Bundesgerichtshof Urteil, 25. Apr. 2013 - 4 StR 551/12

bei uns veröffentlicht am25.04.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 551/12
vom
25. April 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts des versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. April
2013, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Quentin,
Reiter
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter für die Nebenkläger und ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin für die Nebenklägerin ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger K. , S. und P. wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 12. Juli 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Dem Angeklagten lag zur Last, sich des versuchten Totschlags in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und gefährlicher Körperverletzung sowie des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig gemacht zu haben, indem er mit einem Pkw unter billigender Inkaufnahme tödlicher Verletzungen auf die Nebenkläger zufuhr und sich ohne anzuhalten entfernte, nachdem der Nebenkläger K. von seinem Fahrzeug erfasst und erheblich verletzt worden war. Das Landgericht hat den Angeklagten von allen Vorwürfen freigesprochen. Hiergegen haben die Nebenkläger und die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Die Nebenkläger streben jeweils eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags und eines tateinheitlich begangenen vollendeten Körperverletzungsdeliktes an. Die Staatsanwaltschaft beanstandet die Annahme der Voraussetzungen des § 33 StGB und die Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes. Die Revision der Staatsanwaltschaft wird von dem Generalbundesanwalt vertreten, soweit sie sich gegen die Annahme einer Notwehrüberschreitung nach § 33 StGB wendet. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte war Mitglied der NPD und weiterer Zusammenschlüsse von Personen mit rechtsradikaler Gesinnung. Er nahm an Veranstaltungen mit entsprechender politischer Ausrichtung teil und kandidierte im Jahr 2011 für die NPD bei der Landtagswahl in . Am 4. August 2011 wurde er von Personen aus dem linken Spektrum als Rechtsradikaler „geoutet“ und daraufhin in einschlägigen Internetblogs beschimpft. Bei einem am 28. September 2011 mit einem Gesinnungsgenossen im Internet geführten Dialog berichtete der Angeklagte über eine gegen ihn gerichtete anonyme Schmähung. Dabei erklärte er, nur darauf zu warten, „dass einer mal angreift“ und er den dann „endlich mal die Klinge fressen lassen“ könne. Als ihm sein Dialogpartner beipflichtete , schrieb der Angeklagte weiter: „Ja! Das Schöne daran, es wäre sogar Notwehr! Man stelle sich das mal bildlich vor! So ne Zecke greift an und du ziehst n Messer. Die Flachzange klappt zusammen und rührt sich nicht mehr. Das muss doch ein Gefühl sein, wie wenn man kurz vor dem Ejakulieren ist!“
4
Am 1. Oktober 2011 sollte eine von dem Angeklagten und der „ “, der der Angeklagte angehörte, ausgerichtete so- genannte „Soli-Party“ auf einer Ackerfläche in B. stattfinden. Auf dieser Party sollte Geld für eine von dem Angeklagten für den 22. Oktober 2011 angemeldete Demonstration erwirtschaftet werden. Im Vorfeld war den der linken Szene zuzuordnenden Nebenklägern K. , P. und S. sowie fünf weiteren Personen bekannt geworden, dass für ortsunkundige Besucher dieser „Party“ für die Zeit zwischen 19.00 Uhr und 19.30 Uhr eine Person auf einem Pendlerparkplatz bereitstehen würde, die den Weg zum Veranstaltungsgelände weisen sollte. Die Nebenkläger und ihre Begleiter fuhren deshalb in zwei Fahrzeugen zu dem ihnen bekannten Pendlerparkplatz , um vor Ort weitere Informationen für ihr Vorgehen zu sammeln und eine Weiterleitung von Besuchern zum Veranstaltungsgelände zu verhindern. Dabei planten sie den Einsatz körperlicher Gewalt und nahmen mögliche Verletzungen der dort anzutreffenden Kontaktperson billigend in Kauf.
5
Zwischen 19.00 Uhr und 19.15 Uhr entdeckten der Nebenkläger S. und ein Begleiter bei einer Erkundungsfahrt den ihnen als führendes Mitglied der rechten Szene bekannten Angeklagten, der am Steuer seines im hinteren Teil des Pendlerparkplatzes abgestellten Pkw Mitsubishi Colt saß und die Rolle der angekündigten Kontaktperson übernommen hatte. Sie trafen sich daraufhin mit den übrigen Nebenklägern und deren Begleitern auf einem kleineren Parkplatz, der gegenüber dem Pendlerparkplatz auf der anderen Seite des Flusslaufs liegt und für den Angeklagten nicht einsehbar war.
6
Etwa gegen 19.15 Uhr begaben sich die dunkel gekleideten Nebenkläger mit zwei Begleitern (insgesamt fünf Personen) zu Fuß zu einer kleinen Brücke, die über den Flusslauf zur L. straße und dem Pendlerparkplatz führte, um den Angeklagten dort anzugreifen und notfalls unter Einsatz von körperlich wirkender Gewalt zu vertreiben. Dabei führte S. eine Dose mit Pfefferspray mit, während einer seiner Begleiter Handschuhe trug, die zur Erhöhung der Schlagkraft und zur Vermeidung von Handverletzungen im Bereich der Knöchel mit Quarzsand gefüllt waren. Auf dem Weg vermummten sich die Nebenkläger und ihre Begleiter mit Sturmhauben, Kapuzen und anderen schwar- zen Textilien. Zwischenzeitlich hatte der Angeklagte seinen Standort verändert, nachdem er ein ziviles Polizeifahrzeug wahrgenommen hatte, von den Beamten aber nicht bemerkt worden war. Er befand sich nun mit seinem Pkw im vorderen Bereich des Pendlerparkplatzes nur wenige Meter von der ersten Ausfahrt entfernt. Sein Fahrzeug war dabei in Richtung der Ausfahrt eingeparkt. Der Angeklagte saß bei geöffnetem Seitenfenster auf dem Fahrersitz und telefonierte mit dem auf dem Festgelände befindlichen Zeugen A. .
7
Als der Nebenkläger S. bei der Überquerung der Brücke den Angeklagten entdeckte, rief er aus: „Das ist er!“ und zog den Sicherungs- splint aus der Pfefferspraydose. Daraufhin beschleunigte die Gruppe ihren Schritt und versuchte die L. straße schräg in Richtung der noch ca. 14 Meter von der Brücke entfernten ersten Ausfahrt des Pendlerparkplatzes zu überqueren. Als der Angeklagte die vermummte Personengruppe bemerkte und deren Vorhaben erkannte, teilte er seinem Gesprächspartner A. mit, dass er von „Zecken“ angegriffen werde und warf sein Mobiltelefon auf den Bei- fahrersitz.
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Der Angeklagte befürchtete zu Recht, körperlich attackiert zu werden. Er geriet nicht ausschließbar in Panik und beschloss zu flüchten. Dazu startete er sein Fahrzeug und fuhr mit Vollgas beschleunigend über die erste Ausfahrt auf die L. straße und dann nach links auf die Personengruppe mit den Nebenklägern zu, die sich zu diesem Zeitpunkt wenige Meter von der Brücke entfernt in Richtung des Angeklagten auf der Straße befand. Jedenfalls die drei Nebenkläger hielten sich zu diesem Zeitpunkt in der Mitte der Straße bzw. der in Fahrtrichtung des Angeklagten rechten Fahrbahnhälfte und damit in dessen direktem Fahrweg auf. Als der Angeklagte sein Fahrzeug beschleunigte, war ihm bewusst, dass er die Nebenkläger in die erhebliche Gefahr brachte, ohne eine Ausweichbewegung ihrerseits von seinem Fahrzeug erfasst und hierbei verletzt zu werden. Eine Verletzung der drei Nebenkläger, jedenfalls im Rahmen einer Ausweichbewegung, nahm er billigend in Kauf (UA 11). Auch eine „leichte Kollision“ und ein nicht ausschließbares „leichtes Anfahren“ wurden von ihm für möglich gehalten und gebilligt (UA 38). Der Angeklagte rechnete jedoch nicht damit, dass er eine der Personen oder gar mehrere überfahren könnte und nahm ihren Tod nicht billigend in Kauf. Vielmehr ging er davon aus, dass sie die Straße noch rechtzeitig räumen würden, was ihnen sowohl räumlich als auch zeitlich möglich gewesen wäre (UA 11 f.).
9
Die Nebenkläger P. und S. konnten sich vor dem schnell herannahenden Fahrzeug des Angeklagten durch einen Sprung zur Seite retten. K. sprang – obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt hätte – aus ungeklärtem Grund nicht zur Seite, sondern auf die Motorhaube des auf ihn zu diesem Zeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von 25-30 km/h zukommenden Fahrzeugs. Dabei prallte er mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe und wurde abgeworfen. Er stürzte mit dem Hinterkopf auf die Fahrbahndecke und blieb schwer verletzt liegen.
10
Der Angeklagte, der erkannt hatte, dass K. durch den Aufprall schwer verletzt oder sogar getötet worden sein konnte, fuhr mit seinem Fahrzeug davon, weil er zu Recht Vergeltungsmaßnahmen der vermummten Begleiter von K. befürchtete. Als er nach etwa zwei Minuten auf ein Polizeifahrzeug traf, hielt er dieses an und offenbarte sich den Beamten (UA 12).
11
Durch die Kollision mit dem Fahrzeug des Angeklagten erlitt K. insbesondere eine lebensgefährliche Hirnblutung sowie diverse Häma- tome und Schürfwunden. Aufgrund der Hirnblutung kam es bei ihm zu einer motorischen Aphasie. Er musste intensivmedizinisch behandelt werden und sich einer einmonatigen stationären Rehabilitationsmaßnahme zum Wiedererlernen der Sprachfähigkeit unterziehen. Derzeit leidet er noch an temporären Wortfindungsstörungen und einem defekten Mundschluss sowie Angstgefühlen. Ob es zu weiteren Spätfolgen kommen wird, ist ungewiss (UA 13).
12
Der Angeklagte hätte eine Gefährdung seiner körperlichen Unversehrtheit auch dadurch vermeiden können, dass er den Pendlerparkplatz über die zweite Ausfahrt verlassen hätte oder von der ersten Ausfahrt nicht nach links, sondern nach rechts abgebogen und davongefahren wäre. Eine Beeinträchtigung seiner Verteidigungs- und Selbstschutzchancen wäre hierdurch in beiden Fällen nicht eingetreten (UA 12). Bei einem Ausfahren über die zweite Ausfahrt wäre ein Kontakt mit den Angreifern allerdings nicht ausgeschlossen gewesen, weil sich der Zeuge H. , der zu der Gruppe um die Nebenkläger gehörte, bereits in der Nähe befand (UA 39).
13
2. Das Landgericht ging davon aus, dass der Angeklagte die Tatbestände der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers K. (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) und der versuchten gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der Nebenkläger P. und S. (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, § 22 StGB) verwirklicht hat. Außerdem erfülle sein Verhalten die Voraussetzungen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, wobei er durch die Tat eine schwere Gesundheitsbeschädigung bei einem anderen Menschen verursacht habe (§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB). Eine Rechtfertigung durch Notwehr nach § 32 StGB scheide aus. Zwar sei der Angeklagte einem gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff der Nebenkläger ausgesetzt gewesen, doch habe sich seine Abwehrmaßnahme nicht im Rahmen des Erforderlichen gehalten. Dem Angeklagten sei es möglich gewesen, sich dem Geschehen durch ein Wegfahren in Gegenrichtung zu entziehen. Angesichts der offensichtlichen Gefährlichkeit seines Verhaltens habe er diese Möglichkeit ergreifen und „flüchten müssen“. Drohe dem Angegriffenen selbst keine Lebensgefahr, könne auch die Flucht ein Verteidigungsmittel sein, wenn das stattdessen eingesetzte Abwehrmittel mit Lebensgefahren für den Angreifer verbunden sei. Der Angeklagte sei aber nicht ausschließbar nach § 33 StGB entschuldigt, da er aus Verwirrung, Angst und Schrecken die Grenzen der Notwehr überschritten habe (UA 43). Der Tatbestand des § 142 StGB sei nicht erfüllt, weil dem Angeklagten nicht zugemutet werden konnte, am Unfallort zu verbleiben. Er habe sich entschuldigt entfernt und sofort nachträglich die erforderlichen Feststellungen ermöglicht.

II.


14
Die gegen den Freispruch gerichteten Revisionen der Nebenkläger und die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft haben schon deshalb Erfolg, weil die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe aufgrund eines Notwehrexzesses im Sinne des § 33 StGB ohne Schuld gehandelt, nicht tragfähig begründet ist.
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1. Eine Entschuldigung wegen einer Überschreitung der Grenzen der Notwehr nach § 33 StGB setzt voraus, dass der Täter in einer objektiv gegebenen Notwehrlage (§ 32 Abs. 2 StGB) bei der Angriffsabwehr die Grenzen des Erforderlichen aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat (vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 2003 – 4 StR 267/02, NStZ 2003, 599, 600 mwN). Von einer Angriffsabwehr kann dabei nur die Rede sein, wenn der Täter nicht nur in Kenntnis der die Notwehrlage begründenden Umstände, sondern auch mit Verteidigungswillen gehandelt hat (BGH, Urteil vom 1. Juli 1952 – 1 StR 119/52, BGHSt 3, 194, 198; LK/Zieschang, StGB, 12. Aufl., § 33 Rn. 48; Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl., Rn. 590; Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl., § 12 Rn. 149a).
16
a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte im Zeitpunkt des Anfahrens des Nebenklägers K. und des Beinahe-Zusammenstoßes mit den Nebenklägern P. und S. einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff ausgesetzt war und sich deshalb objektiv in einer Notwehrlage befand (§ 32 Abs. 2 StGB).
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Ein Angriff ist bereits dann gegenwärtig, wenn sich die durch das Verhalten der Angreifer begründete Gefahr so verdichtet hat, dass ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 8. März 2000 – 3 StR 67/00, NStZ 2000, 365; Beschluss vom 11. Dezember 1991 – 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5; Urteil vom 26. August 1987 – 3 StR 303/ 87, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 1). Nach den Feststellungen waren die Nebenkläger und ihre Begleiter im Begriff, den Angeklagten in seinem Fahrzeug körperlich anzugreifen. Dazu bewegten sie sich schnellen Schrittes auf ihn zu und hatten nur noch wenige Meter zu überwinden. Angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit der Angreifer und ihrer Bewaffnung (Reizgas, präparierte Handschuhe) hätte ein Zuwarten den Angeklagten der Gefahr ausgesetzt, nicht mehr rechtzeitig reagieren zu können oder wichtige Handlungsoptionen zu verlieren.
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Da der Angriff der Nebenkläger und ihrer Begleiter auf den Angeklagten in Widerspruch zur Rechtsordnung stand, war er auch rechtswidrig (BGH, Urteil vom 23. September 1997 – 1 StR 446/97, NJW 1998, 1000).
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b) Dagegen ist die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich mit dem Zufahren auf die Nebenkläger gegen deren Angriff verteidigt, nicht rechtsfehlerfrei begründet. Aufgrund seiner Feststellungen zur Tatvorgeschichte hätte sich das Landgericht an dieser Stelle mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob das Vorgehen des Angeklagten auch von dem erforderlichen Verteidigungswillen getragen war.
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aa) Wird von dem Angegriffenen in einer Notwehrlage ein Gegenangriff auf Rechtsgüter der Angreifer geführt (sog. Trutzwehr), kann darin nur dann eine Angriffsabwehr gesehen werden, wenn in diesem Vorgehen auch tatsächlich der Wille zum Ausdruck kommt, der drohenden Rechtsverletzung entgegenzutreten (BGH, Urteil vom 2. Oktober 1953 – 3 StR 151/53, BGHSt 5, 245, 247; Urteil vom 19. März 1968 – 1 StR 648/67, MDR 1969, 15, 16 bei Dallinger; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 32 Rn. 25; Schmidhäuser, GA 1991, 91, 132; ders., JZ 1991, 937, 939; Schünemann, GA 1985, 341, 371; Welzel, Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 86; vgl. Alwart, GA 1983, 433, 448 ff.). Dazu reicht allein die Feststellung, dass dem Angegriffenen die Notwehrlage bekannt war, nicht aus. Die subjektiven Voraussetzungen der Notwehr sind erst dann erfüllt, wenn der Gegenangriff zumindest auch zu dem Zweck geführt wurde, den vorangehenden Angriff abzuwehren. Dabei ist ein Verteidigungswille auch dann noch als relevantes Handlungsmotiv anzuerkennen, wenn andere Beweggründe (Vergeltung für frühere Angriffe, Feindschaft etc.) hinzutreten. Erst wenn diese anderen Beweggründe so dominant sind, dass hinter ihnen der Wille das Recht zu wahren ganz in den Hintergrund tritt, kann von einem Abwehrverhalten keine Rede mehr sein (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 2011 – 5 StR 328/11, NStZRR 2012, 84, 86; Urteil vom 31. Januar 2007 – 1 StR 429/06, NStZ 2007, 325, 326; Urteil vom 12. Februar 2003 – 1 StR 403/02; NJW 2003, 1955, 1957 f.; Beschluss vom 8. März 2000 – 3 StR 67/00, NStZ 2000, 365, 366; Beschluss vom 23. August 1991 – 2 StR 360/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigungswille 1; Beschluss vom 5. November 1982 – 3 StR 375/82, NStZ 1983, 117; Urteil vom 4. September 1979 – 5 StR 461/79, GA 1980, 67, 68; Urteil vom 1. Juli 1952 – 1 StR 119/52, BGHSt 3, 194, 198). Hieran ist trotz in der Literatur geäußerter Kritik (vgl. LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 266; Matt/ Renzikowski/Engländer, StGB, § 32 Rn. 63; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 32 Rn. 241; Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 32 Rn. 63; Prittwitz, GA 1980, 381 ff.; Rath, Das subjektive Rechtfertigungselement, 2002, S. 241 f.; Waider, Die Bedeutung der Lehre von den subjektiven Rechtfertigungselementen für Methodologie und Systematik des Strafrechts, 1970, S. 91 ff.) festzuhalten.
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bb) Die Äußerungen des Angeklagten im Vorfeld der Geschehnisse, wo- nach er nur darauf warte, „dass einer mal angreift“ und er den dann „endlich mal die Klinge fressen lassen“ könne, wie auch das damit verbundene begeis- terte Ausmalen eines Szenarios, in dem es zur Tötung eines politischen Geg- ners („Zecke“) in einer Notwehrsituation kommt, lassen es nicht als fernliegend erscheinen, dass er den Angriff der Nebenkläger lediglich zum Anlass genommen hat, gegen sie Gewalt zu üben. Dem entspricht es, dass es das Landgericht an anderer Stelle im Zusammenhang mit diesen Äußerungen selbst für möglich gehalten hat, dass der Angeklagte auf die Nebenkläger und ihre Begleiter zugefahren ist, um sie unter Inkaufnahme von Verletzungen „springen“ zu lassen (UA 39). Vor diesem Hintergrund konnte das Landgericht nicht ohne nähere Begründung davon ausgehen, dass der Angeklagte bei seinem Vorgehen gegen die Nebenkläger zumindest auch von dem Willen geleitet war, das Recht zu wahren. Die ausführliche Bewertung der Äußerungen des Angeklagten vom 28. September 2011 und seiner daraus abzuleitenden Haltung gegenüber den Nebenklägern im Zusammenhang mit der Prüfung eines bedingten Tötungsvorsatzes (UA 36) kann die fehlenden Ausführungen zum Verteidigungswillen nicht ersetzen.
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2. Die Sache bedarf schon aus diesem Grund neuer Verhandlung und Entscheidung. Eine Aufrechterhaltung von Feststellungen zur Tatvorgeschichte und zum Tatgeschehen kam nicht in Betracht, weil dies den nicht geständigen Angeklagten belasten würde und er keine Möglichkeit hatte, das Urteil insoweit anzugreifen (BGH, Urteil vom 27. Januar 1998 – 1 StR 727/97, BGHR StPO § 354 Abs. 1 Freisprechung 2; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 353 Rn. 15a mwN).
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Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
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a) Eine Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begeht, wer sein Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB körperlich misshandelt oder an der Gesundheit beschädigt (BGH, Beschluss vom 25. April 2012 – 4 StR 30/12, NStZ 2012, 697, 698; Beschluss vom 30. Juni 2011 – 4 StR 266/11, Rn. 5; Beschluss vom 12. Januar 2010 – 4 StR 589/09, NStZ-RR 2010, 205, 206; Beschluss vom 16. Januar 2007 – 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405). Fährt der Täter mit einem Pkw auf eine oder mehrere Personen zu, ist der innere Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur dann erfüllt, wenn er dabei billigend in Kauf nimmt, dass die betroffenen Personen angefahren werden und unmittelbar durch den Anstoß mit dem fah- renden Pkw eine Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) erleiden. Rechnet der Täter nur mit Verletzungen infolge von Ausweichbewegungen oder bei Stürzen, scheidet die Annahme einer (versuchten) gefährlichen Körperverletzung in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB aus.
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Eine gefährliche Körperverletzung in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung) setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Täter die Umstände kennt, aus denen sich in der konkreten Situation die allgemeine Lebensgefährlichkeit seines Vorgehens ergibt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 15; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 224 Rn. 13 mwN). Sollte der neue Tatrichter wiederum zu der Feststellung gelangen, das der Nebenkläger K. aus ungeklärten Gründen auf die Motorhaube des Fahrzeugs des Angeklagten gesprungen und das Vorgehen des Angeklagten erst dadurch für ihn generell lebensgefährdend geworden ist, müsste der Angeklagte auch ein solches Geschehen für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 1992 – 4 StR 607/91, BGHR StGB § 315b Abs. 3 Absicht 1).
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b) Ergibt sich, dass der Angeklagte in einer objektiv gegebenen Notwehrlage auf die Nebenkläger zugefahren ist und dabei jedenfalls auch mit Verteidigungswillen gehandelt hat, wird erneut zu prüfen sein, ob die Grenzen des Erforderlichen überschritten worden sind.
27
aa) Eine in einer objektiven Notwehrlage begangene Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt , das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 m. Anm. Erb, HRRS 2013, 113; Urteil vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 mwN). Ob dies der Fall ist, muss aus der Sicht eines objektiven und umfassend über den Sachverhalt unterrichteten Dritten in der Situation des Angegriffenen entschieden werden (BGH, Urteil vom 14. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14). Dabei kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung an (BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 m. Anm. Erb, HRRS 2013, 113; Urteil vom 28. Februar 1989 – 1 StR 741/88, NJW 1989, 3027). Da das Notwehrrecht nicht nur dem Schutz der bedrohten Individualrechtsgüter des Angegriffenen, sondern auch der Verteidigung der durch den rechtswidrigen Angriff negierten Rechtsordnung dient (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 359), kommen als alternativ in Betracht zu ziehende Abwehrhandlung grundsätzlich nur Maßnahmen in Betracht, die die bedrohte Rechtsposition gegen den Angreifer durchsetzen. Das Gesetz verlangt von einem rechtswidrig Angegriffenen nicht, dass er die Flucht ergreift oder auf andere Weise dem Angriff ausweicht, weil damit ein Hinnehmen des Angriffs verbunden wäre und weder das bedrohte Recht, noch die in ihrem Geltungsanspruch infrage gestellte Rechtsordnung gewahrt blieben (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 2004 – 2 StR 82/04, NStZ 2005, 31; Urteil vom 12. Februar 2003 – 1 StR 403/02, NJW 2003, 1955, 1957; Urteil vom 24. Juli 1979 – 1 StR 249/79, NJW 1980, 2263; Urteil vom 21. Dezember 1977 – 2 StR 421/77, BGHSt 27, 313, 314; LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 182; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 32 Rn. 118; NK-StGB/ Kindhäuser, 4. Aufl., § 32 Rn. 94 mwN). Etwas anderes kann lediglich dann gelten , wenn besondere Umstände das Notwehrrecht einschränken, etwa weil dem Angriff eine vorwerfbare Provokation des Angegriffenen vorausgegangen ist (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 141 m. Anm. Erb, HRRS 2013, 113; Urteil vom 30. Juni 2004 – 2 StR 82/04, NStZ 2005, 31) oder der Angegriffene sich sehenden Auges in Gefahr begeben hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2002 – 3 StR 503/01, NStZ-RR 2002, 203, 204 m. Anm. Walther, JZ 2003, 52).
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bb) Daran gemessen wird sich eine Überschreitung der Grenzen des Erforderlichen nicht mit den vom Erstgericht hierzu angestellten Erwägungen begründen lassen. Der Angeklagte war nicht gehalten, sich dem Geschehen durch ein Wegfahren in Gegenrichtung (Flucht) zu entziehen. Auch für die vom Landgericht angestellte Abwägung zwischen den Gefahren, die dem Angeklagten im Fall einer Flucht gedroht hätten und den mit der gewählten Verteidigung verbundenen Gefahren für die Rechtsgüter der angreifenden Nebenkläger, ist kein Raum. Stattdessen wird der neue Tatrichter auf der Grundlage der von ihm dazu getroffenen Feststellungen zu erörtern haben, ob es dem Angeklagten in dem Zeitpunkt der Zufahrt auf die Nebenkläger möglich war, den gegen ihn geführten Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit schonender als geschehen zurückzuweisen. Sollte sich wiederum ergeben, dass der Angeklagte mit Vollgas auf die in seinem Fahrweg laufenden Nebenkläger zugefahren ist, wird dabei gegebenenfalls die Frage beantwortet werden müssen, ob diese die Nebenkläger erheblich gefährdende Fahrweise tatsächlich erforderlich war, um sie von ihrem Angriffsvorhaben abzubringen. Wurde der Nebenkläger K. auch nach den neu getroffenen Feststellungen nur deshalb gravierend verletzt, weil er aus ungeklärtem Grund nicht zur Seite, sondern auf die Motorhaube des Fahrzeugs des Angeklagten sprang, wird auch entschieden werden müssen, ob diese Entwicklung aus der an dieser Stelle maßgeblichen Sicht eines objektiven Beobachters vorhersehbar war. Wäre dies zu verneinen, müsste diese Auswirkung als nicht vorhersehbare Folge bei der vergleichenden Betrachtung mit anderen möglichen Verteidigungshandlungen außer Ansatz bleiben (vgl. für eine andere Fallkonstellation BGH, Urteil vom 14. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14).
29
c) Gelangt der neue Tatrichter zu dem Ergebnis, dass sich der Angeklagte bei der Abwehr des Angriffs der Nebenkläger in den Grenzen des Erforderlichen gehalten hat, entfiele damit auch die Rechtswidrigkeit des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB. Dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 26. März 1974 (4 StR 399/73, unter 4.a), insoweit in BGHSt 25, 306; NJW 1974, 1340; MDR 1974, 679; VerkMitt 1974, Nr. 97 und JZ 1974, 621 nicht abgedruckt) implizit bejaht, indem er für einen vergleichbaren Fall die Möglichkeit einer Putativnotwehr und dementsprechend eine Bestrafung wegen fahrlässigen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 StGB) in Betracht zog. Dem steht nicht entgegen , dass § 315b StGB vornehmlich die öffentliche Sicherheit des Straßenverkehrs schützt und die Bewahrung der Individualrechtsgüter der gefährdeten Verkehrsteilnehmer von diesem Schutzzweck lediglich mit umfasst wird (BGH, Urteil vom 4. Dezember 2002 – 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 123; SSWStGB /Ernemann, § 315b Rn. 1). Zwar vermag Notwehr grundsätzlich nur Eingriffen in die Rechtsgüter des Angreifers die Rechtswidrigkeit zu nehmen (vgl. LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 159), doch ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass § 32 StGB ausnahmsweise auch die Verletzung von Universalrechtsgütern zu rechtfertigen vermag, wenn deren Begehung – wie hier – untrennbar mit der erforderlichen Verteidigung verbunden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Dezember 2011 – 2 StR 380/11, NStZ 2012, 452; Beschluss vom 13. Januar 2010 – 3 StR 508/09, NStZ-RR 2010, 140; Beschluss vom 18. Februar 1999 – 5 StR 45/99, NStZ 1999, 347; Beschluss vom 11. Juli 1996 – 1 StR 285/96, StV 1996, 660; Urteil vom 12. Mai 1981 – 5 StR 109/81, NStZ 1981, 299, jeweils zu mit der Notwehrhandlung begangenen Verstößen gegen das Waffengesetz; a.A. LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 160; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 32 Rn. 123; NK-StGB/Kindhäuser, 4. Aufl., § 32 Rn. 80 f.; Maatz, MDR 1985, 881, 882).
30
d) Ergibt sich dagegen, dass die Grenzen des Erforderlichen überschritten worden sind, wird sich ein Eingehen auf § 33 StGB anschließen müssen. Dabei wird zu beachten sein, dass eine Exkulpierung nach dieser Vorschrift nur zu rechtfertigen ist, wenn sich der Angeklagte aufgrund der Bedrohung durch die Nebenkläger in einem psychischen Ausnahmezustand mit einem Störungsgrad befunden hat, der eine erhebliche Reduzierung seiner Fähigkeit das Geschehen zu verarbeiten zur Folge hatte (BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 – 4 StR 109/96, NStZ-RR 1997, 65, 66; Urteil vom 16. August 1994 – 1 StR 244/94, NStZ 1995, 76, 77; Urteil vom 25. August 1992 – 5 StR 266/92, BGHR StGB § 33 Furcht 2; vgl. Beschluss vom 21. März 2001 – 1 StR 48/01, NStZ 2001, 591, 593; Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 33 Rn. 3; Matt/Renzikowski/Engländer, § 33 Rn. 10; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 33 Rn. 23 mwN). War dies der Fall, kann ein entschuldigender Notwehrexzess auch dann noch anzunehmen sein, wenn die Überschreitung der Notwehrgrenzen durch andere (sthenische) Affekte (Wut, Zorn etc.) mitverursacht worden ist (BGH, Urteil vom 17. Februar 1998 – 1 StR 779/97, StV 1999, 148; Beschluss vom 9. Oktober 1998 – 2 StR 443/98, NStZ-RR 1999, 264; Beschluss vom 11. Juli 1986 – 3 StR 269/86, BGHR StGB § 33 Nothilfe 1). Hierzu bedarf es konkreter Feststellungen und einer wertenden Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände.
31
Das Landgericht hat auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zutreffend in der von den vermummt auftretenden Nebenklägern ausgehenden Bedrohungslage, der durch den Überraschungseffekt bedingten zuge- spitzten Entscheidungssituation und den Angaben von Zeugen zum psychischen Zustand des Angeklagten unmittelbar nach der Tat wichtige Beweisanzeichen für einen Affekt im Sinne des § 33 StGB gesehen und dem die gegen einen solchen Affekt sprechenden Umstände (gedankliche Vorwegnahme möglicher Angriffe, Wahrscheinlichkeit von gewaltsamen Gegenaktionen) gegenübergestellt (UA 39 ff.). Seine Erwägungen sind jedoch entscheidend von der rechtsfehlerhaften Annahme beeinflusst, dass der Angeklagte die Notwehrgrenzen bereits deshalb überschritten habe, weil er den Ort des Geschehens nicht fluchtartig verließ.
32
Sollte der neue Tatrichter zu einer Erörterung der Voraussetzungen des § 33 StGB gelangen, wird er neben den genannten Gesichtspunkten auch in seine Gesamtwürdigung einzubeziehen haben, dass der Angeklagte bei seiner polizeilichen Einvernahme am 12. Oktober 2011 zwar von „Panik“ berichtet hat, dann aber seine Entscheidung für ein Zufahren auf die Gruppe um die Nebenkläger als das Ergebnis einer Abwägung zwischen verschiedenen Risiken und fahrtechnischen Möglichkeiten schilderte (UA 18). Ein Verhaltensalternativen in den Blick nehmendes Entscheiden kann Ausdruck einer Verarbeitung des Geschehens sein und damit gegen die Annahme einer Störung im Sinne des § 33 StGB sprechen.

III.


33
Durch die Aufhebung des freisprechenden Urteils werden die damit verknüpfte Entschädigungsgrundentscheidung (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG) und die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegenstandslos (BGH, Urteil vom 25. März 2010 – 1 StR 601/09, Rn. 20).
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

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Bundesgerichtshof Urteil, 25. Apr. 2013 - 4 StR 551/12 zitiert 15 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafgesetzbuch - StGB | § 223 Körperverletzung


(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Strafgesetzbuch - StGB | § 22 Begriffsbestimmung


Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 142 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort


(1) Ein Unfallbeteiligter, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er 1. zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung d

Strafgesetzbuch - StGB | § 315b Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr


(1) Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er 1. Anlagen oder Fahrzeuge zerstört, beschädigt oder beseitigt,2. Hindernisse bereitet oder3. einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt,und dadurch Leib oder Leben

Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen - StrEG | § 8 Entscheidung des Strafgerichts


(1) Über die Verpflichtung zur Entschädigung entscheidet das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt. Ist die Entscheidung in der Hauptverhandlung nicht möglich, so entscheidet das Gericht nach Anhörung der Beteiligte

Strafgesetzbuch - StGB | § 315 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr


(1) Wer die Sicherheit des Schienenbahn-, Schwebebahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er 1. Anlagen oder Beförderungsmittel zerstört, beschädigt oder beseitigt,2. Hindernisse bereitet,3. falsche Zeichen oder Signale gibt oder

Strafgesetzbuch - StGB | § 33 Überschreitung der Notwehr


Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

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Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Sept. 2013 - 4 StR 332/13

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5 StR 487/13 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 7. November 2013 in der Strafsache gegen wegen Hehlerei u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. November 2013 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten T. wird das Urteil des Land

Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss, 18. Okt. 2018 - 1 OLG 2 Ss 42/18

bei uns veröffentlicht am 18.10.2018

Tenor Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil der 3. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 14. März 2018 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Koste

Referenzen

Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

(1) Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er

1.
Anlagen oder Fahrzeuge zerstört, beschädigt oder beseitigt,
2.
Hindernisse bereitet oder
3.
einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt,
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Handelt der Täter unter den Voraussetzungen des § 315 Abs. 3, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(4) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(5) Wer in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Wer die Sicherheit des Schienenbahn-, Schwebebahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er

1.
Anlagen oder Beförderungsmittel zerstört, beschädigt oder beseitigt,
2.
Hindernisse bereitet,
3.
falsche Zeichen oder Signale gibt oder
4.
einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt,
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
in der Absicht handelt,
a)
einen Unglücksfall herbeizuführen oder
b)
eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, oder
2.
durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(5) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(6) Wer in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

(1) Ein Unfallbeteiligter, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er

1.
zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, daß er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat oder
2.
eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne daß jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Nach Absatz 1 wird auch ein Unfallbeteiligter bestraft, der sich

1.
nach Ablauf der Wartefrist (Absatz 1 Nr. 2) oder
2.
berechtigt oder entschuldigt
vom Unfallort entfernt hat und die Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht.

(3) Der Verpflichtung, die Feststellungen nachträglich zu ermöglichen, genügt der Unfallbeteiligte, wenn er den Berechtigten (Absatz 1 Nr. 1) oder einer nahe gelegenen Polizeidienststelle mitteilt, daß er an dem Unfall beteiligt gewesen ist, und wenn er seine Anschrift, seinen Aufenthalt sowie das Kennzeichen und den Standort seines Fahrzeugs angibt und dieses zu unverzüglichen Feststellungen für eine ihm zumutbare Zeit zur Verfügung hält. Dies gilt nicht, wenn er durch sein Verhalten die Feststellungen absichtlich vereitelt.

(4) Das Gericht mildert in den Fällen der Absätze 1 und 2 die Strafe (§ 49 Abs. 1) oder kann von Strafe nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Unfallbeteiligte innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach einem Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs, der ausschließlich nicht bedeutenden Sachschaden zur Folge hat, freiwillig die Feststellungen nachträglich ermöglicht (Absatz 3).

(5) Unfallbeteiligter ist jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann.

Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 67/00
vom
8. März 2000
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. März 2000 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 27. August 1999 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1. Der Angeklagte, seine Lebensgefährtin und zwei weitere Frauen gingen nach dem Besuch mehrerer Kneipen in der Düsseldorfer Altstadt die Mertensgasse hinunter, als ihnen der erheblich alkoholisierte Zeuge K. , der sich in Begleitung von sechs Personen befand, entgegen kam. Der Zeuge packte die Lebensgefährtin des Angeklagten kurz am Oberarm. Unklar geblieben ist, ob, was der Angeklagte gesehen haben will, er diese auch am Gesäß angefaßt hat. Aus Wut schlug der Angeklagte dem Zeugen in den Nacken oder packte ihn am Kragen; er ließ von ihm ab, als drei Begleiter des Zeugen, deren bis dahin fröhliche Stimmung in Aggression und Streitlust umgeschlagen war,
in drohender Haltung auf ihn zukamen. Der Angeklagte, der diese Aggression sofort bemerkte, entfernte sich. Nunmehr beschloß der Zeuge K. s owie drei seiner Begleiter, das Verhalten des Angeklagten nicht ungestraft zu lassen. Sie folgten dem Angeklagten und den drei Frauen, die alsbald stehen blieben. Der Angeklagte sah die vier Männer auf sich zurennen. "Anstatt selbst die Flucht zu ergreifen" - so das Landgericht (UA S. 10) -, forderte er die Frauen auf, sich in Sicherheit zu bringen; er selbst war mit einer körperlichen Auseinandersetzung einverstanden. Die Gelegenheit schien ihm günstig, den Zeugen K. wegen dessen Aktion gegen seine Lebensgefährtin zu bestrafen. Einem möglichen Streit sah er gelassen entgegen, hatte er doch ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von 8 cm und einer Breite von 4 cm bei sich. Bevor der Angeklagte allerdings von sich aus aktiv werden konnte, schlug ihm einer der Begleiter des Zeugen von hinten eine Bierflasche auf den Hinterkopf, die dabei zerbrach. Gleichzeitig erhielt er einen Tritt, so daß er zu Boden ging. Es kam nun zu einer Schlägerei zwischen den beiden Gruppen, an denen sich auch die Frauen beteiligten; diese entfernten sich dann.
Zwischenzeitlich hatte der am Boden liegende Angeklagte sein Messer gezogen, war aufgestanden, hielt es in drohender Haltung gegen die Gruppe um den Zeugen K. und schwang es vom Körper entfernt in weiten Bögen von links nach rechts hin und her, um die ihn Bedrohenden von sich fernzuhalten. Einer der Begleiter des Zeugen K. hatte sich entfernt, zwei andere, die Zeugen T. und H. , blieben "in respektvoller Entfernung" stehen und versuchten, den Zeugen K. v om Angeklagten wegzuziehen. Sie haben später ausgesagt, die eigentliche Aggression sei von K. und ihnen ausgegangen , sie hätten aufgrund ihres eigenen Verhaltens Verständnis für den Einsatz des Messers seitens des Angeklagten gehabt.
In dieser Situation ging der Zeuge K. nun in wütender und aggressiver Stimmung auf den Angeklagten zu. Der Angeklagte, der sah, daß K. keine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug bei sich hatte, schwang weiter sein Messer, um K. auf Abstand zu halten. Da dieser trotzdem weiter auf den Angeklagten zukam, erlitt er fünf Schnittverletzungen.
Gleichwohl ging er noch weiter auf den Angeklagten zu. "Wut und Ä rger stiegen in dem Angeklagten hoch, war K. doch derjenige, der seine Freundin 'unsittlich' angefasst hatte und sich nunmehr auch noch mit ihm - dem Angeklagten - schlagen wollte. Getragen von dieser Wut wollte er dem K. einen Denkzettel verpassen. Bevor K. von sich aus irgendeine körperliche Attacke gegen den Angeklagten ausführte, holte dieser mit dem Messer in der rechten Hand aus und versetzte dem ihm gegenüber stehenden K. einen gezielten und wuchtigen Stich in den linken Oberbauch. Das Messer drang ca. 4 cm durch das Bauchfettgewebe in den Körper des K. ein und durchstach den Darm" (UA S. 12, 13). Der Zeuge wurde alsbald mit lebensgefährlicher Darmperforation in ein Krankenhaus eingeliefert, notfallmäßig operiert, und seine Schnittverletzungen wurden genäht.
Das Landgericht hat eine Notwehrlage sowohl hinsichtlich der fünf Schnittverletzungen als auch bezüglich des Bauchstichs verneint. Der Angeklagte habe genügend Zeit gehabt, zusammen mit den drei Frauen wegzurennen und so der kommenden Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Das habe er nicht getan. Vielmehr habe er sich wütend und erbost auf die körperliche Auseinandersetzung eingelassen, um die Gelegenheit zu nutzen, K. zu bestrafen. Der eigentliche unmittelbare Angriff mit der Bierflasche sei abgeschlossen gewesen, als K. auf den Angeklagten zugegangen sei. "Mag der
Zeuge auch die Absicht gehabt haben, sich - vom Messer des Angeklagten unbeeindruckt - mit diesem zu schlagen", habe doch kein Angriff auf ein geschütztes Rechtsgut des Angeklagten unmittelbar bevorgestanden. Der "unbewaffnete K. habe weder den Arm zum Schlag erhoben, noch eine sonstige körperliche Aktion gegen den Angeklagten ausgeführt" (UA S. 29). Bei dieser Sachlage sei ein künftiger Angriff durch K. "möglicherweise zu erwarten, die gerechtfertigte Notwehrhandlung (sei) zu dieser Zeit aber noch nicht möglich" (UA S. 29) gewesen.
2. Die Ansicht des Landgerichts, schon die fünf Schnittverletzungen seien nicht durch Notwehr gerechtfertigt, begegnet rechtlichen Bedenken. Dem Urteil liegt insoweit eine zu enge Auffassung vom Umfang des Notwehrrechts zugrunde.
Nach den Feststellungen stand dem Angeklagten unmittelbar ein rechtswidriger Angriff durch den Zeugen K. bevor. Die der Tat vorausgegangene körperliche Auseinandersetzung zwischen den beiden Gruppen war beendet. Mindestens der Zeuge K. und noch zwei seiner Begleiter kamen nun in feindseliger Absicht auf den Angeklagten zu. Der Zeuge K. ließ sich auch durch die Messerschwünge nicht abhalten, weiter auf den Angeklagten zuzugehen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war jetzt nicht nur "ein künftiger Angriff möglicherweise zu erwarten", sondern gegenwärtig. Das Verhalten des K. konnte unmittelbar in eine Rechtsgutverletzung umschlagen, so daß durch das Hinausschieben einer Abwehrhandlung dessen Erfolg in Frage gestellt wäre (vgl. BGHR StGB § 32 II Angriff 1). Der Einsatz des Messers war unter den gegebenen Umständen auch erforderlich, da er die sofortige Beseitigung des Angriffs des K. erwarten ließ (vgl. BGHSt 27, 336;
BGH NStZ 1996, 29; BGHR StGB § 32 II Verteidigung 4); er war in der Form des im Abstand vor dem Körper Hin- und Herschwingens auch - im Vergleich zum sofortigen Zustechen - das schonendere Mittel zur Erreichung des Abwehrerfolges. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang brauchte sich der Angeklagte nicht einzulassen (vgl. BGHR StGB § 32 II Erforderlichkeit 6).
Darauf, daß K. unbewaffnet war und den Arm noch nicht zum Schlag erhoben hatte, kommt es angesichts der unmittelbaren Vorgeschichte und der drohenden Haltung des Zeugen K. und seiner Begleiter, denen der Angeklagte alleine gegenüberstand, nicht an.
Der Angeklagte war auch - weder vor Beginn der Schlägerei, als die Gruppe um den Zeugen K. auf ihn und die drei Frauen zurannte, noch, nachdem er von der Bierflasche getroffen zu Boden gestürzt war, sich erhoben hatte und erneut K. und seine Begleiter in drohender Haltung auf sich zukommen sah - nicht gehalten, "selbst die Flucht zu ergreifen" (UA S. 10, 34) und "wegzurennen" (UA S. 27). Seiner Abwehrhandlung war kein schuldhaft provozierter Angriff seinerseits vorausgegangen (vgl. BGHSt 39, 374 m.w.Nachw.), so daß er nicht verpflichtet war, dem Angriff auszuweichen. Der Zeuge K. war nach den getroffenen Feststellungen auch nicht so betrunken , als daß unter diesem Gesichtspunkt das Notwehrrecht des Angeklagten eingeschränkt gewesen wäre.
Der Angeklagte handelte auch mit Verteidigungswillen. Zwar schien dem Angeklagten vor dem Beginn der körperlichen Auseinandersetzung die Gelegenheit , den Zeugen K. für dessen Verhalten zu bestrafen, günstig und im Hinblick auf sein Messer sah er auch einem Streit trotz der zahlenmäßigen
Überlegenheit der Angreifer gelassen entgegen. Der Messereinsatz hatte aber dann später in der konkreten Situation nach den getroffenen Feststellungen nur noch den Zweck, zunächst die Gruppe um K. und dann diesen allein von sich fernzuhalten. Selbst wenn er in diesem Augenblick immer noch im Sinn gehabt haben sollte, den Zeugen K. zu bestrafen, so drängte dieses Motiv den Verteidigungszweck nicht völlig in den Hintergrund (vgl. BGH NStZ 1996, 29, 30).
3. Soweit das Landgericht auch bei dem anschließenden Bauchstich eine Notwehrlage verneint hat (vgl. BGHSt 42, 97; BGHR StGB § 32 II Verteidigung 6), kann der Senat nicht ausschließen, daß die rechtsfehlerhafte Beurteilung des ersten Tatkomplexes auch die Bewertung dieses Tatgeschehens beeinflußt hat. Im Hinblick auf die Feststellung, daß der Angeklagte aus Wut und um dem Zeugen einen Denkzettel zu verpassen, zugestochen hat, läßt das Urteil zudem eine Prüfung vermissen, ob der Angeklagte daneben auch noch mit Verteidigungswillen gehandelt hat. Denn eine Tat kann auch dann durch Notwehr gerechtfertigt sein, wenn der Täter neben der Abwehr noch andere
Ziele verfolgt, solange sie den Verteidigungszweck nicht völlig in den Hintergrund drängen; das gilt auch, wenn Wut bei der Tat eine Rolle spielt (BGH NStZ 1996, 29, 30 m.w.Nachw.).
Kutzer Miebach Winkler Pfister von Lienen

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

5 StR 328/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 9. November 2011
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. November
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt S.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt R. ,
Rechtsanwalt B.
als Vertreter des Nebenklägers W. ,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Dezember 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen der Tat vom 7. Juni 2009 freigesprochen worden ist, ferner, soweit der Angeklagte wegen Unterschlagung verurteilt worden ist, und im Gesamtstrafausspruch.
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers wird das genannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen der Tat vom 20. Juni 2009 verurteilt worden ist; davon ausgenommen bleiben die Feststellungen zu den objektiven Umständen des Tatkerngeschehens (vom Würgen des Angeklagten bis zur Rettung des Nebenklägers ); diese bleiben aufrecht erhalten.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Jugendlichen, mit (zweifacher) gefährlicher Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung (Tat vom 20. Juni 2009 zum Nachteil des Nebenklägers W. ; Einsatzstrafe : acht Jahre sechs Monate Freiheitsstrafe), ferner wegen Unterschlagung und wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und hat ihn im Übrigen freigesprochen ; dem Nebenkläger W. hat es im Adhäsionsverfahren einen Schmerzensgeld- und Feststellungsanspruch zugesprochen.
2
Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer Revision gegen den Teilfreispruch , der die Tötung des Ba. am 7. Juni 2009 betrifft. Ferner wendet sich die Staatsanwaltschaft – wie auch der Nebenkläger W. mit seiner Revision – gegen den Schuldspruch wegen des Tatgeschehens vom 20. Juni 2009. Die Beschwerdeführer beanstanden insbesondere , das Landgericht habe dem Angeklagten zu Unrecht einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des Totschlags – nach Auffassung des Nebenklägers bei richtiger Bewertung der Konkurrenzen vom versuchten Verdeckungsmord – zugebilligt. Auch die Staatsanwaltschaft beanstandet – namentlich im Blick auf die von ihr weiter erstrebte Verhängung der Maßregel der Sicherungsverwahrung – die fehlerhafte Annahme von Tateinheit für diesen Tatkomplex. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
3
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
a) Zur Person des Angeklagten:
5
Der in desolaten Familienverhältnissen aufgewachsene Angeklagte beging seit 1993 Straftaten, vornehmlich Gewaltdelikte (Raub- und Körperverletzungstaten ), und verbüßte bis 2004 mehrere Jugend- und Freiheitsstrafen. Später folgten eine kürzere gefahrenabwehrrechtliche Unterbringung in der Psychiatrie, Untersuchungshaft wegen des Verdachts der Brandstiftung und eine Drogenentzugstherapie. Im Jahr 2009 trank der Angeklagte jedoch wieder regelmäßig Alkohol; er nahm eine schon früher ausgeübte Prostitutionstätigkeit im homosexuellen Milieu wieder auf.
6
Der körperlich gesunde Angeklagte „ist sehr leicht kränkbar, fühlt sich schnell benachteiligt und von anderen Menschen zurückgestoßen. Dies führt häufig dazu, dass unverarbeitete Erfahrungen aus der Vergangenheit in ihm hochkommen und er sich durch unkontrollierte Handlungen Erleichterung verschafft. Er ist stark zuwendungsbedürftig und neigt dazu, in krisenhaften Situationen mit Selbstmord zu drohen, um Hilfe zu erzwingen“ (UA S.19). Diagnostisch besteht bei ihm eine dissoziale Persönlichkeitsstörung, ferner eine neurotisch-depressive Störung, ein beginnendes Abhängigkeitssyndrom vom Alkohol sowie eine leichte Intelligenzminderung.
7
b) Zur Tat vom 7. Juni 2009 (Tötung von Ba. ):
8
aa) Der Angeklagte traf gegen 1.30 Uhr auf der Suche nach einem Freier in einem Lokal auf den 63-jährigen Beamten Ba. , der seit 2002 homosexuelle Kontakte pflegte. Dabei fiel dieser durch „extreme Anhänglichkeit“ auf, konnte unter Alkoholeinfluss verbal aggressiv werden und geriet gelegentlich auch in gewalttätige Auseinandersetzungen (UA S. 51, 24). Der bereits alkoholisierte Ba. spendierte dem Angeklagten ein Bier und einige Jägermeister und verpflichtete sich, dem Angeklagten für „Küssen und Oralsex“ 70 € zu zahlen (UA S. 24). Beide fuhren in die Wohnung des Angeklagten.
9
bb) Aufgrund der als unwiderlegbar bewerteten Angaben des Angeklagten hat das Landgericht folgendes Tatgeschehen angenommen und dieses als durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt angesehen:
10
In seiner Wohnung geriet der Angeklagte mit Ba. in Streit, da dieser sich entgegen üblichen Gepflogenheiten weigerte, vor den sofort verlangten sexuellen Handlungen das vereinbarte Geld zu bezahlen. Nach ver- balen Auseinandersetzungen wollte der bereits weitgehend entkleidete Ba. den Angeklagten anfassen. Als dieser zurückwich, begann Ba. , ihn zu schubsen. Der Angeklagte wehrte sich erfolgreich. Nach einigen wechselseitigen Schlägen packte Ba. den Angeklagten mit beiden Händen am Hals. Der Angeklagte griff seinerseits Ba. an den Hals, damit dieser ihn losließ. Ba. warf sodann zunächst mit einer Pflanze nach dem Angeklagten, packte ihn sodann erneut am Hals und drückte so kräftig zu, dass der Angeklagte keine Luft mehr bekam, großen Druck im Kopf verspürte und das Gefühl hatte, Ba. werde ihn umbringen. Als es ihm nicht gelang, dessen Griff zu lockern, griff er seinerseits Ba. mit beiden Händen an den Hals, wobei beide Daumen an dessen Kehlkopf lagen. Er wollte sein eigenes Leben retten, erkannte, dass er dadurch möglicherweise Ba. würde töten müssen, und drückte nun so lange kräftig zu, bis der Griff von Ba. an seinem Hals lockerer wurde. In diesem Moment beendete der Angeklagte das Würgen und stieß Ba. mit aller Kraft nach hinten, der daraufhin schräg auf das Bett fiel, wo er tot liegen blieb. Der Angeklagte verließ anschließend seine Wohnung.
11
cc) Am 8. Juni 2009 kehrte er alkoholisiert zurück. Er entnahm dem Portemonnaie des Ba. etwas Bargeld, ferner nahm er ein Armband und eine Halskette des Toten an sich. Aufgrund dieser vom Angeklagten im Wesentlichen eingestandenen Feststellungen ist er wegen Unterschlagung schuldig gesprochen worden.
12
Den Leichnam legte er in einen Bettbezug, schleppte ihn zum Kleiderschrank und verstaute ihn dort. Die Leiche wurde durch die wegen Verwesungsgeruchs alarmierte Polizei am Morgen des 20. Juni 2009 in der Wohnung des Angeklagten entdeckt.
13
c) Zur Tat vom 20. Juni 2009 (Tat zum Nachteil des Nebenklägers J. W. ):
14
aa) Der Angeklagte traf nach mehreren Gaststättenbesuchen gegen 4.30 Uhr auf die ihm bekannte C. W. , die Mutter des damals 14 Jahre alten J. W. . Nach weiterem Alkoholgenuss kam es zum Streit des Angeklagten mit seinem Zwillingsbruder, für dessen Schlichtung die Polizei herbeigerufen wurde. Bis 7 Uhr tätigte der Angeklagte vier Notrufe , in denen er von Suizid sprach. Er beschloss nunmehr, sich in der Wohnung der abwesenden C. W. schlafen zu legen. Er stieg über ein angelehntes Fenster in die Wohnung ein und traf auf den dort schlafenden J. Der Angeklagte, der den Schlafenden in dem abgedunkelten Raum zunächst für einen der zahlreichen afrikanischen Drogenhändler hielt, die bei der betäubungsmittelabhängigen C. W. ständig zu Besuch waren, empfand Wut auf C. W. , die er, gepaart mit Rachegedanken und Verzweiflung, an dem schlafenden J. ausließ.
15
Er legte dem Jungen die Hände um den Hals und drückte einige Sekunden kräftig zu. J. wurde wach und konnte den Griff des Angeklagten etwas lockern. Der Angeklagte ließ von dem Jungen zunächst ab und sagte, dass ihm die Sache leid tue. Er hegte aber weiter Rache- sowie Zerstörungsgefühle und nahm J. das Handy ab, um zu verhindern, dass dieser damit Hilfe hole. Der Junge kühlte die roten Stellen seines Halses im Bad mit Wasser. Der Angeklagte folgte ihm anschließend wieder zu seinem Schlafplatz und fasste ihm ans Gesäß. Er brachte J. durch eine Drohung dazu, sich wieder hinzulegen, und vollzog an ihm zweifach den – als lang und schmerzhaft empfundenen – Analverkehr, unterbrochen von gegenseitigem Oralverkehr. Schließlich führte der Angeklagte eine Getränkeflasche aus Plastik in den Anus von J. ein. Nach weiteren sexuellen Zudringlichkeiten , bei denen sich der Junge auf Geheiß des Angeklagten die Augen verbinden musste, stach ihm der Angeklagte unvermittelt mit einem aus der Wohnung stammenden Küchenmesser (20 cm Klingenlänge) in den Hals.
Die Stichwunde war 3 bis 4 cm lang, der Stichkanal hatte eine Tiefe von 7 cm, verlief in unmittelbarer Nähe zur Halsschlagader und verletzte den rechten Schilddrüsenlappen.
16
J. nahm die Augenbinde ab. Der Angeklagte untersagte dem Jungen , sich zu duschen, gab ihm ein Kissen und forderte ihn auf, sich auf den Bauch zu legen, liegen zu bleiben und das Kissen gegen die Wunde zu drücken. Er äußerte einerseits, er werde im Wohnungsflur auf J. s Mutter warten und diese dann umbringen, andererseits trug er J. auf, seiner Mutter nach deren Rückkehr auszurichten, dass „Ja. “ dagewesen sei. Schließlich verließ er die Wohnung. J. , der das nicht bemerkt hatte, wagte erst zehn Minuten nach dem Stich die Flucht, drückte mit einer Hand ein T-Shirt auf seine Wunde, sprang nackt aus dem Fenster und fand Schutz in einem nahegelegenen Kiosk. Die – ohne ärztliche Versorgung – potentiell lebensbedrohliche Stichverletzung wurde notoperiert (UA S. 39). Auch aufgrund des kräftigen Würgens, das Würgemale und Stauungsblutungen verursacht hatte, bestand potentielle Lebensgefahr.
17
bb) Diese Feststellungen zum Tatkerngeschehen hat das Landgericht auf die glaubhafte Aussage des Nebenklägers und ärztliche Gutachten gestützt. Dass der Angeklagte – vor dem ersten Würgen – geglaubt habe, angegriffen zu werden, und dass er J. nicht habe töten wollen, hat die Schwurgerichtskammer als widerlegt angesehen.
18
Hingegen hat das Landgericht einen Rücktritt vom unbeendeten Totschlagsversuch für unwiderlegbar erachtet. Es hat dem Angeklagten abgenommen , er habe geglaubt, J. sei nicht schlimm verletzt gewesen, und sei zudem beim Verlassen der Wohnung davon ausgegangen, dass der Junge alsbald die Polizei rufen und so auch ärztliche Hilfe erhalten werde.
19
2. Die gegen den Freispruch wegen der Tötung des Ba. gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Das Re- visionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden oder die Annahme der Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes nicht auszuschließen vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob diesem Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteile vom 2. Dezember 2005 – 5 StR 119/05, NJW 2006, 925, 928, insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt, und vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401). Solche Rechtsfehler liegen hier vor.
20
a) Insbesondere beruht die allein der Einlassung des Angeklagten folgende , angesichts der gesamten festgestellten Begleitumstände letztlich nahezu lebensfremd anmutende Annahme des Landgerichts, das Opfer habe den Angeklagten seinerseits durch heftiges Würgen zur Notwehr durch Erwürgen veranlasst, in mehrfacher Hinsicht auf lückenhaft gebliebenen Erwägungen.
21
aa) Die Schwurgerichtskammer hat es schon unterlassen, die sich aus den persönlichen Umständen des Getöteten ergebende Interessenlage in seine Erwägungen einzubeziehen (vgl. BGH, Urteile vom 4. Dezember 2007 – 5 StR 324/07, StV 2008, 182, 184, und vom 29. April 2010 – 5 StR 18/10, BGHSt 55, 121, 137). Das erheblich ältere Opfer erstrebte die Vornahme homosexueller Handlungen durch den Angeklagten. Sein Ziel wäre indes durch die vom Landgericht angenommenen, sogar mehrfachen körperlichen Angriffe auf den Angeklagten offensichtlich unerreichbar geworden. Die Annahme derartiger Gewalt stand zudem im Widerspruch zu der festgestellten – wenn auch übersteigerten, homosexuell geprägten – Anhänglichkeit des Opfers gegenüber jüngeren Männern.
22
bb) Das Landgericht hat ferner eine aus festgestellten Umständen sich aufdrängende Neigung des Angeklagten zur Vornahme willkürlicher Würgeangriffe aus Wut nicht konkret erwogen (vgl. BGH NStZ 2009 aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 28. September 2006 – 5 StR 140/06, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 16). Unter den zahlreichen Gewalthandlungen des Angeklagten, die Gegenstand seiner Vorverurteilungen waren, finden sich – neben einer Vielzahl wutbedingter Angriffe gegen Kopf und Gesicht der Opfer – Würgeangriffe vom 20. Juni 1994 (UA S. 9) und vom 14. Februar 2003 (UA S. 16). Daneben hat sich das Landgericht – unter Überwindung der Einlassung des Angeklagten – selbst davon überzeugt, dass der Angeklagte 13 Tage nach der Tötung von Ba. aus Wut, Rache und Verzweiflung den Nebenkläger J. W. lebensgefährlich gewürgt hat. Die Indizwirkung dieser drei bewiesenen Taten hätte, um die erhobenen Beweise erschöpfend zu würdigen, mit in die wertende Betrachtung einbezogen werden müssen (vgl. BGH, Urteile vom 21. März 2002 – 5 StR 566/01, wistra 2002, 260, und vom 22. August 2002 – 5 StR 240/02, NStZ-RR 2002, 338). Hinzu kommt, dass das widerlegte Verteidigungsvorbringen des Angeklagten im Fall W. zu einer vermeintlichen Notwehrlage mit zu bedenken gewesen wäre.
23
cc) Soweit das Landgericht (UA S. 48 und 49) Angaben des Angeklagten hinsichtlich seines Nachtatverhaltens (Telefongespräche, Erbrechen, Verschenken der Schmuckstücke, übermäßiger Alkoholgenuss) durch Zeugenaussagen bestätigt sieht und dieses ersichtlich als Stütze der Einlassung zum Tatkerngeschehen heranzieht, ist dies durchgreifend bedenklich. Das durch Außenumstände erwiesene Verhalten des Angeklagten steht in keinem Wertungszusammenhang mit der zu prüfenden Frage, ob eine Notwehrlage bestanden hat. Dagegen steht – wenn auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Persönlichkeit des Angeklagten – das bewiesene, eher notwehruntypische Nachtatverhalten der Verwahrung der Leiche bis zur zwangsläufigen Entdeckung durch sich verbreitenden Verwesungsgeruch.
24
b) Abgesehen davon beruht auch die Wertung des Landgerichts,die – angenommene – Verteidigungshandlungdes Angeklagten sei erforderlich gewesen (§ 32 Abs. 2 StGB), auf lückenhaft gebliebenen Erwägungen.
25
aa) Die Schwurgerichtskammer hat die Fähigkeiten der Kontrahenten zur Vornahme von Angriffs- und Verteidigungshandlungen nicht – was geboten gewesen wäre (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 32 Rn. 30 mwN) – konkret bewertet und ist lediglich zu der eher vagen Annahme gelangt, dass der An- geklagte „kaum“ in der Lage gewesen wäre, den Angriff auf mildere Weise zu beenden (UA S. 67). Dabei hat es nicht bedacht, dass ihm das bei einem ersten gleichartigen Angriff nach seiner eigenen Einlassung ohne Weiteres gelungen war.
26
bb) Daneben hat das Landgericht mit der Tötungshandlung zusammenhängendes medizinisches Erfahrungswissen nicht in seine Bewertung einbezogen (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401). Solches wäre geeignet gewesen, die angenommene Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung – Würgen bis zur Beendigung des Angriffs , damit auch bis zum Todeseintritt (UA S. 26) – grundlegend in Frage zu stellen.
27
Bei Würgen oder Erdrosseln als Tötungshandlung verstreicht bis zum Erfolgseintritt in der Regel ein ganz erheblicher Zeitraum der Gewaltanwendung , wie auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Fällen problematischer Begründung des Tötungsvorsatzes zu entnehmen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juli 1996 – 4 StR 275/96, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz , bedingter 48; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2003 – 5 StR 458/03, BGHR aaO Vorsatz, bedingter 57; vgl. ferner Eisen, Handwörterbuch der Rechtsmedizin, Bd. 1, 1973, S. 213, 217). Vor Eintritt des Todes kommt es jedenfalls zu körperlichen Reaktionen des gewürgten Opfers, die eine Verminderung von dessen Handlungsfähigkeit bewirken (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juni 1992 – 4 StR 308/92, BGHR aaO Vorsatz bedingter 30; Eisen aaO S. 213) und hierdurch einen Angriff auf den in Notwehr Würgenden durch fortschreitende äußere Anzeichen der Ermattung des Angreifers als sicher beendet und ein noch längeres Würgen als zweckverfehlend erscheinen lassen. Hiernach hätte das Landgericht auch bei Prüfung der erforderlichen Verteidigung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB eine mit der angriffsbeendenden Würgehandlung des Angeklagten einhergehende, den Tod des Angreifers indes vermeidende Handlungsalternative erwägen müssen.
28
Ausgehend hiervon wäre die vom Landgericht fehlerfrei festgestellte Todesverursachung durch Erwürgen unter Beschädigung der Schildknorpel des Opfers, was jedenfalls zum Tod führen musste (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 1994 – 4 StR 267/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 40), als ein Überschreiten der gebotenen Notwehr zu qualifizieren und allenfalls unter die Voraussetzungen des § 33 StGB zu subsumieren gewesen.
29
c) Die Tat bedarf demnach umfassend neuer Aufklärung und Bewertung. Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Annahme von Notwehr auch bei völlig zurücktretendem Verteidigungswillen ausgeschlossen sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 1991 – 2 StR 360/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigungswille 1). Ferner müsste auch der festgestellten Wahrnehmung mehrerer Zeugen, die allesamt Würgemale des Angeklagten nicht zur Kenntnis genommen haben, mehr Aufmerksamkeit als bisher (UA S. 46) gewidmet werden. Soweit – bisher im Einzelnen nicht dargelegte und erwogene – Mitteilungen des Angeklagten gegenüber Dritten über das Vorliegen einer Notwehrlage zu würdigen wären (vgl. UA S. 38), könnten diese im Grundsatz – ähnlich einem von einem Verdächtigen selbst bekundeten Alibi (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2011 – 5 StR 259/11) – kaum Bedeutung für eine Bestätigung der Notwehreinlassung haben.
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Die Aufhebung auf Revision der Staatsanwaltschaft muss auch den Schuldspruch wegen Unterschlagung erfassen. Die tatnahe Ansichnahme von Wertgegenständen des Getöteten steht mit dem zu prüfenden Tötungsverbrechen in untrennbarem Zusammenhang. Die Prüfung eines daraus resultierenden – eventuell auch nur mitbestimmenden – Tötungsmotivs ist unerlässlich. Im Zweifel kommt bei Verurteilung wegen vorsätzlicher Tötung ohne nachgewiesenen Raubmord Tateinheit zwischen Totschlag und Unterschlagung in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 1987 – 4 StR 400/87, BGHR StGB § 52 Abs. 1 in dubio pro reo 4).
31
3. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers ist der Schuldspruch hinsichtlich der Tat vom 20. Juni 2009 zum Nachteil des Nebenklägers W. ebenfalls aufzuheben.
32
a) Das Landgericht hat dem Angeklagten mit durchgreifend bedenklichen Erwägungen einen Rücktritt vom unbeendeten Totschlagsversuch zugebilligt. Es hat die – in der Hauptverhandlung vom Angeklagten vorgetragenen – Einschätzungen hinsichtlich der Schwere und der weiteren Entwicklung der Verletzungen des Nebenklägers seiner Entscheidung ohne weiteres zugrunde gelegt. Solches stößt hier schon im Ansatz auf mehrere Bedenken.
33
aa) Der Angeklagte hat wesentliche Einzelheiten des ihn stark belastenden Tatgeschehens nicht aus eigener Erinnerung bestätigt. Dieser Umstand hätte bei der Bewertung der Glaubhaftigkeit der bekundeten günstigen, für den Rücktrittshorizont als maßgeblich betrachteten Vorstellungen kritischer Prüfung dergestalt bedurft, warum vom Angeklagten lediglich ihn Begünstigendes , aber nicht Belastendes erinnert wird.
34
Daneben lässt die Würdigung der Einlassung nicht erkennen, dass sich die Schwurgerichtskammer in jeder Beziehung des schuldmindernden Charakters der Angaben des Angeklagten bewusst war. Das Landgericht hat wesentliche Angaben des Angeklagten zutreffend als widerlegt angesehen, nämlich dass er sich angegriffen glaubte und dass er J. W. nicht töten wollte. Die so vollzogene Bewertung zentralen Verteidigungsvorbringens als Schutzbehauptung hätte es indes erfordert, auch bei der Würdigung weiterer vom Angeklagten vorgetragener Umstände deren Charakter als kritisch zu betrachtendes Verteidigungsvorbringen zu beachten. Erst danach hätte von dessen partieller Glaubhaftigkeit – wie es das Landgericht indes durchgehend wie selbstverständlich getan hat – ausgegangen werden dürfen (BGH, Urteil vom 8. April 2009 – 5 StR 65/09, NStZ-RR 2009, 290 mwN; BGH, Beschluss vom 23. Juni 2009 – 5 StR 182/09).
35
bb) Daneben sind die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es auf der Grundlage der Einlassungen des Angeklagten den Rücktritt bejaht hat, zum Teil widersprüchlich und lückenhaft, und zwar selbst bei der hier wegen der Wahrnehmung der „starkblutenden Wunde“ am Hals durch den Angeklagten eher fernliegenden Anerkennung eines Rücktritts vom unbeendeten Versuch. Die Einlassungen sind auch nicht der gebotenen Gesamtwürdigung unterzogen worden (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2005 – 2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, 85).
36
Die von der Schwurgerichtskammer gebilligte Erwartung des Angeklagten , dass der Nebenkläger nach dem Verlassen der Wohnung durch den Angeklagten die Polizei rufen würde, setzt sich nicht mit der dem widersprechenden Feststellung auseinander, dass der Angeklagte das Mobiltelefon des J. W. an sich genommen hatte, um zu verhindern, dass dieser damit Hilfe hole (UA S. 33).
37
Nicht in die Erwägungen einbezogen worden ist der gegen die Möglichkeit der Selbstrettung und für die – freilich bisher nicht begründete (UA S. 70) – Annahme des Vorsatzes der Freiheitsberaubung sprechende Umstand , dass der Angeklagte durch wiederholte Kontrolle des auf der Matratze liegenden blutenden Nebenklägers und durch die Ankündigung, im Flur auf dessen Mutter zu warten und diese umzubringen, ein Fluchthindernis und hierdurch eine Erhöhung der Gefahr für das Leben des Nebenklägers geschaffen hat. Wer – wie der Angeklagte – die baldige Rettung des von ihm verletzten, stark blutenden Opfers durch Freiheitsberaubung zu verhindern sucht, gibt die weitere Tatausführung naheliegend gar nicht auf. Der von § 24 Abs. 1 Satz 1 (erste Alternative) StGB honorierte Verzicht auf ein mögliches Weiterhandeln (vgl. BGH [GS], Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 231) wird dem Angeklagten nicht zugute gebracht werden können, weil er einen Erfolgseintritt zusätzlich durch Einwirkung auf sein – quasi als Tatmittler eingesetztes – Opfer weiter gefördert hat.
38
b) Nicht unbedenklich ist zudem die Annahme von Tateinheit in Gestalt einer natürlichen Handlungseinheit hinsichtlich des Würgevorgangs und des Messerangriffs. Diese Handlungen sind nach den getroffenen Feststellungen nicht durch eine notwendige einheitliche fortwirkende Gewaltanwendung verbunden (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2007 – 4 StR 572/06, NStZ-RR 2007, 235). Soweit das Landgericht für den erforderlichen einheitlichen Tatwillen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 1962 – 1 StR 524/61, BGHSt 16, 397, 398) auf das Vorliegen einer einzigen Macht- und Rachedemonstration sowie Demütigung (UA S. 70) abstellt, bestehen Bedenken gegen eine durch Tatsachen gestützte Schlussfolgerung. Der Angeklagte hat eigene Erklärungen lediglich zu seinen Rücktrittsvorstellungen abgegeben. Die aus der Aussage des Nebenklägers und aus weiteren Beweismitteln gewonnenen Feststellungen zum Tatkerngeschehen belegen vielmehr eher mehrere willensgetragene Handlungsabschnitte nach separaten Entschließungen des Angeklagten. Hierdurch hat sich das Landgericht auch unzutreffenderweise gehindert gesehen, den festgestellten Sachverhalt in der letzten Geschehensphase, wie aus Sicht der Revision des Nebenklägersangezeigt und auch ursprünglich angeklagt, als versuchten Verdeckungsmord zu würdigen.
39
c) Im Hinblick auf die vom Landgericht angenommene Tateinheit nötigt schon die fehlerhafte Annahme eines Rücktritts vom Totschlagsversuch zur Aufhebung des gesamten Schuldspruchs (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli2011 – 5 StR 561/10, NJW 2011, 2895, 2897 mwN).

40
Im Übrigen begegnet angesichts des Mangels in der Behandlung der Konkurrenzen auch die Verurteilung wegen der Qualifikation einer besonders schweren Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 4 Nr. 1, 2 lit. a und b StGB Bedenken (vgl. § 301 StPO). Die Feststellungen belegen nicht zweifelsfrei, dass das Messer bei der zur Vergewaltigung führenden Nötigung oder bei dem sexuellen Geschehen eingesetzt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2000 – 4 StR 464/00, BGHSt 46, 225, 229). Das Messer wurde mit bedingtem Tötungsvorsatz zur Herbeiführung einer Verletzung verwendet. Dies geschah nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den früher vollzogenen sexuellen Handlungen.
41
d) Das Tatgeschehen vom 20. Juni 2009 bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung. Allerdings können die Feststellungen zum objektiven Tatkerngeschehen – vom Würgen des Angeklagten bis zur Rettung des Nebenklägers – aufrechterhalten bleiben. Diese sind von den Mängeln der Würdigung der Einlassung des Angeklagten und den weiteren Rechtsfehlern unbeeinflusst.
42
Demnach wird das neu berufene Tatgericht in erster Linie – ausgehend von den feststehenden objektiven Tatumständen und den Einlassungen des Angeklagten – sämtliche subjektiven Rücktrittsvoraussetzungen einschließlich der für die gebotene Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch notwendigen (vgl. BGH, Urteile vom 22. August 1985 – 4 StR 326/85, BGHSt 33, 295, 300, und vom 2. November 1994 – 2StR 449/94, BGHSt 40, 304, 305 f. sowie BGH [GS], Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 231 f.) neu festzustellen und zu bewerten haben, aber auch zum Tötungsvorsatz, zu den Konkurrenzen und zur Schuldfähigkeit des Angeklagten neu zu befinden haben.
43
4. Bestehen bleiben der nicht angefochtene Schuldspruch wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zum Nach- teil des Zeugen Sch. und der weitere nicht angefochtene Teilfreispruch. Die Aufhebung der verbleibenden Schuldsprüche zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich (vgl. zur Adhäsionsentscheidung BGH, Urteil vom 28. November 2007 – 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96).
44
Sollten die neuen Schuldsprüche eine Prüfung der Voraussetzungen von § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 StGB a. F. veranlassen, verweist der Senat auf die wegen des anzuwendenden Übergangsrechts zu beachtenden Beschränkungen (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 13. September 2011 – 5 StR 189/11; ferner Urteile vom 7. Juli 2011 – 2 StR 184/11 und – 5 StR 192/11 – sowie vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11).
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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 429/06
vom
31. Januar 2007
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. Januar
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 5. April 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Nebenklägers, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das oben benannte Urteil wird verworfen. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen

Gründe:


I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs und einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB zu der Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Dagegen wenden sich der Angeklagte und der Nebenkläger mit ihren jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Der Angeklagte hält sein Handeln durch Notwehr für gerechtfertigt. Der Nebenkläger erstrebt eine Verurteilung wegen versuchten Totschlags. Die Revision des Nebenklägers führt wegen fehlender Erörterung einer möglichen Strafbarkeit des Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung gemäß § 226 StGB sowohl in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache. Dem Rechtsmittel des Angeklagten bleibt der Erfolg versagt.

II.


2
Die Strafkammer hat festgestellt:
3
Eine Woche vor der hier maßgeblichen Tat war der Angeklagte auf dem Heimweg von einer Diskothek Opfer eines Überfalls unbekannter Täter geworden , bei dem er eine Gehirnerschütterung erlitt. Um sich in Zukunft verteidigen zu können, rüstete sich der Angeklagte mit einem Klappmesser - Klingenlänge 8,3 cm - aus, das dann auch alsbald, in den frühen Morgenstunden des 14. Juli 2005, zum Einsatz kam.
4
Am Abend zuvor hatten der Angeklagte und sein Freund M. P. erheblich dem Alkohol zugesprochen, zunächst in dessen Wohnung, ab Mitternacht in der Rosenheimer Gaststätte "A. " - vor dem Lokal waren beide in eine erste Schlägerei verwickelt - und anschließend zwischen zwei und drei Uhr in den "Ar. ". In diesem Lokal hielt sich auch H. Ha. auf, das spätere Tatopfer. M. P. geriet mit ihm in Streit und schlug schließlich zu. H. Ha. reagierte mit einem Fausthieb gegen den Kopf, traf ein Auge seines Kontrahenten, der danach benommen war und fast vom Barhocker fiel.
5
Der Angeklagte und sein Freund verließen die "Ar. " und überquerten die Straße zur gegenüberliegenden Eisdiele "S. ". H. Ha. folgte, hinter ihm dessen Freund C. J. . Vor der Eisdiele begann H. Ha. sofort auf den Angeklagten einzuschlagen, ohne dass dieser dazu einen Anlass gegeben hatte. In der Folge rangen sie miteinander - beide angetrunken und auch körperlich ebenbürtig - und schlugen aufeinander ein. Verletzungen trugen sie dadurch nicht davon, insbesondere nicht der Angeklagte. Nachdem die Auseinandersetzung ca. zwei bis drei Minuten gedauert hatte, wurde der Angeklagte von H. Ha. in die Stühle geschubst , die sich vor der Eisdiele befanden. Die Kette, mit denen diese gesichert waren, bewahrte ihn vor einem Sturz.
6
H. Ha. wich etwa zwei bis drei Schritte zurück. Der Angeklagte ging davon aus, dass H. Ha. "von ihm abgelassen hatte". Gleichwohl zog er aus seiner rechten Hosentasche das mitgeführte Klappmesser. Der Angeklagte dachte, dass er durch den Einsatz des Messers H. Ha. dermaßen beeindrucken würde, dass dieser - weiter - von ihm ablässt. Der Angeklagte öffnete das Klappmesser mit beiden Händen und fuchtelte damit vor dem Körper des H. Ha. rum. Dieser versuchte, dem Angeklagten das Messer aus der Hand zu schlagen, was ihm jedoch nicht gelang. Unvermittelt machte der Angeklagte - H. Ha. stand etwa ein bis zwei Schritte von ihm weg - eine schnelle Vorwärtsbewegung und stieß ihm das Messer mit "voller Wucht", mit "äußerster Gewalt" fünf bis sieben cm tief durch die linke Schläfe ins Gehirn. "Der Zeuge Ha. stand noch einen Augenblick und sackte dann in die Knie."
7
M. P. und der Angeklagte liefen weg, wobei er äußerte: "Scheiße , ich hab ihn geschnitten, hoffentlich ist ihm nichts passiert." Auf dem weiteren Nachhauseweg entledigte sich der Angeklagte seines Klappmessers; er steckte es durch die Schlitze einer Kellerschachtabdeckung.
8
H. Ha. wurde mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus Rosenheim verbracht. Dort wurde nur eine Schnittverletzung diagnostiziert. Der Geschädigte wurde erstversorgt und nach Hause entlassen. Dort verschlechterte sich sein Zustand zusehends. Nach seiner erneuten Einlieferung - erst um 16.45 Uhr - wurde die lebensbedrohliche Stichverletzung dann entdeckt. Ohne die folgende Notoperation wäre H. Ha. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verstorben.
9
Der fünf bis sieben Zentimeter tiefe Messerstich hatte bei dem Geschädigten ein offenes Schädel-Hirn-Trauma mit intracerebraler Blutung und eine Fraktur des Schädelknochens hervorgerufen. Mit der verletzten Gehirnregion sind das Sprachzentrum und das Zentrum für Motorik betroffen. Zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vor dem Landgericht befand sich H. Ha. nach mehrtägiger Intensivbehandlung und anschließendem Aufenthalt in einem neurologischen Krankenhaus in einer Klinik zur Rehabilitation. Er hat Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben, sein Redevermögen ist verlangsamt. Er verspürt Schmerzen in der rechten Körperhälfte und hat Probleme beim Gehen. In Folge der Verletzung leidet H. Ha. an epileptischen Anfällen, die seit September 2005 in unregelmäßigen Abständen auftreten und dann zu einer Bewusstlosigkeit von 15 bis 20 Minuten führen. Dies schließt selbständige Unternehmungen des Geschädigten aus. Zum damaligen Zeitpunkt - Hauptverhandlung vor der Strafkammer - war noch nicht absehbar, ob die Schäden je- mals wieder vollständig verheilen werden, wenn sich auch schon Besserungen eingestellt hatten. Nach Meinung des Sachverständigen dürfte eine hundertprozentige Heilung wohl nicht möglich sein.
10
Die wegen der anfänglichen Fehldiagnose um viele Stunden verspätete Behandlung (Notoperation) der Stichverletzung hatte keine entscheidenden Auswirkungen auf deren Folgen, wenn auch "das Anschwellen des Gehirns" andernfalls geringer ausgefallen wäre.
11
Die Strafkammer vermochte - entgegen der Auffassung des hierzu gehörten Sachverständigen - nicht auszuschließen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten in Folge seiner Alkoholisierung zum Tatzeitpunkt erheblich vermindert war.
12
Das Landgericht hat den Rechtfertigungsgrund der Notwehr verneint, mangels eines gegenwärtigen Angriffs zum Zeitpunkt des Messereinsatzes. Aber selbst wenn man zugunsten des Angeklagten eine Notwehrsituation unterstelle , so die Strafkammer, wäre die maßgebliche Verteidigungshandlung - Zustechen mit dem Messer in die Schläfe - angesichts der "Kampflage" zur Abwehr nicht erforderlich gewesen (§ 32 Abs. 2 StGB). Die Überschreitung der Notwehr wäre auch nicht entschuldigt (§ 33 StGB).
13
(Bedingten) Tötungsvorsatz sah die Strafkammer bei der Tathandlung des Angeklagten, der sogar eine Verletzungsabsicht bestritten habe, nicht als erwiesen an. Ein Tötungsmotiv sei nicht feststellbar. Dem Angeklagten sei zwar die Gefährlichkeit seines Tuns bekannt gewesen. Er sei aber durch den Genuss von Alkohol "in seiner Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt" gewesen und es sei "nicht ausschließbar von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit aus- zugehen". Zudem sprächen die Äußerungen des Angeklagten nach der Tat gegen eine Tötungsabsicht.
14
Mit der Frage, ob sich der Angeklagte einer schweren Körperverletzung (§ 226 StGB) schuldig gemacht hat, hat sich die Strafkammer nicht auseinandergesetzt. Sie hat nicht erörtert und keine abschließenden Feststellungen dazu getroffen, ob H. Ha. aufgrund der Verletzung in Siechtum, Lähmung und/oder in eine geistige Krankheit im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB verfallen ist und ob dem Angeklagten - gegebenenfalls - hinsichtlich dieser Folgen jedenfalls Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (§ 18 StGB).

III.


15
1. Zur Revision des Angeklagten:
16
Die Entscheidung des Landgerichts, wonach der Stich des Angeklagten in den Kopf von H. Ha. nicht durch Notwehr gerechtfertigt war, hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte, als er das Messer zog und dann zustach, jedenfalls nicht mit Verteidigungswillen gehandelt. H. Ha. war nach dem Schubsen des Angeklagten in die Stühle ein bis zwei Schritte zurückgewichen. Er hat nicht auf den in die Kette gefallenen Angeklagten weiter eingeschlagen; er hatte, wie der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen in der Hauptverhandlung selbst eingeräumt hat, "von ihm abgelassen". Schon das Ziehen des Messers, aber auch das - offensichtlich bedrohliche - Rumfuchteln damit vor dem Geschädigten und vor allem der Stich in den Kopf, zu dessen Ausführung sich der Angeklagte zunächst mit einer "schnelle[n] Vor- wärtsbewegung" auf H. Ha. zubewegen musste, diente somit auch aus Sicht des Angeklagten nicht mehr der Abwehr. Dem Gedanken des Angeklagten, den zurückgetretenen, körperlich nicht überlegenen Geschädigten von einem weiteren Angriff, für dessen Bevorstehen konkrete Anhaltpunkte nicht gegeben waren, abzuhalten, kam - gegebenenfalls - beim Zustechen allenfalls völlig untergeordnete Bedeutung zu. Dieses Motiv trat jedenfalls völlig in den Hintergrund (vgl. Senat BGH NStZ 2003, 425, 427 Rdn. 11 [insoweit in BGHSt 48, 207 nicht abgedruckt]; NStZ 2005, 332, 334 Rdn. 13).
17
Auf die Hilfserwägungen der Strafkammer, wonach der Stich mit dem Messer in den Kopf des H. Ha. keine gemäß § 32 Abs. 2 StGB erforderliche Verteidigungshandlung gewesen sei, kommt es daher nicht mehr an.
18
Da die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung auch im Übrigen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat, war dessen Revision zu verwerfen.
19
2. Zur Revision des Nebenklägers:
20
Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Nebenklägers deckt - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat - auf, dass es die Strafkammer versäumt hat, der Frage, ob der Angeklagte sich einer schweren Körperverletzung (§ 226 StGB) schuldig gemacht hat, nachzugehen. Nach den Urteilsfeststellungen leidet H. Ha. aufgrund der ihm zugefügten Stichverletzung in den Kopf an erheblichen Behinderungen beim Gehen, Lesen, Schreiben und Sprechen, an Schmerzen in der rechten Körperseite und insbesondere an epileptischen Anfällen, die zu 15 bis 20-minütiger Bewusstlosigkeit führen. Er ist (Zeitpunkt der Hauptverhandlung vor dem Landgericht) erwerbsunfähig und nicht einmal in der Lage, etwas allein zu unternehmen. Ob er jemals wieder vollständig genesen wird, ist nicht absehbar - der Sachverständige schließt dies nahezu aus -, wenn sich auch bereits Besserungen eingestellt haben. Im Grundsatz können dies Folgen im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 1. bis 3. Alt. StGB sein (vgl. BGHR StGB § 224 Abs. 1 [aF] Lähmung 1, Siechtum 1; BGH NStZ 1997, 233, 234; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 226 Rdn. 10 ff.; Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 226 Rdn. 7). Dem Senat ist aufgrund der bisherigen Feststellungen eine endgültige Bewertung nicht möglich. Dies abschließend zu klären, bedarf es einer neuen Hauptverhandlung. Dabei wird im Falle der Bejahung des objektiven Tatbestands auch die - insoweit allerdings voraussichtlich kaum problematische - subjektive Seite (§ 18 StGB) zu bewerten sein.
21
Der Senat hat das Urteil insgesamt aufgehoben, um der nunmehr zur Verhandlung und Entscheidung aufgerufenen Strafkammer - Jugendkammer - Gelegenheit zu geben, das Tatgeschehen selbst umfassend neu festzustellen.
22
Das Landgericht wird dann auch die Frage der Rechtfertigung des Handelns des Angeklagten durch Notwehr erneut zu prüfen haben, wie auch - sollte eine Rechtfertigung durch Notwehr erneut verneint werden - ob der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte. In der angefochtenen Entscheidung ist dies aufgrund der bisherigen Feststellungen rechtsfehlerfrei verneint worden.
Nack Wahl Kolz Hebenstreit Graf
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
______________________
1. Der Erpresser ist in einer von ihm gesuchten Konfrontation mit dem Erpreßten
gegenüber einem wehrenden Gegenangriff des Erpreßten auf sein Leben
regelmäßig nicht arglos im Sinne des Mordmerkmals der Heimtücke,
wenn er in dessen Angesicht im Begriff ist, seine Tat zu vollenden und zu
beenden und damit den endgültigen Rechtsgutsverlust auf Seiten des Erpreßten
zu bewirken.
2. Zur Notwehr gegen eine Erpressung.
BGH, Urteil vom 12. Februar 2003 - 1 StR 403/02 - LG Nürnberg-Fürth

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 403/02
vom
12. Februar 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung am
11. Februar 2003 in der Sitzung vom 12. Februar 2003, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung am 11. Februar 2003 -,
Rechtsanwalt
- in der Sitzung vom 12. Februar 2003 -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge- richts Nürnberg-Fürth vom 15. März 2002 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Heimtückemordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachbeschwerde Erfolg. Die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe heimtückisch gehandelt, ist ebenso rechtsfehlerhaft wie die Verneinung einer Notwehrlage. Zudem weisen die weiteren Ausführungen der Strafkammer zur Frage einer etwaigen Rechtfertigung des Angeklagten und zur inneren Tatseite Erörterungsmängel auf.

I.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hatte der später vom Angeklagten getötete M. diesem in Teilbeträgen 6.000 DM abgepreßt. Er hatte ihm gedroht, ihm im Nichtzahlungsfalle wegen seines Han-
dels mit sog. Raubpressungen von Kompaktschallplatten (CDs) Schwierigkeiten bei der Polizei zu bereiten und ihn von Freunden zusammenschlagen zu lassen. Beide, M. und der Angeklagte, waren miteinander bekannt und hat- ten oft persönlichen Kontakt. Als der Angeklagte am Tattage morgens M. in dessen Wohnung besuchte, verlangte dieser weitere 1.000 DM. M. drohte ihm erneut mit einer Anzeige wegen seiner illegalen Geschäfte. Um den Angeklagten zur Zahlung zu veranlassen, rief M. über die Notrufnummer die Polizei an, um "einen Termin" zu vereinbaren. Er kündigte überdies an, er werde mit Freunden das Geld von ihm eintreiben. Der Angeklagte ließ sich jedoch nicht zur Zahlung bewegen und verließ schließlich M. s Wohnung. Abends suchte M. in Begleitung eines gewissen Ma. den Angeklagten in dessen Wohnung auf. Der Angeklagte ließ beide ein. Während Ma. Proviant und eine Flasche Wodka besorgte, stritten der Angeklagte und M. lautstark miteinander. M. hielt dem Angeklagten vor, daß er seit drei Jahren von Sozialhilfe lebe und daneben illegal CDs verkaufe. Er forderte nunmehr vom Angeklagten die Zahlung von 5.000 DM. Nach Ma. s Rückkehr tranken die drei Anwesenden schließlich - am Wohnzimmertisch sitzend - drei Viertel des Inhalts einer Flasche Wodka, der Angeklagte indessen lediglich etwa 0,2 cl. Als der Angeklagte auch auf M. s erneute, nun höhere Forderung nicht einging und diese ablehnte, drohte M. , die Wohnzimmereinrichtung zu zerstören. Der Angeklagte bot M. darauf die Übergabe von 1.200 DM an, die er in der Wohnung habe. Dies war M. jedoch zu wenig; er bestand auf der Zahlung von 5.000 DM und drohte im weiteren Verlauf erneut mit Polizei und Finanzamt sowie der Zerstörung der Sachen in der Wohnung oder aber der Mitnahme von Gegenständen im Wert von 5.000 DM. Schließlich begann M. , gegen die CD-Sammlung des Angeklagten zu treten. Der Angeklagte erklärte sich daraufhin bereit, den geforderten Betrag zu zahlen, wenn
M. "seine Sachen in Ruhe ließe". Er ging ins Badezimmer seiner "Einraum- wohnung mit offenem Küchenbereich" und holte dort eine Plastiktüte aus einem Versteck, in der sich 5.000 DM und 500 US-Dollar befanden. Zurück im Wohnzimmer überließ er Ma. die Tüte. Die Strafkammer vermochte nicht zu klären, ob Ma. dem Angeklagten die Tüte aus der Hand riß oder ob der Angeklagte sie an Ma. übergab. M. stand zu diesem Zeitpunkt mit den Händen in den Hosentaschen im Wohnzimmer. Völlig überraschend für ihn, der "keinerlei Angriff erwartete", trat der Angeklagte hinter ihn, um ihn zu töten. Er war wütend darüber, daß M. ihm das angesparte Geld wegnehmen wollte; er mochte sich von M. nicht seine Existenz zerstören lassen. Blitzschnell riß er den Kopf M. s zurück , schlug ihm mehrfach auf denselben und schnitt M. mit einem aus der Hosentasche gezogenen feststehenden, einseitig geschliffenen Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 5,8 cm sofort mehrfach von links nach rechts durch den Hals. Dabei fügte er M. mehrere bis auf die Wirbelsäule reichende Schnittverletzungen zu. M. brach zusammen und verstarb umgehend. Der völlig überraschte Ma. rannte unter Mitnahme des Geldes aus der Wohnung. Er wurde später aufgrund seines Tatbeitrages wegen Erpressung zu fünf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt (UA S. 32). Bei dem trinkgewohnten M. bestand zum Todeszeitpunkt eine hochgradige Alkoholbeeinflussung. Seine Blutalkoholkonzentration lag zwischen 3,03 und 3,26 Promille. Die Strafkammer geht davon aus, daß M. , der als „laut, nervig, sich aufspielend und trinkfest“ charakterisiert wird (UA S. 6), auch von anderen Personen Geldbeträge „gefordert“ hatte, ohne „hierauf einen Anspruch zu haben“ (UA S. 18).

II.

Der Schuldspruch wegen Mordes kann von Rechts wegen keinen Bestand haben. Das Landgericht hält die Tötungshandlung des Angeklagten für heimtückisch (§ 211 Abs. 2 StGB). M. sei zum Zeitpunkt der Messerattacke des Angeklagten arglos gewesen; er habe sich keines Angriffs versehen. Der Streit zwischen beiden sei beendet gewesen, als der Angeklagte der Forderung M. s nachgegeben und das Geld herbeigeholt habe. Der Angeklagte habe sich deshalb auch nicht mehr in einer Notwehrsituation befunden (§ 32 StGB). Der Angriff M. s, der seiner Geldforderung mit einem Fußtritt gegen die CDSammlung des Angeklagten Nachdruck verliehen habe, sei abgeschlossen gewesen, als der Angeklagte der Forderung M. s nachgekommen sei. Beide Erwägungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Annahme heimtückischen Handelns des Angeklagten steht hier entgegen, daß M. wegen seines erpresserischen Angriffs mit Gegenwehr des objektiv noch in einer Notwehrlage befindlichen Angeklagten rechnen mußte und deshalb nicht gänzlich arglos sein konnte. 1. Die Notwehrlage bestand für den Angeklagten während seiner Messerattacke auf M. noch fort. M. s erpresserischer Angriff auf das Vermögen des Angeklagten war noch "gegenwärtig" im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB. Er war zwar vollendet, aber noch nicht beendet; denn die Beute war noch nicht gesichert (vgl. BGH bei Holtz MDR 1979, 985; siehe weiter BGHSt 27, 336, 339; BGH NJW 1979, 2053; RGSt 55, 82, 84; Lenckner/Perron in Schönke/ Schröder, StGB 26. Aufl. § 32 Rdn. 13, 15; Lackner/Kühl StGB 24. Aufl. § 32
Rdn. 4). Notwehr ist nicht darauf beschränkt, die Verwirklichung der gesetzlichen Merkmale des Tatbestandes abzuwenden. Sie ist zum Schutz gegen den Angriff auf ein bestimmtes Rechtsgut zugelassen. Dieser Angriff kann trotz Vollendung des Delikts noch fortdauern und deshalb noch gegenwärtig sein, solange die Gefahr, die daraus für das bedrohte Rechtsgut erwächst, entweder doch noch abgewendet werden kann oder bis sie umgekehrt endgültig in den Verlust umgeschlagen ist. Nur im Falle des endgültigen Verlustes handelt es sich etwa bei einem Angriff auf Eigentum und Besitz beweglicher Sachen für den Berechtigten nicht mehr um die Erhaltung der Sachherrschaft, sondern um deren Wiedererlangung, für die Gewaltanwendung jedenfalls nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der Notwehr zugelassen ist (so schon RGSt 55, 82, 84). 2. Die fortbestehende Notwehrlage bleibt - unbeschadet der weiteren Voraussetzungen dieses Rechtfertigungsgrundes (siehe unten unter III.) - in Fällen der vorliegenden Art nicht ohne Auswirkungen auf die Beantwortung der Frage heimtückischen Handelns (§ 211 Abs. 2 StGB) des sich zur Wehr setzenden Opfers der Erpressung, des Angeklagten: Heimtücke setzt unter anderem die Ausnutzung der Arglosigkeit des Getöteten voraus (vgl. nur BGHSt 32, 382, 388). Der Erpresser ist in der von ihm gesuchten Konfrontation mit dem Erpreßten im Blick auf einen etwaigen wehrenden Gegenangriff des Opfers auf sein Leben jedoch nicht arglos, wenn er in dessen Angesicht im Begriff ist, seine Tat zu vollenden und zu beenden und damit den endgültigen Rechtsgutsverlust auf Seiten des Erpreßten zu bewirken. Das sich wehrende Erpressungsopfer handelt in einem solchen Falle mithin in aller Regel nicht heimtückisch. Arglos in dem bei heimtückischer Begehungsweise vorausgesetzten Sinn ist der Getötete dann, wenn er nicht mit einem gegen seine körperliche
Unversehrtheit gerichteten erheblichen, geschweige denn mit einem lebensbedrohlichen Angriff rechnet. Diese Arglosigkeit kann aus unterschiedlichen Gründen entfallen. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten Falles. Die Frage, ob ein Mensch arglos ist, beurteilt sich grundsätzlich nach seiner tatsächlich vorhandenen Einsicht in das Vorhandensein einer Gefahr. Daß er einen tätlichen Angriff (hier: Gegenangriff) in Rechnung gestellt hat, kann sich allein schon aus seinem eigenen vorausgegangenen Verhalten ergeben (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13; vgl. weiter BGHSt 20, 301, 302; 33, 363, 365; BGH NJW 1980, 792; StV 1985, 235). Ist in einem Fall wie dem vorliegenden eine Notwehrlage aufgrund eines gegenwärtigen rechtswidrigen erpresserischen Angriffs durch den später Getöteten gegeben, der aktuell nicht nur im Fortwirken einer erpressungstypischen Dauergefahr besteht (Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit, etwa durch Setzen einer Frist zur Zahlung unter Übelsandrohung), sondern darüber hinaus in einer konkreten Tathandlung im Angesicht des Opfers, die unmittelbar die Verletzung eines beachtlichen Rechtsguts des Opfers besorgen läßt, so gilt: Es ist regelmäßig der Angreifer, der durch sein Verhalten einen schützenden oder trutzwehrenden Gegenangriff herausfordert, mag dieser sich nun im Rahmen des durch Notwehr Gerechtfertigten halten oder deren Grenzen überschreiten. Für die Frage der Arglosigkeit ist letzteres unerheblich. Mit seinem konkreten Angriff hat das spätere Opfer des Gegenangriffs in aller Regel seine Arglosigkeit bereits zuvor verloren. Er ist der wirkliche Angreifer. Dem Angegriffenen gesteht die Rechtsordnung das Notwehrrecht zu. Mit dessen Ausübung muß jeder Angreifer in solcher Lage grundsätzlich rechnen. Das ist von der strafrechtlichen Werteordnung und damit normativ prägend vorgegeben. Dem entspricht, daß das Notwehrrecht generell im Rechtsbewußtsein der Bevölkerung tief verwur-
zelt ist. Der Erpresser ist deshalb unter den hier gegebenen Umständen regelmäßig nicht gänzlich arglos (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13). Das Mordmerkmal der Heimtücke ist einer solchen, auch normativ orientierten einschränkenden Auslegung zugänglich. Diese gründet mit darin, daß der Gegenwehr hier ersichtlich nicht das Tückische in einem Maße innewohnt, welches den gesteigerten Unwert dieses Mordmerkmals kennzeichnet (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13). Es gilt zudem, einen Wertungsgleichklang mit dem Notwehrrecht zu gewährleisten. Gerade für ein zunächst unterlegenes Opfer kann es sich als unausweichlich erweisen, gegenüber dem überlegenen Rechtsbrecher, der gar noch von einem Tatteilnehmer unterstützt wird, bei der Verteidigung einen Überraschungseffekt auszunutzen, soll die Notwehr überhaupt Aussicht auf Erfolg haben. Unter solchen Umständen erscheint es bei wertender Betrachtung nicht systemgerecht, dem sich wehrenden Opfer, wenn es in der gegebenen Lage - in der Regel plötzlich - in den Randbereich der erforderlichen und gebotenen Verteidigung gerät oder gar exzessiv handelt, das Risiko aufzulasten, bei Überschreitung der rechtlichen Grenzen der Rechtfertigung oder auch der Entschuldigung sogleich das Mordmerkmal der Heimtücke zu verwirklichen. Der Senat läßt offen, ob gleichwohl unter besonderen Umständen Fallgestaltungen denkbar sind, bei denen ausnahmsweise eine Arglosigkeit des Erpressers tragfähig festgestellt werden kann, obgleich dieser im Angesicht seines Opfers eine Tathandlung verwirklicht und im Begriff ist, seine Tat zu vollenden und den endgültigen Verlust des Rechtsguts des Erpreßten zu bewirken. Solche besonderen Umstände sind hier weder den Urteilsgründen zu entnehmen noch sind sie sonst angesichts der Rahmenbedingungen denkbar.
Der danach anzunehmende Argwohn des später getöteten M. wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß er den Feststellungen zufolge von dem Gegenangriff des Angeklagten "überrascht" war und diesen nicht erwartet hatte. Das belegt lediglich, daß er die Aussichten falsch eingeschätzt hat, seinen Rechtsbruch ohne Gegenwehr zu Ende führen zu können; seine Arglosigkeit hatte er - mangels entgegenstehender Umstände - bereits mit seinem (erneuten ) Angriff auf das Vermögen des Angeklagten in dessen Angesicht verloren. Dem steht nicht entgegen, daß er sich auch in der Gefährlichkeit eines möglicherweise zu erwartenden Gegenangriffs verschätzt haben mag, weil er bis zuletzt wohl die Bewaffnung des Angeklagten mit einem kleinen Messer nicht bemerkt hatte (ebenso BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13). Nach allem gilt: Büßt der später Getötete wegen seines eigenen gegenwärtigen rechtswidrigen erpresserischen Angriffs nicht gänzlich seine Arglosigkeit gegenüber der Möglichkeit eines körperlichen (schutz- oder trutzwehrenden) Gegenangriffs ein, so fehlt es an der Heimtücke selbst dann, wenn der sich Wehrende das Überraschungsmoment bewußt ausnutzt. 3. Der Schuldspruch wegen Mordes unterliegt danach schon aus den genannten Gründen der Aufhebung. Es kommt deswegen nicht mehr darauf an, daß die Strafkammer auch das Bewußtsein des Angeklagten nicht hinreichend dargetan hat, einen durch seine etwaige Ahnungslosigkeit gegenüber einem Gegenangriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. zum sog. HeimtückeBewußtsein nur BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 9, 11, 26). Der Senat stellt allerdings klar, daß in den Fällen der Erpressung, in denen eine Drohung als sog. Dauergefahr zwischen einzelnen Angriffsakten des Täters auf die Willensentschließungsfreiheit des Opfers als gegenwärtig im Sinne des Tatbestandes fortwirkt (vgl. dazu BGHR StGB § 255 Drohung 9; BGH
NStZ-RR 1998, 135), eine Tötung des Erpressers durch sein Opfer in einer von diesem, also dem Opfer gesuchten, vorbereiteten Situation sehr wohl heimtükkisch sein kann (siehe etwa BGH NStZ 1995, 231) und dann auch nicht durch Notwehr gerechtfertigt ist. Sie wäre als Verteidigung jedenfalls nicht geboten (im Sinne des § 32 Abs. 1 StGB). Dem Opfer wäre regelmäßig die Inanspruchnahme staatlicher Hilfe zuzumuten (vgl. § 154c StPO). In solcher Lage würde weder das individuelle Schutzinteresse noch das Rechtsbewährungsinteresse, die das Notwehrprinzip prägen, eine solche "Verteidigung" tragen (so im Ergebnis auch BGH NStZ 1995, 231).

III.

Die von der Strafkammer angestellten Hilfserwägungen zu einer etwaigen Rechtfertigung des Angeklagten sowie zur inneren Tatseite leiden an Erörterungsmängeln , denen der neue Tatrichter Rechnung zu tragen haben wird. 1. Die Strafkammer meint, der Angeklagte habe - eine Notwehrlage unterstellt - das Maß der objektiv erforderlichen Verteidigung überschritten. Der Angeklagte habe "weggehen können", die Polizei rufen können oder M. , als dieser mit ihm allein war, aus der Wohnung weisen können, "notfalls auch unter Einsatz adäquater körperlicher Aktion" (UA S. 40). Diese Würdigung ist lükkenhaft und wird den rechtlichen Grundsätzen zur Frage der Erforderlichkeit einer Verteidigung nicht in jeder Hinsicht gerecht.
a) Ein "Weggehen" des Angeklagten aus seiner eigenen Wohnung oder ein Herbeirufen der Polizei nach dem etwaigen Verlassen der Wohnung durch M. und Ma. , also ein Abziehenlassen der Erpresser wäre keine Verteidigung gegen den rechtswidrigen Angriff mehr gewesen. Daß ein dro-
hendes, wehrendes Vorzeigen des mit kurzer Klinge versehenen Küchenmessers sich ebenso wie der Versuch einer "körperlichen Auseinandersetzung" als aussichtsreiche Verteidigungsmittel erwiesen hätten, versteht sich im Blick auf die Übermacht zweier Angreifer nicht von selbst. Der trinkgewohnte M. war zwar hochgradig alkoholisiert, aber ersichtlich aktionsfähig und aggressionsbereit. Zuvor, als der Angeklagte mit M. vorübergehend allein war, weil Ma. Proviant herbeiholte, hatte der Angeklagte versucht, M. hinzuhalten. Als die Tat vollendet wurde, sah der Angeklagte sich indessen wieder zwei Angreifern gegenüber. Daß der Versuch einer vom Angeklagten mittels körperlicher Gewalt geübten Trutzwehr, die Androhung des Einsatzes des Messers oder aber der Versuch des Herbeirufens der Polizei in Anwesenheit zweier Angreifer aussichtsreich gewesen wären, liegt nicht nahe, hätte deshalb der näheren Darlegung bedurft. Hätte der Angeklagte den Einsatz des Messers angedroht oder hätte er sich auf eine körperliche Auseinandersetzung eingelassen, wäre zu besorgen gewesen, daß er eine Eskalation durch die Angreifer heraufbeschworen hätte. Ein nicht bloß geringes Risiko, daß ein milderes Verteidigungsmittel fehlschlägt und dann keine Gelegenheit mehr für den Einsatz eines stärkeren Verteidigungsmittels bleibt, braucht der Angegriffene zur Schonung des rechtswidrig Angreifenden nicht einzugehen. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang muß er sich nicht einlassen (vgl. nur BGH StV 1999, 143; BGH NStZ 2001, 591, jew. m.w.N.). Allerdings hat der Verteidigende grundsätzlich, wenn ihm mehrere wirksame Mittel zur Verfügung stehen und er Zeit zur Auswahl und zur Einschätzung der Gefährlichkeit hat, dasjenige Mittel zu wählen, das dem Angreifer am wenigsten gefährlich ist. Ist der Angreifer unbewaffnet und ihm die Bewaffnung des Verteidigers unbekannt, so ist je nach der Auseinandersetzungslage grundsätzlich zu verlangen, daß er den Einsatz der Waffe androht,
ehe er sie lebensgefährlich oder gar gezielt tödlich einsetzt (BGHSt 26, 256, 258; BGH NStZ-RR 1999, 40, 41; NStZ 2001, 591, 592). Diese rechtlichen Grundsätze wird der neue Tatrichter zu bedenken, seiner Würdigung zugrundezulegen und die Auseinandersetzungslage mit den bei lebensnaher Betrachtung in Frage kommenden aussichtsreichen Verteidigungsmöglichkeiten zu erörtern haben.
b) In diesem Zusammenhang wird das sog. Kräfteverhältnis zwischen dem Angeklagten einerseits sowie M. und Ma. andererseits näher zu bewerten sein. Dafür spielt auch die Aktionsfähigkeit M. s eine Rolle. Dieser ging nach den Feststellungen wohl recht zielstrebig vor, obwohl er - freilich trinkgewohnt - eine Blutalkoholkonzentration von drei Promille hatte. Hingegen hat sein Mittäter Ma. als Zeuge bekundet, M. habe aufgrund seiner Alkoholisierung kaum stehen können (UA S. 30). Je nach der Bewertung der Auseinandersetzungslage und des Kräfteverhältnisses wird dann möglicherweise zu erwägen sein, ob etwa das Anlegen des kleinen Messers an den Hals des M. mit der Androhung einer massiven körperlichen Attacke eine aussichtsreiche Verteidigung gewesen wäre. Abhängig vom Ergebnis dieser Würdigung könnte sich erweisen, daß der überraschende Einsatz des Küchenmessers mit dem Ziel der Tötung M. s - objektiv betrachtet - der einzig sicher erfolgversprechende Weg zur Ausschaltung des "Hauptangreifers" war. Ob er aber auch aussichtsreich hinsichtlich des Zieles war, den endgültigen Verlust des Geldes im gegebenen Zeitpunkt noch abzuwenden, bedarf ebenfalls der Bewertung. Denn auch nach der Tötung M. s blieb Ma. - im Besitz des Geldes - handlungsfähig. Ihm gelang tatsächlich die Flucht. Das verdeutlicht, daß allein ein Gegenangriff auf M. nicht genügen konnte, den Vermögensverlust zu verhindern. Vielmehr war eine
weitere Verteidigungshandlung vonnöten, um Ma. an der Flucht mit dem Geld zu hindern. Auch insoweit kommt es auf die konkrete Lage an, in subjektiver Hinsicht zudem darauf, welche Vorstellungen der Angeklagte gegebenenfalls zum Verteidigungserfolg seiner Gegenwehr hatte (vgl. BGHSt 45, 378, 384; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 32 Rdn. 27). 2. Die Auffassung des Landgerichts, die Tötung M. s sei "völlig unverhältnismäßig" gewesen, vermag der Senat nicht zu teilen. Eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter findet bei der Notwehr grundsätzlich nicht statt (anders etwa im Notstandsfall gemäß § 34 StGB; vgl. BGH NStZ 1996, 29; Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 17). Ein Fall des Mißbrauchs des Notwehrrechts wegen geringen Gewichts des angegriffenen Rechtsguts stand hier nicht in Rede (sog. Bagatellfälle; vgl. BGH MDR bei Holtz 1979, 985; Tröndle /Fischer aaO § 32 Rdn. 20 m.w.N.). Es ging bei dem Angriff M. s nicht lediglich um eine etwaige Sachbeschädigung der CD-Sammlung des Angeklagten , sondern um die Erpressung eines Bargeldbetrages in Höhe von 5.000 DM. Bei solcher Ausgangslage gilt der Grundsatz, daß das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht. 3. Die bisherigen Feststellungen und die Würdigung des Landgerichts tragen schließlich nicht die Annahme, der Angeklagte habe nicht mit Verteidigungswillen gehandelt, sondern "Selbstjustiz" geübt. In den Feststellungen hebt die Strafkammer selbst hervor, daß der Angeklagte "wütend darüber war, daß M. ihm das angesparte Geld wegnehmen wollte und er sich von M. nicht seine Existenz zerstören lassen wollte" (UA S. 11). Dies kann darauf hindeuten , daß der Angeklagte sich jedenfalls auch vom Willen zur Verteidigung gegen den Verlust des Geldes hat leiten lassen. Hinzutretende andere Tatmotive schließen den Verteidigungswillen nicht aus. Eine Rechtfertigung kommt
nach feststehender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch dann in Betracht , wenn neben der Abwehr eines Angriffs auch andere Ziele verfolgt wer- den, solange sie den Verteidigungszweck nicht völlig in den Hintergrund drängen (vgl. nur BGH NStZ 1983, 117; BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigungswille 1, jew. m.w.N.). Die Beweiswürdigung genügt diesem Maßstab nicht. Die Strafkammer hätte alle bedeutsamen tatsächlichen Umstände und die Einlassungen des Angeklagten einer eingehenden Bewertung unterziehen müssen, um auf dieser Grundlage seine Beweggründe festzustellen und an den rechtlichen Maßstäben zu messen. Die Urteilsgründe geben die verschiedenen Äußerungen des Angeklagten während der Ermittlungen zu seinen subjektiven Vorstellungen wieder. Dem Kriminalbeamten H. hatte er erklärt, er habe vermeiden wollen, daß Ma. eingreift, da er M. unbedingt habe töten wollen. Er habe sich das Geld nicht wegnehmen lassen wollen; ebensowenig andere Sachen, die ihm gehört hätten (UA S. 26). Beim Ermittlungsrichter hatte er sich dahin eingelassen, er sei "sehr böse" gewesen, weil ihm sein angespartes Geld weggenommen worden sei. Um zukünftig weitere Wegnahmen zu verhindern, habe er sich zur Tötung M. s entschlossen. Das Messer habe er schon längere Zeit bei sich getragen, weil er befürchtet habe, M. könne zur Durchsetzung seiner Geldforderung mit weiteren Personen zu ihm kommen (UA S. 28). Dem Kriminalbeamten K. hatte der Angeklagte erklärt, er habe M. "aus Haß heimzahlen" wollen, "was dieser ihm die ganzen Monate vorher angetan habe" (UA S. 29). Er habe M. getötet, weil dieser durch seine ständigen Geldforderungen seine Pläne, eigentlich seine ganze Existenz bedroht bzw. kaputt gemacht habe (UA S. 30). Die Strafkammer meint, der Angeklagte habe die unberechtigte Geldforderung M. s "für immer unterbinden wollen", indem er ihn tötete. "Aus Wut über den Verlust" des Geldes habe der Angeklagte unter
Ausnutzung des Überraschungseffekts der Drucksituation ein Ende bereitet. Die Tat beruhe auf dem "normalpsychologischen Motiv" der Wut. Dabei durfte die Strafkammer nicht stehen bleiben. Sie hätte sich angesichts der Einlassung des Angeklagten, er habe sich - naheliegender Weise auch aktuell - das Geld nicht wegnehmen lassen wollen, die Frage vorlegen müssen, ob hier die Wut des Angeklagten, ein Bestreben zur Verhinderung künftiger, aber noch nicht gegenwärtiger Erpressungen sowie der Wille zur "Bestrafung" für früheres Unrecht (vgl. UA S. 40) einerseits und der Wille zur aktuellen Verteidigung gegen den Verlust des Geldes andererseits nebeneinander Beweggrund waren, oder ob die zuerst genannten Motive so stark ausgeprägt waren, daß sie den Verteidigungszweck völlig in den Hintergrund gedrängt haben. Daran fehlt es. Im letzten Falle würde Notwehr mangels mitbestimmenden Verteidigungswillens ausscheiden. Bei der nunmehr vorzunehmenden Würdigung wird indes zu beachten sein, daß der sich zur Verteidigung Entschließende in einer sich zuspitzenden Situation oft erst durch ein gewisses Maß gleichsam "natürlicher Wut" in den Stand gesetzt wird, seinen Entschluß zur Wehr zu fassen und umzusetzen. Andererseits wird auch in diesem Zusammenhang zu würdigen sein, was sich der Angeklagte aus seiner Sicht von der Tötung M. s versprach und versprechen konnte, wenn er den Verlust des Geldes zu verhindern trachtete, das Ma. in Händen hielt. Die Urteilsgründe sind überdies zur Frage des Motivs des Angeklagten widersprüchlich. In ihren Feststellungen geht die Strafkammer davon aus, der Angeklagte habe sich sein angespartes Geld nicht wegnehmen und sich von M. nicht seine Existenz zerstören lassen wollen (UA S. 11). Bei ihrer rechtlichen Würdigung hingegen legt sie ein nicht deckungsgleiches Motiv zugrunde: Dort hebt sie hervor, er habe in dem Bestreben gehandelt, M. für sein vor-
angegangenes Tun zu bestrafen und künftige Forderungen auszuschließen (UA S. 40). 4. Der neue Tatrichter wird im Blick auf die bisherigen Feststellungen und die Einlassungen des Angeklagten möglicherweise weiter zu prüfen haben, ob ein Fall der sog. Absichtsprovokation vorliegt: Der Angeklagte könnte sich nicht wirksam auf Notwehr berufen, wenn er sich absichtlich oder jedenfalls vorsätzlich in eine erwartete Verteidigungssituation hineinbegeben hätte, um dann M. unter dem Vorwand einer objektiven Notwehrlage angreifen und "vernichten" zu können. In einem solchen Fall erwiese sich seine Gegenwehr in Wahrheit als vorgeplanter Angriff auf das Leben M. s, rechtsmißbräuchlich im Gewande der Verteidigung geführt (vgl. nur BGH NJW 1983, 2267; NStZ 2001, 143; vgl. Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 18, 23). In diesem Zusammenhang bedarf es auch einer Bewertung der Äußerung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, wonach er auch "zukünftige weitere Wegnahmen" habe verhindern wollen. Dies kann für sich betrachtet auf den Willen zu einer Art (unerlaubter) "Präventivnotwehr" hindeuten. Für die tatsächliche Würdigung kann auch eine Rolle spielen (Indizwirkung), daß der Angeklagte M. und Ma. in Kenntnis des wiederkehrenden, vorangegangenen erpresserischen Verhaltens M. s und von dessen Ankündigung am Vormittag in seine Wohnung einließ. Die Tatsache, daß und wann der Angeklagte sich mit einem kleinen Küchenmesser bewaffnet hatte, kann im Gesamtzusammenhang des Geschehens für den Schluß auf seine Beweggründe bedeutsam sein. Dem steht nicht entgegen, daß es im Grundsatz dem Notwehrübenden nicht anlastbar ist, wenn er sich für den Fall einer ihm aufgezwungenen Auseinandersetzung bewaffnet. Auch der Stellenwert der Äußerung, er habe M. unbedingt töten wollen, ist in ihrer Bedeutung für die Motivlage zu beurteilen. Gleiches gilt für den Umstand, daß der Angeklagte sich beim gemeinsamen Wodka-Trinken
vergleichsweise zurückhielt und lediglich ca. 0,2 cl zu sich nahm. Andererseits ist aber auch im Auge zu behalten, daß M. die Intensität seines Angriffs gesteigert hatte. So forderte er einen erheblich höheren Geldbetrag als noch am Vormittag. Er ließ sich auch nicht mehr erfolgreich hinhalten, sondern begann mit Sachbeschädigungen und drohte weitere Übel an, die die Durchsetzung mit räuberischen Mitteln nicht fernliegend erscheinen ließen. Daß der Angeklagte erst dann zum Gegenangriff überging, als ihm der endgültige Verlust seines Geldes unausweichlich vor Augen stehen mußte, könnte eher gegen eine Absichtsprovokation sprechen. Nach allem muß sich der neue Tatrichter fragen, ob er sich im Blick auf einen etwaigen Mißbrauch des Notwehrrechts davon überzeugen kann, daß der Angeklagte in der vorgefaßten Absicht handelte, M. zu töten und sich nicht erst in der aktuellen Situation, weil er möglicherweise den Verlust seines Geldes nicht mehr anders meinte abwenden zu können, zur Verteidigung entschloß. Hat der Tatrichter Zweifel, wird ein mitbestimmender wirklicher Verteidigungswille des Angeklagten anzunehmen und Rechtsmißbrauch zu verneinen sein. Er wird den zeitnah zur Tat gemachten Angaben des Angeklagten naheliegenderweise größeres Gewicht beimessen als etwa solchen in einer erneuten Hauptverhandlung. 5. Der neue Tatrichter wird dann gegebenenfalls zu bedenken haben, ob das Notwehrrecht des Angeklagten einer erheblichen Einschränkung unterlag (vgl. dazu Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 2 f.) und ob der Angeklagte deren Grenzen mit seinem sofortigen Messerangriff auf das Leben M. s überschritten hat. Hierzu bemerkt der Senat im einzelnen vorsorglich:

a) Eine Einschränkung des Notwehrrechts des Angeklagten im Blick auf eine etwaige Provokation M. s durch vorwerfbares Vorverhalten würde voraussetzen , daß dieses Vorverhalten rechtswidrig oder wenigstens sozialethisch zu mißbilligen wäre; zudem müßte zwischen ihm und dem rechtswidrigen Angriff des M. ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang bestehen (vgl. zu diesen Erfordernissen: BGHSt 27, 336, 338; 42, 97, 101; siehe auch BGHSt 24, 356, 358 f.; 26, 143, 145; BGH NStZ 1998, 508; NStZ-RR 1999, 40, 41; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, aaO § 32 Rdn. 54, 59; Tröndle/ Fischer aaO § 32 Rdn. 24). aa) Die bisherigen Feststellungen belegen nicht, daß der Angeklagte die Notwehrlage in rechtswidriger oder sonst sozialethisch zu mißbilligender Weise herbeigeführt und M. "provoziert" hätte. Das bloße Einlassen M. s und dessen Begleiters in seine, des Angeklagten Wohnung trotz der zuvor ausgesprochenen Drohungen und der bereits erfolgten Erpressungen genügt dafür nicht. Damit hat er M. lediglich die Gelegenheit zum erneuten Erpressungsversuch gegeben und damit gleichsam fahrlässig - die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten betreffend - die Notwehrlage mit herbeigeführt. Ein rechtlich erlaubtes Tun - wie etwa das Öffnen der Wohnungstür gegenüber einem unbekannten Bewaffneten (BGH NStZ 1993, 332, 333) - führt jedoch nicht ohne weiteres zur Einschränkung des Notwehrrechts, auch wenn der Täter wußte oder wissen mußte, daß der andere durch dieses Verhalten zu einem rechtswidrigen Angriff veranlaßt werden könnte (so schon BGH NStZ 1993, 332, 333). Entscheidend ist nicht, ob der später Angegriffene die Entwicklung vorhersehen konnte, sondern - mit Blick auf das Rechtsbewährungsinteresse - ob der Angreifer sich durch das vorwerfbare Verhalten des von ihm Angegriffenen provoziert fühlen konnte (vgl. Roxin ZStW Bd. 75 <1963>, 497, 582). Die bloß fahrlässige oder gar leichtfertige Herbeiführung einer Notwehrlage führt nicht
zu einer Einschränkung des Maßes der gebotenen Verteidigung. Das würde selbst dann gelten, wenn der Angeklagte mit einem erneuten Angriff M. s gerechnet und dies beim Einlassen in seine Wohnung - wenn er dies hätte verhindern können - in Kauf genommen und geglaubt hätte, einen solchen Angriff hinhaltend oder sonst "schon irgendwie" abwehren zu können. Er hätte auch dann nicht im Sinne einer Provokation des Angreifers gehandelt, sondern lediglich eine notwehrträchtige Lage durch erlaubtes Tun mitverursacht, für die er sich sogar wappnen durfte. Dieses Verhalten mochte dann zwar in hohem Maße den Geboten der Vorsicht und der Lebensklugheit zuwiderlaufen; es nahm dem Angeklagten jedoch nichts von seinem Recht, sich gegen den Angriff mit den nach Maßgabe der Situation erforderlichen und gebotenen Mitteln zu verteidigen (BGH, Urteil vom 20. Juli 1983 - 2 StR 43/83 - S. 12, aber auch Urteil vom 5. Juli 1978 - 2 StR 201/78 - S. 5 f.). bb) Ebensowenig erweist sich bei dem festgestellten Sachverhalt der illegale Handel des Angeklagten mit Raubpressungen von CD's als notwehreinschränkendes vorwerfbares Vorverhalten im Sinne einer Provokation der Notwehrlage oder M. s. Dieses Verhalten des Angeklagten ist zwar von Rechts wegen ersichtlich vorwerfbar. Es richtete sich jedoch nicht gegen ein Rechtsgut gerade des M. , wie das etwa bei Tätlichkeiten oder Beleidigungen gegenüber dem späteren Angreifer der Fall ist. Betroffen waren vielmehr Rechtsgüter Dritter, nämlich der Urheberrechtsinhaber der CD-Titel. Dementsprechend fehlte auch der räumliche und zeitliche Zusammenhang mit dem Angriff M. s. Eine Notwehr des Angeklagten (wenn seine Trutzwehr vom Verteidigungswillen mitgetragen und erforderlich war) stünde "nicht im Zeichen seines eigenen Unrechts"; seiner Gegenwehr würde das eigene Unrecht nicht unmittelbar anhaften. Sie wäre mithin durch seine anderweitigen Straftaten nicht in einer Weise bemakelt, daß sie deshalb nicht mehr uneingeschränkt als Mittel
auch der Rechtsbewährung gegenüber dem erpresserischen Angriff M. s auf sein Vermögen hätte angesehen werden können (vgl. BGHSt 27, 336, 338; BGH NStZ 1989, 474; BGH, Urt. vom 25. Februar 1975 - 1 StR 702/74; BGH, Beschl. vom 15. April 1980 - 1 StR 130/80; Lenckner/Perron in Schönke/ Schröder, aaO § 32 Rdn. 59). Auch demjenigen, der früher eine strafbare Handlung begangen hat, steht grundsätzlich ein uneingeschränktes Notwehrrecht zur Seite, wenn er in anderem Zusammenhang selbst Opfer einer Straftat wird. Er hat nicht etwa deshalb, weil die gegen ihn gerichtete Tat (hier: eine Erpressung) vom Täter an seine gegen die Rechtsgüter Dritter begangene eigene Straftat angeknüpft wird, einen "Status minderen Rechts", der Erpresser nicht deswegen einen größeren, im Ergebnis nicht notwehrfähigen Freiraum für seinen Rechtsbruch. cc) Eine Einschränkung des Notwehrrechts jenseits der in der Rechtsprechung bislang anerkannten Fallgruppen wird in der Literatur für die Fälle der sogenannten Schweigegelderpressung diskutiert ("Chantage"). Typischerweise droht der Erpresser hier mit der Enthüllung kompromittierender Tatsachen , namentlich mit einer Strafanzeige wegen einer vom Erpressungsopfer seinerseits begangenen Straftat. Wehrt der Erpreßte sich oder tötet gar den Erpresser, so wird das Gebotensein der Notwehr verneint oder von einer Einschränkung des Notwehrrechts wegen verminderten Rechtsbewährungsinteresses ausgegangen. Das Interesse des Erpreßten am Schutz vor Enthüllung einer Straftat verdiene keinen uneingeschränkten Schutz (vgl. zu alledem nur Roxin, Strafrecht AT 3. Aufl. [1997] Kap. VIII § 15 [S. 593] Rdn. 89/90; Haug MDR 1964, 548, 549; Amelung GA 1982, 381; H. E. Müller NStZ 1993, 366; Novoselec NStZ 1997, 218; dazu die Erwiderung von Amelung NStZ 1998, 70; Arzt JZ 2001, 1052; weiter Eggert NStZ 2001, 225; zum Phänomen der "Chantage" siehe grundlegend schon die rechtsvergleichende Arbeit von Reinhold,
Die Chantage, Abhandlungen des kriminalistischen Seminars an der Universi- tät Berlin , 1909). Der Senat stellt dahin, ob und inwieweit einer solchermaßen begründeten Einschränkung des Notwehrrechts beizupflichten wäre. Das muß hier nicht entschieden werden. Der vorliegende Fall ist - anders als die in der Literatur zumeist erörterten Sachverhalte - dadurch geprägt, daß eine Erpressung in Rede steht, die nicht ausschließlich auf der Androhung der Anzeige von Straftaten des Erpreßten fußt. Vielmehr hatte M. dem Angeklagten schon damit gedroht, ihn zusammenschlagen zu lassen; noch am Vormittag des Tattages hatte er angekündigt, das Geld "mit Freunden einzutreiben". Ob daraus eine Leibesgefahr im Sinne des § 255 StGB folgte, die zum Vorfallszeitpunkt noch "gegenwärtig" war, bedürfte gegebenenfalls der tatrichterlichen Würdigung (vgl. zu deren Fortwirken in Erpressungsfällen BGH NStZ-RR 1998, 135; BGHR StGB § 255 Drohung 9). In der aktuell gegebenen Notwehrlage drohte M. mit erheblichen Sachbeschädigungen und der Wegnahme von Gegenständen aus der Wohnung des Angeklagten im Wert von 5.000 DM, was naheliegen -derweise durch Gewaltanwendung gegenüber dem Angeklagten oder jedenfalls durch Drohung mit weiteren Übeln durchzusetzen gewesen wäre und sich dann rechtlich möglicherweise gar als Raub oder räuberische Erpressung erwiesen hätte. Sind die Drohmittel solcherart verschieden, um gleichsam eine "gemischte Drohkulisse“ aufzubauen, so liegt kein reiner Fall der Schweigegelderpressung mehr vor; es steht eine Mischung aus Schutz- und Schweigegelderpressung in Rede. In diesen Fällen ist das, was zur Verteidigung „geboten“ ist, unter dem Gesichtspunkt eigenen strafbaren Vorverhaltens des Erpressungsopfers gegenüber Dritten jedenfalls dann nicht eingeschränkt, wenn der Angriff des Erpressers auf die Willensentschließungsfreiheit zugleich in einen gegenwärtigen Angriff auf das Vermögen übergeht, mit weiteren Übelsdrohun-
gen verstärkt wird und der Angreifer im Angesicht des Opfers dabei ist, mit aktuell realisierbaren - auch konkludenten - Drohungen gegen Sachwerte und etwa auch die körperliche Integrität des Opfers seinen Angriff auf das Vermögen zu vollenden und zu beenden. Daran ändert nichts, daß das Erpressungsopfer zuvor die Möglichkeit gehabt hätte, staatliche Hilfe zu suchen. Maßgeblich für die Beurteilung dessen , was zur Abwehr des Angriffs erforderlich und geboten ist, sind die Verhältnisse im Augenblick des konkreten Angriffs, also zum Zeitpunkt der Verteidigung durch den Angegriffenen ("Auseinandersetzungslage"; vgl. BGH NJW 1989, 3027; StV 1999, 143, 144; Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 16b).
b) In Betracht zu ziehen haben wird der neue Tatrichter für den Fall einer vom Verteidigungswillen jedenfalls mitbestimmten und erforderlichen Notwehr schließlich eine Einschränkung dieses Rechts im Blick auf M. s Trunkenheit , an deren Zustandekommen der Angeklagte durch Gestattung und Mitwirkung am Konsum von Dreivierteln des Inhalts einer Flasche Wodka beteiligt war. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß das Notwehrrecht gegenüber schuldlos handelnden Angreifern eingeschränkt sein kann (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 19). Daß M. allerdings schuldunfähig gewesen sein könnte, dürfte eher fernliegen. Näher wird - zumal in Rücksicht auf den Zweifelssatz - eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit liegen, weil er jedenfalls noch in beachtlichem Maße aktionsfähig war.
c) Der Senat hat schließlich erwogen, ob eine weitere Kategorie eingeschränkter (gebotener) Notwehr zu begründen ist, wenn mehrere Umstände vorliegen, die Anlaß zur Prüfung einer Einschränkung nach den insoweit anerkannten Fallgruppen geben, dort aber eine solche Einschränkung je für sich nicht zu rechtfertigen vermögen. Dies hat der Senat jedoch verworfen: Das liefe
auf eine Art Gesamtschau und die Gewichtung verschiedener Umstände hinaus. Damit verlöre das Notwehrrecht in solchen Fällen seine Konturenschärfe. Es muß geeignet bleiben, in den einschlägigen, oft durch die Plötzlichkeit der Entwicklung charakterisierten Fällen des Lebens dem rechtlichen Laien ohne weiteres überschaubare, grundsätzlich einfache Richtschnur für das Handeln zu sein. Allzu differenzierte Erwägungen würden seinem Zweck widerstreiten. Die anerkannten Fälle der Einschränkung des Notwehrrechts sind denn auch solche, in denen das zumutbar geringere Maß der gebotenen Verteidigung oder eine Pflicht zum Ausweichen für jedermann ohne weiteres augenfällig ist (Evidenzfälle). 6. Zur inneren Tatseite wird folgendes im Auge zu behalten sein: Handelte der Angeklagte auch mit Verteidigungswillen, kann es darauf ankommen, welche Vorstellungen er über das Maß der erforderlichen und gebotenen - und damit auch der erlaubten - Verteidigung hatte. Hierzu werden soweit möglich Feststellungen zu treffen sein. Daraus kann sich die Notwendigkeit der Erörterung von Irrtumsfragen ergeben (zu deren Voraussetzungen und Folgen vgl. nur Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 27 m.w.N.; zum übrigen: Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 26, 27, § 33 Rdn. 2 m.N.). Hätte der Angeklagte über die Eignung der Tötung M. s zur Abwendung des Geldverlustes geirrt, käme möglicherweise ein Erlaubnistatbestandsirrtum und damit fahrlässige Tötung in Betracht (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB; BGHSt 45, 378, 384). Läge eine Fehlvorstellung über die Grenzen der erlaubten Notwehr vor, wäre nach den Grundsätzen für den Verbotsirrtum zu verfahren (§ 17 StGB). Im Falle eines vermeidbaren Irrtums stünde eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB im Raum.
7. Sollte der neue Tatrichter im Handeln des Angeklagten einen strafba- ren vorsätzlichen Totschlag sehen, wird er die Voraussetzungen des § 213 StGB (sonst minder schwerer Fall) zu prüfen haben. Die Würdigung der Frage erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit wird im Blick auf die im Urteil wiedergegebenen Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen näher zu begründen sein, sollte der neue Tatrichter vom Gutachten des Sachverständigen abweichen wollen (vgl. BGHR StPO § 261 Sachverständiger 1, 5; Tröndle/Fischer aaO § 20 Rdn. 65). Schließlich wird auch der Einfluß der Befindlichkeit des Angeklagten auf die Voraussetzungen des Strafausschließungsgrundes nach § 33 StGB zu erörtern sein (vgl. dazu auch BGH StV 1999, 145).

IV.

Nach allem ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Auch die Feststellungen können nicht bestehen bleiben. Im Blick auf die dem neuen Tatrichter obliegende Würdigung der Auseinandersetzungslage und des Kräfteverhältnisses , insbesondere aber der Beweggründe des Angeklagten unter verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten muß der Tatrichter hinsichtlich der Feststellung des Sachverhalts frei sein (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Nack Wahl Schluckebier Kolz Elf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 67/00
vom
8. März 2000
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. März 2000 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 27. August 1999 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1. Der Angeklagte, seine Lebensgefährtin und zwei weitere Frauen gingen nach dem Besuch mehrerer Kneipen in der Düsseldorfer Altstadt die Mertensgasse hinunter, als ihnen der erheblich alkoholisierte Zeuge K. , der sich in Begleitung von sechs Personen befand, entgegen kam. Der Zeuge packte die Lebensgefährtin des Angeklagten kurz am Oberarm. Unklar geblieben ist, ob, was der Angeklagte gesehen haben will, er diese auch am Gesäß angefaßt hat. Aus Wut schlug der Angeklagte dem Zeugen in den Nacken oder packte ihn am Kragen; er ließ von ihm ab, als drei Begleiter des Zeugen, deren bis dahin fröhliche Stimmung in Aggression und Streitlust umgeschlagen war,
in drohender Haltung auf ihn zukamen. Der Angeklagte, der diese Aggression sofort bemerkte, entfernte sich. Nunmehr beschloß der Zeuge K. s owie drei seiner Begleiter, das Verhalten des Angeklagten nicht ungestraft zu lassen. Sie folgten dem Angeklagten und den drei Frauen, die alsbald stehen blieben. Der Angeklagte sah die vier Männer auf sich zurennen. "Anstatt selbst die Flucht zu ergreifen" - so das Landgericht (UA S. 10) -, forderte er die Frauen auf, sich in Sicherheit zu bringen; er selbst war mit einer körperlichen Auseinandersetzung einverstanden. Die Gelegenheit schien ihm günstig, den Zeugen K. wegen dessen Aktion gegen seine Lebensgefährtin zu bestrafen. Einem möglichen Streit sah er gelassen entgegen, hatte er doch ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von 8 cm und einer Breite von 4 cm bei sich. Bevor der Angeklagte allerdings von sich aus aktiv werden konnte, schlug ihm einer der Begleiter des Zeugen von hinten eine Bierflasche auf den Hinterkopf, die dabei zerbrach. Gleichzeitig erhielt er einen Tritt, so daß er zu Boden ging. Es kam nun zu einer Schlägerei zwischen den beiden Gruppen, an denen sich auch die Frauen beteiligten; diese entfernten sich dann.
Zwischenzeitlich hatte der am Boden liegende Angeklagte sein Messer gezogen, war aufgestanden, hielt es in drohender Haltung gegen die Gruppe um den Zeugen K. und schwang es vom Körper entfernt in weiten Bögen von links nach rechts hin und her, um die ihn Bedrohenden von sich fernzuhalten. Einer der Begleiter des Zeugen K. hatte sich entfernt, zwei andere, die Zeugen T. und H. , blieben "in respektvoller Entfernung" stehen und versuchten, den Zeugen K. v om Angeklagten wegzuziehen. Sie haben später ausgesagt, die eigentliche Aggression sei von K. und ihnen ausgegangen , sie hätten aufgrund ihres eigenen Verhaltens Verständnis für den Einsatz des Messers seitens des Angeklagten gehabt.
In dieser Situation ging der Zeuge K. nun in wütender und aggressiver Stimmung auf den Angeklagten zu. Der Angeklagte, der sah, daß K. keine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug bei sich hatte, schwang weiter sein Messer, um K. auf Abstand zu halten. Da dieser trotzdem weiter auf den Angeklagten zukam, erlitt er fünf Schnittverletzungen.
Gleichwohl ging er noch weiter auf den Angeklagten zu. "Wut und Ä rger stiegen in dem Angeklagten hoch, war K. doch derjenige, der seine Freundin 'unsittlich' angefasst hatte und sich nunmehr auch noch mit ihm - dem Angeklagten - schlagen wollte. Getragen von dieser Wut wollte er dem K. einen Denkzettel verpassen. Bevor K. von sich aus irgendeine körperliche Attacke gegen den Angeklagten ausführte, holte dieser mit dem Messer in der rechten Hand aus und versetzte dem ihm gegenüber stehenden K. einen gezielten und wuchtigen Stich in den linken Oberbauch. Das Messer drang ca. 4 cm durch das Bauchfettgewebe in den Körper des K. ein und durchstach den Darm" (UA S. 12, 13). Der Zeuge wurde alsbald mit lebensgefährlicher Darmperforation in ein Krankenhaus eingeliefert, notfallmäßig operiert, und seine Schnittverletzungen wurden genäht.
Das Landgericht hat eine Notwehrlage sowohl hinsichtlich der fünf Schnittverletzungen als auch bezüglich des Bauchstichs verneint. Der Angeklagte habe genügend Zeit gehabt, zusammen mit den drei Frauen wegzurennen und so der kommenden Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Das habe er nicht getan. Vielmehr habe er sich wütend und erbost auf die körperliche Auseinandersetzung eingelassen, um die Gelegenheit zu nutzen, K. zu bestrafen. Der eigentliche unmittelbare Angriff mit der Bierflasche sei abgeschlossen gewesen, als K. auf den Angeklagten zugegangen sei. "Mag der
Zeuge auch die Absicht gehabt haben, sich - vom Messer des Angeklagten unbeeindruckt - mit diesem zu schlagen", habe doch kein Angriff auf ein geschütztes Rechtsgut des Angeklagten unmittelbar bevorgestanden. Der "unbewaffnete K. habe weder den Arm zum Schlag erhoben, noch eine sonstige körperliche Aktion gegen den Angeklagten ausgeführt" (UA S. 29). Bei dieser Sachlage sei ein künftiger Angriff durch K. "möglicherweise zu erwarten, die gerechtfertigte Notwehrhandlung (sei) zu dieser Zeit aber noch nicht möglich" (UA S. 29) gewesen.
2. Die Ansicht des Landgerichts, schon die fünf Schnittverletzungen seien nicht durch Notwehr gerechtfertigt, begegnet rechtlichen Bedenken. Dem Urteil liegt insoweit eine zu enge Auffassung vom Umfang des Notwehrrechts zugrunde.
Nach den Feststellungen stand dem Angeklagten unmittelbar ein rechtswidriger Angriff durch den Zeugen K. bevor. Die der Tat vorausgegangene körperliche Auseinandersetzung zwischen den beiden Gruppen war beendet. Mindestens der Zeuge K. und noch zwei seiner Begleiter kamen nun in feindseliger Absicht auf den Angeklagten zu. Der Zeuge K. ließ sich auch durch die Messerschwünge nicht abhalten, weiter auf den Angeklagten zuzugehen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war jetzt nicht nur "ein künftiger Angriff möglicherweise zu erwarten", sondern gegenwärtig. Das Verhalten des K. konnte unmittelbar in eine Rechtsgutverletzung umschlagen, so daß durch das Hinausschieben einer Abwehrhandlung dessen Erfolg in Frage gestellt wäre (vgl. BGHR StGB § 32 II Angriff 1). Der Einsatz des Messers war unter den gegebenen Umständen auch erforderlich, da er die sofortige Beseitigung des Angriffs des K. erwarten ließ (vgl. BGHSt 27, 336;
BGH NStZ 1996, 29; BGHR StGB § 32 II Verteidigung 4); er war in der Form des im Abstand vor dem Körper Hin- und Herschwingens auch - im Vergleich zum sofortigen Zustechen - das schonendere Mittel zur Erreichung des Abwehrerfolges. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang brauchte sich der Angeklagte nicht einzulassen (vgl. BGHR StGB § 32 II Erforderlichkeit 6).
Darauf, daß K. unbewaffnet war und den Arm noch nicht zum Schlag erhoben hatte, kommt es angesichts der unmittelbaren Vorgeschichte und der drohenden Haltung des Zeugen K. und seiner Begleiter, denen der Angeklagte alleine gegenüberstand, nicht an.
Der Angeklagte war auch - weder vor Beginn der Schlägerei, als die Gruppe um den Zeugen K. auf ihn und die drei Frauen zurannte, noch, nachdem er von der Bierflasche getroffen zu Boden gestürzt war, sich erhoben hatte und erneut K. und seine Begleiter in drohender Haltung auf sich zukommen sah - nicht gehalten, "selbst die Flucht zu ergreifen" (UA S. 10, 34) und "wegzurennen" (UA S. 27). Seiner Abwehrhandlung war kein schuldhaft provozierter Angriff seinerseits vorausgegangen (vgl. BGHSt 39, 374 m.w.Nachw.), so daß er nicht verpflichtet war, dem Angriff auszuweichen. Der Zeuge K. war nach den getroffenen Feststellungen auch nicht so betrunken , als daß unter diesem Gesichtspunkt das Notwehrrecht des Angeklagten eingeschränkt gewesen wäre.
Der Angeklagte handelte auch mit Verteidigungswillen. Zwar schien dem Angeklagten vor dem Beginn der körperlichen Auseinandersetzung die Gelegenheit , den Zeugen K. für dessen Verhalten zu bestrafen, günstig und im Hinblick auf sein Messer sah er auch einem Streit trotz der zahlenmäßigen
Überlegenheit der Angreifer gelassen entgegen. Der Messereinsatz hatte aber dann später in der konkreten Situation nach den getroffenen Feststellungen nur noch den Zweck, zunächst die Gruppe um K. und dann diesen allein von sich fernzuhalten. Selbst wenn er in diesem Augenblick immer noch im Sinn gehabt haben sollte, den Zeugen K. zu bestrafen, so drängte dieses Motiv den Verteidigungszweck nicht völlig in den Hintergrund (vgl. BGH NStZ 1996, 29, 30).
3. Soweit das Landgericht auch bei dem anschließenden Bauchstich eine Notwehrlage verneint hat (vgl. BGHSt 42, 97; BGHR StGB § 32 II Verteidigung 6), kann der Senat nicht ausschließen, daß die rechtsfehlerhafte Beurteilung des ersten Tatkomplexes auch die Bewertung dieses Tatgeschehens beeinflußt hat. Im Hinblick auf die Feststellung, daß der Angeklagte aus Wut und um dem Zeugen einen Denkzettel zu verpassen, zugestochen hat, läßt das Urteil zudem eine Prüfung vermissen, ob der Angeklagte daneben auch noch mit Verteidigungswillen gehandelt hat. Denn eine Tat kann auch dann durch Notwehr gerechtfertigt sein, wenn der Täter neben der Abwehr noch andere
Ziele verfolgt, solange sie den Verteidigungszweck nicht völlig in den Hintergrund drängen; das gilt auch, wenn Wut bei der Tat eine Rolle spielt (BGH NStZ 1996, 29, 30 m.w.Nachw.).
Kutzer Miebach Winkler Pfister von Lienen

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 30/12
vom
25. April 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 25. April 2012 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 7. Oktober 2011 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich selbstständigen Fällen, einmal in Tateinheit mit Nötigung, Nötigung, vorsätzlicher Körperverletzung und Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.

2
Das Landgericht hat den Schuldspruch gegen den nicht geständigen Angeklagten auf die für glaubhaft erachteten Angaben der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung gestützt. Dabei hat es - wie der Angeklagte zulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) rügt - für seine Überzeugungsbildung auch den Inhalt einer ermittlungsrichterlichen Einvernahme der Nebenklägerin herangezogen, die nicht im Umfang ihrer Verwertung zum Inbegriff der Hauptverhandlung gehört hat. Der darin liegende Verstoß gegen § 261 StPO führt zur Aufhebung des Urteils.
3
1. Das Landgericht hat zu dem Aussageverhalten der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren das Folgende festgestellt:
4
a) Nachdem die Nebenklägerin am 1. Dezember 2010 mehrfach von dem Angeklagten telefonisch bedrängt worden war, erstattete sie in Begleitung einer Freundin Anzeige bei der Polizeiinspektion S. . Bei dieser Gelegenheit schilderte sie erstmalig die dem Schuldspruch zugrunde liegenden Vorgänge. Ihre Angaben wichen dabei nur in wenigen - vom Landgericht für unbedeutend erachteten - Randdetails von ihrer Einlassung in der Hauptverhandlung ab (UA S. 10). Bei einer kriminalpolizeilichen Einvernahme am 3. Dezember 2010 äußerte sich die Nebenklägerin erneut zu den Tatvorwürfen, wobei ihre Angaben den Schilderungen bei der Anzeigeerstattung "sehr ähnelten". Außerdem fügte sie noch verschiedene Details hinzu, die in den Urteilsgründen im Einzelnen dargestellt werden (UA S. 11). Am 15. Februar 2011 wurde die Nebenklägerin von der Ermittlungsrichterin bei dem Amtsgericht Frankenthal vernommen. Ihre dortigen Angaben "entsprachen wiederum weitgehend der im Rahmen ihrer ursprünglichen polizeilichen Vernehmung gemachten Aussage". Ergänzend werden in den Urteilsgründen einzelne Passagen in wörtlicher Rede wiedergegeben (UA S. 11). Weiter wird angeführt, dass die Schilderung der Nebenklägerin zu Fall III. 4. "relativ knapp" ausgefallen und die einleitende Sequenz zu Fall III. 5. nur "oberflächlich beschrieben" worden sei (UA S. 12).
5
b) Bei der sehr ausführlichen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin kommt das Landgericht zu dem Ergebnis, dass die Entwicklung der Aussage im zeitlichen Verlauf für ihren Realitätsbezug spreche. Eine Gesamtschau der Bekundungen der Nebenklägerin lasse ein Ausmaß an Konstanz erkennen, wie es bei zuverlässigen, erlebnisgespeisten Berichten zu erwarten sei (UA S. 21). Die nochmals im Einzelnen dargestellten Abweichungen zwischen den jeweiligen Aussagen seien dem Zeitablauf geschuldet oder beträfen Randereignisse. Nennenswerte Auffälligkeiten hätten sich nur hinsichtlich zweier zum Kerngeschehen gehörender Details ergeben. Dabei seien Widersprüche in den Schilderungen zu Fall III. 3. bei Polizei und Ermittlungsrichterin von der Nebenklägerin schon vor dem Amtsgericht teilweise aufgeklärt (UA S. 22) und schließlich in der Hauptverhandlung auf Vorhalt früherer Aussageprotokolle umfassend erläutert worden (UA S. 23). Soweit die Nebenklägerin bei ihrer ermittlungsrichterlichen Vernehmung zu einem zentralen Punkt (vaginaler Geschlechtsverkehr im Fall III. 5.) abweichend ausgesagt habe, liege darin kein ausreichender Hinweis auf einen allgemeinen Mangel an Glaubhaftigkeit , zumal die fragliche Unstimmigkeit erst gegen Ende der ausgedehnten und sicherlich erschöpfenden Vernehmung vor der Ermittlungsrichterin aufgetreten sei (UA S. 23 f.).
6
2. Die Aussage der Nebenklägerin vor der Ermittlungsrichterin bei dem Amtsgericht Frankenthal vom 15. Februar 2011 war nicht in dem Umfang ihrer Verwertung Gegenstand der Hauptverhandlung (§ 261 StPO).
7
Wie sich aus dem schon durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesenen Vortrag des Revisionsführers ergibt, wurde die Vernehmungsniederschrift nicht in der Hauptverhandlung verlesen und auch die vernehmende Ermittlungsrichterin nicht als Zeugin gehört. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht seine Überzeugung vom Inhalt der ermittlungsrichterlichen Vernehmung durch Vorhalte gewonnen hat, die der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung gemacht worden sind.
8
Durch seine Feststellung, dass die Angaben der Nebenklägerin bei ihrer ermittlungsrichterlichen Einvernahme weitgehend der im Rahmen ihrer ursprünglichen polizeilichen Vernehmung gemachten Aussage entsprachen (UA S. 11), die ihrerseits nur in Randdetails von den die Verurteilung tragenden Bekundungen der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung abwich (UA S. 10), hat das Landgericht zu erkennen gegeben, dass es den gesamten das Tatgeschehen betreffenden Vernehmungsinhalt zur Kenntnis genommen und gewürdigt hat. Dies ergibt sich auch aus den wörtlichen Zitaten und der zusammenfassenden Bewertung ganzer Aussageabschnitte als "relativ knapp" oder "oberflächlich". Das Protokoll der ermittlungsrichterlichen Vernehmung vom 15. Februar 2011 besteht aus sieben eng beschriebenen Seiten. Wie sich aus den übereinstimmenden dienstlichen Stellungnahmen des Vorsitzenden und der Berichterstatterin sowie der Gegenerklärung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft ergibt, wurden der Nebenklägerin nur von der Verteidigung Vorhalte aus diesem Protokoll gemacht. Dabei ging es vornehmlich darum, Widersprüche und Unstimmigkeiten aufzuzeigen. Der Umfang der Vernehmungsniederschrift und die Zielrichtung der Vorhalte schließen aus, dass sich das Landgericht auf diesem Wege die Überzeugung verschafft haben kann, die seine umfassenden Feststellungen zu dem Inhalt der ermittlungsrichterlichen Vernehmung und dessen Übereinstimmung mit früheren Aussagen tragen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 1991 - 5 StR 164/91, MDR 1991, 704 bei Holtz; Beschluss vom 11. August 1987 - 5 StR 162/87, StV 1987, 421).
9
3. Das Urteil beruht auch auf diesem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO), weil die nicht nur theoretische Möglichkeit besteht, dass es bei richtiger Anwendung des Gesetzes anders ausgefallen wäre (BGH, Urteil vom 6. August 1987 - 4 StR 333/87, NJW 1988, 1223, 1224). Das Landgericht hat in den Bekundungen der Nebenklägerin eine weitreichende Konstanz festgestellt und dabei auch die ermittlungsrichterliche Vernehmung in den Blick genommen. Diese Feststel- lung hat mit dazu beigetragen, dass sich das Landgericht schließlich von der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin und damit der Schuld des Angeklagten überzeugen konnte.

II.

10
Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat das Folgende:
11
Sollte der neue Tatrichter wieder zu der Überzeugung gelangen, dass der Angeklagte die Nebenklägerin entsprechend den Feststellungen unter III. 3. der Urteilsgründe mit ihrem Pkw angefahren und dadurch zu Fall gebracht hat, stünde es der Annahme einer gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht grundsätzlich entgegen, dass die erlittenen Verletzungen (multiple Prellungen) erst durch den Sturz verursacht worden sind.
12
Eine gefährliche Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begeht, wer seinem Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eine Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB beibringt (BGH, Beschluss vom 30. Juni 2011 - 4 StR 266/11, Tz. 5; Beschluss vom 12. Januar 2010 - 4 StR 589/09, NStZ-RR 2010, 205, 206; Beschluss vom 16. Januar 2007 - 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405; Urteil vom 22. Dezember 2005 - 4 StR 347/05, NStZ 2006, 572). Ein fahrendes Kraftfahrzeug, das zur Verletzung einer Person eingesetzt wird, ist in der Regel als ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB anzusehen (BGH, Beschluss vom 30. Juni 2011 - 4 StR 266/11, Tz. 5; Beschluss vom 16. Januar 2007 - 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405). Wird eine Person durch ein gezieltes Anfahren zu Fall gebracht, kann darin eine gefährliche Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegen, wenn bereits durch den Anstoß eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens und damit eine körperliche Miss- handlung gemäß § 223 Abs. 1 StGB ausgelöst worden ist. Erst infolge des anschließenden Sturzes erlittene Verletzungen sind dagegen nicht auf den unmittelbaren Kontakt zwischen Kraftfahrzeug und Körper zurückzuführen, sodass eine Verurteilung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB allein darauf nicht gestützt werden kann (BGH, Beschluss vom 30. Juni 2011 - 4 StR 266/11, Tz. 5; Beschluss vom 16. Januar 2007 - 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405).
13
Dessen ungeachtet wird der neue Tatrichter in diesem Fall auch zu prüfen haben, ob sich der Angeklagte eines vorsätzlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 StGB schuldig gemacht hat. Ernemann Cierniak Franke Schmitt Quentin
5
aa) Zwar ist ein fahrendes Kraftfahrzeug, das zur Verletzung einer Person eingesetzt wird, ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Die Feststellungen ergeben jedoch nicht, dass die Verletzungen des Po- lizeibeamten durch eine Einwirkung des Kraftfahrzeugs auf seinen Körper verursacht worden sind. Soweit er sich diese – was unklar bleibt – bei dem Sturz auf den Asphalt zugezogen hat, wäre der Körperverletzungserfolg nicht „mittels“ des Kraftfahrzeugs eingetreten (Senatsbeschlüsse vom 16. Januar 2007 – 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405 und vom 10. Juli 2008 – 4 StR 220/08).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 589/09
vom
12. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
, zu Ziffer 1. auf dessen Antrag, und nach Anhörung der Beschwerdeführerin
am 12. Januar 2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 17. Juli 2009 wird verworfen, soweit sie zuungunsten des Angeklagten eingelegt ist. 2. Soweit das Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten wirkt (§ 301 StPO), wird das vorbezeichnete Urteil
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht - Strafrichter - Aschersleben zurückverwiesen. 4. Die Nebenklägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels sowie die durch das Rechtsmittel dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Nebenklägerin strebt mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision eine Verurteilung des Angeklagten wegen ver- suchten Totschlags an. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten ergeben, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat. Jedoch ist das Urteil in entsprechender Anwendung des § 301 StPO zugunsten des Angeklagten im Schuldspruch abzuändern und im Strafausspruch aufzuheben, weil es einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist, der auf die Revision der Nebenklägerin zu beachten ist, obwohl das Rechtsmittel nur zuungunsten des Angeklagten eingelegt wurde (BGH, Beschl. vom 23. August 1995 - 2 StR 394/95, NStZ-RR 1996, 130).
2
1. Nach den Feststellungen legte der Angeklagte der vor dem Computer sitzenden Nebenklägerin ein etwa ein Meter langes Elektrokabel locker um den Hals, ohne es allerdings zuzuziehen und ohne dass das Kabel mit ihrem Hals in Berührung kam. Er wollte ihr lediglich einen heftigen Schrecken einjagen. Die Nebenklägerin bemerkte das Kabel, ergriff es von oben mit beiden Händen und zog es mit einem heftigen Ruck dem Angeklagten aus der Hand, so dass es auf den Fußboden fiel. Spätestens jetzt rief der Angeklagte: “Ich bringe dich um.“ Die Nebenklägerin, der es im weiteren Verlauf gelang, den Angeklagten aus dem Zimmer zu drängen und in die Küche zu flüchten, erlebte Todesängste, verspürte eine Beklemmung und litt noch geraume Zeit nach der Tat unter Angstzuständen.
3
2. Diese Feststellungen belegen zwar noch die Annahme einer vorsätzlichen (einfachen) Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB). Die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung kann jedoch keinen Bestand haben. Denn entgegen der Auffassung des Landgerichts hat der Angeklagte die Körperverletzung nicht mittels eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB begangen.
4
Nach a) der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein gefährliches Werkzeug jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im konkreten Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen (vgl. nur Senat, Beschl. vom 5. September 2006 - 4 StR 313/06, NStZ 2007, 95). Bereits diese Eignung erscheint hier zweifelhaft. Zwar kann ein Kabel, wenn es zum Würgen eingesetzt wird, nach seiner Beschaffenheit und der konkreten Verwendung erhebliche Verletzungen herbeiführen. Hier legte der Angeklagte der Nebenklägerin jedoch das Kabel lediglich locker um den Hals, um sie in Angst und Schrecken zu versetzen. Wird eine Strangulation aber nur vorgetäuscht, sind erhebliche Verletzungen regelmäßig nicht zu befürchten. Dass es sich hier ausnahmsweise, etwa aufgrund einer besonderen Disposition der Nebenklägerin , anders verhielt, ist nicht festgestellt.
5
b) Darüber hinaus verlangt § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, dass die Körperverletzung “mittels“ eines solchen Werkzeugs begangen wird. Das Tatmittel muss hierbei unmittelbar auf den Körper des Opfers einwirken (Senat, Urt. vom 22. Dezember 2005 - 4 StR 347/05, NStZ 2006, 572, 573, Beschl. vom 16. Januar 2007 - 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405; Fischer StGB 57. Aufl. § 224 Rdn. 7). Jedenfalls daran fehlt es hier. Das Kabel kam zwar mit dem Körper der Nebenklägerin in Berührung. Es entfaltete jedoch als bloße “Requisite“ bei der Inszenierung einer scheinbar lebensbedrohlichen Situation seine Wirkung nicht unmittelbar körperlich, sondern psychisch vermittelt. Dies vermag den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB aber ebenso wenig zu erfüllen wie der Einsatz einer Maske oder die Vorlage einer gefälschten Todesbescheinigung mit dem Ziel, das Opfer in Schrecken zu versetzen. Diese Auffassung liegt auch der bisherigen Rechtsprechung zugrunde (vgl. BGH, Beschl. vom 17. Januar 2001 - 1 StR 480/00; Urt. vom 26. November 1985 - 1 StR 393/85, NStZ 1986, 166; im Ergebnis ebenso Stree in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 224 Rdn. 3; a.A. Hardtung in MK StGB § 224 Rdn. 21; differenzierend Eckstein NStZ 2008, 125, 128). An ihr wird festgehalten.
6
3. Der Senat stellt den Schuldspruch entsprechend um. Er schließt aus, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die das Handeln des Angeklagten als eine das Leben gefährdende Behandlung i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erscheinen lassen könnten. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
7
4. Die Änderung des Schuldspruchs zieht angesichts des gegenüber § 224 StGB milderen Strafrahmens des § 223 StGB die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 3 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Amtsgericht - Strafrichter - Aschersleben zurück, da dessen Strafgewalt hier ausreicht.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 524/06
vom
16. Januar 2007
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 16. Januar 2007 gemäß § 349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 22. März 2006 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte im Fall II. 1 der Urteilsgründe der tateinheitlich begangenen vorsätzlichen (einfachen) Körperverletzung schuldig ist.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, mit gefährlicher Körperverletzung und mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr (Fall II. 1 der Urteilsgründe, Einzelstrafe: zwei Jahre Freiheitsstrafe) sowie wegen hierzu in Tatmehrheit stehender weiterer tateinheitlich zusammentreffender Straftaten (Fall II. 2 der Urteilsgründe, Einzelstrafe: neun Monate Freiheitsstrafe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Außerdem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und gegen ihn eine isolierte Sperre für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis von drei Jah- ren angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, führt lediglich zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung im Fall II. 1 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
a) Nach den insoweit getroffenen Feststellungen kam es zwischen dem Angeklagten und dem sich in das Fahrzeug des Angeklagten beugenden Polizeibeamten G. , der den Angeklagten an einer Weiterfahrt hindern wollte, zunächst zu einer Rangelei. G. versuchte die Handbremse zu ziehen und kam hierbei quer im vorderen Innenraum des Fahrzeugs zu Liegen. Im weiteren Verlauf der körperlichen Auseinandersetzung gelang es dem Angeklagten, sein Fahrzeug rückwärts in Gang zu setzen, so dass es schließlich gegen eine Böschung stieß. Durch den Anstoß fiel der Polizeibeamte aus dem Fahrzeug auf einen Gehweg; er erlitt „bei diesem Vorgang“ unter anderem einen Bruch des Brustbeins, eine Schwellung am rechten Auge, Schürfwunden am Armgelenk und Prellungen mehrerer Rippen.
4
b) Damit ist das Vorliegen einer gefährlichen Körperverletzung nicht belegt. Die hier allein in Betracht kommende Tatbestandsvariante des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB („mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs“ ) setzt voraus, dass die Körperverletzung durch ein von Außen auf den Körper des Tatopfers einwirkendes gefährliches Tatmittel verursacht wird (vgl. Senat NZV 2006, 270, 271/272; NZV 2006, 483, 484 [zu § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB]; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 224 Rdn. 7; a.A. KG NZV 2006, 111 mit Anm. Krüger). Zwar ist ein fahrendes Kraftfahrzeug, das zur Verletzung ei- ner Person eingesetzt wird, als ein gefährliches Werkzeug im Sinne dieser Bestimmung anzusehen. Die Feststellungen ergeben jedoch nicht, dass die Verletzungen des Polizeibeamten durch eine Einwirkung des Kraftfahrzeugs auf seinen Körper verursacht worden sind. Soweit er sich diese - was unklar bleibt - bei dem Sturz aus dem Fahrzeug zugezogen hat, wäre der Körperverletzungserfolg erst durch den nachfolgenden Aufprall auf den Gehsteig und nicht „mittels“ des Kraftfahrzeugs eingetreten (vgl. Senat aaO).
5
c) Das Verhalten des Angeklagten erfüllt jedoch den Tatbestand einer (einfachen) Körperverletzung gemäß § 223 StGB. Der nach § 230 StGB zur Verfolgung erforderliche Strafantrag ist vom Verletzten form- und fristgerecht gestellt worden (vgl. Bl. 28 d.A.). Der Senat ändert daher den Schuldspruch entsprechend ab.
6
2. Der aufgezeigte Rechtsfehler hat auf den Bestand des Strafausspruchs keine Auswirkung. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Bewertung der Körperverletzungshandlung die im Fall II. 1 der Urteilsgründe festzusetzende Einzelstrafe, die dem nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 315 b Abs. 3 StGB zu entnehmen war, niedriger bemessen hätte. Zwar hat das Landgericht insoweit rechtsfehlerhaft den Strafrahmen des § 315 Abs. 3 StGB zu Grunde gelegt und damit verkannt , dass § 315 b Abs. 3 StGB nur bezüglich der tatbestandlichen Voraussetzungen auf diese Vorschrift verweist, im Übrigen aber über einen eigenen, im Höchstmaß niedrigeren (zehn statt fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe) Strafrahmen verfügt. Da das Landgericht sich bei der Bemessung der Einzelstrafe jedoch ersichtlich an dem unteren Mindestmaß des Strafrahmens orientiert hat, welches in beiden Bestimmungen gleich ist, ist nicht zu besorgen, dass sich dieser Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat. Jedenfalls erachtet der Senat die festgesetzte Einzelstrafe für angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1 a StPO.
Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanović Ernemann

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er

1.
Anlagen oder Fahrzeuge zerstört, beschädigt oder beseitigt,
2.
Hindernisse bereitet oder
3.
einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt,
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Handelt der Täter unter den Voraussetzungen des § 315 Abs. 3, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(4) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(5) Wer in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 197/12
vom
27. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. September
2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof und
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 27. Januar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht Halle hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen traf der alkoholisierte Angeklagte (maximale Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit: 1,68 Promille) zusammen mit dem Zeugen V. am 15. April 2011 nach 22.00 Uhr im Stadtgebiet von Z. auf den ihm bis dahin unbekannten Geschädigten Z. und dessen Freund, den Zeugen D. . Z. und D. führten einen kleinen Terrier und einen 50 cm großen Labrador-Pitbull-Mischling mit sich. Beide Hunde waren angeleint und bellten. Der Abstand zwischen Z. und D. einerseits und dem Angeklagten und V. andererseits betrug 25 bis 30 Meter.
3
Aus nicht mehr aufklärbaren Gründen entwickelte sich zwischen dem Angeklagten auf der einen und Z. und D. auf der anderen Seite eine verbale Auseinandersetzung, bei der es auch zu beleidigenden Äußerungen („Wichser“) des Angeklagten kam. Als der Angeklagte und der sich an dem Wortwechsel nicht beteiligende V. ihren Weg fortsetzten, folgten ihnen Z. und D. nach, wobei sich der Abstand zwischen beiden Gruppen ständig verringerte, weil Z. und D. ihr Gehtempo erhöhten. Die verbale Auseinandersetzung wurde dabei fortgeführt. Einer Aufforderung von Z. stehen zu bleiben, kamen der Angeklagte und V. nicht nach. Als D. dem Angeklagten und V. ankündigte, dass man ihnen „beim nächsten dummen Wort hinterherkommen“ werde, reagierte der Angeklagte hierauf mit den Worten: „Na dann kommt doch her“. Der Wortwechsel wurde nun zunehmend aggressiver, wobei der Angeklagte seinen Kontrahenten Z. und D. zurief: „Passt auf, wenn ich euch auf offener Straße abschießen lasse“. Die Aufforderung einer Anwohnerin, „mit dem Krach aufzuhören“, blieb beiallen Beteiligten ohne Wirkung. Z. und D. erhöhten nun nochmals ihre Geschwindigkeit , sodass der Abstand zu dem Angeklagten und V. immer kürzer wurde. Dabei lief Z. voraus, während D. mit den beiden an der Leine geführten Hunden nachfolgte. V. , der die Annäherung bemerkte, befürchtete nun eine alsbaldige Konfrontation und redete auf den Angeklagten ein, dass sie beide dies besser lassen und nach Hause gehen sollten. Der Angeklagte ging hierauf nicht ein und führte stattdessen die verbale Auseinandersetzung mit Z. und D. lautstark fort.
4
Als der Abstand zu Z. und D. nur noch 10 bis 20 Meter betrug, nahm der Angeklagte ein von ihm ständig mitgeführtes Klappmesser mit einer Klingenlänge von 10 cm aus seiner Bauchtasche. Die Tasche mit dem übrigen Inhalt übergab er V. , um sie vor seinen Verfolgern zu sichern. V. bekam Angst vor den ihnen folgenden Personen und den bellenden Hunden, er wollte keinen Ärger und rannte davon. Z. lief nun auf den Angeklagten zu, der sich mit dem Rücken zu ihm befand und stehen blieb. Als Z. den Angeklagten erreichte, versuchte er, ihm einen Faustschlag gegen den Kopf zu versetzen. Der Schlag verfehlte den Angeklagten, weil sich dieser genau in dem Moment des Schlags erst zur Seite und dann umdrehte. Unmittelbar nach der Drehbewegung führte der Angeklagte mit dem zwischenzeitlich geöffneten Messer ohne weiteres Zögern einen wuchtigen Stich gegen den Oberkörper von Z. aus. Die Klinge drang 15 cm tief in den linken Unterbauch von Z. ein, führte zu einer dreifachen Durchsetzung des Dünndarms, einem Durchstich der unteren Hohlvene und einem Stichdefekt an der gemeinsamen rechten Beckenschlagader. Beide standen sich nun unmittelbar gegenüber. Der Angeklagte zog sein Messer wieder aus dem Körper von Z. heraus und behielt es in der Hand. Z. schlug nun ein zweites Mal mit der Faust nach dem Angeklagten , wobei er ihn im Gesicht traf. Der Angeklagte fiel zu Boden, blieb liegen und versuchte seinen Kopf mit den Händen zu schützen. Z. trat mindestens einmal gegen den Oberkörper des am Boden liegenden Angeklagten und lief dann zu dem in einer Entfernung von etwa 10 Metern mit den Hunden wartenden D. . Kurz darauf brach er zusammen; er verstarb trotz einer sofortigen Notoperation am frühen Morgen des Folgetags in einem Krankenhaus.
5
Bei der Ausführung des Stiches nahm der Angeklagte eine als möglich erkannte tödliche Verletzung von Z. billigend in Kauf. Dabei stand er unter dem Eindruck, von zwei Personen und deren bellenden Hunden verfolgt zu werden, wobei ihn ein Verfolger bereits eingeholt hatte. Aufgrund des zuvor genossenen Alkohols fühlte er sich „etwas enthemmt“, ohne dass es zu einer relevanten Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit gekommen wäre.

II.


6
Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Rechtfertigung durch Notwehr abgelehnt hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7
1. Das Landgericht ist der Ansicht, der Angeklagte habe rechtswidrig gehandelt , weil ihm in der konkreten Situation andere Möglichkeiten für eine Abwehr des Angriffs zur Verfügung standen und der tödliche Messerstich deshalb nicht das nach § 32 Abs. 2 StGB erforderliche Verteidigungsmittel war (UA 33). So habe der Angeklagte während des Wortwechsels und der Verlagerung des Geschehens bis zum Tatort genügend Zeit gehabt, um auf den Besitz des Messers hinzuweisen und dessen Einsatz anzudrohen. Zu diesem Zeitpunkt sei Z. lediglich hinter ihm hergelaufen und habe noch nicht damit begonnen , auf den Angeklagten einzuschlagen. Ebenso hätte der Angeklagte versuchen können, mit Worten deeskalierend auf die ihn verfolgende Gruppe einzuwirken. Auch wäre es ihm in der konkreten Verteidigungssituation möglich gewesen, das Messer als Schlagwerkzeug zu benutzen oder seine Fäuste einzusetzen. Dabei hätte der Angeklagte gute Erfolgsaussichten gehabt, weil er aufgrund seiner Körperlänge von 187 cm dem nur 160 cm großen Z. überlegen gewesen sei und eine situationsbedingte körperliche Schwächung nicht vorgelegen habe. Zudem hätte der Angeklagte nicht mit einer derartigen Wucht auf eine so sensible Körperregion einstechen müssen (UA 10 und 34). Schließlich dürfe auch nicht unbeachtet bleiben, dass der Angeklagte wegen seiner aggressiven Äußerungen im Vorfeld eine Mitschuld an der Gemütsver- fassung des Geschädigten trage, auch wenn die Voraussetzungen einer Notwehrprovokation dadurch noch nicht erfüllt seien (UA 34 f.).
8
2. Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 mwN). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrachtung entschieden werden (BGH, Urteil vom 24. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14). Dabei kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung an (BGH, Urteil vom 28. Februar 1989 – 1 StR 741/88, NJW 1989, 3027; Beschluss vom 5. November 1982 – 3 StR 375/82, NStZ 1983, 117). Auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel muss der Angegriffene nur dann zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unter den gegebenen Umständen unzweifelhaft ist und genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht (BGH, Urteil vom 2. November 2011 – 2 StR 375/11, NStZ 2012, 272, 274; Urteil vom 14. Juni 1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 358). Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz einer Waffe kann danach durch Notwehr gerechtfertigt sein. Zwar geht die Rechtsprechung davon aus, dass gegenüber einem unbewaffneten Angreifer der Gebrauch eines bis dahin noch nicht in Erscheinung getretenen Messers in der Regel anzudrohen ist (BGH, Urteil vom 11. September 1995 – 4 StR 294/95, NStZ 1996, 29 f.; Beschluss vom 12. Dezember 1975 – 2 StR 451/75, BGHSt 26, 256, 258) und, sofern dies nicht ausreicht, der Versuch unternommen werden muss, auf weniger sensible Körperpartien einzustechen (BGH, Beschluss vom 24. Juli 2001 – 4 StR 256/01), doch stehen diese Einschränkungen unter dem Vorbehalt, dass beide Einsatzformen im konkreten Fall eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2003 – 3 StR 458/02, NStZ 2004, 615, 616; Beschluss vom 21. März 2001 – 1 StR 48/01, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 15; Urteil vom 24. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14). Dies ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen im Einzelnen darzulegen. Angesichts der schweren Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die regelmäßig in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine vorherige Androhung des Messereinsatzes oder eine weniger gefährliche Stichführung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 2011 – 2 StR 375/11, NStZ 2012, 272, 274). Können keine sicheren Feststellungen zu Einzelheiten des Geschehens getroffen werden, darf sich das nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken (BGH, Beschluss vom 15. November 1994 – 3 StR 393/94, NJW 1995, 973).
9
3. Diesen Grundsätzen werden die Erwägungen des Landgerichts zur Erforderlichkeit des Messerstichs nicht gerecht.
10
a) Soweit dem Angeklagten entgegenhalten wird, den Einsatz des Messers während des Wortwechsels und der Verlagerung des Geschehens bis zum Tatort nicht angedroht und es in diesem Zeitraum auch versäumt zu haben, durch Worte deeskalierend auf seine Kontrahenten einzuwirken, handelt es sich um mögliche Verhaltensweisen im Vorfeld und nicht um im Zeitpunkt des Messereinsatzes noch verfügbare alternative Abwehrmittel.
11
b) Für die Annahme, dass es dem Angeklagten möglich war, den Angriff von Z. mit den bloßen Fäusten abzuwehren, ohne dabei ein unvertretbar hohes Fehlschlagrisiko oder eine Eigengefährdung in Kauf nehmen zu müssen, fehlt es an einer tragfähigen Grundlage. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang lediglich auf die Größenverhältnisse zwischen den Kontrahenten abgehoben und daraus eine körperliche Überlegenheit des Angeklagten abgeleitet. Dies reicht nicht aus, um einen sicheren Erfolg des Angeklagten bei einem Faustkampf mit Z. zu belegen. Ob eine körperliche Auseinandersetzung ohne eigene Verletzungen mit Erfolg bestanden werden kann, hängt nur zu einem geringen Teil von der Statur der Kontrahenten ab. Weitere Feststellungen – etwa zu möglichen Erfahrungen des Angeklagten mit derartigen Auseinandersetzungen oder besonderen Fertigkeiten in diesem Bereich – die eine derartige Aussage gestatten könnten, sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Den Vorstrafen wegen Körperverletzung aus dem Jahr 2008 zum Nachteil deutlich jüngerer Kinder hat der Tatrichter in diesem Zusammenhang keine Bedeutung beigemessen und sie nur bei der Ahndung berücksichtigt.
12
c) Das Landgericht hat auch nicht hinreichend dargelegt, warum der Angeklagte gehalten gewesen sein sollte, das Messer als Schlagwerkzeug einzusetzen. Bei dem Tatmesser handelte es sich um ein Klappmesser mit einer feststehenden 10 cm langen Klinge. Wie ein solches Messer in einer effektiven Weise als Schlagwerkzeug eingesetzt werden kann, erschließt sich nicht von selbst.
13
d) Schließlich hat das Landgericht auch nicht mit Tatsachen belegt, dass es dem Angeklagten möglich war, den Angriff von Z. durch einen weniger wuchtigen Stich gegen eine nicht so sensible Körperregion endgültig abzuwehren. Die hierzu gemachten Ausführungen beschränken sich auf die bloße Behauptung, dass ihm diese Handlungsmöglichkeit zur Verfügungstand (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2001 – 4 StR 256/01).

III.


14
Der Senat kann nicht nach § 354 Abs. 1 StPO durch Freispruch in der Sache selbst entscheiden, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine neue Verhandlung noch weitere Feststellungen zu erbringen vermag, die einen Schuldspruch rechtfertigen (BGH, Urteil vom 22. April 2004 – 5 StR 534/02, NStZ-RR 2004, 270, 271). Dabei wird auch zu erörtern sein, ob die Notwehrbefugnisse des Angeklagten wegen einer ihm zuzurechnenden Angriffsprovokation beschränkt waren. Auch kommt gegebenenfalls die Annahme eines Erlaubnistatbestandsirrtums in Betracht.
15
1. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich nicht auf ein Notwehrrecht berufen kann, wer den gegen ihn geführten Angriff herausgefordert hat, um den Angreifer unter dem Deckmantel einer äußerlich gegebenen Notwehrlage an seinen Rechtsgütern zu verletzen (BGH, Urteil vom 22. November 2000 – 3 StR 331/00, NStZ 2001, 143; Urteil vom 7. Juni 1983 – 4 StR 703/82, NJW 1983, 2267). Einschränkungen der Notwehrbefugnis können sich aber auch dann ergeben, wenn der Täter den Angriff durch ein rechtswidriges Verhalten im Vorfeld (z.B. Beleidigungen des Angreifers) mindestens leichtfertig provoziert hat. In einem solchen Fall ist es dem Täter zuzumuten, dem Angriff nach Möglichkeit auszuweichen (BGH, Beschluss vom 14. Februar 1992 – 2 StR 28/92, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 9; Beschluss vom 17. Januar 1989 – 4 StR 2/89, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 4; Urteil vom 14. Juni 1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 359). Vermag er dies nicht, kann er – je nach der Stärke der ihm anzulastenden Provokation und dem Gewicht des beein- trächtigten Rechtsguts – auch Beschränkungen bei der Auswahl der Abwehrmittel unterliegen (BGH, Urteil vom 2. November 2005 – 2 StR 237/05, NStZ 2006, 332, 333). War die Provokation besonders stark, muss der Verteidiger unter Umständen auf eine einen sicheren Erfolg versprechende Verteidigung verzichten und das Risiko hinnehmen, dass ein milderes Abwehrmittel keine gleichwertigen Erfolgschancen bietet (BGH, Urteil vom 22. November 2000 – 3 StR 331/00, NStZ 2001, 143, 144; Urteil vom 26. Oktober 1993 – 5 StR 493/93, BGHSt 39, 374, 379). Regelmäßig wird er zu einer Trutzwehr mit einer lebensgefährlichen Waffe erst dann übergehen können, wenn er alle sich ihm bietenden Möglichkeiten zur Schutzwehr ausgeschöpft hat (BGH, Urteil vom 11. Juni 1991 – 1 StR 242/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 8; Urteil vom 18. August 1988 – 4 StR 297/88, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 3; Urteil vom 14. Juni 1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 359; vgl. Beschluss vom 12. Dezember 1975 – 2 StR 451/75, BGHSt 26, 256). Kann der Verteidiger dem von ihm leichtfertig provozierten Angriff nicht ausweichen und stehen ihm auch keine milderen Abwehrmittel zur Verfügung, ist ein Einsatz von lebensgefährlichen Verteidigungsmitteln gerechtfertigt (BGH, Beschluss vom 17. Januar 1989 – 4 StR 2/89, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 4).
16
Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte den später getöteten Z. und den Zeugen D. im Vorfeld des Angriffs unter anderem als „Wichser“ bezeichnet und dadurch beleidigt. Konkrete Feststellungen dazu, ob und inwieweit diese und weitere Äußerungen („na dann kommt doch her“) dazu beigetragen haben, dass Z. und D. die Verfolgung des Angeklagten und des Zeugen V. aufnahmen und inwieweit eine solche Entwicklung vorhersehbar war, hat das Landgericht nicht getroffen. Das Gesamtgeschehen legt einen derartigen motivationalen Zusammenhang nahe. Für den Fall, dass eine leichtfertige Angriffsprovokation festge- stellt werden kann, wird der neue Tatrichter zu prüfen haben, inwieweit es dem Angeklagten möglich war, dem Angriff auszuweichen und inwieweit er wegen der vorausgegangenen Provokation Einschränkungen bei der Notwehrausübung hinnehmen musste.
17
2. Ein analog § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB zum Vorsatzausschluss führender Erlaubnistatbestandsirrtum kann gegeben sein, wenn der rechtswidrig Angegriffene zu einem objektiv nicht erforderlichen Verteidigungsmittel greift, weil er irrig annimmt, der bereits laufende Angriff werde in Kürze durch das Hinzutreten eines weiteren Angreifers verstärkt werden; das gewählte Verteidigungsmittel aber in der von ihm angenommenen Situation zur endgültigen Abwehr des Angriffs erforderlich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 1. März 2011 – 3 StR 450/10, NStZ 2011, 630). Konnte der Angegriffene den Irrtum vermeiden , kommt nach § 16 Abs. 1 Satz 2 StGB eine Bestrafung wegen einer Fahrlässigkeitstat in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2001 – 3 StR 542/00, NStZ 2001, 530 f.).
18
Nach den Feststellungen des Landgerichts sah sich der Angeklagte von zwei Personen mit bellenden Hunden verfolgt, von denen ihn eine ( Z. ) bereits eingeholt hatte. Diese Annahme entsprach jedenfalls insoweit nicht den Tatsachen, als D. „eher an einer Deeskalation“ interessiert war und – so seine für „plausibel“ erachtete Aussage in der Hauptverhandlung – Z. sogar an dem Faustschlag gehindert hätte, wenn er zeitgleich mit ihm auf den Angeklagten getroffen wäre. Ob der Angeklagte bei der Ausführung des Stiches irrig davon ausging, dass der laufende Angriff von Z. in Kürze eine Verstärkung durch D. erfahren würde, lässt sich anhand dieser Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Sollte der neue Tatrichter zu entsprechenden Feststellungen gelangen, wird er zu erörtern haben, ob der tödliche Messerstich erforderlich gewesen wäre, um einen Angriff abzuwehren, wie ihn der Angeklagte befürchtete.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
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1. Der Erpresser ist in einer von ihm gesuchten Konfrontation mit dem Erpreßten
gegenüber einem wehrenden Gegenangriff des Erpreßten auf sein Leben
regelmäßig nicht arglos im Sinne des Mordmerkmals der Heimtücke,
wenn er in dessen Angesicht im Begriff ist, seine Tat zu vollenden und zu
beenden und damit den endgültigen Rechtsgutsverlust auf Seiten des Erpreßten
zu bewirken.
2. Zur Notwehr gegen eine Erpressung.
BGH, Urteil vom 12. Februar 2003 - 1 StR 403/02 - LG Nürnberg-Fürth

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 403/02
vom
12. Februar 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung am
11. Februar 2003 in der Sitzung vom 12. Februar 2003, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung am 11. Februar 2003 -,
Rechtsanwalt
- in der Sitzung vom 12. Februar 2003 -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge- richts Nürnberg-Fürth vom 15. März 2002 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Heimtückemordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachbeschwerde Erfolg. Die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe heimtückisch gehandelt, ist ebenso rechtsfehlerhaft wie die Verneinung einer Notwehrlage. Zudem weisen die weiteren Ausführungen der Strafkammer zur Frage einer etwaigen Rechtfertigung des Angeklagten und zur inneren Tatseite Erörterungsmängel auf.

I.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hatte der später vom Angeklagten getötete M. diesem in Teilbeträgen 6.000 DM abgepreßt. Er hatte ihm gedroht, ihm im Nichtzahlungsfalle wegen seines Han-
dels mit sog. Raubpressungen von Kompaktschallplatten (CDs) Schwierigkeiten bei der Polizei zu bereiten und ihn von Freunden zusammenschlagen zu lassen. Beide, M. und der Angeklagte, waren miteinander bekannt und hat- ten oft persönlichen Kontakt. Als der Angeklagte am Tattage morgens M. in dessen Wohnung besuchte, verlangte dieser weitere 1.000 DM. M. drohte ihm erneut mit einer Anzeige wegen seiner illegalen Geschäfte. Um den Angeklagten zur Zahlung zu veranlassen, rief M. über die Notrufnummer die Polizei an, um "einen Termin" zu vereinbaren. Er kündigte überdies an, er werde mit Freunden das Geld von ihm eintreiben. Der Angeklagte ließ sich jedoch nicht zur Zahlung bewegen und verließ schließlich M. s Wohnung. Abends suchte M. in Begleitung eines gewissen Ma. den Angeklagten in dessen Wohnung auf. Der Angeklagte ließ beide ein. Während Ma. Proviant und eine Flasche Wodka besorgte, stritten der Angeklagte und M. lautstark miteinander. M. hielt dem Angeklagten vor, daß er seit drei Jahren von Sozialhilfe lebe und daneben illegal CDs verkaufe. Er forderte nunmehr vom Angeklagten die Zahlung von 5.000 DM. Nach Ma. s Rückkehr tranken die drei Anwesenden schließlich - am Wohnzimmertisch sitzend - drei Viertel des Inhalts einer Flasche Wodka, der Angeklagte indessen lediglich etwa 0,2 cl. Als der Angeklagte auch auf M. s erneute, nun höhere Forderung nicht einging und diese ablehnte, drohte M. , die Wohnzimmereinrichtung zu zerstören. Der Angeklagte bot M. darauf die Übergabe von 1.200 DM an, die er in der Wohnung habe. Dies war M. jedoch zu wenig; er bestand auf der Zahlung von 5.000 DM und drohte im weiteren Verlauf erneut mit Polizei und Finanzamt sowie der Zerstörung der Sachen in der Wohnung oder aber der Mitnahme von Gegenständen im Wert von 5.000 DM. Schließlich begann M. , gegen die CD-Sammlung des Angeklagten zu treten. Der Angeklagte erklärte sich daraufhin bereit, den geforderten Betrag zu zahlen, wenn
M. "seine Sachen in Ruhe ließe". Er ging ins Badezimmer seiner "Einraum- wohnung mit offenem Küchenbereich" und holte dort eine Plastiktüte aus einem Versteck, in der sich 5.000 DM und 500 US-Dollar befanden. Zurück im Wohnzimmer überließ er Ma. die Tüte. Die Strafkammer vermochte nicht zu klären, ob Ma. dem Angeklagten die Tüte aus der Hand riß oder ob der Angeklagte sie an Ma. übergab. M. stand zu diesem Zeitpunkt mit den Händen in den Hosentaschen im Wohnzimmer. Völlig überraschend für ihn, der "keinerlei Angriff erwartete", trat der Angeklagte hinter ihn, um ihn zu töten. Er war wütend darüber, daß M. ihm das angesparte Geld wegnehmen wollte; er mochte sich von M. nicht seine Existenz zerstören lassen. Blitzschnell riß er den Kopf M. s zurück , schlug ihm mehrfach auf denselben und schnitt M. mit einem aus der Hosentasche gezogenen feststehenden, einseitig geschliffenen Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 5,8 cm sofort mehrfach von links nach rechts durch den Hals. Dabei fügte er M. mehrere bis auf die Wirbelsäule reichende Schnittverletzungen zu. M. brach zusammen und verstarb umgehend. Der völlig überraschte Ma. rannte unter Mitnahme des Geldes aus der Wohnung. Er wurde später aufgrund seines Tatbeitrages wegen Erpressung zu fünf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt (UA S. 32). Bei dem trinkgewohnten M. bestand zum Todeszeitpunkt eine hochgradige Alkoholbeeinflussung. Seine Blutalkoholkonzentration lag zwischen 3,03 und 3,26 Promille. Die Strafkammer geht davon aus, daß M. , der als „laut, nervig, sich aufspielend und trinkfest“ charakterisiert wird (UA S. 6), auch von anderen Personen Geldbeträge „gefordert“ hatte, ohne „hierauf einen Anspruch zu haben“ (UA S. 18).

II.

Der Schuldspruch wegen Mordes kann von Rechts wegen keinen Bestand haben. Das Landgericht hält die Tötungshandlung des Angeklagten für heimtückisch (§ 211 Abs. 2 StGB). M. sei zum Zeitpunkt der Messerattacke des Angeklagten arglos gewesen; er habe sich keines Angriffs versehen. Der Streit zwischen beiden sei beendet gewesen, als der Angeklagte der Forderung M. s nachgegeben und das Geld herbeigeholt habe. Der Angeklagte habe sich deshalb auch nicht mehr in einer Notwehrsituation befunden (§ 32 StGB). Der Angriff M. s, der seiner Geldforderung mit einem Fußtritt gegen die CDSammlung des Angeklagten Nachdruck verliehen habe, sei abgeschlossen gewesen, als der Angeklagte der Forderung M. s nachgekommen sei. Beide Erwägungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Annahme heimtückischen Handelns des Angeklagten steht hier entgegen, daß M. wegen seines erpresserischen Angriffs mit Gegenwehr des objektiv noch in einer Notwehrlage befindlichen Angeklagten rechnen mußte und deshalb nicht gänzlich arglos sein konnte. 1. Die Notwehrlage bestand für den Angeklagten während seiner Messerattacke auf M. noch fort. M. s erpresserischer Angriff auf das Vermögen des Angeklagten war noch "gegenwärtig" im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB. Er war zwar vollendet, aber noch nicht beendet; denn die Beute war noch nicht gesichert (vgl. BGH bei Holtz MDR 1979, 985; siehe weiter BGHSt 27, 336, 339; BGH NJW 1979, 2053; RGSt 55, 82, 84; Lenckner/Perron in Schönke/ Schröder, StGB 26. Aufl. § 32 Rdn. 13, 15; Lackner/Kühl StGB 24. Aufl. § 32
Rdn. 4). Notwehr ist nicht darauf beschränkt, die Verwirklichung der gesetzlichen Merkmale des Tatbestandes abzuwenden. Sie ist zum Schutz gegen den Angriff auf ein bestimmtes Rechtsgut zugelassen. Dieser Angriff kann trotz Vollendung des Delikts noch fortdauern und deshalb noch gegenwärtig sein, solange die Gefahr, die daraus für das bedrohte Rechtsgut erwächst, entweder doch noch abgewendet werden kann oder bis sie umgekehrt endgültig in den Verlust umgeschlagen ist. Nur im Falle des endgültigen Verlustes handelt es sich etwa bei einem Angriff auf Eigentum und Besitz beweglicher Sachen für den Berechtigten nicht mehr um die Erhaltung der Sachherrschaft, sondern um deren Wiedererlangung, für die Gewaltanwendung jedenfalls nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der Notwehr zugelassen ist (so schon RGSt 55, 82, 84). 2. Die fortbestehende Notwehrlage bleibt - unbeschadet der weiteren Voraussetzungen dieses Rechtfertigungsgrundes (siehe unten unter III.) - in Fällen der vorliegenden Art nicht ohne Auswirkungen auf die Beantwortung der Frage heimtückischen Handelns (§ 211 Abs. 2 StGB) des sich zur Wehr setzenden Opfers der Erpressung, des Angeklagten: Heimtücke setzt unter anderem die Ausnutzung der Arglosigkeit des Getöteten voraus (vgl. nur BGHSt 32, 382, 388). Der Erpresser ist in der von ihm gesuchten Konfrontation mit dem Erpreßten im Blick auf einen etwaigen wehrenden Gegenangriff des Opfers auf sein Leben jedoch nicht arglos, wenn er in dessen Angesicht im Begriff ist, seine Tat zu vollenden und zu beenden und damit den endgültigen Rechtsgutsverlust auf Seiten des Erpreßten zu bewirken. Das sich wehrende Erpressungsopfer handelt in einem solchen Falle mithin in aller Regel nicht heimtückisch. Arglos in dem bei heimtückischer Begehungsweise vorausgesetzten Sinn ist der Getötete dann, wenn er nicht mit einem gegen seine körperliche
Unversehrtheit gerichteten erheblichen, geschweige denn mit einem lebensbedrohlichen Angriff rechnet. Diese Arglosigkeit kann aus unterschiedlichen Gründen entfallen. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten Falles. Die Frage, ob ein Mensch arglos ist, beurteilt sich grundsätzlich nach seiner tatsächlich vorhandenen Einsicht in das Vorhandensein einer Gefahr. Daß er einen tätlichen Angriff (hier: Gegenangriff) in Rechnung gestellt hat, kann sich allein schon aus seinem eigenen vorausgegangenen Verhalten ergeben (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13; vgl. weiter BGHSt 20, 301, 302; 33, 363, 365; BGH NJW 1980, 792; StV 1985, 235). Ist in einem Fall wie dem vorliegenden eine Notwehrlage aufgrund eines gegenwärtigen rechtswidrigen erpresserischen Angriffs durch den später Getöteten gegeben, der aktuell nicht nur im Fortwirken einer erpressungstypischen Dauergefahr besteht (Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit, etwa durch Setzen einer Frist zur Zahlung unter Übelsandrohung), sondern darüber hinaus in einer konkreten Tathandlung im Angesicht des Opfers, die unmittelbar die Verletzung eines beachtlichen Rechtsguts des Opfers besorgen läßt, so gilt: Es ist regelmäßig der Angreifer, der durch sein Verhalten einen schützenden oder trutzwehrenden Gegenangriff herausfordert, mag dieser sich nun im Rahmen des durch Notwehr Gerechtfertigten halten oder deren Grenzen überschreiten. Für die Frage der Arglosigkeit ist letzteres unerheblich. Mit seinem konkreten Angriff hat das spätere Opfer des Gegenangriffs in aller Regel seine Arglosigkeit bereits zuvor verloren. Er ist der wirkliche Angreifer. Dem Angegriffenen gesteht die Rechtsordnung das Notwehrrecht zu. Mit dessen Ausübung muß jeder Angreifer in solcher Lage grundsätzlich rechnen. Das ist von der strafrechtlichen Werteordnung und damit normativ prägend vorgegeben. Dem entspricht, daß das Notwehrrecht generell im Rechtsbewußtsein der Bevölkerung tief verwur-
zelt ist. Der Erpresser ist deshalb unter den hier gegebenen Umständen regelmäßig nicht gänzlich arglos (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13). Das Mordmerkmal der Heimtücke ist einer solchen, auch normativ orientierten einschränkenden Auslegung zugänglich. Diese gründet mit darin, daß der Gegenwehr hier ersichtlich nicht das Tückische in einem Maße innewohnt, welches den gesteigerten Unwert dieses Mordmerkmals kennzeichnet (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13). Es gilt zudem, einen Wertungsgleichklang mit dem Notwehrrecht zu gewährleisten. Gerade für ein zunächst unterlegenes Opfer kann es sich als unausweichlich erweisen, gegenüber dem überlegenen Rechtsbrecher, der gar noch von einem Tatteilnehmer unterstützt wird, bei der Verteidigung einen Überraschungseffekt auszunutzen, soll die Notwehr überhaupt Aussicht auf Erfolg haben. Unter solchen Umständen erscheint es bei wertender Betrachtung nicht systemgerecht, dem sich wehrenden Opfer, wenn es in der gegebenen Lage - in der Regel plötzlich - in den Randbereich der erforderlichen und gebotenen Verteidigung gerät oder gar exzessiv handelt, das Risiko aufzulasten, bei Überschreitung der rechtlichen Grenzen der Rechtfertigung oder auch der Entschuldigung sogleich das Mordmerkmal der Heimtücke zu verwirklichen. Der Senat läßt offen, ob gleichwohl unter besonderen Umständen Fallgestaltungen denkbar sind, bei denen ausnahmsweise eine Arglosigkeit des Erpressers tragfähig festgestellt werden kann, obgleich dieser im Angesicht seines Opfers eine Tathandlung verwirklicht und im Begriff ist, seine Tat zu vollenden und den endgültigen Verlust des Rechtsguts des Erpreßten zu bewirken. Solche besonderen Umstände sind hier weder den Urteilsgründen zu entnehmen noch sind sie sonst angesichts der Rahmenbedingungen denkbar.
Der danach anzunehmende Argwohn des später getöteten M. wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß er den Feststellungen zufolge von dem Gegenangriff des Angeklagten "überrascht" war und diesen nicht erwartet hatte. Das belegt lediglich, daß er die Aussichten falsch eingeschätzt hat, seinen Rechtsbruch ohne Gegenwehr zu Ende führen zu können; seine Arglosigkeit hatte er - mangels entgegenstehender Umstände - bereits mit seinem (erneuten ) Angriff auf das Vermögen des Angeklagten in dessen Angesicht verloren. Dem steht nicht entgegen, daß er sich auch in der Gefährlichkeit eines möglicherweise zu erwartenden Gegenangriffs verschätzt haben mag, weil er bis zuletzt wohl die Bewaffnung des Angeklagten mit einem kleinen Messer nicht bemerkt hatte (ebenso BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13). Nach allem gilt: Büßt der später Getötete wegen seines eigenen gegenwärtigen rechtswidrigen erpresserischen Angriffs nicht gänzlich seine Arglosigkeit gegenüber der Möglichkeit eines körperlichen (schutz- oder trutzwehrenden) Gegenangriffs ein, so fehlt es an der Heimtücke selbst dann, wenn der sich Wehrende das Überraschungsmoment bewußt ausnutzt. 3. Der Schuldspruch wegen Mordes unterliegt danach schon aus den genannten Gründen der Aufhebung. Es kommt deswegen nicht mehr darauf an, daß die Strafkammer auch das Bewußtsein des Angeklagten nicht hinreichend dargetan hat, einen durch seine etwaige Ahnungslosigkeit gegenüber einem Gegenangriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. zum sog. HeimtückeBewußtsein nur BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 9, 11, 26). Der Senat stellt allerdings klar, daß in den Fällen der Erpressung, in denen eine Drohung als sog. Dauergefahr zwischen einzelnen Angriffsakten des Täters auf die Willensentschließungsfreiheit des Opfers als gegenwärtig im Sinne des Tatbestandes fortwirkt (vgl. dazu BGHR StGB § 255 Drohung 9; BGH
NStZ-RR 1998, 135), eine Tötung des Erpressers durch sein Opfer in einer von diesem, also dem Opfer gesuchten, vorbereiteten Situation sehr wohl heimtükkisch sein kann (siehe etwa BGH NStZ 1995, 231) und dann auch nicht durch Notwehr gerechtfertigt ist. Sie wäre als Verteidigung jedenfalls nicht geboten (im Sinne des § 32 Abs. 1 StGB). Dem Opfer wäre regelmäßig die Inanspruchnahme staatlicher Hilfe zuzumuten (vgl. § 154c StPO). In solcher Lage würde weder das individuelle Schutzinteresse noch das Rechtsbewährungsinteresse, die das Notwehrprinzip prägen, eine solche "Verteidigung" tragen (so im Ergebnis auch BGH NStZ 1995, 231).

III.

Die von der Strafkammer angestellten Hilfserwägungen zu einer etwaigen Rechtfertigung des Angeklagten sowie zur inneren Tatseite leiden an Erörterungsmängeln , denen der neue Tatrichter Rechnung zu tragen haben wird. 1. Die Strafkammer meint, der Angeklagte habe - eine Notwehrlage unterstellt - das Maß der objektiv erforderlichen Verteidigung überschritten. Der Angeklagte habe "weggehen können", die Polizei rufen können oder M. , als dieser mit ihm allein war, aus der Wohnung weisen können, "notfalls auch unter Einsatz adäquater körperlicher Aktion" (UA S. 40). Diese Würdigung ist lükkenhaft und wird den rechtlichen Grundsätzen zur Frage der Erforderlichkeit einer Verteidigung nicht in jeder Hinsicht gerecht.
a) Ein "Weggehen" des Angeklagten aus seiner eigenen Wohnung oder ein Herbeirufen der Polizei nach dem etwaigen Verlassen der Wohnung durch M. und Ma. , also ein Abziehenlassen der Erpresser wäre keine Verteidigung gegen den rechtswidrigen Angriff mehr gewesen. Daß ein dro-
hendes, wehrendes Vorzeigen des mit kurzer Klinge versehenen Küchenmessers sich ebenso wie der Versuch einer "körperlichen Auseinandersetzung" als aussichtsreiche Verteidigungsmittel erwiesen hätten, versteht sich im Blick auf die Übermacht zweier Angreifer nicht von selbst. Der trinkgewohnte M. war zwar hochgradig alkoholisiert, aber ersichtlich aktionsfähig und aggressionsbereit. Zuvor, als der Angeklagte mit M. vorübergehend allein war, weil Ma. Proviant herbeiholte, hatte der Angeklagte versucht, M. hinzuhalten. Als die Tat vollendet wurde, sah der Angeklagte sich indessen wieder zwei Angreifern gegenüber. Daß der Versuch einer vom Angeklagten mittels körperlicher Gewalt geübten Trutzwehr, die Androhung des Einsatzes des Messers oder aber der Versuch des Herbeirufens der Polizei in Anwesenheit zweier Angreifer aussichtsreich gewesen wären, liegt nicht nahe, hätte deshalb der näheren Darlegung bedurft. Hätte der Angeklagte den Einsatz des Messers angedroht oder hätte er sich auf eine körperliche Auseinandersetzung eingelassen, wäre zu besorgen gewesen, daß er eine Eskalation durch die Angreifer heraufbeschworen hätte. Ein nicht bloß geringes Risiko, daß ein milderes Verteidigungsmittel fehlschlägt und dann keine Gelegenheit mehr für den Einsatz eines stärkeren Verteidigungsmittels bleibt, braucht der Angegriffene zur Schonung des rechtswidrig Angreifenden nicht einzugehen. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang muß er sich nicht einlassen (vgl. nur BGH StV 1999, 143; BGH NStZ 2001, 591, jew. m.w.N.). Allerdings hat der Verteidigende grundsätzlich, wenn ihm mehrere wirksame Mittel zur Verfügung stehen und er Zeit zur Auswahl und zur Einschätzung der Gefährlichkeit hat, dasjenige Mittel zu wählen, das dem Angreifer am wenigsten gefährlich ist. Ist der Angreifer unbewaffnet und ihm die Bewaffnung des Verteidigers unbekannt, so ist je nach der Auseinandersetzungslage grundsätzlich zu verlangen, daß er den Einsatz der Waffe androht,
ehe er sie lebensgefährlich oder gar gezielt tödlich einsetzt (BGHSt 26, 256, 258; BGH NStZ-RR 1999, 40, 41; NStZ 2001, 591, 592). Diese rechtlichen Grundsätze wird der neue Tatrichter zu bedenken, seiner Würdigung zugrundezulegen und die Auseinandersetzungslage mit den bei lebensnaher Betrachtung in Frage kommenden aussichtsreichen Verteidigungsmöglichkeiten zu erörtern haben.
b) In diesem Zusammenhang wird das sog. Kräfteverhältnis zwischen dem Angeklagten einerseits sowie M. und Ma. andererseits näher zu bewerten sein. Dafür spielt auch die Aktionsfähigkeit M. s eine Rolle. Dieser ging nach den Feststellungen wohl recht zielstrebig vor, obwohl er - freilich trinkgewohnt - eine Blutalkoholkonzentration von drei Promille hatte. Hingegen hat sein Mittäter Ma. als Zeuge bekundet, M. habe aufgrund seiner Alkoholisierung kaum stehen können (UA S. 30). Je nach der Bewertung der Auseinandersetzungslage und des Kräfteverhältnisses wird dann möglicherweise zu erwägen sein, ob etwa das Anlegen des kleinen Messers an den Hals des M. mit der Androhung einer massiven körperlichen Attacke eine aussichtsreiche Verteidigung gewesen wäre. Abhängig vom Ergebnis dieser Würdigung könnte sich erweisen, daß der überraschende Einsatz des Küchenmessers mit dem Ziel der Tötung M. s - objektiv betrachtet - der einzig sicher erfolgversprechende Weg zur Ausschaltung des "Hauptangreifers" war. Ob er aber auch aussichtsreich hinsichtlich des Zieles war, den endgültigen Verlust des Geldes im gegebenen Zeitpunkt noch abzuwenden, bedarf ebenfalls der Bewertung. Denn auch nach der Tötung M. s blieb Ma. - im Besitz des Geldes - handlungsfähig. Ihm gelang tatsächlich die Flucht. Das verdeutlicht, daß allein ein Gegenangriff auf M. nicht genügen konnte, den Vermögensverlust zu verhindern. Vielmehr war eine
weitere Verteidigungshandlung vonnöten, um Ma. an der Flucht mit dem Geld zu hindern. Auch insoweit kommt es auf die konkrete Lage an, in subjektiver Hinsicht zudem darauf, welche Vorstellungen der Angeklagte gegebenenfalls zum Verteidigungserfolg seiner Gegenwehr hatte (vgl. BGHSt 45, 378, 384; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 32 Rdn. 27). 2. Die Auffassung des Landgerichts, die Tötung M. s sei "völlig unverhältnismäßig" gewesen, vermag der Senat nicht zu teilen. Eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter findet bei der Notwehr grundsätzlich nicht statt (anders etwa im Notstandsfall gemäß § 34 StGB; vgl. BGH NStZ 1996, 29; Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 17). Ein Fall des Mißbrauchs des Notwehrrechts wegen geringen Gewichts des angegriffenen Rechtsguts stand hier nicht in Rede (sog. Bagatellfälle; vgl. BGH MDR bei Holtz 1979, 985; Tröndle /Fischer aaO § 32 Rdn. 20 m.w.N.). Es ging bei dem Angriff M. s nicht lediglich um eine etwaige Sachbeschädigung der CD-Sammlung des Angeklagten , sondern um die Erpressung eines Bargeldbetrages in Höhe von 5.000 DM. Bei solcher Ausgangslage gilt der Grundsatz, daß das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht. 3. Die bisherigen Feststellungen und die Würdigung des Landgerichts tragen schließlich nicht die Annahme, der Angeklagte habe nicht mit Verteidigungswillen gehandelt, sondern "Selbstjustiz" geübt. In den Feststellungen hebt die Strafkammer selbst hervor, daß der Angeklagte "wütend darüber war, daß M. ihm das angesparte Geld wegnehmen wollte und er sich von M. nicht seine Existenz zerstören lassen wollte" (UA S. 11). Dies kann darauf hindeuten , daß der Angeklagte sich jedenfalls auch vom Willen zur Verteidigung gegen den Verlust des Geldes hat leiten lassen. Hinzutretende andere Tatmotive schließen den Verteidigungswillen nicht aus. Eine Rechtfertigung kommt
nach feststehender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch dann in Betracht , wenn neben der Abwehr eines Angriffs auch andere Ziele verfolgt wer- den, solange sie den Verteidigungszweck nicht völlig in den Hintergrund drängen (vgl. nur BGH NStZ 1983, 117; BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigungswille 1, jew. m.w.N.). Die Beweiswürdigung genügt diesem Maßstab nicht. Die Strafkammer hätte alle bedeutsamen tatsächlichen Umstände und die Einlassungen des Angeklagten einer eingehenden Bewertung unterziehen müssen, um auf dieser Grundlage seine Beweggründe festzustellen und an den rechtlichen Maßstäben zu messen. Die Urteilsgründe geben die verschiedenen Äußerungen des Angeklagten während der Ermittlungen zu seinen subjektiven Vorstellungen wieder. Dem Kriminalbeamten H. hatte er erklärt, er habe vermeiden wollen, daß Ma. eingreift, da er M. unbedingt habe töten wollen. Er habe sich das Geld nicht wegnehmen lassen wollen; ebensowenig andere Sachen, die ihm gehört hätten (UA S. 26). Beim Ermittlungsrichter hatte er sich dahin eingelassen, er sei "sehr böse" gewesen, weil ihm sein angespartes Geld weggenommen worden sei. Um zukünftig weitere Wegnahmen zu verhindern, habe er sich zur Tötung M. s entschlossen. Das Messer habe er schon längere Zeit bei sich getragen, weil er befürchtet habe, M. könne zur Durchsetzung seiner Geldforderung mit weiteren Personen zu ihm kommen (UA S. 28). Dem Kriminalbeamten K. hatte der Angeklagte erklärt, er habe M. "aus Haß heimzahlen" wollen, "was dieser ihm die ganzen Monate vorher angetan habe" (UA S. 29). Er habe M. getötet, weil dieser durch seine ständigen Geldforderungen seine Pläne, eigentlich seine ganze Existenz bedroht bzw. kaputt gemacht habe (UA S. 30). Die Strafkammer meint, der Angeklagte habe die unberechtigte Geldforderung M. s "für immer unterbinden wollen", indem er ihn tötete. "Aus Wut über den Verlust" des Geldes habe der Angeklagte unter
Ausnutzung des Überraschungseffekts der Drucksituation ein Ende bereitet. Die Tat beruhe auf dem "normalpsychologischen Motiv" der Wut. Dabei durfte die Strafkammer nicht stehen bleiben. Sie hätte sich angesichts der Einlassung des Angeklagten, er habe sich - naheliegender Weise auch aktuell - das Geld nicht wegnehmen lassen wollen, die Frage vorlegen müssen, ob hier die Wut des Angeklagten, ein Bestreben zur Verhinderung künftiger, aber noch nicht gegenwärtiger Erpressungen sowie der Wille zur "Bestrafung" für früheres Unrecht (vgl. UA S. 40) einerseits und der Wille zur aktuellen Verteidigung gegen den Verlust des Geldes andererseits nebeneinander Beweggrund waren, oder ob die zuerst genannten Motive so stark ausgeprägt waren, daß sie den Verteidigungszweck völlig in den Hintergrund gedrängt haben. Daran fehlt es. Im letzten Falle würde Notwehr mangels mitbestimmenden Verteidigungswillens ausscheiden. Bei der nunmehr vorzunehmenden Würdigung wird indes zu beachten sein, daß der sich zur Verteidigung Entschließende in einer sich zuspitzenden Situation oft erst durch ein gewisses Maß gleichsam "natürlicher Wut" in den Stand gesetzt wird, seinen Entschluß zur Wehr zu fassen und umzusetzen. Andererseits wird auch in diesem Zusammenhang zu würdigen sein, was sich der Angeklagte aus seiner Sicht von der Tötung M. s versprach und versprechen konnte, wenn er den Verlust des Geldes zu verhindern trachtete, das Ma. in Händen hielt. Die Urteilsgründe sind überdies zur Frage des Motivs des Angeklagten widersprüchlich. In ihren Feststellungen geht die Strafkammer davon aus, der Angeklagte habe sich sein angespartes Geld nicht wegnehmen und sich von M. nicht seine Existenz zerstören lassen wollen (UA S. 11). Bei ihrer rechtlichen Würdigung hingegen legt sie ein nicht deckungsgleiches Motiv zugrunde: Dort hebt sie hervor, er habe in dem Bestreben gehandelt, M. für sein vor-
angegangenes Tun zu bestrafen und künftige Forderungen auszuschließen (UA S. 40). 4. Der neue Tatrichter wird im Blick auf die bisherigen Feststellungen und die Einlassungen des Angeklagten möglicherweise weiter zu prüfen haben, ob ein Fall der sog. Absichtsprovokation vorliegt: Der Angeklagte könnte sich nicht wirksam auf Notwehr berufen, wenn er sich absichtlich oder jedenfalls vorsätzlich in eine erwartete Verteidigungssituation hineinbegeben hätte, um dann M. unter dem Vorwand einer objektiven Notwehrlage angreifen und "vernichten" zu können. In einem solchen Fall erwiese sich seine Gegenwehr in Wahrheit als vorgeplanter Angriff auf das Leben M. s, rechtsmißbräuchlich im Gewande der Verteidigung geführt (vgl. nur BGH NJW 1983, 2267; NStZ 2001, 143; vgl. Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 18, 23). In diesem Zusammenhang bedarf es auch einer Bewertung der Äußerung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, wonach er auch "zukünftige weitere Wegnahmen" habe verhindern wollen. Dies kann für sich betrachtet auf den Willen zu einer Art (unerlaubter) "Präventivnotwehr" hindeuten. Für die tatsächliche Würdigung kann auch eine Rolle spielen (Indizwirkung), daß der Angeklagte M. und Ma. in Kenntnis des wiederkehrenden, vorangegangenen erpresserischen Verhaltens M. s und von dessen Ankündigung am Vormittag in seine Wohnung einließ. Die Tatsache, daß und wann der Angeklagte sich mit einem kleinen Küchenmesser bewaffnet hatte, kann im Gesamtzusammenhang des Geschehens für den Schluß auf seine Beweggründe bedeutsam sein. Dem steht nicht entgegen, daß es im Grundsatz dem Notwehrübenden nicht anlastbar ist, wenn er sich für den Fall einer ihm aufgezwungenen Auseinandersetzung bewaffnet. Auch der Stellenwert der Äußerung, er habe M. unbedingt töten wollen, ist in ihrer Bedeutung für die Motivlage zu beurteilen. Gleiches gilt für den Umstand, daß der Angeklagte sich beim gemeinsamen Wodka-Trinken
vergleichsweise zurückhielt und lediglich ca. 0,2 cl zu sich nahm. Andererseits ist aber auch im Auge zu behalten, daß M. die Intensität seines Angriffs gesteigert hatte. So forderte er einen erheblich höheren Geldbetrag als noch am Vormittag. Er ließ sich auch nicht mehr erfolgreich hinhalten, sondern begann mit Sachbeschädigungen und drohte weitere Übel an, die die Durchsetzung mit räuberischen Mitteln nicht fernliegend erscheinen ließen. Daß der Angeklagte erst dann zum Gegenangriff überging, als ihm der endgültige Verlust seines Geldes unausweichlich vor Augen stehen mußte, könnte eher gegen eine Absichtsprovokation sprechen. Nach allem muß sich der neue Tatrichter fragen, ob er sich im Blick auf einen etwaigen Mißbrauch des Notwehrrechts davon überzeugen kann, daß der Angeklagte in der vorgefaßten Absicht handelte, M. zu töten und sich nicht erst in der aktuellen Situation, weil er möglicherweise den Verlust seines Geldes nicht mehr anders meinte abwenden zu können, zur Verteidigung entschloß. Hat der Tatrichter Zweifel, wird ein mitbestimmender wirklicher Verteidigungswille des Angeklagten anzunehmen und Rechtsmißbrauch zu verneinen sein. Er wird den zeitnah zur Tat gemachten Angaben des Angeklagten naheliegenderweise größeres Gewicht beimessen als etwa solchen in einer erneuten Hauptverhandlung. 5. Der neue Tatrichter wird dann gegebenenfalls zu bedenken haben, ob das Notwehrrecht des Angeklagten einer erheblichen Einschränkung unterlag (vgl. dazu Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 2 f.) und ob der Angeklagte deren Grenzen mit seinem sofortigen Messerangriff auf das Leben M. s überschritten hat. Hierzu bemerkt der Senat im einzelnen vorsorglich:

a) Eine Einschränkung des Notwehrrechts des Angeklagten im Blick auf eine etwaige Provokation M. s durch vorwerfbares Vorverhalten würde voraussetzen , daß dieses Vorverhalten rechtswidrig oder wenigstens sozialethisch zu mißbilligen wäre; zudem müßte zwischen ihm und dem rechtswidrigen Angriff des M. ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang bestehen (vgl. zu diesen Erfordernissen: BGHSt 27, 336, 338; 42, 97, 101; siehe auch BGHSt 24, 356, 358 f.; 26, 143, 145; BGH NStZ 1998, 508; NStZ-RR 1999, 40, 41; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, aaO § 32 Rdn. 54, 59; Tröndle/ Fischer aaO § 32 Rdn. 24). aa) Die bisherigen Feststellungen belegen nicht, daß der Angeklagte die Notwehrlage in rechtswidriger oder sonst sozialethisch zu mißbilligender Weise herbeigeführt und M. "provoziert" hätte. Das bloße Einlassen M. s und dessen Begleiters in seine, des Angeklagten Wohnung trotz der zuvor ausgesprochenen Drohungen und der bereits erfolgten Erpressungen genügt dafür nicht. Damit hat er M. lediglich die Gelegenheit zum erneuten Erpressungsversuch gegeben und damit gleichsam fahrlässig - die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten betreffend - die Notwehrlage mit herbeigeführt. Ein rechtlich erlaubtes Tun - wie etwa das Öffnen der Wohnungstür gegenüber einem unbekannten Bewaffneten (BGH NStZ 1993, 332, 333) - führt jedoch nicht ohne weiteres zur Einschränkung des Notwehrrechts, auch wenn der Täter wußte oder wissen mußte, daß der andere durch dieses Verhalten zu einem rechtswidrigen Angriff veranlaßt werden könnte (so schon BGH NStZ 1993, 332, 333). Entscheidend ist nicht, ob der später Angegriffene die Entwicklung vorhersehen konnte, sondern - mit Blick auf das Rechtsbewährungsinteresse - ob der Angreifer sich durch das vorwerfbare Verhalten des von ihm Angegriffenen provoziert fühlen konnte (vgl. Roxin ZStW Bd. 75 <1963>, 497, 582). Die bloß fahrlässige oder gar leichtfertige Herbeiführung einer Notwehrlage führt nicht
zu einer Einschränkung des Maßes der gebotenen Verteidigung. Das würde selbst dann gelten, wenn der Angeklagte mit einem erneuten Angriff M. s gerechnet und dies beim Einlassen in seine Wohnung - wenn er dies hätte verhindern können - in Kauf genommen und geglaubt hätte, einen solchen Angriff hinhaltend oder sonst "schon irgendwie" abwehren zu können. Er hätte auch dann nicht im Sinne einer Provokation des Angreifers gehandelt, sondern lediglich eine notwehrträchtige Lage durch erlaubtes Tun mitverursacht, für die er sich sogar wappnen durfte. Dieses Verhalten mochte dann zwar in hohem Maße den Geboten der Vorsicht und der Lebensklugheit zuwiderlaufen; es nahm dem Angeklagten jedoch nichts von seinem Recht, sich gegen den Angriff mit den nach Maßgabe der Situation erforderlichen und gebotenen Mitteln zu verteidigen (BGH, Urteil vom 20. Juli 1983 - 2 StR 43/83 - S. 12, aber auch Urteil vom 5. Juli 1978 - 2 StR 201/78 - S. 5 f.). bb) Ebensowenig erweist sich bei dem festgestellten Sachverhalt der illegale Handel des Angeklagten mit Raubpressungen von CD's als notwehreinschränkendes vorwerfbares Vorverhalten im Sinne einer Provokation der Notwehrlage oder M. s. Dieses Verhalten des Angeklagten ist zwar von Rechts wegen ersichtlich vorwerfbar. Es richtete sich jedoch nicht gegen ein Rechtsgut gerade des M. , wie das etwa bei Tätlichkeiten oder Beleidigungen gegenüber dem späteren Angreifer der Fall ist. Betroffen waren vielmehr Rechtsgüter Dritter, nämlich der Urheberrechtsinhaber der CD-Titel. Dementsprechend fehlte auch der räumliche und zeitliche Zusammenhang mit dem Angriff M. s. Eine Notwehr des Angeklagten (wenn seine Trutzwehr vom Verteidigungswillen mitgetragen und erforderlich war) stünde "nicht im Zeichen seines eigenen Unrechts"; seiner Gegenwehr würde das eigene Unrecht nicht unmittelbar anhaften. Sie wäre mithin durch seine anderweitigen Straftaten nicht in einer Weise bemakelt, daß sie deshalb nicht mehr uneingeschränkt als Mittel
auch der Rechtsbewährung gegenüber dem erpresserischen Angriff M. s auf sein Vermögen hätte angesehen werden können (vgl. BGHSt 27, 336, 338; BGH NStZ 1989, 474; BGH, Urt. vom 25. Februar 1975 - 1 StR 702/74; BGH, Beschl. vom 15. April 1980 - 1 StR 130/80; Lenckner/Perron in Schönke/ Schröder, aaO § 32 Rdn. 59). Auch demjenigen, der früher eine strafbare Handlung begangen hat, steht grundsätzlich ein uneingeschränktes Notwehrrecht zur Seite, wenn er in anderem Zusammenhang selbst Opfer einer Straftat wird. Er hat nicht etwa deshalb, weil die gegen ihn gerichtete Tat (hier: eine Erpressung) vom Täter an seine gegen die Rechtsgüter Dritter begangene eigene Straftat angeknüpft wird, einen "Status minderen Rechts", der Erpresser nicht deswegen einen größeren, im Ergebnis nicht notwehrfähigen Freiraum für seinen Rechtsbruch. cc) Eine Einschränkung des Notwehrrechts jenseits der in der Rechtsprechung bislang anerkannten Fallgruppen wird in der Literatur für die Fälle der sogenannten Schweigegelderpressung diskutiert ("Chantage"). Typischerweise droht der Erpresser hier mit der Enthüllung kompromittierender Tatsachen , namentlich mit einer Strafanzeige wegen einer vom Erpressungsopfer seinerseits begangenen Straftat. Wehrt der Erpreßte sich oder tötet gar den Erpresser, so wird das Gebotensein der Notwehr verneint oder von einer Einschränkung des Notwehrrechts wegen verminderten Rechtsbewährungsinteresses ausgegangen. Das Interesse des Erpreßten am Schutz vor Enthüllung einer Straftat verdiene keinen uneingeschränkten Schutz (vgl. zu alledem nur Roxin, Strafrecht AT 3. Aufl. [1997] Kap. VIII § 15 [S. 593] Rdn. 89/90; Haug MDR 1964, 548, 549; Amelung GA 1982, 381; H. E. Müller NStZ 1993, 366; Novoselec NStZ 1997, 218; dazu die Erwiderung von Amelung NStZ 1998, 70; Arzt JZ 2001, 1052; weiter Eggert NStZ 2001, 225; zum Phänomen der "Chantage" siehe grundlegend schon die rechtsvergleichende Arbeit von Reinhold,
Die Chantage, Abhandlungen des kriminalistischen Seminars an der Universi- tät Berlin , 1909). Der Senat stellt dahin, ob und inwieweit einer solchermaßen begründeten Einschränkung des Notwehrrechts beizupflichten wäre. Das muß hier nicht entschieden werden. Der vorliegende Fall ist - anders als die in der Literatur zumeist erörterten Sachverhalte - dadurch geprägt, daß eine Erpressung in Rede steht, die nicht ausschließlich auf der Androhung der Anzeige von Straftaten des Erpreßten fußt. Vielmehr hatte M. dem Angeklagten schon damit gedroht, ihn zusammenschlagen zu lassen; noch am Vormittag des Tattages hatte er angekündigt, das Geld "mit Freunden einzutreiben". Ob daraus eine Leibesgefahr im Sinne des § 255 StGB folgte, die zum Vorfallszeitpunkt noch "gegenwärtig" war, bedürfte gegebenenfalls der tatrichterlichen Würdigung (vgl. zu deren Fortwirken in Erpressungsfällen BGH NStZ-RR 1998, 135; BGHR StGB § 255 Drohung 9). In der aktuell gegebenen Notwehrlage drohte M. mit erheblichen Sachbeschädigungen und der Wegnahme von Gegenständen aus der Wohnung des Angeklagten im Wert von 5.000 DM, was naheliegen -derweise durch Gewaltanwendung gegenüber dem Angeklagten oder jedenfalls durch Drohung mit weiteren Übeln durchzusetzen gewesen wäre und sich dann rechtlich möglicherweise gar als Raub oder räuberische Erpressung erwiesen hätte. Sind die Drohmittel solcherart verschieden, um gleichsam eine "gemischte Drohkulisse“ aufzubauen, so liegt kein reiner Fall der Schweigegelderpressung mehr vor; es steht eine Mischung aus Schutz- und Schweigegelderpressung in Rede. In diesen Fällen ist das, was zur Verteidigung „geboten“ ist, unter dem Gesichtspunkt eigenen strafbaren Vorverhaltens des Erpressungsopfers gegenüber Dritten jedenfalls dann nicht eingeschränkt, wenn der Angriff des Erpressers auf die Willensentschließungsfreiheit zugleich in einen gegenwärtigen Angriff auf das Vermögen übergeht, mit weiteren Übelsdrohun-
gen verstärkt wird und der Angreifer im Angesicht des Opfers dabei ist, mit aktuell realisierbaren - auch konkludenten - Drohungen gegen Sachwerte und etwa auch die körperliche Integrität des Opfers seinen Angriff auf das Vermögen zu vollenden und zu beenden. Daran ändert nichts, daß das Erpressungsopfer zuvor die Möglichkeit gehabt hätte, staatliche Hilfe zu suchen. Maßgeblich für die Beurteilung dessen , was zur Abwehr des Angriffs erforderlich und geboten ist, sind die Verhältnisse im Augenblick des konkreten Angriffs, also zum Zeitpunkt der Verteidigung durch den Angegriffenen ("Auseinandersetzungslage"; vgl. BGH NJW 1989, 3027; StV 1999, 143, 144; Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 16b).
b) In Betracht zu ziehen haben wird der neue Tatrichter für den Fall einer vom Verteidigungswillen jedenfalls mitbestimmten und erforderlichen Notwehr schließlich eine Einschränkung dieses Rechts im Blick auf M. s Trunkenheit , an deren Zustandekommen der Angeklagte durch Gestattung und Mitwirkung am Konsum von Dreivierteln des Inhalts einer Flasche Wodka beteiligt war. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß das Notwehrrecht gegenüber schuldlos handelnden Angreifern eingeschränkt sein kann (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 19). Daß M. allerdings schuldunfähig gewesen sein könnte, dürfte eher fernliegen. Näher wird - zumal in Rücksicht auf den Zweifelssatz - eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit liegen, weil er jedenfalls noch in beachtlichem Maße aktionsfähig war.
c) Der Senat hat schließlich erwogen, ob eine weitere Kategorie eingeschränkter (gebotener) Notwehr zu begründen ist, wenn mehrere Umstände vorliegen, die Anlaß zur Prüfung einer Einschränkung nach den insoweit anerkannten Fallgruppen geben, dort aber eine solche Einschränkung je für sich nicht zu rechtfertigen vermögen. Dies hat der Senat jedoch verworfen: Das liefe
auf eine Art Gesamtschau und die Gewichtung verschiedener Umstände hinaus. Damit verlöre das Notwehrrecht in solchen Fällen seine Konturenschärfe. Es muß geeignet bleiben, in den einschlägigen, oft durch die Plötzlichkeit der Entwicklung charakterisierten Fällen des Lebens dem rechtlichen Laien ohne weiteres überschaubare, grundsätzlich einfache Richtschnur für das Handeln zu sein. Allzu differenzierte Erwägungen würden seinem Zweck widerstreiten. Die anerkannten Fälle der Einschränkung des Notwehrrechts sind denn auch solche, in denen das zumutbar geringere Maß der gebotenen Verteidigung oder eine Pflicht zum Ausweichen für jedermann ohne weiteres augenfällig ist (Evidenzfälle). 6. Zur inneren Tatseite wird folgendes im Auge zu behalten sein: Handelte der Angeklagte auch mit Verteidigungswillen, kann es darauf ankommen, welche Vorstellungen er über das Maß der erforderlichen und gebotenen - und damit auch der erlaubten - Verteidigung hatte. Hierzu werden soweit möglich Feststellungen zu treffen sein. Daraus kann sich die Notwendigkeit der Erörterung von Irrtumsfragen ergeben (zu deren Voraussetzungen und Folgen vgl. nur Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 27 m.w.N.; zum übrigen: Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 26, 27, § 33 Rdn. 2 m.N.). Hätte der Angeklagte über die Eignung der Tötung M. s zur Abwendung des Geldverlustes geirrt, käme möglicherweise ein Erlaubnistatbestandsirrtum und damit fahrlässige Tötung in Betracht (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB; BGHSt 45, 378, 384). Läge eine Fehlvorstellung über die Grenzen der erlaubten Notwehr vor, wäre nach den Grundsätzen für den Verbotsirrtum zu verfahren (§ 17 StGB). Im Falle eines vermeidbaren Irrtums stünde eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB im Raum.
7. Sollte der neue Tatrichter im Handeln des Angeklagten einen strafba- ren vorsätzlichen Totschlag sehen, wird er die Voraussetzungen des § 213 StGB (sonst minder schwerer Fall) zu prüfen haben. Die Würdigung der Frage erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit wird im Blick auf die im Urteil wiedergegebenen Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen näher zu begründen sein, sollte der neue Tatrichter vom Gutachten des Sachverständigen abweichen wollen (vgl. BGHR StPO § 261 Sachverständiger 1, 5; Tröndle/Fischer aaO § 20 Rdn. 65). Schließlich wird auch der Einfluß der Befindlichkeit des Angeklagten auf die Voraussetzungen des Strafausschließungsgrundes nach § 33 StGB zu erörtern sein (vgl. dazu auch BGH StV 1999, 145).

IV.

Nach allem ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Auch die Feststellungen können nicht bestehen bleiben. Im Blick auf die dem neuen Tatrichter obliegende Würdigung der Auseinandersetzungslage und des Kräfteverhältnisses , insbesondere aber der Beweggründe des Angeklagten unter verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten muß der Tatrichter hinsichtlich der Feststellung des Sachverhalts frei sein (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Nack Wahl Schluckebier Kolz Elf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 197/12
vom
27. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. September
2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof und
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 27. Januar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht Halle hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen traf der alkoholisierte Angeklagte (maximale Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit: 1,68 Promille) zusammen mit dem Zeugen V. am 15. April 2011 nach 22.00 Uhr im Stadtgebiet von Z. auf den ihm bis dahin unbekannten Geschädigten Z. und dessen Freund, den Zeugen D. . Z. und D. führten einen kleinen Terrier und einen 50 cm großen Labrador-Pitbull-Mischling mit sich. Beide Hunde waren angeleint und bellten. Der Abstand zwischen Z. und D. einerseits und dem Angeklagten und V. andererseits betrug 25 bis 30 Meter.
3
Aus nicht mehr aufklärbaren Gründen entwickelte sich zwischen dem Angeklagten auf der einen und Z. und D. auf der anderen Seite eine verbale Auseinandersetzung, bei der es auch zu beleidigenden Äußerungen („Wichser“) des Angeklagten kam. Als der Angeklagte und der sich an dem Wortwechsel nicht beteiligende V. ihren Weg fortsetzten, folgten ihnen Z. und D. nach, wobei sich der Abstand zwischen beiden Gruppen ständig verringerte, weil Z. und D. ihr Gehtempo erhöhten. Die verbale Auseinandersetzung wurde dabei fortgeführt. Einer Aufforderung von Z. stehen zu bleiben, kamen der Angeklagte und V. nicht nach. Als D. dem Angeklagten und V. ankündigte, dass man ihnen „beim nächsten dummen Wort hinterherkommen“ werde, reagierte der Angeklagte hierauf mit den Worten: „Na dann kommt doch her“. Der Wortwechsel wurde nun zunehmend aggressiver, wobei der Angeklagte seinen Kontrahenten Z. und D. zurief: „Passt auf, wenn ich euch auf offener Straße abschießen lasse“. Die Aufforderung einer Anwohnerin, „mit dem Krach aufzuhören“, blieb beiallen Beteiligten ohne Wirkung. Z. und D. erhöhten nun nochmals ihre Geschwindigkeit , sodass der Abstand zu dem Angeklagten und V. immer kürzer wurde. Dabei lief Z. voraus, während D. mit den beiden an der Leine geführten Hunden nachfolgte. V. , der die Annäherung bemerkte, befürchtete nun eine alsbaldige Konfrontation und redete auf den Angeklagten ein, dass sie beide dies besser lassen und nach Hause gehen sollten. Der Angeklagte ging hierauf nicht ein und führte stattdessen die verbale Auseinandersetzung mit Z. und D. lautstark fort.
4
Als der Abstand zu Z. und D. nur noch 10 bis 20 Meter betrug, nahm der Angeklagte ein von ihm ständig mitgeführtes Klappmesser mit einer Klingenlänge von 10 cm aus seiner Bauchtasche. Die Tasche mit dem übrigen Inhalt übergab er V. , um sie vor seinen Verfolgern zu sichern. V. bekam Angst vor den ihnen folgenden Personen und den bellenden Hunden, er wollte keinen Ärger und rannte davon. Z. lief nun auf den Angeklagten zu, der sich mit dem Rücken zu ihm befand und stehen blieb. Als Z. den Angeklagten erreichte, versuchte er, ihm einen Faustschlag gegen den Kopf zu versetzen. Der Schlag verfehlte den Angeklagten, weil sich dieser genau in dem Moment des Schlags erst zur Seite und dann umdrehte. Unmittelbar nach der Drehbewegung führte der Angeklagte mit dem zwischenzeitlich geöffneten Messer ohne weiteres Zögern einen wuchtigen Stich gegen den Oberkörper von Z. aus. Die Klinge drang 15 cm tief in den linken Unterbauch von Z. ein, führte zu einer dreifachen Durchsetzung des Dünndarms, einem Durchstich der unteren Hohlvene und einem Stichdefekt an der gemeinsamen rechten Beckenschlagader. Beide standen sich nun unmittelbar gegenüber. Der Angeklagte zog sein Messer wieder aus dem Körper von Z. heraus und behielt es in der Hand. Z. schlug nun ein zweites Mal mit der Faust nach dem Angeklagten , wobei er ihn im Gesicht traf. Der Angeklagte fiel zu Boden, blieb liegen und versuchte seinen Kopf mit den Händen zu schützen. Z. trat mindestens einmal gegen den Oberkörper des am Boden liegenden Angeklagten und lief dann zu dem in einer Entfernung von etwa 10 Metern mit den Hunden wartenden D. . Kurz darauf brach er zusammen; er verstarb trotz einer sofortigen Notoperation am frühen Morgen des Folgetags in einem Krankenhaus.
5
Bei der Ausführung des Stiches nahm der Angeklagte eine als möglich erkannte tödliche Verletzung von Z. billigend in Kauf. Dabei stand er unter dem Eindruck, von zwei Personen und deren bellenden Hunden verfolgt zu werden, wobei ihn ein Verfolger bereits eingeholt hatte. Aufgrund des zuvor genossenen Alkohols fühlte er sich „etwas enthemmt“, ohne dass es zu einer relevanten Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit gekommen wäre.

II.


6
Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Rechtfertigung durch Notwehr abgelehnt hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7
1. Das Landgericht ist der Ansicht, der Angeklagte habe rechtswidrig gehandelt , weil ihm in der konkreten Situation andere Möglichkeiten für eine Abwehr des Angriffs zur Verfügung standen und der tödliche Messerstich deshalb nicht das nach § 32 Abs. 2 StGB erforderliche Verteidigungsmittel war (UA 33). So habe der Angeklagte während des Wortwechsels und der Verlagerung des Geschehens bis zum Tatort genügend Zeit gehabt, um auf den Besitz des Messers hinzuweisen und dessen Einsatz anzudrohen. Zu diesem Zeitpunkt sei Z. lediglich hinter ihm hergelaufen und habe noch nicht damit begonnen , auf den Angeklagten einzuschlagen. Ebenso hätte der Angeklagte versuchen können, mit Worten deeskalierend auf die ihn verfolgende Gruppe einzuwirken. Auch wäre es ihm in der konkreten Verteidigungssituation möglich gewesen, das Messer als Schlagwerkzeug zu benutzen oder seine Fäuste einzusetzen. Dabei hätte der Angeklagte gute Erfolgsaussichten gehabt, weil er aufgrund seiner Körperlänge von 187 cm dem nur 160 cm großen Z. überlegen gewesen sei und eine situationsbedingte körperliche Schwächung nicht vorgelegen habe. Zudem hätte der Angeklagte nicht mit einer derartigen Wucht auf eine so sensible Körperregion einstechen müssen (UA 10 und 34). Schließlich dürfe auch nicht unbeachtet bleiben, dass der Angeklagte wegen seiner aggressiven Äußerungen im Vorfeld eine Mitschuld an der Gemütsver- fassung des Geschädigten trage, auch wenn die Voraussetzungen einer Notwehrprovokation dadurch noch nicht erfüllt seien (UA 34 f.).
8
2. Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 mwN). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrachtung entschieden werden (BGH, Urteil vom 24. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14). Dabei kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung an (BGH, Urteil vom 28. Februar 1989 – 1 StR 741/88, NJW 1989, 3027; Beschluss vom 5. November 1982 – 3 StR 375/82, NStZ 1983, 117). Auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel muss der Angegriffene nur dann zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unter den gegebenen Umständen unzweifelhaft ist und genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht (BGH, Urteil vom 2. November 2011 – 2 StR 375/11, NStZ 2012, 272, 274; Urteil vom 14. Juni 1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 358). Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz einer Waffe kann danach durch Notwehr gerechtfertigt sein. Zwar geht die Rechtsprechung davon aus, dass gegenüber einem unbewaffneten Angreifer der Gebrauch eines bis dahin noch nicht in Erscheinung getretenen Messers in der Regel anzudrohen ist (BGH, Urteil vom 11. September 1995 – 4 StR 294/95, NStZ 1996, 29 f.; Beschluss vom 12. Dezember 1975 – 2 StR 451/75, BGHSt 26, 256, 258) und, sofern dies nicht ausreicht, der Versuch unternommen werden muss, auf weniger sensible Körperpartien einzustechen (BGH, Beschluss vom 24. Juli 2001 – 4 StR 256/01), doch stehen diese Einschränkungen unter dem Vorbehalt, dass beide Einsatzformen im konkreten Fall eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2003 – 3 StR 458/02, NStZ 2004, 615, 616; Beschluss vom 21. März 2001 – 1 StR 48/01, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 15; Urteil vom 24. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14). Dies ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen im Einzelnen darzulegen. Angesichts der schweren Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die regelmäßig in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine vorherige Androhung des Messereinsatzes oder eine weniger gefährliche Stichführung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 2011 – 2 StR 375/11, NStZ 2012, 272, 274). Können keine sicheren Feststellungen zu Einzelheiten des Geschehens getroffen werden, darf sich das nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken (BGH, Beschluss vom 15. November 1994 – 3 StR 393/94, NJW 1995, 973).
9
3. Diesen Grundsätzen werden die Erwägungen des Landgerichts zur Erforderlichkeit des Messerstichs nicht gerecht.
10
a) Soweit dem Angeklagten entgegenhalten wird, den Einsatz des Messers während des Wortwechsels und der Verlagerung des Geschehens bis zum Tatort nicht angedroht und es in diesem Zeitraum auch versäumt zu haben, durch Worte deeskalierend auf seine Kontrahenten einzuwirken, handelt es sich um mögliche Verhaltensweisen im Vorfeld und nicht um im Zeitpunkt des Messereinsatzes noch verfügbare alternative Abwehrmittel.
11
b) Für die Annahme, dass es dem Angeklagten möglich war, den Angriff von Z. mit den bloßen Fäusten abzuwehren, ohne dabei ein unvertretbar hohes Fehlschlagrisiko oder eine Eigengefährdung in Kauf nehmen zu müssen, fehlt es an einer tragfähigen Grundlage. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang lediglich auf die Größenverhältnisse zwischen den Kontrahenten abgehoben und daraus eine körperliche Überlegenheit des Angeklagten abgeleitet. Dies reicht nicht aus, um einen sicheren Erfolg des Angeklagten bei einem Faustkampf mit Z. zu belegen. Ob eine körperliche Auseinandersetzung ohne eigene Verletzungen mit Erfolg bestanden werden kann, hängt nur zu einem geringen Teil von der Statur der Kontrahenten ab. Weitere Feststellungen – etwa zu möglichen Erfahrungen des Angeklagten mit derartigen Auseinandersetzungen oder besonderen Fertigkeiten in diesem Bereich – die eine derartige Aussage gestatten könnten, sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Den Vorstrafen wegen Körperverletzung aus dem Jahr 2008 zum Nachteil deutlich jüngerer Kinder hat der Tatrichter in diesem Zusammenhang keine Bedeutung beigemessen und sie nur bei der Ahndung berücksichtigt.
12
c) Das Landgericht hat auch nicht hinreichend dargelegt, warum der Angeklagte gehalten gewesen sein sollte, das Messer als Schlagwerkzeug einzusetzen. Bei dem Tatmesser handelte es sich um ein Klappmesser mit einer feststehenden 10 cm langen Klinge. Wie ein solches Messer in einer effektiven Weise als Schlagwerkzeug eingesetzt werden kann, erschließt sich nicht von selbst.
13
d) Schließlich hat das Landgericht auch nicht mit Tatsachen belegt, dass es dem Angeklagten möglich war, den Angriff von Z. durch einen weniger wuchtigen Stich gegen eine nicht so sensible Körperregion endgültig abzuwehren. Die hierzu gemachten Ausführungen beschränken sich auf die bloße Behauptung, dass ihm diese Handlungsmöglichkeit zur Verfügungstand (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2001 – 4 StR 256/01).

III.


14
Der Senat kann nicht nach § 354 Abs. 1 StPO durch Freispruch in der Sache selbst entscheiden, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine neue Verhandlung noch weitere Feststellungen zu erbringen vermag, die einen Schuldspruch rechtfertigen (BGH, Urteil vom 22. April 2004 – 5 StR 534/02, NStZ-RR 2004, 270, 271). Dabei wird auch zu erörtern sein, ob die Notwehrbefugnisse des Angeklagten wegen einer ihm zuzurechnenden Angriffsprovokation beschränkt waren. Auch kommt gegebenenfalls die Annahme eines Erlaubnistatbestandsirrtums in Betracht.
15
1. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich nicht auf ein Notwehrrecht berufen kann, wer den gegen ihn geführten Angriff herausgefordert hat, um den Angreifer unter dem Deckmantel einer äußerlich gegebenen Notwehrlage an seinen Rechtsgütern zu verletzen (BGH, Urteil vom 22. November 2000 – 3 StR 331/00, NStZ 2001, 143; Urteil vom 7. Juni 1983 – 4 StR 703/82, NJW 1983, 2267). Einschränkungen der Notwehrbefugnis können sich aber auch dann ergeben, wenn der Täter den Angriff durch ein rechtswidriges Verhalten im Vorfeld (z.B. Beleidigungen des Angreifers) mindestens leichtfertig provoziert hat. In einem solchen Fall ist es dem Täter zuzumuten, dem Angriff nach Möglichkeit auszuweichen (BGH, Beschluss vom 14. Februar 1992 – 2 StR 28/92, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 9; Beschluss vom 17. Januar 1989 – 4 StR 2/89, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 4; Urteil vom 14. Juni 1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 359). Vermag er dies nicht, kann er – je nach der Stärke der ihm anzulastenden Provokation und dem Gewicht des beein- trächtigten Rechtsguts – auch Beschränkungen bei der Auswahl der Abwehrmittel unterliegen (BGH, Urteil vom 2. November 2005 – 2 StR 237/05, NStZ 2006, 332, 333). War die Provokation besonders stark, muss der Verteidiger unter Umständen auf eine einen sicheren Erfolg versprechende Verteidigung verzichten und das Risiko hinnehmen, dass ein milderes Abwehrmittel keine gleichwertigen Erfolgschancen bietet (BGH, Urteil vom 22. November 2000 – 3 StR 331/00, NStZ 2001, 143, 144; Urteil vom 26. Oktober 1993 – 5 StR 493/93, BGHSt 39, 374, 379). Regelmäßig wird er zu einer Trutzwehr mit einer lebensgefährlichen Waffe erst dann übergehen können, wenn er alle sich ihm bietenden Möglichkeiten zur Schutzwehr ausgeschöpft hat (BGH, Urteil vom 11. Juni 1991 – 1 StR 242/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 8; Urteil vom 18. August 1988 – 4 StR 297/88, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 3; Urteil vom 14. Juni 1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 359; vgl. Beschluss vom 12. Dezember 1975 – 2 StR 451/75, BGHSt 26, 256). Kann der Verteidiger dem von ihm leichtfertig provozierten Angriff nicht ausweichen und stehen ihm auch keine milderen Abwehrmittel zur Verfügung, ist ein Einsatz von lebensgefährlichen Verteidigungsmitteln gerechtfertigt (BGH, Beschluss vom 17. Januar 1989 – 4 StR 2/89, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 4).
16
Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte den später getöteten Z. und den Zeugen D. im Vorfeld des Angriffs unter anderem als „Wichser“ bezeichnet und dadurch beleidigt. Konkrete Feststellungen dazu, ob und inwieweit diese und weitere Äußerungen („na dann kommt doch her“) dazu beigetragen haben, dass Z. und D. die Verfolgung des Angeklagten und des Zeugen V. aufnahmen und inwieweit eine solche Entwicklung vorhersehbar war, hat das Landgericht nicht getroffen. Das Gesamtgeschehen legt einen derartigen motivationalen Zusammenhang nahe. Für den Fall, dass eine leichtfertige Angriffsprovokation festge- stellt werden kann, wird der neue Tatrichter zu prüfen haben, inwieweit es dem Angeklagten möglich war, dem Angriff auszuweichen und inwieweit er wegen der vorausgegangenen Provokation Einschränkungen bei der Notwehrausübung hinnehmen musste.
17
2. Ein analog § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB zum Vorsatzausschluss führender Erlaubnistatbestandsirrtum kann gegeben sein, wenn der rechtswidrig Angegriffene zu einem objektiv nicht erforderlichen Verteidigungsmittel greift, weil er irrig annimmt, der bereits laufende Angriff werde in Kürze durch das Hinzutreten eines weiteren Angreifers verstärkt werden; das gewählte Verteidigungsmittel aber in der von ihm angenommenen Situation zur endgültigen Abwehr des Angriffs erforderlich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 1. März 2011 – 3 StR 450/10, NStZ 2011, 630). Konnte der Angegriffene den Irrtum vermeiden , kommt nach § 16 Abs. 1 Satz 2 StGB eine Bestrafung wegen einer Fahrlässigkeitstat in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2001 – 3 StR 542/00, NStZ 2001, 530 f.).
18
Nach den Feststellungen des Landgerichts sah sich der Angeklagte von zwei Personen mit bellenden Hunden verfolgt, von denen ihn eine ( Z. ) bereits eingeholt hatte. Diese Annahme entsprach jedenfalls insoweit nicht den Tatsachen, als D. „eher an einer Deeskalation“ interessiert war und – so seine für „plausibel“ erachtete Aussage in der Hauptverhandlung – Z. sogar an dem Faustschlag gehindert hätte, wenn er zeitgleich mit ihm auf den Angeklagten getroffen wäre. Ob der Angeklagte bei der Ausführung des Stiches irrig davon ausging, dass der laufende Angriff von Z. in Kürze eine Verstärkung durch D. erfahren würde, lässt sich anhand dieser Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Sollte der neue Tatrichter zu entsprechenden Feststellungen gelangen, wird er zu erörtern haben, ob der tödliche Messerstich erforderlich gewesen wäre, um einen Angriff abzuwehren, wie ihn der Angeklagte befürchtete.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin

(1) Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er

1.
Anlagen oder Fahrzeuge zerstört, beschädigt oder beseitigt,
2.
Hindernisse bereitet oder
3.
einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt,
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Handelt der Täter unter den Voraussetzungen des § 315 Abs. 3, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(4) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(5) Wer in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Veröffentlichung: ja
BGHSt: ja zu B III.
BGHR: ja
StGB § 315 b Abs. 1 Nr. 2 und 3
Greift der Täter in den fließenden Verkehr ein, indem er Hindernisse auf
der Fahrbahn bereitet oder Gegenstände auf fahrende Fahrzeuge wirft,
kann § 315 b Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 StGB auch dann erfüllt sein, wenn die
Tathandlung unmittelbar zu einem bedeutenden Fremdsachschaden führt
und dieser Erfolg sich als Steigerung der durch die Tathandlung bewirkten
abstrakten Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs darstellt.
BGH, Urteil vom 4. Dezember 2002 – 4 StR 103/02 – LG Cottbus

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 103/02
vom
4. Dezember 2002
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. Dezember
2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz
Athing,
Dr. Ernemann
die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 12. April 2001, soweit es ihn betrifft, 1. im Schuldspruch – insoweit auch hinsichtlich des früheren Mitangeklagten L. – dahin geändert, daß die Angeklagten im Fall II B 5 der Urteilsgründe des versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr schuldig sind, 2. in den die Fälle II A 1 bis 14 und B 5 der Urteilsgründe betreffenden Einzelstrafaussprüchen sowie 3. im Gesamtstrafenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. III. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten und den Mitangeklagten L. , der keine Revision eingelegt hat, jeweils des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in 14 Fällen, davon in 10 Fällen in Tateinheit mit versuchtem Mord und davon in zwei Fällen in weiterer Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, sowie des gefährlichen Eingriffs in den Eisenbahnverkehr in zwei Fällen sowie darüber hinaus den Angeklagten allein wegen Tierquälerei in 14 Fällen für schuldig befunden. Gegen den Angeklagten hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verhängt. Den Mitangeklagten L. hat es zu sechs Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagten mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat nur den aus der Urteilsformel ersichtlichen geringfügigen Teilerfolg; im übrigen ist es unbegründet.

A.

Die Verfahrensrügen dringen nicht durch. Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 2. April 2002, die lediglich zu der auf § 338 Nr. 7 i.V.m. § 275 Abs. 2 StPO gestützten Verfahrensrüge der Ergänzung bzw. Klarstellung bedürfen: An der rechtzeitig angebrachten Unterschrift des Richters am Landgericht K. (§ 275 Abs. 2 Satz 1 StPO) fehlt es nicht deshalb, weil die Vorsitzende Richterin nachträglich, aber noch vor Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 StPO handschriftliche Änderungen in dem von dem genannten Richter bereits unterschriebenen Urteilsentwurf angebracht hat. Dies geschah, wie sich aus der dienstlichen Erklärung der Vorsitzenden Richterin ergibt, im
Einvernehmen mit Richter am Landgericht K. . Einer schriftlichen Bestätigung seines Einverständnisses mit den Änderungen, etwa durch Beifügung seiner Paraphe an den betreffenden Textstellen, oder gar einer erneuten Unterschrift unter das Urteil durch diesen Richter bedurfte es nicht. Soweit die Revision das Fehlen der Unterschrift des Richters am Amtsgericht H. beanstandet, fehlt es schon an dem für die Zulässigkeit der Rüge vorausgesetzten vollständigen Sachvortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). In dem Verhinderungsvermerk der Vorsitzenden, durch den die Unterschrift dieses Richters ersetzt wurde, heißt es, Richter am Amtsgericht H. sei "durch Abordnung an das Ministerium für Justiz und Europaangelegenheiten an der Unterschrift gehindert". Bei dieser Sachlage hätte die Revision vortragen müssen, daß dieser Richter an der Unterschriftsleistung weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen gehindert war. Allerdings begründet die Abordnung eines Richters an die Justizverwaltung entgegen der Auffassung der Vorsitzenden Richterin, die sich aus ihrer dienstlichen Erklärung ergibt: "Er ist seit dem 23.04.2001 ... als Referent mit Beamtenstatus abgeordnet und darf seither als solcher keine richterlichen Aufgaben mehr wahrnehmen (vgl. DRiG)", keine rechtliche Verhinderung, soweit sein Status als Richter damit nicht verloren ging (vgl. BGHR StPO § 275 Abs. 2 Satz 2 Verhinderung 4 und 5; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 275 Rdn. 23 m.Nachw.). Doch liegt hier angesichts der Entfernung zwischen dem Sitz des Gerichts in Cottbus und dem neuen Dienstort des Richters in Potsdam auf der Hand, daß dieser auch - was genügt - tatsächlich verhindert war, seine Unterschrift rechtzeitig auf der erst am letzten Tag der Frist des § 275 Abs. 1 StPO zur Geschäftsstelle gelangten Urteilsurkunde anzubringen (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 46).

B.

I.

Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten, soweit ihn das Landgericht wegen Vergehens gegen das Tierschutzgesetz für schuldig befunden hat (II. A. der Urteilsgründe "Komplex Katzen"). Jedoch unterliegen die in diesen Fällen erkannten Einzelfreiheitsstrafen der Aufhebung, weil das Landgericht - wie die Revision zu Recht beanstandet - in diesen Fällen einen falschen Strafrahmen zugrundegelegt hat. Es ist nämlich von dem derzeit geltenden, durch das Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes vom 25. Mai 1998 (BGBl. I 1094) geänderten Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe ausgegangen, den es gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert hat, während § 17 TierschG in der im Tatzeitraum geltenden Fassung nur Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren androhte. Der Senat kann nicht ausschließen, daß die Einzelstrafen bei Zugrundelegung des niedrigeren Strafrahmens niedriger ausgefallen wären. Die deshalb gebotene Aufhebung der Einzelstrafen hat die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs zur Folge. Der neue Tatrichter wird insoweit auch die Gesamtstrafenlage hinsichtlich der beiden früher erkannten Geldstrafen (UA 5 a.E.) und den in den Fällen II. A 1 bis 4 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen zu prüfen und dabei zu berücksichtigen haben, daß eine zwischenzeitliche Erledigung der Geldstrafen die Bildung einer (gesonderten) Gesamtstrafe nicht entbehrlich machen würde (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Erledigung 1, 2 jew. m.w.N.).

II.

Im übrigen weist auch die Verurteilung des Angeklagten wegen der Taten zu Abschnitt II. B der Urteilsgründe ("Komplex Eingriffe in den
Straßenverkehr") mit Ausnahme des Falles II. B 5 der Urteilsgründe keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. 1. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen verübten die Angeklagten, die im Tatzeitraum für einander die einzigen Freunde waren, auf der Suche nach "Ablenkung zur Unterbrechung ihrer Lebenslangeweile", bei insgesamt 13 Gelegenheiten jeweils bei Dunkelheit Anschläge auf den Autobahnverkehr auf der BAB 15, indem sie Gegenstände auf dort fahrende Kraftfahrzeuge warfen (Fälle II. B 1, 5, 9, 10 und 14), von Autobahnbrücken Gegenstände so herunterhängten, daß diese die Fahrzeuge in Höhe der Frontscheiben trafen (Fälle II. B 3 und 7), bzw. Steine und andere Gegenstände so auf der Fahrbahn aufstellten, daß Fahrzeuge dagegenstießen (Fälle II. B 2, 8, 11 bis 13 und 15). In allen Fällen kam es zu Unfällen mit zumindest Sachschäden in unterschiedlicher Höhe. In zwei Fällen erlitten Insassen von Pkw auch Verletzungen. Des weiteren verübten die Angeklagten in zwei Fällen (Fälle II. B 4 und 6) Anschläge auf die Bahn, indem sie jeweils einen eisenbewehrten Betonpfahl quer über die Schienen legten, wodurch die Lokomotive eines Interregiozuges bzw. ein Triebwagen, die auf die Hindernisse prallten, beschädigt wurden. 2. Die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes durch das Landgericht, auf der in den Fällen II. B 1 bis 3, B 7 und 8, B 11 bis 13 und B 15 die Verurteilung jeweils wegen tateinheitlich mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr begangenen versuchten Heimtückemordes beruht (vgl. BGH VRS 63, 119; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 25; BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 11), begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat mit tragfähigen Erwägungen die Einlassung der Angeklagten, sie hätten zwar Unfälle herbeiführen wollen, es hätten jedoch nur
Sachschäden und keine Personenschäden entstehen sollen, für widerlegt erachtet. Daß das Vorgehen der Angeklagten in hohem Maße gefährlich und die möglichen Unfallfolgen im allgemeinen schwer abschätzbar sind, versteht sich von selbst. Ein Rechtssatz des Inhalts, daß ein Täter, der wie die Angeklagten vorgeht, deshalb zugleich grundsätzlich auch mit tödlichen Folgen für die betroffenen Verkehrsteilnehmer rechnet und diese um den Preis der Fortsetzung seines gefährlichen Tuns innerlich billigt, besteht gleichwohl nicht und ist auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu entnehmen. Vielmehr kann diese Frage nicht allgemein, sondern nur nach den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls beurteilt werden. Dem wird das angefochtene Urteil gerecht. Die Angeklagten konnten mit einer den Unfall vermeidenden Reaktion der betroffenen Kraftfahrer nicht rechnen und haben dies auch nicht getan. Im Gegenteil wollten die Angeklagten, wie sie selbst zugegeben haben, daß es zu Verkehrsunfällen kam; auch sollten nach Überzeugung des Landgerichts "die Fahrzeugführer keine Chance haben ..., das Hindernis rechtzeitig zu erkennen, um ausweichen oder bremsen zu können". Zwar haben die Angeklagten - worauf die Revision hinweist - in allen Fällen die Erfahrung gesammelt, daß es ungeachtet der unterschiedlichen eingesetzten Tatmittel und Vorgehensweisen weit überwiegend nur zu Sachschäden gekommen ist, jedenfalls die Unfälle, auch soweit Pkw-Insassen verletzt wurden, vergleichsweise glimpflich abgelaufen sind. Das Landgericht hat jedoch in jedem Einzelfall nach der Art der angewendeten Tatmittel und der Vorgehensweise der Angeklagten differenziert. So hat es in ausführlicher Auseinandersetzung insbesondere mit den zur jeweiligen objektiven Gefährdungslage erstatteten Gutachten in den Fällen, in denen lediglich "theoretisch“ die Gefahr des Schleuderns und des
unkontrollierten Abkommens von der Fahrbahn mit tödlichen Folgen für Insassen nicht auszuschließen war, einen bedingten Tötungsvorsatz nicht angenommen (Fälle II. B 5, 9, 10 und 14 der Urteilsgründe, ebenso die „Eisenbahnfälle“ II. B 4 und 6). Einen bedingten Tötungsvorsatz hat es nur in den übrigen „Eingriffsfällen“ bejaht, in denen die Angeklagten gezielt eine so hochgradige Gefahrenlage geschaffen hatten, daß das Ausbleiben schwererer, möglicherweise tödlicher Folgen nur dem "glücklichen Umstand" zu verdanken war, daß die Fahrzeuge nicht mit höherer als der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit fuhren bzw. Reifen der betroffenen Fahrzeuge nicht platzten. Entgegen der Auffassung der Revision stehen die Erwägungen, auf die das Landgericht in ausdrücklicher Abgrenzung zur bewußten Fahrlässigkeit die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes stützt, auch nicht in Widerspruch zu den zur Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten getroffenen Feststellungen, die für die Beurteilung der subjektiven Tatseite Bedeutung haben (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 31, 54). Zweifel an der Erkenntnisfähigkeit des Angeklagten ergeben sich nicht schon daraus, daß das Landgericht dem Angeklagten, dem psychiatrischen Sachverständigen folgend, eine "unterdurchschnittliche intellektuelle Leistungsfähigkeit" bescheinigt hat. Vielmehr haben die psychiatrischen Sachverständigen im Ergebnis zur Überzeugung der Kammer übereinstimmend für beide Angeklagten bestätigt, daß sie "um die Folgen ihres Handelns gewußt und sich auch über eventuelle Folgen Gedanken gemacht hätten". Die Sorgen um die Tatfolgen hätten die Angeklagten aber – wie bei „unstrukturierten“ Menschen häufig – weggeschoben, die eigene Sorge vor dem Entdecken sei größer gewesen. Das stellt weder das Wissens- noch das Wollenselement des (bedingten) Tötungsvorsatzes in Frage. Aus Fall II. B 15 der Urteilsgründe ergibt sich nichts anderes. Zwar konnten dort die Angeklagten die von ihnen "inszenierte naive Folgenkonstellation“ nicht beiseiteschieben, da sich „mit Sicherheit“ zu
erwartende tödliche Folgen beim Hinunterwerfen des Gullideckels zu sehr aufdrängten. Wenn in diesem Fall der Mitangeklagte L. den Angeklagten an dieser Form des Vorgehens hinderte, indem er ihm den Einlaufrost aus der Hand nahm und diesen auf der Fahrbahn aufstellte, belegt dies lediglich, daß beide nicht mit direktem Tötungsvorsatz handelten, steht aber der rechtlichen Würdigung der Jugendkammer zum bedingten Tötungsvorsatz nicht entgegen.

III.

Der Schuldspruch hält mit Ausnahme des Falls II. B 5 der Urteilsgründe der rechtlichen Prüfung auch insoweit stand, als das Landgericht den Angeklagten in den weiteren Fällen allein wegen - jeweils gemeinschaftlich mit dem Mitangeklagten L. begangenen, vollendeten und nach § 315 b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a StGB qualifizierten - gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (II. B 9, 10 und 14 der Urteilsgründe) bzw. in den Bahnverkehr (Fälle II. B 4 und 6 der Urteilsgründe) verurteilt hat. 1. In den Fällen II. B 9 und 10 warfen die Angeklagten jeweils "eine Handvoll Kieselsteine der Körnung zwischen 2 und 3 Zentimeter" von einer Autobahnbrücke, in Fall 14 einen faustgroßen, bis zu 250 g schweren Gesteinsbrocken vom Fahrbahnrand einer Bundesautobahn gegen Lastkraftwagen. Die mit einer Geschwindigkeit von etwa 85 km/h fahrenden Fahrzeuge wurden jeweils an der Frontscheibe getroffen. Diese zersplitterte, ohne daß die Steine ins Innere des Fahrzeugs gelangten. Die Scheiben mußten jeweils erneuert werden. Zwar ist lediglich im Fall II. B 9 ein bezifferter Schaden von 2.684,- DM festgestellt. Wegen der Vergleichbarkeit der Schäden entnimmt aber der Senat dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, daß in den übrigen Fällen die von der Rechtsprechung für Sachschäden festgelegte Schadensgrenze von 1.500,- DM (jetzt 750,-
ist. Den Fahrern gelang es jeweils, ihre Fahrzeuge kontrolliert zum Stehen zu bringen.
Die Gefahr einer völligen Desorientierung des Fahrzeugführers mit einer damit verbundenen Gefahr des Schleuderns und des unkontrollierten Abkommens von der Fahrbahn war zwar nach Ansicht des sachverständig beratenen Landgerichts theoretisch nicht auszuschließen, angesichts der relativ niedrigen Geschwindigkeit der schweren Fahrzeuge aber wenig wahrscheinlich.

a) Soweit der Senat in der Vergangenheit in einzelnen Fällen einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB mit der Begründung verneint hat, der Eingriff erschöpfe sich in der Gefährdung oder Beschädigung des Tatobjekts, so daß es an einer tatbestandlich erforderlichen, "dadurch" verursachten weiteren Gefährdung fehle (zuletzt BGHR StGB § 315 b Abs. 1 Nr. 3 Eingriff 5 m.w.N.), hält er daran in dieser Allgemeinheit nicht fest. In Fällen der vorliegenden Art genügt es für die Annahme einer vollendeten Tat, daß die durch den Eingriff verursachte verkehrsspezifische Gefahr zu einem bedeutenden Fremdsachschaden geführt hat.
aa) Die nach dem Wortlaut der Norm doppelte Verknüpfung des Tatbestandsmerkmals "Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs" sowohl mit der tatbestandlichen Handlung des § 315 b Abs. 1 StGB in allen in den Nummern 1 bis 3 aufgeführten Alternativen als auch mit dem tatbestandlichen Erfolg macht deutlich, daß Gefährdungshandlungen und Gefährdungserfolg in besonderer Weise kausal miteinander verbunden sein müssen, um den Tatbestand zu erfüllen. Erforderlich ist, daß die Tathandlung eine abstrakte Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs bewirkt, die sich
zu einer konkreten Gefahr für die genannten Schutzobjekte verdichtet. Das Erfordernis einer zeitlichen Differenz zwischen Eingriff und konkreter Gefahr ist dem Wortlaut der Vorschrift dagegen nicht zu entnehmen. Der Tatbestand des § 315 b Abs. 1 StGB kann daher in sämtlichen Handlungsalternativen auch dann erfüllt sein, wenn die Tathandlung unmittelbar zu einer konkreten Gefahr oder Schädigung führt, sofern dieser Erfolg sich als Steigerung der abstrakten Gefahr darstellt.
Daran fehlt es, wenn der Täter losgelöst von einem Verkehrsgeschehen ein Fahrzeug oder eine Anlage beschädigt (beispielsweise durch Zerstören der Bremsleitung), ohne daß die so geschaffene abstrakte Gefahr für den Straßenverkehr in eine konkrete Gefahr umschlägt. Der durch das Verhalten des Täters eingetretene Schaden am Fahrzeug ist nicht Folge einer abstrakten Verkehrsgefahr, sondern umgekehrt die Ursache dafür, daß eine solche Gefahr überhaupt erst entsteht. Insoweit behält die von der Rechtsprechung entwickelte Formel, daß sich ein Verhalten, das sich in der Schaffung einer - abstrakten - Gefahr - sei es auch durch Einwirken auf eines der von § 315 b StGB grundsätzlich unter Schutz gestellten Objekte - erschöpft, noch nicht den Tatbestand des § 315 b StGB erfüllt, seine Berechtigung.
Hiervon zu unterscheiden sind dagegen Tathandlungen, die, wie in den vom Landgericht entschiedenen Fällen, nicht nur eine abstrakte Verkehrsgefahr herbeiführen, sondern - wenn auch in zeitlich dichter Reihenfolge oder sogar sich zeitlich überschneidend - eine aus dieser abstrakten Verkehrsgefahr resultierende konkrete Gefahr. Zwar wird die Herbeiführung der abstrakten Gefahr der hieraus entstehenden konkreten Gefahr in aller Regel zeitlich vorangehen, so etwa, wenn der Täter einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr in der Weise herbeiführt, daß er ein Hindernis auf der Straße
aufstellt, die davon ausgehende Gefahr sich aber erst durch späteres Herannahen eines Fahrzeugs zur konkreten Gefahr verdichtet. Dieser zeitlich gestreckte Vorgang verkürzt sich aber in dem Maße, in dem der Täter das Herannahen eines Fahrzeugs abwartet, um dessen Fahrt durch ein plötzlich in den Weg geschobenes oder geworfenes Hindernis zu hemmen. Ist das Fahrzeug im Zeitpunkt des Eingriffs bereits so nahe, daß mit der abstrakten Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs, die auch dann vorliegt, wenn sich die Tathandlung gezielt gegen ein bestimmtes Objekt richtet, zugleich auch schon eine konkrete Gefahr für das Fahrzeug entsteht, fehlt es gänzlich an einer zeitlichen Zäsur. Gleichwohl sind die Tathandlung, die zu einer Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs führt, und ein aus dieser Gefahr herrührender tatbestandlicher Erfolg in Form einer konkreten Gefahr für das Schutzobjekt gedanklich voneinander zu trennen; die Tathandlung "erschöpft" sich auch dann nicht in sich selbst, wenn über Schäden, die durch das Zusammentreffen von Fahrzeug und Hindernis bewirkt werden, keine weitere Gefahr in der Form entsteht, daß es infolge eines Kontrollverlusts über das Fahrzeug zu einem "Beinahe-Unfall" kommt.
Auch im Blick auf das in § 315 b StGB geschützte Rechtsgut, die Sicherheit des Straßenverkehrs, die ohne die Notwendigkeit einer Gemeingefahr den Schutz von Individualrechtsgütern wie Leben, Gesundheit und bedeutende Sachwerte mitumfaßt, besteht kein Anlaß, zwischen zeitlich gesteckten und auf Minutenbruchteile reduzierten Geschehensabläufen zu unterscheiden. So wäre kaum nachvollziehbar, wenn sich die Angeklagten, die in den Fällen II. B 3 und 7 der Urteilsgründe Gegenstände von einem am Brückengeländer befestigten Seil bis in Nähe von Windschutzscheiben eines Pkws herabhängen ließen und dadurch - in zeitlichem Abstand zum Abseilen - das Zersplittern der Frontscheiben bewirkten, ohne Rücksicht auf weitere
Folgen ihres Handelns des vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr schuldig gemacht hätten, während eine Tatvollendung in den Fällen II. B 9, 10 und 14 bei gleicher subjektiver Zielrichtung und gleichem Schaden nur deshalb nicht eingetreten sein sollte, weil die Angeklagten die entsprechenden Gegenstände im geeigneten Moment gegen die Frontscheiben der Fahrzeuge warfen. Unbeachtlich ist insoweit, daß in den erstgenannten Fällen die Handlungsalternative des § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB (Hindernisbereiten), in der zweiten Fallgruppe dagegen die des § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB (ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff) in Betracht kommt, da das Hindernisbereiten lediglich einen Unterfall des für sämtliche Handlungsalternativen des § 315 b Abs. 1 StGB vorausgesetzten gefährlichen Eingriffs darstellt.
bb) Der Schutzzweck des § 315 b StGB gebietet allerdings insoweit eine restriktive Auslegung der Norm, als unter einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert nur verkehrsspezifische Gefahren verstanden werden dürfen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die konkrete Gefahr - jedenfalls auch - auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen ist. Dies kann durch Ausnutzung der Eigendynamik des vom Täter selbst benutzten Fahrzeugs (beispielsweise beim Einsatz eines Fahrzeugs als „Waffe“), durch die Fremddynamik eines von einem anderen Verkehrsteilnehmer genutzten Fahrzeugs (beispielsweise durch Hindernisbereiten) oder durch das Zusammenwirken beider Kräfte erfolgen.
Bei Außeneinwirkungen, die, wie in den hier zu beurteilenden Fällen, nicht durch eine vom Täter ausgenutzte Eigendynamik seines Fahrzeugs gekennzeichnet sind, ist eine verkehrsspezifische konkrete Gefahr zu bejahen,
wenn durch den Eingriff die sichere Beherrschbarkeit eines im fließenden Verkehrs befindlichen Fahrzeugs beeinträchtigt und dadurch - mit der Folge eines "Beinahe-Unfalls" - unmittelbar auf den Fahrvorgang eingewirkt wird. Dem sind die Fälle gleichzustellen, in denen der Fortbewegung des Fahrzeugs mittels eines Hindernisses oder eines anderen, ebenso gefährlichen Eingriffs in der Weise entgegengewirkt wird, daß eine konkrete Gefahr für Fahrzeuginsassen oder Fahrzeug entsteht. An einer verkehrsspezifischen Gefahr fehlt es nur dann, wenn der Eingriff zwar zu einer abstrakten Gefährdung des Straßenverkehrs führt, die sich hieraus entwickelnde konkrete Gefahr aber in keiner inneren Verbindung mit der Dynamik des Straßenverkehrs steht. Die Annahme jeweils vollendeter gefährlicher Eingriffe in den Straßenverkehr ist daher in den Fällen II. B 9, 10 und 14 nicht zu beanstanden, obwohl über die durch die Steinwürfe an den Frontscheiben entstandenen Schäden hinaus die konkrete Gefahr eines weiteren Unfallgeschehens nicht bestand.
In den beiden Fällen des gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr (II. B 4 und 6) gilt im Ergebnis nichts anderes.
2. Nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen kann die Verurteilung wegen vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr im Fall II. B 5 der Urteilsgründe nicht bestehen bleiben. In diesem Fall gossen die Angeklagten von einer Autobahnbrücke aus zwei Dosen weißliche Lackfarbe auf einen aus vier Fahrzeugen bestehenden, mit ca. 80 km/h fahrenden Hilfsgüterkonvoi des Deutschen Roten Kreuzes. Dabei wurden zwei Fahrzeuge an der Frontscheibe getroffen. Die Fahrer
konnten ihre Fahrzeuge "nach kurzer Weiterfahrt ohne weitere Gefahren rechts zum Stehen bringen". Das Landgericht hat den Eintritt einer durch den „Eingriff“ entstandenen konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert nicht festgestellt. Eine konkrete Gefahr im Sinne eines „Beinahe-Unfalls“ (vgl. BGH NJW 1995, 3131 f.; 1996, 329 f.) hat das Landgericht ersichtlich nicht angenommen; es hat vielmehr in diesem Fall eine „akute Gefahr des Schleuderns und unkontrollierten Abkommens von der Fahrbahn“ gerade ausgeschlossen. Auch die Beschädigung der beiden Lkw durch die ausgegossene Farbe führt hier nicht zur Annahme einer vollendeten Tat nach § 315 b StGB. Denn der durch die Verschmutzung an den betroffenen Lkw eingetretene Sachschaden steht mit der Eigendynamik der Fahrzeuge zum Tatzeitpunkt in keinem relevanten Zusammenhang. Die Lackschäden sind keine spezifische Folge des „Eingriffs“ in die Sicherheit des Straßenverkehrs; sie müssen deshalb bei der Bestimmung eines "bedeutenden" Sachschadens bzw. einer entsprechenden Gefährdung außer Betracht bleiben. Der für eine Tat nach § 315 b StGB vorausgesetzte Vorsatz und die vom Landgericht auch in diesem Fall angenommene qualifizierende Absicht der beiden Angeklagten nach § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a StGB bleiben davon unberührt. Der Senat schließt aus, daß sich – zumal angesichts des Zeitablaufs – noch weitere Feststellungen treffen lassen, die in diesem Fall eine Vollendung des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr sicher belegen. Er ändert deshalb den Schuldspruch – gemäß § 357 StPO auch hinsichtlich des Mitangeklagten L. – von sich aus dahin, daß die beiden Angeklagten im Fall II. B 5 der Urteilsgründe des versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr schuldig sind; § 265 StPO steht dem nicht entgegen. Dies hat bei dem Angeklagten die Aufhebung des Einzelstrafausspruchs zur Folge.
Dagegen kann die gegen den Mitangeklagten L. verhängte Jugendstrafe bestehen bleiben; angesichts der seiner Verurteilung zugrunde liegenden Vielzahl schwerwiegender Straftaten ist auszuschließen, daß die geringfügige Schuldspruchänderung bei ihm zu einer niedrigeren Strafe geführt hätte.

IV.

Im Umfang der Aufhebung verweist der Senat die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO i.V.m. § 74 Abs. 2 Nr. 4 GVG an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurück, da das Verfahren nur noch den erwachsenen Angeklagten betrifft (BGHSt 35, 267) und das Schwurgericht gegenüber der Jugendkammer kein Gericht höherer Ordnung ist (vgl. BGHSt 26, 191; Kuckein in KK § 338 Rdn. 69). Tepperwien Maatz Athing Ernemann Sost-Scheible

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 380/11
vom
27. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Schusswaffe u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 27. Dezember 2011 gemäß
§§ 206a, 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 17. Januar 2011 aufgehoben. Der Angeklagte wird von dem Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz und Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe freigesprochen. Soweit der Angeklagte wegen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Schusswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen einer halbautomatischen Schusswaffe verurteilt worden ist, wird das Verfahren eingestellt. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last. Der Angeklagte ist für die vom 19. Mai 2010 bis 17. Januar 2011 erlittene Polizei- und Untersuchungshaft zu entschädigen.

Gründe:

1
Mit der zugelassenen Anklage ist dem Angeklagten versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz und Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zur Last gelegt worden; er habe am Tattage nach einer Unterhaltung mit dem Geschädigten aus einer Pistole des Kalibers 7,65 mm auf ihn geschossen und ihn verletzt. Das Schwurgericht ist zur Annahme einer durch Notwehr gerechtfertigten gefährlichen Körperverletzung gelangt und hat den Angeklagten wegen eines zuvor begangenen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Schusswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen einer halbautomatischen Schusswaffe zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten hat Erfolg.
2
1. Das Landgericht ist zwar im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen , dass insoweit, als der vom Angeklagten abgegebene Schuss auf den Nebenkläger durch Notwehr gerechtfertigt war, auch die Strafbarkeit wegen des damit unmittelbar zusammenfallenden Führens einer Schusswaffe entfällt (vgl. BGH NStZ 1981, 299; 1999, 347; NJW 2001, 3200, 3203; NStZ-RR 2010, 140). Es hat jedoch verkannt, dass die vorausgehenden Dauerdelikte des Besitzes und des Führens der Waffe und die eine Zäsur bewirkende anschließende Verwendung der Waffe auch dann mehrere Taten bilden (§ 53 StGB), wenn jene Verwendung der Waffe - wie hier der Schusswaffengebrauch infolge der Rechtfertigung durch Notwehr - nicht strafbar ist (vgl. BGH NStZ 1999, 347; NJW 2001, 3200, 3203; Heinrich in: Steindorf/Heinrich/Papsthart, Waffenrecht 9. Aufl. § 52 Rn. 62). Der Angeklagte ist deshalb vom Anklagevorwurf freizusprechen.
3
2. Ein zeitlich vorgelagertes Vergehen gegen das Waffengesetz ist nicht Verfahrensgegenstand geworden und durfte deshalb vom Schwurgericht nicht abgeurteilt werden. Anklage und Eröffnungsbeschluss werfen dem Angeklagten allein das durch den Schusswaffeneinsatz begangene, gerechtfertigte Waffendelikt vor. Dass er vorher unerlaubt die tatsächliche Gewalt über eine Schusswaffe ausgeübt und sie bis zum Eintritt der Notwehrlage unerlaubt mit sich geführt habe, wird in der Anklageschrift nicht erwähnt. Diese Tat hätte deshalb nur durch eine Nachtragsanklage gemäß § 266 StPO in das Verfahren einbezogen werden können. Dies ist nicht geschehen. Daher ist das Verfahren insoweit einzustellen (§ 206a StPO).
Fischer Appl Berger Eschelbach Ott

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 508/09
vom
13. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Nötigung u. a.
hier: Revisionen der Angeklagten V. und I. Ö.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer
und des Generalbundesanwalts am 13. Januar 2010 gemäß § 349
Abs. 4, § 354 Abs. 1, § 357 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten V. Ö. und I. Ö. wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 10. Juni 2009, soweit es sie und den Angeklagten T. betrifft, aufgehoben. Die Angeklagten T. , V. Ö. und I. Ö. werden freigesprochen. Die auf sie entfallenden Kosten des Verfahrens und ihre notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten T. , V. Ö. und I. Ö. wegen gemeinschaftlicher Nötigung, den Angeklagten T. auch wegen eines tateinheitlich hinzutretenden "Verstoßes gegen § 52 Abs. 1 Nr. 1 Waffengesetz", zu Freiheitsstrafen verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten V. Ö. und I. Ö. führen zu deren Freispruch; ihre Rechtsmittel sind, ebenfalls mit der Folge des Freispruchs, auf den nicht revidierenden Angeklagten T. zu erstrecken.
2
1. Die rechtsfehlerfreien Feststellungen tragen keine Verurteilung der Angeklagten V. Ö. , I. Ö. und T. wegen (gemeinschaftlicher ) Nötigung.
3
a) Das Landgericht hat festgestellt: Der Angeklagte T. , der ein Lokal in D. betreibt, sah sich seit einiger Zeit Schutzgeldforderungen einer Bande ausgesetzt, der auch der Mitangeklagte C. angehörte. Obwohl die Bande schon im Jahre 2006 das Lokal verwüstet und so dessen längere Schließung verursacht hatte, lehnte der Angeklagte T. Schutzgeldzahlungen ab. C. war deshalb entschlossen, den Forderungen Nachdruck zu verleihen. Zusammen mit sechs weiteren Personen begab er sich am 9. Februar 2008 gegen 04.30 Uhr in das Lokal, um "den Angeklagten T. durch das demonstrative Auftreten mit mehreren Begleitern einzuschüchtern und dadurch zu veranlassen, zukünftige Schutzgeldforderungen der Bande zu erfüllen." C. begrüßte den Angeklagten T. mit Handschlag, ließ dessen Hand aber nicht mehr los, sondern zog ihn zu sich heran und forderte ihn auf, an den Tisch der Gruppe zu kommen, weil er etwas mit ihm zu bereden habe. Der Angeklagte T. erkannte, dass er wiederum wegen der Zahlung von Schutzgeld unter Druck gesetzt werden sollte, und entgegnete, er habe mit ihm, C. , nichts zu bereden. Gleichwohl hielt C. den Angeklagten T. weiter an der Hand fest. Dieser riss sich schließlich los und schrie auf türkisch "raus!", worauf ihm C. mit beiden Händen gegen die Brust stieß. Da der Angeklagte T. nun eine weitere Eskalation befürchtete, entschloss er sich, C. und seine Gruppe aus dem Lokal zu vertreiben. Hierzu zog er eine Pistole und gab mehrere Warnschüsse gegen die Decke ab. Die in seiner Nähe stehenden Angeklagten V. Ö. und I. Ö. wollten ihn unterstützen und begannen ihrerseits zu schießen, teils mit scharfen, teils mit Schreckschusswaffen. Verfolgt von den drei Angeklagten flüchteten C. und seine Begleiter daraufhin aus dem Lokal. Im Verlauf dieses Geschehens erlitten C. und zwei seiner Begleiter Schussverletzungen, ein weiterer eine Stichverletzung, die aber nicht lebensgefährlich waren.
4
Feststellungen dazu, wer dem Mitangeklagten C. und seinen Begleitern die Verletzungen zufügte, hat das Landgericht nicht treffen können. Es hat auch nicht feststellen können, dass die Angeklagten T. , V. Ö. und I. Ö. damit rechneten, einer von ihnen werde zur Durchsetzung des gemeinsamen Ziels, die Gruppe um C. zu vertreiben, eine Waffe auch gegen eine Person einsetzen.
5
b) Danach haben die Angeklagten den Mitangeklagten C. und seine Begleiter zwar durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zum Verlassen des Lokals genötigt. Jedoch war, was das Landgericht zu prüfen versäumt hat, das Handeln der Angeklagten als Notwehr bzw. Nothilfe nach § 32 StGB gerechtfertigt. Die in der Abgabe von Warnschüssen liegende Androhung des Schusswaffengebrauchs war erforderlich und geboten, um jedenfalls die andauernde Verletzung des Hausrechts des Angeklagten T. durch den Mitangeklagten C. und seine Begleiter zu beenden. Diese hatten das Lokal betreten, um den Angeklagten T. einzuschüchtern und zu Schutzgeldzahlungen gefügig zu machen; ihre Gewaltbereitschaft lag angesichts des Vorfalls im Jahre 2006 nahe. Der nachdrücklichen Aufforderung, sich aus dem Lokal zu entfernen, leistete der Mitangeklagte C. keine Folge, sondern griff den Angeklagten T. tätlich an. Ob anders zu entscheiden wäre, wenn sich die Angeklagten nicht auf Warnschüsse beschränkt, sondern gezielte Schüsse gegen die Person zumindest billigend in Kauf genommen hätten, braucht der Senat nicht zu erörtern, denn dies konnte das Landgericht nicht feststellen.
6
2. Die Rechtsmittel der Angeklagten V. Ö. und I. Ö. sind nach § 357 StPO auf den nicht revidierenden Angeklagten T. zu erstrecken, da das Urteil, soweit es ihn betrifft, auf demselben sachlich-rechtlichen Fehler beruht. Dies gilt auch für seine Verurteilung wegen eines in Tateinheit zur Nöti- gung stehenden "Verstoßes gegen § 52 Abs. 1 Nr. 1 Waffengesetz". Insoweit liegt dem Schuldspruch die Feststellung zu Grunde, dass der Angeklagte "mit einer von ihm geführten Schusswaffe" mehrere Schüsse in Richtung der Decke des Lokals abgab. Bleibt aber der Gebrauch der Schusswaffe straflos, weil das Handeln des Täters entschuldigt oder - etwa wie hier durch Notwehr - gerechtfertigt ist, entfällt auch die Strafbarkeit wegen des Führens der Waffe, soweit es mit diesem Geschehen unmittelbar zusammenfällt (BGH NStZ 1981, 299; 1999, 347). Dass der Angeklagte die Schusswaffe über die Verwendung zur Verteidigung seines Hausrechts hinaus geführt oder besessen hat, ist weder festgestellt noch Gegenstand der Anklage.
Becker RiBGH Pfister befindet sich Sost-Scheible im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben Becker Hubert Mayer

Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
_________________
1. Kommt bei objektiv gegebener Notwehrlage der Angreifer durch Fahrlässigkeit
des Abwehrenden zu Schaden, so ist in den Grenzen dessen, was als
Abwehrhandlung objektiv erforderlich gewesen wäre, die Herbeiführung eines
deliktischen Erfolges auch dann gerechtfertigt, wenn er konkret vom
Abwehrenden nicht gewollt war und bei Anwendung der ihm möglichen
Sorgfalt hätte vermieden werden können.
2. Zu den Grenzen der Notwehr und der strafbefreienden Notwehrüberschreitung
bei einem Angriff auf die Person nach gewaltsamem nächtlichem Eindringen
in die Wohnung des Verteidigers und beim Einsatz einer lediglich
mit einer Patrone geladenen Schußwaffe als Abwehrmittel.
BGH, Beschl. vom 21. März 2001 - 1 StR 48/01 - LG Ellwangen

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 48/01
vom
21. März 2001
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. März 2001 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 18. Oktober 2000 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlichem Ausüben der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladewaffe in zwei Fällen zur Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und einen Revolver sowie eine Selbstladepistole eingezogen. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten rügt die Verletzung sachlichen Rechts; sie hat Erfolg.

I.

1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen verfügte der Angeklagte über eine Waffenbesitzkarte für sogenannte Langwaffen, nicht aber für einen Revolver und eine Pistole, die er im Jahr 1991 erworben hatte. Den Revolver setzte er am 27. Februar 2000 in einer Nothilfelage ein:
In der Tatnacht schliefen der 66jährige Angeklagte und seine Lebensgefährtin , die Zeugin P. , in ihrer Wohnung. Der Angeklagte, der wegen eines Bandscheibenleidens und einer chronischen Handgelenksarthrose bereits 1996 berentet wurde, hatte vor dem Zubettgehen Medikamente, darunter ein Schmerzmittel eingenommen. Gegen 0.45 Uhr läutete der betrunkene Schwiegersohn der Lebensgefährtin, V. , an der Haustür, stürmte nach deren Öffnung bis zur Wohnungstür des Angeklagten im zweiten Stock und trat diese gewaltsam ein. V. hatte eine Blutalkoholkonzentration von etwa 2,2 Promille; er neigte im alkoholisierten Zustand zu Gewalttätigkeiten und hatte zuvor anderenorts eine Auseinandersetzung mit seiner Ehefrau gehabt. Er hatte diese zu Boden geschlagen, nachdem sie sich geweigert hatte, mit den gemeinsamen drei kleinen Kindern in dem von V. gesteuerten Pkw nach Hause zu fahren. Es war ihr gelungen, mit einem der Kinder vor V. zu flüchten und sich zu verstecken. Nachdem V. in die Wohnung des Angeklagten und s einer Schwiegermutter, der Zeugin P. , eingedrungen war, packte er die Zeugin, beschimpfte sie und versuchte, sie aus der Wohnung zu ziehen. Der Angeklagte versuchte beruhigend auf V. einzuwirken; dieser schubste ihn jedoch zurück, worauf der Angeklagte zu Boden fiel. Unter weiteren Beschimpfungen und der Drohung, sie umzubringen, gelang es V. , die sich heftig wehrende und laut schreiende Zeugin P. am Nachthemd und an den Haaren in das Treppenhaus zu ziehen. Dort ging sie zu Boden. Er zerrte sie nun nach und nach die Treppe hinunter. Daraufhin lief der Angeklagte in sein Schlafzimmer und nahm dort aus dem Nachttischchen den Revolver der Marke "Sturm-Ruger", der mit einer scharfen Patrone geladen war. Er war noch "ganz leicht benommen", da er kurz zuvor aus dem Schlaf gerissen worden war und die eingenommenen Medikamente (Valoron und Voltaren) "noch leicht
wirkten". Obwohl er selbst die Patrone in den Revolver geladen hatte, war ihm diese Tatsache in der konkreten Situation nicht bewußt; denn der Vorgang lag bereits mehrere Jahre zurück. Er ging daher fälschlicherweise davon aus, der Revolver sei nicht geladen. Im Treppenhaus hatte V. die Zeugin P. , die sich immer wieder am Geländer festzuhalten versuchte, inzwischen drei Treppenabsätze nach unten gezogen. Beim Eintreffen des Angeklagten lag sie gerade mit dem Rücken auf dem Podest zwischen Erdgeschoß und erstem Stock, wobei sich ihre Füße noch auf den untersten Stufen in Richtung des ersten Obergeschosses befanden. V. hielt sie an den Haaren und zog daran. Er beschimpfte sie, bedrohte sie weiter und trat mehrfach mit den Füßen auf sie ein. Um weitere Körperverletzungshandlungendes V. gegen sie zu verhindern, richtete der Angeklagte aus einer Entfernung von weniger als zwei Metern den Revolver auf dessen Gesichtsbereich und zog den Abzug schnell hintereinander drei- oder viermal durch. Er hoffte, V. werde erschrekken und von der Zeugin P. ablassen. Bei der wiederholten Betätigung des Abzuges löste sich ein Schuß, der V. unmittelbar unterhalb der Nase traf, im dritten Halswirbel stecken blieb und binnen kurzer Zeit zu dessen Tod führte. 2. Das Landgericht nimmt an, der Angeklagte habe in einer Nothilfelage mit Verteidigungswillen gehandelt, jedoch fahrlässig das Maß des zur Abwehr des Angriffs Erforderlichen überschritten; er habe Drohen, nicht Schießen wollen. Auch sei dem Angeklagten vor dem Schußwaffengebrauch eine deutliche Ankündigung und Warnung abzuverlangen gewesen. Sein Irrtum über den Ladezustand des Revolvers sei für ihn leicht erkennbar und vermeidbar gewesen. Er habe sich durch einfaches Aufklappen der Revolvertrommel vom Ladezu-
stand der Waffe überzeugen können. Sein Handeln sei auch nicht entschuldigt (nach § 33 StGB), weil er nicht aus Verwirrung, "gesteigerter Furcht" oder Schrecken das Maß des durch Nothilfe Gerechtfertigten überschritten habe.

II.

Die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Urteilsgründe lassen besorgen, daß das Landgericht die Grenzen des Notwehrrechts nicht zutreffend bestimmt hat; zudem sind die zugrundeliegenden Feststellungen ebenso wie die tatsächliche Würdigung lückenhaft. Darüber hinaus leiden die Ausführungen zur Frage einer strafbefreienden Überschreitung der Grenzen der Notwehr an einem Erörterungsmangel. Hinsichtlich des Ausübens der tatsächlichen Gewalt über den in der Notwehrlage eingesetzten Revolver ist die Strafkammer von einem zu weitgehenden Schuldumfang ausgegangen. Schließlich ist die Annahme von Tateinheit zwischen den Waffendelikten und dem etwaigen Tötungsdelikt rechtsfehlerhaft. 1. Die nur fahrlässige, aber letztlich ebenfalls vom Verteidigungswillen des Angeklagten getragene Herbeiführung der Todesfolge beim Einsatz der Schußwaffe als Drohmittel wäre gerechtfertigt (§ 32 StGB), wenn der Angeklagte in der gegebenen besonderen Lage, in der seine Schußwaffe mit nur einer Patrone geladen war, unter der Voraussetzung einer angemessenen Androhung auch einen gezielten, möglicherweise tödlichen Schuß auf den Angreifer hätte abgeben dürfen. Kommt bei objektiv gegebener Notwehrlage der Angreifer durch Fahrlässigkeit des Abwehrenden zu Schaden, so ist in den Grenzen dessen, was als Abwehrhandlung objektiv erforderlich gewesen wäre, die Herbeiführung eines deliktischen Erfolges auch dann gerechtfertigt, wenn er konkret vom Abwehrenden nicht gewollt war und bei Anwendung der ihm
möglichen Sorgfalt hätte vermieden werden können (Lenckner in Schönke /Schröder StGB 26. Aufl. § 32 Rdn. 65; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 32 Rdn. 14; vgl. auch BGH bei Dallinger MDR 1958, 12,13; OLG Hamm NJW 1962, 1169). Wäre der Abwehrende also bei gewollter Abgabe eines gezielten Schusses auf den Angreifer gerechtfertigt gewesen, dann muß diese Rechtfertigung erst recht und zur Vermeidung eines Wertungswiderspruches auch dann greifen, wenn er sich bei seiner Abwehr für ein milderes Mittel entscheidet und der Angreifer - wie hier - bei einer beabsichtigten Drohung mit der Schußwaffe zu Tode kommt, weil sich – vom Nothilfeleistenden nicht gewollt - ein Schuß löst. Mithin kommt es im vorliegenden Falle darauf an, ob der Angeklagte bei bewußter Abgabe eines gezielten Schusses durch Notwehr gerechtfertigt gewesen wäre. 2. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, daß der lebensgefährliche Einsatz einer Schußwaffe nur das letzte Mittel der Verteidigung sein kann. Grundsätzlich muß der Verteidiger - wenn eine bloß verbale Androhung von vornherein aussichtslos erscheint - vor dem tödlichen Schuß einen weniger gefährlichen Waffeneinsatz wie etwa einen ungezielten Warnschuß versuchen. Jedoch gilt auch für die Verwendung einer Schußwaffe, selbst einer solchen, die wie vom Angeklagten ohne waffenrechtliche Erlaubnis eingesetzt wird, der allgemeine notwehrrechtliche Grundsatz, daß der Verteidiger berechtigt ist, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, das er zur Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet; unter mehreren Abwehrmöglichkeiten ist er auf die für den Angreifer minder einschneidenden nur dann verwiesen, wenn ihm Zeit zur Auswahl sowie zur Abschätzung der Gefährlichkeit zur Verfügung steht und die für den Angreifer weniger gefährliche Abwehr geeignet ist, die Gefahr zweifelsfrei und sofort endgültig auszuräumen. Ein nicht bloß geringes Risiko, daß das mildere Mittel
fehlschlägt und dann keine Gelegenheit für den Einsatz des stärkeren bleibt, braucht der Verteidiger zur Schonung des rechtswidrig Angreifenden nicht einzugehen. Dabei sind Stärke und Gefährlichkeit des Angriffs gegen die Verteidigungsmöglichkeiten abzuwägen. Ist dem Angreifer die Existenz einer dem Verteidiger zur Verfügung stehenden Waffe unbekannt, muß je nach Lage vom Verteidiger regelmäßig verlangt werden, daß er die Verwendung der Waffe androht , ehe er sie lebensgefährlich einsetzt (vgl. nur BGHSt 26, 143, 146; 26, 256, 258; BGH NStZ 1996, 29; StV 1999, 143 = BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14 m.w.Nachw.). 3. Die Ausführungen des Landgerichts werden diesen Maßstäben nicht in jeder Hinsicht gerecht. Die bisherigen Feststellungen reichen nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, ob die Abgabe des Schusses auf den Kopf des angreifenden V. mit naheliegender tödlicher Wirkung durch Notwehr gerechtfertigt gewesen wäre oder ob der Angeklagte jedenfalls nach § 33 StGB straffrei bleiben muß.
a) Die getroffenen Feststellungen legen allerdings nahe, daß der Einsatz der Schußwaffe hier erforderlich war. Der Angeklagte, ein zur Tatzeit 66jähriger Rentner mit einem Bandscheibenleiden und einer Handgelenksarthrose, war mit seiner Lebensgefährtin in seiner eigenen Wohnung angegriffen worden; beide befanden sich in einem auch grundrechtlich besonders geschützten Bereich (vgl. Art. 13 Abs. 1 GG). Zu diesem hatte sich der angreifende V. durch Eintreten der Tür Zugang verschafft. Am Zustandekommen der Trunkenheit und des Aggressionsausbruchs des Angreifers war der Angeklagte nicht beteiligt; hinsichtlich seiner Lebensgefährtin ergibt sich aus den Feststellungen nichts anderes. Er hatte zunächst versucht, V. zu beschwichtigen. Dies war fehlgeschlagen; er war selbst zu Boden gegangen. Bei V.
handelte es sich - wie der Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt - ersichtlich um einen durchaus kräftigen jungen Mann. Aufgrund seiner alkoholbedingten Enthemmung und seiner zustandsbedingten Neigung zu Gewalttätigkeiten war er erkennbar durch Zureden nicht zu bremsen. Eine körperliche Auseinandersetzung mit ihm konnte naheliegender Weise für den Angeklagten nicht ernstlich in Betracht kommen. V. drohte, die Zeugin P. umzubringen und zerrte die schreiende, sich am Treppengeländer festhaltende, zu Boden gebrachte Frau, die sich heftig wehrte, nach und nach die Treppe hinunter. Dabei trat er mehrfach auf sie ein. Bei dieser festgestellten "Auseinandersetzungslage" drängte es sich auf, daß augenblicklich auch schwerwiegende und lebensgefährliche Verletzungen der Zeugin P. eintreten konnten. Es liegt auf der Hand, daß etwa ein Aufschlagen des Kopfes der Zeugin auf die Treppenstufen ebenso in Betracht kam wie eine schwerwiegende Rücken- oder gar Rückgratverletzung. Das ergibt sich schon aus der vom Landgericht beschriebenen Vorgehensweise des Angeklagten und den Feststellungen zur Lage der Zeugin bei Rückkehr des nunmehr bewaffneten Angeklagten in das Treppenhaus. Wenn das Landgericht dennoch ohne nähere Angaben ausführt, die unmittelbare Gefahr einer schweren Verletzung oder der Tötung der Zeugin P. habe zu diesem Zeitpunkt nicht bestanden, so steht das nicht ohne weiteres im Einklang mit dem festgestellten Verlauf. Es hätte der Darlegung besonderer Umstände bedurft, die diese Bewertung hätten tragen können. Das gilt zumal deshalb, weil der Angeklagte sich ausdrücklich dahin eingelassen hatte, er habe tödliche Verletzungen seiner Lebensgefährtin befürchtet (UA S. 14). Das Landgericht meint indessen, "akute Anzeichen dafür" habe der Angeklagte nicht zu schildern vermocht. Das ist schon deswegen rechtsfehlerhaft, weil die Einlassung des Angeklagten im Einklang mit den im übrigen getroffenen Feststellungen steht. Diese ergeben ohne weiteres eine beträchtliche Gefahr für
Leib und Leben der Zeugin P. , zumal der äußerst aggressiv auftretende, enthemmte V. gedroht hatte, diese umzubringen. Wollte die Strafkammer bei dieser Sachlage dennoch eine erhebliche Leibes- oder Lebensgefahr verneinen, so hätte sie das näher begründen müssen. Es konnte nicht Sache des Angeklagten sein, weitere Gründe für seine Befürchtung erheblicher Verletzungen oder gar des Todes der Zeugin P. v orzubringen. Das diese nicht unbegründet war, ergibt sich aus dem vom Landgericht festgestellten Geschehensablauf.
b) War der Einsatz der Schußwaffe durch den Angeklagten - da andere schnell wirksame Mittel zur Abwehr des massiven Angriffs auf seine Lebensgefährtin ersichtlich nicht zur Verfügung standen - erforderlich, so wäre zu erwägen gewesen, daß ihm - hätte er die Situation richtig erfaßt - für die Abgabe eines Schusses nur eine einzige Patrone zur Verfügung stand (vgl. zu ähnlichen Fallgestaltungen BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 4, 6 “letzte Patrone” ). Diese Besonderheit des Falles führt angesichts der Erregung des Angeklagten sowie der naheliegenden Gefahr des Eintretens auch schwerster Verletzungen beim Hinunterzerren der zu Boden gebrachten, auf dem Rücken liegenden Lebensgefährtin, der ausgesprochenen Todesdrohung und dem Eintreten des Angreifers auf das Opfer dazu, daß der Angeklagte sich nicht auf die Abgabe eines Schusses etwa auf die Beine des Angreifers beschränken mußte. Dies wäre - zumal in Rücksicht auf die Aggressivität des Angreifers - eine mit hohem Fehlschlagsrisiko behaftete Abwehr gewesen, bei der ihm anschließend kein weiterer Schuß für eine erfolgreiche Verteidigung mehr zur Verfügung gestanden hätte. Die Abgabe eines Warnschusses kam aus demselben Grund nicht in Betracht, wäre im übrigen im Treppenhaus ohnehin in hohem Maße gefährlich für alle Beteiligten gewesen. Schließlich wäre weiter zu bedenken gewesen, daß dem Angeklagten wegen des dynamischen Gesche-
hensablaufes kaum Zeit zum Überlegen verblieb und er durch den Angriff in seiner eigenen Wohnung aus dem Schlaf gerissen worden war. Bei dieser Lage , der Stärke und Gefährlichkeit des Angriffs und den gegebenen, stark eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten lag es nahe, auch die Abgabe eines gezielten, den Angriff sicher sofort beendenden Schusses für objektiv erforderlich zu erachten. Die Erwägungen des Landgerichts gehen auf die Besonderheiten des Falles nicht hinreichend ein; sie lassen nicht erkennen, daß es die Grundsätze der Rechtsprechung zur Auslegung der Notwehrvorschrift genügend bedacht hat.
c) In diesem Zusammenhang begegnet es weiter rechtlichen Bedenken, daß das Landgericht bei seiner rechtlichen Bewertung die Auseinandersetzung als “innerfamiliäre Streitigkeit” bezeichnet. Das könnte darauf hindeuten, daß es von einer Einschränkung des Notwehrrechts ausgeht. Dies wäre in zweifacher Hinsicht rechtsfehlerhaft: Die Urteilsfeststellungen ergeben, daß dem Angriff des V. gerade kein Streit vorausgegangen ist, an dem die Zeugin P. oder der Angeklagte beteiligt war. Der Angriff erfolgte vielmehr unvermittelt und ohne erkennbaren äußeren Grund. Das Notwehrrecht war schließlich nicht deshalb eingeschränkt, weil der Angreifer mit der Tochter der Zeugin P. verheiratet war. Dies geht auf die Willensentschließung der Tochter zurück, die mit V. in einer anderen Wohnung lebte. Ein irgendwie geartetes sonstiges, zu erhöhter Rücksichtnahme in der gegebenen Lage verpflichtendes persönliches Näheverhältnis zwischen dem Angreifer und der Zeugin P. oder dem Angeklagten ist nicht ersichtlich. Es wäre hier für die Frage einer etwaigen Begrenzung des Notwehrrechts auch deshalb unerheblich, weil der Angriff nach gewaltsamem Eindringen in die Wohnung der Zeugin P. und des Angeklagten, einem besonders schutzwürdigen Bereich, erfolgte. Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Blick auf die Alkoholisierung des V. .
Dieser neigte in einem solchen Zustand gerade zu Gewalttätigkeiten. Das kann unter den vorliegenden Umständen indessen nicht dazu führen, daß der Verteidigende ein hohes Maß an Leibes- und gar an Lebensgefahr ohne Aussicht auf erfolgversprechende Abwehr hinnehmen muß.
d) Danach hängt die Annahme des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr weiter davon ab, ob und wie der Angeklagte den Schußwaffengebrauch androhen mußte und ob dies geschehen ist (vgl. dazu auch BGH StV 1999, 145, 146). Das Landgericht hält hier eine “deutliche” Ankündigung des Waffeneinsatzes und eine vorherige Warnung für geboten, die es im Ergebnis vermißt. Die Würdigung hierzu ist indessen lückenhaft; sie läßt zudem besorgen, daß die Strafkammer die Anforderungen an eine solche Androhung überspannt hat. Die Androhung hat den Sinn, dem Angreifer vor einem lebensgefährlichen Einsatz der Waffe davon Kenntnis zu geben, daß der Verteidigende über eine solche verfügt. Je nach “Auseinandersetzungslage” ist auch die ins Auge gefaßte Verwendung, also der konkrete Einsatz anzudrohen. Wie dies zu geschehen hat, ist nicht zwingend vorgegeben. Anders als etwa bei einem für solche Konfliktlagen Ausgebildeten, der auch für extreme Belastungssituationen richtige Verhaltensweisen eingeübt hat, kann von einem aus dem Schlaf gerissenen, auf einen Angriff nicht gefaßten Menschen nicht ohne weiteres ein in jeder Hinsicht überlegtes Verhalten erwartet werden. Entscheidend ist, daß der Angreifer in den Stand gesetzt wird, die Bewaffnung des Verteidigers wahrzunehmen und zu erkennen, daß dieser bereit ist, die Waffe gegen ihn einzusetzen, falls er mit seinem Angriff fortfährt. Dazu ist nicht stets ein mündlicher Anruf oder Hinweis erforderlich; vielmehr hängt die Art und Weise der Androhung ebenfalls von den jeweiligen Umständen des Falles ab. Je nach der Intensität und Gefährlichkeit des Angriffs in dem beim Einsatz der Schußwaffe gegebenen Stadium kann deshalb möglicherweise schon eine Drohwirkung genügen, die
von dem bloßen Vorzeigen der Schußwaffe und einem etwaigen Zielen auf den Angreifer ausgeht. Hierauf geht das Urteil nicht näher ein. Das Landgericht führt lediglich aus, der Angeklagte habe "weder mit Worten auf die Waffe aufmerksam gemacht noch deren Einsatz für den Fall angedroht, daß er nicht von der Zeugin P. ablasse” (UA S. 9). Was mit Letzterem gemeint ist, bleibt unklar. Da der angreifende V. s ich treppabwärts vor der Zeugin P. befand und dabei war, diese weiter auf der Treppe herabzuzerren, während der Angeklagte von oben aus seiner Wohnung herbeieilte, liegt nahe, daß V. die Schußwaffe in der Hand des Angeklagten vor deren Einsatz erkannt hatte, aber seinen Angriff dennoch fortsetzte. Möglicherweise konnte er zuvor auch wahrnehmen, daß der Angeklagte die Waffe auf ihn gerichtet hatte. Das hätte der Erörterung bedurft, weil eine solche konkludente Drohung angesichts des Maßes der Gefahr für die Zeugin P. hier ausreichend sein konnte. Das Landgericht meint zwar im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung, dem angreifenden V. sei keine Zeit zur Reaktion verblieben. Wie es zu dieser Annahme kommt, wird aber durch die Beweiswürdigung nicht erhellt. Bei der erforderlichen Würdigung der Beweise ist zu bedenken, daß nach dem Zweifelssatz zu Gunsten des Angeklagten als Verteidiger von der ihm günstigeren Sachverhaltsannahme auszugehen ist, wenn sich bestimmte, nicht fernliegende Möglichkeiten des Tatverlaufs nicht zur Überzeugung des Tatrichters ausschließen lassen. Danach bedarf die Frage der Notwehr insgesamt der erneuten Prüfung. 4. Auf all das käme es indessen nicht an, wenn der Angeklagte - was hier nahe liegen dürfte - jedenfalls wegen Notwehrüberschreitung straffrei zu bleiben hätte. Nach § 33 StGB wird nicht bestraft, wer als Verteidiger die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschreitet. Die Strafkammer hat dies geprüft und verneint. Das begegnet durchgreifenden
rechtlichen Bedenken. Der Angeklagte hatte sich auf Furcht vor schwerwiegenden Verletzungen seiner Lebensgefährtin berufen. Die Kammer führt aus, er habe sich zwar in verständlicher Erregung befunden, keinesfalls aber in Panik. Die Notwehrüberschreitung sei nicht aus "gesteigerter Furcht" erfolgt (UA S. 14/15). Eine erhebliche Beeinträchtigung seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit habe nicht vorgelegen. Das läßt besorgen, daß die Strafkammer auch zu hohe Anforderungen an die Annahme einer strafbefreienden Notwehrüberschreitung gestellt hat. Zwar ist nicht schon jedes Angstgefühl als Furcht im Sinne des § 33 StGB zu beurteilen; vielmehr muß durch das Gefühl des Bedrohtseins die Fähigkeit, das Geschehen zu verarbeiten und ihm angemessen zu begegnen erheblich reduziert sein (vgl. BGHR StGB § 33 Furcht 2, 4; BGH NStZ-RR 1997, 65). Der Affekt muß nicht die alleinige oder auch nur überwiegende Ursache für die etwaige Überschreitung der Notwehrgrenzen gewesen sein; es genügt, daß er – neben anderen gefühlsmäßigen Regungen – für die Notwehrüberschreitung mitursächlich war. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß der Angreifer die ihn treffenden Folgen einer überzogenen Abwehr selbst und allein verantworten muß, wenn er durch sein Handeln einen jener Affekte ausgelöst hat (Verwirrung, Furcht oder Schrecken), die den Angegriffenen über die Grenzen der Notwehr hinausgehen ließen (BGH StV 1999, 145, 146/147). Auf dieser rechtlichen Grundlage hätte die Strafkammer alle Tatumstände berücksichtigen müssen und das Geschehen nicht nur unter dem Gesichtspunkt der vorherigen Medikamenteneinnahme und des Überraschtwerdens im Schlafe würdigen dürfen; sie hätte auch die Wirkungen erwägen und darstellen müssen, die für den Angeklagten von dem überraschenden und massiven nächtlichen Angriff auf seine Lebensgefährtin gerade in der eigenen Wohnung ausgingen. Für eine erhebliche Verringerung der Fähigkeit zu einer angemes-
senen Reaktion konnte hier auch sprechen, daß der Angeklagte in seiner - auch vom Landgericht angenommenen - Erregung den Ladezustand seiner Waffe nicht bedachte. 5. Darüber hinaus ist im Auge zu behalten, daß die genannten Umstände selbst unter der Annahme fahrlässiger Tötung auch Bedeutung für die Frage der Voraussehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung haben und deshalb auch in diesem Punkt tragfähiger Bewertung bedurft hätten. Der bloße Hinweis darauf, der Angeklagte, der annahm, seine Waffe sei ungeladen, hätte sich durch einfaches Aufklappen der Revolvertrommel vom Ladezustand der Waffe überzeugen können, sein Irrtum sei deshalb vermeidbar gewesen (UA S. 8), genügte dazu nicht. Er wird in seiner bündigen Kürze der Befindlichkeit des Angeklagten und der Angriffslage nicht vollends gerecht. 6. Die Verurteilung des Angeklagten kann schließlich schon deshalb keinen Bestand haben, weil auch der Schuldspruch wegen des tateinheitlichen Ausübens der tatsächlichen Gewalt über den vom Angeklagten eingesetzten Revolver mit einem Rechtsfehler behaftet ist und das Landgericht das Konkurrenzverhältnis zu dem Tötungsdelikt nicht zutreffend beurteilt hat. Da der Angeklagte sich auch nach Auffassung des Landgerichts in einer Nothilfesituation befand, durfte er den Revolver in dieser Lage - wenigstens als Drohmittel - verwenden. Damit entfällt zugleich die Strafbarkeit wegen des damit einhergehenden Ausübens der tatsächlichen Gewalt über diese Waffe (BGH NStZ 1981, 299; BGHR StGB § 32 Abs. 1 Rechtfertigung 1). Die Strafkammer hat die damit teilweise gegebene Straflosigkeit des Waffendelikts nicht berücksichtigt und ist daher von einem zu weitgehenden Schuldumfang ausgegangen. Sie hat ausdrücklich den langandauernden Besitz gleich zweier Schußwaffen straferschwerend gewertet (UA S. 16). Die in der Nothilfesituation gerechtfertigte
Verwendung des Revolvers begründet überdies eine Zäsur. Das strafbare unerlaubte Ausüben der tatsächlichen Gewalt und der anschließende Einsatz der Waffe - auch dann, wenn ihn der neue Tatrichter wiederum als strafbar erachten sollte - würden sich vielmehr als mehrere Taten erweisen (§ 53 StGB; BGHR StGB § 32 Abs. 1 Rechtfertigung 1; vgl. für diesen Fall zum Verschlechterungsverbot Kuckein in KK 4. Aufl. § 358 Rdn. 30 m.w.Nachw.). Nack RiBGH Dr. Wahl befindet sich Boetticher im Urlaub und ist deshalb an der Unterschriftsleistung verhindert. Nack Schluckebier Schaal

Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

(1) Über die Verpflichtung zur Entschädigung entscheidet das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt. Ist die Entscheidung in der Hauptverhandlung nicht möglich, so entscheidet das Gericht nach Anhörung der Beteiligten außerhalb der Hauptverhandlung durch Beschluß.

(2) Die Entscheidung muß die Art und gegebenenfalls den Zeitraum der Strafverfolgungsmaßnahme bezeichnen, für die Entschädigung zugesprochen wird.

(3) Gegen die Entscheidung über die Entschädigungspflicht ist auch im Falle der Unanfechtbarkeit der das Verfahren abschließenden Entscheidung die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zulässig. § 464 Abs. 3 Satz 2 und 3 der Strafprozeßordnung ist entsprechend anzuwenden.

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4. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer tatrichterlicher Prüfung und Entscheidung. Durch die Aufhebung des freisprechenden Urteils wird die Entschädigungsentscheidung gemäß § 8 StrEG ebenso gegenstandslos wie die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft (vgl. BGH, Beschl. vom 22. März 2002 - 2 StR 569/01 - insoweit nicht abgedruckt in NStZ 2002, 439). Wahl Rothfuß Hebenstreit Jäger Sander