Bundesgerichtshof Urteil, 28. Sept. 2016 - IV ZR 41/14

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:280916UIVZR41.14.0
bei uns veröffentlicht am28.09.2016
vorgehend
Amtsgericht Kamenz, 2 C 631/11, 24.05.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 41/14 Verkündet am:
28. September 2016
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2016:280916UIVZR41.14.0

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftlichen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 14. September 2016 eingereicht werden konnten,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz vom 3. Januar 2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 4.262,34 € festgesetzt.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer, im Folgenden: d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden: Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Lebensversicherung.
2
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Oktober 2001 abgeschlossen. Im Antragsformular befand sich eine Belehrung über das Rücktrittsrecht.
3
Mit Schreiben vom 28. Januar 2010 erklärte d. VN "den Widerspruch gemäß § 5a VVG/den Widerspruch nach § 8 VVG, vorsorglich die Anfechtung nach § 119 BGB, hilfsweise die Kündigung". Der Versicherer akzeptierte die Kündigung zum 1. März 2010 und zahlte das Fondsguthaben zuzüglich Beitragsguthaben aus. Mit Schreiben vom 24. Juni 2011 wiederholte d. VN "den Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. bzw. nach § 8 VVG".
4
Mit der Klage verlangt d. VN - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts, insgesamt 4.262,34 €.
5
Nach Auffassung d. VN hat er wirksam den Widerspruch nach § 5a VVG a.F. erklärt. Falls der Vertrag im so genannten Antragsmodell des § 8 VVG in der seinerzeit gültigen Fassung vom 21. Juli 1994 (im Folgenden : § 8 VVG a.F.) geschlossen worden sei, sei er wirksam vom Versicherungsvertrag zurückgetreten. Da er nicht ordnungsgemäß über das Rücktrittsrecht belehrt worden sei, habe er auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. den Rücktritt noch erklären können.
6
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

7
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
8
I. Dieses hat angenommen, dass der Vertrag nach dem Antragsmodell zustande gekommen sei. D. VN habe die vollständige Verbraucherinformation und die Allgemeinen Versicherungsbedingungen bei Antragstellung vom Versicherer erhalten. Das Berufungsgericht hat zu der Auffassung tendiert, der klagende VN sei als angeblicher Bereicherungsgläubiger darlegungs- und beweispflichtig dafür, die erforderlichen Informationen nicht erhalten zu haben. Selbst wenn man eine Darlegungsund Beweispflicht des Versicherers dafür annehmen wolle, dass d. VN die betreffenden Unterlagen erhalten habe, wäre dieser Beweis als erbracht anzusehen. Die widersprüchlichen Ausführungen d. VN, er habe die Unterlagen nicht erhalten bzw. es sei ihm nicht erinnerlich, sie erhalten zu haben, und er habe sie auch nach gründlicher Sichtung nicht finden können, könnten keine nachteiligen Folgen für den Versicherer auslösen. D. VN habe den strengen Anforderungen an ein Bestreiten mit Nichtwissen in Fällen, in denen es um Vorgänge seiner eigenen Wahrnehmung im Sinne von § 138 Abs. 4 ZPOgehe, nicht genügt. Es hätte ihm oblegen, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass er sämtliche Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft habe. Allein die Behauptung, er habe seine Unterlagen gründlich gesichtet, genüge nicht.
9
Ein Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. scheide nicht aufgrund der erteilten Belehrung aus, da sich diese lediglich zu einem Rücktrittsrecht verhalte, zudem nicht drucktechnisch deutlich hervorgehoben und deshalb in materieller und formeller Hinsicht nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Das Widerrufsrecht sei indes erloschen, da d. VN nach der Kündigung im März 2010 den Rückkaufswert erstattet bekommen habe, so dass beiderseits eine vollständige Erbringung der Leistungen eingetreten sei.
10
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Ein - mit der Revision allein weiterverfolgter - Anspruch auf Prämienrückzahlung kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht versagt werden.
11
1. Aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass der Versicherungsvertrag im Antragsmodell zustande gekommen ist und d. VN das Rücktrittsrecht aus § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. wirksam ausgeübt hat.
12
a) Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, d. VN habe bei Antragstellung die vollständige Verbraucherinformation und die Allgemeinen Versicherungsbedingungen erhalten. Ob d. VN - wie das Berufungsgericht in Erwägung gezogen hat - darlegen und beweisen muss, dass ihm diese Unterlagen bei Antragstellung nicht zugegangen sind, kann dahinstehen. Das Berufungsgericht hat für den Fall, dass dem Versicherer die Darlegungs- und Beweislast für den Zugang der Unterlagen obliegt, rechts- und verfahrensfehlerfrei das Bestreiten mit Nichtwissen durch d. VN für unzulässig gehalten. Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nach § 138 Abs. 4 ZPO nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Anderenfalls tritt die Geständniswirkung des § 138 Abs. 3 ZPO ein (BGH, Urteil vom 12. November 2015 - I ZR 167/14, GRUR 2016, 836 Rn. 124 m.w.N.). Nur ausnahmsweise kommt ein Bestreiten eigener Handlungen und Wahrnehmungen dann in Betracht, wenn die Partei nach der Lebenserfahrung glaubhaft macht, sich an gewisse Vorgänge nicht mehr erinnern zu können. Die bloße Behauptung, sich nicht zu erinnern, reicht indessen nicht aus (BGH, Urteil vom 10. Oktober 1994 - II ZR 95/93, NJW 1995, 130 unter 3 d aa m.w.N.). Gemessen daran hat das Berufungsgericht die Erklä- rung d. VN, er könne sich nicht erinnern, die Verbraucherinformation und die Versicherungsbedingungen erhalten zu haben, und habe seine Unterlagen gründlich gesichtet, zu Recht nicht ausreichen lassen.
13
b) Die mit Schreiben vom 28. Januar 2010 abgegebene Erklärung d. VN kann ungeachtet ihrer Bezeichnung als "Widerspruch nach § 8 VVG" als Rücktritt gemäß § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. ausgelegt werden. Entscheidend ist, dass darin der unbedingte Wille zum Ausdruck kommt, sich rückwirkend vom Vertrag lösen und die Rückzahlung sämtlicher Prämien geltend machen zu wollen (vgl. Senatsurteil vom 17. Dezember 2014 - IV ZR 260/11, VersR 2015, 224 Rn. 13 m.w.N.).
14
c) Bei Abgabe der Rücktrittserklärung vom 28. Januar 2010 war die Rücktrittsfrist nach dem zugrunde zu legenden Sachverhalt noch nicht abgelaufen.
15
aa) Mangels - noch nachzuholender - Feststellungen des Berufungsgerichts ist in der Revisionsinstanz davon auszugehen, dass d. VN nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 8 Abs. 5 Satz 3 VVG a.F. belehrt wurde. Allerdings war die Belehrung im Antragsformular nicht, wie das Berufungsgericht gemeint hat, deshalb inhaltlich falsch, weil sie sich "lediglich" zu einem Rücktrittsrecht verhielt. Ein solches Recht gewährte § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. d. VN nach einem Vertragsschluss im Antragsmodell.
16
Eine - vom Berufungsgericht vermisste - drucktechnische Hervorhebung der Belehrung war - wie die Revisionserwiderung geltend macht - vom Wortlaut des § 8 Abs. 5 VVG a.F. (wie auch des § 8 Abs. 4 VVG in der vom 1. Januar 1991 bis zum 28. Juli 1994 gültigen Fassung) nicht ausdrücklich vorausgesetzt. Der Senat hat aber zu § 8 Abs. 5 VVG a.F.
bereits klargestellt, dass auch eine Belehrung über das Rücktrittsrecht zur Erreichung ihres gesetzlichen Zweckes inhaltlich möglichst umfassend , unmissverständlich und aus Sicht der Verbraucher eindeutig sein musste. Das erforderte eine Form der Belehrung, die dem Aufklärungsziel Rechnung trug und darauf angelegt war, den Angesprochenen aufmerksam zu machen und das maßgebliche Wissen zu vermitteln (Senatsurteile vom 17. Dezember 2014 aaO Rn. 16; vom 16. Oktober 2013 - IV ZR 52/12, VersR 2013, 1513 Rn. 14 m.w.N.). Mit der Frage, ob die d. VN gegebene Belehrung diesen formalen Anforderungen genügte oder nicht, wird sich das Berufungsgericht noch näher zu befassen haben.
17
bb) Im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung stünde der Wirksamkeit der Rücktrittserklärung nicht der Ablauf der für einen solchen Fall bestimmten Frist aus § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. entgegen, nach der das Rücktrittsrecht bei unterbliebener Belehrung jedenfalls einen Monat nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Diese Befristung ist unwirksam, wie der Senat aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung des § 8 VVG a.F. entschieden und im Einzelnen begründet hat (Senatsurteil vom 17. Dezember 2014 aaO Rn. 20 ff.).
18
cc) Ein vom Berufungsgericht angenommenes Erlöschen des Rücktrittsrechts infolge beiderseits vollständiger Leistungserbringung (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. Oktober 2013 aaO Rn. 25 ff.) kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil eine analoge Anwendung der Regelungen aus § 7 Abs. 2 VerbrKrG, § 2 Abs. 1 Satz 4 HWiG nach Außerkrafttreten dieser Gesetze zum Zeitpunkt der Abwicklung des Vertrages im Jahre 2010 nicht mehr möglich ist (vgl. dazu Senatsurteil vom 17. Dezember 2014 aaO Rn. 28).
19
2. Nach der Zurückverweisung wird sich das Berufungsgericht gegebenenfalls auch mit der Höhe der nach § 346 Abs. 1 BGB zurück zu gewährenden Leistungen und Nutzungszinsen zu befassen haben (vgl. Senatsurteile vom 17. Dezember 2014 aaO Rn. 35 ff.; vom 11. November 2015 - IV ZR 513/14, VersR 2016, 33 Rn. 31 ff.; vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 35 ff.; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 33 ff.).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG Kamenz, Entscheidung vom 24.05.2013- 2 C 631/11 -
LG Görlitz, Entscheidung vom 03.01.2014- 2 S 112/13 -

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 28. Sept. 2016 - IV ZR 41/14

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 28. Sept. 2016 - IV ZR 41/14

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 28. Sept. 2016 - IV ZR 41/14 zitiert 5 §§.

Gesetz über den Versicherungsvertrag


Versicherungsvertragsgesetz - VVG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 138 Erklärungspflicht über Tatsachen; Wahrheitspflicht


(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. (2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. (3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestrit

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 346 Wirkungen des Rücktritts


(1) Hat sich eine Vertragspartei vertraglich den Rücktritt vorbehalten oder steht ihr ein gesetzliches Rücktrittsrecht zu, so sind im Falle des Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben. (2)

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 119 Anfechtbarkeit wegen Irrtums


(1) Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständ

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 8 Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers; Verordnungsermächtigung


(1) Der Versicherungsnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen widerrufen. Der Widerruf ist in Textform gegenüber dem Versicherer zu erklären und muss keine Begründung enthalten; zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung.

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Urteil, 28. Sept. 2016 - IV ZR 41/14 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 28. Sept. 2016 - IV ZR 41/14 zitiert 6 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 16. Okt. 2013 - IV ZR 52/12

bei uns veröffentlicht am 16.10.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 52/12 Verkündet am: 16. Oktober 2013 Schick Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja VVG a.F. §

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Nov. 2015 - I ZR 167/14

bei uns veröffentlicht am 12.11.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL I ZR 167/14 Verkündet am: 12. November 2015 Führinger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja Abschlagspflich

Bundesgerichtshof Urteil, 11. Nov. 2015 - IV ZR 513/14

bei uns veröffentlicht am 11.11.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 513/14 Verkündet am: 11. November 2015 Heinekamp Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja VVG

Bundesgerichtshof Urteil, 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14

bei uns veröffentlicht am 29.07.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR384/14 Verkündet am: 29. Juli 2015 Schick Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja VVG a.F. § 5a

Bundesgerichtshof Urteil, 29. Juli 2015 - IV ZR 448/14

bei uns veröffentlicht am 29.07.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR448/14 Verkündet am: 29. Juli 2015 Schick Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja VVG a.F. § 5a

Bundesgerichtshof Urteil, 17. Dez. 2014 - IV ZR 260/11

bei uns veröffentlicht am 17.12.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR260/11 Verkündet am: 17. Dezember 2014 Heinekamp Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja VVG a. F. (Fassung vom 21.
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 28. Sept. 2016 - IV ZR 41/14.

Landgericht Kempten (Allgäu) Endurteil, 20. Okt. 2017 - 52 S 936/17

bei uns veröffentlicht am 20.10.2017

Tenor 1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) vom 24.05.2017, Az. 2 C 1123/16, abgeändert: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.310.77 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent

Referenzen

(1) Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.

(2) Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.

(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.

(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.

(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.

(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.

124
Unrichtigkeit der Behauptungen des Klägers nicht zu kennen (vgl. Hk-ZPO/ Woestmann, 6. Aufl. § 138 Rn. 7) - ist nach § 138 Abs. 4 ZPO nur zulässig, wenn die betroffenen Tatsachen weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind; andernfalls tritt wiederum die Geständniswirkung des § 138 Abs. 3 ZPO ein (vgl. Leipold in Stein/ Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 138 Rn. 49). Vorgänge im eigenen Geschäfts- oder Verantwortungsbereich werden den eigenen Handlungen oder Wahrnehmungen im Sinne des § 138 Abs. 4 ZPO gleichgestellt, weil andernfalls eine Partei sich durch arbeitsteilige Organisation ihren prozessualen Erklärungspflichten entziehen könnte (Zöller/Greger aaO § 138 Rn. 16). Die Partei hat eine Erkundigungspflicht , sofern die maßgebenden Tatsachen Personen bekannt sind, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 19. April 2001 - I ZR 238/98, GRUR 2002, 190, 191 = WRP 2001, 1328 - DIE PROFIS; Urteil vom 2. Juli 2009 - III ZR 333/08, NJW-RR 2009, 1666 Rn. 16). Die Anforderungen an die Erkundigungspflicht dürfen allerdings nicht überspannt werden (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1996 - IX ZR 240/95, NJW 1996, 1954, 1957 [insoweit nicht in BGHZ 132, 229 abgedruckt ]; Urteil vom 15. November 1989 - VIII ZR 46/89, BGHZ 109, 205, 209 f.). Einer Partei darf nur eine zumutbare Informationspflicht auferlegt werden (vgl. [zu den Anforderungen an substantiiertes Bestreiten im Sinne des § 138 Abs. 2 ZPO] BGH, Urteil vom 7. Dezember 1998 - II ZR 266/97, NJW 1999, 579, 580; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 74. Aufl., § 138 Rn. 53; Zimmermann , ZPO, 9. Auf., § 138 Rn. 10).
13
a) Die mit Schreiben vom 3. Dezember 2009 abgegebene Erklärung der Klägerin ist ungeachtet ihrer Bezeichnung als Widerspruch "gemäß § 5a VVG a.F." als Rücktrittserklärung nach § 8 Abs. 5 VVG a.F. auszulegen. Entscheidend ist, dass darin der unbedingte Wille zum Ausdruck kommt, sich rückwirkend vom Vertrag lösen und die Rückzahlung sämtlicher Prämien geltend machen zu wollen. Die Auslegung dieser Erklärung kann der Senat selbst vornehmen, da die Aufklärung weiterer relevanter Umstände nicht zu erwarten ist (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 1997 - V ZR 250/96, NJW 1998, 1219 unter II 3 m.w.N.; MünchKomm-ZPO/Krüger, 4. Aufl. § 546 Rn. 10).
14
aa) Ihrem Wortlaut nach enthält die Vorschrift zwar keine über die Schriftlichkeit hinausgehenden Vorgaben zur Form der Belehrung. In zwei Beschlüssen vom 16. November 1995 hat der Bundesgerichtshof jedoch zu § 8 Abs. 4 Satz 4 VVG a.F. klargestellt, dass eine gesetzlich angeordnete Belehrung, damit sie ihren Zweck erreichen kann, inhaltlich möglichst umfassend, unmissverständlich und aus Sicht der Verbraucher eindeutig sein muss. Weiter erfordert der Zweck einer solchen Vorschrift, dem auch der Sinngehalt des Wortes "Belehrung" entspricht, eine Form der Belehrung, die dem Aufklärungsziel Rechnung trägt. Deshalb kann nur eine Erklärung, die darauf angelegt ist, den Angesprochenen aufmerksam zu machen und das Wissen, um das es geht, zu vermitteln, als Belehrung angesehen werden (BGH, Beschlüsse vom 16. November 1995 - I ZR 25/94, VersR 1996, 221 unter I 2 und I ZR 175/93, VersR 1996, 313 unter II 1; ebenso KG r+s 2003, 98; zustimmend:Johannsen/ Johannsen in Bruck/Möller, VVG 8. Aufl. Bd. 3 Anm. E7 S. 302; ähnlich OLG Stuttgart VersR 1995, 202, 204; für eine drucktechnisch deutlich gestaltete Belehrung: Prölss in Prölss/Martin, VVG 25. Aufl. § 8 Anm. 10; Claussen, JR 1991, 360, 363; Schimikowski, ZfV 1991, 632, 635;Teske, NJW 1991, 2793, 2798; a.A.: Koch, VersR 1991, 725, 729).

(1) Hat sich eine Vertragspartei vertraglich den Rücktritt vorbehalten oder steht ihr ein gesetzliches Rücktrittsrecht zu, so sind im Falle des Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben.

(2) Statt der Rückgewähr oder Herausgabe hat der Schuldner Wertersatz zu leisten, soweit

1.
die Rückgewähr oder die Herausgabe nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist,
2.
er den empfangenen Gegenstand verbraucht, veräußert, belastet, verarbeitet oder umgestaltet hat,
3.
der empfangene Gegenstand sich verschlechtert hat oder untergegangen ist; jedoch bleibt die durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme entstandene Verschlechterung außer Betracht.
Ist im Vertrag eine Gegenleistung bestimmt, ist sie bei der Berechnung des Wertersatzes zugrunde zu legen; ist Wertersatz für den Gebrauchsvorteil eines Darlehens zu leisten, kann nachgewiesen werden, dass der Wert des Gebrauchsvorteils niedriger war.

(3) Die Pflicht zum Wertersatz entfällt,

1.
wenn sich der zum Rücktritt berechtigende Mangel erst während der Verarbeitung oder Umgestaltung des Gegenstandes gezeigt hat,
2.
soweit der Gläubiger die Verschlechterung oder den Untergang zu vertreten hat oder der Schaden bei ihm gleichfalls eingetreten wäre,
3.
wenn im Falle eines gesetzlichen Rücktrittsrechts die Verschlechterung oder der Untergang beim Berechtigten eingetreten ist, obwohl dieser diejenige Sorgfalt beobachtet hat, die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt.
Eine verbleibende Bereicherung ist herauszugeben.

(4) Der Gläubiger kann wegen Verletzung einer Pflicht aus Absatz 1 nach Maßgabe der §§ 280 bis 283 Schadensersatz verlangen.

31
c) Das Berufungsgericht ist damit zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger von der Beklagten Prämienrückzahlung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB verlangen kann. Richtig ist auch, dass der Rückgewähranspruch der Höhe nach nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien umfasst und dem Kläger bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung der jedenfalls faktisch bis zum Widerspruch genossene Versicherungsschutz anzurechnen ist. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
35
3. Das Berufungsgericht ist damit zutreffend davon ausgegangen, dass die Kläger von der Beklagten Prämienrückzahlung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB verlangen können. Richtig ist auch, dass die Rückgewähransprüche der Höhe nach nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien umfassen und den Klägern bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung der jedenfalls bis zur Kündigung des jeweiligen Vertrages genossene Versicherungsschutz anzurechnen ist. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
33
3. Das Berufungsgericht ist damit zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger von der Beklagten Prämienrückzahlung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB verlangen kann. Richtig ist auch, dass der Rückgewähranspruch der Höhe nach nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien umfasst und dem Kläger bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung der jedenfalls bis zur Kündigung des jeweiligen Vertrages genossene Versicherungsschutz anzurechnen ist. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).