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Mit Urteil vom 23.8.2011 hat das LSG die Berufung als unzulässig verworfen. Der Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers sei - ebenso wie seine anwaltliche, gegebenenfalls eidesstattliche Versicherung - nicht geeignet, "die Richtigkeit des Posteingangsstempels" zu widerlegen und den Nachweis eines fristgerechten Berufungseingangs zu erbringen. Zum streitgegenständlichen Zeitpunkt seien am Nachtbriefkasten keine technischen Defekte aufgetreten; Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Bearbeitung durch das zuständige Personal bestünden nicht. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht.

2

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.

3

Der Kläger hat ordnungsgemäß dargetan, dass das LSG gegen §§ 62, 128 Abs 2 SGG verstoßen habe und das angefochtene Urteil auf diesem Verfahrensmangel beruhen könne(§ 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG).

4

Der gerügte Verfahrensmangel liegt auch vor. Der Eingangsstempel auf der bei Gericht eingegangenen Berufungsschrift des Klägers ist eine öffentliche Urkunde iS von § 418 Abs 1 ZPO und erbringt damit grundsätzlich den vollen Beweis für den Zeitpunkt der Ausstellung(BSG SozR 4100 § 59e Nr 1). Auch die rechtzeitige Vornahme einer Prozesshandlung - hier die fristgerechte Einlegung der Berufung - wird im Regelfall durch den Eingangsstempel des angegangenen Gerichts auf dem Berufungsschriftsatz bewiesen (BSG Beschluss vom 9.3.2011 - B 4 AS 60/10 BH - Juris RdNr 5). Das LSG ist davon ausgegangen, dass der durch den Eingangsstempel bezeugte Tag vorliegend dem Tag des Eingangs, dh des Zugangs in den Zugriffsbereich des Berufungsgerichts entspricht. Doch ist vorbehaltlich abweichenden Landesrechts gemäß § 418 Abs 2 ZPO grundsätzlich der Gegenbeweis zulässig. Hinsichtlich dieses Gegenbeweises hat das LSG gegen § 128 Abs 2 SGG verstoßen. Bei den negativen Feststellungen des LSG, zum "streitgegenständlichen Zeitpunkt" seien am Nachtbriefkasten keine technischen Defekte aufgetreten und es hätten auch keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Bearbeitung durch das zuständige Personal bestanden, kann es sich jeweils nur um die schlussfolgernde Erkenntnis des Wahrheitsgehalts dieser Aussagen im Sinne des Beweises handeln. Ihnen müssen daher denknotwendig vom Berufungsgericht bereits als feststehend und rechtlich relevant erkannte Einzelumstände (Tatsachen) und/oder Beweismittel und Beweisergebnisse vorangehen, die nach der Auffassung des Tatsachengerichts derartige Schlussfolgerungen mit der notwendigen Verlässlichkeit erlauben. Umstände dieser Art hat das LSG dem Kläger indessen weder vor dem noch im Termin zur mündlichen Verhandlung mitgeteilt; auch ergibt sich nicht umgekehrt, dass er hiervon auf sonstige Weise Kenntnis erlangt und Stellung genommen bzw die an sich eröffnete Gelegenheit zur Stellungnahme nur ungenutzt gelassen hat. Er hatte damit vor Abschluss des Verfahrens in der Tatsacheninstanz keine Gelegenheit zur Stellungnahme, obwohl § 62 SGG gebietet, den Beteiligten vor jeder Entscheidung rechtliches Gehör zu gewähren und das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten(§ 128 Abs 2 SGG).

5

Um den Verfahrensmangel darzulegen, durfte sich die Beschwerdebegründung zunächst auf die negative Beweiskraft der Sitzungsniederschrift (§ 122 SGG iVm § 165 S 1 ZPO) berufen. Diese erbringt vorbehaltlich der Fälle des § 165 S 2 ZPO grundsätzlich abschließend ("nur") Beweis über die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten, beweist also bei Fehlen einer Feststellung im Protokoll auch negativ, dass eine Förmlichkeit nicht beachtet wurde (Stöber in Zöller, ZPO, 29. Aufl 2012, § 165 RdNr 3). Zu den Förmlichkeiten in diesem Sinne gehören ua die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung iS von § 160 Abs 2 ZPO, dh der Verfahrensablauf, soweit er für die Entscheidung und die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens durch das Rechtsmittelgericht erforderlich ist(Stöber aaO § 160 RdNr 3). Im Rahmen der entsprechenden Anwendung von § 160 Abs 2 ZPO in Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit gehört hierzu ua § 128 Abs 2 SGG. Die Vorschrift gebietet, dass das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Ein Hinweis darauf, dass der Kläger zu den Tatsachen und Beweisergebnissen hätte Stellung nehmen können, die den genannten Feststellungen des LSG zugrunde liegen, findet sich im Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.8.2011 nicht. Nicht anders als bei Verletzungen der Pflicht der Zivilgerichte, das Beweisergebnis mit den Parteien "zu erörtern" (§ 279 Abs 3 ZPO) steht damit hinsichtlich der mündlichen Verhandlung der Verstoß gegen § 128 Abs 2 SGG und damit zugleich gegen das Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör bereits allein aufgrund der fehlenden Erwähnung im Protokoll exklusiv und abschließend fest(vgl BGH Beschluss vom 20.12.2005 - VI ZR 307/04 - BGHReport 2006, 529).

6

Der in der Sitzungsniederschrift enthaltene Satz "Das Sach- und Streitverhältnis wird mit ihnen (den Beteiligten) erörtert", ist demgegenüber für sich allein keinesfalls geeignet, verlässlichen Nachweis für eine ausreichende Unterrichtung der Beteiligten über die entscheidungserheblichen Tatsachen und Erkenntnisquellen zu liefern. Als bloß formelhafte Wiederholung des Gesetzeswortlauts lässt er weder Inhalt noch Umfang der Erörterung erkennen, sondern gibt Raum für Spekulationen. Infolge dieser Unschärfe kann er keinesfalls Grundlage für die Entscheidung sein, ob das Gericht seine konkreten Mitteilungs- und Erörterungspflichten erfüllt, dh den Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Einzelfall be- oder missachtet hat (BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 4 S 5 f).

7

Hinsichtlich des Gangs der mündlichen Verhandlung kommt es unter diesen Umständen auch von vornherein weder auf die nachrangige und allein positive Beweiskraft des Protokolls als öffentlicher Urkunde iS von § 418 ZPO(vgl BGH Urteil vom 8.12.1993 - XII ZR 133/92 - FamRZ 1994, 300 ff) noch auf die ebenfalls nachrangige und nur positiv auf das mündliche Parteivorbringen beschränkte Beweiskraft des Urteilstatbestandes (§ 314 S 1 ZPO) an. Beide haben neben der exklusiven negativen Beweiswirkung des § 165 S 1 ZPO keine eigenständige Bedeutung.

8

Schließlich ergibt sich hinsichtlich des Verfahrensgangs im Übrigen aus den Akten des Berufungsgerichts kein positiver Hinweis darauf, dass der Kläger außerhalb der mündlichen Verhandlung auf Tatsachen und Beweisergebnisse hingewiesen worden wäre, denen das Berufungsgericht entnehmen will, zum "streitgegenständlichen Zeitpunkt" seien am Nachtbriefkasten keine technischen Defekte aufgetreten und es hätten auch keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Bearbeitung durch das zuständige Personal bestanden. Insofern hätte sich bei Beachtung des sozialgerichtlichen Verfahrensrechts ein Hinweis darauf finden müssen, dass dem Kläger gemäß § 107 SGG nach Anordnung des Vorsitzenden entweder eine Abschrift der Niederschrift einer durchgeführten Beweisaufnahme oder deren Inhalt und bei Anordnungen nach § 106 SGG jedenfalls eine Unterrichtung von der durchgeführten Maßnahme und ihrer Bedeutung für eine Entscheidung des Rechtsstreits mitgeteilt wurde(vgl BSG Beschluss vom 19.1.2005 - B 11a/11 AL 215/04 B -, Juris RdNr 9 f). Ebenso wenig lässt der Akteninhalt auch nur andeutungsweise erkennen, dass dem Kläger entsprechende Umstände auf sonstige Weise bekannt gewesen sein könnten und er hierzu schriftlich Stellung genommen haben oder trotz Kenntnis der rechtlichen Relevanz dieser Umstände von einer Stellungnahme Abstand genommen haben könnte. Da auch die Beweiskraft in der Gerichtsakte des Berufungsgerichts enthaltener öffentlicher und privater Urkunden stets nur auf einen positiven Inhalt beschränkt wäre (§§ 415 ff ZPO), steht damit die Verletzung von § 128 Abs 2 SGG zwar hinsichtlich des Verfahrensgangs außerhalb der mündlichen Verhandlung nicht auch abschließend negativ fest, doch gilt auch bei der Feststellung der Sachurteilsvoraussetzungen, dass § 103 S 1 Halbs 1 SGG keine Ermittlungen "ins Blaue hinein" gebietet. Gibt daher auch der Akteninhalt keinen Anlass, der Frage weiter nachzugehen, ob sich der Kläger zu den Grundlagen der in Frage stehenden Beweisfeststellungen des LSG äußern konnte, darf das Revisionsgericht seine abschließende Überzeugung, dass dies entsprechend dem Beschwerdevorbringen nicht der Fall war, auch ohne Durchführung aller nur denkbaren Maßnahmen der Sachaufklärung bilden. Dies gilt vorliegend umso mehr, als auch der Prozessgegner des Klägers dessen Vorbringen im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nur mit einer nicht näher substantiierten Verneinung der gesetzlichen Revisionszulassungsgründe entgegentritt.

9

Auf dem Verfahrensmangel kann die angefochtene Entscheidung auch beruhen. Denn es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil anders ausgefallen wäre, wenn der Kläger zuvor Gelegenheit gehabt hätte, sich zu denjenigen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern, denen das LSG entnehmen will, dass am Nachtbriefkasten keine technischen Defekte aufgetreten seien und auch keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Bearbeitung durch das zuständige Personal bestanden hätten. Er hätte dann ihm während des Verfahrens bekannt gewordene Umstände möglicherweise qualifiziert bestreiten und damit erreichen können, dass das LSG - nach einer etwaigen weiteren Beweiserhebung - zu einer abweichenden Entscheidung gekommen wäre (BSG vom 19.1.2005 aaO RdNr 11). Mögliche Konkretisierungsdefizite bei der Darlegung dieses Vorbringens im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde können dem Kläger, dem das rechtliche Gehör durch das Verschweigen entscheidungsrelevanter Umstände verweigert wurde und der die für die Beweiserkenntnis des LSG maßgeblichen Umstände auch nicht wenigstens nachträglich dem angefochtenen Urteil oder den Prozessakten entnehmen konnte, nicht entgegengehalten werden. Eine Verpflichtung "ins Blaue hinein" vorzutragen, obwohl das Berufungsgericht Tatsachen oder Beweisergebnisse nicht mitgeteilt hat, stünde Art 19 Abs 4 GG entgegen. Der Kläger hat darüber hinaus auch Umstände dargelegt, die es als möglich erscheinen lassen, dass der gemäß § 418 Abs 2 ZPO erforderliche Beweis der Unrichtigkeit des gerichtlichen Eingangsstempels als öffentliche Urkunde aufgrund am Schluss der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisanträge zu seinen Gunsten als geführt angesehen werden könnte. Er hätte dann zumindest die Zeugenvernehmungen seines Prozessbevollmächtigten, der Rechtsanwaltsfachangestellten R. und der Auszubildenden G. zum Zeitpunkt von Kuvertierung und Einwurf des Berufungsschriftsatzes, die Zeugenvernehmung des zuständigen Poststellenmitarbeiters zur Nachtbriefkastenleerung und Postbearbeitung sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Funktionsweise des Nachtbriefkastens beantragen können, um der Tatsacheninstanz unmittelbar vor deren Entscheidung zu signalisieren, dass er die bisherige Sachaufklärung für defizitär hält ("Warnfunktion") und wie diesem Mangel konkret abgeholfen werden kann ("Hinweisfunktion").

10

Darauf, ob sich aus den Darlegungen des Klägers weitere Verfahrensfehler - so etwa eine weitere Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die Zurückweisung seines Vorbringens zu den Umständen der Berufungseinlegung ohne jede inhaltliche Auseinandersetzung oder das teilweise Fehlen von Urteilsgründen - ergeben, bedarf unter diesen Umständen keiner näheren Erörterung.

11

Nach § 160a Abs 5 SGG kann das erkennende Gericht in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch. Damit entfällt gleichzeitig auch die Ablehnungsentscheidung des LSG über den hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag. Denn über ihn ist erst und nur dann zu entscheiden, wenn nicht festgestellt werden kann, dass der Kläger die Berufungsfrist gewahrt hat (vgl dazu BGH Beschluss vom 27.5.2003 - VI ZB 77/02 - NJW 2003, 2460). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, weil ungeklärt ist, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Berufungsschrift noch fristgerecht am 18.5.2011 in den Nachtbriefkasten des LSG eingeworfen hat.

12

Das LSG wird schließlich auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Tatbestand

1

I. Das Finanzgericht München entschied im Verfahren 8 K 2633/08 am 24. September 2010 vorab durch Zwischenurteil und ließ die Revision zu. Das Urteil ist der Prozessbevollmächtigten des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) am 8. Oktober 2010 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 8. November 2010 legte der Kläger gegen das Urteil Revision ein. Der in den Nachtbriefkasten des Bundesfinanzhofs (BFH) eingeworfene Schriftsatz wurde laut Eingangsstempel am 10. November 2010 entnommen und an diesem Tag mit der Eingangslistennummer 2182/10 erfasst. Der Stempel lautet im Einzelnen wie folgt:

2

"Dem Nachtbriefkasten heute entnommen aus dem Behältnis V (vor 24 Uhr) - Störungen am Nachtbriefkasten wurden nicht festgestellt.

Bundesfinanzhof

München, den 10.11.10

. . . . . . .          . . . . . . ."

(Unterschrift)          (Unterschrift)

3

Unterschrieben ist der Eingangsstempel von den Beamten Erster Justizhauptwachtmeister (E.JHW) A und Erster Hauptwachtmeister (E.HW) B des BFH. Lt. "Protokoll über die Leerung des Nachtbriefkastens des Bundesfinanzhofs" für den Monat November 2010 (Gerichtsakte Bl. 56) waren die genannten Beamten am 10. November 2010 für die Leerung des Nachtbriefkastens zuständig. Am 9. November 2010 war neben E.JHW A der Beamte E.HW C zuständig. Dies wird durch die eigenhändigen Unterschriften der genannten Personen im Protokoll dokumentiert.

4

Mit Schreiben vom 19. November 2010 teilte der Vorsitzende des erkennenden Senats dem Kläger mit, dass die Revision "erst am 9. November 2010 beim Bundesfinanzhof - und daher verspätet - eingegangen" sei. Daraufhin beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2010 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision. Zur Begründung trägt der Kläger unter entsprechender Glaubhaftmachung durch eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwalts und Steuerberaters S vor:

5

Die Prozessbevollmächtigte habe mit dem Kläger bereits am Freitag, den 5. November 2010, abgestimmt, dass die Revision am 8. November 2010 durch persönlichen Einwurf in den Briefkasten am Haupteingang des BFH eingelegt werden solle. Der Schriftsatz zur Einlegung der Revision sei an dem genannten Montag gegen 17:00 Uhr unterzeichnet worden. Anschließend sei der Kläger darüber informiert worden, dass die Revisionsschrift am selben Tag dem BFH zugehen werde.

6

Das Sekretariat der Prozessbevollmächtigten habe den DIN A4-Umschlag mit der Revisionsschrift am Nachmittag des 8. November 2010 fertig gestellt und S übergeben. S habe es persönlich übernommen, den Umschlag mit dem Schriftsatz auf seinem Heimweg nach Arbeitsschluss vom Büro nach Hause in den Gerichtsbriefkasten des BFH einzuwerfen.

7

S sei am Abend des 8. November 2010 noch bis ca. 20:00 Uhr in seinem Büro (…) tätig gewesen. Auf dem Weg nach Hause sei er zwischen 20:00 Uhr und 21.00 Uhr, jedenfalls mehrere Stunden vor Mitternacht, mit seinem Fahrzeug vom Effnerplatz kommend beim Haupteingang des BFH vorgefahren und habe den Briefumschlag in den ihm bestens bekannten Gerichtsbriefkasten rechts vom Haupteingang eingeworfen. S habe an diesem Gerät keine Irregularität feststellen können. Er sei deshalb bis zum Schreiben des Vorsitzenden des erkennenden Senats vom 19. November 2010 vom fristgerechten Zugang der Revisionsschrift ausgegangen. Es sei unerklärlich, wie es zu der Fristüberschreitung habe kommen können.

8

Da dem Kläger die nähere technische Beschaffenheit des Gerichtsbriefkastens des BFH nicht bekannt sei, könne und wolle er auch keine Vermutungen darüber anstellen, ob überhaupt und aufgrund welcher technischer oder eventuell auch menschlicher Vorkommnisse der nach bestem Wissen am 8. November 2010 eingeworfene Umschlag erst am 9. November 2010 beim BFH eingegangen sei.

9

In der beim BFH fristgerecht eingegangenen Revisionsbegründungsschrift beantragt der Kläger, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) zu verpflichten, unter Änderung des Nachforderungsbescheids vom 20. Dezember 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 2008 die Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer und Solidaritätszuschlag 2003 um 17.947,46 € herabzusetzen.

10

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II.Die Revision ist unzulässig und deshalb gemäß § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss zu verwerfen. Die Revision ist verspätet eingelegt worden; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht.

12

1. Die gegen das Zwischenurteil (§ 99 Abs. 2 FGO) gerichtete Revision ist verspätet eingelegt worden.

13

a) Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision beim BFH innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen. Im Streitfall endete nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung am 8. Oktober 2010 die Revisionsfrist am 8. November 2010. Die ausweislich des beim BFH angebrachten Eingangsstempels erst am 9. November 2010 eingegangene Revision war daher verspätet.

14

b) Soweit der Kläger die sachliche Unrichtigkeit des Eingangsstempels in Zweifel zieht, kann dem nicht gefolgt werden.

15

Im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 121 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) muss der BFH von der Rechtzeitigkeit einer Rechtsmitteleinlegung überzeugt sein (BFH-Urteil vom 19. Juli 1995 I R 87, 169/94, BFHE 178, 303, BStBl II 1996, 19). Auch im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung kommt einer öffentlichen Urkunde entsprechend § 418 der Zivilprozessordnung (ZPO) ein hoher Beweiswert zu, so dass diese nach allgemeinen Erfahrungssätzen im Regelfall vollen Beweis für die in ihr beurkundeten Tatsachen erbringt. So erbringt der Eingangsstempel eines Gerichts grundsätzlich Beweis für Zeit und Ort des Eingangs eines Schreibens (BFH-Urteil in BFHE 178, 303, BStBl II 1996, 19; BFH-Beschluss vom 7. April 1998 VII R 70/96, BFH/NV 1998, 1115; BFH-Beschluss vom 25. April 1988 X R 90/87, BFH/NV 1989, 110; Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 96 FGO Rz 95). Zwar ist der Gegenbeweis zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO). Die Rechtzeitigkeit des Eingangs muss aber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden. Durch bloße Zweifel an der Richtigkeit der urkundlichen Feststellungen ist der Gegenbeweis noch nicht erbracht (Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., § 418 Rz 4; s. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 1115, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 19. Mai 1999 VI B 342/98, BFH/NV 1999, 1460). Allein die kaum jemals völlig auszuschließende Möglichkeit, dass ein Nachtbriefkasten aus technischen Gründen nicht richtig funktioniert oder bei der Abstempelung Fehler unterlaufen, reicht zur Führung des Gegenbeweises nicht aus. Andererseits dürfen wegen der Beweisnot der betroffenen Partei die Anforderungen an den Gegenbeweis nicht überspannt werden (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 14. Oktober 2004 VII ZR 33/04, Betriebs-Berater 2005, 182).

16

c) Im Streitfall hat der Kläger den Gegenbeweis dafür, dass der Eingangsstempel des BFH unzutreffend ist, nicht geführt. Seine Behauptung, S habe den Schriftsatz selbst am 8. November 2010 vor Mitternacht in den Nachtbriefkasten eingeworfen, kann mit der dem Senat vorgelegten eidesstattlichen Versicherung nicht bewiesen werden. Denn die eidesstattliche Versicherung ist letztlich ein Mittel der Glaubhaftmachung, aber nicht des Beweises (§ 155 FGO i.V.m. § 294 ZPO; BFH-Urteil in BFHE 178, 303, BStBl II 1996, 19; BGH-Urteil vom 30. März 2000 IX ZR 251/99, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2000, 852). Die Glaubhaftmachung, die anders als der Vollbeweis nur eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung ist, kommt nur in den gesetzlich zugelassenen Fällen in Betracht (Zöller/ Greger, a.a.O., § 294 Rz 1; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 96 Rz 42).

17

Nach den Feststellungen des Senats funktionierte der Nachtbriefkasten des BFH im fraglichen Zeitraum einwandfrei; zu Störfällen ist es nicht gekommen, wie auch das erwähnte Protokoll dokumentiert. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die für die Leerung am 9. November 2010 zuständigen Bediensteten versehentlich ein falsches Datum (etwa 10. statt 9. November 2010) gestempelt und zu Protokoll gegeben hätten. Dagegen spricht bereits, dass E.HW B, dessen Unterschrift sich auf dem Eingangsstempel befindet, lt. erwähntem Protokoll am 9. November 2010 an der Leerung des Nachtbriefkastens nicht beteiligt war und deshalb die Unterschrift an diesem Tag weder auf dem Stempel noch im Protokoll leisten konnte. Es kommt hinzu, dass die Revisionsschrift ebenfalls erst am 10. November 2010 von der Gerichtsverwaltung als neues Verfahren "erfasst" worden ist. Regelmäßig wird nämlich die dem Nachtbriefkasten entnommene Post, die keinem Verfahren zugeordnet werden kann, unverzüglich der Erfassungsstelle weitergeleitet.

18

Die nicht völlig auszuschließende Möglichkeit, dass der nach Angaben des S am 8. November 2010 in den Nachtbriefkasten eingeworfene Schriftsatz bei der Entleerung am Morgen des 9. November 2010 versehentlich nicht entnommen worden ist, reicht, wie dargestellt, zur Führung des Gegenbeweises nicht aus.

19

2. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen Versäumung der Revisionsfrist kann nicht gewährt werden.

20

Eine solche Wiedereinsetzung ist auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert ist (§ 56 Abs. 1 FGO). Dabei muss sich der Beteiligte das Verschulden seines Bevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen.

21

Das Vorbringen des Klägers ist nicht geeignet, ein Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Revisionsfrist auszuschließen. Nach der Darstellung des Klägers hat S, einer der beiden Unterzeichner der Revisionsschrift, den Schriftsatz persönlich am Abend des 8. November 2010 in den Nachtbriefkasten des BFH einwerfen wollen. Der Kläger hat nicht behauptet, dass der Einwurf durch ein von S nicht zu vertretendes Ereignis verzögert worden wäre. Wenn gleichwohl aus den genannten Gründen ein verspäteter Einwurf als bewiesen anzusehen ist, kann das nur daran liegen, dass der Schriftsatz zu spät aus dem Machtbereich der Prozessbevollmächtigten herausgelangt ist; das wäre nach dem von dem Kläger geschilderten Geschehensablauf nicht ohne Verschulden des S denkbar (s. BGH-Urteil in HFR 2000, 852).

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

(1) Wird gemäß § 54 Abs. 4 oder 5 eine Leistung in Geld begehrt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann auch zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden. Hierbei kann im Urteil eine einmalige oder laufende vorläufige Leistung angeordnet werden. Die Anordnung der vorläufigen Leistung ist nicht anfechtbar.

(2) Das Gericht kann durch Zwischenurteil über eine entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtsfrage vorab entscheiden, wenn dies sachdienlich ist.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Der Erstattungsanspruch ist nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags, beim Fehlen eines Antrags nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Erstattung bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. Verzinst werden volle Euro-Beträge. Dabei ist der Kalendermonat mit dreißig Tagen zugrunde zu legen.

(2) Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Beanstandet der Versicherungsträger die Rechtswirksamkeit von Beiträgen, beginnt die Verjährung mit dem Ablauf des Kalenderjahrs der Beanstandung.

(3) Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. Die Verjährung wird auch durch Antrag auf Erstattung oder durch Erhebung eines Widerspruchs gehemmt. Die Hemmung endet sechs Monate nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Antrag oder den Widerspruch.

(1) Sind Pflichtbeiträge in der Rentenversicherung für Zeiten nach dem 31. Dezember 1972 trotz Fehlens der Versicherungspflicht nicht spätestens bei der nächsten Prüfung beim Arbeitgeber beanstandet worden, gilt § 45 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend. Beiträge, die nicht mehr beanstandet werden dürfen, gelten als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge. Gleiches gilt für zu Unrecht entrichtete Beiträge nach Ablauf der in § 27 Absatz 2 Satz 1 bestimmten Frist.

(2) Zu Unrecht entrichtete Beiträge sind zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs auf Grund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat; Beiträge, die für Zeiten entrichtet worden sind, die während des Bezugs von Leistungen beitragsfrei sind, sind jedoch zu erstatten.

(3) Der Erstattungsanspruch steht dem zu, der die Beiträge getragen hat. Soweit dem Arbeitgeber Beiträge, die er getragen hat, von einem Dritten ersetzt worden sind, entfällt sein Erstattungsanspruch.

(4) In den Fällen, in denen eine Mehrfachbeschäftigung vorliegt und nicht auszuschließen ist, dass die Voraussetzungen des § 22 Absatz 2 vorliegen, hat die Einzugsstelle nach Eingang der Entgeltmeldungen von Amts wegen die Ermittlung einzuleiten, ob Beiträge zu Unrecht entrichtet wurden. Die Einzugsstelle kann weitere Angaben zur Ermittlung der zugrunde zu legenden Entgelte von den Meldepflichtigen anfordern. Die elektronische Anforderung hat durch gesicherte und verschlüsselte Datenübertragung zu erfolgen. Dies gilt auch für die Rückübermittlung der ermittelten Gesamtentgelte an die Meldepflichtigen. Die Einzugsstelle hat das Verfahren innerhalb von zwei Monaten nach Vorliegen aller insoweit erforderlichen Meldungen abzuschließen. Das Verfahren gilt für Abrechnungszeiträume ab dem 1. Januar 2015. Das Nähere zum Verfahren, zu den zu übermittelnden Daten sowie den Datensätzen regeln die Gemeinsamen Grundsätze nach § 28b Absatz 1.

(1) Versicherungspflichtig sind

1.
Landwirte,
2.
mitarbeitende Familienangehörige.

(2) Landwirt ist, wer als Unternehmer ein auf Bodenbewirtschaftung beruhendes Unternehmen der Landwirtschaft betreibt, das die Mindestgröße (Absatz 5) erreicht. Unternehmer ist, wer seine berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Beschränkt haftende Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft oder Mitglieder einer juristischen Person gelten als Landwirt, wenn sie hauptberuflich im Unternehmen tätig und wegen dieser Tätigkeit nicht kraft Gesetzes in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind.

(3) Der Ehegatte eines Landwirts nach Absatz 2 gilt als Landwirt, wenn beide Ehegatten nicht dauernd getrennt leben und der Ehegatte nicht voll erwerbsgemindert nach § 43 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ist; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Dies gilt nur für den Anwendungsbereich dieses Gesetzes, nicht aber für den Anwendungsbereich anderer Gesetze, insbesondere nicht den des Fünften Buches Sozialgesetzbuch. Die Ehegatten sind verpflichtet, innerhalb von drei Monaten nach Übernahme des Unternehmens der Landwirtschaft oder, sofern die Eheschließung nach der Übernahme des Unternehmens der Landwirtschaft erfolgt, innerhalb von drei Monaten nach der Eheschließung gegenüber der landwirtschaftlichen Alterskasse zu erklären, welcher Ehegatte das Unternehmen als Landwirt nach Absatz 2 betreibt. Sie können innerhalb dieser Frist auch erklären, daß sie beide das Unternehmen gemeinschaftlich betreiben. Wird eine Erklärung nicht fristgerecht abgegeben, bestimmt die landwirtschaftliche Alterskasse, welcher Ehegatte Landwirt nach Absatz 2 ist. Tritt eine wesentliche Änderung der Verhältnisse ein, kann innerhalb von drei Monaten gegenüber der landwirtschaftlichen Alterskasse erneut erklärt werden, welcher der Ehegatten das Unternehmen betreibt oder daß beide das Unternehmen gemeinschaftlich betreiben. Betreibt jeder der Ehegatten ein Unternehmen der Landwirtschaft, sind beide Landwirte nach Absatz 2. Die Sätze 1 bis 7 gelten entsprechend für Ehegatten von Unternehmern, die ein Unternehmen der Imkerei, der Binnenfischerei oder der Wanderschäferei betreiben.

(4) Unternehmen der Landwirtschaft sind Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues, der Fischzucht und der Teichwirtschaft; die hierfür genutzten Flächen gelten als landwirtschaftlich genutzte Flächen. Zur Bodenbewirtschaftung gehören diejenigen wirtschaftlichen Tätigkeiten von nicht ganz kurzer Dauer, die der Unternehmer zum Zwecke einer überwiegend planmäßigen Aufzucht von Bodengewächsen ausübt, sowie die mit der Bodennutzung verbundene Tierhaltung, sofern diese nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes zur landwirtschaftlichen Nutzung rechnet. Der Bodenbewirtschaftung wird auch eine den Zielen des Natur- und Umweltschutzes dienende Pflege stillgelegter Flächen zugerechnet, wenn

1.
eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung hierzu besteht,
2.
die Tätigkeit nicht im Rahmen eines Unternehmens des Garten- und Landschaftsbaus ausgeübt wird und
3.
das Unternehmen ohne die stillgelegten Flächen mindestens die Hälfte der Mindestgröße (Absatz 5) erreicht.
Als Unternehmen der Landwirtschaft gelten auch die Imkerei, die Binnenfischerei und die Wanderschäferei. Betreibt ein Versicherter mehrere Unternehmen, gelten sie als ein Unternehmen.

(5) Ein Unternehmen der Landwirtschaft erreicht dann die Mindestgröße, wenn sein Wirtschaftswert einen von der landwirtschaftlichen Alterskasse unter Berücksichtigung der örtlichen oder regionalen Gegebenheiten festgesetzten Grenzwert erreicht; der Ertragswert für Nebenbetriebe bleibt hierbei unberücksichtigt. Ein Unternehmen der Imkerei muß grundsätzlich mindestens 100 Bienenvölker umfassen. Ein Unternehmen der Binnenfischerei muß grundsätzlich mindestens 120 Arbeitstage jährlich erfordern. Ein Unternehmen der Wanderschäferei muß grundsätzlich eine Herde von mindestens 240 Großtieren umfassen.

(6) Der Wirtschaftswert ist der durch die Finanzbehörden nach dem Bewertungsgesetz im Einheitswertbescheid für das land- und forstwirtschaftliche Vermögen festgesetzte Wirtschaftswert. Pachtflächen sowie verpachtete oder nachhaltig nicht landwirtschaftlich genutzte Flächen sind mit dem durchschnittlichen Hektarwert der entsprechenden Nutzung der Eigentumsfläche zu bewerten und bei der Festlegung des Wirtschaftswertes des Unternehmens entsprechend zu berücksichtigen. Dies gilt auch für land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen, die nach § 69 des Bewertungsgesetzes dem Grundvermögen zugerechnet werden. Ist der gesamte Betrieb gepachtet, ist der für den Verpächter maßgebende Wirtschaftswert anzusetzen. Ist der Wirtschaftswert des Unternehmens ganz oder teilweise nicht zu ermitteln, ist er zu schätzen. Weichen bei gartenbaulicher Nutzung die dem Einheitswertbescheid zugrunde liegenden betrieblichen Verhältnisse von den tatsächlichen ab, sind die Flächen nach ihrer tatsächlichen Nutzung zu bewerten.

(7) Landwirt nach Absatz 2 ist nicht, wer ein Unternehmen der Landwirtschaft ohne die Absicht der nachhaltigen Gewinnerzielung betreibt.

(8) Mitarbeitende Familienangehörige sind

1.
Verwandte bis zum dritten Grade,
2.
Verschwägerte bis zum zweiten Grade und
3.
Pflegekinder
eines Landwirtes oder seines Ehegatten, die in seinem Unternehmen hauptberuflich tätig sind. Pflegekinder sind Personen, die mit dem Landwirt oder seinem Ehegatten durch ein auf längere Dauer angelegtes Pflegeverhältnis mit häuslicher Gemeinschaft wie Kinder mit Eltern verbunden sind.

(1) Landwirte und mitarbeitende Familienangehörige werden auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, solange sie

1.
regelmäßig Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, vergleichbares Einkommen oder Erwerbsersatzeinkommen (Absatz 4) beziehen, das ohne Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft jährlich das Zwölffache der Geringfügigkeitsgrenze nach § 8 Absatz 1a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch überschreitet,
1a.
Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch beziehen, wenn sie im letzten Kalendermonat vor dem Bezug von Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch nicht versichert waren,
2.
wegen Erziehung eines Kindes in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig sind oder nur deshalb nicht versicherungspflichtig sind, weil sie nach § 56 Abs. 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch von der Anrechnung von Kindererziehungszeiten ausgeschlossen sind,
3.
wegen der Pflege eines Pflegebedürftigen in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig sind oder nur deshalb nicht versicherungspflichtig sind, weil sie von der Versicherungspflicht befreit sind, oder
4.
wegen der Ableistung von Wehr- und Zivildienst in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig sind oder nur deshalb nicht versicherungspflichtig sind, weil sie versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit sind.

(2) Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an. Der Antrag auf Befreiung kann im Falle der Erfüllung einer neuen Befreiungsvoraussetzung nach einer anderen Nummer des Absatzes 1 mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden; der Widerruf ist nur innerhalb von drei Monaten nach Erfüllung der neuen Befreiungsvoraussetzung möglich. Die Befreiung endet mit Ablauf des Kalendermonats, in dem der Widerruf eingegangen ist. § 34 Absatz 2 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(2a) Es wird unwiderlegbar vermutet, dass der Antrag auf Befreiung aufrechterhalten wird, solange eine der Befreiungsvoraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt und der Antrag auf Befreiung nicht widerrufen worden ist (Absatz 2 Satz 2 und 3). Die Befreiungsvoraussetzungen gelten auch dann als ununterbrochen erfüllt im Sinne von Satz 1, wenn für weniger als drei Kalendermonate das Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen des Absatzes 1 unterbrochen worden ist.

(2b) Tritt innerhalb von weniger als sechs Kalendermonaten nach dem Ende der Versicherungspflicht nach § 1 Absatz 1 Nummer 2 erneut eine entsprechende Versicherungspflicht ein und galt für die Zeit der vorherigen Versicherungspflicht eine Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 3 Absatz 1 Nummer 1, wird widerlegbar vermutet, dass der frühere Befreiungsantrag auch für die erneute versicherungspflichtige Tätigkeit nach § 1 Absatz 1 Nummer 2 gilt.

(3) Von der Versicherungspflicht wird auf Antrag auch befreit, wer die Wartezeit von 15 Jahren bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nicht mehr erfüllen kann. Absatz 2 gilt.

(4) Erwerbsersatzeinkommen sind Leistungen, die aufgrund oder in entsprechender Anwendung öffentlich-rechtlicher Vorschriften erbracht werden, um Erwerbseinkommen zu ersetzen. Hierzu zählen insbesondere

1.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, der gesetzlichen Unfallversicherung, einer berufsständischen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung oder Versorgungsbezüge nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen und vergleichbare Bezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis oder aus der Versorgung der Abgeordneten,
2.
Krankengeld, Versorgungskrankengeld, Verletztengeld, soweit es nicht nach § 55a Absatz 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch gewährt wird, oder Übergangsgeld, Arbeitslosengeld oder Unterhaltsgeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch und vergleichbare Leistungen von einem Sozialleistungsträger.
Erwerbsersatzeinkommen sind auch den in Satz 2 genannten Leistungen vergleichbare Leistungen, die von einer Stelle außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes erbracht werden, sowie die Renten einer Einrichtung der betrieblichen oder überbetrieblichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung. Kinderzuschuß, Kinderzulage und vergleichbare kindbezogene Leistungen bleiben außer Betracht. Wird eine Kapitalleistung oder anstelle einer wiederkehrenden Leistung eine Abfindung gezahlt, ist der Betrag als Einkommen zu berücksichtigen, der bei einer Verrentung der Kapitalleistung oder als Rente ohne die Abfindung zu zahlen wäre. Bei der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bleibt ein der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz entsprechender Betrag unberücksichtigt; bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vom Hundert bleiben zwei Drittel der Mindestgrundrente, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 vom Hundert bleibt ein Drittel der Mindestgrundrente unberücksichtigt.

(1) Der Zuschuß zum Beitrag wird monatlich geleistet und zum selben Zeitpunkt wie der Beitrag fällig.

(2) Der Zuschuß zum Beitrag wird von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Voraussetzungen erfüllt sind, wenn der Antrag bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats gestellt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird der Zuschuß von dem Kalendermonat an geleistet, in dem er beantragt wird. Bei rückwirkender Feststellung der Versicherungspflicht gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, daß die Frist mit Bekanntgabe des Bescheides über die Feststellung der Versicherungspflicht beginnt. Wird die Versicherungspflicht als Folge der Beendigung einer Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 3 Abs. 1 oder § 85 Abs. 3b rückwirkend festgestellt, gilt Satz 3 nur, wenn der Antrag aus Gründen, die der Berechtigte nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb der in Satz 1 genannten Frist gestellt worden ist.

(3) Sind der landwirtschaftlichen Alterskasse die nach § 32 Abs. 3 maßgebenden Einkommen vom Leistungsberechtigten nicht nachgewiesen worden, kann sie nur Vorschüsse zahlen. Ist das Einkommen aufgrund der Mitwirkung des Leistungsberechtigten oder seiner mangelnden Mitwirkung unrichtig festgestellt worden, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

(4) Ändern sich die für Grund oder Höhe des Zuschusses zum Beitrag maßgebenden Verhältnisse, ist der Verwaltungsakt vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben. In den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 2 ist der Verwaltungsakt von dem Zeitpunkt an aufzuheben, von dem an er auf dem geänderten Einkommensteuerbescheid beruht hat. Einer Anhörung nach § 24 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch bedarf es nicht, wenn sich das nach § 32 Absatz 3 Satz 3 maßgebende Einkommen geändert hat und diese Änderung berücksichtigt werden soll.

(5) (weggefallen)

(1) Sind Pflichtbeiträge in der Rentenversicherung für Zeiten nach dem 31. Dezember 1972 trotz Fehlens der Versicherungspflicht nicht spätestens bei der nächsten Prüfung beim Arbeitgeber beanstandet worden, gilt § 45 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend. Beiträge, die nicht mehr beanstandet werden dürfen, gelten als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge. Gleiches gilt für zu Unrecht entrichtete Beiträge nach Ablauf der in § 27 Absatz 2 Satz 1 bestimmten Frist.

(2) Zu Unrecht entrichtete Beiträge sind zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs auf Grund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat; Beiträge, die für Zeiten entrichtet worden sind, die während des Bezugs von Leistungen beitragsfrei sind, sind jedoch zu erstatten.

(3) Der Erstattungsanspruch steht dem zu, der die Beiträge getragen hat. Soweit dem Arbeitgeber Beiträge, die er getragen hat, von einem Dritten ersetzt worden sind, entfällt sein Erstattungsanspruch.

(4) In den Fällen, in denen eine Mehrfachbeschäftigung vorliegt und nicht auszuschließen ist, dass die Voraussetzungen des § 22 Absatz 2 vorliegen, hat die Einzugsstelle nach Eingang der Entgeltmeldungen von Amts wegen die Ermittlung einzuleiten, ob Beiträge zu Unrecht entrichtet wurden. Die Einzugsstelle kann weitere Angaben zur Ermittlung der zugrunde zu legenden Entgelte von den Meldepflichtigen anfordern. Die elektronische Anforderung hat durch gesicherte und verschlüsselte Datenübertragung zu erfolgen. Dies gilt auch für die Rückübermittlung der ermittelten Gesamtentgelte an die Meldepflichtigen. Die Einzugsstelle hat das Verfahren innerhalb von zwei Monaten nach Vorliegen aller insoweit erforderlichen Meldungen abzuschließen. Das Verfahren gilt für Abrechnungszeiträume ab dem 1. Januar 2015. Das Nähere zum Verfahren, zu den zu übermittelnden Daten sowie den Datensätzen regeln die Gemeinsamen Grundsätze nach § 28b Absatz 1.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Alterskasse für den Gartenbau dem Kläger für die Zeit vom 1.7.1998 bis 31.12.1999 zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten hat.

2

Nachdem die Beklagte aufgrund eines vom Kläger ausgefüllten Fragebogens dessen Versicherungspflicht zur Alterskasse als gärtnerischer Unternehmer festgestellt und den monatlichen Beitrag festgesetzt hatte (Bescheid vom 16.7.1998), entrichtete dieser regelmäßig Beiträge, ua für den hier streitigen Zeitraum vom 1.7.1998 bis 31.12.1999.

3

Mit Schreiben vom 29.1.2004 bat der Kläger um Überprüfung seiner Beitragspflicht; er betreibe ein reines Einzelhandelsunternehmen. Nach Durchführung einer Betriebsbesichtigung nahm die Beklagte den Bescheid über die Veranlagung zur Versicherungspflicht ab 1.7.1998 zurück, weil der Kläger von vorneherein nicht Gärtner gewesen sei. Zugleich erklärte sie: Die für die Zeit vom 1.1.2000 bis 30.4.2004 gezahlten Beiträge seien zu Unrecht entrichtet und würden gemäß § 26 Abs 2 SGB IV erstattet; die Erstattung der vom 1.7.1998 bis 31.12.1999 zu Unrecht entrichteten Beiträge sei nach § 27 Abs 2 SGB IV wegen Verjährung ausgeschlossen(Bescheid vom 29.4.2004). Den Widerspruch, mit dem der Kläger die Erstattung der für die Zeit vom 1.7.1998 bis 31.12.1999 entrichteten Beiträge begehrte, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 8.9.2004).

4

Das vom Kläger angerufene Sozialgericht München (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 6.7.2005). Auf die Berufung des Klägers hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) die Beklagte unter Abänderung der entgegenstehenden Entscheidungen verurteilt, dem Kläger die für den Zeitraum vom 1.7.1998 bis 31.12.1999 entrichteten Beiträge entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu erstatten (Urteil vom 27.1.2009). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Entgegen der Ansicht der Beklagten sei der Anspruch des Klägers auf Erstattung der streitigen Beiträge noch nicht verjährt. Zwar verjähre der Erstattungsanspruch gemäß § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV grundsätzlich in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden seien. Beanstande der Versicherungsträger jedoch die Rechtswirksamkeit von Beiträgen, beginne die Verjährung nach § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV ausnahmsweise erst mit Ablauf des Kalenderjahrs der Beanstandung. Diese Sonderregelung sei auch im Bereich der Alterssicherung der Landwirte (AdL) anwendbar. In dem Bescheid vom 29.4.2004 sei sinngemäß eine Beanstandung iS des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV zu sehen. Die Verjährungsfrist beginne damit erst mit Ablauf des Kalenderjahrs 2004. Da durch Erhebung von Widerspruch und Klage der Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist gehemmt werde, sei sie noch nicht abgelaufen.

5

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV. Diese Vorschrift sei in der AdL weder unmittelbar noch mittelbar anwendbar. Bereits ihrem Wortlaut nach sei die Regelung auf die gesetzliche Rentenversicherung zugeschnitten. Die AdL kenne das Rechtsinstitut der Beanstandung nicht. § 202 SGB VI finde im Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) keine Entsprechung. Auch § 26 Abs 1 SGB IV rechtfertige die Annahme, dass sich die Beanstandung auf Pflichtbeiträge aus einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis beziehe. Zudem fehle in der AdL eine Ermächtigung, die Beanstandung zu erklären. Außerdem beinhalte ihr hier angefochtener Bescheid keine Beanstandung. Die Nichtanwendbarkeit des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV führe auch nicht zu einem unbilligen Ergebnis. Die Frist des § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV sei keine Ausschlussfrist. Ihr Ablauf berechtige den Versicherungsträger lediglich, die Erstattung zu verweigern. Die Ausübung dieses Rechts stehe im Ermessen des Versicherungsträgers. Im Rahmen der Ermessensausübung sei auch zu berücksichtigen, dass der Berechtigte vom Vorliegen der Anspruchsvoraussetzung keine Kenntnis gehabt habe. Im Übrigen sei die Ausübung der Verjährungseinrede unzulässig, wenn sie gegen Treu und Glauben verstoße.

6

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Januar 2009 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. Juli 2005 zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Wie in der Rentenversicherung erwerbe der Landwirt in der AdL Anwartschaften. Ein rechtfertigender Grund für eine Ungleichbehandlung von nur scheinbar pflichtversicherten abhängig Beschäftigten und nur scheinbar versicherten selbständigen Landwirten sei nicht ersichtlich. Aufgrund der identischen Verhältnisse im Bereich der AdL und der Rentenversicherung sei § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV analog in der AdL anzuwenden. Das LSG habe auch überzeugend dargelegt, dass im Unterschied zu dem vom Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 26.3.1987 - 11a RLw 3/86 - entschiedenen Fall die Beklagte im Bescheid vom 29.4.2004 die Beitragsentrichtung zumindest sinngemäß beanstandet habe. Zudem würde es gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn sich die Beklagte auf die Verjährung der Erstattungsansprüche der für die Jahre 1998/1999 entrichteten Beiträge berufen könnte, obwohl sie selbst durch nicht rechtzeitige und umfassende Aufklärung für die Falschversicherung verantwortlich sei.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, dass die Beklagte eine Erstattung der streitigen Beiträge zu Unrecht verweigert hat.

10

1. Die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge richtet sich nach den §§ 26 ff SGB IV. Diese Vorschriften gelten gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 SGB IV auch für die AdL. Nach § 1 Abs 3 SGB IV bleiben allerdings Regelungen in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs, die in den Absätzen 1 und 2 genannt sind (also auch in der AdL), unberührt, soweit sie von den Vorschriften dieses Buches abweichen. Insoweit ist hier § 77 ALG einschlägig, der vorsieht, dass bei der Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge nach § 26 SGB IV § 76 Abs 1 Satz 2 und Abs 4 Satz 3 ALG entsprechend gelten. Ebenso gilt danach § 76 Abs 3 ALG entsprechend, soweit zu Lasten der Anrechte aus den zu Unrecht entrichteten Beiträgen ein Versorgungsausgleich durchgeführt worden ist. Diese Sonderregelungen treffen die Höhe des Erstattungsanspruchs, nicht jedoch dessen hier streitige Verjährung.

11

2. Gemäß § 26 Abs 2 SGB IV sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs aufgrund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat; Beiträge, die für Zeiten entrichtet worden sind, die während des Bezugs von Leistungen beitragsfrei sind, sind jedoch zu erstatten. Danach steht dem Kläger - was auch die Beklagte nicht bestreitet - ein Anspruch auf Erstattung auch der für die Zeit vom 1.7.1998 bis 31.12.1999 entrichteten Beiträge dem Grunde nach zu. Zwar war die Entrichtung dieser Beiträge solange als rechtmäßig anzusehen, als der Veranlagungsbescheid der Beklagten vom 16.7.1998 Bestand hatte (vgl dazu BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 2 RdNr 13). Diesen Verwaltungsakt hat die Beklagte jedoch durch ihren insoweit nicht angefochtenen Bescheid vom 29.4.2004 bestandskräftig zurückgenommen. Seitdem ist davon auszugehen, dass die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind. Schließlich stehen dem Erstattungsanspruch nach § 26 Abs 2 SGB IV auch die dort geregelten Ausschlussgründe ("Verfallsklausel") nicht entgegen. Insbesondere ist eine anspruchsschädliche Leistungserbringung nicht ersichtlich.

12

3. Wie das LSG zu Recht erkannt hat, kann sich die Beklagte gegen den Erstattungsanspruch des Klägers auch insoweit nicht auf Verjährung berufen, als es die für die Zeit vom 1.7.1998 bis 31.12.1999 gezahlten Beiträge betrifft. Dies ergibt sich aus § 27 Abs 2 SGB IV, der bestimmt:

Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Beanstandet der Versicherungsträger die Rechtswirksamkeit von Beiträgen, beginnt die Verjährung mit dem Ablauf des Kalenderjahrs der Beanstandung.

13

a) Bei Anwendung des Wortlauts des § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV war der Erstattungsanspruch des Klägers betreffend die in den Jahren 1998 und 1999 entrichteten Beiträge im Jahre 2004 bereits verjährt. Denn nach Ablauf des Kalenderjahrs der Entrichtung waren jeweils schon vier Jahre vergangen. Der erkennende Senat lässt offen, ob § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV - wovon der 12. Senat des BSG ausgeht (vgl BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 2) - einschränkend dahin auszulegen ist, dass der Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge nicht verjährt, solange dem Berechtigten gegenüber durch Verwaltungsakt verbindlich das Bestehen von Versicherungspflicht festgestellt ist.

14

Diese Auffassung dürfte nicht nur einer Entscheidung des 2. Senats des BSG widersprechen (vgl BSG SozR 1300 § 44 Nr 31 S 85 ff). Sie erscheint auch nicht als zwingend. Zwar leuchtet es ein, dass Gegenstand der Verjährung nur ein entstandener Anspruch sein kann (vgl BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 2 RdNr 13). Daraus folgt jedoch nicht, dass die Verjährungsfrist denknotwendig nicht vor dem Entstehen des Anspruchs beginnen kann. Vielmehr kann der Gesetzgeber, wie zB §§ 199, 200 BGB in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung zeigen, insoweit auch auf einen früheren Zeitpunkt abstellen. Es spricht daher viel dafür, dass § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV den Beginn der vierjährigen Verjährungsfrist verbindlich auf den Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung gelegt hat. Das kann dann gegebenenfalls dazu führen, dass einem Beitragserstattungsanspruch, der erst durch die Aufhebung eines die Beitrags- bzw Versicherungspflicht feststellenden Verwaltungsakts entsteht, von vornherein die Einrede der Verjährung entgegengehalten werden kann, wenn die Beitragsentrichtung entsprechend lange zurückliegt.

15

b) In Übereinstimmung mit dem LSG hält der erkennende Senat hier § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV für anwendbar. Hervorzuheben ist zunächst, dass sich auch die Geltung dieser Vorschrift für die AdL aus § 1 Abs 1 SGB IV ergibt, da das ALG insoweit keine Sonderregelung iS des § 1 Abs 3 ALG enthält. Eine ausdrückliche Bestimmung in diesem Sinne vermag auch die Beklagte nicht anzuführen. Soweit sie der Ansicht ist, die in § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV vorausgesetzte Beanstandung von Beiträgen sei der AdL fremd, folgt ihr der erkennende Senat nicht.

16

Schon die Rechtsentwicklung in der früheren Altershilfe für Landwirte zeigt, dass der Gesetzgeber seit jeher von der Möglichkeit einer Beitragsbeanstandung durch die Landwirtschaftlichen Alterskassen (LAK) ausgegangen ist. So wird bereits in § 7 Abs 3 Satz 3 Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) vom 27.7.1957 (BGBl I 1063) auf § 1424 RVO verwiesen, der nach seinem Abs 2 die damals zweijährige Frist für die Geltendmachung von Beitragsrückforderungen mit dem Schluss des Kalenderjahrs einer Beitragsbeanstandung beginnen lässt(vgl dazu auch Noell/Rüller, Die Altershilfe für Landwirte, 1957, S 33 f). Eine entsprechende Bezugnahme enthält § 12 Abs 5 Satz 4 GAL idF vom 14.9.1965 (BGBl I 1449; vgl Noell/Rüller, Die Altershilfe für Landwirte, 1966, S 131; s allgemein auch BSG SozR Nr 70 zu § 77 SGG). Nachdem § 1424 RVO - im Zusammenhang mit der Einführung der §§ 26 ff SGB IV - bereits durch Art II § 1 Nr 1 Buchst b Sozialgesetzbuch (SGB) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - vom 23.12.1976 (BGBl I 3845) gestrichen worden war, erfolgte eine entsprechende Streichung in § 12 Abs 5 Satz 3 GAL durch Art II § 10 Nr 4 Sozialgesetzbuch (SGB) - Verwaltungsverfahren - vom 18.8.1980 (BGBl I 1469). Dementsprechend wird in der Literatur davon ausgegangen, dass sich die Verjährung des Beitragserstattungsanspruchs in der Altershilfe für Landwirte ab 1.7.1977 nach § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV richtet, wenn die LAK die Rechtswirksamkeit der Beiträge beanstandet hat(vgl Noell, Die Altershilfe für Landwirte, 1983, S 412).

17

Nach Auffassung des erkennenden Senats gibt es keine durchgreifenden systematischen Gründe gegen eine Geltung des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV für die AdL. Zwar mag es sich bei der Beitragsbeanstandung ursprünglich um ein Rechtsinstitut der allgemeinen gesetzlichen Rentenversicherung (vgl jetzt das SGB VI) handeln. Jedoch enthält das ab 1995 geltende ALG als Teil der besonderen Rentenversicherung im Grundsatz weitgehend übereinstimmende Regelungen betreffend Beitragsentrichtung (vgl § 71 ALG) und Berücksichtigung von Beitragszeiten (vgl § 17 ALG). Die sicher auch bestehenden Unterschiede zwischen beiden Bereichen (s dazu allgemein BSG, Urteil vom 25.2.2010 - B 10 LW 3/09 R - RdNr 70, zur Veröffentlichung in BSG/SozR vorgesehen) haben dem Gesetzgeber jedenfalls keine Veranlassung gegeben, entsprechend § 1 Abs 3 SGB IV im ALG eine Sonderregelung zu § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV vorzusehen.

18

Die §§ 26, 27 SGB IV setzen ein Beanstandungsrecht des Versicherungsträgers voraus, ohne dass sich im SGB VI oder im ALG eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage zur Beanstandung von Beiträgen findet. § 202 SGB VI enthält auch nur Regelungen für den Fall einer Beanstandung von Beiträgen. Insbesondere wird darin angeordnet, dass Beiträge, die in der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht gezahlt und deshalb beanstandet worden sind, grundsätzlich als freiwillige Beiträge gelten. Diese Vorschrift findet im ALG sicher vor allem deshalb keine Entsprechung, weil es dort nur in engen Grenzen die Möglichkeit einer freiwilligen Beitragsentrichtung gibt (vgl §§ 4, 5 ALG). Zwar enthält § 26 Abs 1 Satz 1 SGB IV eine spezielle Regelung betreffend die Beanstandung von Pflichtbeiträgen abhängig Beschäftigter. Daraus ist jedoch nicht zu schließen, dass die Beiträge von Selbstständigen nicht beanstandet werden können (vgl dazu BSGE 24, 13 = SozR Nr 2 zu § 1421 RVO; BSGE 49, 85 = SozR 2200 § 1422 Nr 1).

19

Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Rechtsinstitut der Beanstandung allein auf die Fälle einer Entrichtung von Pflichtbeiträgen ohne vorherige bescheidmäßige Feststellung der Versicherungspflicht anwendbar ist. Vielmehr hat das BSG bereits entschieden, dass der Träger der Handwerkerversicherung Beiträge ab einem bestimmten Zeitpunkt als unwirksam beanstanden kann, wenn er zunächst die Versicherungs- und Beitragspflicht eines selbstständigen Handwerkers festgestellt hat, die Voraussetzungen dafür aber später entfallen sind (vgl BSGE 49, 85 = SozR 2200 § 1422 Nr 1).

20

Schließlich sprechen auch Sinn und Zweck der Beanstandung für eine Anwendung des Rechtsinstituts im Bereich der AdL. Die Beanstandung dient der verbindlichen Feststellung der Unwirksamkeit von Beiträgen, auf deren Berücksichtigung beim Erwerb von Rentenanwartschaften der Versicherte sonst vertrauen würde (vgl dazu allgemein BSGE 58, 154, 156 = SozR 2100 § 27 Nr 4 S 12). Diesem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes dient gerade auch § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV. Wird nämlich der auf der erfolgten Beitragsentrichtung beruhende Vorsorgeplan des Versicherten durch die Beanstandung enttäuscht, so soll die Erstattung dieser Beiträge nicht daran scheitern, dass die nach der Beitragsentrichtung beginnende Verjährungsfrist (§ 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV) im Zeitpunkt der Beanstandung schon abgelaufen ist (vgl BSGE 68, 269, 271 = SozR 3-2400 § 27 Nr 1 S 4). Es ist nicht ersichtlich, warum dieser Sinn und Zweck der Beanstandung und der darauf bezogenen Verjährungsregelung des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV nicht auch im Bereich der AdL zum Tragen kommen soll.

21

c) Die Verjährung des Erstattungsanspruchs des Klägers begann hier erst mit Ablauf des Jahres 2004, weil die Beklagte die Rechtswirksamkeit der für die Zeit vom 1.7.1998 bis 31.12.1999 gezahlten Beiträge mit Bescheid vom 29.4.2004 beanstandet hat.

22

Bei der Beanstandung handelt es sich zwar um einen Verwaltungsakt (vgl dazu BSG SozR 1300 § 31 Nr 3; BSG, Urteil vom 22.3.1984 - 11 RA 66/83 - juris RdNr 11); dieser muss aber nicht selbstständig oder gesondert ergehen. Vielmehr kommt eine Beanstandung regelmäßig auch in einem Bescheid zum Ausdruck, der einen die Versicherungs- oder Beitragspflicht feststellenden Verwaltungsakt rückwirkend aufhebt und über die Erstattung der danach zu Unrecht entrichteten Beiträge entscheidet (vgl dazu BSGE 49, 85, 89 = SozR 2200 § 1422 Nr 1 S 2; BSG, Beschluss vom 27.9.1990 - 4 BA 208/89 - juris RdNr 7). Soweit sich aus den Entscheidungen des 11a. Senats vom 26.3. und 16.12.1987 (BSGE 61, 226, 228 = SozR 1200 § 39 Nr 5 S 4; BSG, Urteil vom 26.3.1987 - 11a RLw 2/86 - juris RdNr 13; BSG, Urteil vom 16.12.1987 - 11a RLw 2/87 - juris RdNr 12) zur Altershilfe für Landwirte etwas anderes ergibt, hält der erkennende Senat an dieser Rechtsprechung für die AdL nicht fest.

23

Da es das Rechtsinstitut der Beanstandung in der AdL gibt, ist die zuständige LAK auch verpflichtet, es anzuwenden, um im Interesse des Versicherten Klarheit zu schaffen und die gesetzlich vorgesehenen Wirkungen der Beanstandung zum Tragen kommen zu lassen (vgl dazu BSGE 58, 154, 156 = SozR 2100 § 27 Nr 4 S 12). Daraus ergibt sich für das Gericht die Befugnis, einen Verwaltungsakt, der - wie der Bescheid vom 29.4.2004 - im Verhältnis zu dem Versicherten inhaltlich die Feststellung der Unwirksamkeit von Beiträgen verbindlich regelt, dahin auszulegen, dass er eine Beanstandung iS des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV enthält.

24

d) Die am 1.1.2004 begonnene Verjährung ist noch nicht abgelaufen, weil sie durch die vom Kläger gegen den Bescheid vom 29.4.2004 eingelegten Rechtsbehelfe gehemmt worden ist (vgl § 27 Abs 3 SGB IV iVm § 204 BGB).

25

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. September 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung unter dem Gesichtspunkt der Verjährung.

2

Der 1962 geborene Kläger war ua vom 1.1. bis zum 30.11.2000 als Betriebsleiter für das Transportunternehmen seiner damaligen Ehefrau tätig, wofür - wegen angenommener Beschäftigung - ua Beiträge nach dem Recht der Arbeitsförderung entrichtet wurden. Ende September 2005 beantragte er bei der für ihn zuständigen BKK als Einzugsstelle die Klärung seines sozialversicherungsrechtlichen Status und machte geltend, insoweit selbstständig gewesen zu sein. Die mit Bescheid vom 5.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.5.2006 getroffene Feststellung der BKK, dass es sich bei der Erwerbstätigkeit um eine versicherungspflichtige Beschäftigung gehandelt habe, griff der Kläger vor dem SG an. Das SG hob mit - rechtskräftig gewordenem - Urteil vom 30.7.2009 die genannten Bescheide auf und stellte fest, dass der Kläger im genannten Zeitraum nicht in einem die Versicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis gestanden habe.

3

Am 17.12.2009 beantragte der Kläger bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit die Erstattung der von ihm getragenen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Das lehnte diese ab, soweit es für den Zeitraum 1.1. bis zum 30.11.2000 geleistete Beiträge betraf, da der Erstattungsanspruch insoweit bereits verjährt sei (Bescheid vom 30.3.2010; Widerspruchsbescheid vom 18.6.2010).

4

Das SG hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 14.5.2013). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Zwar seien die Voraussetzungen für eine Beitragserstattung nach § 26 Abs 2 SGB IV wegen der - wie aufgrund des Urteils des SG vom 30.7.2009 feststehe - zu Unrecht erfolgten Beitragsabführung erfüllt, da im streitigen Zeitraum keine Versicherungspflicht des Klägers bestanden habe. Der Erstattungsanspruch nach § 27 Abs 2 S 1 SGB IV sei jedoch verjährt. Der Zeitpunkt seines Entstehens falle nämlich mit dem Zeitpunkt zusammen, in dem die Beiträge für die Tätigkeit rechtsgrundlos entrichtet worden seien. Da die maßgebende Vier-Jahres-Frist nach Ablauf des Jahres 2000 (= Zeitpunkt der Anspruchsentstehung) zu laufen begonnen habe, sei bezüglich des streitigen Erstattungsanspruchs mit Ablauf des Jahres 2004 Verjährung eingetreten. Daran ändere der Bescheid vom 5.12.2005 nichts, weil er durch das SG-Urteil vom 30.7.2009 mit Rückwirkung aufgehoben worden sei. Der Sachverhalt unterscheide sich von einem vom BSG entschiedenen Fall (SozR 4-2400 § 27 Nr 2 ), da der Erstattungsanspruch dort noch nicht verjährt gewesen sei, als ein - später aufgehobener - Bescheid rückwirkend fehlerhaft die Beitragszahlungspflicht festgestellt habe (Urteil vom 26.9.2013).

5

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 27 Abs 2 S 1, Abs 3 S 1 SGB IV. Erstmals mit Aufhebung des Bescheides vom 5.12.2005, wonach die Beitragserhebung im Jahr 2000 vermeintlich rechtmäßig gewesen sei, durch das SG am 30.7.2009 habe überhaupt ein Beitragserstattungsanspruch entstehen können, weil erst damit die zu Unrecht erfolgte Beitragsentrichtung festgestanden habe. Allein dieser Zeitpunkt könne daher für den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist entscheidend sein. Eine andere Betrachtung der zu Unrecht erfolgten Entrichtung sei dagegen verfehlt, schon weil Widerspruch und Klage gegen den Bescheid vom 5.12.2005 keine aufschiebende Wirkung gehabt hätten und dem Bescheid - trotz fehlender Bestandskraft - nach § 28h Abs 2 S 1 SGB IV Tatbestands- und Rechtswirkung für die Pflicht zur Beitragsentrichtung zugekommen sei. Spätestens der Widerspruch gegen den Bescheid müsse als Beitragserstattungsantrag gewertet werden. Der Lauf der Verjährungsfrist sei auf diese Weise gehemmt gewesen und habe nicht beginnen können. Überdies habe die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt.

6

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. September 2013 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. Mai 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm 1104,34 Euro zu zahlen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

8

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet.

10

Im Ergebnis zutreffend hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Der Kläger kann von der beklagten Bundesagentur für Arbeit die Erstattung der von ihm für die Zeit vom 1.1. bis 30.11.2000 getragenen Arbeitnehmeranteile der nach dem Recht der Arbeitsförderung entrichteten Beiträge nicht verlangen. Dem - bestehenden - Erstattungsanspruch des Klägers (dazu im Folgenden 1.) steht die Einrede der Verjährung entgegen (dazu 2.), die die Beklagte rechtsfehlerfrei erhoben hat (dazu 3.). Der Bescheid der Beklagten vom 30.3.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.6.2010 ist rechtmäßig.

11

1. Die von dem Kläger für die genannte Zeit getragenen Beiträge sind grundsätzlich nach § 26 Abs 2 Halbs 1 iVm Abs 3 S 1 SGB IV zu erstatten, weil sie zu Unrecht entrichtet wurden.

12

Nach § 26 Abs 2 Halbs 1 SGB IV(idF des Gesetzes vom 20.12.1988, BGBl I 2330, 2331) sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten. Gemäß § 26 Abs 3 S 1 SGB IV(idF desselben Gesetzes) steht der Erstattungsanspruch demjenigen zu, der die Beiträge getragen hat.

13

Die von dem Kläger für den Zeitraum vom 1.1. bis 30.11.2000 getragenen Beiträge (Arbeitnehmeranteile) wurden - wie inzwischen feststeht - ursprünglich iS von § 26 Abs 2 Halbs 1 SGB IV zu Unrecht entrichtet, weil sie im Zeitpunkt der Entrichtung - der maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist(BSGE 75, 298, 302 = SozR 3-2400 § 26 Nr 6 S 27; Waßer in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 26 RdNr 62) -ohne Rechtsgrund (= fehlende Versicherungs- und Beitragspflicht) gezahlt wurden. Das SG stellte nämlich mit seinem rechtskräftig gewordenen Urteil vom 30.7.2009 fest, dass der Kläger im oa Zeitraum im Unternehmen seiner Ehefrau nicht versicherungspflichtig beschäftigt war. Es hob die entgegenstehenden Bescheide der Einzugsstelle (vom 5.12.2005; Widerspruchsbescheid vom 23.5.2006) bezogen auf den Zeitpunkt ihres Erlasses - ex tunc - auf (zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts allgemein zB: Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 131 RdNr 3a).

14

2. Der vom Kläger geltend gemachte Erstattungsanspruch ist jedoch - ausgehend von der insoweit einschlägigen Rechtsgrundlage (dazu im Folgenden a) - verjährt. Entgegen seiner Ansicht begann die Verjährungsfrist nicht erst mit Aufhebung des Bescheides vom 5.12.2005 durch das Urteil des SG vom 30.7.2009 zu laufen. Das war vielmehr schon nach Ablauf des Kalenderjahres der Fall, in dem die Beiträge entrichtet wurden, hier also mit Ablauf des Jahres 2000 (dazu b). Der Senat hält in diesem Zusammenhang nicht mehr an seiner Rechtsprechung (BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 2 Leitsatz und RdNr 13 ff) fest, wonach die Verjährungsfrist frühestens im Zeitpunkt des Entstehens des Erstattungsanspruchs beginnen kann und der Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge nicht entsteht, solange ein Verwaltungsakt dem Berechtigten gegenüber verbindlich das Bestehen von Versicherungspflicht feststellt (dazu c).

15

a) Nach § 27 Abs 2 S 1 SGB IV verjährt der sich aus § 26 Abs 2 SGB IV ergebende Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden sind.

16

Der Erstattungsanspruch des Klägers hinsichtlich der einschließlich noch im Jahr 2000 (für die Monate Januar bis November 2000) entrichteten Beiträge nach dem Recht der Arbeitsförderung verjährte danach mit Ablauf des Jahres 2004.

17

b) Dass vorliegend der Lauf der Verjährungsfrist schon nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet wurden, also mit Ablauf des Jahres 2000 zu laufen begann, ergibt sich aus zwei Gesichtspunkten: Zum einen kommt es nach dem Regelungsinhalt des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV für den Beginn der Verjährungsfrist nicht darauf an, wann der Erstattungsanspruch entsteht; die Verjährungsfrist beginnt danach vielmehr (generell) mit dem Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung, also auch dann, wenn der Erstattungsanspruch später oder sogar erst nach Ablauf der Verjährungsfrist entstehen sollte (hierzu näher im Folgenden aa). Zum anderen entstand der vermeintlich maßgebliche Erstattungsanspruch vorliegend - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht erst im Zeitpunkt der Aufhebung des Bescheides vom 5.12.2005 durch das Urteil des SG vom 30.7.2009, sondern bereits im Zeitpunkt der Entrichtung der Beiträge (hierzu bb).

18

aa) Die Verjährungsfrist beginnt schon deshalb mit Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung, weil es nach § 27 Abs 2 S 1 SGB IV für ihren Beginn nicht darauf ankommt, wann der Erstattungsanspruch entsteht(im Ergebnis ebenso: BSG Urteil vom 26.3.1987 - 11a RLw 2/86, Juris RdNr 11 f; Waßer in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 27 RdNr 34 - 36; offengelassen, aber im beschriebenen Sinne bereits angedeutet: BSG <10. Senat>, BSGE 106, 239 = SozR 4-2400 § 27 Nr 4, RdNr 13 f). Das ergibt sich aus dem Wortlaut des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV(hierzu <1>), den Gesetzesmaterialien (hierzu <2>), der Gesetzessystematik (hierzu <3>) sowie dem Sinn und Zweck (hierzu <4>) dieser Norm. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen dieser Auslegung nicht entgegen (hierzu <5>).

19

(1) Nach dem Wortlaut des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV ist der Beginn des Laufs der Verjährungsfrist nicht von dem Entstehen des Erstattungsanspruchs abhängig. Der Gesetzeswortlaut stellt vielmehr für den Beginn der Verjährungsfrist unzweideutig (nur) auf den "Ablauf des Kalenderjahrs" ab, "in dem die Beiträge entrichtet worden sind". Zwar verjährt nach dem Wortlaut der Norm "der Erstattungsanspruch". Dieser muss also überhaupt existieren, dh entstanden sein. Der Gesetzeswortlaut schließt aber gleichwohl nicht aus, dass die Verjährungsfrist bereits vor Entstehen des Erstattungsanspruchs zu laufen beginnt bzw im Zeitpunkt des Entstehens dieses Anspruchs bereits abgelaufen ist.

20

(2) Diese Sichtweise steht im Einklang mit der Entstehungsgeschichte der Norm. Zwar sollte sich nach den Gesetzesmaterialien zu § 27 SGB IV die für die Verjährung von Sozialleistungen in § 45 SGB I enthaltene Regelung auch auf Beitragserstattungsansprüche "erstrecken"(so Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung, BT-Drucks 7/4122 S 34 zu §§ 22 bis 29). Nach § 45 SGB I verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie "entstanden" sind. Dieser Wortlaut fand in § 27 Abs 2 S 1 SGB IV jedoch keinen Niederschlag. Hätte der Gesetzgeber in der letztgenannten Bestimmung "dieselbe" Regelung wie in § 45 SGB I gewollt, hätte an sich schon eine bloße Verweisung auf die Vorschrift genügt. Das geschah jedoch nicht, vielmehr wurde mit § 27 Abs 2 S 1 SGB IV eine eigenständige Regelung für die Verjährung von Erstattungsansprüchen eingeführt, die zwar ebenfalls auf "vier Jahre" wie in § 45 Abs 1 SGB I abstellt, nicht aber auch den dort geregelten Beginn des Laufs der Verjährungsfrist und die daran anknüpfende Dogmatik zum Entstehen von Ansprüchen auf Sozialleistungen(vgl § 40 SGB I) übernimmt (ebenso wohl Dahm in Eichenhofer/Wenner, SGB I, IV, X, 1. Aufl 2012, § 27 SGB IV RdNr 2; Udsching in Hauck/Haines, SGB IV, K § 27 RdNr 1,; unklar Seewald in Kasseler Komm, § 27 SGB IV RdNr 4,: § 27 Abs 2 SGB IV "entspreche" § 45 SGB I).

21

(3) Die Gesetzessystematik bestätigt, dass § 27 Abs 2 S 1 SGB IV nicht (unausgesprochen) gleichwohl auf die Entstehung des Erstattungsanspruchs als Verjährungsbeginn abstellt.

22

In §§ 25 ff SGB IV hat der Gesetzgeber nämlich bewusst ein sehr diffiziles und inhaltlich ganz unterschiedlich ausgestaltetes System in Bezug auf den Anknüpfungszeitpunkt für den Verjährungsbeginn aufgestellt. Insbesondere der Vergleich des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV mit § 25 Abs 1 S 1 SGB IV zeigt, dass nach § 27 Abs 2 S 1 SGB IV tatsächlich die Verjährung mit Ablauf des Kalenderjahrs der "Entrichtung" der Beiträge beginnt. Nach § 25 Abs 1 S 1 SGB IV verjähren Ansprüche der Versicherungsträger auf Beiträge dagegen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie "fällig" geworden sind.

23

Ähnliches lässt sich auch aus Regelungen des BGB herleiten, deren sinngemäße Geltung § 27 Abs 3 S 1 SGB IV für die "Wirkung der Verjährung" anordnet: § 194 Abs 1 BGB, der allgemein aussagt, dass ein Anspruch der Verjährung unterliegt, kann nur entnommen werden, dass ein Anspruch überhaupt entstehen muss, um verjähren zu können; nicht aber folgt daraus auch, dass die Verjährungsfrist erstmals im Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs zu laufen beginnt. Schon bei Schaffung des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV zum 1.7.1977 (BGBl I 1976, 3845, 3849) knüpfte auch das Zivilrecht nicht durchgehend an die Anspruchsentstehung an, wie zB die Regelungen in § 199 S 1 BGB(= Verjährungsbeginn im Zeitpunkt der Zulässigkeit der Kündigung) und in § 200 S 1 BGB(= Verjährungsbeginn im Zeitpunkt der Zulässigkeit der Anfechtung) belegen (jeweils in der bis 31.12.2001 geltenden Fassung). In aktuellen Regelungen des Zivilrechts zur Verjährung verhält es sich ebenso, zB in § 199 Abs 3 S 1 Nr 2 BGB(idF des Gesetzes vom 24.9.2009, BGBl I 3142; = Verjährungsbeginn im Zeitpunkt des den Schaden auslösenden Ereignisses), § 200 BGB(idF des Gesetzes vom 2.1.2002, BGBl I 42; = Verjährungsbeginn im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist) und § 548 Abs 1 S 2 BGB(idF desselben Gesetzes; = Verjährungsbeginn im Zeitpunkt des Rückerhalts der Mietsache, vgl dazu auch BGHZ 162, 30: maßgebender Verjährungsbeginn trotz Anspruchsentstehung erst zu einem späteren Zeitpunkt).

24

(4) Schließlich unterstreichen Sinn und Zweck des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV, dass die Verjährung entsprechend dem Wortlaut bereits mit dem Ablauf des Jahres beginnen muss, in dem die Beiträge entrichtet worden sind.

25

Das Institut der Verjährung ist geprägt durch die Gedanken des Schuldnerschutzes und der Herstellung von Rechtsfrieden. Beide Gesichtspunkte gebieten eine klare Anbindung an den Gesetzeswortlaut. Diese Erwägungen gelten hier in Verbindung mit dem Gesichtspunkt der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Haushalte der Sozialversicherungsträger, die bei ihrer Aufgabenerfüllung nur zeitlich begrenzt auf vier Jahre - und nicht noch nach Ablauf langer Zeiträume - Ausgaben durch zu befriedigende Ansprüche ausgesetzt sein sollen (umfassend zu Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften gerade in Bezug auf das Arbeitsförderungsrecht: BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 1 RdNr 10 f).

26

(5) Verfassungsrechtliche Bedenken stehen der aufgezeigten Auslegung nicht entgegen.

27

§ 27 Abs 2 S 1 SGB IV genügt insbesondere den Anforderungen an eine verfassungskonforme Inhaltsbestimmung des Eigentums iS von Art 14 Abs 1 S 2 GG, weil der Gläubiger eine faire Chance hat, seinen Erstattungsanspruch geltend zu machen(vgl zu dieser Anforderung BGH Urteil vom 17.6.2005 - V ZR 202/04 - Juris RdNr 19 mwN). Der Betroffene hat es selbst in der Hand, ihm nachteilige Bescheide zeitnah anzugreifen bzw vor Ablauf der Frist des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV nach § 44 SGB X überprüfen zu lassen oder Beiträge nur unter Vorbehalt zu entrichten (zur Auslegung eines Widerspruchs bzw einer nur unter Vorbehalt beglichenen Beitragsforderung als Erstattungsantrag iS von § 27 Abs 3 S 2 SGB IV vgl BSG SozR 2100 § 27 Nr 3 S 9). Die Gläubigerinteressen sind damit hinreichend gewahrt (kritisch im Zivilrecht demgegenüber BGH Urteil vom 17.6.2005 - V ZR 202/04 - Juris RdNr 19; für Verfassungswidrigkeit: Grothe in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl 2012, RdNr 9 Vor § 194).

28

bb) Die Verjährungsfrist beginnt im Falle des Klägers darüber hinaus noch aus einem weiteren Gesichtspunkt heraus bereits im Zeitpunkt des Ablaufs des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung. Entgegen der Ansicht des Klägers entstand der - seiner Auffassung nach für den Verjährungsbeginn maßgebliche - Erstattungsanspruch nicht erstmals im Zeitpunkt der Aufhebung des Bescheides vom 5.12.2005 durch das Urteil des SG vom 30.7.2009, sondern - mit Blick auf die ex-tunc-Wirkung des Urteils - bereits im Zeitpunkt der Entrichtung der Beiträge.

29

Im Zeitpunkt der Entrichtung der Beiträge im Jahr 2000 als maßgebendem Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit bestand nämlich kein Rechtsgrund für die Beitragszahlung (s oben 1.). An einem formellen, durch ein Verwaltungshandeln geschaffenen Rechtsgrund dafür fehlte es schon deshalb, weil ein Bescheid mit dem Inhalt der vermeintlichen Versicherungspflicht wegen Beschäftigung ohnehin erst am 5.12.2005 erlassen wurde. Dieser Bescheid konnte den im Zeitpunkt der jeweiligen Beitragsentrichtung entstandenen Erstattungsanspruch im Jahr 2000 daher schon deshalb nicht erstmals mit seiner späteren Aufhebung entstehen lassen, weil die Erstattungsansprüche bereits zuvor entstanden waren. Zudem führte der Bescheid weder zum Erlöschen solcher bereits entstandenen Erstattungsansprüche noch zu einer "neuen Anspruchsentstehung" erst im Zeitpunkt der Bescheidaufhebung durch das SG. Zwar wurde der Bescheid bei seinem Ergehen mit dem feststellenden Verfügungssatz wirksam, dass der Kläger im Zeitpunkt der Entrichtung der Beiträge sozialversicherungspflichtig beschäftigt war. Indessen wirkte die spätere Aufhebung durch das Urteil des SG vom 30.7.2009 auf den Zeitpunkt des Bescheiderlasses zurück, weshalb auch dieser formelle Rechtsgrund, aus dem vorübergehend die Rechtmäßigkeit der Beitragsentrichtung abgeleitet werden konnte, mit Wirkung von Anfang an entfiel.

30

Zwar kann grundsätzlich nicht nur ein formell bestandskräftiger, sondern auch ein - wie hier - "nur" wirksam gewordener Verwaltungsakt (vgl § 39 SGB X) das Entstehen des Erstattungsanspruchs grundsätzlich verhindern. Dies hat der Senat bereits für Beitragsbescheide entschieden (BSG SozR 3-2400 § 28h Nr 11 S 43 f; BSG SozR 2100 § 27 Nr 3 S 8). Ein rechtlicher Unterschied zwischen Versicherungspflichtbescheiden und Beitragsbescheiden hinsichtlich dieser Möglichkeit ist im Hinblick auf dieselbe in § 86a Abs 2 Nr 1 SGG angeordnete Rechtsfolge, wonach Widerspruch und Anfechtungsklage in beiden Fällen keine aufschiebende Wirkung zukommt, nicht gerechtfertigt. Jedoch kann ein wirksamer Verwaltungsakt auch nur dann das Entstehen eines Erstattungsanspruchs verhindern, wenn er bereits im Zeitpunkt der Entrichtung erlassen worden war, denn nur dann bildet er einen formellen Rechtsgrund für die Beitragsentrichtung und nur dann wurden die Beiträge im Zeitpunkt der Entrichtung "zu Recht" entrichtet.

31

c) Aus den unter 2. b) dargestellten Gründen hält der Senat an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung im Urteil vom 13.9.2006 - B 12 AL 1/05 R (SozR 4-2400 § 27 Nr 2), gegen die bereits der 10. Senat des BSG (Urteil vom 24.6.2010 - B 10 LW 4/09 R - BSGE 106, 239 = SozR 4-2400 § 27 Nr 4, RdNr 13 f)inhaltliche Bedenken geäußert hat, nicht mehr fest. Seinerzeit hatte der 12. Senat des BSG entschieden, dass die Verjährungsfrist frühestens im Zeitpunkt des Entstehens des Erstattungsanspruchs beginnen könne und der Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge nicht entstehe, solange ein Verwaltungsakt dem Berechtigten gegenüber verbindlich das Bestehen von Versicherungspflicht feststelle. Insbesondere die Anwendung der allgemein anerkannten Auslegungsmethoden zur Ermittlung des spezifischen Regelungsinhalts des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV führt zu dem Ergebnis, dass es für den Beginn der Verjährungsfrist nicht darauf ankommen kann, wann der Erstattungsanspruch entsteht.

32

3. Die Beklagte war zur Ablehnung der Beitragserstattung in den angefochtenen Bescheiden unter dem Gesichtspunkt bereits eingetretener Verjährung berechtigt, weil sie ohne Rechtsfehler die Einrede der Verjährung erhob.

33

Insbesondere ist dem Bescheid vom 30.3.2010 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.6.2010) zu entnehmen, dass die Beklagte erkannte, eine Ermessensentscheidung über die Erhebung der Verjährungseinrede zu treffen, und dass sie eine solche Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung von § 35 Abs 1 S 3 SGB X auch tatsächlich traf (vgl dazu allgemein auch BSGE 115, 1 = SozR 4-2400 § 27 Nr 5, RdNr 21 ff; BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 1 RdNr 15 mwN). Für das Ermessen relevante Gesichtspunkte im Sinne des Vorliegens einer besonderen Härte, die ausnahmsweise dazu hätten Anlass geben können, das Interesse der Versichertengemeinschaft, unvorhergesehene Belastungen zu verhindern, hintanzustellen (vgl BSGE 115, 1 = SozR 2400 § 27 Nr 5, RdNr 21 ff) und von der Verjährungseinrede abzusehen, liegen nicht vor. Selbst wenn man in dem rechtswidrigen Bescheid vom 5.12.2005 ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln sähe, war - wie unter 2. ausgeführt - die Verjährungsfrist im Zeitpunkt des Bescheiderlasses bereits abgelaufen. § 7a Abs 1 S 2 SGB IV, wonach die Einzugsstelle einen Antrag auf Entscheidung, ob eine Beschäftigung vorliegt, bei der Deutschen Rentenversicherung Bund zu stellen hat, wenn sich aus der Meldung des Arbeitgebers(§ 28a SGB IV) ergibt, dass der Beschäftigte insbesondere Angehöriger des Arbeitgebers ist, ist ebenfalls - erst nach Ablauf der Verjährungsfrist - mit Wirkung zum 1.1.2005 eingeführt worden (Art 4 Nr 3 iVm Art 61 Abs 1 des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl I, 2954, 2975, 2999). Der Senat hat im Übrigen bereits entschieden, dass in der bloßen Entgegennahme der Beitragszahlung durch die Einzugsstelle kein fehlerhaftes Verwaltungshandeln liegt, sondern dass vielmehr dem Arbeitgeber die eigenständige Prüfung der Versicherungs- und Beitragspflicht obliegt (BSG SozR 3-2400 § 28h Nr 11; BSGE 58, 154, 159 = SozR 2100 § 27 Nr 4 S 16).

34

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Sind Pflichtbeiträge in der Rentenversicherung für Zeiten nach dem 31. Dezember 1972 trotz Fehlens der Versicherungspflicht nicht spätestens bei der nächsten Prüfung beim Arbeitgeber beanstandet worden, gilt § 45 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend. Beiträge, die nicht mehr beanstandet werden dürfen, gelten als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge. Gleiches gilt für zu Unrecht entrichtete Beiträge nach Ablauf der in § 27 Absatz 2 Satz 1 bestimmten Frist.

(2) Zu Unrecht entrichtete Beiträge sind zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs auf Grund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat; Beiträge, die für Zeiten entrichtet worden sind, die während des Bezugs von Leistungen beitragsfrei sind, sind jedoch zu erstatten.

(3) Der Erstattungsanspruch steht dem zu, der die Beiträge getragen hat. Soweit dem Arbeitgeber Beiträge, die er getragen hat, von einem Dritten ersetzt worden sind, entfällt sein Erstattungsanspruch.

(4) In den Fällen, in denen eine Mehrfachbeschäftigung vorliegt und nicht auszuschließen ist, dass die Voraussetzungen des § 22 Absatz 2 vorliegen, hat die Einzugsstelle nach Eingang der Entgeltmeldungen von Amts wegen die Ermittlung einzuleiten, ob Beiträge zu Unrecht entrichtet wurden. Die Einzugsstelle kann weitere Angaben zur Ermittlung der zugrunde zu legenden Entgelte von den Meldepflichtigen anfordern. Die elektronische Anforderung hat durch gesicherte und verschlüsselte Datenübertragung zu erfolgen. Dies gilt auch für die Rückübermittlung der ermittelten Gesamtentgelte an die Meldepflichtigen. Die Einzugsstelle hat das Verfahren innerhalb von zwei Monaten nach Vorliegen aller insoweit erforderlichen Meldungen abzuschließen. Das Verfahren gilt für Abrechnungszeiträume ab dem 1. Januar 2015. Das Nähere zum Verfahren, zu den zu übermittelnden Daten sowie den Datensätzen regeln die Gemeinsamen Grundsätze nach § 28b Absatz 1.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. September 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung unter dem Gesichtspunkt der Verjährung.

2

Der 1962 geborene Kläger war ua vom 1.1. bis zum 30.11.2000 als Betriebsleiter für das Transportunternehmen seiner damaligen Ehefrau tätig, wofür - wegen angenommener Beschäftigung - ua Beiträge nach dem Recht der Arbeitsförderung entrichtet wurden. Ende September 2005 beantragte er bei der für ihn zuständigen BKK als Einzugsstelle die Klärung seines sozialversicherungsrechtlichen Status und machte geltend, insoweit selbstständig gewesen zu sein. Die mit Bescheid vom 5.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.5.2006 getroffene Feststellung der BKK, dass es sich bei der Erwerbstätigkeit um eine versicherungspflichtige Beschäftigung gehandelt habe, griff der Kläger vor dem SG an. Das SG hob mit - rechtskräftig gewordenem - Urteil vom 30.7.2009 die genannten Bescheide auf und stellte fest, dass der Kläger im genannten Zeitraum nicht in einem die Versicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis gestanden habe.

3

Am 17.12.2009 beantragte der Kläger bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit die Erstattung der von ihm getragenen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Das lehnte diese ab, soweit es für den Zeitraum 1.1. bis zum 30.11.2000 geleistete Beiträge betraf, da der Erstattungsanspruch insoweit bereits verjährt sei (Bescheid vom 30.3.2010; Widerspruchsbescheid vom 18.6.2010).

4

Das SG hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 14.5.2013). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Zwar seien die Voraussetzungen für eine Beitragserstattung nach § 26 Abs 2 SGB IV wegen der - wie aufgrund des Urteils des SG vom 30.7.2009 feststehe - zu Unrecht erfolgten Beitragsabführung erfüllt, da im streitigen Zeitraum keine Versicherungspflicht des Klägers bestanden habe. Der Erstattungsanspruch nach § 27 Abs 2 S 1 SGB IV sei jedoch verjährt. Der Zeitpunkt seines Entstehens falle nämlich mit dem Zeitpunkt zusammen, in dem die Beiträge für die Tätigkeit rechtsgrundlos entrichtet worden seien. Da die maßgebende Vier-Jahres-Frist nach Ablauf des Jahres 2000 (= Zeitpunkt der Anspruchsentstehung) zu laufen begonnen habe, sei bezüglich des streitigen Erstattungsanspruchs mit Ablauf des Jahres 2004 Verjährung eingetreten. Daran ändere der Bescheid vom 5.12.2005 nichts, weil er durch das SG-Urteil vom 30.7.2009 mit Rückwirkung aufgehoben worden sei. Der Sachverhalt unterscheide sich von einem vom BSG entschiedenen Fall (SozR 4-2400 § 27 Nr 2 ), da der Erstattungsanspruch dort noch nicht verjährt gewesen sei, als ein - später aufgehobener - Bescheid rückwirkend fehlerhaft die Beitragszahlungspflicht festgestellt habe (Urteil vom 26.9.2013).

5

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 27 Abs 2 S 1, Abs 3 S 1 SGB IV. Erstmals mit Aufhebung des Bescheides vom 5.12.2005, wonach die Beitragserhebung im Jahr 2000 vermeintlich rechtmäßig gewesen sei, durch das SG am 30.7.2009 habe überhaupt ein Beitragserstattungsanspruch entstehen können, weil erst damit die zu Unrecht erfolgte Beitragsentrichtung festgestanden habe. Allein dieser Zeitpunkt könne daher für den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist entscheidend sein. Eine andere Betrachtung der zu Unrecht erfolgten Entrichtung sei dagegen verfehlt, schon weil Widerspruch und Klage gegen den Bescheid vom 5.12.2005 keine aufschiebende Wirkung gehabt hätten und dem Bescheid - trotz fehlender Bestandskraft - nach § 28h Abs 2 S 1 SGB IV Tatbestands- und Rechtswirkung für die Pflicht zur Beitragsentrichtung zugekommen sei. Spätestens der Widerspruch gegen den Bescheid müsse als Beitragserstattungsantrag gewertet werden. Der Lauf der Verjährungsfrist sei auf diese Weise gehemmt gewesen und habe nicht beginnen können. Überdies habe die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt.

6

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. September 2013 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. Mai 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm 1104,34 Euro zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

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Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet.

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Im Ergebnis zutreffend hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Der Kläger kann von der beklagten Bundesagentur für Arbeit die Erstattung der von ihm für die Zeit vom 1.1. bis 30.11.2000 getragenen Arbeitnehmeranteile der nach dem Recht der Arbeitsförderung entrichteten Beiträge nicht verlangen. Dem - bestehenden - Erstattungsanspruch des Klägers (dazu im Folgenden 1.) steht die Einrede der Verjährung entgegen (dazu 2.), die die Beklagte rechtsfehlerfrei erhoben hat (dazu 3.). Der Bescheid der Beklagten vom 30.3.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.6.2010 ist rechtmäßig.

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1. Die von dem Kläger für die genannte Zeit getragenen Beiträge sind grundsätzlich nach § 26 Abs 2 Halbs 1 iVm Abs 3 S 1 SGB IV zu erstatten, weil sie zu Unrecht entrichtet wurden.

12

Nach § 26 Abs 2 Halbs 1 SGB IV(idF des Gesetzes vom 20.12.1988, BGBl I 2330, 2331) sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten. Gemäß § 26 Abs 3 S 1 SGB IV(idF desselben Gesetzes) steht der Erstattungsanspruch demjenigen zu, der die Beiträge getragen hat.

13

Die von dem Kläger für den Zeitraum vom 1.1. bis 30.11.2000 getragenen Beiträge (Arbeitnehmeranteile) wurden - wie inzwischen feststeht - ursprünglich iS von § 26 Abs 2 Halbs 1 SGB IV zu Unrecht entrichtet, weil sie im Zeitpunkt der Entrichtung - der maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist(BSGE 75, 298, 302 = SozR 3-2400 § 26 Nr 6 S 27; Waßer in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 26 RdNr 62) -ohne Rechtsgrund (= fehlende Versicherungs- und Beitragspflicht) gezahlt wurden. Das SG stellte nämlich mit seinem rechtskräftig gewordenen Urteil vom 30.7.2009 fest, dass der Kläger im oa Zeitraum im Unternehmen seiner Ehefrau nicht versicherungspflichtig beschäftigt war. Es hob die entgegenstehenden Bescheide der Einzugsstelle (vom 5.12.2005; Widerspruchsbescheid vom 23.5.2006) bezogen auf den Zeitpunkt ihres Erlasses - ex tunc - auf (zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts allgemein zB: Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 131 RdNr 3a).

14

2. Der vom Kläger geltend gemachte Erstattungsanspruch ist jedoch - ausgehend von der insoweit einschlägigen Rechtsgrundlage (dazu im Folgenden a) - verjährt. Entgegen seiner Ansicht begann die Verjährungsfrist nicht erst mit Aufhebung des Bescheides vom 5.12.2005 durch das Urteil des SG vom 30.7.2009 zu laufen. Das war vielmehr schon nach Ablauf des Kalenderjahres der Fall, in dem die Beiträge entrichtet wurden, hier also mit Ablauf des Jahres 2000 (dazu b). Der Senat hält in diesem Zusammenhang nicht mehr an seiner Rechtsprechung (BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 2 Leitsatz und RdNr 13 ff) fest, wonach die Verjährungsfrist frühestens im Zeitpunkt des Entstehens des Erstattungsanspruchs beginnen kann und der Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge nicht entsteht, solange ein Verwaltungsakt dem Berechtigten gegenüber verbindlich das Bestehen von Versicherungspflicht feststellt (dazu c).

15

a) Nach § 27 Abs 2 S 1 SGB IV verjährt der sich aus § 26 Abs 2 SGB IV ergebende Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden sind.

16

Der Erstattungsanspruch des Klägers hinsichtlich der einschließlich noch im Jahr 2000 (für die Monate Januar bis November 2000) entrichteten Beiträge nach dem Recht der Arbeitsförderung verjährte danach mit Ablauf des Jahres 2004.

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b) Dass vorliegend der Lauf der Verjährungsfrist schon nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet wurden, also mit Ablauf des Jahres 2000 zu laufen begann, ergibt sich aus zwei Gesichtspunkten: Zum einen kommt es nach dem Regelungsinhalt des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV für den Beginn der Verjährungsfrist nicht darauf an, wann der Erstattungsanspruch entsteht; die Verjährungsfrist beginnt danach vielmehr (generell) mit dem Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung, also auch dann, wenn der Erstattungsanspruch später oder sogar erst nach Ablauf der Verjährungsfrist entstehen sollte (hierzu näher im Folgenden aa). Zum anderen entstand der vermeintlich maßgebliche Erstattungsanspruch vorliegend - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht erst im Zeitpunkt der Aufhebung des Bescheides vom 5.12.2005 durch das Urteil des SG vom 30.7.2009, sondern bereits im Zeitpunkt der Entrichtung der Beiträge (hierzu bb).

18

aa) Die Verjährungsfrist beginnt schon deshalb mit Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung, weil es nach § 27 Abs 2 S 1 SGB IV für ihren Beginn nicht darauf ankommt, wann der Erstattungsanspruch entsteht(im Ergebnis ebenso: BSG Urteil vom 26.3.1987 - 11a RLw 2/86, Juris RdNr 11 f; Waßer in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 27 RdNr 34 - 36; offengelassen, aber im beschriebenen Sinne bereits angedeutet: BSG <10. Senat>, BSGE 106, 239 = SozR 4-2400 § 27 Nr 4, RdNr 13 f). Das ergibt sich aus dem Wortlaut des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV(hierzu <1>), den Gesetzesmaterialien (hierzu <2>), der Gesetzessystematik (hierzu <3>) sowie dem Sinn und Zweck (hierzu <4>) dieser Norm. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen dieser Auslegung nicht entgegen (hierzu <5>).

19

(1) Nach dem Wortlaut des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV ist der Beginn des Laufs der Verjährungsfrist nicht von dem Entstehen des Erstattungsanspruchs abhängig. Der Gesetzeswortlaut stellt vielmehr für den Beginn der Verjährungsfrist unzweideutig (nur) auf den "Ablauf des Kalenderjahrs" ab, "in dem die Beiträge entrichtet worden sind". Zwar verjährt nach dem Wortlaut der Norm "der Erstattungsanspruch". Dieser muss also überhaupt existieren, dh entstanden sein. Der Gesetzeswortlaut schließt aber gleichwohl nicht aus, dass die Verjährungsfrist bereits vor Entstehen des Erstattungsanspruchs zu laufen beginnt bzw im Zeitpunkt des Entstehens dieses Anspruchs bereits abgelaufen ist.

20

(2) Diese Sichtweise steht im Einklang mit der Entstehungsgeschichte der Norm. Zwar sollte sich nach den Gesetzesmaterialien zu § 27 SGB IV die für die Verjährung von Sozialleistungen in § 45 SGB I enthaltene Regelung auch auf Beitragserstattungsansprüche "erstrecken"(so Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung, BT-Drucks 7/4122 S 34 zu §§ 22 bis 29). Nach § 45 SGB I verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie "entstanden" sind. Dieser Wortlaut fand in § 27 Abs 2 S 1 SGB IV jedoch keinen Niederschlag. Hätte der Gesetzgeber in der letztgenannten Bestimmung "dieselbe" Regelung wie in § 45 SGB I gewollt, hätte an sich schon eine bloße Verweisung auf die Vorschrift genügt. Das geschah jedoch nicht, vielmehr wurde mit § 27 Abs 2 S 1 SGB IV eine eigenständige Regelung für die Verjährung von Erstattungsansprüchen eingeführt, die zwar ebenfalls auf "vier Jahre" wie in § 45 Abs 1 SGB I abstellt, nicht aber auch den dort geregelten Beginn des Laufs der Verjährungsfrist und die daran anknüpfende Dogmatik zum Entstehen von Ansprüchen auf Sozialleistungen(vgl § 40 SGB I) übernimmt (ebenso wohl Dahm in Eichenhofer/Wenner, SGB I, IV, X, 1. Aufl 2012, § 27 SGB IV RdNr 2; Udsching in Hauck/Haines, SGB IV, K § 27 RdNr 1,; unklar Seewald in Kasseler Komm, § 27 SGB IV RdNr 4,: § 27 Abs 2 SGB IV "entspreche" § 45 SGB I).

21

(3) Die Gesetzessystematik bestätigt, dass § 27 Abs 2 S 1 SGB IV nicht (unausgesprochen) gleichwohl auf die Entstehung des Erstattungsanspruchs als Verjährungsbeginn abstellt.

22

In §§ 25 ff SGB IV hat der Gesetzgeber nämlich bewusst ein sehr diffiziles und inhaltlich ganz unterschiedlich ausgestaltetes System in Bezug auf den Anknüpfungszeitpunkt für den Verjährungsbeginn aufgestellt. Insbesondere der Vergleich des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV mit § 25 Abs 1 S 1 SGB IV zeigt, dass nach § 27 Abs 2 S 1 SGB IV tatsächlich die Verjährung mit Ablauf des Kalenderjahrs der "Entrichtung" der Beiträge beginnt. Nach § 25 Abs 1 S 1 SGB IV verjähren Ansprüche der Versicherungsträger auf Beiträge dagegen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie "fällig" geworden sind.

23

Ähnliches lässt sich auch aus Regelungen des BGB herleiten, deren sinngemäße Geltung § 27 Abs 3 S 1 SGB IV für die "Wirkung der Verjährung" anordnet: § 194 Abs 1 BGB, der allgemein aussagt, dass ein Anspruch der Verjährung unterliegt, kann nur entnommen werden, dass ein Anspruch überhaupt entstehen muss, um verjähren zu können; nicht aber folgt daraus auch, dass die Verjährungsfrist erstmals im Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs zu laufen beginnt. Schon bei Schaffung des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV zum 1.7.1977 (BGBl I 1976, 3845, 3849) knüpfte auch das Zivilrecht nicht durchgehend an die Anspruchsentstehung an, wie zB die Regelungen in § 199 S 1 BGB(= Verjährungsbeginn im Zeitpunkt der Zulässigkeit der Kündigung) und in § 200 S 1 BGB(= Verjährungsbeginn im Zeitpunkt der Zulässigkeit der Anfechtung) belegen (jeweils in der bis 31.12.2001 geltenden Fassung). In aktuellen Regelungen des Zivilrechts zur Verjährung verhält es sich ebenso, zB in § 199 Abs 3 S 1 Nr 2 BGB(idF des Gesetzes vom 24.9.2009, BGBl I 3142; = Verjährungsbeginn im Zeitpunkt des den Schaden auslösenden Ereignisses), § 200 BGB(idF des Gesetzes vom 2.1.2002, BGBl I 42; = Verjährungsbeginn im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist) und § 548 Abs 1 S 2 BGB(idF desselben Gesetzes; = Verjährungsbeginn im Zeitpunkt des Rückerhalts der Mietsache, vgl dazu auch BGHZ 162, 30: maßgebender Verjährungsbeginn trotz Anspruchsentstehung erst zu einem späteren Zeitpunkt).

24

(4) Schließlich unterstreichen Sinn und Zweck des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV, dass die Verjährung entsprechend dem Wortlaut bereits mit dem Ablauf des Jahres beginnen muss, in dem die Beiträge entrichtet worden sind.

25

Das Institut der Verjährung ist geprägt durch die Gedanken des Schuldnerschutzes und der Herstellung von Rechtsfrieden. Beide Gesichtspunkte gebieten eine klare Anbindung an den Gesetzeswortlaut. Diese Erwägungen gelten hier in Verbindung mit dem Gesichtspunkt der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Haushalte der Sozialversicherungsträger, die bei ihrer Aufgabenerfüllung nur zeitlich begrenzt auf vier Jahre - und nicht noch nach Ablauf langer Zeiträume - Ausgaben durch zu befriedigende Ansprüche ausgesetzt sein sollen (umfassend zu Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften gerade in Bezug auf das Arbeitsförderungsrecht: BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 1 RdNr 10 f).

26

(5) Verfassungsrechtliche Bedenken stehen der aufgezeigten Auslegung nicht entgegen.

27

§ 27 Abs 2 S 1 SGB IV genügt insbesondere den Anforderungen an eine verfassungskonforme Inhaltsbestimmung des Eigentums iS von Art 14 Abs 1 S 2 GG, weil der Gläubiger eine faire Chance hat, seinen Erstattungsanspruch geltend zu machen(vgl zu dieser Anforderung BGH Urteil vom 17.6.2005 - V ZR 202/04 - Juris RdNr 19 mwN). Der Betroffene hat es selbst in der Hand, ihm nachteilige Bescheide zeitnah anzugreifen bzw vor Ablauf der Frist des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV nach § 44 SGB X überprüfen zu lassen oder Beiträge nur unter Vorbehalt zu entrichten (zur Auslegung eines Widerspruchs bzw einer nur unter Vorbehalt beglichenen Beitragsforderung als Erstattungsantrag iS von § 27 Abs 3 S 2 SGB IV vgl BSG SozR 2100 § 27 Nr 3 S 9). Die Gläubigerinteressen sind damit hinreichend gewahrt (kritisch im Zivilrecht demgegenüber BGH Urteil vom 17.6.2005 - V ZR 202/04 - Juris RdNr 19; für Verfassungswidrigkeit: Grothe in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl 2012, RdNr 9 Vor § 194).

28

bb) Die Verjährungsfrist beginnt im Falle des Klägers darüber hinaus noch aus einem weiteren Gesichtspunkt heraus bereits im Zeitpunkt des Ablaufs des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung. Entgegen der Ansicht des Klägers entstand der - seiner Auffassung nach für den Verjährungsbeginn maßgebliche - Erstattungsanspruch nicht erstmals im Zeitpunkt der Aufhebung des Bescheides vom 5.12.2005 durch das Urteil des SG vom 30.7.2009, sondern - mit Blick auf die ex-tunc-Wirkung des Urteils - bereits im Zeitpunkt der Entrichtung der Beiträge.

29

Im Zeitpunkt der Entrichtung der Beiträge im Jahr 2000 als maßgebendem Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit bestand nämlich kein Rechtsgrund für die Beitragszahlung (s oben 1.). An einem formellen, durch ein Verwaltungshandeln geschaffenen Rechtsgrund dafür fehlte es schon deshalb, weil ein Bescheid mit dem Inhalt der vermeintlichen Versicherungspflicht wegen Beschäftigung ohnehin erst am 5.12.2005 erlassen wurde. Dieser Bescheid konnte den im Zeitpunkt der jeweiligen Beitragsentrichtung entstandenen Erstattungsanspruch im Jahr 2000 daher schon deshalb nicht erstmals mit seiner späteren Aufhebung entstehen lassen, weil die Erstattungsansprüche bereits zuvor entstanden waren. Zudem führte der Bescheid weder zum Erlöschen solcher bereits entstandenen Erstattungsansprüche noch zu einer "neuen Anspruchsentstehung" erst im Zeitpunkt der Bescheidaufhebung durch das SG. Zwar wurde der Bescheid bei seinem Ergehen mit dem feststellenden Verfügungssatz wirksam, dass der Kläger im Zeitpunkt der Entrichtung der Beiträge sozialversicherungspflichtig beschäftigt war. Indessen wirkte die spätere Aufhebung durch das Urteil des SG vom 30.7.2009 auf den Zeitpunkt des Bescheiderlasses zurück, weshalb auch dieser formelle Rechtsgrund, aus dem vorübergehend die Rechtmäßigkeit der Beitragsentrichtung abgeleitet werden konnte, mit Wirkung von Anfang an entfiel.

30

Zwar kann grundsätzlich nicht nur ein formell bestandskräftiger, sondern auch ein - wie hier - "nur" wirksam gewordener Verwaltungsakt (vgl § 39 SGB X) das Entstehen des Erstattungsanspruchs grundsätzlich verhindern. Dies hat der Senat bereits für Beitragsbescheide entschieden (BSG SozR 3-2400 § 28h Nr 11 S 43 f; BSG SozR 2100 § 27 Nr 3 S 8). Ein rechtlicher Unterschied zwischen Versicherungspflichtbescheiden und Beitragsbescheiden hinsichtlich dieser Möglichkeit ist im Hinblick auf dieselbe in § 86a Abs 2 Nr 1 SGG angeordnete Rechtsfolge, wonach Widerspruch und Anfechtungsklage in beiden Fällen keine aufschiebende Wirkung zukommt, nicht gerechtfertigt. Jedoch kann ein wirksamer Verwaltungsakt auch nur dann das Entstehen eines Erstattungsanspruchs verhindern, wenn er bereits im Zeitpunkt der Entrichtung erlassen worden war, denn nur dann bildet er einen formellen Rechtsgrund für die Beitragsentrichtung und nur dann wurden die Beiträge im Zeitpunkt der Entrichtung "zu Recht" entrichtet.

31

c) Aus den unter 2. b) dargestellten Gründen hält der Senat an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung im Urteil vom 13.9.2006 - B 12 AL 1/05 R (SozR 4-2400 § 27 Nr 2), gegen die bereits der 10. Senat des BSG (Urteil vom 24.6.2010 - B 10 LW 4/09 R - BSGE 106, 239 = SozR 4-2400 § 27 Nr 4, RdNr 13 f)inhaltliche Bedenken geäußert hat, nicht mehr fest. Seinerzeit hatte der 12. Senat des BSG entschieden, dass die Verjährungsfrist frühestens im Zeitpunkt des Entstehens des Erstattungsanspruchs beginnen könne und der Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge nicht entstehe, solange ein Verwaltungsakt dem Berechtigten gegenüber verbindlich das Bestehen von Versicherungspflicht feststelle. Insbesondere die Anwendung der allgemein anerkannten Auslegungsmethoden zur Ermittlung des spezifischen Regelungsinhalts des § 27 Abs 2 S 1 SGB IV führt zu dem Ergebnis, dass es für den Beginn der Verjährungsfrist nicht darauf ankommen kann, wann der Erstattungsanspruch entsteht.

32

3. Die Beklagte war zur Ablehnung der Beitragserstattung in den angefochtenen Bescheiden unter dem Gesichtspunkt bereits eingetretener Verjährung berechtigt, weil sie ohne Rechtsfehler die Einrede der Verjährung erhob.

33

Insbesondere ist dem Bescheid vom 30.3.2010 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.6.2010) zu entnehmen, dass die Beklagte erkannte, eine Ermessensentscheidung über die Erhebung der Verjährungseinrede zu treffen, und dass sie eine solche Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung von § 35 Abs 1 S 3 SGB X auch tatsächlich traf (vgl dazu allgemein auch BSGE 115, 1 = SozR 4-2400 § 27 Nr 5, RdNr 21 ff; BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 1 RdNr 15 mwN). Für das Ermessen relevante Gesichtspunkte im Sinne des Vorliegens einer besonderen Härte, die ausnahmsweise dazu hätten Anlass geben können, das Interesse der Versichertengemeinschaft, unvorhergesehene Belastungen zu verhindern, hintanzustellen (vgl BSGE 115, 1 = SozR 2400 § 27 Nr 5, RdNr 21 ff) und von der Verjährungseinrede abzusehen, liegen nicht vor. Selbst wenn man in dem rechtswidrigen Bescheid vom 5.12.2005 ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln sähe, war - wie unter 2. ausgeführt - die Verjährungsfrist im Zeitpunkt des Bescheiderlasses bereits abgelaufen. § 7a Abs 1 S 2 SGB IV, wonach die Einzugsstelle einen Antrag auf Entscheidung, ob eine Beschäftigung vorliegt, bei der Deutschen Rentenversicherung Bund zu stellen hat, wenn sich aus der Meldung des Arbeitgebers(§ 28a SGB IV) ergibt, dass der Beschäftigte insbesondere Angehöriger des Arbeitgebers ist, ist ebenfalls - erst nach Ablauf der Verjährungsfrist - mit Wirkung zum 1.1.2005 eingeführt worden (Art 4 Nr 3 iVm Art 61 Abs 1 des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl I, 2954, 2975, 2999). Der Senat hat im Übrigen bereits entschieden, dass in der bloßen Entgegennahme der Beitragszahlung durch die Einzugsstelle kein fehlerhaftes Verwaltungshandeln liegt, sondern dass vielmehr dem Arbeitgeber die eigenständige Prüfung der Versicherungs- und Beitragspflicht obliegt (BSG SozR 3-2400 § 28h Nr 11; BSGE 58, 154, 159 = SozR 2100 § 27 Nr 4 S 16).

34

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Sind Pflichtbeiträge in der Rentenversicherung für Zeiten nach dem 31. Dezember 1972 trotz Fehlens der Versicherungspflicht nicht spätestens bei der nächsten Prüfung beim Arbeitgeber beanstandet worden, gilt § 45 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend. Beiträge, die nicht mehr beanstandet werden dürfen, gelten als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge. Gleiches gilt für zu Unrecht entrichtete Beiträge nach Ablauf der in § 27 Absatz 2 Satz 1 bestimmten Frist.

(2) Zu Unrecht entrichtete Beiträge sind zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs auf Grund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat; Beiträge, die für Zeiten entrichtet worden sind, die während des Bezugs von Leistungen beitragsfrei sind, sind jedoch zu erstatten.

(3) Der Erstattungsanspruch steht dem zu, der die Beiträge getragen hat. Soweit dem Arbeitgeber Beiträge, die er getragen hat, von einem Dritten ersetzt worden sind, entfällt sein Erstattungsanspruch.

(4) In den Fällen, in denen eine Mehrfachbeschäftigung vorliegt und nicht auszuschließen ist, dass die Voraussetzungen des § 22 Absatz 2 vorliegen, hat die Einzugsstelle nach Eingang der Entgeltmeldungen von Amts wegen die Ermittlung einzuleiten, ob Beiträge zu Unrecht entrichtet wurden. Die Einzugsstelle kann weitere Angaben zur Ermittlung der zugrunde zu legenden Entgelte von den Meldepflichtigen anfordern. Die elektronische Anforderung hat durch gesicherte und verschlüsselte Datenübertragung zu erfolgen. Dies gilt auch für die Rückübermittlung der ermittelten Gesamtentgelte an die Meldepflichtigen. Die Einzugsstelle hat das Verfahren innerhalb von zwei Monaten nach Vorliegen aller insoweit erforderlichen Meldungen abzuschließen. Das Verfahren gilt für Abrechnungszeiträume ab dem 1. Januar 2015. Das Nähere zum Verfahren, zu den zu übermittelnden Daten sowie den Datensätzen regeln die Gemeinsamen Grundsätze nach § 28b Absatz 1.

(1) Der Erstattungsanspruch ist nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags, beim Fehlen eines Antrags nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Erstattung bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. Verzinst werden volle Euro-Beträge. Dabei ist der Kalendermonat mit dreißig Tagen zugrunde zu legen.

(2) Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Beanstandet der Versicherungsträger die Rechtswirksamkeit von Beiträgen, beginnt die Verjährung mit dem Ablauf des Kalenderjahrs der Beanstandung.

(3) Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. Die Verjährung wird auch durch Antrag auf Erstattung oder durch Erhebung eines Widerspruchs gehemmt. Die Hemmung endet sechs Monate nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Antrag oder den Widerspruch.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Alterskasse für den Gartenbau dem Kläger für die Zeit vom 1.7.1998 bis 31.12.1999 zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten hat.

2

Nachdem die Beklagte aufgrund eines vom Kläger ausgefüllten Fragebogens dessen Versicherungspflicht zur Alterskasse als gärtnerischer Unternehmer festgestellt und den monatlichen Beitrag festgesetzt hatte (Bescheid vom 16.7.1998), entrichtete dieser regelmäßig Beiträge, ua für den hier streitigen Zeitraum vom 1.7.1998 bis 31.12.1999.

3

Mit Schreiben vom 29.1.2004 bat der Kläger um Überprüfung seiner Beitragspflicht; er betreibe ein reines Einzelhandelsunternehmen. Nach Durchführung einer Betriebsbesichtigung nahm die Beklagte den Bescheid über die Veranlagung zur Versicherungspflicht ab 1.7.1998 zurück, weil der Kläger von vorneherein nicht Gärtner gewesen sei. Zugleich erklärte sie: Die für die Zeit vom 1.1.2000 bis 30.4.2004 gezahlten Beiträge seien zu Unrecht entrichtet und würden gemäß § 26 Abs 2 SGB IV erstattet; die Erstattung der vom 1.7.1998 bis 31.12.1999 zu Unrecht entrichteten Beiträge sei nach § 27 Abs 2 SGB IV wegen Verjährung ausgeschlossen(Bescheid vom 29.4.2004). Den Widerspruch, mit dem der Kläger die Erstattung der für die Zeit vom 1.7.1998 bis 31.12.1999 entrichteten Beiträge begehrte, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 8.9.2004).

4

Das vom Kläger angerufene Sozialgericht München (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 6.7.2005). Auf die Berufung des Klägers hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) die Beklagte unter Abänderung der entgegenstehenden Entscheidungen verurteilt, dem Kläger die für den Zeitraum vom 1.7.1998 bis 31.12.1999 entrichteten Beiträge entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu erstatten (Urteil vom 27.1.2009). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Entgegen der Ansicht der Beklagten sei der Anspruch des Klägers auf Erstattung der streitigen Beiträge noch nicht verjährt. Zwar verjähre der Erstattungsanspruch gemäß § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV grundsätzlich in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden seien. Beanstande der Versicherungsträger jedoch die Rechtswirksamkeit von Beiträgen, beginne die Verjährung nach § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV ausnahmsweise erst mit Ablauf des Kalenderjahrs der Beanstandung. Diese Sonderregelung sei auch im Bereich der Alterssicherung der Landwirte (AdL) anwendbar. In dem Bescheid vom 29.4.2004 sei sinngemäß eine Beanstandung iS des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV zu sehen. Die Verjährungsfrist beginne damit erst mit Ablauf des Kalenderjahrs 2004. Da durch Erhebung von Widerspruch und Klage der Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist gehemmt werde, sei sie noch nicht abgelaufen.

5

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV. Diese Vorschrift sei in der AdL weder unmittelbar noch mittelbar anwendbar. Bereits ihrem Wortlaut nach sei die Regelung auf die gesetzliche Rentenversicherung zugeschnitten. Die AdL kenne das Rechtsinstitut der Beanstandung nicht. § 202 SGB VI finde im Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) keine Entsprechung. Auch § 26 Abs 1 SGB IV rechtfertige die Annahme, dass sich die Beanstandung auf Pflichtbeiträge aus einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis beziehe. Zudem fehle in der AdL eine Ermächtigung, die Beanstandung zu erklären. Außerdem beinhalte ihr hier angefochtener Bescheid keine Beanstandung. Die Nichtanwendbarkeit des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV führe auch nicht zu einem unbilligen Ergebnis. Die Frist des § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV sei keine Ausschlussfrist. Ihr Ablauf berechtige den Versicherungsträger lediglich, die Erstattung zu verweigern. Die Ausübung dieses Rechts stehe im Ermessen des Versicherungsträgers. Im Rahmen der Ermessensausübung sei auch zu berücksichtigen, dass der Berechtigte vom Vorliegen der Anspruchsvoraussetzung keine Kenntnis gehabt habe. Im Übrigen sei die Ausübung der Verjährungseinrede unzulässig, wenn sie gegen Treu und Glauben verstoße.

6

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Januar 2009 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. Juli 2005 zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Wie in der Rentenversicherung erwerbe der Landwirt in der AdL Anwartschaften. Ein rechtfertigender Grund für eine Ungleichbehandlung von nur scheinbar pflichtversicherten abhängig Beschäftigten und nur scheinbar versicherten selbständigen Landwirten sei nicht ersichtlich. Aufgrund der identischen Verhältnisse im Bereich der AdL und der Rentenversicherung sei § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV analog in der AdL anzuwenden. Das LSG habe auch überzeugend dargelegt, dass im Unterschied zu dem vom Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 26.3.1987 - 11a RLw 3/86 - entschiedenen Fall die Beklagte im Bescheid vom 29.4.2004 die Beitragsentrichtung zumindest sinngemäß beanstandet habe. Zudem würde es gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn sich die Beklagte auf die Verjährung der Erstattungsansprüche der für die Jahre 1998/1999 entrichteten Beiträge berufen könnte, obwohl sie selbst durch nicht rechtzeitige und umfassende Aufklärung für die Falschversicherung verantwortlich sei.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, dass die Beklagte eine Erstattung der streitigen Beiträge zu Unrecht verweigert hat.

10

1. Die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge richtet sich nach den §§ 26 ff SGB IV. Diese Vorschriften gelten gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 SGB IV auch für die AdL. Nach § 1 Abs 3 SGB IV bleiben allerdings Regelungen in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs, die in den Absätzen 1 und 2 genannt sind (also auch in der AdL), unberührt, soweit sie von den Vorschriften dieses Buches abweichen. Insoweit ist hier § 77 ALG einschlägig, der vorsieht, dass bei der Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge nach § 26 SGB IV § 76 Abs 1 Satz 2 und Abs 4 Satz 3 ALG entsprechend gelten. Ebenso gilt danach § 76 Abs 3 ALG entsprechend, soweit zu Lasten der Anrechte aus den zu Unrecht entrichteten Beiträgen ein Versorgungsausgleich durchgeführt worden ist. Diese Sonderregelungen treffen die Höhe des Erstattungsanspruchs, nicht jedoch dessen hier streitige Verjährung.

11

2. Gemäß § 26 Abs 2 SGB IV sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs aufgrund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat; Beiträge, die für Zeiten entrichtet worden sind, die während des Bezugs von Leistungen beitragsfrei sind, sind jedoch zu erstatten. Danach steht dem Kläger - was auch die Beklagte nicht bestreitet - ein Anspruch auf Erstattung auch der für die Zeit vom 1.7.1998 bis 31.12.1999 entrichteten Beiträge dem Grunde nach zu. Zwar war die Entrichtung dieser Beiträge solange als rechtmäßig anzusehen, als der Veranlagungsbescheid der Beklagten vom 16.7.1998 Bestand hatte (vgl dazu BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 2 RdNr 13). Diesen Verwaltungsakt hat die Beklagte jedoch durch ihren insoweit nicht angefochtenen Bescheid vom 29.4.2004 bestandskräftig zurückgenommen. Seitdem ist davon auszugehen, dass die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind. Schließlich stehen dem Erstattungsanspruch nach § 26 Abs 2 SGB IV auch die dort geregelten Ausschlussgründe ("Verfallsklausel") nicht entgegen. Insbesondere ist eine anspruchsschädliche Leistungserbringung nicht ersichtlich.

12

3. Wie das LSG zu Recht erkannt hat, kann sich die Beklagte gegen den Erstattungsanspruch des Klägers auch insoweit nicht auf Verjährung berufen, als es die für die Zeit vom 1.7.1998 bis 31.12.1999 gezahlten Beiträge betrifft. Dies ergibt sich aus § 27 Abs 2 SGB IV, der bestimmt:

Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Beanstandet der Versicherungsträger die Rechtswirksamkeit von Beiträgen, beginnt die Verjährung mit dem Ablauf des Kalenderjahrs der Beanstandung.

13

a) Bei Anwendung des Wortlauts des § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV war der Erstattungsanspruch des Klägers betreffend die in den Jahren 1998 und 1999 entrichteten Beiträge im Jahre 2004 bereits verjährt. Denn nach Ablauf des Kalenderjahrs der Entrichtung waren jeweils schon vier Jahre vergangen. Der erkennende Senat lässt offen, ob § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV - wovon der 12. Senat des BSG ausgeht (vgl BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 2) - einschränkend dahin auszulegen ist, dass der Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge nicht verjährt, solange dem Berechtigten gegenüber durch Verwaltungsakt verbindlich das Bestehen von Versicherungspflicht festgestellt ist.

14

Diese Auffassung dürfte nicht nur einer Entscheidung des 2. Senats des BSG widersprechen (vgl BSG SozR 1300 § 44 Nr 31 S 85 ff). Sie erscheint auch nicht als zwingend. Zwar leuchtet es ein, dass Gegenstand der Verjährung nur ein entstandener Anspruch sein kann (vgl BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 2 RdNr 13). Daraus folgt jedoch nicht, dass die Verjährungsfrist denknotwendig nicht vor dem Entstehen des Anspruchs beginnen kann. Vielmehr kann der Gesetzgeber, wie zB §§ 199, 200 BGB in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung zeigen, insoweit auch auf einen früheren Zeitpunkt abstellen. Es spricht daher viel dafür, dass § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV den Beginn der vierjährigen Verjährungsfrist verbindlich auf den Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung gelegt hat. Das kann dann gegebenenfalls dazu führen, dass einem Beitragserstattungsanspruch, der erst durch die Aufhebung eines die Beitrags- bzw Versicherungspflicht feststellenden Verwaltungsakts entsteht, von vornherein die Einrede der Verjährung entgegengehalten werden kann, wenn die Beitragsentrichtung entsprechend lange zurückliegt.

15

b) In Übereinstimmung mit dem LSG hält der erkennende Senat hier § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV für anwendbar. Hervorzuheben ist zunächst, dass sich auch die Geltung dieser Vorschrift für die AdL aus § 1 Abs 1 SGB IV ergibt, da das ALG insoweit keine Sonderregelung iS des § 1 Abs 3 ALG enthält. Eine ausdrückliche Bestimmung in diesem Sinne vermag auch die Beklagte nicht anzuführen. Soweit sie der Ansicht ist, die in § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV vorausgesetzte Beanstandung von Beiträgen sei der AdL fremd, folgt ihr der erkennende Senat nicht.

16

Schon die Rechtsentwicklung in der früheren Altershilfe für Landwirte zeigt, dass der Gesetzgeber seit jeher von der Möglichkeit einer Beitragsbeanstandung durch die Landwirtschaftlichen Alterskassen (LAK) ausgegangen ist. So wird bereits in § 7 Abs 3 Satz 3 Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) vom 27.7.1957 (BGBl I 1063) auf § 1424 RVO verwiesen, der nach seinem Abs 2 die damals zweijährige Frist für die Geltendmachung von Beitragsrückforderungen mit dem Schluss des Kalenderjahrs einer Beitragsbeanstandung beginnen lässt(vgl dazu auch Noell/Rüller, Die Altershilfe für Landwirte, 1957, S 33 f). Eine entsprechende Bezugnahme enthält § 12 Abs 5 Satz 4 GAL idF vom 14.9.1965 (BGBl I 1449; vgl Noell/Rüller, Die Altershilfe für Landwirte, 1966, S 131; s allgemein auch BSG SozR Nr 70 zu § 77 SGG). Nachdem § 1424 RVO - im Zusammenhang mit der Einführung der §§ 26 ff SGB IV - bereits durch Art II § 1 Nr 1 Buchst b Sozialgesetzbuch (SGB) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - vom 23.12.1976 (BGBl I 3845) gestrichen worden war, erfolgte eine entsprechende Streichung in § 12 Abs 5 Satz 3 GAL durch Art II § 10 Nr 4 Sozialgesetzbuch (SGB) - Verwaltungsverfahren - vom 18.8.1980 (BGBl I 1469). Dementsprechend wird in der Literatur davon ausgegangen, dass sich die Verjährung des Beitragserstattungsanspruchs in der Altershilfe für Landwirte ab 1.7.1977 nach § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV richtet, wenn die LAK die Rechtswirksamkeit der Beiträge beanstandet hat(vgl Noell, Die Altershilfe für Landwirte, 1983, S 412).

17

Nach Auffassung des erkennenden Senats gibt es keine durchgreifenden systematischen Gründe gegen eine Geltung des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV für die AdL. Zwar mag es sich bei der Beitragsbeanstandung ursprünglich um ein Rechtsinstitut der allgemeinen gesetzlichen Rentenversicherung (vgl jetzt das SGB VI) handeln. Jedoch enthält das ab 1995 geltende ALG als Teil der besonderen Rentenversicherung im Grundsatz weitgehend übereinstimmende Regelungen betreffend Beitragsentrichtung (vgl § 71 ALG) und Berücksichtigung von Beitragszeiten (vgl § 17 ALG). Die sicher auch bestehenden Unterschiede zwischen beiden Bereichen (s dazu allgemein BSG, Urteil vom 25.2.2010 - B 10 LW 3/09 R - RdNr 70, zur Veröffentlichung in BSG/SozR vorgesehen) haben dem Gesetzgeber jedenfalls keine Veranlassung gegeben, entsprechend § 1 Abs 3 SGB IV im ALG eine Sonderregelung zu § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV vorzusehen.

18

Die §§ 26, 27 SGB IV setzen ein Beanstandungsrecht des Versicherungsträgers voraus, ohne dass sich im SGB VI oder im ALG eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage zur Beanstandung von Beiträgen findet. § 202 SGB VI enthält auch nur Regelungen für den Fall einer Beanstandung von Beiträgen. Insbesondere wird darin angeordnet, dass Beiträge, die in der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht gezahlt und deshalb beanstandet worden sind, grundsätzlich als freiwillige Beiträge gelten. Diese Vorschrift findet im ALG sicher vor allem deshalb keine Entsprechung, weil es dort nur in engen Grenzen die Möglichkeit einer freiwilligen Beitragsentrichtung gibt (vgl §§ 4, 5 ALG). Zwar enthält § 26 Abs 1 Satz 1 SGB IV eine spezielle Regelung betreffend die Beanstandung von Pflichtbeiträgen abhängig Beschäftigter. Daraus ist jedoch nicht zu schließen, dass die Beiträge von Selbstständigen nicht beanstandet werden können (vgl dazu BSGE 24, 13 = SozR Nr 2 zu § 1421 RVO; BSGE 49, 85 = SozR 2200 § 1422 Nr 1).

19

Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Rechtsinstitut der Beanstandung allein auf die Fälle einer Entrichtung von Pflichtbeiträgen ohne vorherige bescheidmäßige Feststellung der Versicherungspflicht anwendbar ist. Vielmehr hat das BSG bereits entschieden, dass der Träger der Handwerkerversicherung Beiträge ab einem bestimmten Zeitpunkt als unwirksam beanstanden kann, wenn er zunächst die Versicherungs- und Beitragspflicht eines selbstständigen Handwerkers festgestellt hat, die Voraussetzungen dafür aber später entfallen sind (vgl BSGE 49, 85 = SozR 2200 § 1422 Nr 1).

20

Schließlich sprechen auch Sinn und Zweck der Beanstandung für eine Anwendung des Rechtsinstituts im Bereich der AdL. Die Beanstandung dient der verbindlichen Feststellung der Unwirksamkeit von Beiträgen, auf deren Berücksichtigung beim Erwerb von Rentenanwartschaften der Versicherte sonst vertrauen würde (vgl dazu allgemein BSGE 58, 154, 156 = SozR 2100 § 27 Nr 4 S 12). Diesem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes dient gerade auch § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV. Wird nämlich der auf der erfolgten Beitragsentrichtung beruhende Vorsorgeplan des Versicherten durch die Beanstandung enttäuscht, so soll die Erstattung dieser Beiträge nicht daran scheitern, dass die nach der Beitragsentrichtung beginnende Verjährungsfrist (§ 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV) im Zeitpunkt der Beanstandung schon abgelaufen ist (vgl BSGE 68, 269, 271 = SozR 3-2400 § 27 Nr 1 S 4). Es ist nicht ersichtlich, warum dieser Sinn und Zweck der Beanstandung und der darauf bezogenen Verjährungsregelung des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV nicht auch im Bereich der AdL zum Tragen kommen soll.

21

c) Die Verjährung des Erstattungsanspruchs des Klägers begann hier erst mit Ablauf des Jahres 2004, weil die Beklagte die Rechtswirksamkeit der für die Zeit vom 1.7.1998 bis 31.12.1999 gezahlten Beiträge mit Bescheid vom 29.4.2004 beanstandet hat.

22

Bei der Beanstandung handelt es sich zwar um einen Verwaltungsakt (vgl dazu BSG SozR 1300 § 31 Nr 3; BSG, Urteil vom 22.3.1984 - 11 RA 66/83 - juris RdNr 11); dieser muss aber nicht selbstständig oder gesondert ergehen. Vielmehr kommt eine Beanstandung regelmäßig auch in einem Bescheid zum Ausdruck, der einen die Versicherungs- oder Beitragspflicht feststellenden Verwaltungsakt rückwirkend aufhebt und über die Erstattung der danach zu Unrecht entrichteten Beiträge entscheidet (vgl dazu BSGE 49, 85, 89 = SozR 2200 § 1422 Nr 1 S 2; BSG, Beschluss vom 27.9.1990 - 4 BA 208/89 - juris RdNr 7). Soweit sich aus den Entscheidungen des 11a. Senats vom 26.3. und 16.12.1987 (BSGE 61, 226, 228 = SozR 1200 § 39 Nr 5 S 4; BSG, Urteil vom 26.3.1987 - 11a RLw 2/86 - juris RdNr 13; BSG, Urteil vom 16.12.1987 - 11a RLw 2/87 - juris RdNr 12) zur Altershilfe für Landwirte etwas anderes ergibt, hält der erkennende Senat an dieser Rechtsprechung für die AdL nicht fest.

23

Da es das Rechtsinstitut der Beanstandung in der AdL gibt, ist die zuständige LAK auch verpflichtet, es anzuwenden, um im Interesse des Versicherten Klarheit zu schaffen und die gesetzlich vorgesehenen Wirkungen der Beanstandung zum Tragen kommen zu lassen (vgl dazu BSGE 58, 154, 156 = SozR 2100 § 27 Nr 4 S 12). Daraus ergibt sich für das Gericht die Befugnis, einen Verwaltungsakt, der - wie der Bescheid vom 29.4.2004 - im Verhältnis zu dem Versicherten inhaltlich die Feststellung der Unwirksamkeit von Beiträgen verbindlich regelt, dahin auszulegen, dass er eine Beanstandung iS des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV enthält.

24

d) Die am 1.1.2004 begonnene Verjährung ist noch nicht abgelaufen, weil sie durch die vom Kläger gegen den Bescheid vom 29.4.2004 eingelegten Rechtsbehelfe gehemmt worden ist (vgl § 27 Abs 3 SGB IV iVm § 204 BGB).

25

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Bei dem Bundessozialgericht wird ein Großer Senat gebildet.

(2) Der Große Senat entscheidet, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, nunmehr zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat besteht aus dem Präsidenten, je einem Berufsrichter der Senate, in denen der Präsident nicht den Vorsitz führt, je zwei ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreis der Versicherten und dem Kreis der Arbeitgeber sowie je einem ehrenamtlichen Richter aus dem Kreis der mit dem sozialen Entschädigungsrecht oder der Teilhabe behinderter Menschen vertrauten Personen und dem Kreis der Versorgungsberechtigten und der behinderten Menschen im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch. Legt der Senat für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, gehören dem Großen Senat außerdem je ein ehrenamtlicher Richter aus dem Kreis der Krankenkassen und dem Kreis der Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten an. Legt der Senat für Angelegenheiten des § 51 Abs. 1 Nr. 6a vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, gehören dem Großen Senat außerdem zwei ehrenamtliche Richter aus dem Kreis der von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände Vorgeschlagenen an. Sind Senate personengleich besetzt, wird aus ihnen nur ein Berufsrichter bestellt; er hat nur eine Stimme. Bei einer Verhinderung des Präsidenten tritt ein Berufsrichter des Senats, dem er angehört, an seine Stelle.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Den Vorsitz im Großen Senat führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(7) Der Große Senat entscheidet nur über die Rechtsfrage. Er kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Seine Entscheidung ist in der vorliegenden Sache für den erkennenden Senat bindend.

(1) Landwirte und mitarbeitende Familienangehörige werden auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, solange sie

1.
regelmäßig Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, vergleichbares Einkommen oder Erwerbsersatzeinkommen (Absatz 4) beziehen, das ohne Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft jährlich das Zwölffache der Geringfügigkeitsgrenze nach § 8 Absatz 1a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch überschreitet,
1a.
Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch beziehen, wenn sie im letzten Kalendermonat vor dem Bezug von Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch nicht versichert waren,
2.
wegen Erziehung eines Kindes in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig sind oder nur deshalb nicht versicherungspflichtig sind, weil sie nach § 56 Abs. 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch von der Anrechnung von Kindererziehungszeiten ausgeschlossen sind,
3.
wegen der Pflege eines Pflegebedürftigen in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig sind oder nur deshalb nicht versicherungspflichtig sind, weil sie von der Versicherungspflicht befreit sind, oder
4.
wegen der Ableistung von Wehr- und Zivildienst in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig sind oder nur deshalb nicht versicherungspflichtig sind, weil sie versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit sind.

(2) Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an. Der Antrag auf Befreiung kann im Falle der Erfüllung einer neuen Befreiungsvoraussetzung nach einer anderen Nummer des Absatzes 1 mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden; der Widerruf ist nur innerhalb von drei Monaten nach Erfüllung der neuen Befreiungsvoraussetzung möglich. Die Befreiung endet mit Ablauf des Kalendermonats, in dem der Widerruf eingegangen ist. § 34 Absatz 2 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(2a) Es wird unwiderlegbar vermutet, dass der Antrag auf Befreiung aufrechterhalten wird, solange eine der Befreiungsvoraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt und der Antrag auf Befreiung nicht widerrufen worden ist (Absatz 2 Satz 2 und 3). Die Befreiungsvoraussetzungen gelten auch dann als ununterbrochen erfüllt im Sinne von Satz 1, wenn für weniger als drei Kalendermonate das Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen des Absatzes 1 unterbrochen worden ist.

(2b) Tritt innerhalb von weniger als sechs Kalendermonaten nach dem Ende der Versicherungspflicht nach § 1 Absatz 1 Nummer 2 erneut eine entsprechende Versicherungspflicht ein und galt für die Zeit der vorherigen Versicherungspflicht eine Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 3 Absatz 1 Nummer 1, wird widerlegbar vermutet, dass der frühere Befreiungsantrag auch für die erneute versicherungspflichtige Tätigkeit nach § 1 Absatz 1 Nummer 2 gilt.

(3) Von der Versicherungspflicht wird auf Antrag auch befreit, wer die Wartezeit von 15 Jahren bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nicht mehr erfüllen kann. Absatz 2 gilt.

(4) Erwerbsersatzeinkommen sind Leistungen, die aufgrund oder in entsprechender Anwendung öffentlich-rechtlicher Vorschriften erbracht werden, um Erwerbseinkommen zu ersetzen. Hierzu zählen insbesondere

1.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, der gesetzlichen Unfallversicherung, einer berufsständischen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung oder Versorgungsbezüge nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen und vergleichbare Bezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis oder aus der Versorgung der Abgeordneten,
2.
Krankengeld, Versorgungskrankengeld, Verletztengeld, soweit es nicht nach § 55a Absatz 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch gewährt wird, oder Übergangsgeld, Arbeitslosengeld oder Unterhaltsgeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch und vergleichbare Leistungen von einem Sozialleistungsträger.
Erwerbsersatzeinkommen sind auch den in Satz 2 genannten Leistungen vergleichbare Leistungen, die von einer Stelle außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes erbracht werden, sowie die Renten einer Einrichtung der betrieblichen oder überbetrieblichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung. Kinderzuschuß, Kinderzulage und vergleichbare kindbezogene Leistungen bleiben außer Betracht. Wird eine Kapitalleistung oder anstelle einer wiederkehrenden Leistung eine Abfindung gezahlt, ist der Betrag als Einkommen zu berücksichtigen, der bei einer Verrentung der Kapitalleistung oder als Rente ohne die Abfindung zu zahlen wäre. Bei der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bleibt ein der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz entsprechender Betrag unberücksichtigt; bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vom Hundert bleiben zwei Drittel der Mindestgrundrente, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 vom Hundert bleibt ein Drittel der Mindestgrundrente unberücksichtigt.

(1) Der Zuschuß zum Beitrag wird monatlich geleistet und zum selben Zeitpunkt wie der Beitrag fällig.

(2) Der Zuschuß zum Beitrag wird von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Voraussetzungen erfüllt sind, wenn der Antrag bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats gestellt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird der Zuschuß von dem Kalendermonat an geleistet, in dem er beantragt wird. Bei rückwirkender Feststellung der Versicherungspflicht gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, daß die Frist mit Bekanntgabe des Bescheides über die Feststellung der Versicherungspflicht beginnt. Wird die Versicherungspflicht als Folge der Beendigung einer Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 3 Abs. 1 oder § 85 Abs. 3b rückwirkend festgestellt, gilt Satz 3 nur, wenn der Antrag aus Gründen, die der Berechtigte nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb der in Satz 1 genannten Frist gestellt worden ist.

(3) Sind der landwirtschaftlichen Alterskasse die nach § 32 Abs. 3 maßgebenden Einkommen vom Leistungsberechtigten nicht nachgewiesen worden, kann sie nur Vorschüsse zahlen. Ist das Einkommen aufgrund der Mitwirkung des Leistungsberechtigten oder seiner mangelnden Mitwirkung unrichtig festgestellt worden, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

(4) Ändern sich die für Grund oder Höhe des Zuschusses zum Beitrag maßgebenden Verhältnisse, ist der Verwaltungsakt vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben. In den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 2 ist der Verwaltungsakt von dem Zeitpunkt an aufzuheben, von dem an er auf dem geänderten Einkommensteuerbescheid beruht hat. Einer Anhörung nach § 24 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch bedarf es nicht, wenn sich das nach § 32 Absatz 3 Satz 3 maßgebende Einkommen geändert hat und diese Änderung berücksichtigt werden soll.

(5) (weggefallen)

(1) Landwirte und mitarbeitende Familienangehörige werden auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, solange sie

1.
regelmäßig Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, vergleichbares Einkommen oder Erwerbsersatzeinkommen (Absatz 4) beziehen, das ohne Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft jährlich das Zwölffache der Geringfügigkeitsgrenze nach § 8 Absatz 1a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch überschreitet,
1a.
Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch beziehen, wenn sie im letzten Kalendermonat vor dem Bezug von Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch nicht versichert waren,
2.
wegen Erziehung eines Kindes in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig sind oder nur deshalb nicht versicherungspflichtig sind, weil sie nach § 56 Abs. 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch von der Anrechnung von Kindererziehungszeiten ausgeschlossen sind,
3.
wegen der Pflege eines Pflegebedürftigen in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig sind oder nur deshalb nicht versicherungspflichtig sind, weil sie von der Versicherungspflicht befreit sind, oder
4.
wegen der Ableistung von Wehr- und Zivildienst in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig sind oder nur deshalb nicht versicherungspflichtig sind, weil sie versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit sind.

(2) Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an. Der Antrag auf Befreiung kann im Falle der Erfüllung einer neuen Befreiungsvoraussetzung nach einer anderen Nummer des Absatzes 1 mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden; der Widerruf ist nur innerhalb von drei Monaten nach Erfüllung der neuen Befreiungsvoraussetzung möglich. Die Befreiung endet mit Ablauf des Kalendermonats, in dem der Widerruf eingegangen ist. § 34 Absatz 2 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(2a) Es wird unwiderlegbar vermutet, dass der Antrag auf Befreiung aufrechterhalten wird, solange eine der Befreiungsvoraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt und der Antrag auf Befreiung nicht widerrufen worden ist (Absatz 2 Satz 2 und 3). Die Befreiungsvoraussetzungen gelten auch dann als ununterbrochen erfüllt im Sinne von Satz 1, wenn für weniger als drei Kalendermonate das Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen des Absatzes 1 unterbrochen worden ist.

(2b) Tritt innerhalb von weniger als sechs Kalendermonaten nach dem Ende der Versicherungspflicht nach § 1 Absatz 1 Nummer 2 erneut eine entsprechende Versicherungspflicht ein und galt für die Zeit der vorherigen Versicherungspflicht eine Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 3 Absatz 1 Nummer 1, wird widerlegbar vermutet, dass der frühere Befreiungsantrag auch für die erneute versicherungspflichtige Tätigkeit nach § 1 Absatz 1 Nummer 2 gilt.

(3) Von der Versicherungspflicht wird auf Antrag auch befreit, wer die Wartezeit von 15 Jahren bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nicht mehr erfüllen kann. Absatz 2 gilt.

(4) Erwerbsersatzeinkommen sind Leistungen, die aufgrund oder in entsprechender Anwendung öffentlich-rechtlicher Vorschriften erbracht werden, um Erwerbseinkommen zu ersetzen. Hierzu zählen insbesondere

1.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, der gesetzlichen Unfallversicherung, einer berufsständischen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung oder Versorgungsbezüge nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen und vergleichbare Bezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis oder aus der Versorgung der Abgeordneten,
2.
Krankengeld, Versorgungskrankengeld, Verletztengeld, soweit es nicht nach § 55a Absatz 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch gewährt wird, oder Übergangsgeld, Arbeitslosengeld oder Unterhaltsgeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch und vergleichbare Leistungen von einem Sozialleistungsträger.
Erwerbsersatzeinkommen sind auch den in Satz 2 genannten Leistungen vergleichbare Leistungen, die von einer Stelle außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes erbracht werden, sowie die Renten einer Einrichtung der betrieblichen oder überbetrieblichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung. Kinderzuschuß, Kinderzulage und vergleichbare kindbezogene Leistungen bleiben außer Betracht. Wird eine Kapitalleistung oder anstelle einer wiederkehrenden Leistung eine Abfindung gezahlt, ist der Betrag als Einkommen zu berücksichtigen, der bei einer Verrentung der Kapitalleistung oder als Rente ohne die Abfindung zu zahlen wäre. Bei der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bleibt ein der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz entsprechender Betrag unberücksichtigt; bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vom Hundert bleiben zwei Drittel der Mindestgrundrente, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 vom Hundert bleibt ein Drittel der Mindestgrundrente unberücksichtigt.

(1) Der Zuschuß zum Beitrag wird monatlich geleistet und zum selben Zeitpunkt wie der Beitrag fällig.

(2) Der Zuschuß zum Beitrag wird von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Voraussetzungen erfüllt sind, wenn der Antrag bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats gestellt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird der Zuschuß von dem Kalendermonat an geleistet, in dem er beantragt wird. Bei rückwirkender Feststellung der Versicherungspflicht gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, daß die Frist mit Bekanntgabe des Bescheides über die Feststellung der Versicherungspflicht beginnt. Wird die Versicherungspflicht als Folge der Beendigung einer Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 3 Abs. 1 oder § 85 Abs. 3b rückwirkend festgestellt, gilt Satz 3 nur, wenn der Antrag aus Gründen, die der Berechtigte nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb der in Satz 1 genannten Frist gestellt worden ist.

(3) Sind der landwirtschaftlichen Alterskasse die nach § 32 Abs. 3 maßgebenden Einkommen vom Leistungsberechtigten nicht nachgewiesen worden, kann sie nur Vorschüsse zahlen. Ist das Einkommen aufgrund der Mitwirkung des Leistungsberechtigten oder seiner mangelnden Mitwirkung unrichtig festgestellt worden, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

(4) Ändern sich die für Grund oder Höhe des Zuschusses zum Beitrag maßgebenden Verhältnisse, ist der Verwaltungsakt vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben. In den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 2 ist der Verwaltungsakt von dem Zeitpunkt an aufzuheben, von dem an er auf dem geänderten Einkommensteuerbescheid beruht hat. Einer Anhörung nach § 24 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch bedarf es nicht, wenn sich das nach § 32 Absatz 3 Satz 3 maßgebende Einkommen geändert hat und diese Änderung berücksichtigt werden soll.

(5) (weggefallen)

(1) Der Erstattungsanspruch ist nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags, beim Fehlen eines Antrags nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Erstattung bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. Verzinst werden volle Euro-Beträge. Dabei ist der Kalendermonat mit dreißig Tagen zugrunde zu legen.

(2) Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Beanstandet der Versicherungsträger die Rechtswirksamkeit von Beiträgen, beginnt die Verjährung mit dem Ablauf des Kalenderjahrs der Beanstandung.

(3) Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. Die Verjährung wird auch durch Antrag auf Erstattung oder durch Erhebung eines Widerspruchs gehemmt. Die Hemmung endet sechs Monate nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Antrag oder den Widerspruch.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von zur gesetzlichen Unfallversicherung für die Jahre 1996 bis 2001 entrichteten Beiträgen streitig.

2

Die Klägerin betreibt seit 1983 einen Bade- und Saunabetrieb. Sie wurde von der Beklagten wegen der Unternehmensart "Masseure, Med. Bademeister, Kurbäder" mit dem Strukturschlüssel 5000 ab 1.1.1996 zur Gefahrtarifstelle 8 und Gefahrklasse 7,5, ab 1.1.2001 zur Gefahrklasse 6,8 veranlagt (Bescheide vom 28.6.1996 und 3.7.2001).

3

Mit Schreiben vom 16.1.2007 machte die Klägerin unter Hinweis auf den von ihr geführten Saunabetrieb eine Überprüfung ihrer Veranlagung sowie eine Beitragserstattung geltend. Die Beklagte veranlagte sie daraufhin ab 1.1.2007 nach dem Strukturschlüssel 5000 ("Masseure, medizinische Bademeister") zur Gefahrtarifstelle 8 und Gefahrklasse 6,5 sowie ab 1.2.2007 nach dem Strukturschlüssel 6000 ("Saunabetriebe") zur Gefahrtarifstelle 7 und Gefahrklasse 3,5 (Bescheide vom 5.2.2007).

4

Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 1.3.2007 Widerspruch gegen die Veranlagung für Januar 2007. Zudem beantragte sie, die Beitragsbescheide für die Jahre 1983 bis 2005 aufzuheben, die Beiträge nach der Gefahrtarifstelle 7 neu festzusetzen und überzahlte Beiträge zu erstatten. Die Beklagte half dem Widerspruch mit Bescheid vom 30.5.2007 ab. Darüber hinaus teilte sie mit, dass dem Antrag auf Änderung der Veranlagung rückwirkend für die Vergangenheit stattgegeben werde und die "Beitragsbescheide … innerhalb des Verjährungszeitraums des § 27 Abs 2 SGB IV zu berichtigen" seien. Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 11.9.2007 darauf hingewiesen hatte, dass der Widerspruch auf "die Beitragserstattung der Jahre 1996 bis 2001 beschränkt" werde, wies die Beklagte den "Widerspruch vom 01.03.2007 (eingegangen am 03.03.2007) gegen den Veranlagungsbescheid vom 05.02.2007" zurück, "soweit ihm nicht bereits durch rückwirkende Beitragskorrektur ab dem Umlagejahr 2002 abgeholfen wurde". Die Erstattungsansprüche in Bezug auf die Umlagejahre 1996 bis 2001 seien verjährt (Widerspruchsbescheid vom 20.2.2008).

5

Das SG Berlin hat den Bescheid der Beklagten vom 5.2.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.2.2008 insoweit aufgehoben, als die Erstattung rechtsgrundlos geleisteter Beiträge für die Jahre 1996 bis 2001 abgelehnt wurde und die Beklagte verurteilt, die Klägerin hinsichtlich dieses Erstattungsbegehrens neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 22.8.2011). Das LSG Berlin-Brandenburg hat das Urteil des SG geändert, die Beklagte unter Änderung ihres Bescheids vom 30.5.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20.2.2008 verpflichtet, die Veranlagungs- und Beitragsbescheide für die Jahre 1996 bis 2001 aufzuheben, die Klägerin für diesen Zeitraum zur Gefahrtarifstelle 7 (Saunabetriebe) zu veranlagen sowie Beiträge nach der jeweiligen Gefahrklasse der Gefahrtarifstelle 7 neu festzusetzen. Außerdem hat es die Beklagte verurteilt, die Klägerin hinsichtlich der Erstattung rechtsgrundlos geleisteter Beiträge für die Jahre 1996 bis 2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der schriftsätzlich gestellte Berufungsantrag sei im Sinne des Klagevorbringens auszulegen. Dem Beitragserstattungsanspruch habe eine Aufhebung der Veranlagungs- und Beitragsbescheide logisch voranzugehen. Mit der unzutreffenden Veranlagung gehe die Neufestsetzung der Beiträge einher. Gegen den daraus resultierenden Erstattungsanspruch stehe der Beklagten aber die Verjährungseinrede zu. Der Beginn der Verjährung sei nicht von der vorherigen Entstehung des Erstattungsanspruchs abhängig. Dafür spreche ungeachtet der nicht einheitlichen Rechtsprechung des BSG der eindeutige Wortlaut des § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV. Gründe, welche die Erhebung der Verjährungseinrede als treuwidrig erscheinen ließen, seien nicht zu erkennen. Die Klägerin hätte die unrichtige Veranlagung ohne Weiteres erkennen können. Eine den Verzicht auf die Verjährungseinrede begründende Ermessensreduzierung auf Null liege nicht vor. Allerdings sei eine Ermessensausübung zugunsten der Klägerin in einem späteren Rückabwicklungsverfahren nicht ausgeschlossen (Urteil vom 23.1.2014).

6

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 27 SGB IV. Der Anspruch auf Beitragserstattung setze denklogisch die vorherige Aufhebung der zugrundeliegenden Veranlagungs- und Beitragsbescheide voraus. Damit könne die Verjährung erst mit der Entstehung des Erstattungsanspruchs in Lauf gesetzt werden. Im Falle der Verjährung eines rückwirkend entstehenden Erstattungsanspruchs würde der mit ihr verfolgte Zweck vereitelt. § 27 Abs 2 SGB IV gehe vom Regelfall aus, dass Beiträge ohne zugrundeliegenden Verwaltungsakt rechtsgrundlos geleistet würden. Erst mit der Aufhebung des Beitragsbescheids seien Beiträge "zu Unrecht" im Sinne dieser Vorschrift geleistet. Für diese Rechtsansicht spreche nicht nur die Rechtsprechung des BSG zur Arbeitslosenversicherung, sondern auch der systematische Zusammenhang mit § 160 Abs 2 Nr 2 SGB VII. Da die Überzahlung der Beiträge auf einer fehlerhaften Veranlagung der Beklagten beruhe, stelle die Erhebung der Verjährungseinrede im Übrigen eine unzulässige Rechtsausübung dar.

7

Die Klägerin beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Januar 2014 und des Sozialgerichts Berlin vom 22. August 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Februar 2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr überzahlte Beiträge in Höhe von 31 045,71 Euro zu erstatten.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Die auf Beitragserstattung gerichtete Klage sei unzulässig, weil es insoweit an einem durchgeführten Vorverfahren fehle. Im Übrigen stelle § 27 SGB IV für den Verjährungsbeginn auf den Zeitpunkt ab, in dem die Beiträge entrichtet worden seien. Die Verjährung könnte niemals eintreten, wenn sie erst mit der Aufhebung der Beitragsbescheide beginnen würde.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision, mit der nur noch die Erstattung überzahlter Beiträge begehrt wird, ist zulässig aber unbegründet.

11

Allerdings ist die Klage zulässig erhoben worden. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG), mit der unter Aufhebung entgegenstehender Verwaltungsakte die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung überzahlter Beiträge geltend gemacht wird. Eine solche Anfechtungsklage ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG). An dieser Klagebefugnis fehlt es zwar, wenn eine Verletzung subjektiver Rechte nicht in Betracht kommt (BSG vom 14.11.2002 - B 13 RJ 19/01 R - BSGE 90, 127, 130 = SozR 3-5795 § 10d Nr 1 S 4), weil hinsichtlich des Klagebegehrens eine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung nicht vorliegt (BSG vom 28.10.2008 - B 8 SO 33/07 R - SozR 4-1500 § 77 Nr 1 RdNr 13). Solange der zuständige Unfallversicherungsträger nicht über einen Leistungsanspruch entschieden hat, kann der Versicherte, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde (§ 88 SGG), kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung haben. Entsprechendes gilt für die mit der Anfechtungsklage kombinierte (unechte) Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG). Auch sie setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger die begehrte Leistung versagt hat und kommt daher vor dem Erlass einer ablehnenden Verwaltungsentscheidung nicht in Betracht (BSG vom 21.9.2010 - B 2 U 25/09 R - Juris RdNr 17).

12

Der Bescheid der Beklagten vom 30.5.2007 enthält bei verständiger Auslegung (§ 133 BGB) eine die Beitragserstattung versagende Regelung iS des § 31 Satz 1 SGB X. Den Inhalt eines Verwaltungsakts hat das Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit festzustellen. Dabei ist Maßstab der Auslegung der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat. Ausschlaggebend ist der objektive Sinngehalt der Erklärung, das objektivierte Empfängerverständnis. Zur Bestimmung des objektiven Regelungsgehalts eines Verwaltungsakts kommt es darauf an, wie Adressaten und Drittbetroffene ihn nach Treu und Glauben verstehen mussten oder durften. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (BSG vom 3.4.2014 - B 2 U 25/12 R - BSGE 115, 256 = SozR 4-2700 § 136 Nr 6, RdNr 15 mwN). Gemessen daran durfte die Klägerin aufgrund der Formulierung in dem Bescheid vom 30.5.2007, die "Beitragsbescheide sind innerhalb des Verjährungszeitraumes nach § 27 Abs. 2 SGB IV zu berichtigen" davon ausgehen, dass hiermit über ihren mit Schreiben vom 16.1.2007 gestellten und mit weiterem Schreiben vom 1.3.2007 wiederholten Antrag auf Erstattung überzahlter Beiträge für die Zeit von 1996 bis 2001 entschieden werden sollte. Aus der verlautbarten Erklärung wird deutlich, dass die Beklagte eine die Klägerin begünstigende Korrektur der Beitragsfestsetzung und damit eine Beitragserstattung ablehnt, weil und soweit ihr die Verjährung entgegensteht.

13

Über den Anspruch auf Beitragserstattung für die Jahre 1996 bis 2001 ist auch im Widerspruchsbescheid vom 20.2.2008 entschieden worden, sodass die Zulässigkeit der Klage ferner nicht an einem fehlenden Vorverfahren gemäß § 78 Abs 1 SGG scheitert. Durchgeführt ist ein Vorverfahren erst dann, wenn im Anschluss an eine Nachprüfung der mit dem Widerspruch angefochtenen Verwaltungsentscheidung ein auf diese bezogener Widerspruchsbescheid ergangen ist. Ob das der Fall ist, bestimmt sich ebenfalls durch Feststellung des objektiven Erklärungsinhalts des Widerspruchsbescheids im Wege der Auslegung (§ 133 BGB), zu der das Revisionsgericht befugt ist. Hierbei sind sowohl die Entscheidungsformel als auch die Begründung des Widerspruchsbescheids zu berücksichtigen (BSG vom 25.4.2007 - B 12 AL 2/06 R - Juris RdNr 15 ff). Danach enthält der Widerspruchsbescheid der Beklagten auch eine Entscheidung zum geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der von 1996 bis 2001 zu Unrecht entrichteten Beiträge, auch wenn nach der Entscheidungsformel lediglich der "Widerspruch vom 01.03.2007 (eingegangen am 03.03.2007) gegen den Veranlagungsbescheid vom 05.02.2007" zurückgewiesen wird. Für eine solche Auslegung spricht schon, dass der Widerspruch zurückgewiesen wird, "soweit ihm nicht bereits durch rückwirkende Beitragskorrektur ab dem Umlagejahr 2002 abgeholfen wurde" und damit ausdrücklich eine Beziehung zur Beitragserstattung hergestellt wird. Zudem weist die Beklagte in der Begründung ausdrücklich darauf hin, dass der Antrag auf Erstattung der Beiträge "für die Jahre 1996 bis 2001" strittig geblieben sei und infolge "Verjährung der Rückerstattungsansprüche" eine Beitragskorrektur ausscheide. Diese Auseinandersetzung mit dem Erstattungsanspruch und seine Ablehnung aufgrund eingetretener Verjährung konnte die Klägerin als Erklärungsempfängerin nur so verstehen, dass die Beklagte auf ihren Widerspruch hin über die Beitragserstattung für die Jahre 1996 bis 2001 entschieden hat.

14

Die Klage hat indes in der Sache keinen Erfolg. Die Ablehnung der Beitragserstattung in dem Bescheid der Beklagten vom 30.5.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.2.2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen durchsetzbaren Anspruch auf Erstattung der in den Jahren 1996 bis 2001 zu Unrecht geleisteten Beiträge. Der Erstattungsanspruch (dazu 1.) ist hinsichtlich der Beitragszahlungen für die Jahre 1996 bis 2001 verjährt (dazu 2.). Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung rechtsfehlerfrei erhoben (dazu 3.).

15

1. Nach § 26 Abs 2 Halbs 1 SGB IV in der hier maßgebenden Fassung der Bekanntmachung vom 23.1.2006 (BGBl I 86) sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, der Versicherungsträger hat bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs aufgrund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen. Die Voraussetzungen dieser auch in der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich anwendbaren Erstattungsnorm (BSG vom 2.2.1999 - B 2 U 3/98 R - BSGE 83, 270, 276 = SozR 3-2400 § 26 Nr 11 S 56) sind hier erfüllt. Die Klägerin hat für die Jahre 1996 bis 2001 Beiträge nach der Gefahrtarifstelle 8 ohne Rechtsgrund (vgl hierzu BSG vom 31.3.2015 - B 12 AL 4/13 R - SozR 4-2400 § 27 Nr 6 RdNr 13 mwN)gezahlt. Für diese Beitragsentrichtung war weder eine materiell- noch formal-rechtliche Grundlage gegeben. Die Beiträge wurden fälschlicherweise nach der Gefahrtarifstelle 8 anstelle der Gefahrtarifstelle 7 bemessen. Die Beklagte ist zudem aufgrund des lediglich von der Klägerin angegriffenen Urteils des LSG nach § 44 Abs 1 SGB X verpflichtet, die Verwaltungsakte über die Beitragsfestsetzungen für die Jahre 1996 bis 2001 aufzuheben. Dem Erstattungsanspruch steht auch nicht die so genannte Verfallklausel des § 26 Abs 2 Halbs 1 Teils 2 SGB IV entgegen. Diese ist von vornherein ausgeschlossen, wenn es - wie hier - an jeglichem Zusammenhang zwischen den zu erstattenden Beiträgen und erbrachten oder zu erbringenden Leistungen fehlt, weil die Rechtswidrigkeit der Beitragserhebung auf einer unrichtigen Veranlagung zum Gefahrtarif beruht (BSG vom 26.1.1988 - 2 RU 5/87 - BSGE 63, 18, 24 f = SozR 1300 § 44 Nr 31 S 86).

16

2. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch ist jedoch verjährt. Nach § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV verjährt der Erstattungsanspruch des § 26 Abs 2 SGB IV in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Die Verjährung hinsichtlich der für die Jahre 1996 bis 2001 im jeweiligen Nachfolgejahr entrichteten Beiträge trat daher mit Ablauf des 31.12.2006 ein. Der erst im Januar 2007 gestellte Antrag auf Erstattung überzahlter Beiträge konnte daher die Verjährung nicht hemmen iS des § 27 Abs 3 Satz 2 SGB IV.

17

Dass die Beklagte erst durch das hier angegriffene Urteil verpflichtet wurde, die der Beitragsbemessung zugrundeliegenden Verwaltungsakte über die Veranlagung und Beitragserhebung aufzuheben, führt zu keinem anderen Ergebnis. Entgegen der Auffassung der Revision beginnt die Verjährung nicht erst mit der Kassation der die Beitragsschuld begründenden Verwaltungsentscheidung. Der erkennende Senat schließt sich in Fortsetzung seiner eigenen Rechtsprechung (Urteil vom 26.1.1988 - 2 RU 5/87 - BSGE 63, 18 = SozR 1300 § 44 Nr 31)nach nochmaliger Überprüfung dem 12. Senat des BSG an. Dieser hat zuletzt unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung mit Urteil vom 31.3.2015 (B 12 AL 4/13 R - SozR 4-2400 § 27 Nr 6)entschieden, dass die in § 27 Abs 2 SGB IV für den Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge normierte Verjährungsfrist auch dann mit Ablauf des Kalenderjahres der Beitragsentrichtung beginnt, wenn der Erstattungsanspruch später oder sogar erst nach Ablauf der Verjährungsfrist entstehen sollte. Dabei hat er sich auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, den mit ihr verfolgten Zweck sowie das Regelungskonzept der §§ 25 ff SGB IV gestützt. Zudem hat er zur Begründung ausgeführt, dass der an den Zeitpunkt der Beitragsentrichtung anknüpfende Verjährungsbeginn den Anforderungen an eine verfassungskonforme Inhaltsbestimmung des Eigentums iS des Art 14 Abs 1 Satz 2 GG genüge. Zwar ist einzuräumen, dass Gegenstand der Verjährung nur ein entstandener Anspruch sein kann. Daraus folgt aber nicht denknotwendig, dass die Verjährung jeweils erst mit dem Entstehen des Anspruchs beginnen kann oder darf. Der Gesetzgeber ist vielmehr nicht gehindert, für den Beginn der Verjährung an unterschiedliche Ereignisse anzuknüpfen (vgl §§ 199 ff BGB)und im Falle eines überhaupt entstandenen Anspruchs auf einen früheren Zeitpunkt als den seiner Entstehung abzustellen. Infolgedessen kann offenbleiben, ob im Falle der Aufhebung eines Verwaltungsakts über die Beitragsfestsetzung der Erstattungsanspruch mit Wirkung ex nunc ab dem Zeitpunkt dieser Aufhebung oder mit Wirkung ex tunc bereits ab dem Zeitpunkt der fehlerhaften Beitragsentrichtung entsteht.

18

Das Revisionsvorbringen führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Einwand der Klägerin, der Wortlaut des § 27 Abs 2 SGB IV gelte lediglich für den Regelfall einer Beitragsentrichtung ohne dass dieser ein Verwaltungsakt zugrunde liege, geht fehl. Der Gesetzestext knüpft an das Kalenderjahr an, "in dem die Beiträge entrichtet worden sind", ohne nach der rechtlichen Grundlage für die Beitragsforderung zu differenzieren. Eine Begrenzung der Verjährungsvorschrift auf nur eine bestimmte Gruppe von Beitragszahlungen betreffende Erstattungsansprüche ist auch der Gesetzeshistorie nicht zu entnehmen. Durch § 27 Abs 2 SGB IV sollte vielmehr die Regelung des § 45 SGB I über die Verjährung von Sozialleistungen auf Erstattungsansprüche erstreckt werden(BT-Drucks 7/4122 S 34 zu § 26). Hinweise darauf, dass die Verjährungsregelung nicht für Beitragszahlungen, die erst aufgrund eines entsprechenden Verwaltungsakts entstehen, gelten soll, lassen sich den Gesetzesmaterialien hingegen nicht entnehmen.

19

Eine Auslegung des § 27 Abs 2 SGB IV im Sinne der Revision ist auch nicht durch den mit dem Rechtsinstitut der Verjährung verbundenen allgemeinen Zweck geboten. Verjährungsregelungen dienen zwar einem angemessenen Ausgleich der Interessen von Schuldner und Gläubiger. Der Gläubiger muss eine faire Chance haben, seine Ansprüche zu verfolgen (BGH vom 17.6.2005 - V ZR 202/04 - NJW-RR 2005, 1683, 1686). Er muss daher auch in die Lage versetzt werden, sich gegen oder für die Geltendmachung eines Anspruchs entscheiden zu können. Gerade daran aber ist der Erstattungsberechtigte, der aufgrund eines ihm bekannt gegebenen Verwaltungsakts Beiträge entrichtet, nicht gehindert. Gegen den die Beitragsbelastung feststellenden Verwaltungsakt kann Widerspruch und anschließend Klage erhoben werden. Ist die Rechtsmittelfrist abgelaufen, besteht darüber hinaus grundsätzlich die Möglichkeit der Überprüfung bestandskräftig festgestellter Beitragsforderungen im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 Abs 1 SGB X. Zwar führt der auf den Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung festgelegte Beginn der Verjährung gemäß § 27 Abs 2 SGB IV gegebenenfalls dazu, dass einem Erstattungsanspruch, der erst durch die Aufhebung des die Beitragspflicht feststellenden Verwaltungsakts begründet wird, von vornherein die Einrede der Verjährung entgegengehalten werden kann, wenn die Beitragsentrichtung entsprechend lange zurückliegt. Dieses Ergebnis ist aber dem vermeidbaren Umstand geschuldet, dass der Gläubiger von einer rechtlichen Kontrolle der festgesetzten Beitragslast und der Geltendmachung überzahlter Beiträge über einen Zeitraum von mindestens vier Jahren aus eigenem Entschluss abgesehen hat. Auch bei dem hier angenommen Verjährungsbeginn mit Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung wird dem Zweck der Verjährung, eine Übergangsfrist in Bezug auf die Prüfung und Geltendmachung von Ansprüchen einzuräumen, mithin hinreichend Rechnung getragen.

20

Auch die Besonderheiten der gesetzlichen Unfallversicherung bedingen keine andere Einschätzung. Nach § 1 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IV gelten die Vorschriften des SGB IV für die gesetzliche Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte, die soziale Pflegeversicherung sowie mit Ausnahme des Ersten und Zweiten Teils des Vierten Abschnitts und des Fünften Abschnitts auch für die Arbeitsförderung. Vom Geltungsbereich des SGB IV ist daher auch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst. Ausgenommen sind lediglich Vorschriften der jeweiligen Sozialleistungsbereiche, soweit sie von den Bestimmungen des SGB IV abweichen, sie bleiben unberührt (§ 1 Abs 3 SGB IV). Das SGB VII enthält keine § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV ausdrücklich verdrängende Regelung. Anders als § 351 Abs 1 Satz 2 SGB III, der § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV für die Beitragserstattung der Arbeitsförderung ausdrücklich ausschließt, ordnet das SGB VII an keiner Stelle die Unanwendbarkeit des § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV an.

21

Auch das unfallversicherungsrechtliche Regelungskonzept der §§ 160 und 168 SGB VII steht einem Verjährungsbeginn mit Ablauf des Kalenderjahres der Beitragsentrichtung nicht entgegen. § 160 SGB VII normiert die Aufhebung des nach § 159 SGB VII erlassenen Veranlagungsbescheids und bestimmt den Zeitpunkt für das Wirksamwerden der Aufhebung. § 160 SGB VII ordnet einerseits die Aufhebung der ursprünglich rechtmäßigen Veranlagung bei Unternehmensänderungen für die Zukunft an(Abs 1) und normiert andererseits die Voraussetzungen, unter denen die Veranlagung mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben wird (Abs 2). In allen übrigen Fällen wird die Veranlagung mit Beginn des Monats, der der Bekanntgabe des Änderungsbescheids folgt, aufgehoben (Abs 3). Diese Regelungen verdrängen als lex specialis die §§ 44 ff SGB X oder werden durch diese Vorschriften ergänzt(BT-Drucks 13/2204 S 112 zu § 160; BSG vom 9.12.2003 - B 2 U 54/02 R - BSGE 91, 287 = SozR 4-2700 § 160 Nr 1, RdNr 25 ff). Sie beeinflussen aber nicht die für sämtliche Sozialversicherungszweige geltende gemeinsame Verjährungsregelung des § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV. Weder dem Wortlaut des § 160 SGB VII noch seinem Regelungsinhalt und auch nicht den Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung, die lediglich auf die Vorgängerregelung des § 734 Abs 2 RVO verweisen(BT-Drucks 13/2204 S 112 zu § 160), lassen sich Vorgaben oder ansatzweise Hinweise zu den beitragsrechtlichen Konsequenzen einer im Nachhinein veränderten Veranlagung entnehmen. § 160 SGB VII bestimmt ausschließlich, unter welchen Voraussetzungen und zu welchem Zeitpunkt eine Veranlagung iS des § 159 SGB VII zu korrigieren ist. Die Norm enthält aber gerade keine Regelung über die Durchsetzbarkeit einer mit der geänderten Veranlagung einhergehenden Beitragsrückforderung.

22

Auch zwischen § 168 SGB VII und § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV lässt sich kein systematischer Zusammenhang herleiten, nach dem die Regelung des § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV im SGB VII keine Anwendung finden soll. § 168 SGB VII regelt die Schriftform des Beitragsbescheids(Abs 1), zählt die Fälle auf, in denen ein Beitragsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zuungunsten des Unternehmers aufzuheben ist (Abs 2), sieht eine Satzungsermächtigung für die Selbstberechnung des Beitrags durch die Unternehmer vor (Abs 3) und bestimmt eine Ausnahme für die Feststellung des Beitrags bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten (Abs 4). Beitragskorrekturen zugunsten des Unternehmers sind indes gerade nicht Gegenstand der Vorschrift, sie richten sich nach § 44 SGB X. Dass § 44 Abs 4 SGB X lediglich den Sozialleistungsanspruch auf längstens vier Jahre vor der Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts begrenzt, ist aber gerade durch die für die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge maßgebenden besonderen Bestimmungen der §§ 26 und 27 SGB IV bedingt(vgl BT-Drucks 8/2034 S 34 zu § 42).

23

3. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung rechtsfehlerfrei erhoben. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sie das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt und ihre Ermessensbetätigung in dem angefochtenen Verwaltungsakt hinreichend begründet hat. Die in dem Urteil des LSG ausgesprochene Verurteilung der Beklagten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, ist von der Beklagten nicht mit der Revision angegriffen worden und damit in Rechtskraft erwachsen. Für die Ermessensbetätigung relevante Gesichtspunkte, die eine sog Ermessensreduktion auf Null naheliegend erscheinen lassen und ausnahmsweise hätten Anlass geben können, von der Verjährungseinrede abzusehen, sind nicht erkennbar. Der Erhebung der Verjährungseinrede durch die Beklagte steht auch nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen (vgl hierzu BSG vom 12.12.2007 - B 12 AL 1/06 R - BSGE 99, 271 = SozR 4-2400 § 27 Nr 3, RdNr 13). Zwar geht die rechtswidrige Beitragserhebung auf ein Fehlverhalten der Beklagten zurück. Das fehlerhafte Verwaltungshandeln schließt aber jedenfalls dann nicht die Erhebung der Verjährungseinrede aus, wenn - wie hier - der Gläubiger des Erstattungsanspruchs die unrichtige Beitragsentrichtung aufgrund einer rechtswidrigen Veranlagung ohne Weiteres hätte erkennen können. Das war nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG der Fall. Diese den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen (§ 163 SGG) sind nicht mit zulässig erhobenen Verfahrensrügen angegriffen worden.

24

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

(1) Der Erstattungsanspruch ist nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags, beim Fehlen eines Antrags nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Erstattung bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. Verzinst werden volle Euro-Beträge. Dabei ist der Kalendermonat mit dreißig Tagen zugrunde zu legen.

(2) Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Beanstandet der Versicherungsträger die Rechtswirksamkeit von Beiträgen, beginnt die Verjährung mit dem Ablauf des Kalenderjahrs der Beanstandung.

(3) Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. Die Verjährung wird auch durch Antrag auf Erstattung oder durch Erhebung eines Widerspruchs gehemmt. Die Hemmung endet sechs Monate nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Antrag oder den Widerspruch.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.