Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2019 - 5 StR 36/19

bei uns veröffentlicht am22.05.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 36/19
vom
22. Mai 2019
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts der Vergewaltigung
ECLI:DE:BGH:2019:220519U5STR36.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. Mai 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Mosbacher, Köhler
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 10. September 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt und vom Vorwurf zweier Vergewaltigungen zum Nachteil der Nebenklägerin freigesprochen. Gegen diesen Freispruch richtet sich die Revision der Nebenklägerin, die mit der Sachrüge Erfolg hat.

I.


2
1. Dem Angeklagten liegt nach der insoweit unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage zur Last, an einem nicht näher bestimmbaren Freitag im Januar oder Februar 2016 und am 21. Oktober 2016 die Nebenklägerin jeweils gegen deren erklärten Willen und gegen geleisteten Widerstand mit Gewalt zur Duldung des Geschlechtsverkehrs gezwungen zu haben.
3
2. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren der Angeklagte und die Nebenklägerin seit 2013 ein Paar. Im Sommer 2015 erwarb die Nebenklägerin ein Haus, das sie gemeinsam mit dem Angeklagten bezog. Ab September 2016 geriet die Beziehung in die Krise. Im Oktober 2016 lernte die Nebenklägerin den unter anderem mehrfach wegen Betruges vorbestraften Zeugen

L.

kennen, der mit ihr eine Beziehung eingehen wollte. Ihm gegenüber beschrieb sie den Angeklagten als groben und rücksichtlosen Liebhaber. Sie habe „nachdem Sex“ wiederholt blaue Flecken und Blutungen aus der Scheide gehabt und mehrfach sei es gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr gekommen. Der Zeuge L. erklärte ihr, dass es sich bei „Sex gegen ihren Willen“ um Vergewaltigung handele und riet ihr – zu diesem Zeitpunkt erfolglos –, den Angeklagten anzuzeigen.
4
Als der Angeklagte im November 2016 den Verdacht hegte, dass die Nebenklägerin eine andere Beziehung haben könnte, installierte er am 16. November 2016 auf einem im Wohnbereich aufgestellten Tablet eine Überwachungssoftware , die unter anderem auch Bilder von der Kamera des Tablets zu seinem Mobiltelefon übertrug. An diesem Tag traf sich die Nebenklägerin mit dem Zeugen L. . Beide lagen am frühen Abend gemeinsam auf dem Schlafsofa, umarmten und küssten sich. Als der Angeklagte diese Bilder auf seinem Mobiltelefon sah, eilte er nach Hause, wo es zum Streit mit der Nebenklägerin und L. kam. Die Nebenklägerin verwies ihn schließlich der Wohnung und fuhr zu ihren Eltern, denen sie von der Trennung und davon erzählte, dass der Angeklagte während der Beziehung mehrfach ihren Willen missachtet habe, keinen Geschlechtsverkehr haben zu wollen.


5
In den folgenden Tagen kam es zu Auseinandersetzungen über die Modalitäten der Trennung. Insbesondere wollte der Angeklagte nach seinem Auszug den von ihm erworbenen Hund mitnehmen und verlangte Zahlungen für geleistete Arbeiten und ein von ihm angeschafftes Gartenhaus. Am Mittag des 19. November 2016 stritten beide am Haus der Nebenklägerin, als diese gerade die Hunde ausführen wollte. Dabei trat oder schlug der Angeklagte gegen die Haustür, welche die Nebenklägerin an der Stirn traf und ein Hämatom verursachte , ohne dass er diese Verletzung billigend in Kauf genommen hätte. Die Nebenklägerin nahm diesen Vorfall zum Anlass, den Angeklagten nunmehr doch wegen Vergewaltigung anzuzeigen. Hierzu rieten ihr auch ihre Eltern und der Zeuge L. .
6
In der Folgezeit verfestigte sich die Beziehung der Nebenklägerin zum Zeugen L. , beide heirateten schließlich im Mai 2017. Anfang 2017 zeigte L. den Angeklagten bei der Polizei an. Zum einen warf er ihm vor, er habe im Februar 2017 zusammen mit seinem Bruder vor dem Anwesen der Nebenklägerin randaliert und diese bedroht; zum anderen habe er Anfang März 2017 absichtlich das Fahrzeug der Nebenklägerin beschädigt. Die Nebenklägerin gab gegenüber der Polizei an, den ersten Vorfall selbst mitbekommen zu haben, während sie in der hiesigen Hauptverhandlung erklärte, dass dies bei keinem der Vorfälle der Fall gewesen sei. Die beiden Strafverfahren gegen den Angeklagten wurden mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt, L. vielmehr wegen falscher Verdächtigung zum Nachteil des Angeklagten zu einer fünfmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Seit Dezember 2017 leben die Nebenklägerin und der Zeuge L. voneinander getrennt.


7
3. Das Landgericht hat sich nicht davon überzeugen können, dass für den Angeklagten ein den sexuellen Handlungen entgegenstehender Wille der Nebenklägerin erkennbar gewesen sei, und hat den Angeklagten deshalb aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
8
Die Nebenklägerin habe die Taten zwar wie angeklagt geschildert, wobei ihre Angaben vollständig konstant zu ihrer zweiten polizeilichen Vernehmung seien und für sich genommen zahlreiche Realkennzeichen (Schilderung wörtlicher Rede und eigener Gefühle sowie origineller Details) aufwiesen. Für sich gesehen seien die Angaben der Nebenklägerin glaubhafter als die jedenfalls bei der Beschreibung der Vorgeschichte teils deutlich beschönigenden und unschlüssigen Angaben des Angeklagten. Es gebe aber keine objektiven oder sonstigen Beweismittel, die die Angaben der Nebenklägerin stützten, vielmehr deutliche Hinweise darauf, dass sie vom Zeugen L. beeinflusst worden sei.
9
Bezüglich der belastenden Angaben des Zeugen L. in seiner polizeilichen Vernehmung – in der Hauptverhandlung hat er unter Berufung auf § 55 StPO geschwiegen – geht die Kammer davon aus, dass diese den Angaben der Nebenklägerin in zentralen Punkten widersprechen und entweder die Nebenklägerin gegenüber L. oder dieser gegenüber der Polizei erheblich übertrieben habe. Wie seine Vorstrafen und die Verurteilung wegen falscher Verdächtigung zum Nachteil des Angeklagten belegten, sei es L. alles andere als lebensfremd, seine Ziele durch wahrheitswidrige Behauptungen zu erreichen. Er habe auch ein Motiv gehabt, dem Angeklagten möglichst schwer- wiegende Straftaten vorzuwerfen, um mit der Nebenklägerin eine Beziehung eingehen zu können. Auch der Nebenklägerin sei die Äußerung von Unwahrheiten nicht lebensfremd, wie ihre widersprüchlichen Angaben vor Polizei und Gericht zu der Frage belegten, ob sie einen der von L. angezeigten Vorfälle selbst wahrgenommen habe.

II.


10
Das Rechtsmittel der Nebenklägerin hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht mehr ankommt.
11
1. Das Urteil des Landgerichts entspricht bereits nicht den Anforderungen , die gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind.
12
Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss die Begründung des Urteils so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht überprüfen kann, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Deshalb hat es im Urteil in der Regel nach dem Tatvorwurf zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen zum objektiven Tatgeschehen festzustellen, die es für erwiesen hält, bevor es in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen – zusätzlichen – Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite nicht getroffen werden konnten (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 11. Oktober 2011 – 1 StR 134/11 mwN).
13
Diese Mindestanforderungen an die Darstellung eines freisprechenden Urteils sind hier nicht erfüllt. Lediglich ganz knapp und nur mit einem Satz im Rahmen der Beweiswürdigung teilt das Landgericht mit, dass am Stattfinden der sexuellen Handlungen ebensowenig Zweifel bestünden wie an den inneren Vorbehalten der Nebenklägerin dagegen (UA S. 13); es habe lediglich keine eindeutige Kundgabe ihres entgegenstehenden Willens gegeben. Wie sich der Angeklagte und die Nebenklägerin ganz konkret in den jeweiligen Tatsituationen nach Auffassung der Strafkammer verhalten haben, bleibt demgegenüber offen.
14
2. Auch die Beweiswürdigung weist Rechtsfehler auf.
15
a) Diese ist zwar Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Spricht es einen Angeklagten frei, weil es Zweifel nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Insbesondere ist es ihm verwehrt , die Beweiswürdigung des Tatgerichts durch seine eigene zu ersetzen. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich somit darauf, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie Lücken aufweist, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden. Ferner ist die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden oder sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, dass die einzelnen Beweisergebnisse in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 11. April 2013 – 5 StR 261/12 und vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 253/16, je mwN).
16
b) Lückenhaft ist die Beweiswürdigung zur Feststellung möglicher Falschangaben der Nebenklägerin gegenüber der Polizei bezüglich eines angeblichen Übergriffs zu Lasten des Zeugen L. . Die Nebenklägerin hat hierzu angegeben, sie könne sich nicht daran erinnern, gegenüber der Polizei behauptet zu haben, bei einem solchen Übergriff anwesend gewesen zu sein. Es bleibt unklar, aufgrund welcher Beweismittel sich die Strafkammer davon überzeugt hat, dass die Nebenklägerin entgegen ihrer Aussage in der Hauptverhandlung diese Angaben vor der Polizei doch wie festgestellt getätigt und damit im Ergebnis gelogen hat.
17
Schließlich fehlt es auch an der erforderlichen Gesamtwürdigung aller für und gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin sprechenden Aspekte. Unberücksichtigt bleibt etwa, dass die Nebenklägerin auch ihren Eltern gegenüber angegeben hat, der Angeklagte habe während ihrer Beziehung mehrfach ihren Willen missachtet, keinen Geschlechtsverkehr zu haben.
Mutzbauer Sander Schneider
Mosbacher Köhler

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2019 - 5 StR 36/19

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2019 - 5 StR 36/19

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2019 - 5 StR 36/19 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafprozeßordnung - StPO | § 267 Urteilsgründe


(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese

Strafprozeßordnung - StPO | § 55 Auskunftsverweigerungsrecht


(1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2019 - 5 StR 36/19 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2019 - 5 StR 36/19 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 11. Apr. 2013 - 5 StR 261/12

bei uns veröffentlicht am 11.04.2013

5 StR 261/12 (alt: 5 StR 555/09) BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 11. April 2013 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Rechtsbeugung u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. April 2013, an der teil

Bundesgerichtshof Urteil, 11. Okt. 2011 - 1 StR 134/11

bei uns veröffentlicht am 11.10.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 134/11 vom 11. Oktober 2011 in der Strafsache gegen wegen Körperverletzung mit Todesfolge Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Oktober 2011, an der teilgenommen hab

Bundesgerichtshof Urteil, 21. Dez. 2016 - 1 StR 253/16

bei uns veröffentlicht am 21.12.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 253/16 vom 21. Dezember 2016 in der Strafsache gegen wegen Erpressung u.a. ECLI:DE:BGH:2016:211216U1STR253.16.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Dezember 201
3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2019 - 5 StR 36/19.

Bundesgerichtshof Urteil, 27. Feb. 2020 - 4 StR 568/19

bei uns veröffentlicht am 27.02.2020

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 568/19 vom 27. Februar 2020 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen des Verdachts der besonders schweren räuberischen Erpressung u.a. ECLI:DE:BGH:2020:270220U4STR568.19.0 Der 4. Strafsenat des B

Bundesgerichtshof Urteil, 17. Okt. 2019 - 3 StR 170/19

bei uns veröffentlicht am 17.10.2019

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 170/19 vom 17. Oktober 2019 in der Strafsache gegen wegen Einschleusens von Ausländern u.a. ECLI:DE:BGH:2019:171019U3STR170.19.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Okt. 2019 - 4 StR 37/19

bei uns veröffentlicht am 22.10.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 37/19 vom 22. Oktober 2019 in der Strafsache gegen wegen Betruges ECLI:DE:BGH:2019:221019B4STR37.19.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführer

Referenzen

(1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

(2) Der Zeuge ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren.

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 134/11
vom
11. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
11. Oktober 2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Erster Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 27. Oktober 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen.
2
1. Dem Angeklagten war in der Anklage folgendes zur Last gelegt worden :
3
Am 24. Juli 2007 habe der Angeklagte in seinen Praxisräumen in B. bei einem 85-jährigen Patienten (im Folgenden P.) eine Darmspiegelung (Koloskopie) durchgeführt. Diese sei von dem den P. behandelnden Urologen erbeten worden, weil sich Blut im Stuhl befunden hatte. Nachdem P. am 18. Juli 2007 über die Risiken dieser Untersuchung aufgeklärt worden sei, habe er eine Einwilligungserklärung zur Koloskopie unterschrieben. Die Koloskopie habe einen normalen Befund ohne Hinweis auf eine Blutungsquelle ergeben. Der Angeklagte habe sich daher dazu entschlossen, im Anschluss an die Kolo- skopie bei P. eine Magenspiegelung vorzunehmen. Dabei sei dem Angeklagten klar gewesen, dass P. noch unter dem Einfluss der für die Koloskopie verabreichten Narkotika gestanden sei. Dieser Zustand sollte aber für die Durchführung der Magenspiegelung genutzt werden, um eine erneute Sedierung zu vermeiden. Andererseits habe P. keine Einwilligung für eine Magenspiegelung gegeben und sei auch zuvor nicht über den Eingriff und die damit verbundenen Risiken aufgeklärt worden. Eine wirksame Aufklärung des P. und die Abgabe einer rechtsgültigen Einwilligungserklärung durch diesen seien jedoch zu diesem Zeitpunkt wegen des Einflusses der verabreichten Narkotika nicht in Betracht gekommen. Dies sei dem Angeklagten auch klar gewesen. Dennoch habe er mit der Durchführung der Gastroskopie begonnen, die jedoch daran scheiterte, dass P. nicht in der Lage war, das Einführen des Endoskops in die Speiseröhre durch Schluckbewegungen zu unterstützen. Der Angeklagte habe das Endoskop nur bis auf ca. 10 bis 12 cm einführen können. Angesichts der konkreten Untersuchungssituation sei dem Angeklagten als erfahrenen Gastroenterologen sofort klar gewesen, dass das der Untersuchung innewohnende bekannte Risiko einer Perforation der Speiseröhre (die bekanntermaßen ihrerseits zu einer lebensbedrohlichen Mittelfellentzündung führen könnte) signifikant erhöht gewesen sei. Gleichwohl habe er versucht, nachdem er nach Entfernung des Endoskops P. aufgefordert hatte, einmal "leer" zu schlucken, sofort erneut das Endoskop einzuführen. Auch bei diesem zweiten Anlauf sei das Einführen des Untersuchungsgerätes wiederum nur bis zu einer Länge von etwa 10 bis 12 cm gelungen. Der Angeklagte habe daraufhin beschlossen, zunächst ein bis etwa zwei Stunden zuzuwarten und dann erneut die Untersuchung anzugehen. Gegen 11.30 Uhr sei P., bei dem die Wirkung der Narkotika zwischenzeitlich nachgelassen hatte, vom Angeklagten eine weitere Ampulle Dormicum gespritzt worden. Nach Einsetzen der Wirkung des Medikaments habe der Angeklagte erneut einige Male erfolglos versucht, das Endoskop bei P. ein- zuführen. Insoweit habe der Angeklagte jeweils angesichts der konkreten Situation in Kauf genommen, dass sich das Risiko der Speiseröhrenperforation verwirklichen und P. eine lebensbedrohliche Mittelfellentzündung erleiden könne, die gerade bei einem 85-jährigen Patienten mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Tode führen könnte. Bei diesen Versuchen sei es durch das vom Angeklagten eingeführte Endoskop zu einer Perforation der Speiseröhre bei P. gekommen, an deren absehbaren weiteren Folgen P. trotz einer am 26. Juli 2007 im Klinikum B. durchgeführten Operation und anschließender intensivmedizinischer Behandlung schließlich am 3. September 2007 verstorben sei. Dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass die Durchführung einer Magenspiegelung unmittelbar im Anschluss an die Darmspiegelung bei P. nicht medizinisch indiziert gewesen sei. Eine Magenspiegelung hätte nach erfolgter Aufklärung und Einwilligung jederzeit später durchgeführt werden können, wenn sich dafür eine Indikation ergeben hätte. Im Hinblick auf die Speiseröhrenperforation und die sich hieraus ergebenden zum Tode führenden Komplikationen habe der Angeklagte wenigstens fahrlässig gehandelt.
4
Die Anklage ging daher von einem Verbrechen der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) aus.
5
2. Das Landgericht hat "in teilweiser Abweichung von der Anklage" (UA S. 5) in der Hauptverhandlung u.a. folgende Feststellungen getroffen:
6
Nach dem ergebnislosen Befund der Darmspiegelung hat der Angeklagte P. nicht ausschließbar über die bevorstehende Magenspiegelung aufgeklärt und auch dessen Zustimmung eingeholt. Allerdings war P. aufgrund der andauernden Sedierung nicht in der Lage, in rechtserheblicher Weise in die Magenspiegelung einzuwilligen, was der Angeklagte auch erkannte. Gleichwohl führte er die Untersuchung durch, wobei es ihm bei mindestens zwei Versu- chen aufgrund von Schluckbeschwerden des P. nicht gelang, das Endoskop einzuführen. Nach einer Pause von ca. zwei Stunden wurden mindestens zwei weitere erfolglose Versuche unternommen, wobei P. zuvor wegen der nachlassenden Wirkung der Sedierung zusätzliches Dormicum injiziert wurde. Bei einem der Versuche kam es zur Perforation der Speiseröhre, wobei nicht festgestellt werden kann, bei welchem der Versuche dies geschah. Der Angeklagte wollte P. mit der sofortigen Durchführung der Magenspiegelung eine nochmalige Anreise aus Bi. im nüchternen Zustand ersparen. Er ging davon aus, dass P. mit dieser Vorgehensweise einverstanden sein würde. Tatsächlich hätte P. auch seine Einwilligung erklärt, wenn er vor der Maßnahme ordnungsgemäß über die Notwendigkeit, über Risiken und möglichen Komplikationen aufgeklärt worden wäre.
7
P. wurde am 25. Juli 2007 ins Klinikum B. eingewiesen und am 26. Juli 2007 an der Speiseröhre operiert. Er befand sich bereits auf dem Weg der Besserung, als es schließlich zu Komplikationen, u.a. einer Lungenentzündung und einem Mediastinalabszess, kam, die schließlich zu einem Multiorganversagen und zum Tod des P. am 3. September 2007 führten. Es ist nicht auszuschließen , dass es im Rahmen des stationären Aufenthalts im Klinikum B. zu Fehlern kam und das Leben von P. bei ordnungsgemäßer Behandlung hätte gerettet werden können. So wurde möglicherweise zu lange ein falsches Antibiotikum verwendet und zu spät ausgetauscht. Allerdings wäre es ohne die von dem Angeklagten verursachte Verletzung der Speiseröhre nicht zu dem Krankenhausaufenthalt und den damit einhergehenden Komplikationen gekommen.
8
3. Nach Auffassung der Strafkammer liegt ein strafbares Verhalten des Angeklagten nicht vor. Das ärztliche Handeln sei durch eine "hypothetische Einwilligung" des P. gerechtfertigt und vorwerfbare Fehler bei der versuchten Durchführung der Magenspiegelung seien dem Angeklagten nicht nachzuweisen. Die Strafkammer zieht aus verschiedenen Indizien den Schluss, dass P. der sofortigen Magenspiegelung zugestimmt hätte, wenn er wirksam aufgeklärt worden wäre. Sie ist darüber hinaus der Meinung, dass eine Strafbarkeit nach § 227 StGB auch dann nicht in Betracht käme, wenn man nicht von einer Rechtfertigung durch "hypothetische Einwilligung" ausginge. Denn die vom Angeklagten verursachte Verletzung beruhe nicht auf Fahrlässigkeit, sondern sei eine der Magenspiegelung immanente Komplikation. Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) komme ebenfalls nicht in Betracht, da den Angeklagten keine Sorgfaltspflichtverletzung treffe. Allein aufgrund der Feststellung einer Speiseröhrenperforation könne noch nicht auf ein fehlerhaftes Verhalten des Angeklagten geschlossen werden.
9
4. Gegen dieses freisprechende Urteil richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin (Ehefrau des P.; vgl. auch § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO). Beide rügen die Verletzung materiellen Rechts und erstreben eine Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB). Die Rechtsmittel haben Erfolg.

II.

10
Das angefochtene Urteil war auf die von der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin erhobene Sachrüge mit den Feststellungen aufzuheben.
11
1. Das Urteil des Landgerichts entspricht bereits nicht den Anforderungen , die gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind.
12
Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen - worauf das Landgericht in erster Linie abstellt - muss die Begründung des Urteils so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht überprüfen kann, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Deshalb hat der Tatrichter in der Regel nach dem Tatvorwurf und der Einlassung des Angeklagten zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen zum objektiven Tatgeschehen festzustellen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldsprucherforderlichen - zusätzlichen - Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite nicht getroffen werden konnten (st. Rspr.; vgl. im Einzelnen BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 - 2 StR 41/11 mwN).
13
Diese Mindestanforderungen an die Darstellung eines freisprechenden Urteils sind hier nicht erfüllt.
14
a) Es fehlt bereits an einer geschlossenen Darstellung der festgestellten Tatsachen. Das Landgericht setzt bei der Wiedergabe seiner Feststellungen erst nach der erfolgten Darmspiegelung ein und schildert das Geschehene sehr kurz. Der Senat kann nicht beurteilen, ob das Landgericht im Übrigen die durch die Mitteilung des Anklagevorwurfs bekannten weiteren Feststellungen getroffen hat, worauf die Formulierung "in teilweiser Abweichung von der Anklage" hindeuten könnte. So wird u.a. nicht festgestellt, ob P. gegenüber dem Angeklagten über Schmerzen im Hals- und Brustbereich geklagt hat.
15
b) Den Ausführungen zur Beweiswürdigung können zwar einzelne weitere Feststellungen entnommen werden, doch nicht mit einer solchen Deutlichkeit , dass eine geschlossene Darstellung hinreichend ersichtlich wird.
16
c) Die Einlassung des Angeklagten wird auch nicht vorab - wie erforderlich - geschlossen dargelegt, sondern wird nur vereinzelt in der Beweiswürdigung gestreift.
17
Der Senat ist schon von daher gehindert, das angefochtene Urteil umfassend und abschließend auf Rechtsfehler zu untersuchen.
18
2. Die Beweiswürdigung selbst leidet darüber hinaus an durchgreifenden Rechtsfehlern.
19
Das Revisionsgericht hat es grundsätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an dessen Tatbegehung nicht zu überwinden vermag. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu prüfen und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt ferner, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 7. Juni 2011 - 5 StR 26/11 mwN).
20
a) Die Beweiswürdigung zur "hypothetischen Einwilligung" ist bereits widersprüchlich. Die Kammer hat sich den klaren Ausführungen der beiden Sachverständigen angeschlossen, wonach aufgrund des verabreichten Medikaments Dormicum eine Aufklärung wegen mangelnder Aufnahmefähigkeit des P. nicht möglich war (UA S. 8). Gleichwohl leitet sie aus Gesprächen mit P. unmittelbar vor der Magenspiegelung "ein weiteres nicht unerhebliches Indiz dafür ab, dass der Geschädigte der sofortigen Magenspiegelung zugestimmt hätte, wenn er wirksam aufgeklärt worden wäre" (UA S. 12). Da P. zu diesem Zeit- punkt nicht aufklärungsfähig war, kann aus seinem Verhalten auch kein Indiz für eine Einwilligung hergeleitet werden. Soweit auf UA S. 11 in diesem Zusammenhang Angaben der Arzthelferin wiedergegeben werden, ist - da im Feststellungsblock hierzu nichts enthalten ist (vgl. oben II 1 a) - zum einen unklar , ob die Strafkammer von der Glaubhaftigkeit dieser Aussage überzeugt ist, zum anderen werden die maßgeblichen Einzelheiten der Gespräche nicht mitgeteilt. Die Einschätzung der Zeugin, P. sei wegen der nachlassenden Wirkung der Sedierung "ansprechbar" gewesen, lässt sich auch nicht ohne weiteres mit den Ausführungen der Sachverständigen in Einklang bringen, wonach eine Aufklärung wegen mangelnder Aufnahmefähigkeit nicht möglich war. Im Widerspruch zu den Angaben der Sachverständigen, denen die Kammer aber ausdrücklich folgen will (UA S. 8), geht sie davon aus, dass durch die Sedierung lediglich eine Amnesie eingetreten war (UA S. 13), eine Verständigung mit P. aber möglich war. Fehlende Aufnahmefähigkeit ist aber grundsätzlich von einer Amnesie zu unterscheiden. War - wie jedenfalls zunächst festgestellt - bei P. keine Aufnahmefähigkeit für eine entsprechende Aufklärung vorhanden, konnte er eine wirksame Einwilligung nicht erteilen und es durfte auch aus seinem Verhalten kein derartiger Schluss gezogen werden.
21
Der Senat kann bereits hier nicht sicher ausschließen, dass auf diesen widersprüchlichen Überlegungen des Tatrichters dessen diesbezügliche Beweiswürdigung beruht, zumal hierin ein "nicht unerhebliches Indiz" (UA S. 12) gesehen wird.
22
b) Das Landgericht ist im Rahmen seiner Begründung für die Annahme einer "hypothetischen Einwilligung" rechtsfehlerhaft von einem unzutreffenden Ausgangspunkt ausgegangen. Die Feststellung, dass auch eine Magenspiegelung grundsätzlich indiziert war, sagt nichts darüber aus, dass diese Untersuchung eilig erfolgen musste und nicht eine vorherige Einwilligung des P. einge- holt werden konnte. Das zur Wahrung der Persönlichkeit des Patienten erforderliche Selbstbestimmungsrecht (vgl. dazu u.a. BGH, Urteil vom 4. Oktober 1999 - 5 StR 712/98 = BGHSt 45, 219, 225) steht einer voreiligen ärztlichen Maßnahme entgegen, zumal, wenn es sich - wie hier - nicht um eine dringende Heilbehandlung, sondern lediglich um eine Untersuchung aus Diagnosegründen handelt. Dies war in die Überzeugungsbildung einzustellen.
23
c) Die Beweiswürdigung ist auch lückenhaft. Die Strafkammer teilt als Einlassung des Angeklagten mit, er sei von einem Notfall ausgegangen, weil P. über Schmerzen im Hals- und Brustbereich geklagt habe (UA S. 8). Ob dies der Tatrichter als glaubhaft angesehen und deshalb auch festgestellt hat, lässt sich den Urteilsgründen nicht sicher entnehmen. Bejahendenfalls hätte das Landgericht erörtern müssen, ob dieser Umstand der Annahme einer Einwilligung hier schon deshalb entgegengestanden hätte, weil der Angeklagte die Magenspiegelung durch Einführung des Endoskops in die Speiseröhre vornehmen wollte, und P. Schluckbeschwerden hatte. Möglicherweise hätte P. deshalb zu diesem Zeitpunkt keine Magenspiegelung gewünscht oder wäre allenfalls mit einer anderen Untersuchungsmethode einverstanden gewesen.
24
3. Der Senat kann insgesamt nicht ausschließen, dass auf den aufgezeigten Rechtsfehlern das freisprechende Urteil beruht. Das konnte schon deshalb nicht verneint werden, weil der neue Tatrichter andere Feststellungen treffen kann, die eine Strafbarkeit des Angeklagten sei es nach § 227 StGB, sei es nach § 222 StGB oder sei es nach § 230 StGB ergeben können.
25
Eine Strafbarkeit ist auch im Hinblick auf die Hilfserwägungen der Strafkammer (UA S. 14 und 15) zur fehlenden Fahrlässigkeit (kein Sorgfaltspflichtverstoß ) des Angeklagten nicht von vornherein zu verneinen. Denn der Tatrichter und die von ihm angehörten Sachverständigen äußern sich in diesem Zu- sammenhang nicht dazu, ob das Risiko einer Perforation der Speiseröhre erhöht ist, wenn der Patient bereits Schmerzen im Hals- und Brustbereich und Schluckbeschwerden hat.

III.

26
Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, folgendes zu beachten:
27
Ergeben die neuen Feststellungen, dass der Angeklagte nicht an eine Einwilligung glaubte, kommt eine Strafbarkeit nach § 227 StGB in Betracht, wenn die spezifische Gefährlichkeit der - kausalen - Körperverletzung sich in der Todesfolge niedergeschlagen hat und wenn dem Angeklagten hinsichtlich dieser Folge wenigstens Fahrlässigkeit zur Last liegt (§ 18 StGB).
28
Ein Verbotsirrtum ist dann gegeben, wenn der Arzt das Fehlen des Einverständnisses für möglich, den Eingriff aber für zulässig hält, weil er medizinisch geboten ist; die Vermeidbarkeit eines solchen Irrtums ist jedoch "kaum je zweifelhaft" (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 4. Oktober 1999 - 5 StR 712/98 = BGHSt 45, 219, 225; vgl. im Einzelnen auch Fischer, StGB, 58. Aufl., Rn. 16 zu § 223).
29
Wird hingegen festgestellt, dass der Angeklagte irrig angenommen hat, P. hätte bei vorheriger Befragung der Erweiterung zugestimmt, so liegt ein Erlaubnistatbestandsirrtum vor, der entsprechend § 16 StGB zu behandeln ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 5. Juli 2007 - 4 StR 549/06 = NStZ-RR 2007, 340, 341; BGH, Urteil vom 29. Juni 1995 - 4 StR 760/94 = NStZ 1996, 34, 35; BGH, Beschluss vom 25. März 1988 - 2 StR 93/88 = BGHSt 35, 246 ff., 250). Die Rechtswidrigkeit entfällt, wenn der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 20. Januar 2004 - 1 StR 319/03 = NStZ 2004, 442). Dass bei ordnungsgemäßer Aufklärung die Einwilligung unterblieben wäre, ist dem Arzt nachzu- weisen. Verbleiben Zweifel, so ist nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" zu Gunsten des Arztes davon auszugehen, dass die Einwilligung auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung erfolgt wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2003 - 1 StR 300/03 = StV 2004, 376, 377 mwN).
30
In Betracht kommt dann aber eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB), wenn die Todesfolge individuell vorhersehbar und vermeidbar war oder zumindest wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 230 StGB). Nack Rothfuß Hebenstreit Graf Jäger

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

5 StR 261/12
(alt: 5 StR 555/09)

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. April 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Rechtsbeugung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
11. April 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt I.
als Verteidiger für den Angeklagten M. ,
Rechtsanwalt Z.
als Verteidiger für den Angeklagten P. ,
Rechtsanwalt H. S.
als Vertreter für den Nebenkläger A. ,
Rechtsanwalt M. S.
als Vertreter für den Nebenkläger R. ,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 8. Dezember 2011, soweit es den Angeklagten M. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der den Angeklagten M. betreffenden Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die den Angeklagten P. betreffenden Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger werden verworfen.
Die Kosten der den Angeklagten P. betreffenden Revision der Staatsanwaltschaft sowie die ihm im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die Nebenkläger tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hatte die Angeklagten jeweils wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit schwerer Freiheitsberaubung zu Freiheitsstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, verurteilt und wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung einen Teil der Strafen als vollstreckt erklärt. Der Se- nat hat diese Erkenntnis durch Beschluss vom 7. Juli 2010 (5 StR 555/09, StV 2011, 463) aufgehoben.
2
Das Landgericht hat die Angeklagten nunmehr freigesprochen. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger führen hinsichtlich des Angeklagten M. mit der Sachrüge zum Erfolg. Soweit die Revisionen den Angeklagten P. betreffen, sind sie hingegen unbegründet.

I.


3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
4
1. Der Angeklagte M. führte als Richter am Amtsgericht Eisenhüttenstadt den Vorsitz in einer Schöffensache gegen den damals angeklagten Nebenkläger A. . Diesem wurde zur Last gelegt, als Nachlasspfleger in sechs Nachlassverfahren Vermögen von über 430.000 € veruntreut zu haben. Eine detaillierte Darstellung der veruntreuten Beträge, insbesondere zu Kontoauswertungen oder sonstigen Beweismitteln zu Entnahme und Verbleib der Nachlassgelder, enthielt die Anklageschrift nicht. Ungeachtet dieser Mängel hatte die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) das Verfahren vor dem Schöffengericht eröffnet; eine höhere Straferwartung als vier Jahre Freiheitsstrafe bestehe gegenüber dem – während mehrerer Monate vollzogener Untersuchungshaft – weitgehendgeständigen A. nicht.
5
Als sich der Nebenkläger Rechtsanwalt R. als (zusätzlicher) Verteidiger des A. anzeigte, erregte dies den Argwohn des Angeklagten M. . Er wusste, dass A. seine Tätigkeit als Nachlasspfleger in den Kanzleiräumen des Nebenklägers R. ausgeübt hatte ; zudem war ihm aufgrund einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft bekannt, dass gegen R. ein Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche eingeleitet worden war, weil er von A. Nachlassgelder in Kenntnis von deren rechtswidriger Herkunft erhalten habe. M. war bewusst, dass der Strafvorwurf gegen R. wegen Geldwäsche rechtlich davon abhing, ob A. die Untreuehandlungen gewerbsmäßig begangen hatte.
6
M. beschloss, eine Sachverständige mit der Untersuchung zu beauftragen, in welchem Ausmaß A. durch seine Aktienspekulationen die einzelnen Nachlässe geschädigt habe. Den Auftrag erweiterte er dahin , auch zu prüfen, ob R. nach Lage der Akten an den Taten des A. beteiligt gewesen sei. Eine Anregung des Dezernatsvertreters des Angeklagten M. an die Staatsanwaltschaft, einen Antrag auf Ausschluss von Rechtsanwalt R. als Verteidiger nach §§ 138a, 138c StPO zu prüfen, blieb ohne Ergebnis. Die Staatsanwaltschaft stellte zwar ohne nähere Begründung einen entsprechenden Antrag, den sie jedoch nach Hinweis der Generalstaatsanwaltschaft zurücknahm, dass der Antrag nicht den Begründungserfordernissen entspreche.
7
Die Hauptverhandlung gegen A. begann am 16. Dezember 2004 und war vom Angeklagten M. mit Blick auf ein erwartetes Geständnis A. s auf zwei Sitzungstage terminiert. Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft war zunächst Staatsanwalt B. . Dieser beantragte die Einvernahme des weiterhin als Verteidiger auftretenden R. als Zeuge und legte M. hierzu einen Fragenkatalog vor, um Erkenntnisse bezüglich der Geldflüsse zwischen R. und A. zu erhalten. B. hatte zuvor auch ein Ermittlungsverfahren gegen die Ehefrau des Nebenklägers A. , Ad. , wegen Geldwäsche eingeleitet, weil es Anhaltspunkte dafür gab, dass auch sie veruntreute Nachlassgelder erhalten hatte.
8
Die Hauptverhandlung war – bei noch ausstehendem Gutachten der Sachverständigen – geprägt durch Nachermittlungshandlungen gegen A. und Ermittlungshandlungen gegenüber R. , bei dem insbesondere mehrere Durchsuchungsmaßnahmen, auch in Anwesenheit M. s, vollzogen wurden. Im Mittelpunkt stand dabei der Erwerb eines hochwertigen Pkw BMW, der von A. seit 2001 benutzt wurde; Halter des Fahrzeugs war aber R. , der die Anschaffungskosten steuerlich über seine Kanzlei geltend gemacht hatte. Das Fahrzeug kam als Sicherungsmittel für etwaige Geschädigte in Betracht, was aber voraussetzte, dass es mit inkriminierten Geldern erworben worden war.
9
Über die Verteidigung wurden – so auch am ersten Hauptverhandlungstag – mehrere Ablehnungsgesuche gegen M. gestellt, die zu- mindest zum Teil der Verfahrensverschleppung dienten „und bisweilen laienhaft wirkende Begründungen enthielten“; zudem vertrat Rechtsanwalt R. „bizarre“ Rechtsansichten mit Blick auf den Strafvorwurf. Nach Verlesung des Anklagesatzes machte A. von seinem Schweigerecht Gebrauch.
10
Für das Prozessverhalten A. s machte M. in erster Linie Rechtsanwalt R. verantwortlich, der nach seiner Meinung damit verhindern wollte, wegen eigener Beteiligung an dessen Taten belangt zu werden. M. fasste daher nach dem ersten Verhandlungstag den Ent- schluss, „dass Rechtsanwalt R. der Teilnahme an den Taten des A. überführt und sein Ausschluss aus dem Strafverfahren erreicht werden müsse“ (UA S. 21).
11
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete M. am 5. Januar 2005 unter anderem die Durchsuchung der Kanzleiräume von R. nach Buchhaltungs- und Steuerunterlagen an. Er zog bei der Einsatzbesprechung auch Beamte der Steuerfahndung hinzu und nahm selbst an den Durchsuchungen teil, wobei er die Beweismittelrelevanz von Unterlagen prüfte. M. fand hierbei einen Darlehensvertrag aus Februar 2001, wonach Ad. Rechtsanwalt R. ein Darlehen über 85.000 DM ge- währen werde, und eine weitere handschriftliche Vereinbarung zwischen R. und Ad. aus Februar 2001 über die Rückabwicklung des Darlehens bei Rückgabe des Pkw BMW. Auf telefonischen Antrag des angeklagten Oberstaatsanwalts P. , der ab 6. Januar 2005 als Sitzungsvertreter bei den weiteren Hauptverhandlungsterminen vorgesehen war, ordnete M. die Beschlagnahme des Pkw BMW an, unter anderem weil das Fahrzeug voraussichtlich der Einziehung oder dem Verfall unterliege.
12
Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt vor dem 7. April 2005 erfuhrM. , dass A. am 11. Januar 2005 im Rahmen eines Zivilverfahrens eine eidesstattliche Versicherung über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse abgegeben hatte, wonach er von seiner Ehefrau Ad. getrennt lebe, was nach Auffassung M. s nicht zutraf.
13
Am 14. Februar 2005 wurde M. mit 90 % seiner Arbeitskraft an das Landgericht Frankfurt (Oder) abgeordnet; mit seiner verbleibenden Arbeitskraft sollte er das Verfahren gegen A. beim Amtsgericht Eisenhüttenstadt zum Abschluss bringen. Das Präsidium des Amtsgerichts änderte dementsprechend den Geschäftsverteilungsplan unter anderem dahin, dass Richter am Amtsgericht T. – neben Richterin am Amtsgericht Pe. in wöchentlichem Wechsel – als Ermittlungsrichter zuständig wurde. Das Landgericht konnte nicht feststellen, dass der Angeklagte P. von dieser Änderung der Geschäftsverteilung Kenntnis erlangt hat.
14
Im Hauptverhandlungstermin am 10. März 2005 wurde R. als Zeuge vernommen; er gab an, den Pkw BMW vollständig bar bezahlt zu haben. Die Frage, ob ein Pkw Opel Calibra der Ad. in Zahlung gegeben worden sei, verneinte er wahrheitswidrig. Nach Belehrung gemäß § 55 StPO gab er Erklärungen zum Hintergrund des Darlehensvertrages und der Rückabwicklungsvereinbarung aus Februar 2001 ab.
15
Abweichende Angaben hierzu hatte Ad. in einer Beschuldigtenvernehmung bei der Polizei gemacht, wie ein Polizeibeamter als Zeuge in der Hauptverhandlung vom 24. März 2005 bekundete. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung beschwerte sich der neuerlich als Zeuge einvernommene Nebenkläger R. über die Art und Weise der bei ihm durchgeführten Durchsuchungen; diese seien nicht nach den Vorschriften der StPO erfolgt. M. entgegnete ihm darauf „mit der als Scherz gemeinten Be- kundung, die Durchsuchung sei auf Grundlage der ‚HPO‘(der [Eisen-] Hüttenstädter Prozessordnung) erfolgt, die mit der Vollstreckung beginne“ (UA S. 30). R. bekundete als Zeuge im Anschluss daran, dass er den inzwischen beschlagnahmten Pkw BMW am 30. Dezember 2004 an Ad. veräußert habe; er würde den Vertrag im nächsten Hauptverhandlungstermin vorlegen.
16
Die Angeklagten M. und P. waren aufgrund der für sie erstaunlichen Bekundungen von R. davon überzeugt, dass es sich bei dem behaupteten Kaufvertrag, sollte er vorgelegt werden, um einen „Scheinvertrag“ handeln würde. P. fertigte daher bis zum nächsten Hauptverhandlungstermin am 7. April 2005 jeweils einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gegen R. , Ad. und A. . Er beabsichtigte diese Anträge für den Fall der Vorlage des behaupteten Kaufvertrages durch R. zu stellen, sofern dieser den Verdacht, dass es sich um einen Scheinvertrag handele, nicht ausräumen könne.
17
Im Hauptverhandlungstermin vom 7. April 2005 wurde R. erneut als Zeuge einvernommen. Er überreichte eine Kopie eines auf den 30. Dezember 2004 datierten Kaufvertrages zwischen ihm und Ad. bezüglich des Pkw BMW über 20.000 € und eine auf den 3. Januar 2005 datierte Aufrechnungserklärung, die eine Teilaufrechnung der Kaufpreisforderung mit dem Darlehensrückzahlungsanspruch der Käuferin Ad. enthielt. Auf Frage gab er an, dass sich der Kaufvertrag bei der Durchsuchung am 5. Januar 2005 in der Buchhaltung seiner Kanzlei befunden habe.
18
Sowohl der Angeklagte P. als auch der Angeklagte M. glaubten der Schilderung des Zeugen R. nicht. Beide waren der Auffassung , dass der Kaufvertrag rückdatiert und erst nach der Durchsuchung gefertigt worden sei. Sie meinten zudem, der Kaufvertrag diene der Verschleierung der Eigentumsverhältnisse an dem sichergestellten Fahrzeug und der Umstände seines Erwerbs aus veruntreuten Nachlassgeldern im Jahre 2001.
19
M. , der wusste, dass P. im Falle der Vorlage des Kaufvertrages durch R. Haftbefehlsanträge stellen würde, sofern R. die Vorgänge nicht schlüssig erklären konnte, erhob sich, wies auf R. und rief: „Sie sind festgenommen!“, woraufhin im Zuschauersaal Applaus auf- brandete. Er ordnete ebenfalls die Festnahme A. s und dessen nicht im Sitzungssaal befindlicher Ehefrau Ad. an. Als ein Justizwachtmeister Rechtsanwalt R. Handfesseln anlegen wollte und dieser erklärte , das sei wirklich nicht nötig, er werde nicht fliehen, rief M. dem Wachtmeister zu: „Das volle Programm!“. R. und A. wurden in Handfesseln abgeführt; die Hauptverhandlung wurde unterbrochen.
20
Danach übergab P. die drei von ihm vorbereiteten, auf den 7. April 2005 datierten, sämtlich an das Schöffengericht des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt adressierten Anträge auf Erlass von Haftbefehlen gegen den damaligen Angeklagten A. sowie gegen die damaligen Beschuldigten R. und Ad. ; die Ermittlungsakten gegen R. und Ad. legte er nicht vor. Hinsichtlich des damaligen Angeklagten A. stützte P. den Haftbefehlsantrag auf den dringenden Tatverdacht der Untreue in sechs Fällen und nahm mit Blick auf die Straferwartung und den Verlauf der Hauptverhandlung Flucht- sowie Verdunkelungsgefahr als Haftgründe an. Dem damaligen Beschuldigten R. legte P. Geldwäsche und uneidliche Falschaussage zur Last und führte als Haftgründe ebenfalls Verdunkelungs- sowie Fluchtgefahr an. Gegen die damalige Beschuldig- te Ad. begründete P. den Haftbefehlsantrag damit, dass sie der Geldwäsche dringend verdächtig sei und Verdunkelungsgefahr bestehe.
21
M. nahm die Haftbefehlsanträge zu den Verfahrensakten A. s und vergab – obwohl er keine Zuständigkeit als Ermittlungsrichter hatte – bezüglich der Haftbefehlsanträge gegen R. und Ad. jeweils gesonderte Gs-Aktenzeichen. Sodann fertigte er handschriftlich einen Beschluss, in welchem er die beiden Ermittlungsverfahren gegen R. und Ad. zu dem bei ihm anhängigen Strafverfahren gegen A. zur „gemeinsamen Entscheidung gemäß §§ 2, 4 StPO“ verband. Anschließend erließ M. unter Anführung aller Aktenzeichen einen (einheitlichen ) Haftbefehl gegen A. , R. und Ad. , jedoch jeweils mit gesonderter Begründung. Im Haftbefehl gegen A. begründete er die Verdunkelungsgefahr wegen gewerbsmäßiger Untreue unter anderem mit dessen Beitrag zur Vorlage des rückdatierten Kaufvertrages und seiner wahrheitswidrigen Angabe, dauernd von seiner Ehefrau getrennt zu leben. Im Haftbefehl gegen R. nahm M. dringenden Tatverdacht wegen Geldwäsche in Tateinheit mit Begünstigung sowie wegen uneidlicher Falschaussage an. Als Haftgrund wurde Verdunkelungsgefahr durch seine unwahre Zeugenaussage und die Präsentation des rückdatierten Kaufvertrages in Zusammenwirken mit Ad. angenommen. Im Haftbefehl gegen Ad. – die wenige Minuten nach der Festnahme ihres Ehemannes und seines Verteidigers auf ihrer Arbeitsstelle festgenommen worden war – begründete M. den dringenden Tatverdacht wegen Geldwäsche in Tateinheit mit Begünstigung unter anderem damit, dass sie den bei ihr festgestellten Vermögenszuwachs zwischen 1999 und 2005 in Höhe von etwa 100.000 € nicht selbst erwirtschaftet haben könne, so dass als einzige Erklärung hierfür eine Vermögensverschiebung seitens A. in Betracht komme. Für die angenommene Verdunkelungsgefahr führte M. im Wesentlichen die gleiche Begründung wie bei A. und R. an. Im Hinblick auf die hohen Schadenssummen sei die Anordnung der Untersuchungshaft bei allen Beteiligten auch verhältnismäßig.
22
Am Nachmittag des 7. April 2005 ließ M. nacheinander A. , Ad. und R. vorführen und verkündete – in Anwesenheit P. s – die Haftbefehle. Am 8. April 2005 (Freitag) verhandelte M. Zivilverfahren am Landgericht Frankfurt (Oder). Darüber hinaus ordnete er telefonisch die Durchsuchung der Rechtsanwaltskanzlei von R. an, um den Originalkaufvertrag vom 30. Dezember 2004 aufzufinden. Auch veranlasste er die Übersendung der Haftbefehle und verfügte die Mitteilung der Inhaftierung von R. an die Rechtsanwaltskammer. An diesem Tag legten die Verteidiger von A. , Ad. und R. beim Amtsgericht Eisenhüttenstadt Haftbeschwerden ein, über die Richter am Amtsgericht T. sofort M. fernmündlich unterrichtete; dieser erklärte, er werde erst wieder am 11. April 2005 in Eisenhüttenstadt anwesend sein und die Haftbeschwerden bearbeiten. An diesem Tag verfügte M. , dass den Haftbeschwerden nicht abgeholfen werde; er veranlasste die Fertigung von Aktendoppeln und – ohne besondere Maßnahmen zur Beschleunigung – deren Vorlage über die Staatsanwaltschaft an das Beschwerdegericht, bei dem die Akten am 12. April 2005 eingingen.
23
Der Angeklagte P. hatte den Leitenden Oberstaatsanwalt noch am Abend des 7. April 2005 fernmündlich über die Verhaftung von Rechtsanwalt R. in Kenntnis gesetzt. Der Leitende Oberstaatsanwalt veranlasste aufgrund seiner nach Besprechungen und Überprüfungen gewonnenen Überzeugung von der Nichtigkeit des Verbindungsbeschlusses und der Unzuständigkeit des Angeklagten M. als Ermittlungsrichter den Dezernenten Staatsanwalt B. dazu, R. am 14. April 2005 aus der Haft zu entlassen.
24
M. war hierüber und über B. s korrespondierenden Antrag vom 15. April 2005 auf Aufhebung des Haftbefehls gegen R. empört und beschwerte sich am selben Tag telefonisch beim Leitenden Oberstaatsanwalt. Dieser wies M. s Ansicht, der Verbindungsbeschluss sei zulässig gewesen, ungehalten als geradezu absurd zurück. M.
beschloss noch am 15. April 2005 „in dem Straf- und Ermittlungsverfahren gegen A. , R. und Ad. “ die Aufhebung der Haftbefehle gegen und Ad. , weil sich nach der Haftentlassung von R. der Vollzug der Untersuchungshaft gegenüber den Eheleuten A. als unverhältnismäßig darstelle, und veranlasste deren Haftentlassung. Am 20. April 2005 hob er auch den Haftbefehl gegen R. auf.
25
Am 20. April 2005 fertigte M. zudem einen Vermerk, wonach unmittelbar vor dem Hauptverhandlungstermin am 7. April 2005 zwischen ihm und der Ermittlungsrichterin Pe. eine Zuständigkeitserörterung stattgefunden habe. In diesem Vermerk führte er aus, dass beide die Geschäftsverteilung des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt dahin auslegten, dass er auch für Maßnahmen gegen Dritte, wie z. B. die Ehefrau Ad. und den Verteidiger Rechtsanwalt R. zuständig sei, wenn sich „die Sache“ aus dem Verfahren gegen A. ergebe. Hierüber habe Einigkeit bestanden, und aus diesem Grund hätte Pe. , „deren Zuständigkeit sinngemäß behauptet worden sei“, ein Tätigwerden gegen Ad. undRechtsanwalt R. im Hinblick auf die „unbestrittene“ Zuständigkeit M. s abgelehnt. Die Ermittlungsrichterin Pe. bestätigte in einem gesonderten Vermerk vom 21. April 2005, dass der Inhalt des Vermerks des Angeklagten M. „in vollem Umfang zutreffe“.
26
Nach weiteren, insgesamt 14 Hauptverhandlungstagen verurteilte das Schöffengericht unter dem Vorsitz von M. den damaligen Angeklagten A. wegen gewerbsmäßiger Untreue in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren; zugleich ordnete es an, dass der Pkw BMW dem Verfall unterliege. Im Berufungsverfahren wurde die Gesamtfreiheitsstrafe auf drei Jahre und drei Monate herabgesetzt; die Verfallsentscheidung kam in Wegfall; zudem wurden wegen „überlanger“ Verfahrensdauer ein Jahr und drei Monate der Strafe als vollstreckt erkannt. Das Berufungsgericht vermochte eine gewerbsmäßige Handlungsweise A. s nicht nachzuweisen. Über die von A. gegen das Berufungsurteil eingelegte Revision ist noch nicht entschieden worden.
27
2. Das Landgericht hat die Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Die von ihnen begangenen Verfahrensfehler erfüllten nicht den Tatbestand der Rechtsbeugung (§ 339 StGB); wegen der Sperrwirkung dieses Tatbestandes scheide auch eine Verurteilung wegen schwerer Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 3 Nr. 1 StGB) aus.
28
a) Die Strafkammer hat bei der Prüfung des Rechtsbeugungstatbestandes beim Angeklagten M. eine Vielzahl möglicher, von ihm begangener Verfahrensfehler erörtert.
29
Die ihm vorzuwerfenden Verfahrensfehler wögen jedoch im Rahmen einer Gesamtwürdigung nicht so schwer, dass es gerechtfertigt wäre, sein Verhalten als bewusste und gewollte schwerwiegende Entfernung von Recht und Gesetz mit der konkreten Gefahr eines unrechtmäßigen Nachteils für die betroffenen Parteien zu werten.
30
aa) Sowohl M. – als auch der Richterin am Amtsgericht Pe. – sei bei der Zuständigkeitserörterung vor dem Hauptverhandlungstermin am 7. April 2005 klar gewesen, dass M. beim Amtsgericht Eisenhüttenstadt nur noch für das Verfahren gegen A. zuständig gewesen sei und er keine über dieses Verfahren hinausgehende Zuständigkeit als Ermittlungsrichter besessen habe (UA S. 47). Die durch die Verfahrensver- bindung bewirkte „künstliche“ und willkürliche Zuständigkeitsbegründung für die Ermittlungsverfahren gegen R. und Ad. sei der am schwersten wiegende Anhaltspunkt für eine sachwidrige Motivation M. s; der Verstoß stelle eine bewusste Missachtung der grundgesetzlich geschützten Garantie des gesetzlichen Richters dar (UA S. 76). Hinzu komme , dass M. über keine Ermittlungsakten und damit keine gesicherte Tatsachengrundlagen verfügt habe, wodurch sich eine konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung zum Nachteil der Beteiligten eröffnet habe. Dies werde aber dadurch relativiert, dass das bei M. anhängige Strafverfahren sehr eng mit den Ermittlungsverfahren verknüpft war und ihm eine umfassende Kenntnis der Umstände ermöglichte, die für die Prüfung eines Tatverdachts gegen die Beschuldigten R. und Ad. notwendig waren.
31
bb) Als weitere Indizien für eine sachwidrige Motivation sprächen die Begründung, mit der M. den Haftbefehl gegen A. aufgehoben habe, und seine sich nicht lediglich auf eine richterliche, neutral hoheitliche Tätigkeit beschränkende, sondern insbesondere an der Vorbereitung und Durchführung von Durchsuchungsmaßnahmen orientierende Beteiligung an Ermittlungsmaßnahmen.
32
cc) Gegen eine sachwidrige Motivation M. s spreche aber, dass die materiellen Voraussetzungen für den Erlass der Haftbefehle erfüllt gewesen seien. Zwar hätte die zuständige Ermittlungsrichterin die Haftbefehle gegen R. und Ad. wegen fehlender Aktenvorlage nicht erlassen können. Die Strafkammer habe sich durch Vernehmung der Zeugin Pe. aber davon überzeugt, „dass diese aufgrund der überlegenen Kenntnis des Angeklagten M. geneigt war, dessen Vorschläge und Anordnungen ohne eigene inhaltliche Überprüfung zu akzeptieren, wie der von ihr unterzeichnete Vermerk betreffend die Zuständigkeiten vom 20. April 2005“ zeige (UA S. 79).
33
dd) Gegen eine sachwidrige Motivation spreche ferner der Fortgang der Verfahren gegen die Beteiligten, die Art und Weise der Verhandlungsführung im Strafverfahren gegen A. im Übrigen und die fernmündliche Beschwerde des Angeklagten M. über die Freilassung von R. gegenüber dem Leitenden Oberstaatsanwalt. In letzterem Umstand sei ein Indiz gegen sachwidrige Motive zu sehen, weil es nach der Lebenserfahrung unwahrscheinlich sei, dass sich jemand, der sich zu seinem Handeln nicht berechtigt fühle, selbst an die Staatsanwaltschaft wende, um auf ein eigenes Fehlverhalten aufmerksam zu machen und so Ermittlungen gegen sich selbst herbeizuführen.
34
ee) Angesichts der Verhandlungsführung des Angeklagten M. sei es durchaus möglich, dass die von ihm begangenen Fehler teilweise auf Ungeschicklichkeit und mangelnde Beherrschung der Situation zurückzuführen seien. Es sei ihm zugute zu halten, dass er als alleiniger Berufsrichter mit mangelhaften Ermittlungen, einer äußerst schwierigen Prozesssituation mit kompliziertem Prozessstoff und wenig kooperativen Verteidigern konfrontiert war, die ihn fortlaufend attackierten (UA S. 80). Ausreichende Anhaltspunkte für eine sachwidrige Motivation M. s lägen im Ergebnis nicht vor.
35
b) Hinsichtlich des Angeklagten P. hat die Strafkammerebenfalls mögliche, von ihm begangene Verfahrensfehler geprüft. Im Rahmen der Gesamtwürdigung seines Verhaltens wertet das Landgericht die fehlende interne Zuständigkeit bezüglich der Ermittlungsverfahren gegen R. und Ad. und die Stellung der gegen sie gerichteten Haftbefehlsanträge als „massive Einwirkung“ auf die Ermittlungsverfahren, die ein „bedeutungsschweres“ Indiz für eine sachwidrige Motivation darstelle. Gleichwohl sei da- rin kein derart schwerwiegender Verstoß zu sehen, weil es kein Grundrecht auf einen gesetzlichen Staatsanwalt gebe. Dass M. nicht mehr Ermittlungsrichter war, habe er nicht gewusst. Weil die Beantragung der Haftbefehle und deren Erlass vertretbar, wenn auch nicht zweckmäßig erschienen , sei ein Handeln des Angeklagten P. aus sachfremden Erwägungen nicht gegeben.

II.


36
Während das freisprechende Urteil hinsichtlich des Angeklagten P. keinen Rechtsfehler erkennen lässt, hält es, soweit es den Angeklagten M. betrifft, sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
37
1. Zum Angeklagten M.
38
Die Strafkammer hat ihrer Bewertung des Verhaltens des angeklagten Richters im Ausgangspunkt den zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt. Jedoch begegnet ihre Beweiswürdigung in einem für die Subsumtion wesentlichen Punkt durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
39
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll der Straftatbestand der Rechtsbeugung den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege unter Strafe stellen. Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung stellt eine Beugung des Rechts im Sinne des § 339 StGB dar; vielmehr enthält dieses Tatbestandsmerkmal ein normatives Element. Erfasst werden nur solche Rechtsverstöße, bei denen sich der Täter bewusst und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 23. Mai 1984 – 3 StR 102/84, BGHSt 32, 357, vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, vom 5. Dezember 1996 – 1StR 376/96, BGHSt 42, 343, und vom 29. Oktober 2010 – 4 StR 97/09, NStZ-RR 2010, 310). Rechtsbeugung kann auch durch die Verletzung von Verfahrens- und Zuständigkeitsvorschriften begangen werden. Erforderlich ist jedoch insoweit, dass durch die Verfahrensverletzung die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer Partei begründet wurde, ohne dass allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muss (BGH, Urteile vom 5. Dezember 1996 – 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343, und vom 20. September 2000 – 2 StR 276/00, BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 6; Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09 – in dieser Sache –, StV 2011, 463).
40
b) Nach diesen Grundsätzen ist es zunächst nicht zu beanstanden, dass das Landgericht den Inhalt der erlassenen Haftbefehle als Anknüpfungspunkt für den Rechtsbeugungsvorwurf ausgeschlossen hat. Zutreffend geht das Urteil davon aus, dass der Erlass der Haftbefehle gegen den damaligen Angeklagten A. sowie die Beschuldigten R. und Ad. gemessen am Maßstab der §§ 112, 114 StPO inhaltlich vertretbar war. Näherer Erörterung bedürfen insoweit nur die Annahme des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) sowie die Frage der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 112 Abs. 1 Satz 2 StPO.
41
aa) Rechtsfehlerfrei stellt die Strafkammer hinsichtlich A. zunächst darauf ab, dass die Höhe der fehlenden Gelder sowie deren Verteilung auf die einzelnen Nachlässe wegen der unzureichenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen noch unklar waren und erst mit Hilfe von Sachverständigen aufgeklärt werden mussten, „die Wege der veruntreuten Gelder noch offen“ waren und darüber hinaus zu klären war, ob der einstweilen be- schlagnahmte hochpreisige Pkw BMW dem Verfall unterliege.
42
Wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat, ist auch die Annahme des Angeklagten nicht zu beanstanden, dass es sich bei den zwischen Ad. und dem mit ihrem Ehemann A. eng befreundeten Rechtsanwalt R. geschlossenen Verträgen vom 15. Februar 2001 über ein durch Ad. gewährtes Darlehen von 85.000 DM und den Teilerlass des Rückzahlungsanspruchs für jeden Monat der Nutzung des Pkw BMW durch Ad. sowie bei dem dieses Fahrzeug betreffenden Kaufvertrag vom 30. Dezember 2004 um Scheinverträge handele, die nur dem Zweck der Verschleierung der Herkunft des für die Anschaffung des Pkw aufgewendeten Geldes dienten. Die weitere Annahme, dass der mit R. eng befreundete A. an der Planung und Durchführung dieser Verschleierungsmaßnahmen beteiligt war, ist angesichts des gegen ihn bestehenden Verdachts der Veruntreuung von Nachlassgeldern, durch die unter anderem der fragliche Pkw finanziert worden sein könnte, bei der im Rahmen des § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO zu treffenden Prognoseentscheidung ebenfalls vertretbar. Vor dem aufgezeigten Hintergrund war es trotz der zwischenzeitlich aufgrund der Durchsuchung der Kanzleiräume von R. erfolgten Beweissicherung auch vertretbar anzunehmen, dass A. , der nach den Feststellungen bereits unwahre Angaben im Rahmen eines Prozesskosten- hilfegesuchs über ein angebliches Getrenntleben von seiner Ehefrau gemacht hatte, mit hoher Wahrscheinlichkeit (weitere) Verdunkelungshandlungen durchführen werde, um das Beweisergebnis zu seinen Gunsten zu verändern. Angesichts der A. zur Last liegenden Untreuehandlungen mit einer Gesamtschadenssumme von mehreren Hunderttausend Euro ist auch gegen die Verhältnismäßigkeit des Haftbefehls nichts Durchgreifendes zu erinnern.
43
bb) Auch die Annahme eines gegen den damaligen Beschuldigten R. bestehenden dringenden Tatverdachts der Geldwäsche in Tateinheit mit Begünstigung ist nicht zu beanstanden. Zutreffend weist das Landgericht darauf hin, dass aufgrund der in der Hauptverhandlung festgestellten Einkommensverhältnisse der Eheleute A. eine sehr hohe Verdachtslage dahingehend bestand, dass Zuwendungen an R. (bzw. über ihn umgeleitete Aufwendungen für die Anschaffung des Pkw BMW) in Höhe von zumindest 70.000 DM aus veruntreutem Nachlassvermögen herrührten. Die Annahme von Verdunkelungsgefahr ist aus den bereits dargelegten Gründen auch hinsichtlich des Rechtsanwalts R. vertretbar; der Angeklagte M. ging, wie das Landgericht ohne Rechtsfehler festgestellt hat, aufgrund einer verständigen Würdigung der Beweislage davon aus, dass R. zur Verschleierung der die seinerzeit verfahrensgegenständlichen Nachlassgelder betreffenden Geldflüsse einen rückdatierten Kaufvertrag erstellt und im Rahmen seiner Zeugenvernehmung vorgelegt habe. Aufgrund dieser Umstände ist es fern von Willkür, wenn der Angeklagte M. vom Vorliegen dringender Gründe für die Gefahr von Verdunkelungshandlungen ausgegangen ist. Angesichts des oben näher dargelegten Aufklärungsbedarfs gilt dies auch in Ansehung der Tatsache, dass R. der auch gegen ihn bestehende Verdacht seit längerem bekannt war und eine weitgehende Beweissicherung bereits stattgefunden hatte. Insbesondere lag die Gefahr einer Anfertigung weiterer falscher Beweismittel zur Verschleierung der noch nicht aufgeklärten Geldflüsse nicht ganz fern. Dass der Angeklagte M. vom Erlass des Haftbefehls nicht wegen Unverhältnismä- ßigkeit gemäß § 112 Abs. 1 Satz 2 StPO abgesehen hat, führt – wenngleich insoweit auch eine andere Bewertung nahe gelegen hätte – angesichts des Gewichts der in Rede stehenden Geldwäschehandlung jedenfalls nicht zur Unvertretbarkeit der getroffenen Entscheidung.
44
cc) Ohne Rechtsverstoß konnte der Angeklagte M. schließlich einen dringenden Tatverdacht der Geldwäsche gegen Ad. annehmen. Dieser ließ sich in Anbetracht des geringen Einkommens der damaligen Beschuldigten Ad. ohne weiteres aus dem vorläufigen Ergebnis der Vermögenszuwachsberechnung und aus der angeblichen Darlehensgewährung an R. herleiten. Wie bei Rechtsanwalt R. konnte aus der Mitwirkung an der Erstellung eines falschen Beweismittels in vertretbarer Weise auf Verdunkelungsgefahr geschlossen werden; angesichts der aufzuklärenden Geldflüsse und der noch in Frage stehenden Eignung des Pkw BMW als Verfallsgegenstand war es keinesfalls abwegig, vom Fortbestehen der Verdunkelungsgefahr auszugehen. Zwar sprach in Bezug auf Ad. viel gegen die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft, namentlich der Umstand , dass sie ein Kleinkind zu versorgen hatte und sowohl im Rahmen der Tatausführung als auch bei der Planung der Verdunkelungsmaßnahmen eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben dürfte. Dies lässt den Erlass des Haftbefehls angesichts der Erheblichkeit des Tatvorwurfs und in Anbetracht des im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung anzulegenden Maßstabs (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 112 Rn. 8) jedoch noch nicht als gänzlich unvertretbar erscheinen.
45
dd) Ein für den Rechtsbeugungsvorwurf erforderlicher elementarer Verstoß gegen die Rechtspflege kommt somit allein aufgrund des Inhalts der Haftbefehle nicht in Betracht.
46
c) Indessen war der Erlass der Haftbefehle gegenR. und Ad. evident verfahrensfehlerhaft, weil der Angeklagte M. für die Entscheidung über die in dem gegen diese Beschuldigten geführten Ermitt- lungsverfahren gestellten Haftanträge unzuständig war. Nach der Geschäftsverteilung des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt war der Angeklagte M. ab dem 14. Februar 2005 nur noch für das vor dem Schöffengericht anhängige Verfahren gegen A. zuständig. Die Aufgaben des – mangels anderweitiger Bestimmung im Geschäftsverteilungsplan auch für Haftentscheidungen gemäß § 125 StPO zuständigen – Ermittlungsrichters waren, unterteilt nach Kalenderwochen, zwei anderen Richtern übertragen. Ein Vertretungsfall – in dem der Angeklagte M. zudem nicht der als nächster zuständige Richter gewesen wäre – lag zum Zeitpunkt des Erlasses der Haftbefehle nicht vor, da die in dieser Woche zuständige Richterin am Amtsgericht Pe. zugegen war. Für eine Verfahrensverbindung der im alleinigen Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft stehenden Ermittlungsverfahren mit dem beim Schöffengericht anhängigen Verfahren bot § 4 StPO keine Grundlage. Vor diesem Hintergrund ließ sich eine Zuständigkeit des Angeklagten M. für die R. und Ad. betreffenden Haftentscheidungen unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt begründen (vgl. hierzu die in dieser Sache ergangene Senatsentscheidung vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09, StV 2011, 463). Wenngleich das Landgericht diesen Verfahrensverstoß im Grundsatz richtig erkannt hat, hat es ihn jedoch aufgrund einer unzulänglichen Beweiswürdigung im Rahmen der Prüfung des Rechtsbeugungstatbestandes nicht zutreffend bewertet.
47
aa) Die bei einem Verstoß gegen Verfahrensrecht für den Rechtsbeugungstatbestand notwendige konkrete Gefahr einer „falschen“ Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer Partei ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Richter aus sachfremden Erwägungen die Zuständigkeit an sich zieht, um zu Gunsten oder zu Lasten einer Prozesspartei eine von ihm gewünschte Entscheidung herbeizuführen, die bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften voraussichtlich nicht zu erreichen gewesen wäre (BGH, Urteile vom 5. Dezember 1996 – 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343, vom 20. September 2000 – 2StR 276/00, BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 6, und vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 97/09, NStZ-RR 2010, 310). Diese Voraussetzungen sind bereits dann als erfüllt anzusehen, wenn eine in mit sachwidriger Motivation angemaßter Zuständigkeit getroffene Entscheidung vom zuständigen Richter aufgrund abweichender Sachverhaltseinschätzung, anderer Bewertung eines Beurteilungsspielraums oder abweichender Ermessensausübung anders hätte getroffen werden können, wie der unzuständige Richter weiß.
48
bb) Die beweiswürdigenden Erwägungen des Landgerichts zu der danach maßgeblichen Frage nach dem Vorliegen sachfremder Motive für die fehlerhafte Zuständigkeitsbegründung durch den Angeklagten M. enthalten einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten.
49
Kann das Tatgericht die erforderliche Gewissheit von einem bestimmten Sachverhalt nicht gewinnen und spricht es daher den Angeklagten frei, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Eine Beweiswürdigung ist aber etwa dann rechtsfehlerhaft , wenn sie von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert oder nur eine von mehreren gleich nahe liegenden Möglichkeiten erörtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind. Dies ist auch dann der Fall, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerung nicht gezogen ist, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen könnten. Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen , für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteile vom 11. Januar 2005 – 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147, vom 7. November 2012 – 5 StR 322/12 und vom 13. Dezember 2012 – 4 StR 33/12, jeweils mwN).
50
An diesen Anforderungen scheitern die Erwägungen des Landgerichts. Die Strafkammer wertet das Vorgehen des Angeklagten M. vor dem Hintergrund der Verbindung einer Haftentscheidung in dem bei ihm anhängigen Strafverfahren mit Haftentscheidungen in Ermittlungsverfahren gegen R. und Ad. als willkürliche Zuständigkeitsbegründung; hierin sieht sie konsequenterweise einen schwerwiegenden Anhaltspunkt für eine sachwidrige Motivation des Angeklagten. Zur Entlastung des Angeklagten M. führt die Strafkammer jedoch aus, sie habe sich bei der Vernehmung der Zeugin Pe. davon überzeugt, „dass diese aufgrund der überlegenen Kenntnis des Angeklagten M. geneigt war, dessen Vorschläge und Anordnungen ohne eigene inhaltliche Prüfung zu akzeptieren, wie der von ihr unterzeichnete Vermerk betreffend die Zuständigkeit vom 20. April 2005 zeigt“. Angesichts dessen habe sie nicht feststellen können, „dass der AngeklagteM. beim Erlass der Haftbefehle gegen R. und Ad. gerade deshalb selbst gehandelt hat, um die zuständige Ermittlungsrichterin Pe. , die möglicherweise anders entschieden hätte, von der Entscheidung auszuschließen“ (UA S. 79).
51
Indem sich das Landgericht mit diesen Erwägungen an der Feststellung des Vorliegens sachfremder Motive des Angeklagten M. gehindert gesehen hat, hat es in unzulässiger Weise einen Sachverhalt zu Gunsten des Angeklagten unterstellt. Wenngleich bei mehreren nach den gesamten Umständen in Betracht kommenden Möglichkeiten grundsätzlich von der für den Angeklagten günstigeren auszugehen ist, sind andererseits nicht alle nur denkbaren Gesichtspunkte, zu denen keine Feststellungen getroffen werden können, zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen. Vielmehr berechtigen nur vernünftige Zweifel, die reale Anknüpfungspunkte haben, den Tatrichter zu Unterstellungen zu Gunsten des Angeklagten. Die Urteilsgründe müssen daher erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Grundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist (BGH, Urteil vom 11. April 2002 – 4 StR 585/01, NStZ-RR 2002, 243 mwN; vgl. ferner BGH, Urteil vom 13. Dezember 2012 – 4 StR 177/12, NStZ-RR 2013, 117).
52
Hieran fehlt es in Bezug auf die für die Schlussfolgerung des Landgerichts grundlegende Annahme, die Richterin am Amtsgericht Pe. sei geneigt gewesen, ohne eigene inhaltliche Prüfung die Vorschläge und Anordnungen des Angeklagten M. zu akzeptieren. Konkrete Anhaltspunkte, die geeignet wären, die Richtigkeit dieser Vermutung zu belegen, sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Insbesondere kann eine derart weitreichende Unterstellung – eine Richterin werde ohne Aktenkenntnis und ohne eigene Prüfung allein aufgrund der Anweisungen eines Kollegen Haftbefehle erlassen – nicht allein aus dem insoweit seitens der Strafkammer zur Begründung herangezogenen Umstand hergeleitet werden, dass die Ermittlungsrichterin Pe. in Kenntnis der Rechtslage (vgl. UA S. 47) den eine falsche Rechtsauffassung über die Zuständigkeit des Angeklagten M. für die Haftentscheidungen betreffenden Vermerk vom 20. April 2005 bestätigt hat. Hierdurch hat sie zwar nach den Urteilsfeststellungen den Angeklagten bei dessen Zuständigkeitsanmaßung unterstützt. Dies hat indessen bei weitem nicht die gleiche Qualität wie der Erlass von Haftbefehlen durch eine Richterin, die deren Voraussetzungen selbst gar nicht geprüft hat. Während es der Richterin aus verschiedenen denkbaren Gründen gelegen gekommen sein mag, die in Rede stehenden Haftentscheidungen nicht selbst zu treffen, sondern dem Angeklagten M. zu überlassen, bleibt nach den Urteilsfeststellungen unerfindlich, weshalb sie, wenn sie selbst hätte entscheiden müssen, hierbei ohne eigene Sachprüfung ausschließlich nach Vorgaben des Angeklagten M. hätte handeln sollen.
53
Im Übrigen hätte die Strafkammer in diesem Zusammenhang kritisch erwägen müssen, dass der Angeklagte M. nach den Urteilsfeststellungen (UA S. 47) wider besseres Wissen einen seine Zuständigkeit mit rechtlichen Erwägungen herleitenden Vermerk angefertigt und durch die von ihm beschlossene Verfahrensverbindung die „künstliche Begründung einer Zuständigkeit“ (UA S. 76) geschaffen hat, was für sich gegen eine Verneinung sachfremder Motive spricht.
54
cc) Hinzu tritt hier, dass sich aufgrund im Urteil festgestellter konkreter Hinweise die Möglichkeit aufdrängte, dem Angeklagten könnte es – auch neben einer Ausschließung der tatsächlich zuständigen Richterin – darum gegangen sein, durch die Verhaftung des Rechtsanwalts R. in öffentlicher Verhandlung einen wirkungsvollen Effekt zu erzielen und die Verfahrensbeteiligten zudem durch sein Vorgehen in besonderer Weise einzuschüchtern. Für diese Möglichkeit sprechen jedenfalls die Umstände der Verhaftung des Nebenklägers R. während seiner Zeugeneinvernahme, die vor Beantragung und Erlass des Haftbefehls und ohne eine Bezugnahme auf eine anderweitige Rechtsgrundlage (etwa – den in der Sache freilich fernliegenden – § 183 Satz 2 GVG) erfolgte und sich auch in ihren Begleitumständen des Bestehens auf einer Fesselung und in der sofortigen Veranlassung der Festnahme von Ad. als effektheischende öffentliche Machtdemonstration darstellte. Dieser Gesichtspunkt ist indessen in der Beweiswürdigung des Landgerichts zur Frage sachfremder Motive nicht aufgegriffen worden, so dass die Beweiswürdigung auch wegen der fehlenden Erörterung dieser nahe liegenden Möglichkeit lückenhaft ist.
55
Auch dieser Beweiswürdigungsmangel wirkt sich entscheidend auf die rechtliche Bewertung des Verhaltens des Angeklagten M. aus. Die von der Strafkammer rechtsfehlerhaft nicht in Betracht gezogene – auf Öffentlichkeitswirksamkeit und Einschüchterung abzielende – Motivlage würde einen sachfremden Beweggrund für die festgestellte Zuständigkeitsanmaßung darstellen, der befürchten ließe, dass die jeweils im Rahmen eines Beurteilungsspielraums zu treffenden Haftentscheidungen ihrerseits von sachfremden Entscheidungen beeinflusst waren. Bereits hierin würde ein Nachteil für die von den Haftentscheidungen Betroffenen liegen, ohne dass es noch darauf ankäme, ob die schließlich getroffene Entscheidung in der Sache rechtlich vertretbar war (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1996 – 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343).
56
d) Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Freispruchs des Angeklagten M. mit den zugehörigen Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts. Eine – von der Generalstaatsanwaltschaft in Brandenburg angeregte – Entscheidung des Revisionsgerichts über den Schuldspruch scheidet schon deshalb aus, weil die Frage des Vorliegens sachfremder Motive für die durch den Angeklagten begangene Zuständigkeitsanmaßung der erneuten tatgerichtlichen Prüfung bedarf. Auch eine Aufrechterhaltung von Feststellungen kommt von vornherein nicht in Betracht, weil es dem Angeklagten verwehrt war, die ihn belastenden Feststellungen revisionsrechtlich anzugreifen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 2012 – 5 StR 536/11, NJW 2012, 2453).
57
Dies gilt namentlich für die die Grundlage der weiteren Prüfung bildende Feststellung, der Angeklagte habe seine Unzuständigkeit für den Erlass der Haftbefehle erkannt und sich nicht etwa tatsächlich entsprechend der in dem Vermerk vom 20. April 2005 niedergelegten Rechtsauffassung für zuständig gehalten. Diese Frage wird Schwerpunkt der neuen Hauptverhandlung sein.
58
e) Für diese weist der Senat auf Folgendes hin:
59
aa) Die Argumentation des Landgerichts, gegen eine sachwidrige Motivation spreche, dass der Angeklagte sich fernmündlich beim Leitenden Oberstaatsanwalt über die Freilassung von R. beschwert habe (UA S. 80), ist zweifelhaft. Die Erwägung, dies deute darauf hin, dass M. sich zu seinem Handeln berechtigt fühlte, steht in einem Spannungsverhältnis zu der Feststellung, er habe um seine Unzuständigkeit für die Haftentscheidungen gewusst. Zudem zieht das Landgericht nicht in Betracht, dass die „Beschwerde“ über die Freilassung auch darin begründet gewesen sein kann, dass der Angeklagte M. , der sich womöglich durch die von der Staatsanwaltschaft verfügte Haftentlassung bereits dem Vorwurf rechtswidrigen Handelns ausgesetzt sah, nur den Eindruck erwecken wollte, von der Rechtmäßigkeit seines Vorgehens überzeugt zu sein.
60
bb) Hingegen sind weitere vom Landgericht festgestellte (vermeintliche ) Verfahrensverstöße von vornherein nicht geeignet, den Rechtsbeugungsvorwurf zu begründen, da sie jedenfalls nicht das hierfür erforderliche Gewicht aufweisen.
61
(1) Hinsichtlich des Haftbefehls gegen A. liegt eine – zumal gravierende – Verletzung des § 29 Abs. 1 StPO nicht vor (vgl. auch BGH, Beschluss vom 3. April 2003 – 4 StR 506/02, BGHSt 48, 264). Der Unaufschiebbarkeit einer Handlung im Sinne des § 29 Abs. 1 StPO steht die Erreichbarkeit eines Vertreters nicht entgegen; ist die Handlung unaufschiebbar , stellt dies vielmehr eine Ausnahme vom Ausschlussgrund des § 29 Abs. 1 StPO dar, so dass ein Vertretungsfall gerade nicht gegeben ist.
62
(2) Der beschlossenen Verbindung kommt jenseits der Indizwirkung im Rahmen der Zuständigkeitsanmaßung für den Rechtsbeugungsvorwurf keine eigenständige Bedeutung zu. Hierdurch drohte den Betroffenen für sich kein konkreter Nachteil. Der Angeklagte hat sowohl Ad. als auch R. in dem nach der Verbindung stattfindenden Hauptverhandlungstermin vom 14. April 2005 als Zeugen vernommen und nicht etwa als Beschuldigte oder gar als Angeklagte des laufenden Verfahrens vor dem Schöffengericht behandelt. Den Verbindungsbeschluss hat er schließlich am 29. April 2005 mit der Begründung aufgehoben, die Verbindung sei nach Aufhebung des Haftbefehls gegenstandslos.
63
(3) Auch die richterlichen Handlungen des Angeklagten M. im Zusammenhang mit den Durchsuchungen der Kanzleiräume des Rechtsanwalts R. scheiden als Anknüpfungspunkt für den Vorwurf der Rechts- beugung jedenfalls mangels der hierfür erforderlichen Schwere des Verstoßes aus. Eine Zuständigkeitsanmaßung liegt auch hinsichtlich der zweiten Durchsuchungsanordnung nicht vor, da die zu suchenden Beweismittel gerade auch in dem von M. geführten Verfahren gegen A. Bedeutung erlangen konnten, so dass der Angeklagte als Vorsitzender des Schöffengerichts in diesem Verfahren Durchsuchungen gemäß §§ 102, 103 StPO anordnen konnte.
64
(4) Das – auch vom Landgericht nicht als Verfahrensverstoß gewertete – Unterlassen einer Bearbeitung der Haftbeschwerden schon am 8. April 2005, an dem sich der Angeklagte M. zur Verhandlung von Zivilverfahren in Frankfurt (Oder) befand, kann jedenfalls nicht als elementarer Verstoß gegen die Rechtspflege gewertet werden. Der Angeklagte hat die Beschwerden innerhalb der Dreitagesfrist des § 306 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO weitergeleitet. Insoweit liegt jedenfalls die Annahme eines schwerwiegenden Rechtsverstoßes – ohne das Hinzutreten weiterer Umstände – fern (vgl. auch BGH, Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105).
65
2. Zum Angeklagten P.
66
Zu Recht hat das Landgericht auf Grundlage der insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen eine Strafbarkeit des Angeklagten P. nach § 339 StGB, gegebenenfalls i.V.m. § 25 Abs. 2, §§ 26 oder 27 StGB verneint.
67
a) Die Stellung der Haftbefehlsanträge war materiell-rechtlich vertretbar und kann somit im Hinblick auf ihren Inhalt nicht als Beugung des Rechts gewertet werden. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Begründung der Anträge in jeder Hinsicht tragfähig war. Weder eine unzulängliche noch eine in Teilen fernliegende Antragsbegründung – wie etwa die Annahme von Fluchtgefahr bei Rechtsanwalt R. – vermögen für sich genommen einen elementaren Rechtsverstoß im Sinne des § 339 StGB zu begründen, wenn die beantragten gerichtlichen Maßnahmen – wie hier – im Ergebnis vertretbar waren und auch die Antragstellung als solche nicht gegen Verfahrensvorschriften verstieß; denn die Antragsbegründung selbst entfaltet keinerlei Außenwirkung und vermag somit allein keinen mit dem Recht unvereinbaren Zustand zu schaffen.
68
b) Zwar käme grundsätzlich eine Beteiligung des AngeklagtenP. an der willkürlichen Zuständigkeitsbegründung des Angeklagten M. im Hinblick darauf in Betracht, dass P. die Ad. und R. betreffenden schriftlichen Haftbefehlsanträge durch persönliche Übergabe beim Angeklagten M. gestellt hat, obwohl dieser zur Entscheidung über diese Anträge unzuständig war. Das Landgericht hat sich jedoch nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte P. die erst mit Wirkung zum 14. Februar 2005 beschlossene Änderung des Geschäftsverteilungsplans kannte und daher wusste, dass M. nicht mehr als Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt für Haftentscheidungen zuständig war. Die dem zugrunde liegende Beweiswürdigung ist jedenfalls vor dem Hintergrund, dass M. im laufenden Geschäftsjahr noch als Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt zuständig gewesen war, vertretbar und vom Revisionsgericht hinzunehmen. Wenn aber P. von einer Zuständigkeit des Angeklagten M. für die Haftentscheidungen ausging , scheidet eine strafbare Beteiligung an dem von M. begangenen Verfahrensverstoß aus.
69
Die Adressierung auch der R. und Ad. betreffenden An- träge an das „Schöffengericht des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt“ führt – unabhängig von der vom Landgericht nicht näher gewürdigten Einlassung P. s, er habe bei der Erstellung der Anträge am PC versehentlich die vorher für den A. betreffenden Antrag verwendete Maske benutzt – jedenfalls vor dem Hintergrund, dass diese außerhalb der Hauptverhandlung gestellt wurden, zu keiner anderen Bewertung. Der für außerhalb der Hauptverhandlung zu treffende Entscheidungen des Schöffengerichts allein zu- ständige Angeklagte M. war nach Vorstellung des Angeklagten P. , wie zu dessen Gunsten zu unterstellen ist, mit dem zuständigen Ermittlungsrichter personenidentisch, so dass die Falschadressierung – hiervon ausgehend – nicht zu einer Verletzung von Zuständigkeitsvorschriften führen konnte.
70
c) Ein in der Stellung der Haftbefehlsanträge liegender Verstoß gegen die interne staatsanwaltschaftliche Zuständigkeitsverteilung kann ohne das Hinzutreten weiterer sich hieraus ergebender Rechtsverstöße keine Beugung des Rechts darstellen. Die Ermittlungsverfahren gegen R. und Ad. wurden aufgrund einer bestehenden örtlichen Zuständigkeit bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) geführt. Als dieser Behörde angehörender Oberstaatsanwalt war der Angeklagte P. nach außen hin befugt, die Haftbefehlsanträge zu stellen. Die Zuwiderhandlung gegen die innerhalb seiner Behörde geltenden Zuständigkeitsabgrenzungen bewirkt – unabhängig von der Frage nach dem Vorliegen einer beamtenrechtlich relevanten Dienstpflichtverletzung – keine Verletzung materiellen oder prozessualen Rechts.
71
d) Selbst wenn nachzuweisen sein sollte, dass der Mitangeklagte M. sich maßgeblich aus dem Motiv einer öffentlichkeitswirksamen Aktion zu den Verhaftungen entschlossen und P. dies durchschaut und mit seinen Anträgen unterstützt hätte, bietet dies auf der gleichwohl rechtsfehlerfrei angenommenen Grundlage materieller Vertretbarkeit der Haftentscheidungen und Unkenntnis P. s von M. s Zuständigkeitsanmaßung keinen hinreichenden Anhalt für eine strafbare Handlung P. s.
Basdorf Raum Schneider
Dölp Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 253/16
vom
21. Dezember 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Erpressung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:211216U1STR253.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Dezember 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Prof. Dr. Mosbacher, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer und der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Bär,
Staatsanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt , Rechtsanwalt und
als Verteidiger,
Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird
a) das Urteil des Landgerichts München I vom 12. August 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben , soweit der Angeklagte im Fall C I 2. e der Urteilsgründe (Fall II. 5 der Anklage) freigesprochen worden ist;
b) das Verfahren im Fall C I 3. a der Urteilsgründe (Fall III. 1 der Anklage) hinsichtlich des Tatvorwurfs der Beleidigung unter Aufhebung des in diesem Fall erfolgten Freispruchs eingestellt.
2. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft gegen das vorbenannte Urteil wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht – Strafrichter – München zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Erpressung in 19 Fällen und der versuchten Erpressung in neun Fällen sowie vom Vorwurf der Beleidigung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, mit der sie zwei Verfahrensrügen und die näher ausgeführte Sachrüge erhebt. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel erzielt nur den aus dem Tenor ersichtlichen geringfügigen Teilerfolg.

I.

2
Dem Angeklagten liegt gemäß der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage Folgendes zur Last:
3
Zwischen dem 12. Februar 2008 und dem 19. Juni 2012 soll der Ange- klagte im Rahmen seiner Tätigkeit für die Firma „P. KG“ in B. und im Raum M. von 28 Autofahrern, die auf Privatgrundstücken trotz entsprechender Beschilderung überwiegend unberechtigt geparkt hätten, die Zahlung von Beträgen zwischen 80 und 352 Euro gefordert haben, verbunden mit der Drohung, ansonsten eine am Kfz angebrachte Parkkralle nicht zu entfernen , einen bereits eingeleiteten Abschleppvorgang bezüglich des Kfz fortzusetzen oder den Standort eines bereits abgeschleppten Kfz nicht preiszugeben. Dabei habe er gewusst, dass er jedenfalls auf einen Teil der eingeforderten Beträge keinen Anspruch gehabt habe. In 19 Fällen sei es aufgrund der Drohungen zu in dieser Höhe unberechtigten Zahlungen der Kfz-Besitzer zwischen 80 und 352 Euro gekommen, in weiteren neun Fällen sei die Zahlung entsprechend geforderter Beträge ausgeblieben, weil die Kfz-Besitzer dies verweigert hätten, wobei in einem dieser Fälle ein Schuldanerkenntnis abgegeben worden sei. Zudem habe der Angeklagte einen Kfz-Besitzer, der im Rahmen eines solchen Geschehens ihm gegenüber tätlich geworden sei, beleidigt.

II.

4
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
5
a) Der Angeklagte ist seit dem Jahr 2007 vertretungsberechtigter Komplementär der Fa. P. KG, deren Zweck die Beseitigung von Besitzstörungen auf Privatgrundstücken ist. Zwischen den Jahren 2008 und 2012 bot er über diese Firma Supermarktbetreibern, Krankenhäusern und Hausverwaltungen an, auf deren Grundstücken unberechtigt parkende Kraftfahrzeuge kostenneutral zu entfernen. Grundlage seiner Tätigkeit war ein Rahmenvertrag mit den berechtigten Grundstücksnutzern, in dem sich die P. KG bezüglich bestimmter Parkflächen verpflichtete, dort unberechtigt parkende Fahrzeuge zu beseitigen. Im Gegenzug traten die Vertragspartner ihre Ansprüche gegen die besitzstörenden Fahrzeugführer auf Schadensersatz an die P. KG ab.
6
In den Rahmenverträgen verpflichtete sich die P. KG zur Vorbereitung der Fahrzeugversetzung verschiedene Tätigkeiten zu entfalten wie u.a. die Sichtung des Fahrzeugs auf Vorschäden, die Sichtung des Fahrzeuginneren , die Prüfung der für den anschließenden Abschleppvorgang notwendigen Parameter und die Beweissicherung hinsichtlich der Besitzstörung durch das unberechtigte Parken. In den meisten Fällen wurden die unberechtigt parkenden Fahrzeuge aufgrund von Kontrollgängen des Angeklagten und anderer Mitarbeiter der P. KG erfasst und abgeschleppt; nur in Einzelfällen erfolgte dies lediglich auf Anweisung der Vertragspartner, die selbst die Besitzstörung festgestellt hatten. Ohne dass dies schriftlich niedergelegt war, nahmen die Mitarbeiter der P. KG zumeist auch die Parkraumüberwachung vor, deren Dauer im Tatzeitraum stark variierte.
7
Hintergrund der Beauftragung der P. KG war, dass die Vertragspartner zuvor vielfach vergeblich versucht hatten, das Problem von Falschparkern auf ihrem Gelände zu lösen. Weder Hinweisschilder noch an Anwohner verteilte Handzettel hatten hinsichtlich der Verhinderung des Falschparkens Erfolg. Bei Supermärkten führte dies zu erheblichen Umsatzeinbußen, bei Krankenhäusern immer wieder zur Blockade der An- und Abfahrtzonen von Krankenwagen bzw. der Notaufnahme, bei Hausverwaltungen, deren Mieter die von ihnen bezahlten Parkplätze wegen Falschparkern nicht nutzen konnten, gingen zahlreiche Beschwerden ein.
8
Bestandteil des jeweiligen Rahmenvertrages waren Preislisten, in denen die den Vertragspartnern von der P. KG in Rechnung gestellten Kosten als Nettobeträge ausgewiesen waren. Diese waren in der Höhe danach gestaffelt , ob der Abschleppvorgang nur vorbereitet wurde, es neben der Vorbereitung schon zu einer Beauftragung/Anfahrt des Abschleppwagens gekommen oder eine Versetzung der Kfz erfolgt war. Zudem gab es höhere Preise für die Versetzung größerer Kraftfahrzeuge (etwa Transporter, Kleinbusse) und Zuschläge für Tätigkeiten an Sonnabenden, Sonn- und Feiertagen, in der Abendbzw. Nachtzeit sowie bei sonstigen außergewöhnlichen Besonderheiten.
9
b) Die Durchführung der Rahmenverträge durch den Angeklagten gestaltete sich in den anklagegegenständlichen Fällen wie folgt:
10
An den betroffenen Orten befanden sich Schilder, welche diejeweiligen Parkplätze als Privatparkplätze kennzeichneten und darauf hinwiesen, dass widerrechtlich parkende Kfz kostenpflichtig abgeschleppt werden, zudem ein Piktogramm mit einem Pkw am Haken eines Abschleppwagens und teilweise ein Hinweis auf die Telefonnummer der P. KG. Der Angeklagte G. oder einer seiner Mitarbeiter führte nach Feststellung des Parkverstoßes bzw.
im Einzelfall nach entsprechenden Hinweisen durch einen Vertragspartner die im Rahmenvertrag vereinbarten „Vorbereitungstätigkeiten“ durch. In 14 Fällen brachte der Angeklagte anschließend eine Parkkralle an den jeweils falsch parkenden Pkw an und verständigte teilweise schon einen Abschleppwagen. In den übrigen Fällen waren die falsch parkenden Fahrzeuge bereits zu einem den Fahrzeugführern unbekannten Ort abgeschleppt oder der Abschleppvorgang unmittelbar eingeleitet worden. In zwei Fällen verfügten die Pkw-Besitzer über eine faktische Parkberechtigung, was dem Angeklagten aber aufgrund eines Versehens seiner Vertragspartner nicht mitgeteilt worden und daher unbekannt war.
11
Der Angeklagte verlangte von den zu ihren Fahrzeugen zurückkommenden Fahrzeugführern vor Ort aufgrund der Abtretung der Schadensersatzansprüche unmittelbar eine Bezahlung derjenigen Beträge, die sich aus den mit seinen Vertragspartnern vereinbarten Preislisten für die bereits erbrachten Leistungen der P. KG ergaben. Kosten für eine Versetzung wurden geltend gemacht, sobald mit dem Abschleppvorgang vor Ort begonnen worden war. Lediglich in einem Fall forderte der Angeklagte die Kosten für eine Umsetzung des Pkw, obwohl an diesem bislang nur eine Parkkralle angebracht worden und noch kein Abschleppwagen vor Ort war. Soweit die Vertragspartner zum Umsatzsteuerabzug berechtigt waren, wurde den Nettobeträgen laut Preisliste keine Mehrwertsteuer aufgeschlagen, ansonsten ein Bruttobetrag incl. Mehrwertsteuer errechnet.
12
Der Angeklagte berief sich jeweils auf ein Zurückbehaltungsrecht und erklärte , er werde die Parkkrallen erst abnehmen, den Abstellort des abgeschleppten Fahrzeugs erst verraten oder den schon eingeleiteten Abschleppvorgang erst abbrechen, wenn ihm vor Ort die geforderte Summe vollständig gezahlt werde. Er wies die Fahrzeugführer darauf hin, dass ein gültiger Vertrag mit dem Grundstücksberechtigten existiere, der ihn zur Ausübung des Zurückbehaltungsrechts berechtige. In allen Fällen hielt er ein Merkblatt für die Fahrzeugführer bereit, in dem ausführliche Informationen über die Rechtslage nebst einer detaillierten Preisliste enthalten waren. Nach Zahlung wurde den Fahrzeugführern eine Quittung ausgehändigt.
13
In 18 Fällen zahlten die Pkw-Führer Beträge zwischen 80 und 352,24 Euro, um ihre Fahrzeuge wieder zu erhalten, in zwei dieser Fälle wollte der Angeklagte höhere Beträge erlangen, was ihm aber nicht gelang. In zehn Fällen zahlten die Betroffenen nicht, in einem dieser Fälle wurde ein schriftliches Schuldanerkenntnis abgegeben (Fall C. I 3. m) der Urteilsgründe). In mehreren Fällen wurde die Polizei an- oder hinzugerufen, die den Fahrzeugführern teils eine Zahlung empfahl und teils den Angeklagten zur Freigabe der Pkw bzw. Preisgabe des Umsetzortes ohne Zahlung aufforderte. In einem Fall beleidigte der Angeklagte einen Fahrzeugführer, dessen Lkw gerade abgeschleppt werden sollte und der nach einem Streit den Angeklagten mit beiden Händen an der Schulter zur Seite geschubst hatte, so dass der Angeklagte strauchelte, mit den Worten „scheiß Türke“ und „scheiß Kanacke“.
14
c) Ein vergleichbares Geschäftsmodell, wie es der Angeklagte mit der P. KG betrieb, gab es im Tatzeitraum nicht. Andere Abschleppunternehmen in M. und B. schleppten regelmäßig nur auf konkrete Anforderung des Grundstücksberechtigten ab, der zudem den Abschleppvorgang überwachte. Die vom Angeklagten als „Vorbereitung der Fahrzeugversetzung“ in den Rahmenverträgen aufgeführten Leistungen übernahmen die Abschleppfirmen – mit Ausnahme der Sichtung auf Vorschäden – nicht und stellten sie auch nicht in Rechnung. Die Abschleppkosten mussten bei anderen Abschleppfirmen in der Regel von den beauftragenden Grundstücksberechtigten vor Ort bezahlt werden.
15
Die Höhe der Abschleppkosten richtete sich bei diesen anderen Firmen nach der Dauer des Abschleppvorgangs von der Anfahrt des Abschleppwagens bis zu dessen Rückkehr zum Firmenstandort der Abschleppfirma. Dabei wurde stets die erste Stunde unabhängig von der Dauer des Vorgangs voll abgerechnet , anschließend jede angefangene halbe Stunde. Im Bundesdurchschnitt kostete im Tatzeitraum eine Stunde 150 bis 165 Euro zzgl. Mehrwertsteuer, dazu gab es für die Abend- und Nachtzeit, Einsätze an Sonnabenden, Sonn- oder Feiertagen zum Teil erhebliche Zuschläge. Bei einer Leerfahrt wurden durchschnittlich 50 % der ersten Stunde berechnet. Innerhalb der ersten Stunde konnten 80 bis 90 % aller Abschleppvorgänge im Stadtgebiet durchgeführt werden. Ein durchschnittlicher Abschleppvorgang von Privatgrund kostete im Tatzeitraum in M. bzw. B. etwa 200 Euro zzgl. Mehrwertsteuer. Diesen Betrag verlangten die Grundstücksberechtigten anschließend von den unberechtigt parkenden Kraftfahrzeugführern zurück. Parkkrallen wurden nicht eingesetzt.
16
Die vom Angeklagten mit seinen Vertragspartnern vereinbarten Nettopreise staffelten sich im Tatzeitraum mit kleinen Abweichungen grundsätzlich wie folgt: „Vorbereitung“ 125 Euro, „Vorbereitung und Anfahrt“ 185 Euro, „Versetzung“ je nach Fahrzeugart 250 Euro (Pkw) bis 299 Euro(ab 3,5 t). Hinzu kamen Zuschläge wie bei den anderen Abschleppfirmen für besondere Einsatzzeiten und für besondere Leistungen, wie das Abschleppen aus Parkhäusern /Tiefgaragen und die Sicherstellung offener Fahrzeuge einschließlich der dort befindlichen Wertgegenstände.
17
d) Die zivilrechtliche Beurteilung des Geschäftsmodells des Angeklagten stellt sich im Tatzeitraum und anschließend wie folgt dar:
18
Mit seiner Leitsatzentscheidung vom 5. Juni 2009 entschied der Bundesgerichtshof zum ersten Mal grundlegend über die Schadensersatzpflicht unberechtigt parkender Kfz-Führer. Er stellte fest, dass verbotene Eigenmacht begeht, wer sein Kraftfahrzeug unbefugt auf einem Privatgrundstück abstellt. Der unmittelbare Grundstücksbesitzer dürfe sich dieser verbotenen Eigenmacht erwehren, indem er das Fahrzeug abschleppe. Die Abschleppkosten könne er vom Fahrzeugführer ersetzt verlangen (BGH, Urteil vom 5. Juni 2009 – V ZR 144/08, BGHZ 181, 233). Zugleich stellte der Bundesgerichtshof klar, dass ein Grundstücksbesitzer einen Dritten mit der Überwachung des Grundstücks und der Auswahl der abzuschleppenden Fahrzeuge beauftragen darf.
19
Bezüglich der Höhe erstattungsfähiger Kosten der P. KG gab es im Tatzeitraum unterschiedliche Entscheidungen der Amts- und Landgerichte. Teils wurden die geforderten Summen vollumfänglich zugesprochen bzw. entsprechende Rückforderungsbegehren abgewiesen, teils unterlag die P. KG voll oder teilweise. Letzteres hatte verschiedene Gründe, wie Fehlen der Passivlegitimation, ungünstige Beweislage oder Nichteinhaltung von Fristen. In einigen Fällen wurden jedoch auch die von der P. KG erhobenen Forderungen als zu hoch moniert und gekürzt.
20
Im Dezember 2011 gab es die zweite Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs zur Ersatzfähigkeit von Abschleppkosten bei unberechtigt parkenden Kraftfahrzeugen (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2011 – V ZR 30/11, NJW 2012, 528). In Fortführung und Bestätigung des vorgenannten Grundsatzurteils entschied der Bundesgerichtshof, dass sich der Schadensersatzanspruch nach § 249 Abs. 1 BGB bemesse und nicht nur die direkten Abschleppkosten betreffe, sondern auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Abschleppens entstanden seien, etwa durch die Überprüfung des abgestellten Fahrzeugs, die Zuordnung zu einer bestimmten Fahrzeugka- tegorie und die Anforderung eines Abschleppwagens. Nicht ersatzfähig seien hingegen Kosten einer Parkraumüberwachung durch regelmäßige Kontrollgänge. Zugleich entschied der Bundesgerichtshof, dass die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts am Pkw durch Nichtpreisgabe des Abschlepportes im konkreten Fall einer Forderung in Höhe von 150 Euro rechtens gewesen sei, insbesondere weil die Fahrzeugführerin durch Erbringung einer Sicherheitsleistung in Höhe dieses vergleichsweise geringen Geldbetrages nach § 273 Abs. 3 BGB die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts hätte abwenden können.
21
Im Juli 2014 gab es schließlich die dritte Leitsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs zur Frage der Erstattungsfähigkeit derartiger Abschleppkosten (BGH, Urteil vom 4. Juli 2014 – V ZR 229/13, NJW 2014, 3727). Hatte der Bundesgerichtshof in der Vorentscheidung noch erwogen, dass sich ein Grundstücksbesitzer mit der Auswahl eines noch angemessenen Angebots einer Abschleppfirma begnügen und nicht den preisgünstigsten Anbieter ausfindig machen müsse, stellte er nunmehr klar, dass sich die Höhe der erstattungsfähigen Kosten für das Entfernen eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs nach den ortsüblichen Kosten für das Abschleppen und für die unmittelbar mit der Vorbereitung des Abschleppvorgangs verbundenen Dienstleistungen bemesse. Von Leistungen, zu denen sich der Angeklagte mit der P. KG in seinen verfahrensgegenständlichen Rahmenverträgen zur „Vorbereitung“ verpflichtete, erkannte der Bundesgerichtshof lediglich die Position „Beweissicherung vor Ort“ nicht als ersatzfähig an. Zudem wies er erneut darauf hin, dass Kosten für eine allgemeine Parkraumüberwachung in diesem Rahmen nicht ersetzt werden könnten. Weil der Schadensersatzanspruch des gestörten Grundstücksbesitzers durch das Wirtschaftlichkeitsgebot begrenzt sei, müsse geprüft werden, ob bei der Beauftragung der Abschleppfirma im Rahmen des Zumutbaren der wirtschaftlichste Weg gegangen worden sei. Zur Klärung, wie hoch die ersatzfähigen Kosten des Grundstücksbesitzers unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitspostulats seien, müssten die Kosten ermittelt werden, die andere Unternehmen für das Abschleppen fremder Fahrzeuge von privaten Grundstücken verlangen. Diesen reinen Abschleppkosten seien diejenigen Kosten hinzuzurechnen, die für vorbereitende Maßnahmen entstünden, soweit sie ersatzfähig seien. Dabei sei regionalen Unterschieden dadurch Rechnung zu tragen, dass nur die am Ort der Besitzstörung üblichen Kosten in den Vergleich einbezogen werden, denn nur diese seien ersatzfähig.
22
e) Der Angeklagte ließ sich bezüglich des Geschäftsmodells der P. KG von Anfang an rechtlich beraten und über die zivil- und strafrechtliche Rechtsprechung informieren. Der Zeuge Rechtsanwalt S. beriet den Angeklagten seit 2006, erarbeitete die Rahmenverträge und die Informationsblätter und vertrat die P. KG in verschiedenen Zivilrechtsstreitigkeiten. Insbesondere erklärte der Zeuge dem Angeklagten, dass er hinsichtlich des Einsatzes von Parkkrallen zur Ausübung des Zurückbehaltungsrechts wegen entstandener Vorbereitungskosten keinerlei rechtliche Bedenken habe. Hierzu bestehe auch keine entgegenstehende Rechtsprechung, dieses Vorgehen sei vielmehr straf- und zivilrechtlich unbedenklich. In häufigeren Diskussionen über die Höhe erstattungsfähiger Kosten erklärte der Zeuge S. , dass er die Höhe der Kosten für angemessen halte; dies sei aber eine offene Rechtsfrage. Die uneinheitliche Rechtsprechung, insb. des Amtsgerichts München, das teils die vollen Kosten zusprach und teils kürzte, wurde ausführlich erörtert.
23
Ab Anfang 2008 beriet der Zeuge Rechtsanwalt H. den Angeklagten. Er erklärte ihm ebenfalls, dass der Einsatz von Parkkrallen zur effektiven Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts rechtens sei. Hierzu berief er sich auch auf ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Berlin vom 2. Juni 2008, in der diese zu der Auffassung gekommen war, dass dieses Vorgehen keinen Straftatbestand erfülle. Bezüglich der Höhe erstattungsfähiger Kosten beriet dieser Zeuge den Angeklagten ebenso wie zuvor der Zeuge S. und erklärte ausdrücklich angesichts zunehmender Strafanzeigen von Pkw-Besitzern, der Angeklagte könne sich durch sein Vorgehen nicht strafbar machen. Der Zeuge H. erläuterte dem Angeklagten auch die Auswirkungen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 2. Dezember 2011, nachdem er seit September 2011 Prokurist der P. KG geworden war. Infolge des Urteils wurden mit Vertragspartnern, die eine regelmäßige Parkraumüberwachung wünschten, Zusatzverträge hierzu gegen eine monatliche Zahlung geschlossen. Die im Rahmenvertrag ausgewiesenen Beträge blieben unverändert, da sie nach Auffassung des Zeugen H. auch bislang keine Kosten für Parkraumüberwachung enthalten hatten.
24
Seit dem Jahr 2007 bis heute beriet darüber hinaus der Zeuge Rechtsanwalt Gö. den Angeklagten und teilte ihm nach eingehender Prüfung mit, dass das Setzen von Parkkrallen grundsätzlich zulässig sei. Aufgrund vielfacher Probleme mit den betroffenen Pkw-Besitzern wurde dieses Vorgehen auf Anraten des Zeugen Gö. ab dem Jahr 2010 wegen Ineffektivität eingestellt. In diesem Zusammenhang kam auch ein gegen andere Personen ergangenes Strafurteil des Landgerichts Augsburg vom 10. Mai 2010 zur Sprache, in dem es u.a. um das Setzen von Parkkrallen ging, nach Auskunft des Zeugen Gö. aber völlig andere Sachverhalte als das Vorgehen des Angeklagten betraf.
25
Alle drei Rechtsanwälte berieten den Angeklagten dahingehend, dass die von ihm als „Vorbereitungskosten“ geltend gemachten Beträge nach Durch- führung dieser Tätigkeiten entstanden seien und dem Angeklagten insoweit ein Zurückbehaltungsrecht an den Fahrzeugen zustehe, das er rechtlich zulässig durch Setzen von Parkkrallen durchsetzen könne. Wegen unterschiedlicher Zivilurteile und zunehmender Strafanzeigen beauftragte der Zeuge Gö. im Jahr 2008 den Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht der L.
Universität M. , Prof. Dr. Lo. , mit der Prüfung, ob das Geschäftsmodell der P. KG zivil- oder strafrechtlich zu beanstanden sei. Dieses Gutachten kam im Februar 2009 zu dem Ergebnis, dass dies nicht der Fall sei. Im April 2009 erschien ein entsprechender Aufsatz des Gutachters in der Neuen Juristischen Wochenschrift (vgl. Lorenz, NJW 2009, 1025). Das Gutachten erhielt auch der Angeklagte zur Lektüre. Bei einer Diskussion des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 2. Dezember 2011 vertrat der Zeuge Gö. ebenso wie der Zeuge H. die Auffassung, dass in den bisherigen Verträgen keine Kostenanteile für die Parkraumüberwachung enthalten seien. Diese sei vielmehr als kostenlose Akquisitionsleistung der P. KG anzusehen , deren Kosten die Firma selbst trage. Ob solche Kosten in die Gesamtkalkulation der KG einfließen würden, sei unerheblich.
26
Im Rahmen eines gegen den Angeklagten geführten Strafverfahrens wegen ähnlicher Vorwürfe, das bislang nach Aufhebung eines verurteilenden Erkenntnisses noch nicht zu einem rechtskräftigen Abschluss gelangt ist, konsultierte der vornehmlich auf dem Gebiet des Zivilrechts tätige Zeuge Gö. den Rechtsanwalt und Strafverteidiger Prof. Dr. K. , der die zivil- und strafrechtliche Rechtsauffassung des Zeugen stützte und den Angeklagten auch anschließend vor dem OLG München vertrat.
27
2. Das Landgericht hat den Angeklagten insgesamt aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Jedenfalls nach seinem Vorstellungsbild habe der Angeklagte in den anklagegegenständlichen Fällen keine rechtswidrige Bereicherung erstrebt. Soweit keine Parkkrallen zum Einsatz gekommen seien, habe der Angeklagte nicht rechtswidrig gehandelt. Zudem habe er an die Rechtsmäßigkeit seines Handelns geglaubt.

III.


28
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt im Wesentlichen erfolglos.
29
1. Die Verfahrensrügen sind unzulässig, weil sie nicht den Rügeanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechen. Danach muss der Revisionsführer , der eine Verletzung von Verfahrensvorschriften beanstandet, dem Revisionsgericht alle Tatsachen angeben, die zur rechtlichen Beurteilung des gerügten Verfahrensgeschehens erforderlich sind.
30
a) Die Verfahrensrüge, ein von der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung gestellter Beweisantrag auf Verlesung eines in einem Zivilverfahren erstatteten Sachverständigengutachtens sei zu Unrecht wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit zurückgewiesen worden, genügt nicht § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Revision trägt nicht vor, ob die Verfahrensbeteiligten der beantragten Verlesung des Gutachtens nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO zugestimmt haben oder nicht. Dieser Vortrag wäre aber für die rechtliche Beurteilung der Rüge erforderlich gewesen. Hängt die Zulässigkeit der begehrten Beweiserhebung – wiehier – von zusätzlichen, außerhalb des Beweisantrags liegenden Tatsachen ab, muss die Revision hierzu grundsätzlich vortragen (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Februar 2012 – 1 StR 647/11, NStZ-RR 2012, 178 mwN).
31
Die von der Staatsanwaltschaft begehrte Verlesung des Sachverständigengutachtens stellt sich ohne Zustimmung der Verfahrensbeteiligten wegen Verstoßes gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 250 Satz 2 StPO) als unzulässig dar. Die Voraussetzungen einer sonstigen Ausnahme vom Unmittelbarkeitsgrundsatz lagen nicht vor. Insbesondere betraf das Gutachten die Kalkulation der Preisgestaltung der P. KG und damit nicht nur das Vorliegen eines Vermögensschadens im Sinne von § 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO (vgl. hierzu näher Sander/Cirener in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 251 Rn. 40). Dass der Gutachter die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 Nr. 1 b) StPO erfüllen könnte, ergibt sich aus dem von der Revision vorgelegten Gutachten nicht.
32
b) Die in diesem Zusammenhang erhobene Aufklärungsrüge bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Die Zulässigkeit der Rüge scheitert schon daran, dass der Vortrag der Revision die bestimmte Behauptung einer konkreten Beweistatsache nur im Ansatz erkennen lässt. Zudem hat die Strafkammer zu dem von der Staatsanwaltschaft mit der Aufklärungsrüge angesprochenen Punkt in der Hauptverhandlung einen sachverständigen Zeugen gehört, der zu der rechtlich entscheidenden Frage der Abschleppkosten anderer Anbieter von Privatgrund im selben Zeitraum Angaben machte (vgl. UA S. 148, 162). Weshalb sich der Strafkammer vor diesem Hintergrund zusätzlich die Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte aufdrängen müssen, legt die Revision entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht konkret dar.
33
2. Die Sachrüge bleibt ebenfalls im Wesentlichen ohne Erfolg.
34
Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Überprüfung ganz überwiegend stand.
35
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel nicht zu überwinden vermag , so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Insbesondere ist es ihm verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch seine eigene zu ersetzen. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich somit darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie lückenhaft ist, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden. Insbesondere ist die Beweiswürdigung auch dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden oder sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, dass die einzelnen Beweisergebnisse in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden. Weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst ist es geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 18. Februar 2016 – 1 StR 409/15 mwN).
36
b) Diesen Maßstäben genügt die Beweiswürdigung des Landgerichts.
37
aa) Das Landgericht hat sich seine Überzeugung von dem Hergang der jeweiligen Vorfälle und dem Geschäftsgebahren der P. KG auf der Grundlage der Angaben des Angeklagten, vernommener Betroffener und Polizeibeamter sowie durch Vernehmung verschiedener Vertragspartner derP. KG verschafft. Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
38
bb) Dass der Angeklagte von seinen rechtlichen Beratern in der festgestellten Art und Weise informiert wurde, hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei auf die Aussagen dieser Zeugen und die Angaben des Angeklagten gestützt, wobei sie nicht versäumt hat, die Angaben der Zeugen bei bestehenden Näheverhältnissen kritisch zu würdigen.
39
cc) Soweit das Landgericht festgestellt hat, der Angeklagte sei in jedem einzelnen Fall davon ausgegangen, der P. KG stehe jeweils ein entsprechender Anspruch in Höhe des geforderten Betrages zu und dieser Anspruch könne auch erfolgreich gerichtlich geltend gemacht werden (UA S. 164), ist dies – außer im Fall C I 2. e) der Urteilsgründe (Fall II. 5 der Anklage) – aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
40
Wie sich aus der Einlassung des Angeklagten ergibt, ging dieser davon aus, dass ihm die Forderungen in der geltend gemachten Höhe infolge Abtretung der P. KG zustehen, für die er gehandelt hat. In jedem Einzelfall lag nach seiner Vorstellung eine dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtende Besitzstörung vor. Soweit dies objektiv nicht der Fall war, wie in den Fällen C I 2. e) und C I 3. h) der Urteilsgründe (Fälle II. 5 und III. 29 der Anklage ), unterlag der Angeklagte entsprechenden Fehlvorstellungen, wie sich auch aus den Aussagen der betroffenen Fahrzeugführer ergibt.
41
Auf dieser Grundlage und angesichts der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellung, dass von dem Angeklagten oder Mitarbeitern der P. KG jeweils mindestens die im Rahmenvertrag genannten „Vorbereitungsarbeiten“ bereits abgeschlossen waren, mithin entsprechende fällige Ansprüche der P. KG gegen die Fahrzeugführer entstanden waren, ist der Schluss der Strafkammer nicht zu beanstanden, der Angeklagte sei davon ausgegangen , dass die geltend gemachten Forderungen dem Grunde nach berechtigt waren.
42
Bezüglich der Höhe der geltend gemachten Forderungen konnte sich die Strafkammer ebenfalls nicht die Überzeugung davon verschaffen, dass der Angeklagte bewusst der P. KG nicht zustehende Forderungen eintreiben wollte (UA S. 150, 164). Dieser Schluss ist mit Ausnahme von Fall C I 2. e) der Urteilsgründe (Fall II. 5 der Anklage) revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. In diesem Fall machte der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts Kosten für eine Versetzung des Pkw des Zeugen St. in Höhe von 352,24 Euro geltend, obwohl er an dem Pkw nach Prüfung lediglich eine Parkkralle angebracht hatte und somit nach den ihm bekannten Vertragsgrundlagen lediglich ein Anspruch auf Erstattung der „Vorbereitungskosten“ entstanden war. Wes- halb der Angeklagte auch in diesem Fall davon ausgegangen sein könnte, er sei berechtigt gewesen, Kosten für ein Abschleppen des Pkw für die P. KG geltend machen zu dürfen, erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht.
43
In den übrigen Fällen hat die Kammer rechtsfehlerfrei den Schluss gezogen , eine bewusste Überhöhung der vom Angeklagten für die P. KG geltend gemachten Beträge sei im Tatzeitraum nicht festzustellen. Grundlage dieser Schlussfolgerung sind die Angaben des sachverständigen Zeugen Ge. , der über die im Tatzeitraum von anderen Anbietern verlangten Abschleppkosten berichtet hat. Hierbei hat das Landgericht zutreffend eingestellt, dass sich die von der P. KG angebotenen Leistungen von denen anderer Abschleppfirmen unterschieden. Angesichts der Tatsache, dass der Durchschnittspreis für einen Abschleppvorgang von Privatgrund im Tatzeitraum in B. und M. bei 200 Euro zzgl. Mehrwertsteuer lag (UA S. 44) und die P. KG zusätzliche Leistungen anbot (Vorbereitung), ist der Schluss der Kammer, eine Überhöhung der von der P. KG vereinbarten Preise sei nicht feststellbar, jedenfalls möglich und deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen.
44
Gleiches gilt für die Erwägung des Landgerichts, es sei nicht feststellbar, dass die P. KG in unberechtigter Weise Kosten für eine nicht erstattungsfähige Parkraumüberwachung geltend gemacht habe. Dieser Schluss beruht nicht nur darauf, dass eine Parkraumüberwachung nicht ausdrücklich in den Rahmenverträgen vereinbart war, also kein näher bezeichneter Anspruch der Vertragspartner auf eine entsprechende Leistung der P. KG bestand. Aus den Feststellungen im Übrigen ergibt sich auch, dass die P. KG eine Parkraumüberwachung auf eigenes Risiko vornahm. Soweit dabei keine falsch parkenden Fahrzeuge vorgefunden wurden, entstand auch kein Zahlungsanspruch der P. KG für eine allgemeine Parkraumüberwachung. Dies stützt die Einlassung des Angeklagten, nach seiner Vorstellung sei die Parkraumüberwachung kostenlos als Teil der Akquise angeboten worden und deshalb nur in die Gesamtkalkulation der P. KG, nicht aber als besonderer Kostenanteil in die einzelnen Preise eingeflossen.
45
In diesem Zusammenhang hat die Kammer zu Recht zusätzlich darauf abgestellt, dass der Angeklagte trotz einiger abweichender amtsgerichtlicher Judikate dem Rechtsrat seiner verschiedenen Rechtsberater vertraut hat, die geltend gemachten Ansprüche seien dem Grunde und der Höhe nach gerechtfertigt und einklagbar. Diese Vorstellung findet einen zusätzlichen Beleg in dem Umstand, dass die Forderungen der P. KG im Einzelfall auch eingeklagt wurden (vgl. UA S. 109).
46
dd) Rechtsfehlerfrei getroffen ist auch die Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte sei bei den jeweiligen Vorfällen fest davon überzeugt gewesen, rechtmäßig zu handeln. Auf der Grundlage der im Einzelnen dargestellten umfangreichen rechtlichen Beratung des Angeklagten durfte das Landgericht den Schluss ziehen, der Angeklagte sei trotz Kenntnis einiger abweichender Urteile insgesamt davon ausgegangen, er handele hinsichtlich seines Geschäftsmodells – einschließlich des Einsatzes von Parkkrallen – in vollem Umfang rechtmäßig. Die Strafkammer hat sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich mit dem Umstand beschäftigt, dass die P. KG in Einzelfällen zivilgerichtliche Rechtsstreitigkeiten im Tatzeitraum auch verloren hat. Den Indizwert dieses Umstandes hat sie dadurch entkräftet gesehen, dass dies zum einen teilweise rein prozessualen Gründen geschuldet war, zum anderen die Rechtsberater des Angeklagten unter Verweis auf die aus Sicht der P. KG positiven Entscheidungen von Amts- und Landgerichten nicht unplausibel darauf hinweisen konnten, es handele sich um eine Fehlbeurteilung der damals höchstrichterlich weitgehend ungeklärten Rechtslage. Soweit es um den Einsatz von Parkkrallen ging, war die Rechtslage zum damaligen Zeitpunkt ebenfalls ungeklärt.
47
3. Die rechtsfehlerfreien Feststellungen tragen – mit Ausnahme des Falles C I 2. e) und der Beleidigung im Fall C I 3. a) der Urteilsgründe – den rechtlichen Schluss der Strafkammer, der Angeklagte habe sich durch das angeklagte Verhalten nicht strafbar gemacht.
48
a) Mit Ausnahme des Falles C I 2. e) der Urteilsgründe (Fall II. 5 der Anklage ) kommt auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts eine Verurteilung des Angeklagten wegen Erpressung nach § 253 Abs. 1 StGB oder versuchter Erpressung nach § 253 Abs. 3 StGB nicht in Betracht.
49
Eine Strafbarkeit nach § 253 StGB setzt voraus, dass die Bereicherung nach der materiellen Rechtslage zu Unrecht angestrebt wird. Daran fehlt es, wenn der Täter auf den Vermögensvorteil einen fälligen einredefreien Anspruch besitzt oder irrtümlich davon ausgeht, ein entsprechender Anspruch bestehe (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 26. August 2014 – 5 StR 358/14, NStZRR 2014, 341 mwN). Das Landgericht konnte nicht feststellen, dass die vom Angeklagten für die P. KG dem Grunde nach zu Recht eingeforderten Forderungen der Höhe nach unberechtigt gewesen wären. Zudem hat es festgestellt , der Angeklagte sei in allen Fällen vom Bestehen eines zivilrechtlich einklagbaren materiellen Anspruchs in geltend gemachter Höhe ausgegangen.
50
b) Auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB oder versuchter Nötigung nach § 240 Abs. 3 StGB scheidet in diesen Fällen auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts letztlich aus.
51
aa) Eine Strafbarkeit wegen Nötigung nach § 240 StGB setzt voraus, dass der Täter Gewalt anwendet oder mit einem empfindlichen Übel droht und hierdurch das Opfer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung bringt. Rechtswidrig ist eine solche Tat nur, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist (§ 240 Abs. 2 StGB). Dies ist dann der Fall, wenn die Verquickung von Mittel und Zweck mit den Grundsätzen eines geordneten Zusammenlebens unverein- bar ist, sie also „sozial unerträglich“ ist (vgl. Senat, Beschlussvom 5. September 2013 – 1 StR 162/13, NStZ 2014, 149, 152 mwN). Dabei ist die Androhung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner, zur Durchsetzung einer ihm tatsächlich oder jedenfalls nach seiner Meinung zustehenden Forderung eine zulässige gesetzliche Maßnahme wie ein Zurückbehaltungsrecht ausüben zu wollen , grundsätzlich sozialadäquat. Allein ein Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) begründet in diesen Fällen zwar den Vorwurf zivilrechtswidrigen, nicht aber zugleich auch verwerflichen Verhaltens, wobei jedoch auch in den Blick zu nehmen ist, dass die Rechtsordnung grundsätzlich kein „privates Faustrecht“ dulden kann (vgl. Altvater, in LK-StGB, 12. Aufl., § 240 Rn. 120 mwN).
52
bb) Vorliegend hat der Angeklagte Nötigungsmittel eingesetzt, indem er an den unberechtigt geparkten Fahrzeugen entweder Parkkrallen angebracht hat oder sie abschleppen ließ und den Fahrzeugführern anschließend erklärt hat, er werde die Parkkralle nur abnehmen, den Abschleppvorgang nur stoppen oder den Standort des abgeschleppten Kfz nur verraten, wenn ihm der verlangte Geldbetrag gezahlt werde. Darin liegt jeweils – wovon das Landgericht zu Recht ausgegangen ist – zumindest die Androhung eines empfindlichen Übels (vgl. zur Gewalt gegen Sachen Eser/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., vor §§ 234 ff. Rn. 13a f.; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 240 Rn. 25 mwN).
53
Durch diese Nötigungshandlungen ist es in neunzehn Fällen zu dem erstrebten Nötigungserfolg (Zahlung des geforderten Geldbetrages oder jeden- falls Abgabe eines Schuldanerkenntnisses) gekommen, in neun Fällen blieb der Nötigungsversuch erfolglos.
54
Ob das Handeln des Angeklagten rechtswidrig im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB war, kann der Senat letztlich offenlassen. Das Landgericht hat angenommen , dass jedenfalls in denjenigen Fällen, in denen es zum Einsatz einer Parkkralle kam, das Handeln des Angeklagten verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB gewesen sei (vgl. zur Beurteilung des Einsatzes von Parkkrallen durch Private bei Falschparkern ausführlich Paal/Guggenberger, NJW 2011, 1036; Minwegen, ZAP Fach 9, 851; Dötterl, JuS 2013, 346; Metz DAR 1999,

392).

55
cc) Unabhängig von der objektiven Rechtslage trägt den Freispruch – mit Ausnahme des Falls C I 2. e) und der Beleidigung im Fall C I 3. a) der Urteilsgründe – jedenfalls die Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte habe in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum gehandelt.
56
(1) Einem Verbotsirrtum unterliegt gemäß § 17 Satz 1 StGB, wem bei der Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun. Dies war bei dem Angeklagten nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts der Fall.
57
(2) Die vom Landgericht angenommene Unvermeidbarkeit dieses Verbotsirrtums wird ebenfalls durch die Feststellungen belegt.
58
Der rechtliche Maßstab hierzu lautet wie folgt (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2013 – 3 StR 521/12, NStZ 2013, 461): Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt voraus, dass der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet. Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände , insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfahrung und seine berufliche Stellung zu berücksichtigen.
59
Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag somit nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Wendet sich dieser an einen auf dem betreffenden Rechtsgebiet versierten Anwalt, so hat er damit zwar vielfach das zunächst Gebotene getan. Jedoch ist weiter erforderlich, dass der Täter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Daher darf der Täter sich auf die Auffassung eines Rechtsanwalts etwa nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig ist. Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte „Gefälligkeitsgutachten“ scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus. Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine „Feigenblatt- funktion“ erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten. Insbeson- dere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen.
60
Gemessen an diesen Maßstäben ist die Wertung des Landgerichts, der Verbotsirrtum des Angeklagten sei unvermeidbar gewesen, rechtlich nicht zu beanstanden:
61
Der Angeklagte hat umfangreichen rechtlichen Rat eingeholt und dabei nicht vorschnell auf die Rechtsauskunft nur eines, der P. KG durch Mandatierung wirtschaftlich verbundenen Rechtsanwalts, vertraut. Ein Gutachten des Inhabers eines Lehrstuhls für Bürgerliches Recht der L. Universität hat die Rechtsauffassungen der rechtlichen Berater des Angeklagten bestätigt. Zudem haben sich die zur Beratung zugezogenen Rechtsanwälte ausführlich und auf zutreffender Sachverhaltsgrundlage mit den zivilrechtlichen und damals noch nicht höchstrichterlich abschließend geklärten Rechtsfragen auseinandergesetzt und ihre Rechtsmeinungen dem Angeklagten unterbreitet. Dass die zugezogenen Rechtsanwälte und der Gutachter zu einem insoweit dem Angeklagten günstigen Ergebnis gekommen sind, lässt vor dem Hintergrund der geschilderten Rechtslage weder die Erstattung von „Gefälligkeitsgutachten“ besorgen, noch dass der Rechtsberatung eine bloße „Feigenblattfunktion“ zukam. Für die Seriosität der Beratung spricht vielmehr, dass die Rechtsauffassungen der jeweils mit der P. KG eng zusammenarbeitenden Rechtsanwälte von externen Experten gestützt wurden.
62
(3) Dass der Angeklagte auch hinsichtlich des Falls C I 2 e) oder bei der Beleidigung im Fall C I 3. a) der Urteilsgründe in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum gehandelt haben könnte, belegen die Urteilsfeststellungen nicht.

IV.

63
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft unterliegt der Freispruch im Fall C I 2. e) der Urteilsgründe (Fall II. 5 der Anklage) der Aufhebung. Zudem ist im Fall C I 3. a) der Urteilsgründe (Fall III. 1 der Anklage) hinsichtlich des tatmehrheitlich angeklagten Vorwurfs der Beleidigung statt auf Freispruch auf Einstellung des Verfahrens zu erkennen.
64
1. Wie unter III. 2. b) cc) ausgeführt, ist die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich des Freispruchs im Fall C I 2. e) der Urteilsgründe (Fall II. 5 der Anklage) rechtsfehlerhaft. Nach den Feststellungen des Landgerichts ist in diesem Fall davon auszugehen, dass der Angeklagte eine Forderung geltend machte, die ihm in dieser Höhe offensichtlich nicht zustand (Abschleppkosten, obwohl das Fahrzeug nur nach Vorbereitungstätigkeiten mit einer Parkkralle gesichert und kein Abschleppwagen vor Ort war). Weshalb der Angeklagte insoweit unvorsätzlich oder in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum gehandelt haben könnte, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
65
Eine Strafbarkeit des Angeklagten scheidet auch nicht etwa aus anderen Gründen von vorneherein aus. Vielmehr kann eine Erpressung begehen, wer bewusst die Begleichung unberechtigter Forderungen durch das Anbringen einer Parkkralle erzwingt (vgl. LG Augsburg, Urteil vom 10. Mai 2010 – 1 KLs 601 Js 108556/09 u.a.; Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen durch Senat, Beschluss vom 1. Februar 2011 – 1 StR 545/10).
66
2. Die ausdrücklich unbeschränkt eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft führt im Fall C I 3. a) der Urteilsgründe (Fall III. 1 der Anklage) hinsichtlich des tatmehrheitlich angeklagten Vorwurfs der Beleidigung zur Aufhebung des Freispruchs und Einstellung des Verfahrens nach § 260 Abs. 3 StPO auf- grund des unbehebbaren Verfahrenshindernisses der Verjährung (vgl. UA S. 154).
67
Ein Teilfreispruch in diesem tatmehrheitlich zu den anderen Taten angeklagten Fall war – unabhängig von einer zum Eröffnungsbeschluss etwa abweichenden Beurteilung der Konkurrenzverhältnisse (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 19. April 2016 – 3 StR 48/16, NStZ-RR 2016, 246) – nicht veranlasst (zum abweichenden Vorgehen bei Tateinheit vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 2016 – 3StR 392/15). Das Landgericht hat die Voraussetzungen einer Beleidigung nach § 185 StGB rechtsfehlerfrei festgestellt (UA S. 72, 127, 154). Ein Freispruch anstelle einer Einstellung des Verfahrens hat beim Vorliegen eines Verfahrenshindernisses nur zu erfolgen, wenn eine valide Freispruchslage vorliegt (hierzu im Einzelnen: Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 260 Rn. 44 ff. mwN). Umgekehrt ist die Einstellung auszusprechen, wenn – wie hier – die Straftat sogar rechtsfehlerfrei festgestellt wird.

V.

68
Da nunmehr lediglich noch über eine mögliche Strafbarkeit des Angeklagten im Fall C I 2. e) der Urteilsgründe (Fall II. 5 der Anklage) zu entscheiden ist, hat der Senat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an das Amtsgericht – Strafrichter – München zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 3 StPO). Raum Radtke Mosbacher Fischer Bär