Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 261/12
(alt: 5 StR 555/09)

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. April 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Rechtsbeugung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
11. April 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt I.
als Verteidiger für den Angeklagten M. ,
Rechtsanwalt Z.
als Verteidiger für den Angeklagten P. ,
Rechtsanwalt H. S.
als Vertreter für den Nebenkläger A. ,
Rechtsanwalt M. S.
als Vertreter für den Nebenkläger R. ,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 8. Dezember 2011, soweit es den Angeklagten M. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der den Angeklagten M. betreffenden Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die den Angeklagten P. betreffenden Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger werden verworfen.
Die Kosten der den Angeklagten P. betreffenden Revision der Staatsanwaltschaft sowie die ihm im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die Nebenkläger tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hatte die Angeklagten jeweils wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit schwerer Freiheitsberaubung zu Freiheitsstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, verurteilt und wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung einen Teil der Strafen als vollstreckt erklärt. Der Se- nat hat diese Erkenntnis durch Beschluss vom 7. Juli 2010 (5 StR 555/09, StV 2011, 463) aufgehoben.
2
Das Landgericht hat die Angeklagten nunmehr freigesprochen. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger führen hinsichtlich des Angeklagten M. mit der Sachrüge zum Erfolg. Soweit die Revisionen den Angeklagten P. betreffen, sind sie hingegen unbegründet.

I.


3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
4
1. Der Angeklagte M. führte als Richter am Amtsgericht Eisenhüttenstadt den Vorsitz in einer Schöffensache gegen den damals angeklagten Nebenkläger A. . Diesem wurde zur Last gelegt, als Nachlasspfleger in sechs Nachlassverfahren Vermögen von über 430.000 € veruntreut zu haben. Eine detaillierte Darstellung der veruntreuten Beträge, insbesondere zu Kontoauswertungen oder sonstigen Beweismitteln zu Entnahme und Verbleib der Nachlassgelder, enthielt die Anklageschrift nicht. Ungeachtet dieser Mängel hatte die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) das Verfahren vor dem Schöffengericht eröffnet; eine höhere Straferwartung als vier Jahre Freiheitsstrafe bestehe gegenüber dem – während mehrerer Monate vollzogener Untersuchungshaft – weitgehendgeständigen A. nicht.
5
Als sich der Nebenkläger Rechtsanwalt R. als (zusätzlicher) Verteidiger des A. anzeigte, erregte dies den Argwohn des Angeklagten M. . Er wusste, dass A. seine Tätigkeit als Nachlasspfleger in den Kanzleiräumen des Nebenklägers R. ausgeübt hatte ; zudem war ihm aufgrund einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft bekannt, dass gegen R. ein Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche eingeleitet worden war, weil er von A. Nachlassgelder in Kenntnis von deren rechtswidriger Herkunft erhalten habe. M. war bewusst, dass der Strafvorwurf gegen R. wegen Geldwäsche rechtlich davon abhing, ob A. die Untreuehandlungen gewerbsmäßig begangen hatte.
6
M. beschloss, eine Sachverständige mit der Untersuchung zu beauftragen, in welchem Ausmaß A. durch seine Aktienspekulationen die einzelnen Nachlässe geschädigt habe. Den Auftrag erweiterte er dahin , auch zu prüfen, ob R. nach Lage der Akten an den Taten des A. beteiligt gewesen sei. Eine Anregung des Dezernatsvertreters des Angeklagten M. an die Staatsanwaltschaft, einen Antrag auf Ausschluss von Rechtsanwalt R. als Verteidiger nach §§ 138a, 138c StPO zu prüfen, blieb ohne Ergebnis. Die Staatsanwaltschaft stellte zwar ohne nähere Begründung einen entsprechenden Antrag, den sie jedoch nach Hinweis der Generalstaatsanwaltschaft zurücknahm, dass der Antrag nicht den Begründungserfordernissen entspreche.
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Die Hauptverhandlung gegen A. begann am 16. Dezember 2004 und war vom Angeklagten M. mit Blick auf ein erwartetes Geständnis A. s auf zwei Sitzungstage terminiert. Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft war zunächst Staatsanwalt B. . Dieser beantragte die Einvernahme des weiterhin als Verteidiger auftretenden R. als Zeuge und legte M. hierzu einen Fragenkatalog vor, um Erkenntnisse bezüglich der Geldflüsse zwischen R. und A. zu erhalten. B. hatte zuvor auch ein Ermittlungsverfahren gegen die Ehefrau des Nebenklägers A. , Ad. , wegen Geldwäsche eingeleitet, weil es Anhaltspunkte dafür gab, dass auch sie veruntreute Nachlassgelder erhalten hatte.
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Die Hauptverhandlung war – bei noch ausstehendem Gutachten der Sachverständigen – geprägt durch Nachermittlungshandlungen gegen A. und Ermittlungshandlungen gegenüber R. , bei dem insbesondere mehrere Durchsuchungsmaßnahmen, auch in Anwesenheit M. s, vollzogen wurden. Im Mittelpunkt stand dabei der Erwerb eines hochwertigen Pkw BMW, der von A. seit 2001 benutzt wurde; Halter des Fahrzeugs war aber R. , der die Anschaffungskosten steuerlich über seine Kanzlei geltend gemacht hatte. Das Fahrzeug kam als Sicherungsmittel für etwaige Geschädigte in Betracht, was aber voraussetzte, dass es mit inkriminierten Geldern erworben worden war.
9
Über die Verteidigung wurden – so auch am ersten Hauptverhandlungstag – mehrere Ablehnungsgesuche gegen M. gestellt, die zu- mindest zum Teil der Verfahrensverschleppung dienten „und bisweilen laienhaft wirkende Begründungen enthielten“; zudem vertrat Rechtsanwalt R. „bizarre“ Rechtsansichten mit Blick auf den Strafvorwurf. Nach Verlesung des Anklagesatzes machte A. von seinem Schweigerecht Gebrauch.
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Für das Prozessverhalten A. s machte M. in erster Linie Rechtsanwalt R. verantwortlich, der nach seiner Meinung damit verhindern wollte, wegen eigener Beteiligung an dessen Taten belangt zu werden. M. fasste daher nach dem ersten Verhandlungstag den Ent- schluss, „dass Rechtsanwalt R. der Teilnahme an den Taten des A. überführt und sein Ausschluss aus dem Strafverfahren erreicht werden müsse“ (UA S. 21).
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Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete M. am 5. Januar 2005 unter anderem die Durchsuchung der Kanzleiräume von R. nach Buchhaltungs- und Steuerunterlagen an. Er zog bei der Einsatzbesprechung auch Beamte der Steuerfahndung hinzu und nahm selbst an den Durchsuchungen teil, wobei er die Beweismittelrelevanz von Unterlagen prüfte. M. fand hierbei einen Darlehensvertrag aus Februar 2001, wonach Ad. Rechtsanwalt R. ein Darlehen über 85.000 DM ge- währen werde, und eine weitere handschriftliche Vereinbarung zwischen R. und Ad. aus Februar 2001 über die Rückabwicklung des Darlehens bei Rückgabe des Pkw BMW. Auf telefonischen Antrag des angeklagten Oberstaatsanwalts P. , der ab 6. Januar 2005 als Sitzungsvertreter bei den weiteren Hauptverhandlungsterminen vorgesehen war, ordnete M. die Beschlagnahme des Pkw BMW an, unter anderem weil das Fahrzeug voraussichtlich der Einziehung oder dem Verfall unterliege.
12
Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt vor dem 7. April 2005 erfuhrM. , dass A. am 11. Januar 2005 im Rahmen eines Zivilverfahrens eine eidesstattliche Versicherung über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse abgegeben hatte, wonach er von seiner Ehefrau Ad. getrennt lebe, was nach Auffassung M. s nicht zutraf.
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Am 14. Februar 2005 wurde M. mit 90 % seiner Arbeitskraft an das Landgericht Frankfurt (Oder) abgeordnet; mit seiner verbleibenden Arbeitskraft sollte er das Verfahren gegen A. beim Amtsgericht Eisenhüttenstadt zum Abschluss bringen. Das Präsidium des Amtsgerichts änderte dementsprechend den Geschäftsverteilungsplan unter anderem dahin, dass Richter am Amtsgericht T. – neben Richterin am Amtsgericht Pe. in wöchentlichem Wechsel – als Ermittlungsrichter zuständig wurde. Das Landgericht konnte nicht feststellen, dass der Angeklagte P. von dieser Änderung der Geschäftsverteilung Kenntnis erlangt hat.
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Im Hauptverhandlungstermin am 10. März 2005 wurde R. als Zeuge vernommen; er gab an, den Pkw BMW vollständig bar bezahlt zu haben. Die Frage, ob ein Pkw Opel Calibra der Ad. in Zahlung gegeben worden sei, verneinte er wahrheitswidrig. Nach Belehrung gemäß § 55 StPO gab er Erklärungen zum Hintergrund des Darlehensvertrages und der Rückabwicklungsvereinbarung aus Februar 2001 ab.
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Abweichende Angaben hierzu hatte Ad. in einer Beschuldigtenvernehmung bei der Polizei gemacht, wie ein Polizeibeamter als Zeuge in der Hauptverhandlung vom 24. März 2005 bekundete. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung beschwerte sich der neuerlich als Zeuge einvernommene Nebenkläger R. über die Art und Weise der bei ihm durchgeführten Durchsuchungen; diese seien nicht nach den Vorschriften der StPO erfolgt. M. entgegnete ihm darauf „mit der als Scherz gemeinten Be- kundung, die Durchsuchung sei auf Grundlage der ‚HPO‘(der [Eisen-] Hüttenstädter Prozessordnung) erfolgt, die mit der Vollstreckung beginne“ (UA S. 30). R. bekundete als Zeuge im Anschluss daran, dass er den inzwischen beschlagnahmten Pkw BMW am 30. Dezember 2004 an Ad. veräußert habe; er würde den Vertrag im nächsten Hauptverhandlungstermin vorlegen.
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Die Angeklagten M. und P. waren aufgrund der für sie erstaunlichen Bekundungen von R. davon überzeugt, dass es sich bei dem behaupteten Kaufvertrag, sollte er vorgelegt werden, um einen „Scheinvertrag“ handeln würde. P. fertigte daher bis zum nächsten Hauptverhandlungstermin am 7. April 2005 jeweils einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gegen R. , Ad. und A. . Er beabsichtigte diese Anträge für den Fall der Vorlage des behaupteten Kaufvertrages durch R. zu stellen, sofern dieser den Verdacht, dass es sich um einen Scheinvertrag handele, nicht ausräumen könne.
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Im Hauptverhandlungstermin vom 7. April 2005 wurde R. erneut als Zeuge einvernommen. Er überreichte eine Kopie eines auf den 30. Dezember 2004 datierten Kaufvertrages zwischen ihm und Ad. bezüglich des Pkw BMW über 20.000 € und eine auf den 3. Januar 2005 datierte Aufrechnungserklärung, die eine Teilaufrechnung der Kaufpreisforderung mit dem Darlehensrückzahlungsanspruch der Käuferin Ad. enthielt. Auf Frage gab er an, dass sich der Kaufvertrag bei der Durchsuchung am 5. Januar 2005 in der Buchhaltung seiner Kanzlei befunden habe.
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Sowohl der Angeklagte P. als auch der Angeklagte M. glaubten der Schilderung des Zeugen R. nicht. Beide waren der Auffassung , dass der Kaufvertrag rückdatiert und erst nach der Durchsuchung gefertigt worden sei. Sie meinten zudem, der Kaufvertrag diene der Verschleierung der Eigentumsverhältnisse an dem sichergestellten Fahrzeug und der Umstände seines Erwerbs aus veruntreuten Nachlassgeldern im Jahre 2001.
19
M. , der wusste, dass P. im Falle der Vorlage des Kaufvertrages durch R. Haftbefehlsanträge stellen würde, sofern R. die Vorgänge nicht schlüssig erklären konnte, erhob sich, wies auf R. und rief: „Sie sind festgenommen!“, woraufhin im Zuschauersaal Applaus auf- brandete. Er ordnete ebenfalls die Festnahme A. s und dessen nicht im Sitzungssaal befindlicher Ehefrau Ad. an. Als ein Justizwachtmeister Rechtsanwalt R. Handfesseln anlegen wollte und dieser erklärte , das sei wirklich nicht nötig, er werde nicht fliehen, rief M. dem Wachtmeister zu: „Das volle Programm!“. R. und A. wurden in Handfesseln abgeführt; die Hauptverhandlung wurde unterbrochen.
20
Danach übergab P. die drei von ihm vorbereiteten, auf den 7. April 2005 datierten, sämtlich an das Schöffengericht des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt adressierten Anträge auf Erlass von Haftbefehlen gegen den damaligen Angeklagten A. sowie gegen die damaligen Beschuldigten R. und Ad. ; die Ermittlungsakten gegen R. und Ad. legte er nicht vor. Hinsichtlich des damaligen Angeklagten A. stützte P. den Haftbefehlsantrag auf den dringenden Tatverdacht der Untreue in sechs Fällen und nahm mit Blick auf die Straferwartung und den Verlauf der Hauptverhandlung Flucht- sowie Verdunkelungsgefahr als Haftgründe an. Dem damaligen Beschuldigten R. legte P. Geldwäsche und uneidliche Falschaussage zur Last und führte als Haftgründe ebenfalls Verdunkelungs- sowie Fluchtgefahr an. Gegen die damalige Beschuldig- te Ad. begründete P. den Haftbefehlsantrag damit, dass sie der Geldwäsche dringend verdächtig sei und Verdunkelungsgefahr bestehe.
21
M. nahm die Haftbefehlsanträge zu den Verfahrensakten A. s und vergab – obwohl er keine Zuständigkeit als Ermittlungsrichter hatte – bezüglich der Haftbefehlsanträge gegen R. und Ad. jeweils gesonderte Gs-Aktenzeichen. Sodann fertigte er handschriftlich einen Beschluss, in welchem er die beiden Ermittlungsverfahren gegen R. und Ad. zu dem bei ihm anhängigen Strafverfahren gegen A. zur „gemeinsamen Entscheidung gemäß §§ 2, 4 StPO“ verband. Anschließend erließ M. unter Anführung aller Aktenzeichen einen (einheitlichen ) Haftbefehl gegen A. , R. und Ad. , jedoch jeweils mit gesonderter Begründung. Im Haftbefehl gegen A. begründete er die Verdunkelungsgefahr wegen gewerbsmäßiger Untreue unter anderem mit dessen Beitrag zur Vorlage des rückdatierten Kaufvertrages und seiner wahrheitswidrigen Angabe, dauernd von seiner Ehefrau getrennt zu leben. Im Haftbefehl gegen R. nahm M. dringenden Tatverdacht wegen Geldwäsche in Tateinheit mit Begünstigung sowie wegen uneidlicher Falschaussage an. Als Haftgrund wurde Verdunkelungsgefahr durch seine unwahre Zeugenaussage und die Präsentation des rückdatierten Kaufvertrages in Zusammenwirken mit Ad. angenommen. Im Haftbefehl gegen Ad. – die wenige Minuten nach der Festnahme ihres Ehemannes und seines Verteidigers auf ihrer Arbeitsstelle festgenommen worden war – begründete M. den dringenden Tatverdacht wegen Geldwäsche in Tateinheit mit Begünstigung unter anderem damit, dass sie den bei ihr festgestellten Vermögenszuwachs zwischen 1999 und 2005 in Höhe von etwa 100.000 € nicht selbst erwirtschaftet haben könne, so dass als einzige Erklärung hierfür eine Vermögensverschiebung seitens A. in Betracht komme. Für die angenommene Verdunkelungsgefahr führte M. im Wesentlichen die gleiche Begründung wie bei A. und R. an. Im Hinblick auf die hohen Schadenssummen sei die Anordnung der Untersuchungshaft bei allen Beteiligten auch verhältnismäßig.
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Am Nachmittag des 7. April 2005 ließ M. nacheinander A. , Ad. und R. vorführen und verkündete – in Anwesenheit P. s – die Haftbefehle. Am 8. April 2005 (Freitag) verhandelte M. Zivilverfahren am Landgericht Frankfurt (Oder). Darüber hinaus ordnete er telefonisch die Durchsuchung der Rechtsanwaltskanzlei von R. an, um den Originalkaufvertrag vom 30. Dezember 2004 aufzufinden. Auch veranlasste er die Übersendung der Haftbefehle und verfügte die Mitteilung der Inhaftierung von R. an die Rechtsanwaltskammer. An diesem Tag legten die Verteidiger von A. , Ad. und R. beim Amtsgericht Eisenhüttenstadt Haftbeschwerden ein, über die Richter am Amtsgericht T. sofort M. fernmündlich unterrichtete; dieser erklärte, er werde erst wieder am 11. April 2005 in Eisenhüttenstadt anwesend sein und die Haftbeschwerden bearbeiten. An diesem Tag verfügte M. , dass den Haftbeschwerden nicht abgeholfen werde; er veranlasste die Fertigung von Aktendoppeln und – ohne besondere Maßnahmen zur Beschleunigung – deren Vorlage über die Staatsanwaltschaft an das Beschwerdegericht, bei dem die Akten am 12. April 2005 eingingen.
23
Der Angeklagte P. hatte den Leitenden Oberstaatsanwalt noch am Abend des 7. April 2005 fernmündlich über die Verhaftung von Rechtsanwalt R. in Kenntnis gesetzt. Der Leitende Oberstaatsanwalt veranlasste aufgrund seiner nach Besprechungen und Überprüfungen gewonnenen Überzeugung von der Nichtigkeit des Verbindungsbeschlusses und der Unzuständigkeit des Angeklagten M. als Ermittlungsrichter den Dezernenten Staatsanwalt B. dazu, R. am 14. April 2005 aus der Haft zu entlassen.
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M. war hierüber und über B. s korrespondierenden Antrag vom 15. April 2005 auf Aufhebung des Haftbefehls gegen R. empört und beschwerte sich am selben Tag telefonisch beim Leitenden Oberstaatsanwalt. Dieser wies M. s Ansicht, der Verbindungsbeschluss sei zulässig gewesen, ungehalten als geradezu absurd zurück. M.
beschloss noch am 15. April 2005 „in dem Straf- und Ermittlungsverfahren gegen A. , R. und Ad. “ die Aufhebung der Haftbefehle gegen und Ad. , weil sich nach der Haftentlassung von R. der Vollzug der Untersuchungshaft gegenüber den Eheleuten A. als unverhältnismäßig darstelle, und veranlasste deren Haftentlassung. Am 20. April 2005 hob er auch den Haftbefehl gegen R. auf.
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Am 20. April 2005 fertigte M. zudem einen Vermerk, wonach unmittelbar vor dem Hauptverhandlungstermin am 7. April 2005 zwischen ihm und der Ermittlungsrichterin Pe. eine Zuständigkeitserörterung stattgefunden habe. In diesem Vermerk führte er aus, dass beide die Geschäftsverteilung des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt dahin auslegten, dass er auch für Maßnahmen gegen Dritte, wie z. B. die Ehefrau Ad. und den Verteidiger Rechtsanwalt R. zuständig sei, wenn sich „die Sache“ aus dem Verfahren gegen A. ergebe. Hierüber habe Einigkeit bestanden, und aus diesem Grund hätte Pe. , „deren Zuständigkeit sinngemäß behauptet worden sei“, ein Tätigwerden gegen Ad. undRechtsanwalt R. im Hinblick auf die „unbestrittene“ Zuständigkeit M. s abgelehnt. Die Ermittlungsrichterin Pe. bestätigte in einem gesonderten Vermerk vom 21. April 2005, dass der Inhalt des Vermerks des Angeklagten M. „in vollem Umfang zutreffe“.
26
Nach weiteren, insgesamt 14 Hauptverhandlungstagen verurteilte das Schöffengericht unter dem Vorsitz von M. den damaligen Angeklagten A. wegen gewerbsmäßiger Untreue in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren; zugleich ordnete es an, dass der Pkw BMW dem Verfall unterliege. Im Berufungsverfahren wurde die Gesamtfreiheitsstrafe auf drei Jahre und drei Monate herabgesetzt; die Verfallsentscheidung kam in Wegfall; zudem wurden wegen „überlanger“ Verfahrensdauer ein Jahr und drei Monate der Strafe als vollstreckt erkannt. Das Berufungsgericht vermochte eine gewerbsmäßige Handlungsweise A. s nicht nachzuweisen. Über die von A. gegen das Berufungsurteil eingelegte Revision ist noch nicht entschieden worden.
27
2. Das Landgericht hat die Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Die von ihnen begangenen Verfahrensfehler erfüllten nicht den Tatbestand der Rechtsbeugung (§ 339 StGB); wegen der Sperrwirkung dieses Tatbestandes scheide auch eine Verurteilung wegen schwerer Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 3 Nr. 1 StGB) aus.
28
a) Die Strafkammer hat bei der Prüfung des Rechtsbeugungstatbestandes beim Angeklagten M. eine Vielzahl möglicher, von ihm begangener Verfahrensfehler erörtert.
29
Die ihm vorzuwerfenden Verfahrensfehler wögen jedoch im Rahmen einer Gesamtwürdigung nicht so schwer, dass es gerechtfertigt wäre, sein Verhalten als bewusste und gewollte schwerwiegende Entfernung von Recht und Gesetz mit der konkreten Gefahr eines unrechtmäßigen Nachteils für die betroffenen Parteien zu werten.
30
aa) Sowohl M. – als auch der Richterin am Amtsgericht Pe. – sei bei der Zuständigkeitserörterung vor dem Hauptverhandlungstermin am 7. April 2005 klar gewesen, dass M. beim Amtsgericht Eisenhüttenstadt nur noch für das Verfahren gegen A. zuständig gewesen sei und er keine über dieses Verfahren hinausgehende Zuständigkeit als Ermittlungsrichter besessen habe (UA S. 47). Die durch die Verfahrensver- bindung bewirkte „künstliche“ und willkürliche Zuständigkeitsbegründung für die Ermittlungsverfahren gegen R. und Ad. sei der am schwersten wiegende Anhaltspunkt für eine sachwidrige Motivation M. s; der Verstoß stelle eine bewusste Missachtung der grundgesetzlich geschützten Garantie des gesetzlichen Richters dar (UA S. 76). Hinzu komme , dass M. über keine Ermittlungsakten und damit keine gesicherte Tatsachengrundlagen verfügt habe, wodurch sich eine konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung zum Nachteil der Beteiligten eröffnet habe. Dies werde aber dadurch relativiert, dass das bei M. anhängige Strafverfahren sehr eng mit den Ermittlungsverfahren verknüpft war und ihm eine umfassende Kenntnis der Umstände ermöglichte, die für die Prüfung eines Tatverdachts gegen die Beschuldigten R. und Ad. notwendig waren.
31
bb) Als weitere Indizien für eine sachwidrige Motivation sprächen die Begründung, mit der M. den Haftbefehl gegen A. aufgehoben habe, und seine sich nicht lediglich auf eine richterliche, neutral hoheitliche Tätigkeit beschränkende, sondern insbesondere an der Vorbereitung und Durchführung von Durchsuchungsmaßnahmen orientierende Beteiligung an Ermittlungsmaßnahmen.
32
cc) Gegen eine sachwidrige Motivation M. s spreche aber, dass die materiellen Voraussetzungen für den Erlass der Haftbefehle erfüllt gewesen seien. Zwar hätte die zuständige Ermittlungsrichterin die Haftbefehle gegen R. und Ad. wegen fehlender Aktenvorlage nicht erlassen können. Die Strafkammer habe sich durch Vernehmung der Zeugin Pe. aber davon überzeugt, „dass diese aufgrund der überlegenen Kenntnis des Angeklagten M. geneigt war, dessen Vorschläge und Anordnungen ohne eigene inhaltliche Überprüfung zu akzeptieren, wie der von ihr unterzeichnete Vermerk betreffend die Zuständigkeiten vom 20. April 2005“ zeige (UA S. 79).
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dd) Gegen eine sachwidrige Motivation spreche ferner der Fortgang der Verfahren gegen die Beteiligten, die Art und Weise der Verhandlungsführung im Strafverfahren gegen A. im Übrigen und die fernmündliche Beschwerde des Angeklagten M. über die Freilassung von R. gegenüber dem Leitenden Oberstaatsanwalt. In letzterem Umstand sei ein Indiz gegen sachwidrige Motive zu sehen, weil es nach der Lebenserfahrung unwahrscheinlich sei, dass sich jemand, der sich zu seinem Handeln nicht berechtigt fühle, selbst an die Staatsanwaltschaft wende, um auf ein eigenes Fehlverhalten aufmerksam zu machen und so Ermittlungen gegen sich selbst herbeizuführen.
34
ee) Angesichts der Verhandlungsführung des Angeklagten M. sei es durchaus möglich, dass die von ihm begangenen Fehler teilweise auf Ungeschicklichkeit und mangelnde Beherrschung der Situation zurückzuführen seien. Es sei ihm zugute zu halten, dass er als alleiniger Berufsrichter mit mangelhaften Ermittlungen, einer äußerst schwierigen Prozesssituation mit kompliziertem Prozessstoff und wenig kooperativen Verteidigern konfrontiert war, die ihn fortlaufend attackierten (UA S. 80). Ausreichende Anhaltspunkte für eine sachwidrige Motivation M. s lägen im Ergebnis nicht vor.
35
b) Hinsichtlich des Angeklagten P. hat die Strafkammerebenfalls mögliche, von ihm begangene Verfahrensfehler geprüft. Im Rahmen der Gesamtwürdigung seines Verhaltens wertet das Landgericht die fehlende interne Zuständigkeit bezüglich der Ermittlungsverfahren gegen R. und Ad. und die Stellung der gegen sie gerichteten Haftbefehlsanträge als „massive Einwirkung“ auf die Ermittlungsverfahren, die ein „bedeutungsschweres“ Indiz für eine sachwidrige Motivation darstelle. Gleichwohl sei da- rin kein derart schwerwiegender Verstoß zu sehen, weil es kein Grundrecht auf einen gesetzlichen Staatsanwalt gebe. Dass M. nicht mehr Ermittlungsrichter war, habe er nicht gewusst. Weil die Beantragung der Haftbefehle und deren Erlass vertretbar, wenn auch nicht zweckmäßig erschienen , sei ein Handeln des Angeklagten P. aus sachfremden Erwägungen nicht gegeben.

II.


36
Während das freisprechende Urteil hinsichtlich des Angeklagten P. keinen Rechtsfehler erkennen lässt, hält es, soweit es den Angeklagten M. betrifft, sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
37
1. Zum Angeklagten M.
38
Die Strafkammer hat ihrer Bewertung des Verhaltens des angeklagten Richters im Ausgangspunkt den zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt. Jedoch begegnet ihre Beweiswürdigung in einem für die Subsumtion wesentlichen Punkt durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
39
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll der Straftatbestand der Rechtsbeugung den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege unter Strafe stellen. Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung stellt eine Beugung des Rechts im Sinne des § 339 StGB dar; vielmehr enthält dieses Tatbestandsmerkmal ein normatives Element. Erfasst werden nur solche Rechtsverstöße, bei denen sich der Täter bewusst und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 23. Mai 1984 – 3 StR 102/84, BGHSt 32, 357, vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, vom 5. Dezember 1996 – 1StR 376/96, BGHSt 42, 343, und vom 29. Oktober 2010 – 4 StR 97/09, NStZ-RR 2010, 310). Rechtsbeugung kann auch durch die Verletzung von Verfahrens- und Zuständigkeitsvorschriften begangen werden. Erforderlich ist jedoch insoweit, dass durch die Verfahrensverletzung die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer Partei begründet wurde, ohne dass allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muss (BGH, Urteile vom 5. Dezember 1996 – 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343, und vom 20. September 2000 – 2 StR 276/00, BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 6; Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09 – in dieser Sache –, StV 2011, 463).
40
b) Nach diesen Grundsätzen ist es zunächst nicht zu beanstanden, dass das Landgericht den Inhalt der erlassenen Haftbefehle als Anknüpfungspunkt für den Rechtsbeugungsvorwurf ausgeschlossen hat. Zutreffend geht das Urteil davon aus, dass der Erlass der Haftbefehle gegen den damaligen Angeklagten A. sowie die Beschuldigten R. und Ad. gemessen am Maßstab der §§ 112, 114 StPO inhaltlich vertretbar war. Näherer Erörterung bedürfen insoweit nur die Annahme des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) sowie die Frage der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 112 Abs. 1 Satz 2 StPO.
41
aa) Rechtsfehlerfrei stellt die Strafkammer hinsichtlich A. zunächst darauf ab, dass die Höhe der fehlenden Gelder sowie deren Verteilung auf die einzelnen Nachlässe wegen der unzureichenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen noch unklar waren und erst mit Hilfe von Sachverständigen aufgeklärt werden mussten, „die Wege der veruntreuten Gelder noch offen“ waren und darüber hinaus zu klären war, ob der einstweilen be- schlagnahmte hochpreisige Pkw BMW dem Verfall unterliege.
42
Wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat, ist auch die Annahme des Angeklagten nicht zu beanstanden, dass es sich bei den zwischen Ad. und dem mit ihrem Ehemann A. eng befreundeten Rechtsanwalt R. geschlossenen Verträgen vom 15. Februar 2001 über ein durch Ad. gewährtes Darlehen von 85.000 DM und den Teilerlass des Rückzahlungsanspruchs für jeden Monat der Nutzung des Pkw BMW durch Ad. sowie bei dem dieses Fahrzeug betreffenden Kaufvertrag vom 30. Dezember 2004 um Scheinverträge handele, die nur dem Zweck der Verschleierung der Herkunft des für die Anschaffung des Pkw aufgewendeten Geldes dienten. Die weitere Annahme, dass der mit R. eng befreundete A. an der Planung und Durchführung dieser Verschleierungsmaßnahmen beteiligt war, ist angesichts des gegen ihn bestehenden Verdachts der Veruntreuung von Nachlassgeldern, durch die unter anderem der fragliche Pkw finanziert worden sein könnte, bei der im Rahmen des § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO zu treffenden Prognoseentscheidung ebenfalls vertretbar. Vor dem aufgezeigten Hintergrund war es trotz der zwischenzeitlich aufgrund der Durchsuchung der Kanzleiräume von R. erfolgten Beweissicherung auch vertretbar anzunehmen, dass A. , der nach den Feststellungen bereits unwahre Angaben im Rahmen eines Prozesskosten- hilfegesuchs über ein angebliches Getrenntleben von seiner Ehefrau gemacht hatte, mit hoher Wahrscheinlichkeit (weitere) Verdunkelungshandlungen durchführen werde, um das Beweisergebnis zu seinen Gunsten zu verändern. Angesichts der A. zur Last liegenden Untreuehandlungen mit einer Gesamtschadenssumme von mehreren Hunderttausend Euro ist auch gegen die Verhältnismäßigkeit des Haftbefehls nichts Durchgreifendes zu erinnern.
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bb) Auch die Annahme eines gegen den damaligen Beschuldigten R. bestehenden dringenden Tatverdachts der Geldwäsche in Tateinheit mit Begünstigung ist nicht zu beanstanden. Zutreffend weist das Landgericht darauf hin, dass aufgrund der in der Hauptverhandlung festgestellten Einkommensverhältnisse der Eheleute A. eine sehr hohe Verdachtslage dahingehend bestand, dass Zuwendungen an R. (bzw. über ihn umgeleitete Aufwendungen für die Anschaffung des Pkw BMW) in Höhe von zumindest 70.000 DM aus veruntreutem Nachlassvermögen herrührten. Die Annahme von Verdunkelungsgefahr ist aus den bereits dargelegten Gründen auch hinsichtlich des Rechtsanwalts R. vertretbar; der Angeklagte M. ging, wie das Landgericht ohne Rechtsfehler festgestellt hat, aufgrund einer verständigen Würdigung der Beweislage davon aus, dass R. zur Verschleierung der die seinerzeit verfahrensgegenständlichen Nachlassgelder betreffenden Geldflüsse einen rückdatierten Kaufvertrag erstellt und im Rahmen seiner Zeugenvernehmung vorgelegt habe. Aufgrund dieser Umstände ist es fern von Willkür, wenn der Angeklagte M. vom Vorliegen dringender Gründe für die Gefahr von Verdunkelungshandlungen ausgegangen ist. Angesichts des oben näher dargelegten Aufklärungsbedarfs gilt dies auch in Ansehung der Tatsache, dass R. der auch gegen ihn bestehende Verdacht seit längerem bekannt war und eine weitgehende Beweissicherung bereits stattgefunden hatte. Insbesondere lag die Gefahr einer Anfertigung weiterer falscher Beweismittel zur Verschleierung der noch nicht aufgeklärten Geldflüsse nicht ganz fern. Dass der Angeklagte M. vom Erlass des Haftbefehls nicht wegen Unverhältnismä- ßigkeit gemäß § 112 Abs. 1 Satz 2 StPO abgesehen hat, führt – wenngleich insoweit auch eine andere Bewertung nahe gelegen hätte – angesichts des Gewichts der in Rede stehenden Geldwäschehandlung jedenfalls nicht zur Unvertretbarkeit der getroffenen Entscheidung.
44
cc) Ohne Rechtsverstoß konnte der Angeklagte M. schließlich einen dringenden Tatverdacht der Geldwäsche gegen Ad. annehmen. Dieser ließ sich in Anbetracht des geringen Einkommens der damaligen Beschuldigten Ad. ohne weiteres aus dem vorläufigen Ergebnis der Vermögenszuwachsberechnung und aus der angeblichen Darlehensgewährung an R. herleiten. Wie bei Rechtsanwalt R. konnte aus der Mitwirkung an der Erstellung eines falschen Beweismittels in vertretbarer Weise auf Verdunkelungsgefahr geschlossen werden; angesichts der aufzuklärenden Geldflüsse und der noch in Frage stehenden Eignung des Pkw BMW als Verfallsgegenstand war es keinesfalls abwegig, vom Fortbestehen der Verdunkelungsgefahr auszugehen. Zwar sprach in Bezug auf Ad. viel gegen die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft, namentlich der Umstand , dass sie ein Kleinkind zu versorgen hatte und sowohl im Rahmen der Tatausführung als auch bei der Planung der Verdunkelungsmaßnahmen eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben dürfte. Dies lässt den Erlass des Haftbefehls angesichts der Erheblichkeit des Tatvorwurfs und in Anbetracht des im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung anzulegenden Maßstabs (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 112 Rn. 8) jedoch noch nicht als gänzlich unvertretbar erscheinen.
45
dd) Ein für den Rechtsbeugungsvorwurf erforderlicher elementarer Verstoß gegen die Rechtspflege kommt somit allein aufgrund des Inhalts der Haftbefehle nicht in Betracht.
46
c) Indessen war der Erlass der Haftbefehle gegenR. und Ad. evident verfahrensfehlerhaft, weil der Angeklagte M. für die Entscheidung über die in dem gegen diese Beschuldigten geführten Ermitt- lungsverfahren gestellten Haftanträge unzuständig war. Nach der Geschäftsverteilung des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt war der Angeklagte M. ab dem 14. Februar 2005 nur noch für das vor dem Schöffengericht anhängige Verfahren gegen A. zuständig. Die Aufgaben des – mangels anderweitiger Bestimmung im Geschäftsverteilungsplan auch für Haftentscheidungen gemäß § 125 StPO zuständigen – Ermittlungsrichters waren, unterteilt nach Kalenderwochen, zwei anderen Richtern übertragen. Ein Vertretungsfall – in dem der Angeklagte M. zudem nicht der als nächster zuständige Richter gewesen wäre – lag zum Zeitpunkt des Erlasses der Haftbefehle nicht vor, da die in dieser Woche zuständige Richterin am Amtsgericht Pe. zugegen war. Für eine Verfahrensverbindung der im alleinigen Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft stehenden Ermittlungsverfahren mit dem beim Schöffengericht anhängigen Verfahren bot § 4 StPO keine Grundlage. Vor diesem Hintergrund ließ sich eine Zuständigkeit des Angeklagten M. für die R. und Ad. betreffenden Haftentscheidungen unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt begründen (vgl. hierzu die in dieser Sache ergangene Senatsentscheidung vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09, StV 2011, 463). Wenngleich das Landgericht diesen Verfahrensverstoß im Grundsatz richtig erkannt hat, hat es ihn jedoch aufgrund einer unzulänglichen Beweiswürdigung im Rahmen der Prüfung des Rechtsbeugungstatbestandes nicht zutreffend bewertet.
47
aa) Die bei einem Verstoß gegen Verfahrensrecht für den Rechtsbeugungstatbestand notwendige konkrete Gefahr einer „falschen“ Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer Partei ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Richter aus sachfremden Erwägungen die Zuständigkeit an sich zieht, um zu Gunsten oder zu Lasten einer Prozesspartei eine von ihm gewünschte Entscheidung herbeizuführen, die bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften voraussichtlich nicht zu erreichen gewesen wäre (BGH, Urteile vom 5. Dezember 1996 – 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343, vom 20. September 2000 – 2StR 276/00, BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 6, und vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 97/09, NStZ-RR 2010, 310). Diese Voraussetzungen sind bereits dann als erfüllt anzusehen, wenn eine in mit sachwidriger Motivation angemaßter Zuständigkeit getroffene Entscheidung vom zuständigen Richter aufgrund abweichender Sachverhaltseinschätzung, anderer Bewertung eines Beurteilungsspielraums oder abweichender Ermessensausübung anders hätte getroffen werden können, wie der unzuständige Richter weiß.
48
bb) Die beweiswürdigenden Erwägungen des Landgerichts zu der danach maßgeblichen Frage nach dem Vorliegen sachfremder Motive für die fehlerhafte Zuständigkeitsbegründung durch den Angeklagten M. enthalten einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten.
49
Kann das Tatgericht die erforderliche Gewissheit von einem bestimmten Sachverhalt nicht gewinnen und spricht es daher den Angeklagten frei, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Eine Beweiswürdigung ist aber etwa dann rechtsfehlerhaft , wenn sie von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert oder nur eine von mehreren gleich nahe liegenden Möglichkeiten erörtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind. Dies ist auch dann der Fall, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerung nicht gezogen ist, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen könnten. Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen , für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteile vom 11. Januar 2005 – 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147, vom 7. November 2012 – 5 StR 322/12 und vom 13. Dezember 2012 – 4 StR 33/12, jeweils mwN).
50
An diesen Anforderungen scheitern die Erwägungen des Landgerichts. Die Strafkammer wertet das Vorgehen des Angeklagten M. vor dem Hintergrund der Verbindung einer Haftentscheidung in dem bei ihm anhängigen Strafverfahren mit Haftentscheidungen in Ermittlungsverfahren gegen R. und Ad. als willkürliche Zuständigkeitsbegründung; hierin sieht sie konsequenterweise einen schwerwiegenden Anhaltspunkt für eine sachwidrige Motivation des Angeklagten. Zur Entlastung des Angeklagten M. führt die Strafkammer jedoch aus, sie habe sich bei der Vernehmung der Zeugin Pe. davon überzeugt, „dass diese aufgrund der überlegenen Kenntnis des Angeklagten M. geneigt war, dessen Vorschläge und Anordnungen ohne eigene inhaltliche Prüfung zu akzeptieren, wie der von ihr unterzeichnete Vermerk betreffend die Zuständigkeit vom 20. April 2005 zeigt“. Angesichts dessen habe sie nicht feststellen können, „dass der AngeklagteM. beim Erlass der Haftbefehle gegen R. und Ad. gerade deshalb selbst gehandelt hat, um die zuständige Ermittlungsrichterin Pe. , die möglicherweise anders entschieden hätte, von der Entscheidung auszuschließen“ (UA S. 79).
51
Indem sich das Landgericht mit diesen Erwägungen an der Feststellung des Vorliegens sachfremder Motive des Angeklagten M. gehindert gesehen hat, hat es in unzulässiger Weise einen Sachverhalt zu Gunsten des Angeklagten unterstellt. Wenngleich bei mehreren nach den gesamten Umständen in Betracht kommenden Möglichkeiten grundsätzlich von der für den Angeklagten günstigeren auszugehen ist, sind andererseits nicht alle nur denkbaren Gesichtspunkte, zu denen keine Feststellungen getroffen werden können, zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen. Vielmehr berechtigen nur vernünftige Zweifel, die reale Anknüpfungspunkte haben, den Tatrichter zu Unterstellungen zu Gunsten des Angeklagten. Die Urteilsgründe müssen daher erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Grundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist (BGH, Urteil vom 11. April 2002 – 4 StR 585/01, NStZ-RR 2002, 243 mwN; vgl. ferner BGH, Urteil vom 13. Dezember 2012 – 4 StR 177/12, NStZ-RR 2013, 117).
52
Hieran fehlt es in Bezug auf die für die Schlussfolgerung des Landgerichts grundlegende Annahme, die Richterin am Amtsgericht Pe. sei geneigt gewesen, ohne eigene inhaltliche Prüfung die Vorschläge und Anordnungen des Angeklagten M. zu akzeptieren. Konkrete Anhaltspunkte, die geeignet wären, die Richtigkeit dieser Vermutung zu belegen, sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Insbesondere kann eine derart weitreichende Unterstellung – eine Richterin werde ohne Aktenkenntnis und ohne eigene Prüfung allein aufgrund der Anweisungen eines Kollegen Haftbefehle erlassen – nicht allein aus dem insoweit seitens der Strafkammer zur Begründung herangezogenen Umstand hergeleitet werden, dass die Ermittlungsrichterin Pe. in Kenntnis der Rechtslage (vgl. UA S. 47) den eine falsche Rechtsauffassung über die Zuständigkeit des Angeklagten M. für die Haftentscheidungen betreffenden Vermerk vom 20. April 2005 bestätigt hat. Hierdurch hat sie zwar nach den Urteilsfeststellungen den Angeklagten bei dessen Zuständigkeitsanmaßung unterstützt. Dies hat indessen bei weitem nicht die gleiche Qualität wie der Erlass von Haftbefehlen durch eine Richterin, die deren Voraussetzungen selbst gar nicht geprüft hat. Während es der Richterin aus verschiedenen denkbaren Gründen gelegen gekommen sein mag, die in Rede stehenden Haftentscheidungen nicht selbst zu treffen, sondern dem Angeklagten M. zu überlassen, bleibt nach den Urteilsfeststellungen unerfindlich, weshalb sie, wenn sie selbst hätte entscheiden müssen, hierbei ohne eigene Sachprüfung ausschließlich nach Vorgaben des Angeklagten M. hätte handeln sollen.
53
Im Übrigen hätte die Strafkammer in diesem Zusammenhang kritisch erwägen müssen, dass der Angeklagte M. nach den Urteilsfeststellungen (UA S. 47) wider besseres Wissen einen seine Zuständigkeit mit rechtlichen Erwägungen herleitenden Vermerk angefertigt und durch die von ihm beschlossene Verfahrensverbindung die „künstliche Begründung einer Zuständigkeit“ (UA S. 76) geschaffen hat, was für sich gegen eine Verneinung sachfremder Motive spricht.
54
cc) Hinzu tritt hier, dass sich aufgrund im Urteil festgestellter konkreter Hinweise die Möglichkeit aufdrängte, dem Angeklagten könnte es – auch neben einer Ausschließung der tatsächlich zuständigen Richterin – darum gegangen sein, durch die Verhaftung des Rechtsanwalts R. in öffentlicher Verhandlung einen wirkungsvollen Effekt zu erzielen und die Verfahrensbeteiligten zudem durch sein Vorgehen in besonderer Weise einzuschüchtern. Für diese Möglichkeit sprechen jedenfalls die Umstände der Verhaftung des Nebenklägers R. während seiner Zeugeneinvernahme, die vor Beantragung und Erlass des Haftbefehls und ohne eine Bezugnahme auf eine anderweitige Rechtsgrundlage (etwa – den in der Sache freilich fernliegenden – § 183 Satz 2 GVG) erfolgte und sich auch in ihren Begleitumständen des Bestehens auf einer Fesselung und in der sofortigen Veranlassung der Festnahme von Ad. als effektheischende öffentliche Machtdemonstration darstellte. Dieser Gesichtspunkt ist indessen in der Beweiswürdigung des Landgerichts zur Frage sachfremder Motive nicht aufgegriffen worden, so dass die Beweiswürdigung auch wegen der fehlenden Erörterung dieser nahe liegenden Möglichkeit lückenhaft ist.
55
Auch dieser Beweiswürdigungsmangel wirkt sich entscheidend auf die rechtliche Bewertung des Verhaltens des Angeklagten M. aus. Die von der Strafkammer rechtsfehlerhaft nicht in Betracht gezogene – auf Öffentlichkeitswirksamkeit und Einschüchterung abzielende – Motivlage würde einen sachfremden Beweggrund für die festgestellte Zuständigkeitsanmaßung darstellen, der befürchten ließe, dass die jeweils im Rahmen eines Beurteilungsspielraums zu treffenden Haftentscheidungen ihrerseits von sachfremden Entscheidungen beeinflusst waren. Bereits hierin würde ein Nachteil für die von den Haftentscheidungen Betroffenen liegen, ohne dass es noch darauf ankäme, ob die schließlich getroffene Entscheidung in der Sache rechtlich vertretbar war (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1996 – 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343).
56
d) Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Freispruchs des Angeklagten M. mit den zugehörigen Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts. Eine – von der Generalstaatsanwaltschaft in Brandenburg angeregte – Entscheidung des Revisionsgerichts über den Schuldspruch scheidet schon deshalb aus, weil die Frage des Vorliegens sachfremder Motive für die durch den Angeklagten begangene Zuständigkeitsanmaßung der erneuten tatgerichtlichen Prüfung bedarf. Auch eine Aufrechterhaltung von Feststellungen kommt von vornherein nicht in Betracht, weil es dem Angeklagten verwehrt war, die ihn belastenden Feststellungen revisionsrechtlich anzugreifen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 2012 – 5 StR 536/11, NJW 2012, 2453).
57
Dies gilt namentlich für die die Grundlage der weiteren Prüfung bildende Feststellung, der Angeklagte habe seine Unzuständigkeit für den Erlass der Haftbefehle erkannt und sich nicht etwa tatsächlich entsprechend der in dem Vermerk vom 20. April 2005 niedergelegten Rechtsauffassung für zuständig gehalten. Diese Frage wird Schwerpunkt der neuen Hauptverhandlung sein.
58
e) Für diese weist der Senat auf Folgendes hin:
59
aa) Die Argumentation des Landgerichts, gegen eine sachwidrige Motivation spreche, dass der Angeklagte sich fernmündlich beim Leitenden Oberstaatsanwalt über die Freilassung von R. beschwert habe (UA S. 80), ist zweifelhaft. Die Erwägung, dies deute darauf hin, dass M. sich zu seinem Handeln berechtigt fühlte, steht in einem Spannungsverhältnis zu der Feststellung, er habe um seine Unzuständigkeit für die Haftentscheidungen gewusst. Zudem zieht das Landgericht nicht in Betracht, dass die „Beschwerde“ über die Freilassung auch darin begründet gewesen sein kann, dass der Angeklagte M. , der sich womöglich durch die von der Staatsanwaltschaft verfügte Haftentlassung bereits dem Vorwurf rechtswidrigen Handelns ausgesetzt sah, nur den Eindruck erwecken wollte, von der Rechtmäßigkeit seines Vorgehens überzeugt zu sein.
60
bb) Hingegen sind weitere vom Landgericht festgestellte (vermeintliche ) Verfahrensverstöße von vornherein nicht geeignet, den Rechtsbeugungsvorwurf zu begründen, da sie jedenfalls nicht das hierfür erforderliche Gewicht aufweisen.
61
(1) Hinsichtlich des Haftbefehls gegen A. liegt eine – zumal gravierende – Verletzung des § 29 Abs. 1 StPO nicht vor (vgl. auch BGH, Beschluss vom 3. April 2003 – 4 StR 506/02, BGHSt 48, 264). Der Unaufschiebbarkeit einer Handlung im Sinne des § 29 Abs. 1 StPO steht die Erreichbarkeit eines Vertreters nicht entgegen; ist die Handlung unaufschiebbar , stellt dies vielmehr eine Ausnahme vom Ausschlussgrund des § 29 Abs. 1 StPO dar, so dass ein Vertretungsfall gerade nicht gegeben ist.
62
(2) Der beschlossenen Verbindung kommt jenseits der Indizwirkung im Rahmen der Zuständigkeitsanmaßung für den Rechtsbeugungsvorwurf keine eigenständige Bedeutung zu. Hierdurch drohte den Betroffenen für sich kein konkreter Nachteil. Der Angeklagte hat sowohl Ad. als auch R. in dem nach der Verbindung stattfindenden Hauptverhandlungstermin vom 14. April 2005 als Zeugen vernommen und nicht etwa als Beschuldigte oder gar als Angeklagte des laufenden Verfahrens vor dem Schöffengericht behandelt. Den Verbindungsbeschluss hat er schließlich am 29. April 2005 mit der Begründung aufgehoben, die Verbindung sei nach Aufhebung des Haftbefehls gegenstandslos.
63
(3) Auch die richterlichen Handlungen des Angeklagten M. im Zusammenhang mit den Durchsuchungen der Kanzleiräume des Rechtsanwalts R. scheiden als Anknüpfungspunkt für den Vorwurf der Rechts- beugung jedenfalls mangels der hierfür erforderlichen Schwere des Verstoßes aus. Eine Zuständigkeitsanmaßung liegt auch hinsichtlich der zweiten Durchsuchungsanordnung nicht vor, da die zu suchenden Beweismittel gerade auch in dem von M. geführten Verfahren gegen A. Bedeutung erlangen konnten, so dass der Angeklagte als Vorsitzender des Schöffengerichts in diesem Verfahren Durchsuchungen gemäß §§ 102, 103 StPO anordnen konnte.
64
(4) Das – auch vom Landgericht nicht als Verfahrensverstoß gewertete – Unterlassen einer Bearbeitung der Haftbeschwerden schon am 8. April 2005, an dem sich der Angeklagte M. zur Verhandlung von Zivilverfahren in Frankfurt (Oder) befand, kann jedenfalls nicht als elementarer Verstoß gegen die Rechtspflege gewertet werden. Der Angeklagte hat die Beschwerden innerhalb der Dreitagesfrist des § 306 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO weitergeleitet. Insoweit liegt jedenfalls die Annahme eines schwerwiegenden Rechtsverstoßes – ohne das Hinzutreten weiterer Umstände – fern (vgl. auch BGH, Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105).
65
2. Zum Angeklagten P.
66
Zu Recht hat das Landgericht auf Grundlage der insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen eine Strafbarkeit des Angeklagten P. nach § 339 StGB, gegebenenfalls i.V.m. § 25 Abs. 2, §§ 26 oder 27 StGB verneint.
67
a) Die Stellung der Haftbefehlsanträge war materiell-rechtlich vertretbar und kann somit im Hinblick auf ihren Inhalt nicht als Beugung des Rechts gewertet werden. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Begründung der Anträge in jeder Hinsicht tragfähig war. Weder eine unzulängliche noch eine in Teilen fernliegende Antragsbegründung – wie etwa die Annahme von Fluchtgefahr bei Rechtsanwalt R. – vermögen für sich genommen einen elementaren Rechtsverstoß im Sinne des § 339 StGB zu begründen, wenn die beantragten gerichtlichen Maßnahmen – wie hier – im Ergebnis vertretbar waren und auch die Antragstellung als solche nicht gegen Verfahrensvorschriften verstieß; denn die Antragsbegründung selbst entfaltet keinerlei Außenwirkung und vermag somit allein keinen mit dem Recht unvereinbaren Zustand zu schaffen.
68
b) Zwar käme grundsätzlich eine Beteiligung des AngeklagtenP. an der willkürlichen Zuständigkeitsbegründung des Angeklagten M. im Hinblick darauf in Betracht, dass P. die Ad. und R. betreffenden schriftlichen Haftbefehlsanträge durch persönliche Übergabe beim Angeklagten M. gestellt hat, obwohl dieser zur Entscheidung über diese Anträge unzuständig war. Das Landgericht hat sich jedoch nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte P. die erst mit Wirkung zum 14. Februar 2005 beschlossene Änderung des Geschäftsverteilungsplans kannte und daher wusste, dass M. nicht mehr als Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt für Haftentscheidungen zuständig war. Die dem zugrunde liegende Beweiswürdigung ist jedenfalls vor dem Hintergrund, dass M. im laufenden Geschäftsjahr noch als Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt zuständig gewesen war, vertretbar und vom Revisionsgericht hinzunehmen. Wenn aber P. von einer Zuständigkeit des Angeklagten M. für die Haftentscheidungen ausging , scheidet eine strafbare Beteiligung an dem von M. begangenen Verfahrensverstoß aus.
69
Die Adressierung auch der R. und Ad. betreffenden An- träge an das „Schöffengericht des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt“ führt – unabhängig von der vom Landgericht nicht näher gewürdigten Einlassung P. s, er habe bei der Erstellung der Anträge am PC versehentlich die vorher für den A. betreffenden Antrag verwendete Maske benutzt – jedenfalls vor dem Hintergrund, dass diese außerhalb der Hauptverhandlung gestellt wurden, zu keiner anderen Bewertung. Der für außerhalb der Hauptverhandlung zu treffende Entscheidungen des Schöffengerichts allein zu- ständige Angeklagte M. war nach Vorstellung des Angeklagten P. , wie zu dessen Gunsten zu unterstellen ist, mit dem zuständigen Ermittlungsrichter personenidentisch, so dass die Falschadressierung – hiervon ausgehend – nicht zu einer Verletzung von Zuständigkeitsvorschriften führen konnte.
70
c) Ein in der Stellung der Haftbefehlsanträge liegender Verstoß gegen die interne staatsanwaltschaftliche Zuständigkeitsverteilung kann ohne das Hinzutreten weiterer sich hieraus ergebender Rechtsverstöße keine Beugung des Rechts darstellen. Die Ermittlungsverfahren gegen R. und Ad. wurden aufgrund einer bestehenden örtlichen Zuständigkeit bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) geführt. Als dieser Behörde angehörender Oberstaatsanwalt war der Angeklagte P. nach außen hin befugt, die Haftbefehlsanträge zu stellen. Die Zuwiderhandlung gegen die innerhalb seiner Behörde geltenden Zuständigkeitsabgrenzungen bewirkt – unabhängig von der Frage nach dem Vorliegen einer beamtenrechtlich relevanten Dienstpflichtverletzung – keine Verletzung materiellen oder prozessualen Rechts.
71
d) Selbst wenn nachzuweisen sein sollte, dass der Mitangeklagte M. sich maßgeblich aus dem Motiv einer öffentlichkeitswirksamen Aktion zu den Verhaftungen entschlossen und P. dies durchschaut und mit seinen Anträgen unterstützt hätte, bietet dies auf der gleichwohl rechtsfehlerfrei angenommenen Grundlage materieller Vertretbarkeit der Haftentscheidungen und Unkenntnis P. s von M. s Zuständigkeitsanmaßung keinen hinreichenden Anhalt für eine strafbare Handlung P. s.
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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 27 Beihilfe


(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. (2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu milde

Strafprozeßordnung - StPO | § 112 Voraussetzungen der Untersuchungshaft; Haftgründe


(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßr

Strafgesetzbuch - StGB | § 25 Täterschaft


(1) Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht. (2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).

Strafprozeßordnung - StPO | § 55 Auskunftsverweigerungsrecht


(1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 102 Durchsuchung bei Beschuldigten


Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowo

Strafgesetzbuch - StGB | § 26 Anstiftung


Als Anstifter wird gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat.

Strafgesetzbuch - StGB | § 239 Freiheitsberaubung


(1) Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist

Strafprozeßordnung - StPO | § 4 Verbindung und Trennung rechtshängiger Strafsachen


(1) Eine Verbindung zusammenhängender oder eine Trennung verbundener Strafsachen kann auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten oder von Amts wegen durch gerichtlichen Beschluß angeordnet werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 103 Durchsuchung bei anderen Personen


(1) Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des Beschuldigten oder zur Verfolgung von Spuren einer Straftat oder zur Beschlagnahme bestimmter Gegenstände und nur dann zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist,

Strafgesetzbuch - StGB | § 339 Rechtsbeugung


Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bi

Strafprozeßordnung - StPO | § 114 Haftbefehl


(1) Die Untersuchungshaft wird durch schriftlichen Haftbefehl des Richters angeordnet. (2) In dem Haftbefehl sind anzuführen 1. der Beschuldigte,2. die Tat, deren er dringend verdächtig ist, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale

Strafprozeßordnung - StPO | § 125 Zuständigkeit für den Erlass des Haftbefehls


(1) Vor Erhebung der öffentlichen Klage erläßt der Richter bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand begründet ist oder der Beschuldigte sich aufhält, auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder, wenn ein Staatsanwalt nicht erreichbar und Ge

Strafprozeßordnung - StPO | § 29 Verfahren nach Ablehnung eines Richters


(1) Ein abgelehnter Richter hat vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten. (2) Die Durchführung der Hauptverhandlung gestattet keinen Aufschub; sie findet bis zur Entscheidung über das A

Strafprozeßordnung - StPO | § 138a Ausschließung des Verteidigers


(1) Ein Verteidiger ist von der Mitwirkung in einem Verfahren auszuschließen, wenn er dringend oder in einem die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigenden Grade verdächtig ist, daß er 1. an der Tat, die den Gegenstand der Untersuchung bildet, be

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 183


Wird eine Straftat in der Sitzung begangen, so hat das Gericht den Tatbestand festzustellen und der zuständigen Behörde das darüber aufgenommene Protokoll mitzuteilen. In geeigneten Fällen ist die vorläufige Festnahme des Täters zu verfügen.

Strafprozeßordnung - StPO | § 138c Zuständigkeit für die Ausschließungsentscheidung


(1) Die Entscheidungen nach den §§ 138a und 138b trifft das Oberlandesgericht. Werden im vorbereitenden Verfahren die Ermittlungen vom Generalbundesanwalt geführt oder ist das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof anhängig, so entscheidet der Bundesger

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Bundesgerichtshof Urteil, 20. Juni 2012 - 5 StR 536/11

bei uns veröffentlicht am 20.06.2012

Nachschlagewerk: nein BGHSt : nein Veröffentlichung : ja StGB § 227 StPO § 81a Vorhersehbarkeit der Todesfolge nach Brechmitteleinsatz (im Anschluss an BGHSt 55, 121). BGH, Urteil vom 20. Juni 2012 – 5 StR 536/11 LG Bremen – (alt:
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Bundesgerichtshof Urteil, 22. Jan. 2014 - 2 StR 479/13

bei uns veröffentlicht am 22.01.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 S t R 4 7 9 / 1 3 vom 22. Januar 2014 in der Strafsache gegen wegen Rechtsbeugung Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja BGHR: ja Veröffentlichung: ja ____________________ StGB § 339 1. Der subjektive

Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2019 - 5 StR 36/19

bei uns veröffentlicht am 22.05.2019

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 36/19 vom 22. Mai 2019 in der Strafsache gegen wegen des Verdachts der Vergewaltigung ECLI:DE:BGH:2019:220519U5STR36.19.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. Ma

Bundesgerichtshof Urteil, 18. Juli 2013 - 4 StR 84/13

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 84/13 vom 18. Juli 2013 in der Strafsache gegen wegen Verdachts der Rechtsbeugung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Juli 2013, an der teilgenommen haben: Ri

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Mai 2017 - 5 StR 19/17

bei uns veröffentlicht am 10.05.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 19/17 (alt: 5 StR 555/09 und 5 StR 261/12) vom 10. Mai 2017 in der Strafsache gegen wegen Rechtsbeugung u.a. ECLI:DE:BGH:2017:100517U5STR19.17.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in

Referenzen

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
Zur unerlässlichen Mitwirkung eines dritten Berufsrichters in
einem wegen komplexer Rechtsbeugungsvorwürfe umfangreichen
und schwierigen Strafverfahren.
BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09
LG Potsdam –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 7. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Rechtsbeugung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Juli 2010

beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 19. Juni 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit schwerer Freiheitsberaubung verurteilt. Gegen den Angeklagten M. hat es eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, gegen den Angeklagten P. eine solche von einem Jahr und acht Monaten. Zur Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung sind jeweils sechs Monate Freiheitsstrafe als vollstreckt erklärt worden.

A.


2
Das Landgericht hat seiner Verurteilung im Wesentlichen folgende Feststellungen zugrunde gelegt:
3
Der Beschwerdeführer M. führte als Richter am Amtsgericht den Vorsitz in einer Schöffengerichtssache gegen B. A. vor dem Amtsgericht Eisenhüttenstadt. A. wurde zur Last gelegt, als Nachlasspfleger in sechs Fällen Nachlassvermögen in Höhe von insgesamt etwa 400.000 € veruntreut zu haben. Am 30. Juni 2005 verurteilte ihn das Schöf- fengericht unter Vorsitz des Beschwerdeführers M. schließlich zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren. M. war nach dem Jahresgeschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts lediglich noch für die Erledigung dieses schöffengerichtlichen Verfahrens zuständig, dessen Hauptverhandlung am 16. Dezember 2004 begonnen hatte. Im Übrigen (90 %) war er an das Landgericht Frankfurt/Oder abgeordnet. Der Beschwerdeführer P. ist Oberstaatsanwalt und nahm als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder an der überwiegenden Anzahl der Hauptverhandlungstage teil.
4
A. ließ sich im Strafverfahren unter anderem von Rechtsanwalt R. verteidigen. Darüber war der Beschwerdeführer M. von Beginn an sehr ungehalten, weil er R. verdächtigte, an der Vortat des A. beteiligt gewesen zu sein. Er rechnete daher damit, dass R. Konfliktverteidigung betreiben würde, „um von seiner eigenen Tatbeteiligung abzulenken sowie die Aufklärung des Sachverhalts zu verzögern und zu erschweren“ (UA S. 13). Er war deshalb bestrebt, „R. möglichst rasch der Beteiligung an den Taten des B. A. zu überführen und ihn auf diese Weise auch aus dem gegen B. A. anhängigen Strafverfahren auszuschließen“ (UA S. 13). Seine im April 2004 erfolgte Vorlage an das Brandenburgische Oberlandesgericht mit dem Ziel, R. gemäß §§ 138a, 138c StPO als Tatbeteiligten auszuschließen, war ohne Erfolg geblieben (UA S. 14). Deshalb beschloss er, „selbst gegen Rechtsanwalt R. zu ermitteln und ihn mit Zwangsmaßnahmen zu überziehen“ (UA S. 14). Dabei war ihm bekannt, dass sowohl gegen R. als auch gegen A. s Ehefrau C. von der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Geldwäsche Ermittlungsverfahren eingeleitet worden waren. Der auch für das Verfahren gegen B. A. zuständige Dezernent, Staatsanwalt B. , erhob später, im Juni 2006, gegen R. und C. A. wegen Geldwäsche Anklage. Zum Ausgang dieses Verfahrens hat die Strafkammer keine Feststellungen getroffen.
5
In dem Schöffengerichtsverfahren wurde der Beschwerdeführer M. am 24. März 2005 (7. Hauptverhandlungstag) durch B. A. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Begründet wurde das Ablehnungsgesuch maßgeblich mit der Berichterstattung des früheren Direktors des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt W. Oder-Spree- im Fernsehen vom Vortag. Dieser nahm als Prozessberichterstatter an einer Vielzahl der Sitzungstage teil und kommentierte über diesen Sender „tendenziös zu Lasten“ des Angeklagten A. und des Verteidigers Rechtsanwalt R. das Prozessgeschehen; dabei verfügte er aus Sicht der Verteidigung A. s über Informationen, die er nur von M. erlangt haben konnte (UA S. 29).
6
Am 7. April 2005 (8. Hauptverhandlungstag) wurde der Beschwerdeführer M. erneut abgelehnt. Grund dafür war seine wörtliche Äußerung (UA S. 31): „Hier gilt doch nicht die StPO, hier gilt doch die HPO. Die kennen Sie doch? Die kennt nur einen Paragraphen und der heißt: Der Strafprozess beginnt mit der Vollstreckung, alles weitere bestimmt der Vorsitzende !“ Mit der Wendung „HPO“ meinte M. eine sogenannte „Hüttenstädter Prozessordnung“, mit der er Rechtsanwalt R. die Macht des Vorsitzenden demonstrieren wollte (UA S. 31). Die Ablehnungsgesuche wurden am 11. April 2005 (UA S. 36) und 21. April 2005 (UA S. 45) jeweils durch M. s Vertreterin zurückgewiesen.
7
Ebenfalls am achten Hauptverhandlungstag überreichte der als Zeuge vernommene Rechtsanwalt R. Ablichtungen eines Kaufvertrags über die Veräußerung seines Kraftfahrzeugs an C. A. . Der Beschwerdeführer M. nahm an, dass der Kaufvertrag rückdatiert worden sei, erhob sich, „warf seine Robe nach hinten, deutete auf den Zeugen R. und rief: ‚Sie sind festgenommen!’. Er hatte bereits vor dieser Sitzung den Entschluss gefasst, den Zeugen R. , B. A. und dessen Ehefrau festnehmen zu lassen, und dies mit P. besprochen, weil er sichergehen wollte , dass dieser die entsprechenden Haftbefehlsanträge stellen würde“ (UA S. 33). Entsprechend erhielt der Beschwerdeführer M. vom Beschwerdeführer P. drei vorbereitete schriftliche Anträge, mit denen dieser die Anordnung der Untersuchungshaft gegen B. A. wegen Untreue sowie gegen R. und C. A. wegen Geldwäsche und Begünstigung , bezüglich R. auch wegen uneidlicher Falschaussage beantragte. Sämtliche Anträge waren auf den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr sowie bei R. zusätzlich auf Fluchtgefahr gestützt. Der Beschwerdeführer M. vergab für die Haftbefehlsanträge betreffend R. und C. A. gerichtliche Aktenzeichen mit Gs-Registerzeichen, beschloss die Verbindung der Ermittlungsverfahren gegen R. und C. A. mit dem von ihm geführten Strafverfahren gegen B. A. und ordnete antragsgemäß Untersuchungshaft gegen alle drei an. R. und B. A. wurden im Sitzungssaal, C. A. acht Minuten später an ihrer Arbeitsstelle festgenommen.
8
Beiden Beschwerdeführern war bewusst, dass M. für eine eigenmächtige Verbindung der bei der Staatsanwaltschaft anhängigen und noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren ebenso wenig zuständig war wie für den Erlass von Haftbefehlen in diesen Ermittlungsverfahren. Sie wollten insbesondere „in Kenntnis des Fehlens tragender Haftgründe im Umgang mit einer vermeintlichen Konfliktverteidigung ein Exempel statuieren“ und gingen davon aus, dass „der Erlass der Haftbefehle durch einen anderen Richter, ebenso wie die Beantragung der Haftbefehle durch einen anderen Vertreter der Staatsanwaltschaft höchstwahrscheinlich nicht zu erreichen gewesen wäre“ (UA S. 36/37).
9
Am 14. April 2005 (9. Hauptverhandlungstag) wurden R. und C. A. als Zeugen vernommen. Zwischenzeitlich war es auf Betreiben von Staatsanwalt B. zu Unterredungen mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt gekommen, in deren Folge Staatsanwalt B. am 14. April 2005 die Entlassung von R. aus der Untersuchungshaft anordnete. Am folgenden Tag beschloss der Beschwerdeführer M. „in den Straf- und Ermittlungsverfahren“ gegen B. und C. A. sowie R. , dass die Haftbefehle gegen den Angeklagten A. sowie die „Beschuldigte“ C. A. aufgehoben werden, weil sich im Hinblick auf die Entlassung des „Beschuldigten“ R. der weitere Vollzug der Untersuchungshaft als unverhältnismäßig darstelle (UA S. 45); am selben Tag ordnete er ihre Entlassung an und hob später auch den Haftbefehl gegen R. sowie den Verbindungsbeschluss auf.

B.


10
Die Revisionen haben bereits mit Besetzungsrüge Erfolg. Zu Recht beanstanden die Beschwerdeführer, dass die Strafkammer unter Verstoß gegen § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG mit nur zwei Berufsrichtern besetzt gewesen ist. Die fehlerhafte Besetzung des erkennenden Gerichts hat als absoluter Revisionsgrund die Aufhebung des Urteils zur Folge (§ 338 Nr. 1 StPO).
11
I. Den Rügen liegt folgender prozessualer Sachverhalt zugrunde:
12
1. Die Staatsanwaltschaft hat gegen die Beschwerdeführer unter dem 30. August 2007 Anklage wegen gemeinschaftlich begangener Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung zum Landgericht Frankfurt/Oder erhoben. Den zunächst ergangenen Nichteröffnungsbeschluss hat das Brandenburgische Oberlandesgericht am 29. Juli 2008 auf sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft aufgehoben und das Hauptverfahren vor dem Landgericht Potsdam eröffnet. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 6. Februar 2009 nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG von der Mitwirkung eines dritten Berufsrichters ohne Angabe von Gründen abgesehen; den von den Beschwerdeführern jeweils vor ihrer Vernehmung zur Sache erhobenen Besetzungseinwand, gestützt auf eine unvertretbare reduzierte Gerichtsbesetzung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG, hat das Landgericht (in der für die Hauptverhandlung vorgesehenen Besetzung) zurückgewiesen und zur Begründung mitgeteilt: „Die Kammer hält sich für ordnungsgemäß besetzt. Eine willkürliche Entscheidung über die Besetzung ist nach hiesiger Meinung nicht erkennbar.“
13
2. Den bestreitenden Beschwerdeführern wurden durch die Anklageschrift „mehrere evidente Rechtsverstöße“, begangen zum Nachteil der Eheleute A. sowie des Rechtsanwalts R. , als einheitliche Tat der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung zur Last gelegt. Im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung belief sich der Umfang der Leitakte bereits auf mehr als 900 Seiten.
14
Überdies oblag der Strafkammer die Aufklärung des komplexen Ausgangsverfahrens gegen B. A. , das ursprünglich zum Landgericht angeklagt , aber mit Blick auf die zu erwartende Rechtsfolge vor dem Schöffengericht eröffnet worden war. Unter dem Vorsitz des Beschwerdeführers M. war darüber mehr als ein halbes Jahr an 14 Hauptverhandlungstagen auch unter Hinzuziehung eines Sachverständigen verhandelt worden. Die Hauptaktenbände umfassten etwa 1.600 Seiten, wurden ebenso wie die Hauptakten der Ermittlungsverfahren gegen R. und C. A. (Umfang etwa 800 Seiten) als Kopieakten beigezogen und in der Darstellung der Beweismittel in der Anklageschrift berücksichtigt. Nach dem – durch die Gegenerklärung unwidersprochen gebliebenen (vgl. zur Bedeutung der Revisionsgegenerklärung Drescher NStZ 2003, 296, 300) – Revisionsvortrag umfassten allein die beigezogenen Verfahrensakten – ersichtlich nebst Beiakten – insgesamt mehr als 7.000 Seiten.
15
3. In der Hauptverhandlung gegen die beiden Beschwerdeführer traten vor dem Landgericht neben den Verteidigern zwei Nebenkläger mit jeweils einem anwaltlichen Beistand auf. Die Strafkammer terminierte zunächst sechs Hauptverhandlungstage und lud dazu 13 Zeugen; insgesamt verhandelte sie anschließend noch an vier weiteren Tagen bis zur Urteilsverkündung.
16
II. Den Besetzungsrügen kann der Erfolg nicht versagt werden. Durch die Verhandlung und Entscheidung in der Besetzung mit nur zwei Berufsrichtern hat die Strafkammer § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG verletzt, weil der Umfang der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines dritten Berufsrichters notwendig machte.
17
1. Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG beschließt die – nicht als Schwurgericht zuständige – große Strafkammer bei der Eröffnung des Hauptverfahrens , dass sie in der Hauptverhandlung mit nur zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt ist, es sei denn, nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache erscheint die Mitwirkung eines dritten Berufsrichters erforderlich. Bei dieser Entscheidung steht der Strafkammer kein Ermessen zu; sie hat die Dreierbesetzung zu beschließen, wenn diese nach dem vorgenannten Maßstab notwendig erscheint. Jedoch ist dem Tatgericht bei der Auslegung der gesetzlichen Merkmale ein weiter Beurteilungsspielraum eröffnet, der die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen hat (BGHSt 44, 328, 334; BGH NStZ 2004, 56; StV 2004, 250, 251; Kissel /Mayer, GVG 6. Aufl. § 76 Rdn. 4). Maßgebend für die Bewertung des Umfangs der Sache sind etwa die Zahl der Angeklagten, Verteidiger und erforderlichen Dolmetscher, die Anzahl der angeklagten Taten, der Zeugen sowie anderer Beweismittel, namentlich die Notwendigkeit von Sachverständigengutachten , der Umfang der Akten sowie die voraussichtliche Dauer der Hauptverhandlung (BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3).
18
2. Bleibt im Einzelfall zweifelhaft, welche Gerichtsbesetzung für die sachgerechte Verfahrensbehandlung geboten ist, gebührt der Dreierbesetzung wegen ihrer gegenüber der reduzierten Besetzung strukturellen Überlegenheit , die sich bereits vor der 1993 erfolgten Einführung des § 76 Abs. 2 GVG bewährt hatte, der Vorrang (vgl. BGHSt 44, 328, 334; BGH JR 2004, 170). Die Beteiligung mehrerer Berufsrichter neben dem Vorsitzenden ist besonders geeignet, Aufgaben insbesondere auch in der Hauptverhandlung sachgerecht aufzuteilen, den Tatsachenstoff intensiver zu würdigen und schwierige Rechtsfragen besser zu bewältigen (vgl. BGH JR aaO; BTDrucks 12/1217 S. 46 f.). Die Besetzung der Strafkammer hat so unmittelbaren Einfluss auf die Qualität des Erkenntnisverfahrens; eine reguläre Besetzung der Strafkammer ermöglicht insbesondere eine straffe, effektive – und damit auch ressourcenschonende – Verhandlungsführung. Die Würdigung des Tatsachenstoffs und der Rechtsfragen durch drei Richter gewährleistet ferner die von der einzigen Tatsacheninstanz im Rechtszug geforderte hohe Qualität tatgerichtlicher Erkenntnis (BTDrucks aaO).
19
Der Senat merkt in diesem Zusammenhang an, dass die Rechtspraxis , soweit ersichtlich, den gebotenen sensiblen Umgang der großen Strafkammern mit der Besetzungsreduktion derzeit nicht widerspiegelt; anders ist ihre oftmals überwiegende, bei manchen Landgerichten ausschließliche Inanspruchnahme nicht erklärlich (vgl. BTDrucks 14/2777 S. 2 f.; 14/3831 S. 5; 16/3038 S. 32). Der Senat hielte es demgegenüber grundsätzlich für angezeigt , den der Beurteilung des Tatrichters unterstehenden Rechtsbegriff des Umfangs der Sache auch dahingehend weiter zu konturieren, dass jedenfalls bei einer im Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens absehbaren Verhandlungsdauer von wenigstens zehn Hauptverhandlungstagen von der Mitwirkung eines dritten Berufsrichters grundsätzlich nicht abgesehen werden darf (vgl. zu dieser Schwelle BGHSt 52, 355, 362; Becker in Löwe /Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 229 Rdn. 2; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 275 Rdn. 2). Ausnahmen mögen insbesondere bei weniger komplexen Verfahren möglich sein, wenn deren Umfang etwa allein durch eine Vielzahl für sich jeweils ganz einfach gelagerter Fälle bedingt ist.
20
3. Der absolute Revisionsgrund nach § 338 Nr. 1 StPO wegen eines Verstoßes gegen § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG liegt jedenfalls bei einer auf sachfremde Erwägungen gestützten Besetzungsentscheidung oder bei einem unvertretbaren Überschreiten des Beurteilungsspielraums durch das Tatgericht vor. Unter solchen Voraussetzungen ist die Anordnung reduzierter Besetzung objektiv willkürlich (vgl. BGHSt 44, 328, 333 ff.; BGHR GVG § 76 http://www.juris.de/jportal/portal/t/362m/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJLU034439337&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 10 - Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3; BGH NStZ 2004, 56; Siolek in Löwe /Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 76 GVG Rdn. 16; Diemer in KK 6. Aufl. § 76 GVG Rdn. 3; Kissel/Mayer aaO § 76 Rdn. 5; Schlothauer StV 1993, 147, 150). Diese Voraussetzungen sind hier nach den Kriterien sowohl des Umfangs als auch der Schwierigkeit der Sache erfüllt.
21
Nur scheinbar waren nach dem konkreten Anklagesatz wenige Rechtsbeugungshandlungen aufzuklären, die an drei Hauptverhandlungstagen begangen wurden. Von Beginn an war evident, dass tatgerichtliche Feststellungen allein dieser Verfahrenshandlungen unzureichend sein würden. Gerade wegen der tatbestandlich gebotenen Bewertung der Verfahrensfehler im Rahmen des § 339 StGB war ersichtlich auch die aufwendige Rekonstruktion weiter Teile und Hintergründe des für sich bereits komplexen Ausgangsverfahrens vor dem Schöffengericht unerlässlich (§ 244 Abs. 2 StPO). Nur auf diese Weise konnte die Strafkammer ausschließen, dass die angeklagten Handlungen nicht etwa sachgerecht, vertretbar oder letztlich gar geboten waren.
22
Im Zeitpunkt der Besetzungsentscheidung lag daher auf der Hand, dass die von der Staatsanwaltschaft beigezogenen umfangreichen, mehrere tausend Seiten umfassenden Verfahrensakten aus dem zudem in der Sache komplizierten Strafverfahren gegen B. A. einschließlich der Ermittlungsakten der Verfahren gegen Rechtsanwalt R. und C. A. auszuwerten waren. Anhand dessen waren insbesondere die Hintergründe der von den Beschwerdeführern vermuteten Beteiligung von R. und C. A. an den Taten des B. A. durch die Strafkammer aufzuklären.
23
Der so ohnehin bereits erhebliche und komplexe Verhandlungsumfang wurde weiter geprägt durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen, sämtlich anwaltlich beratenen Verfahrensbeteiligten, die voraussehbar jeweils unterschiedliche Interessen verfolgten. Dabei zeichnete sich schon durch die ausführlichen gegensätzlichen Gerichtsentscheidungen über die Eröffnung des Hauptverfahrens eine Auseinandersetzung über streitige, mindestens teilweise nicht alltägliche Rechts- und Verfahrensfragen ab. Diese Gesichtspunkte wurden hier auch nicht etwa entkräftet durch eine einfach gelagerte Beweisaufnahme (vgl. BGHSt 44, 328, 335 f.; BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3; BGH JR 2004, 170, 171). Vielmehr ließen auch die drohenden dienstrechtlichen Folgen einer Verurteilung für die nicht geständigen Beschwerdeführer von Anfang an erkennen, dass eine aufwendige und kontroverse Beweisaufnahme zu bewältigen sein würde.
24
Nach all dem war die Besetzungsentscheidung ebenso wie der nicht näher begründete, den Besetzungseinwand zurückweisende Gerichtsbeschluss nicht mehr vertretbar. Die Strafkammer hätte auf den Einwand hin die Besetzungsentscheidung aufheben müssen (BGH JR 2004, 170, 171). Das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 1 StPO hat die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache zur Folge, über die eine große Strafkammer in nicht reduzierter Besetzung zu entscheiden haben wird.

C.


25
Auf die sonstigen erhobenen Verfahrensrügen und die – nicht etwa zu einer begünstigenden Durchentscheidung führenden – sachlichrechtlichen Beanstandungen der Revisionen der Beschwerdeführer kommt es danach nicht mehr an. Der Senat sieht jedoch mit Blick auf das weitere Verfahren Anlass zu folgenden ergänzenden Bemerkungen:
26
I. Die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen zum Verfahren gegen B. A. vor dem Amtsgericht Eisenhüttenstadt sind – möglicherweise gar infolge der reduzierten Strafkammerbesetzung – derart zusammenhanglos und lückenhaft, dass sie eine sachlichrechtliche Überprüfung einiger der den Beschwerdeführern zur Last gelegten Verfahrenshandlungen http://www.juris.de/jportal/portal/t/1c1d/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE301549700&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/1clq/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE301549700&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 12 - für den Senat weitgehend nicht ermöglichen würden. Dies gilt namentlich für eine willkürliche Annahme von Haftgründen.
27
Darüber hinaus stellen Verfahrensrügen des Beschwerdeführers M. die Feststellungen zu ihm vorgeworfenen rechtsbeugerischen Verfahrenshandlungen teilweise in Frage. Dies gilt beispielsweise für die Feststellung der Haftgründe gegen Rechtsanwalt R. , wie für die Initiative des Beschwerdeführers M. in dem gegen diesen betriebenen Ausschließungsverfahren nach §§ 138a ff. StPO.
28
II. Der Senat merkt andererseits an: Im Gewicht von Verfahrensverstößen kann ein tragfähiges Indiz für eine sachwidrige Motivation im Sinne des § 339 StGB liegen. Weitere Indizien können sich aus den festzustellenden Begleitumständen ergeben.
29
1. Die Strafkammer geht zu Recht davon aus, dass Rechtsbeugung auch durch den Verstoß gegen Verfahrensvorschriften begangen werden kann (vgl. BGHSt 42, 343, 344; 47, 105, 109; BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 6; jeweils m.w.N.). Um nicht in jedem Rechtsverstoß bereits eine „Beugung“ des Rechts zu sehen, enthält das Tatbestandsmerkmal ein normatives Element; erfasst werden sollen davon nur elementare Verstöße gegen die Rechtspflege, bei denen sich der Täter bewusst und in schwerer Weise zugunsten oder zum Nachteil einer Partei von Recht und Gesetz entfernt (vgl. BGHSt 32, 357, 364; 34, 146, 149; 38, 381, 383; 42, 343, 345; 47, 105, 109 ff.; BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 7; BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 97/09 Tz. 10) und dadurch die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung begründet, ohne dass allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muss (BGHSt 42, 343, 346, 351; BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 6).
30
2. Für die Erfüllung des ungeschriebenen tatbestandlichen Regulativs der konkreten Gefahr einer sachfremden Entscheidung (vgl. BGHSt 32, 357, 364) kann es sprechen, wenn ein Richter eine Entscheidung zum Nachteil einer Partei unter bewusster Begehung eines schwerwiegenden Verfahrensfehlers trifft. Ein derartiger schwerwiegender Verstoß kann in einer willkürlichen Zuständigkeitsbegründung als Missachtung des rechtsstaatlich besonders bedeutsamen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG jedenfalls dann liegen, wenn diese eine Verletzung weiterer wesentlicher grund- oder konventionsrechtlicher Rechtspositionen des Betroffenen bewirkt.
31
a) Der Beschwerdeführer M. war nach den bislang getroffenen Feststellungen für die Anordnung von Untersuchungshaft gegen R. und C. A. nicht zuständig. Nach der Geschäftsverteilung war M. im Jahre 2005 ausschließlich für die Erledigung des bereits rechtshängigen Schöffengerichtsverfahrens gegen B. A. zuständig.
32
aa) Die von ihm beschlossene Verbindung der bei der Staatsanwaltschaft anhängigen Ermittlungsverfahren gegen R. und C. A. mit dem beim Amtsgericht Eisenhüttenstadt rechtshängigen Verfahren gegen B. A. konnte eine Zuständigkeit nicht begründen. Die allein in Betracht kommende Verfahrensverbindung nach § 4 StPO war dem Angeklagten verschlossen. Es fehlte bereits an der erforderlichen Anklage (vgl. MeyerGoßner , StPO 53. Aufl. § 4 Rdn. 4); nicht einmal ein entsprechender – freilich dafür nicht genügender – Verbindungsantrag des Beschwerdeführers P. als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft war gestellt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte ihre alleinige Dispositionsbefugnis über die Ermittlungsverfahren noch nicht verloren (vgl. Erb in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 4 Rdn. 3).
33
bb) Entgegen der Auffassung der Revision ergeben die bisherigen Feststellungen auch keine Zuständigkeit des Beschwerdeführers M. aus § 125 Abs. 1 StPO. http://www.juris.de/jportal/portal/t/1dv0/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=14&numberofresults=15&fromdoctodoc=yes&doc.id=KSRE161320576&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 14 -
34
Als gegenüber § 162 Abs. 1 StPO speziellere Regelung ist danach vor Erhebung der öffentlichen Klage für den Erlass eines Haftbefehls grundsätzlich jeder Richter bei dem Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand begründet ist (vgl. auch Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 125 Rdn. 5). Im Falle verschiedener Gerichtsstände können daher auch mehrere Richter unterschiedlicher örtlich zuständiger Amtsgerichte zuständig sein, sofern deren Verhältnis nicht durch eine Zuständigkeitskonzentration nach § 58 GVG geregelt worden ist. Indes bestimmt § 125 Abs. 1 StPO nicht, wie sich die Zuständigkeit verschiedener Richter desselben in Betracht kommenden Gerichtsstands zueinander verhält. Die Annahme der Revision, aus § 125 Abs. 1 StPO folge die gleichrangige unmittelbare Zuständigkeit jedes Richters dieses Amtsgerichts, ist mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar.
35
Über den im Einzelfall nach § 125 StPO konkret zuständigen Richter haben die Bestimmungen der Geschäftsverteilungspläne der Gerichte Regelungen zu treffen (vgl. BVerfGE 19, 52, 59 f.; 20, 336, 344; 25, 336, 346). Auf diese Weise wird gewährleistet, dass der einzelne konkret zuständige Richter generell vorbestimmt ist, und verhindert, dass er ad hoc und ad personam bestimmt wird. Durch den Jahresgeschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt wurde die Zuständigkeit für ermittlungsrichterliche Befugnisse ausdrücklich zwei namentlich benannten Richtern und weiteren Vertretern , nicht jedoch dem ausschließlich noch für das Schöffengerichtsverfahren gegen B. A. zuständigen Beschwerdeführer M. zugewiesen. Die bisherigen Urteilsfeststellungen belegen damit eine zureichende generelle Bestimmung auch des nach § 125 Abs. 1 StPO zuständigen Richters.
36
Der Ermittlungsrichter ist funktionell für sämtliche amtsgerichtliche Entscheidungen im Verfahren zur Vorbereitung der öffentlichen Klage und damit auch für die Anordnung der Untersuchungshaft nach § 125 Abs. 1 StPO zuständig, sofern keine abweichende Regelung im Geschäftsverteilungsplan getroffen worden ist (vgl. Hilger in Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer [1990] S. 209, 213; Meyer-Goßner aaO § 162 Rdn. 13, § 125 Rdn. 2; Erb aaO § 162 Rdn. 16). Eine nähere Regelung eines Zuständigkeitsbereiches für den „Haftrichter“ im Geschäftsverteilungsplan ist regelmäßig entbehrlich , wenngleich als Spezialzuweisung möglich; der Strafprozessordnung ist ebenso wie dem Gerichtsverfassungsgesetz der Begriff und damit eine eigenständige regelungsbedürftige funktionale Zuständigkeit des „Haftrichters“ fremd.
37
cc) Von diesem Rechtsverständnis ging, soweit aus den bisherigen Feststellungen ersichtlich, auch der Beschwerdeführer M. aus. Er stützte seine Anordnung gerade nicht auf § 125 StPO; anderenfalls hätte es der offensichtlich rechtswidrigen Verbindung der Verfahren nicht bedurft.
38
b) Bei alledem erfolgte die Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Zusammenhang mit der Anordnung einer Freiheitsentziehung und berührte damit zugleich das Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG), die zudem durch Richtervorbehalt (Art. 104 Abs. 2 GG) verfahrensrechtlich besonders abgesichert ist (vgl. Gusy in von Mangoldt/Klein/Starck, GG Band III 5. Aufl. Art. 104 Rdn. 13; ferner Art. 5 MRK).
39
III. Zur Revision des Beschwerdeführers P. merkt der Senat ergänzend an:
40
Die Strafkammer legt ihm zur Last, „sich als Mittäter einer Rechtsbeugung schuldig gemacht zu haben“, indem er „aus sachfremden Erwägungen“ und „in Absprache mit dem Beschwerdeführer M. die Anträge auf Erlass der Haftbefehle“ in der Kenntnis gestellt hat, dass „keine tragenden Haftgründe gegeben waren“ (UA S. 89).
41
1. Die Annahme mittäterschaftlichen Handelns des Beschwerdeführers P. (§ 25 Abs. 2 StGB) begegnet vor dem Hintergrund der getroffe- nen Urteilsfeststellungen rechtlichen Bedenken. Als Mittäter handelt, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die gemeinschaftliche Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung des anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung des einen Tatanteils erscheint (BGHSt 40, 299, 301; Fischer, StGB 57. Aufl. § 25 Rdn. 12 ff.). Erforderlich zur gebotenen Abgrenzung zur Teilnahme ist eine wertende tatrichterliche Gesamtschau. Daran fehlt es hier. Allein die – durch die Strafkammer wiederholt und gar apodiktisch angeführte – Tatmotivation des Beschwerdeführers P. trägt den für die Täterschaft notwendigen Willen zur Tatherrschaft noch nicht. Ob der Umfang seiner Beteiligung in Form der gestellten Haftanträge als notwendige Voraussetzung der Haftanordnungen für sich erhebliches Gewicht im Sinne einer objektiven Mitbeherrschung des Geschehens aufweist und daher ein tragfähiges Indiz für die Mittäterschaft darstellt, erscheint – ungeachtet der maßgeblichen Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für die Ermittlungsverfahren gegen Rechtsanwalt R. und C. A. – jedenfalls nicht eindeutig. Sollte das neue Tatgericht keine weitergehenden Feststellungen namentlich zu einer gemeinsamen Tatplanung unter erheblicher Mitwirkung des Beschwerdeführers P. treffen können, so kann – bei entsprechendem Vorsatz – eine Beihilfe zur Rechtsbeugung in Betracht kommen.
42
2. Die knappen und wenig differenzierten Erörterungen der Strafkammer lassen indes selbst bei mittäterschaftlicher Erfolgszurechnung besorgen, dass dem Beschwerdeführer P. ein zu weiter Schuldumfang zur Last gelegt wurde. Auch bei Mittätern ist zunächst nach dem jeweils zurechenbaren Erfolgs- und Handlungsunwert zu differenzieren (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 479). Namentlich Ausführungen zum angenommenen Handlungsunwert sind bislang – anders als beim Beschwerdeführer M. – unterblieben. Diese waren aber gerade auch im Blick auf die hinter der Bestrafung des Beschwerdeführers M. nur wenig zurückbleibende verhängte Sanktion unentbehrlich.
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(1) Ein Verteidiger ist von der Mitwirkung in einem Verfahren auszuschließen, wenn er dringend oder in einem die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigenden Grade verdächtig ist, daß er

1.
an der Tat, die den Gegenstand der Untersuchung bildet, beteiligt ist,
2.
den Verkehr mit dem nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten dazu mißbraucht, Straftaten zu begehen oder die Sicherheit einer Vollzugsanstalt erheblich zu gefährden, oder
3.
eine Handlung begangen hat, die für den Fall der Verurteilung des Beschuldigten Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei wäre.

(2) Von der Mitwirkung in einem Verfahren, das eine Straftat nach § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, des Strafgesetzbuches zum Gegenstand hat, ist ein Verteidiger auch auszuschließen, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, daß er eine der in Absatz 1 Nr. 1 und 2 bezeichneten Handlungen begangen hat oder begeht.

(3) Die Ausschließung ist aufzuheben,

1.
sobald ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen, jedoch nicht allein deshalb, weil der Beschuldigte auf freien Fuß gesetzt worden ist,
2.
wenn der Verteidiger in einem wegen des Sachverhalts, der zur Ausschließung geführt hat, eröffneten Hauptverfahren freigesprochen oder wenn in einem Urteil des Ehren- oder Berufsgerichts eine schuldhafte Verletzung der Berufspflichten im Hinblick auf diesen Sachverhalt nicht festgestellt wird,
3.
wenn nicht spätestens ein Jahr nach der Ausschließung wegen des Sachverhalts, der zur Ausschließung geführt hat, das Hauptverfahren im Strafverfahren oder im ehren- oder berufsgerichtlichen Verfahren eröffnet oder ein Strafbefehl erlassen worden ist.
Eine Ausschließung, die nach Nummer 3 aufzuheben ist, kann befristet, längstens jedoch insgesamt für die Dauer eines weiteren Jahres, aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Sache oder ein anderer wichtiger Grund die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens noch nicht zuläßt.

(4) Solange ein Verteidiger ausgeschlossen ist, kann er den Beschuldigten auch in anderen gesetzlich geordneten Verfahren nicht verteidigen. In sonstigen Angelegenheiten darf er den Beschuldigten, der sich nicht auf freiem Fuß befindet, nicht aufsuchen.

(5) Andere Beschuldigte kann ein Verteidiger, solange er ausgeschlossen ist, in demselben Verfahren nicht verteidigen, in anderen Verfahren dann nicht, wenn diese eine Straftat nach § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, des Strafgesetzbuches zum Gegenstand haben und die Ausschließung in einem Verfahren erfolgt ist, das ebenfalls eine solche Straftat zum Gegenstand hat. Absatz 4 gilt entsprechend.

(1) Die Entscheidungen nach den §§ 138a und 138b trifft das Oberlandesgericht. Werden im vorbereitenden Verfahren die Ermittlungen vom Generalbundesanwalt geführt oder ist das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof anhängig, so entscheidet der Bundesgerichtshof. Ist das Verfahren vor einem Senat eines Oberlandesgerichtes oder des Bundesgerichtshofes anhängig, so entscheidet ein anderer Senat.

(2) Das nach Absatz 1 zuständige Gericht entscheidet nach Erhebung der öffentlichen Klage bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens auf Vorlage des Gerichts, bei dem das Verfahren anhängig ist, sonst auf Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Vorlage erfolgt auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder von Amts wegen durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft. Soll ein Verteidiger ausgeschlossen werden, der Mitglied einer Rechtsanwaltskammer ist, so ist eine Abschrift des Antrages der Staatsanwaltschaft nach Satz 1 oder die Vorlage des Gerichts dem Vorstand der zuständigen Rechtsanwaltskammer mitzuteilen. Dieser kann sich im Verfahren äußern.

(3) Das Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, kann anordnen, daß die Rechte des Verteidigers aus den §§ 147 und 148 bis zur Entscheidung des nach Absatz 1 zuständigen Gerichts über die Ausschließung ruhen; es kann das Ruhen dieser Rechte auch für die in § 138a Abs. 4 und 5 bezeichneten Fälle anordnen. Vor Erhebung der öffentlichen Klage und nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens trifft die Anordnung nach Satz 1 das Gericht, das über die Ausschließung des Verteidigers zu entscheiden hat. Die Anordnung ergeht durch unanfechtbaren Beschluß. Für die Dauer der Anordnung hat das Gericht zur Wahrnehmung der Rechte aus den §§ 147 und 148 einen anderen Verteidiger zu bestellen. § 142 Absatz 5 bis 7 gilt entsprechend.

(4) Legt das Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, gemäß Absatz 2 während der Hauptverhandlung vor, so hat es zugleich mit der Vorlage die Hauptverhandlung bis zur Entscheidung durch das nach Absatz 1 zuständige Gericht zu unterbrechen oder auszusetzen. Die Hauptverhandlung kann bis zu dreißig Tagen unterbrochen werden.

(5) Scheidet der Verteidiger aus eigenem Entschluß oder auf Veranlassung des Beschuldigten von der Mitwirkung in einem Verfahren aus, nachdem gemäß Absatz 2 der Antrag auf Ausschließung gegen ihn gestellt oder die Sache dem zur Entscheidung zuständigen Gericht vorgelegt worden ist, so kann dieses Gericht das Ausschließungsverfahren weiterführen mit dem Ziel der Feststellung, ob die Mitwirkung des ausgeschiedenen Verteidigers in dem Verfahren zulässig ist. Die Feststellung der Unzulässigkeit steht im Sinne der §§ 138a, 138b, 138d der Ausschließung gleich.

(6) Ist der Verteidiger von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen worden, so können ihm die durch die Aussetzung verursachten Kosten auferlegt werden. Die Entscheidung hierüber trifft das Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist.

(1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

(2) Der Zeuge ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren.

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

(1) Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
das Opfer länger als eine Woche der Freiheit beraubt oder
2.
durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht.

(4) Verursacht der Täter durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 4 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 276/00
vom
20. September 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Rechtsbeugung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. September
2000, an der teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke
als Vorsitzender,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
der Richter am Bundesgrichtshof
Rothfuß,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 27. Januar 2000 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Rechtsbeugung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten , mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte war seit 1979 Richter, seit 1989 Direktor des Amtsgerichts R. . Am Wochenende 6./7. Juni 1998 war er für den Bereitschaftsdienst am Amtsgericht E. eingeteilt. Am Samstag, den 6. Juni 1998, ging beim Amtsgericht E. ein an das Verwaltungsgericht W. gerichteter Schriftsatz der Tochter des Angeklagten , der Zeugin S. , ein, den der Rechtspfleger gegen 10.00 Uhr vorfand.
Darin beantragte sie, eine einstweilige Anordnung gegen die Stadt E. z u erlassen mit dem Inhalt, der Antragstellerin während des Erdbeerfestes vom 12. bis 15. Juni 1998 die Zufahrt mit PKW zu ihrem Wohnhaus zu ermöglichen, der Stadt zu untersagen, das Abspielen von Musik und die Herstellung lauter Geräusche während des Festes zu gestatten und der Stadt aufzugeben, solchen Lärm zu verhindern. In einem Begleitschreiben teilte die Zeugin mit, sie habe am selben Tag versucht, den Antrag beim Verwaltungsgericht W. einzureichen, was ihr jedoch nicht gelungen sei, da dieses geschlossen sei. Wegen der außerordentlichen Eilbedürftigkeit richte sie ihren Antrag daher an das Amtsgericht E. . Zugleich bat die Zeugin per Fax darum, ihren Antrag wegen der außerordentlichen Dringlichkeit sofort dem Sachbearbeiter bzw. Richter vorzulegen. Nachdem der Angeklagte den Antrag durchgesehen hatte, äußerte er gegenüber dem anwesenden Rechtspfleger, er müsse den Antrag wohl bearbeiten , auch wenn die Antragstellerin seine Tochter sei, ein anderer Richter sei nicht erreichbar. Bemühungen, andere Kollegen oder das Verwaltungsgericht W. zu erreichen, unternahm er nicht. Während er mit dem Abfassen des Beschlusses, den er selbst auf der Maschine schrieb, weil eine Schreibkraft nicht sogleich zu erreichen war, befaßt war, erschien der Zeuge Dr. M. im Gericht. Er wurde dem Angeklagten von dem Rechtspfleger zutreffend als Richter am Amtsgericht E. vorgestellt, worauf der Angeklagte den Zeugen in barschem Ton aufforderte, das Zimmer zu verlassen, er wolle nicht gestört werden. Der Angeklagte stellte seinen Beschluß fertig, mit dem er eine einstweilige Anordnung erließ, die dem Antrag seiner Tochter weitgehend entsprach und lediglich hinsichtlich der Musik die Einschränkung enthielt, daß diese von
der Stadt nicht zu gestatten oder zu dulden sei, soweit sie Zimmerlautstärke überschreite. In den Gründen des Beschlusses führte er unter anderem aus: ” ... Aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 GG folgt, daß das Amtsgericht solange zuständig ist, als das Fachgericht nicht erreicht werden kann und unaufschiebbare Entscheidungen zu treffen sind. Der Richter ist über den Antrag und seine Zuständigkeit deswegen höchst unglücklich, weil er mit der Antragstellerin im 1. Grad der Hauptlinie verwandt ist. Dessen ungeachtet muß er dennoch über den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes befinden , weil es sich um eine unaufschiebbare Angelegenheit handelt und trotz rechtlichen Ausschlusses von der Entscheidung in einem solchen Fall zu entscheiden ist, §§ 42, 47 ZPO. ... Ein anderer Richter (des AG E. ist nicht erreichbar). ...” Die Akte versah der Angeklagte mit der Verfügung: ”1. Ausfertigung an GVollz F. zur Zustellung mit Antragsabschrift 2. Austragen 3. Urschriftlich mit Anlagen dem Verwaltungsgericht in W. übersandt.” Nachdem der Gerichtsvollzieher mit einer Ausfertigung des Beschlusses das Gericht verlassen hatte, entschuldigte sich der Angeklagte bei dem Zeugen Dr. M. , den er möglicherweise erst jetzt als Kollegen erkannte, für sein unfreundliches Verhalten und schilderte ihm den gerade entschiedenen Fall, wobei er erwähnte, daß seine Tochter den Antrag gestellt habe, er aber leider habe entscheiden müssen, da der Antrag eilig sei.
Den Gerichtsvollzieher, der zu Bedenken gegeben hatte, daß die Verwaltung der Stadt am Wochenende nicht besetzt sei und er deshalb nicht zustellen könne, hatte er zuvor angewiesen, beim Bürgermeister persönlich an dessen Wohnanschrift zuzustellen. Da der Gerichtsvollzieher den Bürgermeister am Samstag jedoch nicht erreichte und er die Sache nicht für so eilig hielt, stellte er ihm den Beschluß am Montag morgen in dessen Diensträumen zu. Die Akte gelangte am gleichen Tag durch Boten an das Verwaltungsgericht W. , das nach einer Anhörung am 10. Juni 1998 den Beschluß des Amtsgerichts E. für gegenstandslos erklärte, das Verfahren einstellte, soweit die Antragstellerin den Antrag zurückgenommen hatte, und im übrigen den Antrag zurückwies.

II.

Das Landgericht hat den Angeklagten für schuldig befunden, vorsätzlich aus sachfremden Erwägungen eine Entscheidung zum Vorteil seiner Tochter getroffen zu haben, indem er seine Familienangehörigkeit zu der rechtsuchenden Partei über seine gesetzliche Pflicht, sich einer Sachentscheidung zu enthalten , gestellt habe.
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, weil die Ausführungen des Landgerichts zur inneren Tatseite rechtlich zu beanstanden sind.
1. Der Angeklagte hat als Richter bei Erlaß der einstweiligen Anordnung Verfahrensrecht verletzt.
Mit dem an das Verwaltungsgericht gerichteten Antrag gegen die Stadt E. wurde ein öffentlich-rechtlicher Anspruch, für den hier der Verwaltungs-
rechtsweg nach § 40 VwGO gegeben war, geltend gemacht. Die Rechtswegregelung des § 40 VwGO bezieht sich auf das gesamte Verfahren, auch auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, eine subsidiäre Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gemäß Art. 19 Abs. 4 S. 2 GG kommt nicht Betracht (Redeker/von Oertzen, VwGO 12. Aufl. 1997, § 40 Rdn. 1; Kopp; VwGO 10. Aufl. 1994 § 40 Rdn. 1). Der Angeklagte, der der ordentlichen Gerichtsbarkeit angehört, war schon aus diesem Grund nicht zuständig.
Mit seiner Entscheidung über den Antrag seiner Tochter hat der Angeklagte weiter gegen § 54 Abs. 1 VwGO, § 41 Nr. 3 ZPO verstoßen, weil er in einer Sache entschieden hat, bei der er als Vater der Antragstellerin von jeglicher Mitwirkung ausgeschlossen war, dies gilt auch für unaufschiebbare Amtshandlungen nach § 47 ZPO.
Die Inanspruchnahme seiner Zuständigkeit war danach grob verfahrensfehlerhaft.
Rechtsbeugung kann durch einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften begangen werden (RGSt 57, 31, 34; BGHSt 32, 257 f.; 38, 381, 383, 42, 343 f). Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung stellt jedoch eine Beugung des Rechts im Sinne vom § 339 StGB dar; vielmehr enthält dieses Tatbestandsmerkmal ein normatives Element. Erfaßt werden sollen nur elementare Rechtsverstöße , bei denen sich der Täter bewußt und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt (ständige Rechtsprechung, BGHSt 32, 357; 34, 146, 149; 38, 381, 383; 42, 343, 345). In diesem Sinne sind die angesprochenen Verfahrensverstöße , insbesondere aber die Verletzung der § 54 VwGO, §§ 41, 47 ZPO gravierend. Gerade der Ausschluß eines Richters bei naher Verwandt-
schaft (hier Vater-Tochter-Beziehung), ist in allen Verfahrensordnungen geregelt. Auf die Einhaltung dieser Bestimmung vertraut jeder Bürger in besonderem Maße.
Allerdings liegt es bei Verfahrensverstößen nicht ohne weiteres auf der Hand, daß durch die Rechtsverletzung eine Besserstellung oder Benachteiligung einer Partei bewirkt wird. Die Nichtbeachtung von Zuständigkeitsnormen kann für sich genommen für das Ergebnis indifferent sein, da der Richter bei der Sachentscheidung an die gleichen rechtlichen Bestimmungen gebunden ist, wie der an sich zuständige Richter. Erforderlich ist deshalb, daß durch die Verfahrensverletzung die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung begründet wurde, ohne daß allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muß (BGHSt 42, 343, 346, 351). Die Gefahr der bewußten Manipulation des Entscheidungsergebnisses liegt bei Verstößen gegen eine Ausschlußbestimmung wie sie hier vorliegt, jedoch sehr nahe, sie ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Richter aus sachfremden Motiven die Zuständigkeit an sich gezogen hat, um der einen Prozeßpartei einen Gefallen zu tun (BGHSt 42, 353).
2. Eine solche sachfremde Motivation des Angeklagten hat das Landgericht zwar festgestellt. Die Würdigung des Landgerichts zur inneren Tatseite beruht aber auf einer unzureichenden Grundlage und läßt wesentliche Umstände unberücksichtigt.
Der Angeklagte hatte sich dahin eingelassen, er habe sich wegen der besonderen Eilbedürftigkeit entsprechend § 47 ZPO zur Entscheidung für befugt und verpflichtet gehalten. Mit der Sperrung der Straße habe am Montag
begonnen werden sollen. Das Landgericht hat dagegen angenommen, der Angeklagte habe gewußt, daß der Antrag nicht außerordentlich eilig gewesen sei. Die Sperrung des Parkplatzes am Rheinufer, die am Montag den 8. Juni 1998 erfolgen sollte, habe noch keine unmittelbare Beeinträchtigung der Zufahrtsmöglichkeiten für seine Tochter bedeutet, die Lärmbelästigung habe erst ab Beginn des Festes eintreten können. Bei dieser Würdigung setzt sich das Landgericht jedoch nicht damit auseinander, daß der Angeklagte von einer Straßensperrung ausgegangen sein will und berücksichtigt auch nicht, daß die Maßnahmen der Stadt, mit denen die Anordnungen des Beschlusses umzusetzen waren, möglicherweise einen gewissen Vorlauf benötigten. Welche Angaben der Angeklagte zu seinen Vorstellungen über die von der Stadt zu ergreifenden Maßnahmen gemacht hat, hat es nicht mitgeteilt.
Unabhängig davon hält das Landgericht aber auch seine Einlassung für widerlegt, er sei bei seiner Entscheidung rechtsirrtümlich davon ausgegangen, entsprechend § 47 ZPO auch als ausgeschlossener Richter wie geschehen verfahren zu dürfen. Er habe nicht - wie von ihm angegeben - eine Kollegin angerufen. Bemühungen, andere Kollegen zu erreichen, habe er, wie er selbst eingeräumt habe, nicht unternommen. Er habe schnell und zielgerichtet gehandelt. Daraus folgt nach Überzeugung der Kammer, daß er spätestens nach Durchlesen des Antrags selbst im Sinne seiner Tochter habe entscheiden wollen , um zu verhindern, daß andere damit befaßte Kollegen der ordentlichen Gerichtsbarkeit an diesem Samstag oder auch erst am Montag den Antrag an das Verwaltungsgericht weiterleiten oder gar zurückweisen würden. Diese Schlußfolgerungen des Landgerichts sind zwar an sich möglich, sie berücksichtigen aber nicht, daß nach dem Sachverhalt auch Anhaltspunkte dafür
bestehen, daß der Angeklagte sich in Verkennung der Rechtslage zur Entscheidung berechtigt und verpflichtet gehalten haben kann:
So hat er nicht nur im Beschluß selbst auf das - wegen der Namensverschiedenheit nicht offensichtliche - Verwandtschaftsverhältnis zu der Antragstellerin hingewiesen und ausgeführt, daß er wegen der besonderen Eilbedürftigkeit nach § 47 ZPO handeln müsse, sondern diese Rechtsmeinung schon bei Eingang des Antrags gegenüber dem Rechtspfleger als auch unmittelbar nach Absetzung und Aushändigung des Beschlusses an den Gerichtsvollzieher gegenüber dem ihm als Kollegen vorgestellten Dr. M. vertreten. Er hat auch nicht versucht, die Vorlage der Akten an das zuständige Verwaltungsgericht zu verzögern, sondern für die umgehende Übersendung der Akten gesorgt , wodurch sein Handeln sofort offenbar wurde und noch rechtzeitig eine Entscheidung getroffen werden konnte.
Mit diesen ungewöhnlichen Umständen, die sein Handeln zur Verfolgung eines seine Tochter begünstigenden Zwecks als wenig sinnvoll erscheinen lassen , hätte sich das Landgericht auseinandersetzen und dabei auch mitteilen und erörtern müssen, welche Angaben der Angeklagte zu seinen Vorstellungen vom weiteren Verfahrensablauf beim Verwaltungsgericht gemacht hat.
Die aufgezeigten Fehler führen zur Aufhebung des Urteils. Ein vom Angeklagten beantragter Freispruch durch den Senat kam nicht in Betracht, denn es ist nicht auszuschließen, daß ein neuer Tatrichter rechtsfehlerfrei Feststellungen treffen kann, die zu einer Verurteilung gemäß § 339 StGB führen.
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Frankfurt am Main zurück.
Jähnke Bode Otten Rothfuß Elf

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
Zur unerlässlichen Mitwirkung eines dritten Berufsrichters in
einem wegen komplexer Rechtsbeugungsvorwürfe umfangreichen
und schwierigen Strafverfahren.
BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09
LG Potsdam –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 7. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Rechtsbeugung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Juli 2010

beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 19. Juni 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit schwerer Freiheitsberaubung verurteilt. Gegen den Angeklagten M. hat es eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, gegen den Angeklagten P. eine solche von einem Jahr und acht Monaten. Zur Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung sind jeweils sechs Monate Freiheitsstrafe als vollstreckt erklärt worden.

A.


2
Das Landgericht hat seiner Verurteilung im Wesentlichen folgende Feststellungen zugrunde gelegt:
3
Der Beschwerdeführer M. führte als Richter am Amtsgericht den Vorsitz in einer Schöffengerichtssache gegen B. A. vor dem Amtsgericht Eisenhüttenstadt. A. wurde zur Last gelegt, als Nachlasspfleger in sechs Fällen Nachlassvermögen in Höhe von insgesamt etwa 400.000 € veruntreut zu haben. Am 30. Juni 2005 verurteilte ihn das Schöf- fengericht unter Vorsitz des Beschwerdeführers M. schließlich zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren. M. war nach dem Jahresgeschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts lediglich noch für die Erledigung dieses schöffengerichtlichen Verfahrens zuständig, dessen Hauptverhandlung am 16. Dezember 2004 begonnen hatte. Im Übrigen (90 %) war er an das Landgericht Frankfurt/Oder abgeordnet. Der Beschwerdeführer P. ist Oberstaatsanwalt und nahm als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder an der überwiegenden Anzahl der Hauptverhandlungstage teil.
4
A. ließ sich im Strafverfahren unter anderem von Rechtsanwalt R. verteidigen. Darüber war der Beschwerdeführer M. von Beginn an sehr ungehalten, weil er R. verdächtigte, an der Vortat des A. beteiligt gewesen zu sein. Er rechnete daher damit, dass R. Konfliktverteidigung betreiben würde, „um von seiner eigenen Tatbeteiligung abzulenken sowie die Aufklärung des Sachverhalts zu verzögern und zu erschweren“ (UA S. 13). Er war deshalb bestrebt, „R. möglichst rasch der Beteiligung an den Taten des B. A. zu überführen und ihn auf diese Weise auch aus dem gegen B. A. anhängigen Strafverfahren auszuschließen“ (UA S. 13). Seine im April 2004 erfolgte Vorlage an das Brandenburgische Oberlandesgericht mit dem Ziel, R. gemäß §§ 138a, 138c StPO als Tatbeteiligten auszuschließen, war ohne Erfolg geblieben (UA S. 14). Deshalb beschloss er, „selbst gegen Rechtsanwalt R. zu ermitteln und ihn mit Zwangsmaßnahmen zu überziehen“ (UA S. 14). Dabei war ihm bekannt, dass sowohl gegen R. als auch gegen A. s Ehefrau C. von der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Geldwäsche Ermittlungsverfahren eingeleitet worden waren. Der auch für das Verfahren gegen B. A. zuständige Dezernent, Staatsanwalt B. , erhob später, im Juni 2006, gegen R. und C. A. wegen Geldwäsche Anklage. Zum Ausgang dieses Verfahrens hat die Strafkammer keine Feststellungen getroffen.
5
In dem Schöffengerichtsverfahren wurde der Beschwerdeführer M. am 24. März 2005 (7. Hauptverhandlungstag) durch B. A. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Begründet wurde das Ablehnungsgesuch maßgeblich mit der Berichterstattung des früheren Direktors des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt W. Oder-Spree- im Fernsehen vom Vortag. Dieser nahm als Prozessberichterstatter an einer Vielzahl der Sitzungstage teil und kommentierte über diesen Sender „tendenziös zu Lasten“ des Angeklagten A. und des Verteidigers Rechtsanwalt R. das Prozessgeschehen; dabei verfügte er aus Sicht der Verteidigung A. s über Informationen, die er nur von M. erlangt haben konnte (UA S. 29).
6
Am 7. April 2005 (8. Hauptverhandlungstag) wurde der Beschwerdeführer M. erneut abgelehnt. Grund dafür war seine wörtliche Äußerung (UA S. 31): „Hier gilt doch nicht die StPO, hier gilt doch die HPO. Die kennen Sie doch? Die kennt nur einen Paragraphen und der heißt: Der Strafprozess beginnt mit der Vollstreckung, alles weitere bestimmt der Vorsitzende !“ Mit der Wendung „HPO“ meinte M. eine sogenannte „Hüttenstädter Prozessordnung“, mit der er Rechtsanwalt R. die Macht des Vorsitzenden demonstrieren wollte (UA S. 31). Die Ablehnungsgesuche wurden am 11. April 2005 (UA S. 36) und 21. April 2005 (UA S. 45) jeweils durch M. s Vertreterin zurückgewiesen.
7
Ebenfalls am achten Hauptverhandlungstag überreichte der als Zeuge vernommene Rechtsanwalt R. Ablichtungen eines Kaufvertrags über die Veräußerung seines Kraftfahrzeugs an C. A. . Der Beschwerdeführer M. nahm an, dass der Kaufvertrag rückdatiert worden sei, erhob sich, „warf seine Robe nach hinten, deutete auf den Zeugen R. und rief: ‚Sie sind festgenommen!’. Er hatte bereits vor dieser Sitzung den Entschluss gefasst, den Zeugen R. , B. A. und dessen Ehefrau festnehmen zu lassen, und dies mit P. besprochen, weil er sichergehen wollte , dass dieser die entsprechenden Haftbefehlsanträge stellen würde“ (UA S. 33). Entsprechend erhielt der Beschwerdeführer M. vom Beschwerdeführer P. drei vorbereitete schriftliche Anträge, mit denen dieser die Anordnung der Untersuchungshaft gegen B. A. wegen Untreue sowie gegen R. und C. A. wegen Geldwäsche und Begünstigung , bezüglich R. auch wegen uneidlicher Falschaussage beantragte. Sämtliche Anträge waren auf den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr sowie bei R. zusätzlich auf Fluchtgefahr gestützt. Der Beschwerdeführer M. vergab für die Haftbefehlsanträge betreffend R. und C. A. gerichtliche Aktenzeichen mit Gs-Registerzeichen, beschloss die Verbindung der Ermittlungsverfahren gegen R. und C. A. mit dem von ihm geführten Strafverfahren gegen B. A. und ordnete antragsgemäß Untersuchungshaft gegen alle drei an. R. und B. A. wurden im Sitzungssaal, C. A. acht Minuten später an ihrer Arbeitsstelle festgenommen.
8
Beiden Beschwerdeführern war bewusst, dass M. für eine eigenmächtige Verbindung der bei der Staatsanwaltschaft anhängigen und noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren ebenso wenig zuständig war wie für den Erlass von Haftbefehlen in diesen Ermittlungsverfahren. Sie wollten insbesondere „in Kenntnis des Fehlens tragender Haftgründe im Umgang mit einer vermeintlichen Konfliktverteidigung ein Exempel statuieren“ und gingen davon aus, dass „der Erlass der Haftbefehle durch einen anderen Richter, ebenso wie die Beantragung der Haftbefehle durch einen anderen Vertreter der Staatsanwaltschaft höchstwahrscheinlich nicht zu erreichen gewesen wäre“ (UA S. 36/37).
9
Am 14. April 2005 (9. Hauptverhandlungstag) wurden R. und C. A. als Zeugen vernommen. Zwischenzeitlich war es auf Betreiben von Staatsanwalt B. zu Unterredungen mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt gekommen, in deren Folge Staatsanwalt B. am 14. April 2005 die Entlassung von R. aus der Untersuchungshaft anordnete. Am folgenden Tag beschloss der Beschwerdeführer M. „in den Straf- und Ermittlungsverfahren“ gegen B. und C. A. sowie R. , dass die Haftbefehle gegen den Angeklagten A. sowie die „Beschuldigte“ C. A. aufgehoben werden, weil sich im Hinblick auf die Entlassung des „Beschuldigten“ R. der weitere Vollzug der Untersuchungshaft als unverhältnismäßig darstelle (UA S. 45); am selben Tag ordnete er ihre Entlassung an und hob später auch den Haftbefehl gegen R. sowie den Verbindungsbeschluss auf.

B.


10
Die Revisionen haben bereits mit Besetzungsrüge Erfolg. Zu Recht beanstanden die Beschwerdeführer, dass die Strafkammer unter Verstoß gegen § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG mit nur zwei Berufsrichtern besetzt gewesen ist. Die fehlerhafte Besetzung des erkennenden Gerichts hat als absoluter Revisionsgrund die Aufhebung des Urteils zur Folge (§ 338 Nr. 1 StPO).
11
I. Den Rügen liegt folgender prozessualer Sachverhalt zugrunde:
12
1. Die Staatsanwaltschaft hat gegen die Beschwerdeführer unter dem 30. August 2007 Anklage wegen gemeinschaftlich begangener Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung zum Landgericht Frankfurt/Oder erhoben. Den zunächst ergangenen Nichteröffnungsbeschluss hat das Brandenburgische Oberlandesgericht am 29. Juli 2008 auf sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft aufgehoben und das Hauptverfahren vor dem Landgericht Potsdam eröffnet. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 6. Februar 2009 nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG von der Mitwirkung eines dritten Berufsrichters ohne Angabe von Gründen abgesehen; den von den Beschwerdeführern jeweils vor ihrer Vernehmung zur Sache erhobenen Besetzungseinwand, gestützt auf eine unvertretbare reduzierte Gerichtsbesetzung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG, hat das Landgericht (in der für die Hauptverhandlung vorgesehenen Besetzung) zurückgewiesen und zur Begründung mitgeteilt: „Die Kammer hält sich für ordnungsgemäß besetzt. Eine willkürliche Entscheidung über die Besetzung ist nach hiesiger Meinung nicht erkennbar.“
13
2. Den bestreitenden Beschwerdeführern wurden durch die Anklageschrift „mehrere evidente Rechtsverstöße“, begangen zum Nachteil der Eheleute A. sowie des Rechtsanwalts R. , als einheitliche Tat der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung zur Last gelegt. Im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung belief sich der Umfang der Leitakte bereits auf mehr als 900 Seiten.
14
Überdies oblag der Strafkammer die Aufklärung des komplexen Ausgangsverfahrens gegen B. A. , das ursprünglich zum Landgericht angeklagt , aber mit Blick auf die zu erwartende Rechtsfolge vor dem Schöffengericht eröffnet worden war. Unter dem Vorsitz des Beschwerdeführers M. war darüber mehr als ein halbes Jahr an 14 Hauptverhandlungstagen auch unter Hinzuziehung eines Sachverständigen verhandelt worden. Die Hauptaktenbände umfassten etwa 1.600 Seiten, wurden ebenso wie die Hauptakten der Ermittlungsverfahren gegen R. und C. A. (Umfang etwa 800 Seiten) als Kopieakten beigezogen und in der Darstellung der Beweismittel in der Anklageschrift berücksichtigt. Nach dem – durch die Gegenerklärung unwidersprochen gebliebenen (vgl. zur Bedeutung der Revisionsgegenerklärung Drescher NStZ 2003, 296, 300) – Revisionsvortrag umfassten allein die beigezogenen Verfahrensakten – ersichtlich nebst Beiakten – insgesamt mehr als 7.000 Seiten.
15
3. In der Hauptverhandlung gegen die beiden Beschwerdeführer traten vor dem Landgericht neben den Verteidigern zwei Nebenkläger mit jeweils einem anwaltlichen Beistand auf. Die Strafkammer terminierte zunächst sechs Hauptverhandlungstage und lud dazu 13 Zeugen; insgesamt verhandelte sie anschließend noch an vier weiteren Tagen bis zur Urteilsverkündung.
16
II. Den Besetzungsrügen kann der Erfolg nicht versagt werden. Durch die Verhandlung und Entscheidung in der Besetzung mit nur zwei Berufsrichtern hat die Strafkammer § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG verletzt, weil der Umfang der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines dritten Berufsrichters notwendig machte.
17
1. Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG beschließt die – nicht als Schwurgericht zuständige – große Strafkammer bei der Eröffnung des Hauptverfahrens , dass sie in der Hauptverhandlung mit nur zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt ist, es sei denn, nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache erscheint die Mitwirkung eines dritten Berufsrichters erforderlich. Bei dieser Entscheidung steht der Strafkammer kein Ermessen zu; sie hat die Dreierbesetzung zu beschließen, wenn diese nach dem vorgenannten Maßstab notwendig erscheint. Jedoch ist dem Tatgericht bei der Auslegung der gesetzlichen Merkmale ein weiter Beurteilungsspielraum eröffnet, der die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen hat (BGHSt 44, 328, 334; BGH NStZ 2004, 56; StV 2004, 250, 251; Kissel /Mayer, GVG 6. Aufl. § 76 Rdn. 4). Maßgebend für die Bewertung des Umfangs der Sache sind etwa die Zahl der Angeklagten, Verteidiger und erforderlichen Dolmetscher, die Anzahl der angeklagten Taten, der Zeugen sowie anderer Beweismittel, namentlich die Notwendigkeit von Sachverständigengutachten , der Umfang der Akten sowie die voraussichtliche Dauer der Hauptverhandlung (BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3).
18
2. Bleibt im Einzelfall zweifelhaft, welche Gerichtsbesetzung für die sachgerechte Verfahrensbehandlung geboten ist, gebührt der Dreierbesetzung wegen ihrer gegenüber der reduzierten Besetzung strukturellen Überlegenheit , die sich bereits vor der 1993 erfolgten Einführung des § 76 Abs. 2 GVG bewährt hatte, der Vorrang (vgl. BGHSt 44, 328, 334; BGH JR 2004, 170). Die Beteiligung mehrerer Berufsrichter neben dem Vorsitzenden ist besonders geeignet, Aufgaben insbesondere auch in der Hauptverhandlung sachgerecht aufzuteilen, den Tatsachenstoff intensiver zu würdigen und schwierige Rechtsfragen besser zu bewältigen (vgl. BGH JR aaO; BTDrucks 12/1217 S. 46 f.). Die Besetzung der Strafkammer hat so unmittelbaren Einfluss auf die Qualität des Erkenntnisverfahrens; eine reguläre Besetzung der Strafkammer ermöglicht insbesondere eine straffe, effektive – und damit auch ressourcenschonende – Verhandlungsführung. Die Würdigung des Tatsachenstoffs und der Rechtsfragen durch drei Richter gewährleistet ferner die von der einzigen Tatsacheninstanz im Rechtszug geforderte hohe Qualität tatgerichtlicher Erkenntnis (BTDrucks aaO).
19
Der Senat merkt in diesem Zusammenhang an, dass die Rechtspraxis , soweit ersichtlich, den gebotenen sensiblen Umgang der großen Strafkammern mit der Besetzungsreduktion derzeit nicht widerspiegelt; anders ist ihre oftmals überwiegende, bei manchen Landgerichten ausschließliche Inanspruchnahme nicht erklärlich (vgl. BTDrucks 14/2777 S. 2 f.; 14/3831 S. 5; 16/3038 S. 32). Der Senat hielte es demgegenüber grundsätzlich für angezeigt , den der Beurteilung des Tatrichters unterstehenden Rechtsbegriff des Umfangs der Sache auch dahingehend weiter zu konturieren, dass jedenfalls bei einer im Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens absehbaren Verhandlungsdauer von wenigstens zehn Hauptverhandlungstagen von der Mitwirkung eines dritten Berufsrichters grundsätzlich nicht abgesehen werden darf (vgl. zu dieser Schwelle BGHSt 52, 355, 362; Becker in Löwe /Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 229 Rdn. 2; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 275 Rdn. 2). Ausnahmen mögen insbesondere bei weniger komplexen Verfahren möglich sein, wenn deren Umfang etwa allein durch eine Vielzahl für sich jeweils ganz einfach gelagerter Fälle bedingt ist.
20
3. Der absolute Revisionsgrund nach § 338 Nr. 1 StPO wegen eines Verstoßes gegen § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG liegt jedenfalls bei einer auf sachfremde Erwägungen gestützten Besetzungsentscheidung oder bei einem unvertretbaren Überschreiten des Beurteilungsspielraums durch das Tatgericht vor. Unter solchen Voraussetzungen ist die Anordnung reduzierter Besetzung objektiv willkürlich (vgl. BGHSt 44, 328, 333 ff.; BGHR GVG § 76 http://www.juris.de/jportal/portal/t/362m/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJLU034439337&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 10 - Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3; BGH NStZ 2004, 56; Siolek in Löwe /Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 76 GVG Rdn. 16; Diemer in KK 6. Aufl. § 76 GVG Rdn. 3; Kissel/Mayer aaO § 76 Rdn. 5; Schlothauer StV 1993, 147, 150). Diese Voraussetzungen sind hier nach den Kriterien sowohl des Umfangs als auch der Schwierigkeit der Sache erfüllt.
21
Nur scheinbar waren nach dem konkreten Anklagesatz wenige Rechtsbeugungshandlungen aufzuklären, die an drei Hauptverhandlungstagen begangen wurden. Von Beginn an war evident, dass tatgerichtliche Feststellungen allein dieser Verfahrenshandlungen unzureichend sein würden. Gerade wegen der tatbestandlich gebotenen Bewertung der Verfahrensfehler im Rahmen des § 339 StGB war ersichtlich auch die aufwendige Rekonstruktion weiter Teile und Hintergründe des für sich bereits komplexen Ausgangsverfahrens vor dem Schöffengericht unerlässlich (§ 244 Abs. 2 StPO). Nur auf diese Weise konnte die Strafkammer ausschließen, dass die angeklagten Handlungen nicht etwa sachgerecht, vertretbar oder letztlich gar geboten waren.
22
Im Zeitpunkt der Besetzungsentscheidung lag daher auf der Hand, dass die von der Staatsanwaltschaft beigezogenen umfangreichen, mehrere tausend Seiten umfassenden Verfahrensakten aus dem zudem in der Sache komplizierten Strafverfahren gegen B. A. einschließlich der Ermittlungsakten der Verfahren gegen Rechtsanwalt R. und C. A. auszuwerten waren. Anhand dessen waren insbesondere die Hintergründe der von den Beschwerdeführern vermuteten Beteiligung von R. und C. A. an den Taten des B. A. durch die Strafkammer aufzuklären.
23
Der so ohnehin bereits erhebliche und komplexe Verhandlungsumfang wurde weiter geprägt durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen, sämtlich anwaltlich beratenen Verfahrensbeteiligten, die voraussehbar jeweils unterschiedliche Interessen verfolgten. Dabei zeichnete sich schon durch die ausführlichen gegensätzlichen Gerichtsentscheidungen über die Eröffnung des Hauptverfahrens eine Auseinandersetzung über streitige, mindestens teilweise nicht alltägliche Rechts- und Verfahrensfragen ab. Diese Gesichtspunkte wurden hier auch nicht etwa entkräftet durch eine einfach gelagerte Beweisaufnahme (vgl. BGHSt 44, 328, 335 f.; BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3; BGH JR 2004, 170, 171). Vielmehr ließen auch die drohenden dienstrechtlichen Folgen einer Verurteilung für die nicht geständigen Beschwerdeführer von Anfang an erkennen, dass eine aufwendige und kontroverse Beweisaufnahme zu bewältigen sein würde.
24
Nach all dem war die Besetzungsentscheidung ebenso wie der nicht näher begründete, den Besetzungseinwand zurückweisende Gerichtsbeschluss nicht mehr vertretbar. Die Strafkammer hätte auf den Einwand hin die Besetzungsentscheidung aufheben müssen (BGH JR 2004, 170, 171). Das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 1 StPO hat die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache zur Folge, über die eine große Strafkammer in nicht reduzierter Besetzung zu entscheiden haben wird.

C.


25
Auf die sonstigen erhobenen Verfahrensrügen und die – nicht etwa zu einer begünstigenden Durchentscheidung führenden – sachlichrechtlichen Beanstandungen der Revisionen der Beschwerdeführer kommt es danach nicht mehr an. Der Senat sieht jedoch mit Blick auf das weitere Verfahren Anlass zu folgenden ergänzenden Bemerkungen:
26
I. Die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen zum Verfahren gegen B. A. vor dem Amtsgericht Eisenhüttenstadt sind – möglicherweise gar infolge der reduzierten Strafkammerbesetzung – derart zusammenhanglos und lückenhaft, dass sie eine sachlichrechtliche Überprüfung einiger der den Beschwerdeführern zur Last gelegten Verfahrenshandlungen http://www.juris.de/jportal/portal/t/1c1d/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE301549700&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/1clq/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE301549700&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 12 - für den Senat weitgehend nicht ermöglichen würden. Dies gilt namentlich für eine willkürliche Annahme von Haftgründen.
27
Darüber hinaus stellen Verfahrensrügen des Beschwerdeführers M. die Feststellungen zu ihm vorgeworfenen rechtsbeugerischen Verfahrenshandlungen teilweise in Frage. Dies gilt beispielsweise für die Feststellung der Haftgründe gegen Rechtsanwalt R. , wie für die Initiative des Beschwerdeführers M. in dem gegen diesen betriebenen Ausschließungsverfahren nach §§ 138a ff. StPO.
28
II. Der Senat merkt andererseits an: Im Gewicht von Verfahrensverstößen kann ein tragfähiges Indiz für eine sachwidrige Motivation im Sinne des § 339 StGB liegen. Weitere Indizien können sich aus den festzustellenden Begleitumständen ergeben.
29
1. Die Strafkammer geht zu Recht davon aus, dass Rechtsbeugung auch durch den Verstoß gegen Verfahrensvorschriften begangen werden kann (vgl. BGHSt 42, 343, 344; 47, 105, 109; BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 6; jeweils m.w.N.). Um nicht in jedem Rechtsverstoß bereits eine „Beugung“ des Rechts zu sehen, enthält das Tatbestandsmerkmal ein normatives Element; erfasst werden sollen davon nur elementare Verstöße gegen die Rechtspflege, bei denen sich der Täter bewusst und in schwerer Weise zugunsten oder zum Nachteil einer Partei von Recht und Gesetz entfernt (vgl. BGHSt 32, 357, 364; 34, 146, 149; 38, 381, 383; 42, 343, 345; 47, 105, 109 ff.; BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 7; BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 97/09 Tz. 10) und dadurch die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung begründet, ohne dass allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muss (BGHSt 42, 343, 346, 351; BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 6).
30
2. Für die Erfüllung des ungeschriebenen tatbestandlichen Regulativs der konkreten Gefahr einer sachfremden Entscheidung (vgl. BGHSt 32, 357, 364) kann es sprechen, wenn ein Richter eine Entscheidung zum Nachteil einer Partei unter bewusster Begehung eines schwerwiegenden Verfahrensfehlers trifft. Ein derartiger schwerwiegender Verstoß kann in einer willkürlichen Zuständigkeitsbegründung als Missachtung des rechtsstaatlich besonders bedeutsamen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG jedenfalls dann liegen, wenn diese eine Verletzung weiterer wesentlicher grund- oder konventionsrechtlicher Rechtspositionen des Betroffenen bewirkt.
31
a) Der Beschwerdeführer M. war nach den bislang getroffenen Feststellungen für die Anordnung von Untersuchungshaft gegen R. und C. A. nicht zuständig. Nach der Geschäftsverteilung war M. im Jahre 2005 ausschließlich für die Erledigung des bereits rechtshängigen Schöffengerichtsverfahrens gegen B. A. zuständig.
32
aa) Die von ihm beschlossene Verbindung der bei der Staatsanwaltschaft anhängigen Ermittlungsverfahren gegen R. und C. A. mit dem beim Amtsgericht Eisenhüttenstadt rechtshängigen Verfahren gegen B. A. konnte eine Zuständigkeit nicht begründen. Die allein in Betracht kommende Verfahrensverbindung nach § 4 StPO war dem Angeklagten verschlossen. Es fehlte bereits an der erforderlichen Anklage (vgl. MeyerGoßner , StPO 53. Aufl. § 4 Rdn. 4); nicht einmal ein entsprechender – freilich dafür nicht genügender – Verbindungsantrag des Beschwerdeführers P. als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft war gestellt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte ihre alleinige Dispositionsbefugnis über die Ermittlungsverfahren noch nicht verloren (vgl. Erb in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 4 Rdn. 3).
33
bb) Entgegen der Auffassung der Revision ergeben die bisherigen Feststellungen auch keine Zuständigkeit des Beschwerdeführers M. aus § 125 Abs. 1 StPO. http://www.juris.de/jportal/portal/t/1dv0/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=14&numberofresults=15&fromdoctodoc=yes&doc.id=KSRE161320576&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 14 -
34
Als gegenüber § 162 Abs. 1 StPO speziellere Regelung ist danach vor Erhebung der öffentlichen Klage für den Erlass eines Haftbefehls grundsätzlich jeder Richter bei dem Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand begründet ist (vgl. auch Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 125 Rdn. 5). Im Falle verschiedener Gerichtsstände können daher auch mehrere Richter unterschiedlicher örtlich zuständiger Amtsgerichte zuständig sein, sofern deren Verhältnis nicht durch eine Zuständigkeitskonzentration nach § 58 GVG geregelt worden ist. Indes bestimmt § 125 Abs. 1 StPO nicht, wie sich die Zuständigkeit verschiedener Richter desselben in Betracht kommenden Gerichtsstands zueinander verhält. Die Annahme der Revision, aus § 125 Abs. 1 StPO folge die gleichrangige unmittelbare Zuständigkeit jedes Richters dieses Amtsgerichts, ist mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar.
35
Über den im Einzelfall nach § 125 StPO konkret zuständigen Richter haben die Bestimmungen der Geschäftsverteilungspläne der Gerichte Regelungen zu treffen (vgl. BVerfGE 19, 52, 59 f.; 20, 336, 344; 25, 336, 346). Auf diese Weise wird gewährleistet, dass der einzelne konkret zuständige Richter generell vorbestimmt ist, und verhindert, dass er ad hoc und ad personam bestimmt wird. Durch den Jahresgeschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt wurde die Zuständigkeit für ermittlungsrichterliche Befugnisse ausdrücklich zwei namentlich benannten Richtern und weiteren Vertretern , nicht jedoch dem ausschließlich noch für das Schöffengerichtsverfahren gegen B. A. zuständigen Beschwerdeführer M. zugewiesen. Die bisherigen Urteilsfeststellungen belegen damit eine zureichende generelle Bestimmung auch des nach § 125 Abs. 1 StPO zuständigen Richters.
36
Der Ermittlungsrichter ist funktionell für sämtliche amtsgerichtliche Entscheidungen im Verfahren zur Vorbereitung der öffentlichen Klage und damit auch für die Anordnung der Untersuchungshaft nach § 125 Abs. 1 StPO zuständig, sofern keine abweichende Regelung im Geschäftsverteilungsplan getroffen worden ist (vgl. Hilger in Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer [1990] S. 209, 213; Meyer-Goßner aaO § 162 Rdn. 13, § 125 Rdn. 2; Erb aaO § 162 Rdn. 16). Eine nähere Regelung eines Zuständigkeitsbereiches für den „Haftrichter“ im Geschäftsverteilungsplan ist regelmäßig entbehrlich , wenngleich als Spezialzuweisung möglich; der Strafprozessordnung ist ebenso wie dem Gerichtsverfassungsgesetz der Begriff und damit eine eigenständige regelungsbedürftige funktionale Zuständigkeit des „Haftrichters“ fremd.
37
cc) Von diesem Rechtsverständnis ging, soweit aus den bisherigen Feststellungen ersichtlich, auch der Beschwerdeführer M. aus. Er stützte seine Anordnung gerade nicht auf § 125 StPO; anderenfalls hätte es der offensichtlich rechtswidrigen Verbindung der Verfahren nicht bedurft.
38
b) Bei alledem erfolgte die Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Zusammenhang mit der Anordnung einer Freiheitsentziehung und berührte damit zugleich das Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG), die zudem durch Richtervorbehalt (Art. 104 Abs. 2 GG) verfahrensrechtlich besonders abgesichert ist (vgl. Gusy in von Mangoldt/Klein/Starck, GG Band III 5. Aufl. Art. 104 Rdn. 13; ferner Art. 5 MRK).
39
III. Zur Revision des Beschwerdeführers P. merkt der Senat ergänzend an:
40
Die Strafkammer legt ihm zur Last, „sich als Mittäter einer Rechtsbeugung schuldig gemacht zu haben“, indem er „aus sachfremden Erwägungen“ und „in Absprache mit dem Beschwerdeführer M. die Anträge auf Erlass der Haftbefehle“ in der Kenntnis gestellt hat, dass „keine tragenden Haftgründe gegeben waren“ (UA S. 89).
41
1. Die Annahme mittäterschaftlichen Handelns des Beschwerdeführers P. (§ 25 Abs. 2 StGB) begegnet vor dem Hintergrund der getroffe- nen Urteilsfeststellungen rechtlichen Bedenken. Als Mittäter handelt, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die gemeinschaftliche Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung des anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung des einen Tatanteils erscheint (BGHSt 40, 299, 301; Fischer, StGB 57. Aufl. § 25 Rdn. 12 ff.). Erforderlich zur gebotenen Abgrenzung zur Teilnahme ist eine wertende tatrichterliche Gesamtschau. Daran fehlt es hier. Allein die – durch die Strafkammer wiederholt und gar apodiktisch angeführte – Tatmotivation des Beschwerdeführers P. trägt den für die Täterschaft notwendigen Willen zur Tatherrschaft noch nicht. Ob der Umfang seiner Beteiligung in Form der gestellten Haftanträge als notwendige Voraussetzung der Haftanordnungen für sich erhebliches Gewicht im Sinne einer objektiven Mitbeherrschung des Geschehens aufweist und daher ein tragfähiges Indiz für die Mittäterschaft darstellt, erscheint – ungeachtet der maßgeblichen Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für die Ermittlungsverfahren gegen Rechtsanwalt R. und C. A. – jedenfalls nicht eindeutig. Sollte das neue Tatgericht keine weitergehenden Feststellungen namentlich zu einer gemeinsamen Tatplanung unter erheblicher Mitwirkung des Beschwerdeführers P. treffen können, so kann – bei entsprechendem Vorsatz – eine Beihilfe zur Rechtsbeugung in Betracht kommen.
42
2. Die knappen und wenig differenzierten Erörterungen der Strafkammer lassen indes selbst bei mittäterschaftlicher Erfolgszurechnung besorgen, dass dem Beschwerdeführer P. ein zu weiter Schuldumfang zur Last gelegt wurde. Auch bei Mittätern ist zunächst nach dem jeweils zurechenbaren Erfolgs- und Handlungsunwert zu differenzieren (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 479). Namentlich Ausführungen zum angenommenen Handlungsunwert sind bislang – anders als beim Beschwerdeführer M. – unterblieben. Diese waren aber gerade auch im Blick auf die hinter der Bestrafung des Beschwerdeführers M. nur wenig zurückbleibende verhängte Sanktion unentbehrlich.
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(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

(1) Die Untersuchungshaft wird durch schriftlichen Haftbefehl des Richters angeordnet.

(2) In dem Haftbefehl sind anzuführen

1.
der Beschuldigte,
2.
die Tat, deren er dringend verdächtig ist, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften,
3.
der Haftgrund sowie
4.
die Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht und der Haftgrund ergibt, soweit nicht dadurch die Staatssicherheit gefährdet wird.

(3) Wenn die Anwendung des § 112 Abs. 1 Satz 2 naheliegt oder der Beschuldigte sich auf diese Vorschrift beruft, sind die Gründe dafür anzugeben, daß sie nicht angewandt wurde.

(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

(1) Vor Erhebung der öffentlichen Klage erläßt der Richter bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand begründet ist oder der Beschuldigte sich aufhält, auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder, wenn ein Staatsanwalt nicht erreichbar und Gefahr im Verzug ist, von Amts wegen den Haftbefehl.

(2) Nach Erhebung der öffentlichen Klage erläßt den Haftbefehl das Gericht, das mit der Sache befaßt ist, und, wenn Revision eingelegt ist, das Gericht, dessen Urteil angefochten ist. In dringenden Fällen kann auch der Vorsitzende den Haftbefehl erlassen.

(1) Eine Verbindung zusammenhängender oder eine Trennung verbundener Strafsachen kann auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten oder von Amts wegen durch gerichtlichen Beschluß angeordnet werden.

(2) Zuständig für den Beschluß ist das Gericht höherer Ordnung, wenn die übrigen Gerichte zu seinem Bezirk gehören. Fehlt ein solches Gericht, so entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
Zur unerlässlichen Mitwirkung eines dritten Berufsrichters in
einem wegen komplexer Rechtsbeugungsvorwürfe umfangreichen
und schwierigen Strafverfahren.
BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09
LG Potsdam –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 7. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Rechtsbeugung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Juli 2010

beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 19. Juni 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit schwerer Freiheitsberaubung verurteilt. Gegen den Angeklagten M. hat es eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, gegen den Angeklagten P. eine solche von einem Jahr und acht Monaten. Zur Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung sind jeweils sechs Monate Freiheitsstrafe als vollstreckt erklärt worden.

A.


2
Das Landgericht hat seiner Verurteilung im Wesentlichen folgende Feststellungen zugrunde gelegt:
3
Der Beschwerdeführer M. führte als Richter am Amtsgericht den Vorsitz in einer Schöffengerichtssache gegen B. A. vor dem Amtsgericht Eisenhüttenstadt. A. wurde zur Last gelegt, als Nachlasspfleger in sechs Fällen Nachlassvermögen in Höhe von insgesamt etwa 400.000 € veruntreut zu haben. Am 30. Juni 2005 verurteilte ihn das Schöf- fengericht unter Vorsitz des Beschwerdeführers M. schließlich zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren. M. war nach dem Jahresgeschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts lediglich noch für die Erledigung dieses schöffengerichtlichen Verfahrens zuständig, dessen Hauptverhandlung am 16. Dezember 2004 begonnen hatte. Im Übrigen (90 %) war er an das Landgericht Frankfurt/Oder abgeordnet. Der Beschwerdeführer P. ist Oberstaatsanwalt und nahm als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder an der überwiegenden Anzahl der Hauptverhandlungstage teil.
4
A. ließ sich im Strafverfahren unter anderem von Rechtsanwalt R. verteidigen. Darüber war der Beschwerdeführer M. von Beginn an sehr ungehalten, weil er R. verdächtigte, an der Vortat des A. beteiligt gewesen zu sein. Er rechnete daher damit, dass R. Konfliktverteidigung betreiben würde, „um von seiner eigenen Tatbeteiligung abzulenken sowie die Aufklärung des Sachverhalts zu verzögern und zu erschweren“ (UA S. 13). Er war deshalb bestrebt, „R. möglichst rasch der Beteiligung an den Taten des B. A. zu überführen und ihn auf diese Weise auch aus dem gegen B. A. anhängigen Strafverfahren auszuschließen“ (UA S. 13). Seine im April 2004 erfolgte Vorlage an das Brandenburgische Oberlandesgericht mit dem Ziel, R. gemäß §§ 138a, 138c StPO als Tatbeteiligten auszuschließen, war ohne Erfolg geblieben (UA S. 14). Deshalb beschloss er, „selbst gegen Rechtsanwalt R. zu ermitteln und ihn mit Zwangsmaßnahmen zu überziehen“ (UA S. 14). Dabei war ihm bekannt, dass sowohl gegen R. als auch gegen A. s Ehefrau C. von der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Geldwäsche Ermittlungsverfahren eingeleitet worden waren. Der auch für das Verfahren gegen B. A. zuständige Dezernent, Staatsanwalt B. , erhob später, im Juni 2006, gegen R. und C. A. wegen Geldwäsche Anklage. Zum Ausgang dieses Verfahrens hat die Strafkammer keine Feststellungen getroffen.
5
In dem Schöffengerichtsverfahren wurde der Beschwerdeführer M. am 24. März 2005 (7. Hauptverhandlungstag) durch B. A. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Begründet wurde das Ablehnungsgesuch maßgeblich mit der Berichterstattung des früheren Direktors des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt W. Oder-Spree- im Fernsehen vom Vortag. Dieser nahm als Prozessberichterstatter an einer Vielzahl der Sitzungstage teil und kommentierte über diesen Sender „tendenziös zu Lasten“ des Angeklagten A. und des Verteidigers Rechtsanwalt R. das Prozessgeschehen; dabei verfügte er aus Sicht der Verteidigung A. s über Informationen, die er nur von M. erlangt haben konnte (UA S. 29).
6
Am 7. April 2005 (8. Hauptverhandlungstag) wurde der Beschwerdeführer M. erneut abgelehnt. Grund dafür war seine wörtliche Äußerung (UA S. 31): „Hier gilt doch nicht die StPO, hier gilt doch die HPO. Die kennen Sie doch? Die kennt nur einen Paragraphen und der heißt: Der Strafprozess beginnt mit der Vollstreckung, alles weitere bestimmt der Vorsitzende !“ Mit der Wendung „HPO“ meinte M. eine sogenannte „Hüttenstädter Prozessordnung“, mit der er Rechtsanwalt R. die Macht des Vorsitzenden demonstrieren wollte (UA S. 31). Die Ablehnungsgesuche wurden am 11. April 2005 (UA S. 36) und 21. April 2005 (UA S. 45) jeweils durch M. s Vertreterin zurückgewiesen.
7
Ebenfalls am achten Hauptverhandlungstag überreichte der als Zeuge vernommene Rechtsanwalt R. Ablichtungen eines Kaufvertrags über die Veräußerung seines Kraftfahrzeugs an C. A. . Der Beschwerdeführer M. nahm an, dass der Kaufvertrag rückdatiert worden sei, erhob sich, „warf seine Robe nach hinten, deutete auf den Zeugen R. und rief: ‚Sie sind festgenommen!’. Er hatte bereits vor dieser Sitzung den Entschluss gefasst, den Zeugen R. , B. A. und dessen Ehefrau festnehmen zu lassen, und dies mit P. besprochen, weil er sichergehen wollte , dass dieser die entsprechenden Haftbefehlsanträge stellen würde“ (UA S. 33). Entsprechend erhielt der Beschwerdeführer M. vom Beschwerdeführer P. drei vorbereitete schriftliche Anträge, mit denen dieser die Anordnung der Untersuchungshaft gegen B. A. wegen Untreue sowie gegen R. und C. A. wegen Geldwäsche und Begünstigung , bezüglich R. auch wegen uneidlicher Falschaussage beantragte. Sämtliche Anträge waren auf den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr sowie bei R. zusätzlich auf Fluchtgefahr gestützt. Der Beschwerdeführer M. vergab für die Haftbefehlsanträge betreffend R. und C. A. gerichtliche Aktenzeichen mit Gs-Registerzeichen, beschloss die Verbindung der Ermittlungsverfahren gegen R. und C. A. mit dem von ihm geführten Strafverfahren gegen B. A. und ordnete antragsgemäß Untersuchungshaft gegen alle drei an. R. und B. A. wurden im Sitzungssaal, C. A. acht Minuten später an ihrer Arbeitsstelle festgenommen.
8
Beiden Beschwerdeführern war bewusst, dass M. für eine eigenmächtige Verbindung der bei der Staatsanwaltschaft anhängigen und noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren ebenso wenig zuständig war wie für den Erlass von Haftbefehlen in diesen Ermittlungsverfahren. Sie wollten insbesondere „in Kenntnis des Fehlens tragender Haftgründe im Umgang mit einer vermeintlichen Konfliktverteidigung ein Exempel statuieren“ und gingen davon aus, dass „der Erlass der Haftbefehle durch einen anderen Richter, ebenso wie die Beantragung der Haftbefehle durch einen anderen Vertreter der Staatsanwaltschaft höchstwahrscheinlich nicht zu erreichen gewesen wäre“ (UA S. 36/37).
9
Am 14. April 2005 (9. Hauptverhandlungstag) wurden R. und C. A. als Zeugen vernommen. Zwischenzeitlich war es auf Betreiben von Staatsanwalt B. zu Unterredungen mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt gekommen, in deren Folge Staatsanwalt B. am 14. April 2005 die Entlassung von R. aus der Untersuchungshaft anordnete. Am folgenden Tag beschloss der Beschwerdeführer M. „in den Straf- und Ermittlungsverfahren“ gegen B. und C. A. sowie R. , dass die Haftbefehle gegen den Angeklagten A. sowie die „Beschuldigte“ C. A. aufgehoben werden, weil sich im Hinblick auf die Entlassung des „Beschuldigten“ R. der weitere Vollzug der Untersuchungshaft als unverhältnismäßig darstelle (UA S. 45); am selben Tag ordnete er ihre Entlassung an und hob später auch den Haftbefehl gegen R. sowie den Verbindungsbeschluss auf.

B.


10
Die Revisionen haben bereits mit Besetzungsrüge Erfolg. Zu Recht beanstanden die Beschwerdeführer, dass die Strafkammer unter Verstoß gegen § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG mit nur zwei Berufsrichtern besetzt gewesen ist. Die fehlerhafte Besetzung des erkennenden Gerichts hat als absoluter Revisionsgrund die Aufhebung des Urteils zur Folge (§ 338 Nr. 1 StPO).
11
I. Den Rügen liegt folgender prozessualer Sachverhalt zugrunde:
12
1. Die Staatsanwaltschaft hat gegen die Beschwerdeführer unter dem 30. August 2007 Anklage wegen gemeinschaftlich begangener Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung zum Landgericht Frankfurt/Oder erhoben. Den zunächst ergangenen Nichteröffnungsbeschluss hat das Brandenburgische Oberlandesgericht am 29. Juli 2008 auf sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft aufgehoben und das Hauptverfahren vor dem Landgericht Potsdam eröffnet. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 6. Februar 2009 nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG von der Mitwirkung eines dritten Berufsrichters ohne Angabe von Gründen abgesehen; den von den Beschwerdeführern jeweils vor ihrer Vernehmung zur Sache erhobenen Besetzungseinwand, gestützt auf eine unvertretbare reduzierte Gerichtsbesetzung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG, hat das Landgericht (in der für die Hauptverhandlung vorgesehenen Besetzung) zurückgewiesen und zur Begründung mitgeteilt: „Die Kammer hält sich für ordnungsgemäß besetzt. Eine willkürliche Entscheidung über die Besetzung ist nach hiesiger Meinung nicht erkennbar.“
13
2. Den bestreitenden Beschwerdeführern wurden durch die Anklageschrift „mehrere evidente Rechtsverstöße“, begangen zum Nachteil der Eheleute A. sowie des Rechtsanwalts R. , als einheitliche Tat der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung zur Last gelegt. Im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung belief sich der Umfang der Leitakte bereits auf mehr als 900 Seiten.
14
Überdies oblag der Strafkammer die Aufklärung des komplexen Ausgangsverfahrens gegen B. A. , das ursprünglich zum Landgericht angeklagt , aber mit Blick auf die zu erwartende Rechtsfolge vor dem Schöffengericht eröffnet worden war. Unter dem Vorsitz des Beschwerdeführers M. war darüber mehr als ein halbes Jahr an 14 Hauptverhandlungstagen auch unter Hinzuziehung eines Sachverständigen verhandelt worden. Die Hauptaktenbände umfassten etwa 1.600 Seiten, wurden ebenso wie die Hauptakten der Ermittlungsverfahren gegen R. und C. A. (Umfang etwa 800 Seiten) als Kopieakten beigezogen und in der Darstellung der Beweismittel in der Anklageschrift berücksichtigt. Nach dem – durch die Gegenerklärung unwidersprochen gebliebenen (vgl. zur Bedeutung der Revisionsgegenerklärung Drescher NStZ 2003, 296, 300) – Revisionsvortrag umfassten allein die beigezogenen Verfahrensakten – ersichtlich nebst Beiakten – insgesamt mehr als 7.000 Seiten.
15
3. In der Hauptverhandlung gegen die beiden Beschwerdeführer traten vor dem Landgericht neben den Verteidigern zwei Nebenkläger mit jeweils einem anwaltlichen Beistand auf. Die Strafkammer terminierte zunächst sechs Hauptverhandlungstage und lud dazu 13 Zeugen; insgesamt verhandelte sie anschließend noch an vier weiteren Tagen bis zur Urteilsverkündung.
16
II. Den Besetzungsrügen kann der Erfolg nicht versagt werden. Durch die Verhandlung und Entscheidung in der Besetzung mit nur zwei Berufsrichtern hat die Strafkammer § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG verletzt, weil der Umfang der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines dritten Berufsrichters notwendig machte.
17
1. Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG beschließt die – nicht als Schwurgericht zuständige – große Strafkammer bei der Eröffnung des Hauptverfahrens , dass sie in der Hauptverhandlung mit nur zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt ist, es sei denn, nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache erscheint die Mitwirkung eines dritten Berufsrichters erforderlich. Bei dieser Entscheidung steht der Strafkammer kein Ermessen zu; sie hat die Dreierbesetzung zu beschließen, wenn diese nach dem vorgenannten Maßstab notwendig erscheint. Jedoch ist dem Tatgericht bei der Auslegung der gesetzlichen Merkmale ein weiter Beurteilungsspielraum eröffnet, der die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen hat (BGHSt 44, 328, 334; BGH NStZ 2004, 56; StV 2004, 250, 251; Kissel /Mayer, GVG 6. Aufl. § 76 Rdn. 4). Maßgebend für die Bewertung des Umfangs der Sache sind etwa die Zahl der Angeklagten, Verteidiger und erforderlichen Dolmetscher, die Anzahl der angeklagten Taten, der Zeugen sowie anderer Beweismittel, namentlich die Notwendigkeit von Sachverständigengutachten , der Umfang der Akten sowie die voraussichtliche Dauer der Hauptverhandlung (BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3).
18
2. Bleibt im Einzelfall zweifelhaft, welche Gerichtsbesetzung für die sachgerechte Verfahrensbehandlung geboten ist, gebührt der Dreierbesetzung wegen ihrer gegenüber der reduzierten Besetzung strukturellen Überlegenheit , die sich bereits vor der 1993 erfolgten Einführung des § 76 Abs. 2 GVG bewährt hatte, der Vorrang (vgl. BGHSt 44, 328, 334; BGH JR 2004, 170). Die Beteiligung mehrerer Berufsrichter neben dem Vorsitzenden ist besonders geeignet, Aufgaben insbesondere auch in der Hauptverhandlung sachgerecht aufzuteilen, den Tatsachenstoff intensiver zu würdigen und schwierige Rechtsfragen besser zu bewältigen (vgl. BGH JR aaO; BTDrucks 12/1217 S. 46 f.). Die Besetzung der Strafkammer hat so unmittelbaren Einfluss auf die Qualität des Erkenntnisverfahrens; eine reguläre Besetzung der Strafkammer ermöglicht insbesondere eine straffe, effektive – und damit auch ressourcenschonende – Verhandlungsführung. Die Würdigung des Tatsachenstoffs und der Rechtsfragen durch drei Richter gewährleistet ferner die von der einzigen Tatsacheninstanz im Rechtszug geforderte hohe Qualität tatgerichtlicher Erkenntnis (BTDrucks aaO).
19
Der Senat merkt in diesem Zusammenhang an, dass die Rechtspraxis , soweit ersichtlich, den gebotenen sensiblen Umgang der großen Strafkammern mit der Besetzungsreduktion derzeit nicht widerspiegelt; anders ist ihre oftmals überwiegende, bei manchen Landgerichten ausschließliche Inanspruchnahme nicht erklärlich (vgl. BTDrucks 14/2777 S. 2 f.; 14/3831 S. 5; 16/3038 S. 32). Der Senat hielte es demgegenüber grundsätzlich für angezeigt , den der Beurteilung des Tatrichters unterstehenden Rechtsbegriff des Umfangs der Sache auch dahingehend weiter zu konturieren, dass jedenfalls bei einer im Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens absehbaren Verhandlungsdauer von wenigstens zehn Hauptverhandlungstagen von der Mitwirkung eines dritten Berufsrichters grundsätzlich nicht abgesehen werden darf (vgl. zu dieser Schwelle BGHSt 52, 355, 362; Becker in Löwe /Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 229 Rdn. 2; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 275 Rdn. 2). Ausnahmen mögen insbesondere bei weniger komplexen Verfahren möglich sein, wenn deren Umfang etwa allein durch eine Vielzahl für sich jeweils ganz einfach gelagerter Fälle bedingt ist.
20
3. Der absolute Revisionsgrund nach § 338 Nr. 1 StPO wegen eines Verstoßes gegen § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG liegt jedenfalls bei einer auf sachfremde Erwägungen gestützten Besetzungsentscheidung oder bei einem unvertretbaren Überschreiten des Beurteilungsspielraums durch das Tatgericht vor. Unter solchen Voraussetzungen ist die Anordnung reduzierter Besetzung objektiv willkürlich (vgl. BGHSt 44, 328, 333 ff.; BGHR GVG § 76 http://www.juris.de/jportal/portal/t/362m/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJLU034439337&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 10 - Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3; BGH NStZ 2004, 56; Siolek in Löwe /Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 76 GVG Rdn. 16; Diemer in KK 6. Aufl. § 76 GVG Rdn. 3; Kissel/Mayer aaO § 76 Rdn. 5; Schlothauer StV 1993, 147, 150). Diese Voraussetzungen sind hier nach den Kriterien sowohl des Umfangs als auch der Schwierigkeit der Sache erfüllt.
21
Nur scheinbar waren nach dem konkreten Anklagesatz wenige Rechtsbeugungshandlungen aufzuklären, die an drei Hauptverhandlungstagen begangen wurden. Von Beginn an war evident, dass tatgerichtliche Feststellungen allein dieser Verfahrenshandlungen unzureichend sein würden. Gerade wegen der tatbestandlich gebotenen Bewertung der Verfahrensfehler im Rahmen des § 339 StGB war ersichtlich auch die aufwendige Rekonstruktion weiter Teile und Hintergründe des für sich bereits komplexen Ausgangsverfahrens vor dem Schöffengericht unerlässlich (§ 244 Abs. 2 StPO). Nur auf diese Weise konnte die Strafkammer ausschließen, dass die angeklagten Handlungen nicht etwa sachgerecht, vertretbar oder letztlich gar geboten waren.
22
Im Zeitpunkt der Besetzungsentscheidung lag daher auf der Hand, dass die von der Staatsanwaltschaft beigezogenen umfangreichen, mehrere tausend Seiten umfassenden Verfahrensakten aus dem zudem in der Sache komplizierten Strafverfahren gegen B. A. einschließlich der Ermittlungsakten der Verfahren gegen Rechtsanwalt R. und C. A. auszuwerten waren. Anhand dessen waren insbesondere die Hintergründe der von den Beschwerdeführern vermuteten Beteiligung von R. und C. A. an den Taten des B. A. durch die Strafkammer aufzuklären.
23
Der so ohnehin bereits erhebliche und komplexe Verhandlungsumfang wurde weiter geprägt durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen, sämtlich anwaltlich beratenen Verfahrensbeteiligten, die voraussehbar jeweils unterschiedliche Interessen verfolgten. Dabei zeichnete sich schon durch die ausführlichen gegensätzlichen Gerichtsentscheidungen über die Eröffnung des Hauptverfahrens eine Auseinandersetzung über streitige, mindestens teilweise nicht alltägliche Rechts- und Verfahrensfragen ab. Diese Gesichtspunkte wurden hier auch nicht etwa entkräftet durch eine einfach gelagerte Beweisaufnahme (vgl. BGHSt 44, 328, 335 f.; BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3; BGH JR 2004, 170, 171). Vielmehr ließen auch die drohenden dienstrechtlichen Folgen einer Verurteilung für die nicht geständigen Beschwerdeführer von Anfang an erkennen, dass eine aufwendige und kontroverse Beweisaufnahme zu bewältigen sein würde.
24
Nach all dem war die Besetzungsentscheidung ebenso wie der nicht näher begründete, den Besetzungseinwand zurückweisende Gerichtsbeschluss nicht mehr vertretbar. Die Strafkammer hätte auf den Einwand hin die Besetzungsentscheidung aufheben müssen (BGH JR 2004, 170, 171). Das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 1 StPO hat die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache zur Folge, über die eine große Strafkammer in nicht reduzierter Besetzung zu entscheiden haben wird.

C.


25
Auf die sonstigen erhobenen Verfahrensrügen und die – nicht etwa zu einer begünstigenden Durchentscheidung führenden – sachlichrechtlichen Beanstandungen der Revisionen der Beschwerdeführer kommt es danach nicht mehr an. Der Senat sieht jedoch mit Blick auf das weitere Verfahren Anlass zu folgenden ergänzenden Bemerkungen:
26
I. Die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen zum Verfahren gegen B. A. vor dem Amtsgericht Eisenhüttenstadt sind – möglicherweise gar infolge der reduzierten Strafkammerbesetzung – derart zusammenhanglos und lückenhaft, dass sie eine sachlichrechtliche Überprüfung einiger der den Beschwerdeführern zur Last gelegten Verfahrenshandlungen http://www.juris.de/jportal/portal/t/1c1d/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE301549700&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/1clq/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE301549700&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 12 - für den Senat weitgehend nicht ermöglichen würden. Dies gilt namentlich für eine willkürliche Annahme von Haftgründen.
27
Darüber hinaus stellen Verfahrensrügen des Beschwerdeführers M. die Feststellungen zu ihm vorgeworfenen rechtsbeugerischen Verfahrenshandlungen teilweise in Frage. Dies gilt beispielsweise für die Feststellung der Haftgründe gegen Rechtsanwalt R. , wie für die Initiative des Beschwerdeführers M. in dem gegen diesen betriebenen Ausschließungsverfahren nach §§ 138a ff. StPO.
28
II. Der Senat merkt andererseits an: Im Gewicht von Verfahrensverstößen kann ein tragfähiges Indiz für eine sachwidrige Motivation im Sinne des § 339 StGB liegen. Weitere Indizien können sich aus den festzustellenden Begleitumständen ergeben.
29
1. Die Strafkammer geht zu Recht davon aus, dass Rechtsbeugung auch durch den Verstoß gegen Verfahrensvorschriften begangen werden kann (vgl. BGHSt 42, 343, 344; 47, 105, 109; BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 6; jeweils m.w.N.). Um nicht in jedem Rechtsverstoß bereits eine „Beugung“ des Rechts zu sehen, enthält das Tatbestandsmerkmal ein normatives Element; erfasst werden sollen davon nur elementare Verstöße gegen die Rechtspflege, bei denen sich der Täter bewusst und in schwerer Weise zugunsten oder zum Nachteil einer Partei von Recht und Gesetz entfernt (vgl. BGHSt 32, 357, 364; 34, 146, 149; 38, 381, 383; 42, 343, 345; 47, 105, 109 ff.; BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 7; BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 97/09 Tz. 10) und dadurch die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung begründet, ohne dass allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muss (BGHSt 42, 343, 346, 351; BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 6).
30
2. Für die Erfüllung des ungeschriebenen tatbestandlichen Regulativs der konkreten Gefahr einer sachfremden Entscheidung (vgl. BGHSt 32, 357, 364) kann es sprechen, wenn ein Richter eine Entscheidung zum Nachteil einer Partei unter bewusster Begehung eines schwerwiegenden Verfahrensfehlers trifft. Ein derartiger schwerwiegender Verstoß kann in einer willkürlichen Zuständigkeitsbegründung als Missachtung des rechtsstaatlich besonders bedeutsamen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG jedenfalls dann liegen, wenn diese eine Verletzung weiterer wesentlicher grund- oder konventionsrechtlicher Rechtspositionen des Betroffenen bewirkt.
31
a) Der Beschwerdeführer M. war nach den bislang getroffenen Feststellungen für die Anordnung von Untersuchungshaft gegen R. und C. A. nicht zuständig. Nach der Geschäftsverteilung war M. im Jahre 2005 ausschließlich für die Erledigung des bereits rechtshängigen Schöffengerichtsverfahrens gegen B. A. zuständig.
32
aa) Die von ihm beschlossene Verbindung der bei der Staatsanwaltschaft anhängigen Ermittlungsverfahren gegen R. und C. A. mit dem beim Amtsgericht Eisenhüttenstadt rechtshängigen Verfahren gegen B. A. konnte eine Zuständigkeit nicht begründen. Die allein in Betracht kommende Verfahrensverbindung nach § 4 StPO war dem Angeklagten verschlossen. Es fehlte bereits an der erforderlichen Anklage (vgl. MeyerGoßner , StPO 53. Aufl. § 4 Rdn. 4); nicht einmal ein entsprechender – freilich dafür nicht genügender – Verbindungsantrag des Beschwerdeführers P. als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft war gestellt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte ihre alleinige Dispositionsbefugnis über die Ermittlungsverfahren noch nicht verloren (vgl. Erb in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 4 Rdn. 3).
33
bb) Entgegen der Auffassung der Revision ergeben die bisherigen Feststellungen auch keine Zuständigkeit des Beschwerdeführers M. aus § 125 Abs. 1 StPO. http://www.juris.de/jportal/portal/t/1dv0/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=14&numberofresults=15&fromdoctodoc=yes&doc.id=KSRE161320576&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 14 -
34
Als gegenüber § 162 Abs. 1 StPO speziellere Regelung ist danach vor Erhebung der öffentlichen Klage für den Erlass eines Haftbefehls grundsätzlich jeder Richter bei dem Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand begründet ist (vgl. auch Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 125 Rdn. 5). Im Falle verschiedener Gerichtsstände können daher auch mehrere Richter unterschiedlicher örtlich zuständiger Amtsgerichte zuständig sein, sofern deren Verhältnis nicht durch eine Zuständigkeitskonzentration nach § 58 GVG geregelt worden ist. Indes bestimmt § 125 Abs. 1 StPO nicht, wie sich die Zuständigkeit verschiedener Richter desselben in Betracht kommenden Gerichtsstands zueinander verhält. Die Annahme der Revision, aus § 125 Abs. 1 StPO folge die gleichrangige unmittelbare Zuständigkeit jedes Richters dieses Amtsgerichts, ist mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar.
35
Über den im Einzelfall nach § 125 StPO konkret zuständigen Richter haben die Bestimmungen der Geschäftsverteilungspläne der Gerichte Regelungen zu treffen (vgl. BVerfGE 19, 52, 59 f.; 20, 336, 344; 25, 336, 346). Auf diese Weise wird gewährleistet, dass der einzelne konkret zuständige Richter generell vorbestimmt ist, und verhindert, dass er ad hoc und ad personam bestimmt wird. Durch den Jahresgeschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt wurde die Zuständigkeit für ermittlungsrichterliche Befugnisse ausdrücklich zwei namentlich benannten Richtern und weiteren Vertretern , nicht jedoch dem ausschließlich noch für das Schöffengerichtsverfahren gegen B. A. zuständigen Beschwerdeführer M. zugewiesen. Die bisherigen Urteilsfeststellungen belegen damit eine zureichende generelle Bestimmung auch des nach § 125 Abs. 1 StPO zuständigen Richters.
36
Der Ermittlungsrichter ist funktionell für sämtliche amtsgerichtliche Entscheidungen im Verfahren zur Vorbereitung der öffentlichen Klage und damit auch für die Anordnung der Untersuchungshaft nach § 125 Abs. 1 StPO zuständig, sofern keine abweichende Regelung im Geschäftsverteilungsplan getroffen worden ist (vgl. Hilger in Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer [1990] S. 209, 213; Meyer-Goßner aaO § 162 Rdn. 13, § 125 Rdn. 2; Erb aaO § 162 Rdn. 16). Eine nähere Regelung eines Zuständigkeitsbereiches für den „Haftrichter“ im Geschäftsverteilungsplan ist regelmäßig entbehrlich , wenngleich als Spezialzuweisung möglich; der Strafprozessordnung ist ebenso wie dem Gerichtsverfassungsgesetz der Begriff und damit eine eigenständige regelungsbedürftige funktionale Zuständigkeit des „Haftrichters“ fremd.
37
cc) Von diesem Rechtsverständnis ging, soweit aus den bisherigen Feststellungen ersichtlich, auch der Beschwerdeführer M. aus. Er stützte seine Anordnung gerade nicht auf § 125 StPO; anderenfalls hätte es der offensichtlich rechtswidrigen Verbindung der Verfahren nicht bedurft.
38
b) Bei alledem erfolgte die Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Zusammenhang mit der Anordnung einer Freiheitsentziehung und berührte damit zugleich das Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG), die zudem durch Richtervorbehalt (Art. 104 Abs. 2 GG) verfahrensrechtlich besonders abgesichert ist (vgl. Gusy in von Mangoldt/Klein/Starck, GG Band III 5. Aufl. Art. 104 Rdn. 13; ferner Art. 5 MRK).
39
III. Zur Revision des Beschwerdeführers P. merkt der Senat ergänzend an:
40
Die Strafkammer legt ihm zur Last, „sich als Mittäter einer Rechtsbeugung schuldig gemacht zu haben“, indem er „aus sachfremden Erwägungen“ und „in Absprache mit dem Beschwerdeführer M. die Anträge auf Erlass der Haftbefehle“ in der Kenntnis gestellt hat, dass „keine tragenden Haftgründe gegeben waren“ (UA S. 89).
41
1. Die Annahme mittäterschaftlichen Handelns des Beschwerdeführers P. (§ 25 Abs. 2 StGB) begegnet vor dem Hintergrund der getroffe- nen Urteilsfeststellungen rechtlichen Bedenken. Als Mittäter handelt, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die gemeinschaftliche Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung des anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung des einen Tatanteils erscheint (BGHSt 40, 299, 301; Fischer, StGB 57. Aufl. § 25 Rdn. 12 ff.). Erforderlich zur gebotenen Abgrenzung zur Teilnahme ist eine wertende tatrichterliche Gesamtschau. Daran fehlt es hier. Allein die – durch die Strafkammer wiederholt und gar apodiktisch angeführte – Tatmotivation des Beschwerdeführers P. trägt den für die Täterschaft notwendigen Willen zur Tatherrschaft noch nicht. Ob der Umfang seiner Beteiligung in Form der gestellten Haftanträge als notwendige Voraussetzung der Haftanordnungen für sich erhebliches Gewicht im Sinne einer objektiven Mitbeherrschung des Geschehens aufweist und daher ein tragfähiges Indiz für die Mittäterschaft darstellt, erscheint – ungeachtet der maßgeblichen Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für die Ermittlungsverfahren gegen Rechtsanwalt R. und C. A. – jedenfalls nicht eindeutig. Sollte das neue Tatgericht keine weitergehenden Feststellungen namentlich zu einer gemeinsamen Tatplanung unter erheblicher Mitwirkung des Beschwerdeführers P. treffen können, so kann – bei entsprechendem Vorsatz – eine Beihilfe zur Rechtsbeugung in Betracht kommen.
42
2. Die knappen und wenig differenzierten Erörterungen der Strafkammer lassen indes selbst bei mittäterschaftlicher Erfolgszurechnung besorgen, dass dem Beschwerdeführer P. ein zu weiter Schuldumfang zur Last gelegt wurde. Auch bei Mittätern ist zunächst nach dem jeweils zurechenbaren Erfolgs- und Handlungsunwert zu differenzieren (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 479). Namentlich Ausführungen zum angenommenen Handlungsunwert sind bislang – anders als beim Beschwerdeführer M. – unterblieben. Diese waren aber gerade auch im Blick auf die hinter der Bestrafung des Beschwerdeführers M. nur wenig zurückbleibende verhängte Sanktion unentbehrlich.
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Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 97/09
vom
29. Oktober 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Rechtsbeugung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. Oktober
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Athing ,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanovic´,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Dr. Franke
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Dessau vom 19. November 2008 wird verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt aus Rechtsgründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Im Jahr 2004 war der Angeklagte Richter am Amtsgericht Z. und als Vorsitzender des Jugendschöffengerichts für die Bearbeitung mehrerer Strafverfahren gegen den vietnamesischen Staatsangehörigen D. T. L. zuständig. Die Staatsanwaltschaft H. /Zweigstelle N. warf diesem in insgesamt sieben Anklagen u. a. mehrere im Heranwachsendenalter begangene Straftaten des gewerbsmäßigen Diebstahls vor. Der Angeklagte ließ alle An- klagen zur Hauptverhandlung zu, lehnte jedoch mit Beschluss vom 29. März 2004 den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Haftbefehls gegen D. T. L. ab. Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft hob das Landgericht diesen Beschluss auf und ordnete Untersuchungshaft an; es bestehe Fluchtgefahr, da D. T. L. neben den angeklagten Taten eines in H. begangenen räuberischen Diebstahls dringend verdächtig sei und daher mit einer empfindlichen Strafe rechnen müsse. Auf der Grundlage dieses Haftbefehls wurde seit dem 9. Juni 2004 die Untersuchungshaft für die beim Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Z. angeklagten Straftaten vollzogen. Der im Hinblick auf den Tatvorwurf in H. erlassene weitere Haftbefehl war zuvor aufgehoben worden, nachdem D. T. L. insoweit lediglich wegen Diebstahls zu einer Bewährungsstrafe von vier Monaten verurteilt worden war.
4
Unter dem 23. Juni 2004 fragte die Ausländerbehörde bei dem Angeklagten unter Hinweis auf § 456a StPO an, ob D. T. L. in seinen Heimatstaat abgeschoben werden könne. Nach Weiterleitung der Anfrage an die Staatsanwaltschaft teilte diese dem Angeklagten mit, ein Antrag nach § 154b Abs. 4 StPO auf vorläufige Einstellung des Verfahrens im Hinblick auf die beabsichtigte Auslieferung werde nicht gestellt. Wegen des von der Ausländerbehörde in Aussicht genommenen Termins zur Abschiebung am 23. September 2004 versuchte der Angeklagte in der Folgezeit mehrfach erfolglos, die Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf das einschlägige völkerrechtliche Abkommen zwischen der Bundesrepublik und der Republik Vietnam von seinem Standpunkt zu überzeugen. Unter dem 19. August 2004 beantragte der Pflichtverteidiger des D. T. L. unter Hinweis auf die Verurteilung seines Mandanten zu einer viermonatigen Bewährungsstrafe durch das Amtsgericht H. , den seit dem 9. Juni 2004 vollstreckten Haftbefehl ebenfalls mangels Verhältnismäßigkeit außer Vollzug zu setzen. Der Angeklagte hob sodann mit Beschluss vom 21. Septem- ber 2004 den Haftbefehl gegen D. T. L. auf. Zur Begründung führte er sinngemäß aus, der Haftgrund der Fluchtgefahr sei unter Berücksichtigung der Verurteilung durch das Amtsgericht H. entfallen, zumal im vorliegenden Verfahren ebenfalls nur eine aussetzungsfähige Jugendstrafe zu erwarten sei. Ob Wiederholungsgefahr bestehe, könne offen bleiben; jedenfalls im Lichte der beabsichtigten Abschiebung sei die Aufrechterhaltung des Haftbefehls nicht mehr verhältnismäßig. Zwar sei § 456a Abs. 1 StPO, wonach von Vollstreckung zum Zwecke der Abschiebung abgesehen werden könne, nicht unmittelbar anwendbar. Für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft müsse der Rechtsgedanke dieser Vorschrift aber entsprechend angewendet werden, wenn - wie im vorliegenden Fall - nur noch ihre Aufrechterhaltung der beabsichtigten völkerrechtlich abgesicherten Abschiebung entgegenstehe. Dem "repressiven und präventiven Interesse" der Strafverfolgungsorgane sei bereits durch den Vollzug der Untersuchungshaft seit Festnahme des D. T. L. auch in anderer Sache hinreichend genügt.
5
Die Ausländerbehörde erhielt eine Ausfertigung dieses Beschlusses noch am selben, die Staatsanwaltschaft am darauf folgenden Tag. D. T. L. wurde am 23. September 2004 nach Vietnam abgeschoben.
6
2. Das Landgericht hat bereits den objektiven Tatbestand einer Rechtsbeugung im Sinne des § 339 StGB verneint, da sich der Angeklagte mit der Aufhebung des Haftbefehls gegen D. T. L. nicht bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt habe. Zwar sei die Annahme einer analogen Anwendung des § 456a StPO unter Bezugnahme auf einen vom Angeklagten angenommenen Vorrang des völkerrechtlichen Abkommens zwischen Deutschland und Vietnam rechtsfehlerhaft gewesen, was ihm angesichts des mehrfachen Hinweises der Staatsanwaltschaft auf § 154b StPO auch hätte klar sein müssen. Die Aufhebung des Haftbefehls hätte jedoch mit einer anderen Begründung rechtsfehlerfrei ergehen können. Nach Verurteilung des D. T. L. zu einer viermonatigen Bewährungsstrafe durch das Amtsgericht H. sei ein tragender Grund für die damalige, auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft angeordnete Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr durch das Landgericht H. weggefallen. Jedenfalls erweise sich die Entscheidung des Angeklagten unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit als vertretbar, zumal der weitere, von ihm nicht geprüfte Haftgrund der Wiederholungsgefahr angesichts der im Urteil des Amtsgerichts H. gestellten günstigen Sozialprognose fern gelegen habe.

II.


7
Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe unter Verstoß gegen § 261 StPO eine Einlassung des Angeklagten bei der Urteilsfindung berücksichtigt, bleibt ohne Erfolg.
8
Das Landgericht hat seine Überzeugungsbildung auch hinsichtlich der in den Urteilsgründen erwähnten Einlassung des Angeklagten aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft. Die Beschwerdeführerin trägt selbst vor, der Angeklagte habe im Rahmen des letzten Wortes eine umfangreiche Erklärung abgegeben. Was ein Angeklagter nach § 258 Abs. 1 StPO erklärt, gehört jedoch zum Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO und darf folglich bei der Urteilsfindung berücksichtigt werden (BGHSt 11, 74, 75; KKSchoreit StPO 6. Aufl. § 261 Rn. 12; Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 261 Rn. 5).

III.


9
Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe den Tatbestand der Rechtsbeugung im Sinne des § 339 StGB nicht erfüllt, ist auf Grund der dazu im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen im Ergebnis aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
10
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll der Straftatbestand der Rechtsbeugung den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege unter Strafe stellen. Da die Einordnung der Rechtsbeugung als Verbrechenstatbestand die Schwere des Unwerturteils indiziert und eine Verurteilung kraft Gesetzes (§ 24 Abs. 1 DRiG) zur Beendigung des Richterverhältnisses führt, ist es mit dieser gesetzlichen Zweckbestimmung nicht zu vereinbaren , jede unrichtige Rechtsanwendung und jeden Ermessensfehler in den Schutzbereich dieser Norm einzubeziehen. Rechtsbeugung begeht daher nur der Amtsträger, der sich bewusst und in schwer wiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt. Das Tatbestandsmerkmal der "Beugung" enthält insoweit ein normatives Element, wonach nur elementare Rechtsverstöße und offensichtliche Willkürakte erfasst werden sollen (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 38, 381, 383; 40, 272, 283; 47, 105, 108 f.). Auf den Maßstab (bloßer) Unvertretbarkeit darf dabei schon im Interesse der Rechtssicherheit nicht abgestellt werden (BGHSt 47, 105, 109). Eine Beugung des Rechts kann auch durch die Verletzung von Verfahrens- und Zuständigkeitsvorschriften begangen werden und liegt etwa dann vor, wenn der entscheidende Richter aus sachfremden Erwägungen gegen Zuständigkeits- und Anhörungsvorschriften verstößt, um andere Beteiligte von der Mitwirkung am Verfahren auszuschließen, und er damit die konkrete Gefahr eines seinen Intentionen entsprechenden unrechtmäßigen Voroder Nachteils für eine Partei schafft, der bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften voraussichtlich nicht zu erreichen gewesen wäre (BGHSt 42, 343, 351; BGH, Beschluss vom 24. Juni 2009 – 1 StR 201/09).
11
2. Einen solchen elementaren Rechtsverstoß des Angeklagten in Gestalt des Beschlusses vom 21. September 2004 über die Haftbefehlsaufhebung hat das Landgericht hier im Ergebnis zu Recht verneint.
12
a) Der Angeklagte hat zwar bei der Entscheidung einer Rechtssache gehandelt , er hat aber weder seine Zuständigkeit überschritten noch stellt die Aufhebung des Haftbefehls inhaltlich einen den Tatbestand des § 339 StGB erfüllenden Rechtsverstoß dar.
13
aa) Schon von Amts wegen war der Angeklagte als Vorsitzender des Jugendschöffengerichts und damit als Gericht der Hauptsache (§ 126 Abs. 2 Satz 1 StPO) nach Eröffnung des Hauptverfahrens dazu verpflichtet, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft gegen D. T. L. regelmäßig zu überprüfen und dabei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 112 Abs. 1 Satz 2 StPO) besondere Beachtung zu schenken. Für den Angeklagten bestand darüber hinaus nicht nur im Hinblick auf den von der Ausländerbehörde in Aussicht genommenen Abschiebetermin ein konkreter Anlass, sich gerade zum damaligen Zeitpunkt mit der Frage der Haftfortdauer zu befassen. Denn der Pflichtverteidiger hatte unter dem 19. August 2004 einen Haftverschonungsantrag gestellt und zur Begründung auf die Unverhältnismäßigkeit der weiteren Fortdauer der Untersuchungshaft besonders hingewiesen.
14
bb) Auch der Sache nach erweist sich die in den Gründen des Beschlusses niedergelegte Auffassung des Angeklagten, der Haftgrund der Fluchtgefahr bestehe nicht mehr, als durchaus vertretbar, jedenfalls nicht als willkürlich. D. T. L. war vom Amtsgericht H. lediglich zu einer geringfügigen Bewährungsstrafe verurteilt worden und hatte auch in dem von dem Angeklagten geführten Strafverfahren lediglich mit einer bewährungsfähigen Strafe zu rechnen.
15
Dass der Angeklagte über den Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht abschließend entschieden hat, stellt ebenfalls keinen elementaren, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschütternden Rechtsverstoß dar. Zur Begründung der Aufhebung des Haftbefehls hat der Angeklagte den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit herangezogen und maßgeblich darauf abgestellt, dass dem Strafbedürfnis der Allgemeinheit durch die von D. T. L. erlittene Untersuchungshaft bereits hinreichend genügt sei. Diese Erwägung ist nicht sachfremd. Angesichts der Dauer der Untersuchungshaft von nahezu sechs Monaten bei einem Heranwachsenden war sie unter Berücksichtigung der bereits erwähnten Straferwartung für sich genommen jedenfalls nicht unvertretbar. Dass der Angeklagte in diese Verhältnismäßigkeitsbetrachtungen auch eine nicht näher erläuterte, vom Landgericht zutreffend als fehlerhaft bewertete Analogie zu § 456a StPO einbezogen hat, fällt demgegenüber nicht so erheblich ins Gewicht, dass der Entscheidung zur Aufhebung des Haftbefehls insgesamt der Charakter eines elementaren Rechtsbruchs anhaften würde.
16
b) Dafür dass der Angeklagte durch sein Verhalten auch unabhängig von der Aufhebung des Haftbefehls den Tatbestand der Rechtsbeugung und/oder der Strafvereitelung im Amt verwirklicht haben könnte, geben die im Urteil getroffenen Feststellungen keinen Anhalt.
17
aa) Zwar hat die Staatsanwaltschaft gegenüber dem Angeklagten mehrfach erklärt, sie werde den gemäß § 154b Abs. 4 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 StPO erforderlichen Antrag zur Einstellung des Strafverfahrens wegen Abschiebung des D. T. L. nicht stellen. Über diese Willensäußerung der Staatsanwaltschaft und damit über den fehlenden Antrag als rechtliche Voraussetzung für eine Einstellung nach dieser Vorschrift hat sich der Angeklagte aber nicht hinweggesetzt. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat er das Verfahren zu keinem Zeitpunkt gemäß § 154b StPO eingestellt.
18
bb) Ein Erörterungsmangel liegt auch nicht darin, dass das Landgericht nicht geprüft hat, ob ein elementarer, den objektiven Tatbestand der Rechtsbeugung oder der Strafvereitelung im Amt erfüllender Rechtsverstoß des Angeklagten darin bestehen konnte, dass der Angeklagte anstelle der dazu berufenen Staatsanwaltschaft die Zustimmung zur Abschiebung des D. T. L. gegeben und damit gegen die Zuständigkeitsvorschrift des (damals noch geltenden ) § 64 Abs. 3 AuslG verstoßen hätte.
19
An dem Entscheidungsprozess über die Abschiebung war der Angeklagte formal nicht beteiligt. Nach den Feststellungen ging die Initiative zur Abschiebung von der Ausländerbehörde aus und mündete in die Anfrage an den Angeklagten , ob von der "weiteren Vollstreckung der Strafe" im Hinblick auf die beabsichtigte Abschiebung des D. T. L. abgesehen werden könne. Dass der Angeklagte auf das Vorstellungsbild der zuständigen Mitarbeiter der Ausländerbehörde eingewirkt hätte, etwa dergestalt, er werde unter Missachtung der der Staatsanwaltschaft durch § 64 Abs. 3 AuslG a. F. eingeräumten Befugnisse eine Zustimmung zur Abschiebung erteilen, ergeben die Feststellungen nicht. Vielmehr hat der Angeklagte die Anfrage an die zuständige Staatsanwaltschaft weitergeleitet, sich in der Folgezeit mehrfach um deren Zustimmung be- müht und alsdann lediglich den gegen D. T. L. bestehenden Haftbefehl aufgehoben.
20
c) Auch die vom Angeklagten gewählte Verfahrensweise spricht gegen die Annahme, er habe sich maßgeblich von sachfremden Erwägungen leiten lassen, um unter gezielter Benachteiligung eines Verfahrensbeteiligten eine von ihm gewünschte Entscheidung zu erreichen. Insbesondere hat er seine Absicht, den Haftbefehl im Hinblick auf die von der Ausländerbehörde beabsichtigte Abschiebung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit aufzuheben, der Staatsanwaltschaft nicht etwa verheimlicht. Vielmehr hat er diese nach der Anfrage der Ausländerbehörde mehrfach angehört, um, wenn auch auf der Grundlage einer teilweise irrigen Rechtsansicht, deren Zustimmung zu erreichen. Die von ihm an die Staatsanwaltschaft übermittelte Ausfertigung des Beschlusses über die Aufhebung des Haftbefehls lag dort einen Tag vor dem Vollzug der Abschiebung vor. Die Feststellungen des Landgerichts ergeben nicht, dass der Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt eine Einflussnahme auf die bevorstehende Abschiebung unter Berufung auf § 64 Abs. 3 AuslG a. F. – etwa mit dem Ziel einer Aussetzung der Abschiebung im Eilwege – nicht mehr möglich war. Entsprechendes wird von der Beschwerdeführerin im Revisionsverfahren auch nicht vorgetragen.

IV.


21
Da das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Rechtsbeugung im Ergebnis zu Recht bereits aus objektiven Gründen verneint hat, kommt wegen der insoweit bestehenden Sperrwirkung eine Verurteilung wegen Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB) nicht in Betracht (Fischer StGB 56. Aufl. § 339 Rn. 21 m.w.N.). Auch bedürfen die weiter gehenden Einwände der Revi- sion gegen die Annahme von Schuldunfähigkeit des Angeklagten ebenso wenig der Erörterung wie die von der Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang erhobene (weitere) Verfahrensrüge der Verletzung von § 261 StPO.
Tepperwien Athing Solin-Stojanović
Ernemann Franke

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 478/04
vom
11. Januar 2005
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
11. Januar 2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
und Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Verteidiger der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 21. Juni 2004 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Würzburg zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:


I.

Der Angeklagte wurde vom Vorwurf freigesprochen, am 28./29. September 2001 die 51 Jahrealte H. Habgier aus ermordet zu haben. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben mit der Sachrüge Erfolg; die Beweiswürdigung ist nicht rechtsfehlerfrei. 1. Am frühen Abend des 28. September 2001 suchte Frau H. am Grenzübergang Hegyeshalom - Nickelsdorf eine Mitfahrgelegenheit; sie hatte
ihre Reisegruppe verlassen, da sie wegen ihres abgelaufenen Passes nicht von Österreich nach Ungarn einreisen durfte. Sie konnte im Pkw des Angeklagten mitfahren, der auf dem Weg in seinen Wohnort Sch. (Kreis Hof) war. Unterwegs tankte er an der Tankstelle Suben (Österreich) und kaufte dort auch Coca-Cola und drei Isolierbänder der (verbreiteten) Marke "Coroplast" : er bezahlte mit Karte. 2. Am 6. Oktober 2001 wurde die Leiche von Frau H. mit durchschnittener Kehle und anderen massiven Schnittverletzungen etwa 40 Kilometer von Sch. entfernt bei T. (Kreis Kulmbach) im Gebüsch gefunden. Sie war vollständig bekleidet, Spermaspuren gab es nicht. Es fehlten 300 bis 400 DM Bargeld, ein Koffer und einige andere Gegenstände. Im weiteren Verlauf ergab sich anhand des Madenbefalls der Leiche, daß sie spätestens seit dem Nachmittag des 29. Septembers 2001 (Tag nach ihrer Fahrt mit dem Angeklagten) am Fundort gelegen hatte. Wesentlich genauer ließ sich auch der Todeszeitpunkt nicht bestimmen. Im weiteren Verlauf wurde an der Leiche eine kleine Schnittwunde "an der Kleinfingerseite des rechten Unterarms in Höhe des Handgelenks" festgestellt, in der Partikel von "Coroplast"Isolierband waren. 3. Der Angeklagte wurde am 23. November 2001 durch Videoaufnahmen von der Grenze ermittelt und machte am 23. und 30. November 2001 nähere Angaben zur Sache. Er legte auch Unterlagen vor (z. B. sein Notizbuch, Kontounterlagen und Nachweise über Telefongespräche), gab einen Hinweis zu einem Ermittlungsansatz und schickte der Polizei bis zum 1. Dezember 2001 insgesamt dreimal ein Fax mit ergänzenden Ausführungen. Danach machte er keine Angaben mehr. Bereits am 23. November 2001 berichtete er von sich aus
- der Polizei konnte dies noch nicht bekannt sein - er habe in Suben getankt, dort auch Getränke gekauft und möglicherweise mit Karte bezahlt. Vom Kauf von Isolierbändern sagte er dabei nichts. Solange er Angaben machte, wurde er zu dem erst später in den Blickpunkt der Ermittlungen geratenen Thema Isolierbänder auch nicht befragt.
4. Die Strafkammer hält die "Isolierband-Erkenntnisse" zwar für gewichtig , gleichwohl könnten diese letztlich weder für sich noch in einer Gesamtschau mit allen sonstigen Erkenntnissen einen Zusammenhang des Angeklagten mit der Tat hinreichend belegen. Sie hat dazu unter anderem erwogen: Das Verschweigen des Kaufs sei bedeutungslos, weil es "möglich (sei), daß sich der Angeklagte am 23. November 2001 nicht ... erinnerte, diese Bänder gekauft zu haben, gegebenenfalls weil dies für ihn ein alltäglicher ... Vorgang war. Immerhin hat der Angeklagte durch seine Aussage die Beamten erst darauf gebracht ... nachzuprüfen ... (und) ... zu entdecken, daß ... Isolierband gekauft wurde". Es sei auch "nicht ausgeschlossen, daß Frau H. von dem Angeklagten eines oder mehrere der in Suben erworbenen Bänder überlassen erhielt , eventuell um etwas zu reparieren". Es fiele zwar auf, daß er bei der Polizei davon nichts gesagt habe; Isolierband habe bei seinen Vernehmungen aber noch keine Rolle gespielt.

II.

Kann der Tatrichter nicht die erforderliche Gewißheit gewinnen und spricht den Angeklagten daher frei, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt
nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn eine vom Tatrichter getroffene Feststellung "lebensfremd erscheinen" mag. Es gibt im Strafprozeß keinen Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf der Gewißheit des Richters, sondern auf der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs beruht. Demgegenüber ist eine Beweiswürdigung etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie schon von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, z. B. hinsichtlich der generellen Bewertung von Aussageverhalten oder hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert oder nur eine von mehreren gleich nahe liegenden Möglichkeiten erörtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit überspannte Anforderungen gestellt sind. Dies ist auch dann der Fall, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlußfolgerung nicht gezogen ist, ohne daß konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 12. August 2003 - 1 StR 111/03 = NStZ-RR 2003, 371 ; BGH NStZ 2004, 35, 36 m. w. N.)

III.

An alledem gemessen, sind die genannten Erwägungen der Strafkammer insgesamt nicht rechtsfehlerfrei.
1. Zu Recht ist sie davon ausgegangen, daß das Aussageverhalten des Angeklagten hinsichtlich der Isolierbänder einer Beweiswürdigung zugänglich ist. Zwar dürfen aus unterschiedlichem Einlassungsverhalten bei mehreren Vernehmungen oder in verschiedenen Verfahrensabschnitten als solchem keine Schlüsse zum Nachteil des Angeklagten gezogen werden (st. Rspr. vgl. BGH NStZ 1999, 47 m. w. N.). Soweit sich der Angeklagte aber grundsätzlich zur Sache geäußert hat und nur zu bestimmten Punkten eines einheitlichen Geschehens keine Angaben gemacht hat, kann dies zu seinem Nachteil berücksichtigt werden (BGH aaO; Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 41 jew. m. w. N.). Dabei kommt es nicht darauf an, ob Fragen nicht beantwortet wurden oder ob der Vernommene, wie hier, von sich aus einen Vorgang schildert und dabei einen wesentlichen Punkt eines einheitlichen Geschehens nicht nennt (Schoreit aaO m. w. N.; vgl. auch BVerfG - Beschluß vom 29. November 2004 - 2 BvR 1034/02). 2. Die Frage, ob der Angeklagte den Kauf der Isolierbänder vergessen oder bewußt verschwiegen hat, betrifft eine "innere Tatsache", so daß im wesentlichen nur Rückschlüsse möglich sind (vgl. BGH NStZ 2003, 596 f. m. w. N.). Hiervon geht auch die Strafkammer aus, ihre Erwägungen sind aber unvollständig , weil sie möglicherweise bedeutsame Gesichtspunkte nicht erkennbar einbezieht:
a) Die Strafkammer stellt auf die Alltäglichkeit des Einkaufs von Isolierband in Verbindung mit dem Zeitablauf ab. Wenn ein Autofahrer auf einer längeren Fahrt beim Tanken auch Getränke kauft, ist dies aber nicht weniger alltäglich , als wenn er bei dieser Gelegenheit drei Rollen Isolierband kauft. Hinzu kommt, daß auch die übrigen Aussagen des Angeklagten sehr präzise und detailreich sind. So hat er etwa genau geschildert, wie ihm Frau H. berichtet
habe, daß sie sich an ihrem Koffer leicht verletzt ("geratscht") habe. Allerdings habe er selbst nicht bemerkt, daß sie geblutet habe, auch nicht als sie "Brot oder Brötchen" und "ein Stück Obst" aß und den Abfall in Papiertaschentücher wickelte. Ähnlich genau hat er am 23. November 2001 die Frage nach Körperkontakten mit FrauH. beantwortet. Sie habe ihm beim Aussteigen Geld für die Fahrt hingehalten, er habe dies aber abgelehnt und ihren Arm zurückgeschoben. In einem Fax an die Polizei vom 25. November 2001 hat er einen weiteren Körperkontakt - nicht ganz leicht verständlich - so geschildert: Er habe beim Aussteigen die Reisetasche von FrauH. mit aus dem Auto herausgereicht. Da die Tasche "verklemmt" gewesen sei, sei seine Hand abgerutscht und er habe sich deshalb an der Hand von Frau H. gekratzt. Die Strafkammer hätte daher das Schweigen hinsichtlich des Kaufs der Isolierbänder nicht mit Vergessen eines alltäglichen Vorgangs erklären dürfen, ohne sich damit auseinander zu setzen, daß der Angeklagte sowohl speziell zum Einkauf an der Tankstelle als auch sonst zur Fahrt eine Reihe - teilweise sehr alltäglicher - Details genau geschildert hat.
b) Unabhängig vom Aussageverhalten ist objektivierbar, ob für jemanden der Einkauf mehrerer Isolierbänder auf der Heimreise alltäglich ist. Die Urteilsgründe ergeben nicht, daß der Angeklagte häufig Isolierbänder brauchen oder kaufen würde. Der Hinweis, "gegebenenfalls" sei dies für ihn alltäglich, spricht vielmehr dagegen, daß sich diese Bewertung auf konkrete Anhaltspunkte stützt. Im übrigen bedeutet Schweigen des Angeklagten - unabhängig davon, ob daraus ansonsten Schlüsse gezogen werden dürfen (III 1) - nicht, daß zu seinen Gunsten von Annahmen auszugehen ist, für die es keine konkreten Anhaltspunkte gibt (vgl. Schoreit aaO Rdn. 40 m. w. N.).

c) Wieso Hypothesen zu Gang und Ergebnissen der Ermittlungen für den Fall, daß der Angeklagte seinen Aufenthalt in Suben nicht erwähnt hätte, den Schluß ermöglichen sollen, er hätte sich an den Kauf von Isolierband nicht erinnert, ist weder ausdrücklich dargelegt noch sonst klar erkennbar. Der Senat geht dem aber deshalb nicht näher nach, weil schon die Annahme, ohne den Angeklagten wäre der Kauf von Isolierband unbekannt geblieben, nicht rechtsfehlerfrei begründet ist. Der Angeklagte hatte als letzter das Opfer eines Kapitalverbrechens lebend gesehen und war mit ihm über Stunden Auto gefahren. Ermittlungen bei den Tankstellen an der Strecke liegen daher nicht fern. Sind bereits mehrere Wochen vergangen, ist die Überprüfung von Kartenzahlungen eine der wenigen Möglichkeiten, Hinweise dafür zu gewinnen, wer an der Tankstelle war. Es versteht sich nicht von selbst, daß die Polizei diese Ermittlungsansätze nicht ohnehin erkannt hätte. Daher hätte sich die Strafkammer mit beiden Möglichkeiten auseinandersetzen müssen, ehe sie von der ihrer Beweiswürdigung zugrundegelegten Auffassung ausgeht.
d) Auch für die Annahme, der Angeklagte, habe Frau H. möglicherweise Isolierband geschenkt, sind keine konkreten Anhaltspunkte erkennbar. Dies zeigt schon die Annahme, der Angeklagte habe ihr "eventuell" deshalb Isolierband geschenkt, damit sie "etwas" reparieren kann. Die Überlegungen der Strafkammer zu dem Grund, warum der Angeklagte davon nichts erzählt haben könnte, sind unvollständig. Ausführungen zu einer etwaigen Übergabe von Isolierband wären zwar nicht im Zusammenhang mit dem bis dahin nicht angesprochenen Thema "Isolierband" zu erwarten gewesen, wohl aber im Zusammenhang mit der Frage nach "Körperkontakten". Der Angeklagte hat sehr genaue Angaben zu - flüchtigen - Körperkontakten mit Frau H. gemacht , die er sogar noch mit einem Fax ergänzt hat (vgl. oben III 2 a). Einen
entsprechenden Körperkontakt bei der Übergabe von Isolierband hat er dagegen nicht erwähnt.
3. Im Kern sieht die Strafkammer nach alledem unter zum Teil auch lükkenhafter Würdigung des Aussageverhaltens des Angeklagten nicht unerhebliche konkrete Verdachtsmomente wegen nur denktheoretischer Möglichkeiten als entkräftet an. Dies führt zur Aufhebung des Urteils, ohne daß es auf weiteres noch ankäme.

IV.

Der Senat sieht jedoch Anlaß zu folgenden Hinweisen: 1. Die Strafkammer hat geprüft, ob der Angeklagte gegen Mitternacht zu Hause war, weil er vorher kaum Zeit gehabt hätte, Frau H. zu töten und nach T. zu bringen. Die Möglichkeit, daß er gegen Mitternacht zu Hause war, und dies erst anschließend getan hätte, sei praktisch ausgeschlossen. Es fehlten konkrete Anhaltspunkte dafür, daß er sie "über ... Regensburg hinaus transportierte". Es gibt jedoch außer den Angaben des Angeklagten auch keine Anhaltspunkte für ein Ende der Fahrt am Autohof Regensburg. Angaben des Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, können den Feststellungen nicht ohne weiteres als unwiderlegt zu Grunde gelegt werden, sondern ihre Richtigkeit muß erst anhand des übrigen Beweisergebnisses überprüft werden (vgl. Schoreit aaO Rdn. 28 m. w. N.).
2. Die danach bisher nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossene Möglichkeit, daß der Angeklagte der Täter war, obwohl er um gegen Mitternacht in Sch. wirkt war, sich auf die mögliche Bedeutung weiter Teile des Beweisergebnisses aus: Die Familie des Angeklagten - Frau und Kinder - war in dieser Nacht bei seiner Schwiegermutter in München. Hätte er dies zuvor gewußt, käme es weder darauf an, ob er um Mitternacht in Sch. war, noch darauf, ob die Ehefrau gegen Mitternacht in Sch. angerufen und mit ihm gesprochen hat (a). Hätte er vom Aufenthalt in München nichts gewußt, könnte es etwas bedeutsamer sein, ob er in der fraglichen Zeit zu Hause war. Hätte er nämlich erwartet, daß seine Frau zu Hause wäre, wäre es aus seiner Sicht möglicherweise schwieriger gewesen, sich wieder zu entfernen. Daher könnte es ihn mittelbar entlasten, wenn er gegen Mitternacht zu Hause gewesen wäre. Nur dann könnte das genannte Telefongespräch als Beleg für seine Anwesenheit in Sch. überhaupt Bedeutung gewinnen (b).
a) Die Strafkammer folgt ohne weiteres den Angaben der Schwiegermutter , der Angeklagte hätte nicht gewußt, daß seine Familie in München war. Dies ist rechtsfehlerhaft, weil die Strafkammer andere Angaben der Schwiegermutter für unstimmig und daher unglaubhaft hält. Wird einem Zeugen nur teilweise geglaubt, bedarf dies einer eingehenden Begründung (BGH NStZ-RR 2003, 332 f. m. w. N.), die bisher fehlt. Sonstige Erkenntnisse, die ohne nähere Begründung klar belegten, daß der Angeklagte von der Abwesenheit seiner Familie überrascht wurde, liegen ebenfalls nicht vor:
Bei seiner ersten Vernehmung hat er angegeben, er wisse nicht, ob seine Frau da war, als er nach Hause kam. Das spricht nicht dafür, daß ihre Abwesenheit für ihn überraschend (und daher einprägsam) war. Der Angeklagte hat in diesem Zusammenhang seinen Notizkalender vorgelegt, in dem unter dem 28. September 2001 "Ki-Mün" steht, ist, was "Kinder" oder "Kirsten" - Vorname der Ehefrau - "in München" heißen soll. Wäre der Eintrag vor dem 28. September 2001 erfolgt, belegte er, daß der Angeklagte an diesem Tag wußte, daß sie nicht zu Hause war. Ein nachträglicher Eintrag belegte zwar nicht, daß der Angeklagte am 28. September 2001 nicht Bescheid wußte, der Eintrag wäre mit dieser Annahme aber immerhin vereinbar. Ein Anruf der Ehefrau - über dessen Inhalt außer den Aussagen der Schwiegermutter nichts bekannt ist - würde über Kenntnis oder Unkenntnis des Angeklagten nichts aussagen. So überrascht von der Abwesenheit seiner Familie , daß er selbst auf dem Handy der Ehefrau angerufen hätte, war der Angeklagte jedenfalls nicht.
b) Es gibt nur folgende, vom Angeklagten am 1. Dezember 2001 vorgelegte objektive Belege für möglicherweise relevante Anrufe aus München: vom Festnetzanschluß der Schwiegermutter bestand zunächst um 23.24 Uhr für 28 Sekunden eine Verbindung mit dem Festnetzanschluß in Sch. , die zweite Verbindung bestand von dort 2 Minuten später für 8 Sekunden mit dem Handy des Angeklagten. Die Behauptung der Schwiegermutter, die Tochter habe vom Festnetz ein kurzes und kurz darauf von ihrem Handy aus ein langes Gespräch mit dem in Sch. aufenthältlichen Angeklagten geführt , ist damit unvereinbar. Die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte hätte zwar keine zwei Gespräche geführt, von einem Gespräch sei zu seinen
Gunsten aber auszugehen, hat jedenfalls in der Aussage der Schwiegermutter keine tragfähige Grundlage. Möglicherweise hängt diese Annahme auch mit einem polizeilichen Versäumnis zusammen, das die Strafkammer bei ohnehin schwieriger Beweislage noch in ihre Überlegungen einzubeziehen hatte: Der Angeklagte hatte in einem Fax vom 23. November 2001 eine Telefonnummer der Telefongesellschaft mitgeteilt, unter der das Telefongespräch vom Handy seiner Frau mit Sch. bestätigt werden könnte. Eine Bestätigung war jedoch nicht möglich. Unter der Nummer erhielt die Polizei die Auskunft, eine solche Verbindung könne weder bestätigt noch verneint werden; da die Ehefrau ein Handy mit einer prepaid Karte hätte, gäbe es keine Unterlagen. Damit hat sich die Polizei begnügt. Damals hätte aber vielleicht noch die - inzwischen wegen Zeitablaufs ausgeschlossene - Möglichkeit bestanden, die Behauptung über dieses Gespräch zu überprüfen, z. B. durch die "Beschlagnahme von elektronisch gespeicherten Aufzeichnungen". Dieses polizeiliche Versäumnis ändert jedoch nichts daran, daß der Zweifelssatz nicht isoliert auf ein einzelnes Indiz angewendet werden kann (vgl. BGHSt 35, 308, 316; Schoreit aaO Rdn. 65 jew. m. w. N.). Sollte es auf dieses Telefongespräch ankommen, wird jedoch zu erwägen sein, daß sich der Angeklagte mit dieser Angabe der Gefahr ausgesetzt haben kann, einer falschen Aussage überführt zu werden. Dies setzte aber voraus, daß er der Polizei eine Nummer gefaxt hätte, ohne zuvor zu überprüfen, was man dort für Auskünfte bekommt (die dort erteilte Auskunft hat seine Behauptung nicht widerlegt) und er außerdem die Möglichkeiten sonstiger polizeilicher Ermittlungen klarer als die Polizei selbst beurteilt hätte. Es kann auch eine Rolle spielen, daß der Angeklagte zwar zunächst am 23. November 2001 sich auf ein Gespräch vom Handy seiner Frau aus berufen hat, er am 1. Dezember 2001 dann aber ohne erkennbare Erläuterung und daher
zember 2001 dann aber ohne erkennbare Erläuterung und daher eher verwirrend Belege für Anrufe vom Festnetz aus vorgelegt hat. 3. Im Pkw des Angeklagten wurden eine Reihe von DNA-Spuren sichergestellt , mehrere stammen von Frau H. . So war etwa eine Spur, von der anzunehmen sei, daß es sich um ihr Blut handele, an der Innenseite der Fahrertür. Die Strafkammer erwägt, daß Frau H. , vom Angeklagten unbemerkt , (vgl. oben III 2 a), aus der Nase geblutet haben könnte, und dieses Blut dann mit einem feuchten Tuch an die Fahrertür gewischt worden sein kann. Es ist (auch hier) zumindest nicht klar erkennbar, warum es sich dabei um mehr als eine nur theoretische Erwägung handeln könnte. Im übrigen gehen zwar die jeweils sehr geringen Mengen von Blut von Frau H. die , dieser und den übrigen im Innenraum und an der Beifahrertür gesicherten Spuren zugrunde liegen und die darüber hinaus in Papiertaschentüchern in der Handtasche von Frau H. festgestellt worden sind, nicht auf die Tötung von Frau H. zurück, weil dabei sehr viel mehr Blut geflossen sein muß. Sie könnten aber immerhin darauf hinweisen, daß es in dem Pkw zu Geschehen gekommen ist, das mit der Schilderung des Angeklagten von einem insgesamt völlig harmlosen Vorgang - FrauH. ist eingestiegen, mitgefahren und wieder ausgestiegen - schwerlich vereinbar erscheint. 4. Weil Bargeld und einige sonstige Gegenstände von Frau H. - fehlten, geht die Strafkammer, ersichtlich am Anklagevorwurf orientiert, von Raubmord aus. Auch dies spräche angesichts der deutlich überdurchschnittlichen Vermögensverhältnisse des Angeklagten (er hatte zeitweise ein Jahreseinkommen von über 500.000 DM und betrieb zuletzt ein Call-Center in Ungarn ) gegen seine Täterschaft. Es sei angesichts der Gesamtumstände ohne weiteres erkennbar gewesen, daß sie nicht sehr viel Geld oder besondere
Wertgegenstände bei sich gehabt hätte. Auch gegen diese Erwägung bestehen Bedenken. Unabhängig davon, ob die kleine Schnittwunde im Bereich des Handgelenks, in der sich Isolierbandpartikel befanden, Rückschlüsse auf die Person des Täters zuläßt, spricht sie jedenfalls dagegen, daß es dem Täter allein um materielle Bereicherung ging. Es wäre daher die Möglichkeit zu erörtern gewesen, ob durch die Wegnahme des Geldes und der übrigen Gegenstände eine falsche Spur gelegt werden sollte.

V.

Der Senat hat entsprechend dem in der Hauptverhandlung gestellten Antrag des Generalbundesanwalts die Sache an ein anderes Landgericht zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO, 2. Alternative). Nack Wahl Hebenstreit Elf Graf
5 StR 322/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 7. November 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. November
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin Ha. ,
Rechtsanwalt K.
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 23. Januar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags sowie der gefährlichen Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Der Angeklagte H. war zur Tatzeit Mitglied der Rockergruppierung „Bandidos“, der Angeklagte F. war mit Mitgliedern dieser Gruppierung befreundet.
4
In der Nacht vom 20. auf den 21. Juni 2009 besuchten Mitglieder und Sympathisanten der mit den „Bandidos“ rivalisierenden Rockergruppierung „Hells Angels“ein Dorffest in Falkenberg. Gegen 2.00 Uhr traten mehrere dieser Personen in einem aus drei Pkw bestehenden Konvoi die Heimfahrt über Eberswalde nach Berlin an. Sie wurden von mindestens zwei Pkw ver- folgt. Die Verfolger brachten den Konvoi durch „Ausbremsen“ zum Stillstand. Mehrere schwarz gekleidete und mit Sturmhauben vermummte Personen liefen auf die Fahrzeuge zu und schlugen mit Hieb- und Schlagwaffen zumindest auf ein Fahrzeug ein, bei dem die Seitenscheibe hinten links zersplitterte. Nach kurzer Zeit konnten die angehaltenen Fahrzeuge weiterfahren. Die Angreifer eilten zu ihren Fahrzeugen zurück und setzten die Verfolgung fort. Im Zuge der Verfolgung kollidierte der auf den Angeklagten F. zugelassene und „offenbar auf Seiten der Angreifer agierende“ rote Opel Ast- ra in einer Rechtskurve mit einem der verfolgten Fahrzeuge (Pkw Kia Sephia). Beide Fahrzeuge wurden beschädigt.
5
Während der weiteren Verfolgungsjagd trennten sich die Wege der Verfolgten. Gegen 2.45 Uhr kam der allein zurückgebliebene Kia bei einem Wendevorgang wegen eines Schaltproblems mittig auf der Fahrbahn zum Stehen. Es näherten sich mindestens zwei, höchstens drei „Täterfahrzeuge”, deren Typ und Kennzeichen nicht ermittelt werden konnten. Ein Fahrzeug wurde mit aufgeblendetem Licht vor den Kia gestellt, um diesen an der Weiterfahrt zu hindern. Der oder die anderen Pkw hielten zehn bis zwanzig Meter entfernt an. Mindestens drei, höchstens acht schwarz gekleidete und mit Sturmhauben maskierte männliche Personen verließen die Fahrzeuge und schlugen laut schreiend mit Schlagwaffen auf den Kia und dessen vier Insassen ein. Zwei Täter sprangen auf die Motorhaube und schlugen mit Baseballschlägern sowie Macheten gegen die Frontscheibe und das Dach des Kia. Weitere Täter zerschlugen mit Baseballschlägern die Heckscheibe und alle Seitenscheiben. Ein Versuch, zumindest die hinteren Türen zu öffnen, misslang. Nunmehr an beiden Seiten des Kia stehend schlugen die Täter mit Baseballschlägern und stachen mit Macheten sowie Messern äußerst brutal auf die Insassen des Kia ein.
6
Einige Minuten später näherte sich ein Pkw. Die Täter verließen fluchtartig den Tatort, wobei zwei der Fahrzeuge eine rote Lackierung aufwiesen. Im vorderen Innenraum des Kia wurde von einem Täter eine Machete mit einer Klingenlänge von 34 Zentimetern zurückgelassen, auf deren Klinge sich eine vom Angeklagten H. herrührende DNA-Spur befand.
7
Drei der vier Insassen des Kia wurden bei der Tat sehr schwer verletzt. Einer von ihnen erlitt einen akut lebensgefährlichen Stich in die Brust und konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden. Er leidet an Lähmungserscheinungen und Sensibilitätsstörungen im Arm- und Schulterbereich.
8
b) Das Landgericht vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass die beiden Angeklagten im roten Opel Astra des Angeklagten F. am Tatort gewesen und an dem gewalttätigen Überfall beteiligt waren. Für eine Beteiligung der Angeklagten spreche zwar eine Reihe von Indizien. Die Beweisanzeichen reichten jedoch auch in der Gesamtschau nicht aus, um eine Überzeugung von deren Beteiligung zu gewinnen.
9
2. Der Freispruch leidet an durchgreifenden Rechtsfehlern.
10
a) Allerdings hat es das Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt ferner, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 27. April 2010 – 1 StR 454/09, NStZ 2011, 108, 109, vom 1. Februar 2011 – 1 StR 408/10 Rn. 15 und vom 7. Juni 2011 – 5 StR 26/11 Rn. 9).
11
b) Nach diesen Maßstäben hält die durch die Schwurgerichtskammer vorgenommene Beweiswürdigung rechtlicher Prüfung nicht stand.
12
aa) In der Beweiswürdigung muss sich das Tatgericht mit allen festgestellten Indizien auseinandersetzen, die das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind. Dabei muss sich aus den Urteilsgründen selbst ergeben, dass es die Beweisergebnisse nicht nur für sich genommen gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen hat (BGH, Urteil vom 27. April 2010, aaO, mwN). Dem wird das angefochtene Urteil nicht in vollem Umfang gerecht.
13
Das Landgericht hat sich mit den die Angeklagten belastenden Indizien lediglich isoliert auseinandergesetzt und dabei jeweils die Wertung getroffen , dass hiermit der Beweis für deren Beteiligung nicht zu führen sei (un- ter anderem: Verbundenheit beider Angeklagter mit den „Bandidos“, inhaltlich auf eine Beteiligung hindeutende Telefonkontakte beider Angeklagter etwa eine Stunde vor der Tat untereinander sowie mit einem Mitglied der „Bandi- dos“, Abschalten der Mobiltelefone beider Angeklagter eine knappe Stunde vor der Tat, Wiedereinschalten dieser Mobiltelefone etwa zwei Stunden nach der Tat, Beteiligung des roten Opel Astra des Angeklagten F. an der ersten Kollision mit dem Kia, rotes Fahrzeug am Tatort, womöglich vom Kia herrührende Glassplitter im Opel Astra des Angeklagten F. , DNASpuren und ein Teilfingerabdruck des Angeklagten H. an der im Kia gefundenen Machete, DNA-Spuren und Fingerabdruckspuren dieses Angeklagten am Fenster des Opel Astra und an im Fahrzeug befindlichen Gegenständen ). Diese Vorgehensweise in Verbindung mit der äußerst knapp aus- gefallenen Gesamtschau, im Rahmen derer die Vielzahl der vorhandenen Beweisanzeichen nicht erkennbar zueinander in Beziehung gesetzt und gegeneinander abgewogen werden (UA S. 39), lässt besorgen, dass die Schwurgerichtskammer den Blick dafür verloren hat, dass Indizien, auch wenn sie einzeln für sich betrachtet nicht zum Nachweis der Täterschaft ausreichen , doch in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln können (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 26. Mai1999 – 3StR 110/99, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 20; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2009 – 1 StR 491/09).
14
bb) Überdies durfte das Landgericht mangels in diese Richtung zielender objektiver Anhaltspunkte (vgl. etwa BGH, Urteile vom 14. Januar 2009 – 1 StR 554/08 Rn. 78 mwN, und vom 20. Juni 2012 – 5 StR 536/11, NJW 2012, 2453, 2454) nicht zugunsten des – in der Hauptverhandlung schweigenden – Angeklagten F. unterstellen, dieser habe entgegen sonst festzustellender Übung sein Fahrzeug in der Tatnacht einem Unbekannten geborgt (UA S. 23, 28). Dies gilt zumal vor dem Hintergrund einer nach dem Inhalt der Telefongespräche naheliegend unmittelbar zuvor und danach erfolgten Fahrzeugbenutzung durch F. (UA S. 29 ff.).
15
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Schwurgerichtskammer bei fehlerfreier Beweiswürdigung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Die Entlastungserwägungen des Tatgerichts zur zweifelhaften Kenntnis der Angeklagten von einer zeitlich zu bewältigenden Fahrstrecke der Verfolger zum Tatort (UA S. 27, 39) sind angesichts möglicher nicht kontrollierter Kommunikationswege nicht etwa derart gewichtig, dass sie die Freisprüche ungeachtet aller aufgezeigten Mängel allein tragen könnten. Nichts anderes gilt erst recht für vom Landgericht gar nicht entlastend gedeutete Inhalte nach der Tat geführter Telefonate (UA S. 31, 34).
16
Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Auch soweit die die freigesprochenen Angeklagten belastenden Feststellun- gen rechtsfehlerfrei getroffen wurden, können sie keinen Bestand haben, weil die Angeklagten sie revisionsrechtlich bislang nicht anzugreifen vermochten.
17
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
18
Soweit im angefochtenen Urteil beiläufig eine strafbare Beteiligung des Angeklagten F. sogar bei dessen erwiesener Anwesenheit im Fahrzeug am Tatort in Zweifel gezogen worden ist (UA S. 28), wird sich das neue Tatgericht gegebenenfalls damit auseinanderzusetzen haben, dass der Opel Astra bereits beim ersten Angriff auf den Kia eingesetzt worden ist und es danach ganz fernliegt, dass er im Rahmen der verfahrensgegenständlichen Tat ohne unterstützende Funktion gewesen ist.
19
Gegen eine Verwertbarkeit der abgehörten Telefongespräche sind nach bisherigem Stand keine durchgreifenden Bedenken ersichtlich.
Basdorf Schneider Dölp König Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 33/12
vom
13. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Verletzung von Privatgeheimnissen u.a.
zu 2.: Verdachts der Anstiftung zur Verletzung von Privatgeheimnissen u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. Dezember
2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt für die Angeklagte H. ,
Rechtsanwalt für den Angeklagten B.
als Verteidiger,
der Angeklagte B. in Person,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 22. September 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an das Landgericht Frankenthal (Pfalz) zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte S. H. , geb. B. , wegen Verletzung von Privatgeheimnissen verwarnt und die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 50 € vorbehalten. Den Angeklagten M. B. hat es vom Vorwurf der Anstiftung zur Verletzung des Dienstgeheimnisses und zur Verletzung von Privatgeheimnissen freigesprochen. Mit ihren auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch des Angeklagten B. sowie dagegen, dass die Angeklagte H. nicht auch der Verletzung des Dienstgeheimnisses schuldig gesprochen worden ist; außerdem greift sie die Strafzumessung an. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensbeanstandungen kommt es daher nicht an.

I.


2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Der Angeklagte B. ist Landtagsabgeordneter und war Mitglied des am eingesetzten Unter- suchungsausschusses „N. “. Der Untersuchungsausschuss be- fasste sich mit dem – in den Medien seit langem intensiv begleiteten – gescheiterten Versuch der landespolitisch Verantwortlichen, privates Kapital für die Erweiterung der Rennstrecke um einen Vergnügungspark und den privaten Betrieb der Anlage zu gewinnen. Am 11. November 2009 fand zu diesem Thema im Rahmen einer Plenarsitzung des Landtags eine Aussprache statt, in der der Landesinnenminister dazu Stellung nahm, ob und inwieweit Erkenntnisse zum Vorleben der Projektentwickler Bö. und M. sowie des ebenfalls am Projekt Beteiligten R. vorlagen und ob entsprechende Abfragen in polizeilichen Datenbanken vorgenommen worden waren. Hintergrund der Erörterung waren Presseberichte, dass diese Geschäftspartner der N. bereits früher mit vergleichbaren Großprojekten gescheitert waren.
4
Die Aussprache war im Folgenden Gegenstand der Presseberichterstattung , so auch eines Artikels in der „R. “ vom 12. November 2009, in dem auch von einer früheren strafrechtlichen Verurteilung M. s wegen Insolvenzverschleppung berichtet wurde.
5
Am 16. November 2009 veranlasste die Angeklagte H. , Tochter des Angeklagten B. und als Polizeikommissarin bei der Polizeiinspektion beschäftigt, ihre Kollegen Sch. , D. und Ba.
ohne dienstlichen Anlass, zu den „Partnern “ Abfragen im Polizeilichen Informationssystem (POLIS) durchzuführen, woraufhin zunächst der Polizeibeamte Sch. um 12.39 Uhr erfolglos eine Abfrage nach M. M. (UA 27) ohne Angabe weiterer Kriterien wie das des Geburtsdatums vornahm; weitere Abfragen – nunmehr unter Angabe der Geburtsdaten, welche die Angeklagte H. zwischenzeitlich in Erfahrung gebracht hatte – wurden durch Sch. von 19.45 Uhr bis 19.47 Uhr (zu M. , R. und Bö. ), durch Ba. beginnend um 20.05 Uhr (zu R. und M. ) und durch D. um 20.23 Uhr (M. betreffend), außerdem – nur zur Person des Bö. – durch die Angeklagte selbst um 19.58 Uhr getätigt. Zum Beweggrund gab sie in einer polizeilichen Vernehmung an, sie sei politisch sehr interessiert und ärgere sich darüber, dass es offenbar möglich sei, auf einfachste Weise Steuergelder zu erschleichen; sie habe sich dazu „verleiten“ lassen, einmal herauszufinden, ob „diese Herren“ bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten seien (UA 14).
6
Die anlässlich der Datenabfrage zu M. und R. erstellten Computerausdrucke waren mit den POLIS-internen ID-Nummern versehen und ergaben für R. eine auf die Personalien beschränkte Registrierung im polizeilichen Informationssystem und für M. einen Eintrag aus dem Jahr 2007 wegen Unterschlagung. Diese Ausdrucke nahm die Angeklagte an sich und übergab drei Exemplare am 20. November 2009 dem Angeklagten B. bei dessen Besuch in ihrem Hause; nicht ausschließbar tat sie dies, um ihm – vor dem Hintergrund der von ihr in der Presse verfolgten Debatte vom 11. November 2009 – „Klarheit im Umgang mit dem politischen Gegner zu verschaf- fen“ (UA 8).
7
Am Montag, den 23. November 2009 erschienen in den Tageszeitungen „R. “ und „T. “ Artikel, die sich u.a. mit der Frage befassten, wann Vertreter der Landesregierung von polizeilichen Erkenntnissen zu ihren Geschäftspartnern Kenntnis hatten oder hätten haben können. In der „R. “ wurde unter Angabe der POLIS-internenID-Nummer die Vorbelastung M. s wegen Unterschlagung aufgeführt, im „T. “ – ebenfallsunter Angabe der ID-Nummer – die Tatsache, dass R. im POLIS-System registriert war.
8
2. Die Angeklagten haben in der Hauptverhandlung von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Die Angeklagte H. hatte in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 24. November 2009 angegeben, die Abfragen aus eigener Neugier und eigenem politischen Interesse veranlasst und hierfür die Geburtsdaten der Betroffenen „gegoogelt“ zu haben. Später habe sie drei der insgesamt etwa sechs Ausdrucke ihrem Vater überlassen. In ihrer richterlichen Vernehmung vom 8. August 2011 als Zeugin in dem Strafverfahren gegen POK Ba. hat sie „den ihr zur Last gelegten Tatvorwurf“ erneut eingeräumt. Das Landgericht hat sich nicht davon überzeugen können, dass – so der Vorwurf nach Maßgabe der Beschwerdeentscheidung des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 16. Mai 2011 – die Initiative zu den durch die Angeklagte H. veranlassten Abfragen vom Angeklagten B. ausging und dass dieser seiner Tochter die für eine erfolgreiche Abfrage im POLIS-System notwendigen Geburtsdaten von Bö. , M. und R. mitteilte. Auch hat es sich die Gewissheit, dass der Angeklagte B. die ihm von seiner Tochter überlassenen Informationen an die Zeitungen weitergegeben hat, nicht verschaffen können. Ebenso hat es einen hierauf gerichteten Vorsatz der Angeklagten H. nicht feststellen können. Das Landgericht hat daher bei ihr die Voraussetzungen der Verletzung des Dienstgeheimnisses als nicht erfüllt angesehen; beim Angeklagten B. hat es eine Strafbarkeit insgesamt verneint.

II.


9
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben hinsichtlich beider Angeklagter Erfolg. Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
10
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 mwN). Insbesondere sind Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH, Urteil vom 14. August 1996 – 3 StR 183/96, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Aus den Urteilsgründen muss sich ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793 mwN). Rechtsfehlerhaft ist eine Be- weiswürdigung auch dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (BGH, Urteile vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97 aaO, und vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten , zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vor- liegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02 aaO).
11
2. Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht.
12
a) Das Landgericht hat die Angaben der Angeklagten H. in ihrer polizeilichen Erstvernehmung als glaubhaft erachtet. Die Beweiswürdigung hierzu ist jedoch in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft.
13
aa) Die Würdigung der im Rahmen der polizeilichen Vernehmung getätigten Aussage der Angeklagten ist bereits lückenhaft: Das Landgericht hat jene Angaben als „voll und ganz geständig“ (UA 15) gewertet und ausgeführt, gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage spreche nicht, dass sie bei ihrer polizeilichen Vernehmung nicht erklärt habe, zu welchem Zweck sie ihrem Vater die Daten überlassen habe (UA 16); das Protokoll über die polizeiliche Vernehmung sei nur rudimentär geführt worden und in diesem Punkt lückenhaft. Ausweislich der Urteilsgründe ist die Aussage der Angeklagten H. bei ihrer polizeilichen Beschuldigtenvernehmung jedoch durch die Vernehmung des damaligen Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt worden (UA 18). Ob und ggf. was dieser über Angaben der Angeklagten zu ihren Motiven für die Weitergabe der Daten an ihren Vater berichtet hat, teilt das Urteil nicht mit (s.a. UA 24 f.). Es ist zu besorgen, dass sich das Landgericht, indem es auf den Inhalt des Protokolls abhebt, den Blick dafür verstellt hat, dass hier nicht dieses, sondern der erwiesene Inhalt der Aussage zu würdigen war und zudem ein teilweises Schweigen der Angeklagten in ihrer Beschuldigtenvernehmung in die Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage einzubeziehen gewesen wäre (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 261 Rn. 17 mwN).
14
bb) Die Beweiswürdigung dazu, wie die Angeklagte H. an die für eine erfolgreiche POLIS-Abfrage erforderlichen Geburtsdaten M. s, R. s und Bö. s gelangt ist, begegnet auch für sich genommen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
15
(1) Das Landgericht ist den Angaben der Angeklagten gefolgt, sie habe die Geburtsdaten im Internet über die Suchmaschine Google recherchiert. Zwar konnte bei einer im Zuge der Ermittlungen vorgenommenen Auswertung der Dienstcomputer der Wache der Polizeiinspektion L. kein Aufruf entsprechender Internetseiten im relevanten Zeitraum festgestellt werden; diese Untersuchung hat das Landgericht jedoch als für Rückschlüsse auf den gegenüber dem Angeklagten B. erhobenen Vorwurf, seiner Tochter die Daten übermittelt zu haben, „völlig ungeeignet“ (UA 46) und zur Widerlegung der Angaben der Angeklagten H. „unbehelflich“ (UA 47) angesehen. Zum einen sei nicht sichergestellt, dass es sich bei den untersuchten Computern tatsächlich um diejenigen Geräte gehandelt habe, die auch am 16. November 2009 eingesetzt gewesen seien, weil es nach Angabe eines Zeugen „natürlich auch vorkomme, dass Geräteeinheiten ausgetauscht würden“; zum anderen lasse die durchgeführte Untersuchung der Geräte keine verlässliche Aussage dahin zu, dass dann, wenn Daten einer Recherche nicht gefunden würden, diese auch nicht stattgefunden habe, weil das Computersystem sukzessive für überflüssig erachtete alte Daten so lösche, dass sie mit der bei der Untersuchung verwendeten Software nicht mehr rekonstruierbar seien.
16
Soweit das Landgericht meint, die Auswertung der Computer auf der Wache der Polizeiinspektion wegen der möglichen Auswechslung einzelner Dienstcomputer zur Widerlegung der Angaben der Angeklagten H. nicht heranziehen zu können, hat es dem Ergebnis der Untersuchung den Beweis- wert rechtsfehlerhaft aufgrund lediglich theoretischer Erklärungsansätze abgesprochen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass zwischen dem 16. November 2009 und der Auswertung tatsächlich Geräteeinheiten im Bereich der Wache durch andere ersetzt worden sind, haben sich ausweislich der Urteilsgründe nicht ergeben. Nähere Feststellungen dazu, wie wahrscheinlich eine automatische Löschung von Daten der Google-Suche ist, hat das Landgericht ebenfalls nicht getroffen. Soweit es daher die Auswertung als „völlig ungeeignet“ bzw. „unbehelflich“ eingeordnet hat, hat es sich den Blick darauf verstellt, dass dem Ergebnis der Untersuchung nur deshalb, weil es für sich allein die Widerlegung der Angaben der Angeklagten H. nicht zuließ, ein Indizwert in der Zusammenschau mit anderen Beweisanzeichen nicht von vornherein abgesprochen werden durfte (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 499/11, StraFo 2012, 146).
17
(2) Hieran ändern die vom Landgericht angeführten Erwägungen nichts, dass es der Angeklagten H. auch möglich gewesen wäre, die Geburtsdaten von einem Dienstcomputer bei einem Kollegen außerhalb der Wache, von einem internetfähigen Mobiltelefon oder über eine für die Polizei zugäng- liche Datenbank wie „EWOIS“ zu ermitteln. Dass die Angeklagte die Informatio- nen aus einer solchen Datenbank abgerufen hat, hat sie bei ihrer polizeilichen Vernehmung, bei der sie angegeben hat, die Daten bei Google recherchiert zu haben, nicht einmal selbst behauptet. Feststellungen dazu, dass die Angeklagte ein Mobiltelefon besaß, mit dem eine Suche über Google hätte erfolgen können und hinsichtlich aller drei Personen Erfolg gehabt hätte, hat das Landgericht nicht getroffen, und für eine Google-Recherche auf dem Computer eines Kollegen außerhalb des Bereichs der Wache fehlen nicht nur konkrete Anknüpfungspunkte ; bei Annahme einer solchen Vorgehensweise wäre die sich aufdrängende Frage zu erörtern gewesen, warum die Angeklagte den Computer zur Suche nach den Geburtsdaten, nicht aber auch zur Abfrage der Personen M. , R. und Bö. im POLIS-System nutzte.
18
cc) Feststellung und Beweiswürdigung zum Motiv der Angeklagten H. für die Datenabfrage sind widersprüchlich. Nach den Feststellungen handelte sie „aus politisch motivierter Neugier“ (UA 6). Hierzu referiert das Landgericht aus ihrer polizeilichen Vernehmung, sie habe „aus eigener Neugier und eigenem politischen Interesse“ gehandelt (UA 13; s.a. UA 11, 31). Andererseits teilt die Strafkammer mit, die Angeklagte habe in ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung am 8. August 2011 „den ihr zur Last gelegten Tatvorwurf“ eingeräumt (UA 14). Zu diesem Zeitpunkt ging nach der Beschwerdeentscheidung des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 16. Mai 2011 der Vorwurf dahin, dass sie vom Angeklagten B. zur Verletzung des Dienstgeheimnisses und zur Verletzung von Privatgeheimnissen angestiftet worden sei (UA 12). Selbst wenn es sich insoweit um ein Fassungsversehen handeln sollte – wofür die Wendung, sie habe den Vorwurf „erneut“ eingeräumt, sprechen mag –, bleibt der Umstand, dass das Landgericht wiederholt hervorgehoben hat, die Angeklagte habe „zweifelsfrei bekundet“, die Unterlagen „für ihren Vater gefertigt“ und sie ihm später überlassen zu haben; diese Angaben bewertet das Landgericht ausdrücklich als glaubhaft (UA 18). Das ist mit dem von der Strafkammer angenommenen Beweggrund, dass die Tat auf politisch motivierter Neugier und eigenem politischen Interesse der Angeklagten H. beruhe (UA 17), nicht bzw. nicht ohne weiteres zu vereinbaren. Jedenfalls in einem Fall wie dem hier zu entscheidenden, in dem es u.a. um die Frage geht, ob der Datenabfrage eine Anstiftung seitens des Angeklagten B. zugrunde liegt, begründet der aufgezeigte Widerspruch einen durchgreifenden Rechtsfehler.
19
dd) Ebenso hält die Beweiswürdigung zur Vorstellung der Angeklagten H. bei Weitergabe der Daten an ihren Vater rechtlicher Überprüfung nicht stand.
20
(1) Das Landgericht hat festgestellt, die Angeklagte habe „nicht ausschließbar darauf vertraut, dass ihr Vater mit den über sie gewonnenen Informationen als Mitglied des Landtags und als Mitglied des Untersuchungsausschusses ‚N. ‛ vertrauens- und verantwortungsvoll umgehen“ (UA 36) und die Daten „keinesfalls auch noch unter Weitergabe von rückverfolgbaren POLIS-internen ID-Nummern zur Veröffentlichung bringen“ werde (UA 32).
21
(2) Die diesen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung ist widersprüchlich und lückenhaft:
22
Sie findet bereits in der – vom Landgericht für glaubhaft erachteten (UA 15, 16, 18, 31) – Aussage der Angeklagten H. bei ihrer polizeilichen Vernehmung keine Stütze. Dort hatte sie sich dahin eingelassen, sie habe nicht gewusst, was ihr Vater mit den ihm überlassenen POLIS-Ausdrucken machen werde, ihr Vater habe sich diesbezüglich auch nicht geäußert. Aus dieser Einlassung lässt sich das vom Landgericht zugunsten der Angeklagten angenommene Vertrauen ebenso wenig ableiten wie aus der (Plausibilitäts-)Erwägung, der Vater werde seine eigene Tochter nicht in die aus der Rückverfolgbarkeit der POLIS-Auskünfte resultierende Gefahr der Strafverfolgung bringen; dass auch der Angeklagte B. um diese Gefahr wusste, ist nicht festgestellt und versteht sich auch nicht von selbst. Die Aussage der Angeklagten, sie habe die Unterlagen ihrem Vater überlassen, ohne gewusst zu haben, was dieser damit machen würde (UA 14), legt vielmehr jedenfalls im Hinblick auf die damals in der Öffentlichkeit geführte Diskussion nahe, dass ihr – was sogar für Vorsatz ausreichen würde – zumindest gleichgültig war, ob dieser die Informationen an die Presse weitergibt.
23
Darüber hinaus hat das Landgericht den – zu einer Abfrage aus eigener politischer Neugierde nicht passenden – Umstand, dass die Angeklagte H. die POLIS-Abfragen weitgehend nicht selbst durchgeführt, sondern drei Kollegen hierzu veranlasst hat, damit begründet, sie habe „zu den entspre- chenden Zeiten keinen eigenen Zugang zu einem PC“ gehabt (UA 6). Dies widerspricht zum einen der Feststellung, dass die Angeklagte ihre eigene Abfrage nach Bö. um 19.58 Uhr und damit zwischen denen ihrer Kollegen Sch. (ab 19.45 Uhr) und Ba. (ab 20.05 Uhr) sowie D. (20.23 Uhr) vornahm, zum anderen der vom Landgericht zur angeblichen Google-Recherche der Angeklagten nach den Geburtsdaten M. s, R. s und Bö. s angestellten Erwägung, diese könne sie von einem Dienstcomputer außerhalb der Wache vorgenommen haben. Aufgrund der nicht tragfähigen Begründung für die Einschaltung der Berufskollegen hat das Landgericht die gebotene Auseinandersetzung mit der nahe liegenden Erklärung unterlassen, dass die Angeklagte ihre drei Kollegen zu der Abfrage veranlasste, weil sie von Anfang an um die beabsichtigte Veröffentlichung der so gewonnenen Informationen wusste: Da die Angeklagte selbst eine Abfrage tätigte, deren Entdeckung bei einer Auswertung der Logbänder nicht fern lag, konnte die Tatsache, dass auch weitere Personen Daten zu M. , R. und Bö. abgefragt hatten, die vorschriftswidrige Erhebung der Daten durch die Angeklagte nicht verschleiern, wohl aber eine anschließende Weitergabe,weil bei dann geführten Ermittlungen mehrere Abfragende in Betracht kommen würden. Gerade im Hinblick darauf, dass die Angeklagte H. im Unterschied zu ihren Kollegen eine POLIS-Abfrage nur hinsichtlich Bö. vornahm und anders als diese keinen Ausdruck fertigte, hätte das Landgericht diese nahe liegende Möglichkeit erörtern müssen.
24
b) Auch die Beweiswürdigung zu der dem Angeklagten B. mit der Anklage vorgeworfenen Weitergabe der POLIS-Daten an die Presse begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
25
aa) Das Landgericht hat Zweifel daran, dass der Angeklagte B. die Daten an „R. “ und „T. “ übermittelt hat, trotz des unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs zwischen der Landtagsdebatte am 11. November 2009, der von der Angeklagten H. veranlassten POLIS-Abfragen am 16. November 2009, der Weitergabe der Daten an den Angeklagten B. am 20. November 2009 (Freitag) und der Veröffentlichung in den Tageszeitungen am 23. November 2009 (Montag) sowie trotz weiterer Indizien nicht überwinden können. Es sei denkbar, dass statt des Angeklagten B. der Zeuge D. – zur Tatzeit ebenfalls Landtagsabgeordneter und stellvertretendes Mitglied des Untersuchungsausschusses – die Daten über den ihm bekannten KOK Bo. , einen anderen Polizeibediensteten oder aus den Unterlagen des Untersuchungsausschusses erlangt und weitergegeben habe; auch komme die Weitergabe von Daten aus den Ausschussakten durch unbekannte Dritte in Betracht. Schließlich sei denkbar, dass einer der 111 Polizeibediensteten in , die nach einer landesweiten Auswertung der Logbänder der Polizeicomputer zwischen dem 5. Januar 2008 und dem 23. November 2009 die Namen M. , R. oder Bö. im POLISSystem abgefragt haben, oder eine andere Person aus einem anderen Bundesland die Informationen an die Presse lanciert habe.
26
Die Erwägung einer möglichenWeitergabe durch D. hat es zum einen darauf gestützt, dass dieser im November 2009 versucht hatte, den ihm bekannten KOK Bo. und einen weiteren Polizeibediensteten, KHK Mü. , zu einer entsprechenden Datenabfrage zu bestimmen, und diesen gleichzeitig geraten hatte, eine solche von einem anderen Bundesland aus vorzunehmen, zum anderen darauf, dass eine Überprüfung, von welchen Polizeicomputern aus die Daten M. s, R. s und Bö. s aufgerufen worden sind, für , nicht aber bundesweit erfolgt ist. Wegen der unterbliebenen – und wegen Zeitablaufs nicht nachholbaren – bundesweiten Überprüfung hat das Landgericht auch eine Abfrage durch Unbekannte außerhalb von nicht ausschließen können. Schließlich seien die in der Presse veröffentlichten Informationen in den Akten des Untersuchungsausschusses enthalten gewesen, weshalb D. oder eine andere einsichtsberechtigte Person sie auf diesem Wege erlangt und an die Presse gegeben haben könne.
27
bb) Soweit die Strafkammer die Weitergabe der POLIS-Daten durch den Zeugen D. als nicht ausschließbares Alternativszenario angesehen hat, ist die Beweiswürdigung lückenhaft. Der Zeuge D. ist in der Hauptverhandlung gehört worden und hat Versuche, über ehemalige Kollegen – u.a. KOK Bo. – an die POLIS-Daten zu gelangen, eingeräumt. Er hat aber auch bekundet , die Daten von den von ihm angesprochenen Kollegen nicht erhalten zu haben, was der Zeuge KOK Bo. und der ebenfalls von D. kontaktierte Zeuge KHK Mü. bestätigt haben. Auch hat der Zeuge D. die Weitergabe von Informationen an die Presse abgestritten. Dass der Zeuge die Daten dennoch von KOK Bo. erhalten und der Presse zugespielt haben könnte, begründet das Landgericht lediglich damit, dass eine bundesweite Auswertung der Polizeicomputer nicht erfolgt sei. Eine Würdigung der eher knapp mitgeteilten Aussagen der Zeugen D. , Bo. und Mü. hat es damit nicht vorge- nommen. Eine solche Würdigung wäre jedoch erforderlich gewesen: Ebenso wie der Beweiswert einer Aussage nicht maßgeblich davon abhängt, ob ein Zeuge oder ein Angeklagter sie getätigt hat (BGH, Urteil vom 5. Februar1963 – 1 StR 265/62, BGHSt 18, 283), ist er nicht von vornherein deshalb zu vernei- nen, weil der Zeuge ebenfalls als Täter der inmitten stehenden Tat in Betracht kommt.
28
Für die Weitergabe der Daten durch unbekannte Mitglieder des Untersuchungsausschusses oder andere Unbekannte auf Grund einer außerhalb von vorgenommenen POLIS-Abfrage fehlt jeder konkrete Anhaltspunkt. Dass die theoretische Möglichkeit einer solchen Abfrage mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln nicht ausgeschlossen werden kann, reicht zur Begründung von Zweifeln nicht aus; dies stellt eine Überspannung der an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit dar.
29
Soweit das Landgericht meint, dass (irgend-)einer der „111 Abfragenden in “ (UA 56) die POLIS-Ausdrucke gefertigt und weitergegeben haben könnte, steht dies in Widerspruch zu den Feststellungen: Danach hatte die Auswertung der Logbänder der Polizeicomputer ergeben, dass im Überprüfungszeitraum 111 Beamte in Abfragen mit den Namen M. , R. und Bö. getätigt hatten. Abfragen unter – für eine erfolgreiche Recherche nach den Feststellungen erforderlicher – zusätzlicher Angabe des Vornamens oder des Geburtsdatums wurden jedoch lediglich von (höchstens) 36 Personen durchgeführt, kombinierte Abfragen zu M. s und R. – über die von der Angeklagten H. veranlassten hinaus – sogar nur von vier weiteren Personen: dem LKA-Beamten Boh. , dessen Abfrage nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme dienstlich veranlasst war, der Polizeibediensteten Re. , welche die Abfrage auf Initiative des Zeugen D. bereits im Februar 2009 getätigt und diesem die Ergebnisse telefonisch mitgeteilt hatte (ob sie – was sich bei telefonischer Übermittlung jedenfalls nicht von selbst versteht – auch die dreizehnstelligen ID-Nummern weitergab, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen) und den Polizeibeamten Ber. und K. , zu deren Motivation für die Abfrage das Landgericht keine Feststellungen getroffen hat.
30
3. Die aufgezeigten Rechtsfehler wirken sich hinsichtlich der Angeklagten H. auf die Beurteilung der Strafbarkeit nach § 353b Abs. 1 Nr. 1 StGB aus. Als (konkrete) Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen im Sinne dieser Vorschrift kann eine mittelbare Gefährdung ausreichen, die darin besteht, dass durch die Offenbarung der Weitergabe der polizeiinternen Daten das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität staatlicher Stellen beeinträchtigt ist (BGH, Urteile vom 19. Juni 1958 – 4 StR 151/58, BGHSt 11, 401, vom 22. Juni 2000 – 5 StR 268/99, NStZ 2000, 596, und vom 9. Dezember 2002 – 5 StR 276/02, BGHSt 48, 126). Zur Klärung der Frage, ob eine solche Gefährdung gegeben ist, bedarf es einer Gesamtabwägung im Einzelfall, bei der Inhalt und Umfang der geheimhaltungsbedürftigen Daten, deren in Aussicht genommene Verwendung und die Person des Amtsträgers Berücksichtigung finden (BGH, Urteil vom 22. Juni 2000 – 5 StR 268/99 aaO; vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 20. Dezember 2011 – III-1 RVs 218/11 u.a., juris); so kann u.a. von Bedeutung sein, ob die Daten einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht werden (BGH, Urteil vom 22. Juni 2000 – 5 StR 268/99 aaO; vgl. auch BGH, Urteile vom 19. Juni 1958 – 4 StR 151/58, BGHSt 11, 401, 404 f., und vom 15. November 2012 – 2 StR 388/12).
31
Hinsichtlich des Angeklagten B. haben die Fehler in der Beweiswürdigung Auswirkung auf die Beurteilung einer Strafbarkeit wegen Anstiftung zur Haupttat seiner Tochter bzw. einer – in der Übermittlung der Geburtsdaten M. s, R. s und Bö. s oder auch in der vom Vorsatz seiner Tochter getragenen Weiterleitung der Daten an die Presse liegenden (vgl. BayObLG NStZ 1999, 568; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 353b Rn. 14a; s. ferner BVerfG NJW 2007, 1117, 1119) – Beihilfe hierzu. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

III.


32
Der Senat hat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 StPO Gebrauch gemacht.
33
Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird ggf. bei der Gesamtabwägung zu § 353b StGB – anders als im angefochtenen Urteil (UA 36, 40) – nicht ohne weiteres davon ausgehen können, dass die von der Angeklagten H. beschafften Informationen über M. M. bereits bekannt waren. Die in der Ausgabe der „R. “ vom 12. November 2009 erwähnte Insolvenzverschleppung beruhte auf einem Vorgang aus dem Jahr 1998, während der Ausdruck aus POLIS den dort am 31. August 2007 eingestellten Eintrag „Unterschlagung“ enthielt. Für eine Identität der zugrunde liegenden Vorgänge spricht auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nichts.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 585/01
vom
11. April 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts des Mordes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. April
2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Kuckein,
Athing,
Richterinnen am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanoviæ,
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
die Angeklagte in Person,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Nebenkläger-Vertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 18. Mai 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat die Angeklagte vom Vorwurf, ihren schlafenden Ehemann B. P. heimtückisch getötet zu haben, freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wenden sich mit ihren auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen gegen diesen Freispruch. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
1. Nach den - insoweit rechtsfehlerfrei - getroffenen Feststellungen tötete die Angeklagte in der Zeit zwischen 22.00 Uhr und 6.30 Uhr des folgenden Morgens im Schlafzimmer der gemeinsamen Wohnung ihren Ehemann durch zwei Schüsse aus einer Kleinkaliberpistole. Jeder der beiden Schüsse, die das Opfer linksseitig vorne in den Oberkörper und in die rechte Hinterkopfseite getroffen hatten, war für sich genommen tödlich. Die Waffe hatte sich die Angeklagte tags zuvor für einige Tage in einem Schützenverein ausgeliehen. Zwei zugehörige Patronen hatte sie dort heimlich an sich genommen. Die Leiche,
sowie die mit Blut verschmierte Bettwäsche und eine Reisetasche verbrannte und vergrub die Angeklagte zwei Tage später in einem Waldstück.
2. Das Landgericht hat nicht auszuschließen vermocht, daß die Angeklagte , die bestreitet, ihren Ehemann getötet zu haben, in Notwehr gehandelt hat. Es hat sie deshalb aus Rechtsgründen freigesprochen.
Die Strafkammer geht davon aus, B. P. , der seit Jahren immer wieder aus nichtigen Anlässen gegen die Angeklagte gewalttätig geworden sei, habe diese auch in der Tatnacht angegriffen, um sie zu schlagen. Der Angeklagten sei es gelungen, die Tatwaffe, die sie in der Wohnung versteckt gehalten habe, zu ergreifen. Sie habe ihrem Ehemann zunächst damit gedroht. Als dieser sich ihr trotzdem bedrohlich genähert und versucht habe, ihr die Waffe wegzunehmen und sie zu "verprügeln", habe sie aus "Angst und Erregung" zweimal kurz hintereinander geschossen. Der erste Schuß habe das Opfer vorne in den Oberkörper getroffen. Als B. P. , "sich nach links unten drehend" (UA 10), auf sie gestürzt sei und versucht habe, sie an den Beinen oder am Rumpf zu packen, habe sie den zweiten Schuß abgegeben, der das Opfer in den Hinterkopf getroffen habe.
3. Die Erwägungen, auf die die Strafkammer das nicht ausschließbare Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr stützt, halten sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Zwar darf der Angeklagten kein Nachteil daraus erwachsen, daß sie die Tat bestreitet und deshalb nicht in der Lage ist, ohne sich in Widerspruch zu ihrer Einlassung zu setzen, entlastende Umstände zum Vorliegen einer
Notwehrsituation vorzutragen. In einem solchen Fall ist von der für sie günstigsten Möglichkeit auszugehen, die nach den gesamten Umständen in Betracht kommt (vgl. BGH StV 1990, 9). Dabei sind jedoch nicht alle nur denkbaren Gesichtspunkte , zu denen keine Feststellungen getroffen werden können, zu Gunsten der Angeklagten zu berücksichtigen. Vielmehr berechtigen nur vernünftige Zweifel, die reale Anknüpfungspunkte haben, den Tatrichter zu Unterstellungen zu Gunsten der Angeklagten (vgl. BGH aaO; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 18, 22). Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, daû die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Grundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schluûfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloûe Vermutung erweist (BGHR StPO § 261 Vermutung 11).
Diesen Anforderungen an die Beweiswürdigung genügt das angefochtene Urteil nicht.
Einziger Anhaltspunkt dafür, daû die Angeklagte in Notwehr gehandelt haben könnte, ist der Umstand, daûB. P. seine Ehefrau nicht nur seit Jahren betrog, sondern häufig auch schlug. Die Annahme, daû ein solcher körperlicher Übergriff durch B. P. auch in der Tatnacht stattgefunden und die Angeklagte zur Notwehr berechtigt hat, stützt die Strafkammer auf zwei Umstände, denen sie "erhebliches Gewicht" beimiût (UA 34): Gegen eine Tatplanung und für eine Notwehrsituation spreche zum einen der Zeitpunkt der Tatausführung. Wegen eines auf den Folgetag der Tat kurzfristig angekündigten Besuchs eines Verwandten ihres Ehemannes habe die Angeklagte mit einer alsbaldigen Nachfrage nach dessen Verbleib rechnen müssen. Wäre die Tat geplant gewesen, hätte es nahegelegen, diese zu verschieben, was möglich gewesen wäre, da die Angeklagte sich die Waffe erneut hätte verschaffen
können. Zum anderen spreche gegen eine geplante Tötung, daû die Angeklagte das Fahrzeug, mit welchem sie die Leiche abtransportiert habe, nicht bereits vor der Tat, sondern erst danach ausgeliehen habe.
Weder der Frage des Tatzeitpunkts, noch dem Umstand, daû die Angeklagte erst nach der Tat das Fahrzeug zum Abtransport der Leiche organisierte , kann jedoch der von der Strafkammer zugrundegelegte Beweiswert zugemessen werden.
aa) Das Landgericht legt nicht dar, weshalb es sich für die Angeklagte für den Fall einer Tatplanung ihres Ehemannes aufgedrängt haben könnte, sich schon im Rahmen der Tatvorbereitung um ein Fahrzeug für den Abtransport der Leiche zu bemühen. Vielmehr spricht die Feststellung, daû sich der Getötete häufig, auch über Nacht, auûer Haus aufhielt, ohne die Angeklagte hierüber zuvor zu informieren (UA 7) - dies war auch in der ersten Nacht nach Beschaffung der Tatwaffe der Fall (UA 8) - dafür, daû die Angeklagte selbst bei Planung der Tat wegen des für sie nicht vorhersehbaren Tatzeitpunkts jedenfalls keine bis ins einzelne gehende Vorkehrungen für die Spurenbeseitigung treffen konnte. Mit diesem Umstand setzt sich die Strafkammer nicht auseinander.
bb) Mit ihrer Annahme, der Zeitpunkt der Ausführung der Tat spreche wegen des erhöhten Entdeckungsrisikos gegen eine geplante Tat, trägt die Strafkammer den übrigen Urteilsfeststellungen nicht hinreichend Rechnung. Danach gelang es der Angeklagten nämlich am Morgen nach der Tötung ihres Ehemannes, ihrem Schwager, ohne bei diesem Miûtrauen zu erwecken, eine plausible Erklärung für die Abwesenheit ihres Ehemannes zu geben (UA 10).
Auch der Tatzeitpunkt ist deshalb kein geeignetes Argument, eine Notwehrlage "naheliegender erscheinen" zu lassen als eine auf einem spontanen Entschluû der Angeklagten beruhende, nicht gerechtfertigte Tötung ihres Ehemannes.

b) Dagegen hat das Landgericht eine Vielzahl von Umständen festgestellt , die dafür sprechen, daû die Angeklagte nicht gehandelt hat, um einen gegenwärtigen Angriff von sich abzuwenden, sondern um sich ihres Ehemannes , dessen Demütigungen und Gewalttätigkeiten sie nicht länger hinnehmen wollte, auf Dauer zu entledigen.
aa) Soweit das Landgericht jedes dieser Indizien einzeln in seiner Beweisbedeutung untersucht hat und dabei zu dem Ergebnis gelangt ist, daû auch eine die Angeklagte nicht belastende Deutung möglich erscheint, läût diese Vorgehensweise besorgen, daû die Strafkammer den Zweifelsgrundsatz rechtsfehlerhaft schon auf einzelne Indiztatsachen angewandt und sich so den Blick dafür verstellt hat, daû mehrdeutige Indizien mit der ihnen zukommenden Ungewiûheit in die erforderliche Gesamtwürdigung einzustellen sind (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24). So gelangt das sachverständig beratene Landgericht beispielsweise in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis, die Reihenfolge der Schuûabgabe könne nicht mehr festgestellt werden (UA 28). Es durfte dieses "non liquet" jedoch nicht, wie geschehen , zum Anlaû nehmen, auûerhalb der gebotenen Gesamtabwägung zu Gunsten der Angeklagten davon auszugehen, daû das Tatopfer zuerst in die linke vordere Oberkörperhälfte getroffen wurde und der Schuû in den Hinterkopf erst erfolgte, als B. P. in Richtung der Angeklagten stürzte, sie zu packen versuchte und sich dabei nach links unten drehte. Es läût sich nicht ausschlieûen , daû die isolierte Bewertung dieser und weiterer Indiztatsachen sich im
Rahmen der Gesamtabwägung rechtsfehlerhaft zum Vorteil der Angeklagten ausgewirkt hat.
bb) Hinzu kommt, daû die Strafkammer einem vom Zeugen R. geschilderten Gespräch mit der Angeklagten (UA 31 f.) in rechtlich zu beanstandender Weise keine entscheidende Aussagekraft zugebilligt hat. Diese Schluûfolgerung beruht auf einer unzureichenden Beweiswürdigung. Der Zeuge hat angegeben, mit der Angeklagten ca. zwei bis drei Monate vor der Tat ein Gespräch über "genau die Art der Tötung und Leichenbeseitigung" geführt zu haben, wie sie beim Tatopfer "später angewandt" worden sei. Die Strafkammer hat zwar nicht ausgeschlossen, daû es ein Gespräch dieses Inhalts gab, hat aber nicht festzustellen vermocht, daû die Angeklagte dieses Gespräch mit dem ihr "in keiner Weise nahestehenden" Mitschüler suchte, um sich bei diesem gezielt nach Möglichkeiten, einen Menschen zu töten und die Spuren einer solchen Tat zu beseitigen, zu erkundigen. Das Landgericht ist deshalb der Auffassung, daû dieses Gespräch mit einer Tatplanung ebenso vereinbar sei, wie mit der Möglichkeit, daû sich die Angeklagte erst nach der gerechtfertigten Tötung ihres Ehemannes dieses Gesprächs erinnerte und ihre Erkenntnisse daraus für die Beseitigung der Leiche nutzte. Hiermit nicht in Einklang zu bringen ist die Aussage des Zeugen bei der Polizei, er sei von der Angeklagten angesprochen worden. Die Strafkammer berücksichtigt bei ihrer Würdigung auch nicht, daû das Gespräch mit dem Zeugen R. nicht nur die Spurenbeseitigung, sondern auch die "Art der Tötung" eines Menschen betraf. Ihre Schluûfolgerung, die Angeklagte habe ihre Erkenntnisse aus dem Gespräch nur für die Beseitigung der Leiche genutzt, schöpft den Beweiswert der Zeugenaussage daher nicht vollständig aus. Um die dem Gespräch beigemessene Bedeutung nachvollziehen zu können, hätte es deshalb der näheren
Darlegung der Aussage des Zeugen zum Zustandekommen, Verlauf und Inhalt seiner Unterhaltung mit der Angeklagten bedurft.
cc) Daû keiner der Wohnungsnachbarn die beiden Schüsse akustisch wahrgenommen hat, bewertet die Strafkammer ebenfalls als "mehrdeutiges" Indiz (UA 27). Die fehlende Wahrnehmung der Schüsse läût sich nach Auffassung des Landgerichts sowohl auf eine mögliche Geräuschabdeckung bei Abgabe der Schüsse unter Zuhilfenahme des später von der Angeklagten verbrannten Kopfkissens als auch auf den alltäglich herrschenden Lärm in der Hochhaussiedlung, in der sich die eheliche Wohnung der Angeklagten befand, zurückführen. Auch hier weist die Beweiswürdigung Lücken auf. Die Strafkammer setzt sich - trotz erfolgter Tatrekonstruktion - weder mit der Tatsache auseinander , daû in den späten Abend- bzw. Nachtstunden auch in einem Hochhaus die Intensität von Alltagsgeräuschen nachläût, noch damit, daû die Schüsse nach den getroffenen Feststellungen nicht unmittelbar nacheinander abgegeben wurden, sondern ein kurzer zeitlicher Abstand zwischen den Schüssen liegen muûte, was bei fehlender Schalldämpfung zusätzlich zu einer besseren Wahrnehmbarkeit führen konnte.
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
4. Mit der Urteilsaufhebung ist die sofortige Beschwerde der Angeklagten gegen die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die Haftentschädigung im angefochtenen Urteil gegenstandslos.
Tepperwien Kuckein Athing
Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanoviæ ist infolge Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Tepperwien Sost-Scheible

Wird eine Straftat in der Sitzung begangen, so hat das Gericht den Tatbestand festzustellen und der zuständigen Behörde das darüber aufgenommene Protokoll mitzuteilen. In geeigneten Fällen ist die vorläufige Festnahme des Täters zu verfügen.

Nachschlagewerk: nein
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
Vorhersehbarkeit der Todesfolge nach Brechmitteleinsatz (im
Anschluss an BGHSt 55, 121).
BGH, Urteil vom 20. Juni 2012 – 5 StR 536/11
LG Bremen –
(alt: 5 StR 18/10)

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 20. Juni 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Juni
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt J.
als Verteidiger,
Rechtsanwältin M. ,
Rechtsanwältin Vo.
als Vertreterinnen der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 14. Juni 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
1. Zu Verfahrensgegenstand und Verfahrensgang:
2
Gegenstand des Verfahrens ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten als im Beweismittelsicherungsdienst tätiger Arzt für den am 7. Januar 2005 eingetretenen Tod des 35 Jahre alten C. aus Sierra Leone im Rahmen einer zwangsweise durchgeführten Exkorporation von Kokain.
3
a) Das Landgericht hat in seinem in dieser Sache ergangenen ersten freisprechenden Urteil vom 4. Dezember 2008 als Todesursache eine Mangelversorgung des Gehirns mit Sauerstoff (zerebrale Hypoxie) als Folge von Ertrinken nach Aspiration über einen Magenschlauch zugeführten Wassers bei forciertem Erbrechen festgestellt. Hierfür hat es ein objektiv pflichtwidriges Handeln des Angeklagten als ursächlich angesehen. Dieser habe nach dem Eingreifen des von ihm herbeigerufenen Notarztes trotz erkennbar er- höhten Aspirationsrisikos die Exkorporation fortgesetzt. Der Tod des Beschuldigten sei für den Angeklagten aber nicht vorhersehbar und vermeidbar gewesen, weil er als Arzt persönlich überfordert gewesen sei und sich auf die Kompetenz des weiterhin anwesenden Notarztes habe verlassen können.
4
b) Mit Urteil vom 29. April 2010 – 5 StR 18/10 (BGHSt 55, 121) hat der Senat auf die Revisionen der Nebenklägerin, der Mutter des Verstorbenen, und seines mittlerweile gleichfalls verstorbenen Bruders als damals weiteren Nebenkläger das genannte Urteil aufgehoben. Die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hat er als rechtsfehlerhaft beanstandet und auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts vom neuen Tatgericht die Prüfung und Bewertung weiterer Pflichtverstöße des Angeklagten als rechtlich geboten verlangt (unterlassene Aufklärung, Durchführung eines erkennbar nicht beherrschten medizinischen Eingriffs und Fortsetzung der Exkorporation unter Verstoß gegen das Gebot der Wahrung der Menschenwürde). Der Senat hat ferner die in der Spätphase des Eingriffs vorgenommene Auslösung des Brechreizes mittels einer Pinzette sowie eines Spatels als Körperverletzung bewertet. Er hat nicht ausschließen können, dass eine fehlerfreie Würdigung der festgestellten Umstände die Voraussetzungen einer Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB ergeben würde. Deshalb hat er die Sache an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen (§ 74 Abs. 2 Nr. 8 GVG).
5
c) Das Landgericht hat den Angeklagten erneut freigesprochen. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Nebenklägerin. Diese hat wiederum Erfolg.
6
2. Zu den Feststellungen und Wertungen der Schwurgerichtskammer:
7
a) Das Landgericht hält die vom Erstgericht festgestellte Todesursache nach Anhörung von neun Sachverständigen für wahrscheinlich (UA S. 83). Deren Annahme im Sinne einer sicheren richterlichen Überzeugung stehe allerdings maßgeblich der Umstand entgegen, dass der ausweislich aktiven Bemühens, Erbrochenes nicht nach außen dringen zu lassen („Filtern“ ), nicht bewusstseinsgetrübte C. bei Wassereintritt in die Luftröhre hätte husten müssen, was indessen keiner der Beteiligten gehört habe.
8
b) Zudem habe die Prüfung nicht ausschließbare alternative Todesursachen ergeben. Einen durch Manipulationen im Halsbereich ausgelösten vorübergehenden Herzstillstand (Karotis-Sinus-Reflex) hat das Landgericht unter der Prämisse für denkbar gehalten, dass der Kiefer des Verstorbenen zur Ermöglichung des Spateleinsatzes unter Krafteinsatz verbunden mit starkem Druck am Hals geöffnet worden sei (UA S. 86). Eine weitere mögliche Ursache für die Reduzierung der Herzfrequenz (Bradykardie) hat es in einem zu hohen Atemdruck (Valsalva-Reflex) gefunden (UA S. 84, 89, 91). Dafür könnten vor allem eine permanente Reizung eines Hirnnervs, des Nervus Vagus, durch nachteilige Veränderung der betroffenen Schleimhautareale beim Legen der Magensonde, die mit dem „Filtern“ verbundene Pressatmung und die dadurch bedingte Druckerhöhung im Thoraxbereich verantwortlich sein; dies könne zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation geführt haben , wobei aber auch ein zusätzliches Auslösen eines heftigeren ValsalvaReflexes durch den Spateleinsatz eine Rolle gespielt haben könne (UA S. 89). Schließlich habe ein mittelgradig bedeutsamer chronischer Herzmuskelschaden mit zu einer Verstärkung der letztlich todesursächlichen Bradykardie beitragen können (UA S. 86, 87).
9
Zwar sei auszuschließen, dass eine der erwogenen Ursachen für sich allein eine reanimationspflichtige Bradykardie ausgelöst habe (UA S. 86). Im Sinne eines multifaktoriellen Geschehens könnten sie jedoch als Todesursache in Betracht kommen (UA S. 95 und mehrfach).
10
c) Das Landgericht hat das Handeln des Angeklagten im Rahmen der Fortsetzung der Exkorporation als todesursächlich bewertet (UA S. 99), jedoch seiner rechtlichen Würdigung zugunsten des Angeklagten das multifak- torielle Geschehen zugrunde gelegt, das „nach Auffassung aller Gutachter“ nicht vorhersehbar gewesen sei (UA S. 101). Es hat weder einen ärztlichen Sorgfaltspflichtverstoß festgestellt noch angenommen, dass der Angeklagte den Verstorbenen rechtswidrig verletzt oder gar fahrlässig seinen Tod verursacht haben könnte.
11
3. Der Freispruch des Angeklagten hat keinen Bestand. Die Beweiswürdigung und die Subsumtion des Landgerichts offenbaren durchgreifende Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402 mwN). Dabei ist wegen offensichtlicher Verletzung der Bindungswirkung und rechtlich unzulänglicher Ausschöpfung des festgestellten Sachverhalts nicht nur – was die Nebenklägerin nicht rügen könnte (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO) – eine Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung unterblieben, sondern es liegen auch Rechtsfehler bezogen auf die Prüfung einer fahrlässigen Verursachung der Todesfolge vor.
12
a) Das Landgericht hat mehrfach gegen die in § 358 Abs. 1 StPO normierte Bindungswirkung der dem Senatsurteil vom 29. April 2010 zugrunde liegenden rechtlichen Beurteilung auch in Bezug auf dort benannte Beweiswürdigungsfehler verstoßen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 – 1StR 610/99, BGHR StPO § 358 Abs. 1 Bindungswirkung 2). Der Senat muss nicht entscheiden, ob schon diese Rechtsfehler, auch in Verbindung mit haltlosen Unterstellungen zugunsten des Angeklagten, geeignet sind, die neu getroffenen Feststellungen insgesamt in Frage zu stellen. Angesichts der nachfolgenden durchgreifenden Einzelbeanstandungen kommt es hierauf nicht an.
13
b) Die Bewertung der Fortsetzung der Exkorporation nach dem Notarzteinsatz begegnet durchgreifenden Bedenken, soweit rechtswidrige Körperverletzungshandlungen , Sorgfaltspflichtverletzungen sowie die Vorhersehbarkeit des Todes verneint worden sind. Entgegen der Auffassung der Schwurgerichtskammer ergeben die durch sie getroffenen Feststellungen ohne Weiteres die Voraussetzungen einer Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB.
14
aa) Die bei der Fortsetzung der Exkorporation durch den Angeklagten vorgenommenen Maßnahmen waren auch nach zum Tatzeitpunkt noch vertretbarer Rechtsansicht (vgl. dazu BGHSt aaO, S. 130 f.) nicht durch § 81a StPO gerechtfertigt und stellen demgemäß rechtswidrige Körperverletzungshandlungen dar.
15
(1) Es kann dahingestellt bleiben, ob im Rahmen des § 81a StPO nicht ein engerer Beurteilungsmaßstab anzulegen ist, als ihn das Landgericht verwendet hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. 2001, 46. Aufl. 2003, 47. Aufl. 2004, 54. Aufl. 2011, jeweils § 81a Rn. 17 mwN). Jedenfalls hat die Schwurgerichtskammer den aktuellen Gesundheitszustand des Verstorbenen (vgl. Meyer-Goßner aaO) nicht hinreichend in seine – im Übrigen durch keinen der zahlreichen Sachverständigen gestützte – Wertung einbezogen, dass ein erfahrener Facharzt bei Fortsetzung der Exkorporation nicht mit Nachteilen für dessen Gesundheit habe rechnen müssen. Rechtsfehlerhaft hat sie ferner hinsichtlich der Voraussetzungen des § 81a Abs. 1 Satz 2 StPO – ebenso wie für die Frage der Pflichtwidrigkeit im Sinne der §§ 222, 227 StGB – darauf abgestellt, dass sich die Aspirationsgefahr aus der Sicht ex post nicht zu ihrer Überzeugung verwirklicht habe (UA S. 101). Darauf kommt es nicht an. Maßgebend ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift , ob bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage aus der Sicht ex ante bei Fortsetzung der Exkorporation mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gesundheitliche Nachteile zu erwarten waren (vgl. LR/Krause, StPO, 26. Aufl. 2008, § 81a Rn. 31 mwN; Meyer-Goßner aaO; siehe auch BGH, Urteil vom 8. Juli 1955 – 5 StR 233/55, BGHSt 8, 144, 147 f.; zum Maßstab für die Pflichtwidrigkeit: BGH, Urteile vom 19. April 2000 – 3 StR 442/99, NJW 2000, 2754, 2758, und vom 14. März 2003 – 2 StR 239/02, NStZ 2003, 657, 658).
Das ist nach dem durch das Landgericht festgestellten Geschehen unzweifelhaft zu bejahen.
16
Der Gesundheitszustand des Verstorbenen während der ersten Exkorporationsphase war erkennbar beeinträchtigt (unter anderem Apathie, schweres Atmen, Pupillenengstellung, Sauerstoffsättigungswert von nur 89 %; UA S. 21 ff.), veranlasste den Angeklagten zur Herbeiholung des Notarztes und machte schließlich die Infusion eines Notfallmedikaments (Ringerlösung ) sowie die Gabe von Sauerstoff notwendig. Auch in Anbetracht der danach erreichten Zustandsverbesserung verbot sich bei dieser Sachlage unter den strengen medizinischen Voraussetzungen des § 81a StPO die Fortsetzung der Exkorporation schon wegen des Risikos erneuten Auftretens der – hinsichtlich ihrer Ursache ungeklärt gebliebenen – Komplikationen. Zudem war der durch konkrete Umstände begründete Verdacht einer Bewusstseinseintrübung gegeben. Er stand den weiteren durch den Angeklagten getroffenen Maßnahmen wegen damit verbundener Aspirationsgefahr zwingend entgegen (vgl. zur Kontraindikation der Aspirationsgefahr auch die Allgemeinverfügung des Leitenden Oberstaatsanwalts beim Landgericht Bremen, UA S. 10). Das Landgericht hat es insoweit unterlassen, aus seiner entsprechenden zutreffenden eigenen Bewertung (UA S. 101) die gebotenen zwingenden Folgerungen auf die klare Rechtswidrigkeit der Eingriffsfortsetzung zu ziehen.
17
Angesichts der dargetanen und dem Angeklagten bekannten gesundheitlichen Parameter des C. im Zeitpunkt des Noteinsatzes durfte die Schwurgerichtskammer zugunsten des – in der Hauptverhandlung schweigenden – Angeklagten weder eine Simulation der Beeinträchtigungen oder ihrer Schwere durch den Verstorbenen unterstellen (UA S. 21, 24, 26, 101 und mehrfach), noch eine etwa in diese Richtung zielende Annahme des Angeklagten , zu dessen Vorerfahrungen mit Zwangsexkorporationen das Schwurgericht – angesichts zu erwartender Dokumentationen schwer verständlich – nichts festzustellen vermochte (UA S. 14). Entsprechendes gilt mangels objektiver Anhaltspunkte für eine von keinem Zeugenbeobachtete kurze (und ohnehin nicht zureichende) Untersuchung der Herz- und Lungenfunktion mittels Stethoskops (UA S. 25). Dass der Angeklagte selbst bei Fortsetzung der Exkorporation erneute Verwerfungen für möglich hielt, ergibt sich deutlich aus seiner Bitte an den Notarzt, noch zu bleiben, mit der er sich nach den Feststellungen „ärztlichen Rückhalts“ versichern wollte (UA S. 25).
18
(2) Soweit das Landgericht eine im Einsatz von Pinzette und Spatel liegende rechtswidrige Körperverletzung und zugleich Sorgfaltspflichtverletzung unter Hinweis auf eine übliche – wenn auch in der für den Angeklagten geltenden Dienstanweisung nicht geregelte – Praxis verneint, hat es gegen die nach § 358 Abs. 1 StPO verbindliche Rechtsauffassung des Senats verstoßen. Das nach nochmaliger Befüllung des Magens mit Wasser gewaltsame Öffnen des Mundes unter größerem Kraftaufwand und das mechanische Auslösen des Brechreizes mittels Pinzette und Spatels sind offensichtlich unverhältnismäßig, verletzen die Menschenwürde und sind demgemäß auch rückblickend schlechterdings nicht nach § 81a StPO zu rechtfertigen (BGHSt 55, 121, 133). Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Untersuchungszimmer nicht mit einem Spatel ausgestattet war, ein solcher vielmehr erst aus dem Rettungswagen geholt werden musste (UA S. 28), was der vom Landgericht angenommenen Üblichkeit einer solchen Exkorporationsmethode widerstreiten würde.
19
bb) Auch am Körperverletzungsvorsatz ist nicht zu zweifeln. Namentlich sind den Feststellungen nicht die Voraussetzungen für einen etwaigen vorsatzausschließenden Erlaubnistatbestandsirrtum (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2000 – 4 StR 558/99, BGHSt 45, 378, 384) infolge Verkennung der für den Verstorbenen bestehenden Gefahrenlage zu entnehmen. Die Bitte an den Notarzt, noch zu bleiben (vgl. oben), läuft der Annahme einer in dieser Hinsicht bestehenden Fehlvorstellung des Angeklagten zuwider.
20
cc) Rechtsfehlerfrei geht das Landgericht davon aus, dass der Angeklagte mit den in Fortsetzung der Exkorporation getroffenen Maßnahmen den Eintritt des Todeserfolgs verursacht hat. Auch bei angenommener Todesursache eines mulitfaktoriellen Geschehens ist der erforderliche Zurechnungszusammenhang keinen Zweifeln ausgesetzt. Denn auch dann hat sich die der Verwirklichung des Grunddelikts eigentümliche tatbestandsspezifische Gefahr im tödlichen Ausgang verwirklicht (vgl. hierzu etwa BGH, Urteile vom 30. Juni 1982 – 2 StR 226/82, BGHSt 31, 96, vom 28. März 2001 – 3 StR 532/00, BGHR StGB § 227 Todesfolge 1, vom 16. März 2006 – 4 StR 536/05, BGHSt 51, 18, 21, und vom 10. Januar 2008 – 5 StR 435/07, BGHR StGB § 227 Todesfolge 6). Die etwa mitwirkende unerkannte Herzvorschädigung des Verstorbenen führt dabei nicht zur Annahme eines außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit liegenden, als Verkettung außergewöhnlicher , unglücklicher Umstände anzusehenden und deshalb dem Angeklagten nicht anzulastenden Geschehens (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 1982 – 2 StR 226/82, BGHSt 31, 96, 100).
21
dd) Die Würdigung der Vorhersehbarkeit des Todeserfolgs ist durchgreifend rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat auch hier einen nicht zutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt.
22
Im Rahmen des § 227 StGB ist, weil schon in der Begehung des Grunddelikts eine Verletzung der Sorgfaltspflicht liegt, alleiniges Merkmal der Fahrlässigkeit die Vorhersehbarkeit des Todeserfolgs (BGH, Urteile vom 28. März 2001 – 3 StR 532/00, BGHR StGB § 227 Todesfolge 1, und vom 16. März 2006 – 4 StR 536/05, BGHSt 51, 18, 21). Hierfür ist entscheidend, ob vom Täter in seiner konkreten Lage und nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten der Todeseintritt vorausgesehen werden konnte oder ob aus dieser Sicht die tödliche Gefahr für das Opfer so weit außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit lag, dass die qualifizierende Folge dem Täter deshalb nicht zuzurechnen ist (BGHSt aaO mwN).
23
An diesen Grundsätzen gemessen steht die Vorhersehbarkeit des Todeseintritts auch auf der Basis des durch das Landgericht als todesursächlich unterstellten multifaktoriellen Geschehens nicht in Frage. Zwar konnte der Herzschaden im Zeitpunkt der Fortsetzung der Exkorporation durch den Angeklagten ohne eingehende körperliche Untersuchung nicht diagnostiziert werden. Ebenso nimmt die Schwurgerichtskammer nachvollziehbar an, dass die Einzelheiten des tödlichen Ablaufs nicht absehbar gewesen sind. Das ist jedoch auch nicht erforderlich; denn die – nicht durch den Sachverständigen, sondern in wertender Betrachtung durch den Richter zu beurteilende – Vorhersehbarkeit muss sich nicht auf alle Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs, mithin auch nicht auf die konkrete Todesursache erstrecken (vgl. BGH, Urteile vom 26. Februar 1997 – 3 StR 569/96, BGHR StGB § 226 aF Todesfolge 12, vom 15. November 2007 – 4 StR 453/07, NStZ 2008, 686, 687, und vom 10. Juni 2009 – 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009,

309).


24
Vorliegend widersprach es gerade ärztlicher Pflicht, die Exkorporation fortzuführen, nachdem sich der Gesundheitszustand während deren erster Phase so sehr verschlechtert hatte, dass der Angeklagte das Legen einer Verweilkanüle und das Herbeiholen des Notarztes für erforderlich gehalten hatte und nachdem notärztliche Maßnahmen auch tatsächlich durchgeführt worden waren. Zudem setzte der Angeklagte – was von der Schwurgerichtskammer nicht erkennbar bedacht worden ist – auf der Basis der Feststellungen zum alternativ denkbaren Kausalverlauf namentlich mit dem noch mindestens zweimaligen Legen der Magensonde sowie dem mit körperlicher Gewalt verbundenen Einsatz von Spatel und Pinzette pflichtwidrig eigenständige Ursachen für den Eintritt der Todesfolge (Auslösen von KarotisSinus - bzw. Valsalva-Reflex), wobei nach dem Verlauf der „ersten Phase“ und dem vom Landgericht angenommenen „vitalen“ Zustandsbild des Angeklagten dann auch weiteres „Filtern“ durch den Verstorbenen und alleindar- aus möglicherweise resultierende schädliche Folgen wahrscheinlich waren. Wenn der Arzt unter solchen Vorzeichen lediglich nach Prüfung der „Vitalpa- rameter“ mit seinem Tun fortfährt, so liegt der Todeseintritt aufgrund mitwir- kender Vorschädigung der betroffenen Person nicht so sehr außerhalb der Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussehbarkeit für den „erfahrenen Facharzt“ und den Angeklagten persönlich in Zweifel zu ziehen wäre (vgl. auch BGH, Urteile vom 24. Januar 1995 – 1 StR 707/94, BGHR StGB § 226 aF Todesfolge 9 [„medizinische Rarität“], vom 26. Februar 1997 – 3 StR 569/96, BGHR StGB § 226 aF Todesfolge 12 [Herzinfarkt infolge Herzvorschädigung] und vom 10. Juni 2009 – 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309). Mit Komplikationen auch aufgrund nicht auf den ersten Blick erkennbarer Vorschädigungen muss der Fachkundige – zumal in Ermangelung einer gründlichen Untersuchung – bei einem so gearteten Zwangseingriff vielmehr stets rechnen. Das Wissen um solche Risiken gehört naturgemäß auch zum beruflichen Erfahrungsbereich des nach den Feststellungen der nunmehr entscheidenden Schwurgerichtskammer überdies vielfach mit – wenngleich nicht zwangsweise durchgeführten – Exkorporationen befassten und über deren Risiken wohl informierten (vgl. UA S. 11, 14) Angeklagten.
25
4. Die Sache bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung, Letztere unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 358 Abs. 1 StPO). Die Feststellungen können, auch soweit sie rechtsfehlerfrei getroffen wurden, insgesamt keinen Bestand haben, weil es dem freigesprochenen Angeklagten bislang verwehrt war, die ihn bei rechtsfehlerfreier Bewertung belastenden Feststellungen revisionsrechtlich anzugreifen. Die Regelung in § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO ermöglicht dem Senat im Falle des Landgerichts Bremen keine Zurückverweisung an ein anderes Gericht. Der Senat weist ausdrücklich auf den Fortbestand der Bindung an die gesamte rechtliche Beurteilung in seinem ersten Urteil hin (§ 358 Abs. 1 StPO) und auch auf die Ausführungen in dieser Entscheidung zur Rechtsfolge (BGHSt 55, 121, 138).
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(1) Ein abgelehnter Richter hat vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten.

(2) Die Durchführung der Hauptverhandlung gestattet keinen Aufschub; sie findet bis zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch unter Mitwirkung des abgelehnten Richters statt. Entscheidungen, die auch außerhalb der Hauptverhandlung ergehen können, dürfen nur dann unter Mitwirkung des abgelehnten Richters getroffen werden, wenn sie keinen Aufschub gestatten.

(3) Über die Ablehnung ist spätestens vor Ablauf von zwei Wochen und stets vor Urteilsverkündung zu entscheiden. Die zweiwöchige Frist für die Entscheidung über die Ablehnung beginnt

1.
mit dem Tag, an dem das Ablehnungsgesuch angebracht wird, wenn ein Richter vor oder während der Hauptverhandlung abgelehnt wird,
2.
mit dem Tag des Eingangs der schriftlichen Begründung, wenn das Gericht dem Antragsteller gemäß § 26 Absatz 1 Satz 2 aufgegeben hat, das Ablehnungsgesuch innerhalb der vom Gericht bestimmten Frist schriftlich zu begründen.
Findet der übernächste Verhandlungstag erst nach Ablauf von zwei Wochen statt, so kann über die Ablehnung spätestens bis zu dessen Beginn entschieden werden.

(4) Wird die Ablehnung für begründet erklärt und muss die Hauptverhandlung nicht deshalb ausgesetzt werden, so ist ihr nach der Anbringung des Ablehnungsgesuchs liegender Teil zu wiederholen. Dies gilt nicht für solche Teile der Hauptverhandlung, deren Wiederholung nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand möglich ist.

Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowohl zum Zweck seiner Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde.

(1) Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des Beschuldigten oder zur Verfolgung von Spuren einer Straftat oder zur Beschlagnahme bestimmter Gegenstände und nur dann zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß die gesuchte Person, Spur oder Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Zum Zwecke der Ergreifung eines Beschuldigten, der dringend verdächtig ist, eine Straftat nach § 89a oder § 89c Absatz 1 bis 4 des Strafgesetzbuchs oder nach § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, des Strafgesetzbuches oder eine der in dieser Vorschrift bezeichneten Straftaten begangen zu haben, ist eine Durchsuchung von Wohnungen und anderen Räumen auch zulässig, wenn diese sich in einem Gebäude befinden, von dem auf Grund von Tatsachen anzunehmen ist, daß sich der Beschuldigte in ihm aufhält.

(2) Die Beschränkungen des Absatzes 1 Satz 1 gelten nicht für Räume, in denen der Beschuldigte ergriffen worden ist oder die er während der Verfolgung betreten hat.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung: ja
Zögerliche Bearbeitung einer Rechtssache innerhalb eines
objektiv vertretbaren Zeitraums ist Rechtsbeugung, wenn
der Richter mit seiner Verfahrensweise aus sachfremden
Erwägungen gezielt zum Vorteil oder Nachteil einer Partei handelt.
BGH, Urt. v. 4. September 2001 - 5 StR 92/01
LG Hamburg

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 4. September 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Rechtsbeugung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. September
2001, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richterin Dr. Tepperwien,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt S ,
Rechtsanwalt W
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 13. Oktober 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Rechtsbeugung (durch Unterlassen) zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 100 DM verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er seinen Freispruch erstrebt, führt ebenso wie die Revision der Staatsanwaltschaft, die unter anderem auf eine Verurteilung des Angeklagten wegen tateinheitlich mit Rechtsbeugung begangener Freiheitsberaubung gerichtet ist, mit der jeweils erhobenen Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils; eines Eingehens auf die vom Angeklagten zusätzlich erhobenen Verfahrensrügen bedarf es daher nicht.

I.


Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es während einer von dem Angeklagten als Einzelrichter geleiteten Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Hamburg am 19. Mai 1999 zu erheblichen Störungen durch Zuhörer. Diese äußerten lautstark ihren Unmut über den Angeklagten und blieben , als er das Urteil verkünden wollte, demonstrativ sitzen. Ein Zuhörer stellte sich auch nach Abmahnung durch den Angeklagten nicht aufrecht hin, worauf der Angeklagte ihm die Verhängung von Ordnungshaft zunächst androhte und, als der Zuhörer seine provozierende Haltung beibehielt, drei Tage Ordnungshaft verhängte. Im Rahmen des anschließenden Tumults versuchte ein anderer Zuhörer über die Barriere zwischen Verhandlungssaal und Zuhörerraum zu steigen und trat um sich, als er von der Saalwachtmeisterin daran gehindert werden sollte. Auch gegen diesen Störer verhängte der Angeklagte nach vorheriger Androhung, auf die der Zuhörer nicht reagierte , drei Tage Ordnungshaft. Beide Störer wurden sofort in Haft genommen.
Ein Prozeßbevollmächtigter der inhaftierten Zuhörer legte bereits etwa eine Stunde danach Beschwerde gegen die Ordnungshaftbeschlüsse ein. Der Angeklagte erfuhr hiervon noch am Nachmittag desselben Tages während einer bis kurz nach 16 Uhr dauernden weiteren Hauptverhandlung, in der ihm die Beschwerdeschrift durch Justizpersonal vorgelegt wurde. Er bearbeitete die Beschwerden an diesem Tag nicht mehr. Am Vormittag des folgenden Tages begab sich der Angeklagte zunächst nicht ins Gericht, sondern er erkundigte sich in einem Fachgeschäft nach Sicherheitsvorrichtungen für seine Wohnung, zu denen ihm von der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes geraten worden war. Gegen Mittag erklärte er ausweislich der tatrichterlichen Feststellungen einem Journalisten, der ihn unter seiner privaten Telefonnummer nach dem Stand des Beschwerdeverfahrens gefragt hatte, ”er müsse ja nicht gleich springen, wenn Anwälte etwas von ihm wollten. So etwas müsse sorgfältig und in Ruhe geprüft werden”. Der Journalist möge diese Ä ußerung aber nicht veröffentlichen, sie sei nicht zi-
tierfähig. Als der Angeklagte gegen 14.30 Uhr im Gericht eintraf, diktierte er der Protokollführerin die Ordnungshaftbeschlüsse, die sie in das Hauptverhandlungsprotokoll einfügte. Von der Möglichkeit, die Strafakten anschließend selbst wieder in Empfang zu nehmen, machte er keinen Gebrauch. Er ordnete vielmehr an, daß die Akten nach der erfolgten Ergänzung des Protokolls in sein Fach zu legen seien, und bereitete dann bis 22 oder 23 Uhr die Hauptverhandlungen des folgenden Tages vor. Die Beschwerden bearbeitete er auch an diesem Tag nicht mehr. Am 21. Mai 1999 wurden dem Angeklagten, der ab 9.45 Uhr Hauptverhandlungen geleitet hatte, beim Mittagessen in der Gerichtskantine von Kollegen Vorhaltungen gemacht, er verschleppe das Verfahren hinsichtlich der eingelegten Beschwerden. Diese Vorwürfe wies er mit der – inhaltlich unzutreffenden – Behauptung zurück, das Protokoll sei noch nicht fertiggestellt, weil er die Protokollführerin nicht habe erreichen können. Kurz nach 16 Uhr brachte er dann die Akte mit dem Hauptverhandlungsprotokoll, den Beschwerdebegründungen und einem von ihm zuvor noch gefertigten Vermerk über die Gründe einer unterbliebenen Rechtsmittelbelehrung persönlich zum Hanseatischen Oberlandesgericht als Beschwerdegericht.
Eine Stunde nach Eingang der Beschwerden beim Oberlandesgericht hob der zuständige Senat die Ordnungshaftbeschlüsse aus formellen Gründen auf, weil die Vorgänge in der Hauptverhandlung, die zur Anordnung der Ordnungshaft geführt hatten, entgegen § 182 GVG im Protokoll nicht dargestellt waren. Zur materiellen Rechtslage enthält der Beschluß den Hinweis, daß die Verhängung mehrtägiger Ordnungshaft angesichts der den Beschlußgründen zu entnehmenden massiven Störungen nahegelegen habe.
Der Angeklagte hat bestritten, das Beschwerdeverfahren gezielt verzögert zu haben, um die beiden Störer ”schmoren” zu lassen. Er sei der Auffassung gewesen, die in § 306 Abs. 2 StPO dem Richter eingeräumte Frist von drei Tagen für die Vorlage einer Beschwerde an das Rechtsmittel-
gericht gelte auch für Beschwerden gegen Ordnungshaftbeschlüsse und habe von ihm voll ausgeschöpft werden dürfen. Wegen anderweitiger dienstlicher und privater Obliegenheiten und wegen einer von ihm für erforderlich erachteten Überprüfung der Ordnungshaftbeschlüsse insbesondere in formeller Hinsicht habe er eine Bearbeitungszeit von zwei Tagen benötigt. Das Landgericht ist demgegenüber davon überzeugt, daß der Angeklagte in Kenntnis der Eilbedürftigkeit die Bearbeitung der Beschwerden gezielt verzögert hat, um die Durchsetzung der Haftanordnungen nicht zu gefährden. Dabei stützt es sich maßgeblich auf eine ins einzelne gehende Rekonstruktion des jeweiligen Tagesablaufs des Angeklagten am 19., 20. und 21. Mai 1999 und kommt zu dem Ergebnis, daß es dem Angeklagten – jedenfalls unter zumutbarer Zurückstellung privater Belange – möglich gewesen wäre, die Beschwerden dem Oberlandesgericht schneller zuzuleiten. Auch die Ä ußerungen des Angeklagten gegenüber dem Journalisten und das Kantinengespräch, in dem der Angeklagte nachweislich gelogen habe, ließen auf eine Verschleppungsabsicht und damit auf eine bewußt unrichtige Anwendung des Verfahrensrechts zum Nachteil der Inhaftierten schließen.
Eine Rechtsbeugung sieht das Landgericht in der zeitlichen Behandlung der gegen die Ordnungsmittelbeschlüsse gerichteten Beschwerden. Insoweit stelle sich das Verhalten des Angeklagten als ”bewußte Verzögerung des offensichtlich gewünschten Rechtsschutzes” und damit als elementarer Verstoß gegen die Rechtsweggarantie dar, die sowohl in Art. 19 Abs. 4 GG als auch in Art. 5 Abs. 4 MRK ihren Niederschlag gefunden habe.

II.


Revision des Angeklagten
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg. Namentlich die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Nach ständiger Rechtsprechung stellt nicht jede unrichtige Rechtsanwendung eine Beugung des Rechts im Sinne von § 339 StGB dar. Nur der Rechtsbruch als elementarer Verstoß gegen die Rechtspflege soll unter Strafe gestellt sein. Rechtsbeugung begeht daher nur der Amtsträger, der sich bewußt und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt. Selbst die (bloße) Unvertretbarkeit einer Entscheidung begründet eine Rechtsbeugung nicht (st. Rspr.; vgl. nur BGH NJW 1997, 1455 m.w.N.). Einen elementaren Rechtsverstoß zeigt das Landgericht auf der Grundlage der bisher erhobenen Beweise nicht auf, zumal da es bei der Beweiswürdigung ein zu enges Verständnis des dem Richter bei der Erledigung seiner Dienstgeschäfte einzuräumenden zeitlichen Spielraums zugrundelegt.
1. Im Ansatz zutreffend geht das Landgericht – das die verhängte Ordnungshaft vor dem Hintergrund wiederholter massiver Störungen der Hauptverhandlung mit Recht für inhaltlich vertretbar hält (vgl. dazu Diemer in KK StPO 4. Aufl. § 178 GVG Rdn. 3 mit Beispielen aus der Rechtsprechung ) – davon aus, daß Rechtsbeugung nicht nur in Form von Sachentscheidungen , sondern auch durch einen Verstoß gegen Verfahrensrecht begangen werden kann (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 32, 357; 38, 381, 383; 42, 343; jeweils m.w.N.). Zu den wesentlichen Grundprinzipien des Strafverfahrensrechts zählt das unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 GG und der allgemeinen prozessualen Fürsorgepflicht abzuleitende, schlagwortartig als Beschleunigungsgebot bezeichnete Verbot rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung (BGHSt 24, 239 f.; 26, 1, 4). Allgemein normiert in Art. 6 Abs. 1 MRK, wird die Bedeutung des Verbots rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung für Haftsachen in Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 GG sowie in Art. 5 Abs. 3, 4 MRK besonders hervorgehoben. Auch wenn die Einzelregelungen dieser Normen auf die – verglichen mit vorläufiger Festnahme und Untersuchungshaft eher seltene und in ihren zeitlich begrenzten Auswirkungen auf den Betroffenen weniger schwerwiegende –
Anordnung von Ordnungshaft nicht unmittelbar zugeschnitten sind, gilt das in den genannten Vorschriften zum Ausdruck kommende Prinzip, daß Haftsachen besonders zügig zu bearbeiten sind, für Maßnahmen nach § 178 Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative GVG in gleicher Weise. Rechtsbeugung durch Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot ist daher auch im Bereich der Ordnungshaft nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
2. Trotz der nachteiligen Auswirkungen, die eine zögerliche Sachbearbeitung insbesondere in Haftsachen für den Betroffenen mit sich bringen mag, darf jedoch der Tatbestand der Rechtsbeugung, soweit dessen Verwirklichung durch einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in Betracht gezogen wird, auch in diesem Bereich richterlicher Tätigkeit nicht in unangemessener Weise ausgedehnt werden. Insbesondere ist bei der Auslegung der Norm darauf Bedacht zu nehmen, daß die richterliche Unabhängigkeit gewahrt bleibt.

a) Die Bearbeitung einer Rechtssache, wie sie der Angeklagte hier in Form der Fertigstellung und Korrektur des Protokolls, der nachgeholten schriftlichen Begründung der Ordnungshaftbeschlüsse sowie eines für das Beschwerdegericht gefertigten erläuternden Vermerks vorgenommen hat, fällt grundsätzlich in den Schutzbereich, der dem Richter in Art. 97 GG und den einfachgesetzlichen Vorschriften der § 25 Abs. 1 DRiG, § 1 GVG eingeräumt ist. Zwar handelt es sich bei den genannten Tätigkeiten nicht um den Kernbereich richterlichen Wirkens, die Spruchtätigkeit, jedoch gebietet es das Interesse an einer wirksamen Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit , auch die der Rechtsfindung nur mittelbar dienenden, sie vorbereitenden und ihr nachfolgenden Sach- und Verfahrensentscheidungen in den Schutzbereich einzubeziehen (BGHZ 90, 41, 45). Dem entspricht es, daß nach ständiger Rechtsprechung des Richterdienstgerichts des Bundes verzögerte Terminierungen oder als unangemessen lang gewertete Urteilsabsetzungszeiträume nur dann im Rahmen der Dienstaufsicht nach § 26
Abs. 2 DRiG beanstandet werden dürfen, wenn dies losgelöst von einzelnen Rechtssachen oder Fallgruppen geschieht und wenn die Aufsichtsmaßnahme die Entscheidungsfreiheit des Richters im Einzelfall unberührt läßt (BGHZ 51, 280, 287; 90, 41, 46; 93, 238, 243 f.). Da eine Strafandrohung, zumal in Form eines Verbrechenstatbestandes, noch weit mehr als eine Maßnahme der Dienstaufsicht geeignet sein wird, den Richter in seinem Verhalten zu beeinflussen, darf auch unter strafrechtlichen Gesichtspunkten eine Überprüfung richterlicher Tätigkeit am wenig konkreten Maßstab des Beschleunigungsgebots nicht zu einer grundlegenden Beeinträchtigung der sachlichen Unabhängigkeit des Richters führen (vgl. BGH NStZ 1988, 218 f.).

b) Bei der Entscheidung der Frage, ob in der verzögerten Bearbeitung einer Rechtssache ein Rechtsbruch im Sinne des § 339 StGB liegen kann, ist daher davon auszugehen, daß es grundsätzlich dem Richter überlassen bleibt, welchem der von ihm zu erledigenden vielfältigen Dienstgeschäfte er den Vorrang vor anderen einräumt, welche Mittel er im Einzelfall für die Förderung einer Rechtssache geeignet hält und welche Gründlichkeit er der Sachbearbeitung widmet. An bestimmte Dienstzeiten ist er dabei nicht gebunden (BVerwGE 78, 211, 213).
Da die richterliche Unabhängigkeit weder Standesprivileg (BVerfGE 27, 211, 217; BGHZ 67, 184, 187; Benda DRiZ 1975, 166, 170) noch absoluter Selbstwert ist, vor dem alle anderen Bedingungen einer rechtsstaatlichen Justizgewährung zurückzutreten hätten (Rudolph DRiZ 1978, 146; Kissel, GVG 3. Aufl. § 1 Rdn. 43), schließt ein dem Richter im Grundsatz zuzubilligender großzügiger Ermessensspielraum bei der Einteilung seiner Dienstgeschäfte strafrechtlich relevante Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot nicht in jedem Fall aus. Sie werden insbesondere dann in Betracht kommen, wenn der Richter gegen zwingende Vorschriften verstößt, in denen der Gesetzgeber – wie beispielsweise in § 115 StPO – das allgemei-
ne Beschleunigungsgebot konkretisiert hat oder wenn der Richter untätig bleibt, obwohl besondere Umstände sofortiges Handeln – etwa die Veranlassung der Freilassung eines Inhaftierten nach Aufhebung des Haftbefehls – zwingend gebieten. Beides trifft auf den vorliegend zu beurteilenden Fall jedoch nicht zu.
Nachdem der Angeklagte, einer zumindest vertretbaren Mindermeinung folgend (vgl. dazu die Nachweise bei Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht 3. Aufl. § 181 GVG Rdn. 1; Kissel aaO § 181 Rdn. 2), die gemäß § 181 Abs. 2 GVG eingelegten fristgebundenen Beschwerden gegen die Ordnungshaftbeschlüsse als einfache Beschwerden gewertet hat, richtete sich aus seiner Sicht die Weiterleitung der Rechtsmittel nach § 306 Abs. 2 StPO. Diese Vorschrift sieht für den Fall der Nichtabhilfe die Vorlage an das Beschwerdegericht ”sofort, spätestens vor Ablauf von drei Tagen” vor. Gegen die Dreitagesfrist, die zudem nur eine Sollvorschrift darstellt (Kleinknecht /Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 306 Rdn. 11), hat der Angeklagte nicht verstoßen, weil er die Beschwerden am zweiten Tag nach ihrem Eingang an das Beschwerdegericht weitergeleitet hat. Auch wenn der Angeklagte damit nicht ”sofort” gehandelt hat, stellt die Einhaltung der Dreitagesfrist ein gewichtiges Indiz dafür dar, daß eine vom Gesetz noch als angemessen erachtete Bearbeitungszeit nicht überschritten worden ist.
Da richterliche Entscheidungen, gegen die eine Beschwerde möglich ist, Sachverhalte unterschiedlicher Art betreffen und mehr oder minder schwere Eingriffe in die Rechtssphäre der Beschwerdeführer zum Gegenstand haben, können besondere Umstände eine Weiterleitung der Beschwerden vor Ablauf der Frist im Ausnahmefall allerdings gleichwohl erfordern. Solche Besonderheiten hat das Landgericht hier darin gesehen, daß die angeordnete Ordnungshaft entsprechend der gesetzlichen Vorgabe des § 179 GVG sofort vollstreckt worden ist, den Beschwerdeführern daher bei einer Weiterleitung der Rechtsmittelschriften unter voller Ausschöpfung der
Dreitagesfrist ein effektiver Rechtsschutz nicht mehr hätte gewährt werden können.
Die drohende vollständige Vollstreckung einer angeordneten Freiheitsentziehung kann aber für sich allein keine Pflicht zum sofortigen Tätigwerden begründen. Grundsätzlich bleibt auch in diesen Fällen dem Richter ein Spielraum für die Einteilung seiner dienstlichen und – weil er an feste Dienstzeiten nicht gebunden ist (vgl. BVerwGE 78, 211, 213) – auch seiner privaten Angelegenheiten. Zwar hat der Erfolg der Beschwerde für einen Beschwerdeführer, der die Ordnungshaft bereits verbüßt hat, über die Feststellung der Rechtswidrigkeit hinaus kaum praktische Bedeutung, zumal da nach herrschender Meinung eine Entschädigung aus der Staatskasse nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen nicht in Betracht kommt (OLG Frankfurt NJW 1976, 303; Kissel aaO Rdn. 18). Ein bestimmender Einfluß auf die dem Richter zuzubilligende Bearbeitungszeit in der Weise, daß sich diese umso mehr verkürzt, je weiter die angeordnete Dauer der Ordnungshaft unter der zulässigen Höchstdauer von einer Woche liegt, kommt dem Gesichtspunkt abnehmender Effizienz aber nicht zu. Der Richter, der lediglich einen Tag Ordnungshaft verhängt und die dagegen gerichtete Beschwerde am folgenden Tag an das Beschwerdegericht weiterleitet , gerät nicht allein dadurch in den Bereich der Rechtsbeugung, daß die Haft zu diesem Zeitpunkt bereits vollzogen ist. Vielmehr wird sich in derartigen Fällen effektiver Rechtsschutz durch eine Anordnung des Beschwerdegerichts nach § 307 Abs. 2 StPO anbieten, mit der eine aufschiebende Wirkung der Beschwerde hergestellt wird (vgl. Katholnigg aaO § 181 GVG Rdn. 4; Kissel aaO Rdn. 11; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 181 GVG Rdn. 1; Schäfer/Wickern in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 181 GVG Rdn. 13).
Zwar wäre im vorliegenden Fall schon aufgrund des für Haftsachen allgemein geltenden Beschleunigungsgrundsatzes eine zügigere Bearbei-
tung der mit der Anordnung von Ordnungshaft in Zusammenhang stehenden Vorgänge wünschenswert und unter Berücksichtigung der sonstigen dienstlichen Verpflichtungen und privaten Interessen des Angeklagten auch zumutbar gewesen. Gleichwohl hat der Angeklagte nach den oben angeführten Grundsätzen mit der von ihm gewählten Verfahrensweise die äußeren Grenzen des ihm für die Weiterleitung der Beschwerden einzuräumenden Ermessens nicht in schwerwiegender Weise mißachtet. Dies gilt umso mehr, als sich sein Verhalten nicht auf bloße Untätigkeit beschränkte, sondern nach seiner insoweit unwiderlegten Einlassung rechtliche Nachforschungen sowie die Umsetzung der dadurch gewonnenen Erkenntnisse im Protokoll und in einem Vermerk einschloß.

c) Bei zögerlicher Bearbeitung einer Rechtssache innerhalb eines objektiv vertretbaren Zeitraumes kommt ein schwerwiegender Rechtsverstoß allerdings dann in Betracht, wenn der Richter mit seiner Verfahrensweise aus sachfremden Erwägungen gezielt zum Vorteil oder Nachteil einer Partei handelt (vgl. BGHSt 42, 343, 345). Dies wäre hier gegeben, wenn der Angeklagte , wie vom Landgericht für erwiesen erachtet, sich bereits zu Beginn des auf die Verkündung der Ordnungshaftbeschlüsse folgenden Tages entschlossen hätte, unter mutwilliger Verzögerung die Beschwerden solange zurückzuhalten, bis der vollständige Vollzug der Ordnungshaft durch einen Erfolg der Beschwerden beim Oberlandesgericht nicht mehr gefährdet werden konnte. In einem solchen Fall wären zwar die äußeren Schranken des dem Richter für die Bearbeitung von Rechtssachen in zeitlicher Hinsicht eingeräumten Ermessens eingehalten, so daß eine Ermessensüberschreitung ausgeschlossen wäre. Es läge jedoch ein Ermessensmißbrauch durch Überschreitung der inneren Schranken des Ermessens vor.
Soweit das Landgericht bereits in dem objektiven Ablauf des Beschwerdeverfahrens unter weitgehender Ausschöpfung der Dreitagesfrist einen schwerwiegenden Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot sieht,
der den Schluß auf eine böswillige Vorgehensweise des Angeklagten nahelege , geht es, wie oben dargestellt, von einem zu engen Verständnis der dem Richter für die Bearbeitung von Rechtssachen in zeitlicher Hinsicht eingeräumten Spielräume aus. Wenn das Landgericht im einzelnen darlegt, daß der Angeklagte unter Zurückstellung anderer dienstlicher, insbesondere aber privater Belange die Beschwerden schneller als geschehen hätte bearbeiten und weiterleiten können, so mag dies belegen, daß der Angeklagte den hohen Anforderungen, die an das Pflicht- und Verantwortungsbewußtsein eines Richters gerade angesichts der mit der richterlichen Unabhängigkeit verbundenen Freiräume zu stellen sind (vgl. dazu Kissel aaO § 1 Rdn. 3), nicht in ausreichendem Maße gerecht geworden ist. Der Nachweis einer gezielten Verfahrensverzögerung kann damit aber nicht geführt werden.
Auch ist der Inhalt des Telefonats des Angeklagten mit dem Journalisten vom Landgericht nicht erschöpfend gewürdigt worden. Da die Überheblichkeit , die aus der Ä ußerung des Angeklagten spricht, ”er müsse ja nicht gleich springen, wenn Anwälte etwas von ihm wollten”, im Umgang zwischen Richter- und Anwaltschaft unangebracht ist, hatte der Angeklagte allen Anlaß , eine Veröffentlichung dieser von ihm mit Recht als ”nicht zitierfähig” eingeschätzten Bemerkung zu verhindern. Dagegen erscheint es fernliegend , daß der Angeklagte, wie das Landgericht meint, der Auffassung gewesen sein sollte, dem Journalisten mit seiner Ä ußerung einen gezielten Rechtsbruch offenbart zu haben und ihn wegen der Brisanz, die ein solches ”Geständnis” zweifellos hätte, um Verschwiegenheit gebeten hat.
Ä hnliche Erwägungen gelten für das ”Kantinengespräch”. Auch insoweit läßt das Landgericht unberücksichtigt, daß der Angeklagte angesichts der berechtigten Vorhaltungen seiner Kollegen Veranlassung hatte, die schleppende Bearbeitung der Beschwerdevorgänge durch eine falsche Darstellung der wahren Ursachen zu rechtfertigen.
Da das Landgericht das Motiv für eine rechtsbeugerische Verfahrensverzögerung darin sieht, daß der Angeklagte das Risiko einer Aufhebung der Ordnungshaftbeschlüsse durch das Beschwerdegericht und eine Entlassung der Störer aus der Haft vor deren vollständigem Vollzug nicht habe eingehen wollen, hätte es zudem der Darlegung bedurft, weshalb der Angeklagte ein solches Risiko als naheliegend erachtet haben sollte. Ausführungen hierzu waren umso mehr geboten, als das Landgericht zu Gunsten des Angeklagten unterstellt hat, daß dieser die formellen Mängel der Ordnungshaftanordnungen nicht erkannt hat und daß die von ihm getroffenen Entscheidungen vor dem Hintergrund der vorangegangenen massiven Störungen sachlich vertretbar erschienen.
Die aufgezeigten Fehler führen zur Aufhebung des Urteils. Ein vom Generalbundesanwalt beantragter Freispruch durch den Senat kam dagegen nicht in Betracht, weil nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen ist, daß ein neuer Tatrichter zu den s ubjektiven Vorstellungen des Angeklagten rechtsfehlerfrei Feststellungen treffen kann, die zu einer Verurteilung nach § 339 StGB führen.

III.


Revision der Staatsanwaltschaft
Soweit die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision beanstandet, das Landgericht habe eine Verurteilung des Angeklagten wegen tateinheitlicher Freiheitsberaubung mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt, ist ihr – im übrigen nach § 301 StPO auch zu Gunsten des Angeklagten wirkendes – Rechtsmittel begründet.
Auf der Grundlage der vom Landgericht zu den subjektiven Vorstellungen des Angeklagten getroffenen Feststellungen kommt es entgegen der
Rechtsauffassung des Tatrichters nicht darauf an, daß der Angeklagte die Ordnungshaftbeschlüsse für formal und sachlich rechtsfehlerfrei erachtete. Ebensowenig wie der Vorsatz der Rechtsbeugung durch die Vorstellung des Täters, er handele im Ergebnis gerecht, in Frage gestellt wird, wenn sich sein Handeln in schwerwiegender Weise vom Gesetz entfernt und an eigenen Maßstäben anstelle der vom Gesetzgeber statuierten ausrichtet (vgl. BGHSt 32, 357, 360), kann den Richter eine solche Vorstellung bei idealkonkurrierenden Delikten entlasten. Die Anordnung freiheitsberaubender Maßnahmen zu Lasten des Bürgers ist ebenso wie ihre Aufrechterhaltung nur im Rahmen eines ordnungsgemäßen justizförmigen Verfahrens zulässig, zu dem auch die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes unter Beachtung des Beschleunigungsgebots gehört. Sollte der neue Tatrichter daher auf der Grundlage rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen erneut zu dem Ergebnis gelangen, daß der Angeklagte durch eine verzögerte Weiterleitung der Beschwerden an das Oberlandesgericht die Freilassung der inhaftierten Zuhörer zu einem früheren Zeitpunkt gezielt verhindert hat, wird der Angeklagte auch wegen tateinheitlich begangener Freiheitsberaubung zu verurteilen sein.
Harms Häger Tepperwien Raum Brause

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

(1) Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht.

(2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).

Als Anstifter wird gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.