Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Juli 2013 - 4 StR 213/13

bei uns veröffentlicht am04.07.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 213/13
vom
4. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 4. Juli 2013 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 8. Januar 2013 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte war seit Beginn des Jahres 2012 Geschäftsführer eines Bordellbetriebs, in dem das spätere Tatopfer v. L. als Tänzerin und Prostituierte arbeitete. Beide gingen in der Folgezeit eine Liebesbeziehung ein, die konfliktreich verlief und häufig zu wechselseitigen Provokationen sowie Tätlichkeiten führte.
4
v. L. konsumierte mehrmals täglich Amphetamin. Zudem sprach sie dem Alkohol in erheblichem Umfang zu. Insbesondere der permanente Amphetamingenuss führte bei ihr zu einer fast ständigen Enthemmung , Antriebssteigerung und Euphorie. Zugleich erhöhten sich ihre Erregbarkeit und Aggressivität. Sie war in manchen Situationen „mit Worten nicht mehr zu beruhigen“ und „kaum zu bremsen“ (UA S. 22). Mitunter schrie sie minuten- lang auf den Angeklagten ein und machte ihn „für alles verantwortlich“. Im Verlauf der zahlreichen tätlichen Auseinandersetzungen bemerkte der Angeklagte, dass er v. L. durch einen kurzen Griff mit der rechten Hand an ihren Hals ruhigstellen konnte. In der Folgezeit wandte er diese Verteidigungstechnik mehrfach erfolgreich an.
5
In den frühen Morgenstunden des 26. Juni 2012 kam es erneut zu einem heftigen Streit zwischen dem Angeklagten und v. L. und zu wechselseitigen Tätlichkeiten. Dieser Vorfall veranlasste die Verantwortlichen des Bordellbetriebes, die Zusammenarbeit mit dem Angeklagten fristlos zu beenden. Die nachfolgenden Tage verbrachte der Angeklagte in verschiedenen Hotels. v. L. , die ohne ihn in dem Bordell nicht bleiben wollte, folgte ihm nach. Am 5. Juli 2012 bezogen sie ein gemeinsames Zimmer im Ho- tel „Stadt “, wobei das verfügbare Geldnur noch für zwei Übernachtungen ausreichte. Den Abend des 6. Juli 2012 verbrachten beide in der Innenstadt , wobei der Angeklagte einige Glas Bier trank, während v. L. Sekt, Cocktails und Bier zu sich nahm. Am frühen Morgen des 7. Juli 2012 kehrten beide gegen 02.00 Uhr in ihr Hotelzimmer zurück, wo es wieder zu einem heftigen Streit kam. Während dieser Auseinandersetzung schrie v. L. gegen 02.50 Uhr hysterisch über einen Zeitraum von fünf Minuten ununterbrochen auf den Angeklagten ein, machte ihm Vorhaltungen und verlangte von ihm, sie in Ruhe zu lassen und das Hotelzimmer zu verlassen. Als sie begann, ihn mit den Fäusten auf die Brust zu schlagen, stieß der Angeklagte sie weg, so dass sie zu Boden fiel. v. L. stand sofort wieder auf und trat den Angeklagten in den Unterleib. Der Angeklagte, der seine Freundin von weiteren Tritten abhalten wollte, umfasste daraufhin ihren Hals mit beiden Händen und würgte sie äußerst kräftig, so dass der Blutabfluss aus dem Kopf über einen Zeitraum von mindestens 30 Sekunden komplett unterbrochen war. v. L. geriet in Atemnot. Ihr Röcheln war im Nachbarzimmer deutlich vernehmbar. Dem Angeklagten war bewusst, dass v. L. durch die erhebliche Gewaltanwendung zu Tode kommen könnte. Gleichwohl hielt er den erheblichen Druck auf den Hals aufrecht. Auf Grund dieser Gewalteinwirkung brach die Geschädigte leblos zusammen und verstarb infolge Erstickung.
6
Eine dem Angeklagten um 05.13 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,17 Promille auf. Im Blut von v. L. wurden ein Alkoholgehalt von 1,30 Promille und eine AmphetaminKonzentration von 1.800 ng/ml festgestellt.
7
2. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler erge- ben. Insbesondere hat das Schwurgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen eine Rechtfertigung durch Notwehr gemäß § 32 StGB im Ergebnis zu Recht verneint.
8
Der Angeklagte befand sich, als ihn das spätere Tatopfer unter Steigerung der vorangegangenen Angriffshandlungen (Faustschläge gegen die Brust) in den Unterleib trat, zwar objektiv in einer Notwehrlage. Der Angriff dauerte auch noch fort, da v. L. , was der Angeklagte wusste, in solchen Situationen „mit Worten nicht zu bremsen“ war und mit weiteren Tätlichkeiten gerechnet werden musste.
9
Art und Maß der Verteidigungshandlung des Angeklagten waren aber zur Abwehr des drohenden Angriffs nicht erforderlich (vgl. Senatsurteile vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140; vom 25. April 2013 – 4 StR 551/12, Rn. 27). Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen war es dem Angeklagten vielmehr möglich, den gegen ihn geführten Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit schonender als geschehen zurückzuweisen. Denn es war ihm in der Vergangenheit stets gelungen, v. L. durch einen kurzen Griff an den Hals zur Räson zu bringen (UA S. 25). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass diese „übliche Abwehrhandlung“ in der konkreten Situation ungeeignet war, den Angriff effektiv und endgültig abzuwehren. Der Streit verlief nicht anders als vorangegangene Auseinandersetzungen. Dementsprechend hat sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung unter anderem mit dem Argument verteidigt, sich lediglich mit dem üblichen Verteidigungsgriff an den Hals zur Wehr gesetzt zu haben.
10
Es kommt hinzu, dass bei Würgen oder Erdrosseln als Tötungshandlung bis zum Erfolgseintritt bei dem Opfer körperliche Reaktionen eintreten, die eine Verminderung von dessen Handlungsfähigkeit bewirken (insbesondere Atemnot , Bewusstlosigkeit, Erstickungskrämpfe) und einen Angriff auf den in Notwehr Würgenden durch fortschreitende äußere Anzeichen der Ermattung des Angreifers als sicher beendet und ein noch längeres Würgen als zweckverfehlend erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 9. November 2011 – 5 StR 328/11, Rn. 27). So liegt der Fall hier. Spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem v. L. in akute Atemnot geriet und nur noch laut röchelte, war der von ihr ausgehende Angriff endgültig abgewehrt.
11
Auch die Voraussetzungen des § 33 StGB liegen nach den Urteilsfeststellungen – entgegen der Auffassung der Revision – nicht vor. Eine Entschuldigung wegen einer Überschreitung der Grenzen der Notwehr setzt voraus, dass der Täter in einer objektiv gegebenen Notwehrlage (§ 32 Abs. 2 StGB) bei der Angriffsabwehr die Grenzen des Erforderlichen aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat. Dafür fehlen jedwede Anhaltspunkte.
12
3. Dagegen kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben.
13
a) Bei der konkreten Strafzumessung hat das Schwurgericht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass die Tatausführung von massiver Gewalt geprägt sei und durch das heftige Würgen eine besondere Brutalität aufweise. Weitere straferschwerende Umstände führt das Urteil nicht an.
14
Diese Strafzumessungserwägungen verstoßen gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB. Ebenso wie der Tötungsvorsatz als solcher darf die Anwendung der zur Tötung erforderlichen Gewalt nicht straferschwerend gewertet werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 1988 – 5 StR 657/87, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 2; vom 28. September 1995 – 4 StR 561/95, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 6; vom 24. März 1998 – 4 StR 34/98, StV 1998, 657). Diese Grundsätze hat das Landgericht nicht beachtet. Denn der Angeklagte hat, indem er das Tatopfer über einen Zeitraum von mindestens 30 Sekunden heftig würgte, lediglich die Gewalt angewendet, die erforderlich war, um den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann nicht entnommen werden, dass er das zur Tötung seiner Lebensgefährtin erforderliche Maß an Gewalt überschritten hat.
15
Auf diesem Rechtsfehler beruht der Strafausspruch, da das Landgericht die massive Gewaltanwendung als erheblich ins Gewicht fallend gewertet hat (UA S. 25)
16
b) Darüber hinaus begegnet die Begründung, mit welcher das Schwurgericht einen minder schweren Fall des Totschlags nach § 213 StGB abgelehnt hat, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
17
aa) Es wird nicht deutlich, welche Alternative des § 213 StGB das Schwurgericht seiner Prüfung zugrunde gelegt hat. Das Landgericht hätte die erste Alternative des § 213 StGB ausdrücklich erörtern müssen, weil es auf Grund des festgestellten Geschehensablaufs nicht fernliegend war, dass der Angeklagte durch eine vom späteren Tatopfer verübte Misshandlung provoziert worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2002 – 5 StR 119/02, Rn. 3 f.; vom 24. Oktober 2012 – 5 StR 472/12, Rn. 5; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 213 Rn. 2 und 12). In diesem Zusammenhang hätte das Schwurgericht auch die Zuspitzung der Situation nach der fristlosen Kündigung des Angeklagten (Verlust des Arbeitsplatzes und der Unterkunft) in den Blick nehmen und prüfen müssen, ob hierdurch und die damit verbundenen Vorhaltungen und Tätlich- keiten des Tatopfers eine Situation herbeigeführt wurde, die das „Fass zum Überlaufen“ gebracht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 454/10, NStZ 2011, 339, 340). Dabei wäre auch die Alkoholisierung des Tatopfers und des Angeklagten, deren Schweregrad das Schwurgericht zudem verkannt hat, in die Betrachtung einzubeziehen gewesen (Fischer, StGB, 60. Aufl., § 213 Rn. 6). Die Wertung, der Angeklagte sei nur leicht enthemmt gewesen, geht von einem unzutreffenden Maß der Alkoholisierung (1,17 Promille um 05.13 Uhr) aus. Die zur Feststellung der Tatzeit-BAK erforderliche Rückrechnung ist unterblieben. Bei Zugrundelegung eines stündlichen Abbauwerts von 0,2 Promille und eines einmaligen Sicherheitszuschlags von 0,2 Promille ergibt sich zur Tatzeit (03.00 Uhr) ein Blutalkoholgehalt von mindestens 1,81 Promille (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 13).
18
bb) Die Urteilsgründe begründen ferner die Besorgnis, dass das Schwurgericht die zu Gunsten des Angeklagten objektiv gegebene Notwehrlage verkannt hat, die jedenfalls bei der Prüfung der zweiten Alternative des § 213 StGB in die Gesamtbewertung hätte einbezogen werden müssen (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Februar 2007 – 4 StR 581/06, NStZ-RR 2007, 194, 195).
Sost-Scheible Roggenbuck RiBGH Cierniak ist urlaubsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert.
Sost-Scheible
Mutzbauer Reiter

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 213 Minder schwerer Fall des Totschlags


War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minde

Strafgesetzbuch - StGB | § 33 Überschreitung der Notwehr


Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 197/12
vom
27. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. September
2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof und
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 27. Januar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht Halle hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen traf der alkoholisierte Angeklagte (maximale Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit: 1,68 Promille) zusammen mit dem Zeugen V. am 15. April 2011 nach 22.00 Uhr im Stadtgebiet von Z. auf den ihm bis dahin unbekannten Geschädigten Z. und dessen Freund, den Zeugen D. . Z. und D. führten einen kleinen Terrier und einen 50 cm großen Labrador-Pitbull-Mischling mit sich. Beide Hunde waren angeleint und bellten. Der Abstand zwischen Z. und D. einerseits und dem Angeklagten und V. andererseits betrug 25 bis 30 Meter.
3
Aus nicht mehr aufklärbaren Gründen entwickelte sich zwischen dem Angeklagten auf der einen und Z. und D. auf der anderen Seite eine verbale Auseinandersetzung, bei der es auch zu beleidigenden Äußerungen („Wichser“) des Angeklagten kam. Als der Angeklagte und der sich an dem Wortwechsel nicht beteiligende V. ihren Weg fortsetzten, folgten ihnen Z. und D. nach, wobei sich der Abstand zwischen beiden Gruppen ständig verringerte, weil Z. und D. ihr Gehtempo erhöhten. Die verbale Auseinandersetzung wurde dabei fortgeführt. Einer Aufforderung von Z. stehen zu bleiben, kamen der Angeklagte und V. nicht nach. Als D. dem Angeklagten und V. ankündigte, dass man ihnen „beim nächsten dummen Wort hinterherkommen“ werde, reagierte der Angeklagte hierauf mit den Worten: „Na dann kommt doch her“. Der Wortwechsel wurde nun zunehmend aggressiver, wobei der Angeklagte seinen Kontrahenten Z. und D. zurief: „Passt auf, wenn ich euch auf offener Straße abschießen lasse“. Die Aufforderung einer Anwohnerin, „mit dem Krach aufzuhören“, blieb beiallen Beteiligten ohne Wirkung. Z. und D. erhöhten nun nochmals ihre Geschwindigkeit , sodass der Abstand zu dem Angeklagten und V. immer kürzer wurde. Dabei lief Z. voraus, während D. mit den beiden an der Leine geführten Hunden nachfolgte. V. , der die Annäherung bemerkte, befürchtete nun eine alsbaldige Konfrontation und redete auf den Angeklagten ein, dass sie beide dies besser lassen und nach Hause gehen sollten. Der Angeklagte ging hierauf nicht ein und führte stattdessen die verbale Auseinandersetzung mit Z. und D. lautstark fort.
4
Als der Abstand zu Z. und D. nur noch 10 bis 20 Meter betrug, nahm der Angeklagte ein von ihm ständig mitgeführtes Klappmesser mit einer Klingenlänge von 10 cm aus seiner Bauchtasche. Die Tasche mit dem übrigen Inhalt übergab er V. , um sie vor seinen Verfolgern zu sichern. V. bekam Angst vor den ihnen folgenden Personen und den bellenden Hunden, er wollte keinen Ärger und rannte davon. Z. lief nun auf den Angeklagten zu, der sich mit dem Rücken zu ihm befand und stehen blieb. Als Z. den Angeklagten erreichte, versuchte er, ihm einen Faustschlag gegen den Kopf zu versetzen. Der Schlag verfehlte den Angeklagten, weil sich dieser genau in dem Moment des Schlags erst zur Seite und dann umdrehte. Unmittelbar nach der Drehbewegung führte der Angeklagte mit dem zwischenzeitlich geöffneten Messer ohne weiteres Zögern einen wuchtigen Stich gegen den Oberkörper von Z. aus. Die Klinge drang 15 cm tief in den linken Unterbauch von Z. ein, führte zu einer dreifachen Durchsetzung des Dünndarms, einem Durchstich der unteren Hohlvene und einem Stichdefekt an der gemeinsamen rechten Beckenschlagader. Beide standen sich nun unmittelbar gegenüber. Der Angeklagte zog sein Messer wieder aus dem Körper von Z. heraus und behielt es in der Hand. Z. schlug nun ein zweites Mal mit der Faust nach dem Angeklagten , wobei er ihn im Gesicht traf. Der Angeklagte fiel zu Boden, blieb liegen und versuchte seinen Kopf mit den Händen zu schützen. Z. trat mindestens einmal gegen den Oberkörper des am Boden liegenden Angeklagten und lief dann zu dem in einer Entfernung von etwa 10 Metern mit den Hunden wartenden D. . Kurz darauf brach er zusammen; er verstarb trotz einer sofortigen Notoperation am frühen Morgen des Folgetags in einem Krankenhaus.
5
Bei der Ausführung des Stiches nahm der Angeklagte eine als möglich erkannte tödliche Verletzung von Z. billigend in Kauf. Dabei stand er unter dem Eindruck, von zwei Personen und deren bellenden Hunden verfolgt zu werden, wobei ihn ein Verfolger bereits eingeholt hatte. Aufgrund des zuvor genossenen Alkohols fühlte er sich „etwas enthemmt“, ohne dass es zu einer relevanten Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit gekommen wäre.

II.


6
Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Rechtfertigung durch Notwehr abgelehnt hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7
1. Das Landgericht ist der Ansicht, der Angeklagte habe rechtswidrig gehandelt , weil ihm in der konkreten Situation andere Möglichkeiten für eine Abwehr des Angriffs zur Verfügung standen und der tödliche Messerstich deshalb nicht das nach § 32 Abs. 2 StGB erforderliche Verteidigungsmittel war (UA 33). So habe der Angeklagte während des Wortwechsels und der Verlagerung des Geschehens bis zum Tatort genügend Zeit gehabt, um auf den Besitz des Messers hinzuweisen und dessen Einsatz anzudrohen. Zu diesem Zeitpunkt sei Z. lediglich hinter ihm hergelaufen und habe noch nicht damit begonnen , auf den Angeklagten einzuschlagen. Ebenso hätte der Angeklagte versuchen können, mit Worten deeskalierend auf die ihn verfolgende Gruppe einzuwirken. Auch wäre es ihm in der konkreten Verteidigungssituation möglich gewesen, das Messer als Schlagwerkzeug zu benutzen oder seine Fäuste einzusetzen. Dabei hätte der Angeklagte gute Erfolgsaussichten gehabt, weil er aufgrund seiner Körperlänge von 187 cm dem nur 160 cm großen Z. überlegen gewesen sei und eine situationsbedingte körperliche Schwächung nicht vorgelegen habe. Zudem hätte der Angeklagte nicht mit einer derartigen Wucht auf eine so sensible Körperregion einstechen müssen (UA 10 und 34). Schließlich dürfe auch nicht unbeachtet bleiben, dass der Angeklagte wegen seiner aggressiven Äußerungen im Vorfeld eine Mitschuld an der Gemütsver- fassung des Geschädigten trage, auch wenn die Voraussetzungen einer Notwehrprovokation dadurch noch nicht erfüllt seien (UA 34 f.).
8
2. Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 mwN). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrachtung entschieden werden (BGH, Urteil vom 24. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14). Dabei kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung an (BGH, Urteil vom 28. Februar 1989 – 1 StR 741/88, NJW 1989, 3027; Beschluss vom 5. November 1982 – 3 StR 375/82, NStZ 1983, 117). Auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel muss der Angegriffene nur dann zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unter den gegebenen Umständen unzweifelhaft ist und genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht (BGH, Urteil vom 2. November 2011 – 2 StR 375/11, NStZ 2012, 272, 274; Urteil vom 14. Juni 1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 358). Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz einer Waffe kann danach durch Notwehr gerechtfertigt sein. Zwar geht die Rechtsprechung davon aus, dass gegenüber einem unbewaffneten Angreifer der Gebrauch eines bis dahin noch nicht in Erscheinung getretenen Messers in der Regel anzudrohen ist (BGH, Urteil vom 11. September 1995 – 4 StR 294/95, NStZ 1996, 29 f.; Beschluss vom 12. Dezember 1975 – 2 StR 451/75, BGHSt 26, 256, 258) und, sofern dies nicht ausreicht, der Versuch unternommen werden muss, auf weniger sensible Körperpartien einzustechen (BGH, Beschluss vom 24. Juli 2001 – 4 StR 256/01), doch stehen diese Einschränkungen unter dem Vorbehalt, dass beide Einsatzformen im konkreten Fall eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2003 – 3 StR 458/02, NStZ 2004, 615, 616; Beschluss vom 21. März 2001 – 1 StR 48/01, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 15; Urteil vom 24. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14). Dies ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen im Einzelnen darzulegen. Angesichts der schweren Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die regelmäßig in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine vorherige Androhung des Messereinsatzes oder eine weniger gefährliche Stichführung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 2011 – 2 StR 375/11, NStZ 2012, 272, 274). Können keine sicheren Feststellungen zu Einzelheiten des Geschehens getroffen werden, darf sich das nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken (BGH, Beschluss vom 15. November 1994 – 3 StR 393/94, NJW 1995, 973).
9
3. Diesen Grundsätzen werden die Erwägungen des Landgerichts zur Erforderlichkeit des Messerstichs nicht gerecht.
10
a) Soweit dem Angeklagten entgegenhalten wird, den Einsatz des Messers während des Wortwechsels und der Verlagerung des Geschehens bis zum Tatort nicht angedroht und es in diesem Zeitraum auch versäumt zu haben, durch Worte deeskalierend auf seine Kontrahenten einzuwirken, handelt es sich um mögliche Verhaltensweisen im Vorfeld und nicht um im Zeitpunkt des Messereinsatzes noch verfügbare alternative Abwehrmittel.
11
b) Für die Annahme, dass es dem Angeklagten möglich war, den Angriff von Z. mit den bloßen Fäusten abzuwehren, ohne dabei ein unvertretbar hohes Fehlschlagrisiko oder eine Eigengefährdung in Kauf nehmen zu müssen, fehlt es an einer tragfähigen Grundlage. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang lediglich auf die Größenverhältnisse zwischen den Kontrahenten abgehoben und daraus eine körperliche Überlegenheit des Angeklagten abgeleitet. Dies reicht nicht aus, um einen sicheren Erfolg des Angeklagten bei einem Faustkampf mit Z. zu belegen. Ob eine körperliche Auseinandersetzung ohne eigene Verletzungen mit Erfolg bestanden werden kann, hängt nur zu einem geringen Teil von der Statur der Kontrahenten ab. Weitere Feststellungen – etwa zu möglichen Erfahrungen des Angeklagten mit derartigen Auseinandersetzungen oder besonderen Fertigkeiten in diesem Bereich – die eine derartige Aussage gestatten könnten, sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Den Vorstrafen wegen Körperverletzung aus dem Jahr 2008 zum Nachteil deutlich jüngerer Kinder hat der Tatrichter in diesem Zusammenhang keine Bedeutung beigemessen und sie nur bei der Ahndung berücksichtigt.
12
c) Das Landgericht hat auch nicht hinreichend dargelegt, warum der Angeklagte gehalten gewesen sein sollte, das Messer als Schlagwerkzeug einzusetzen. Bei dem Tatmesser handelte es sich um ein Klappmesser mit einer feststehenden 10 cm langen Klinge. Wie ein solches Messer in einer effektiven Weise als Schlagwerkzeug eingesetzt werden kann, erschließt sich nicht von selbst.
13
d) Schließlich hat das Landgericht auch nicht mit Tatsachen belegt, dass es dem Angeklagten möglich war, den Angriff von Z. durch einen weniger wuchtigen Stich gegen eine nicht so sensible Körperregion endgültig abzuwehren. Die hierzu gemachten Ausführungen beschränken sich auf die bloße Behauptung, dass ihm diese Handlungsmöglichkeit zur Verfügungstand (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2001 – 4 StR 256/01).

III.


14
Der Senat kann nicht nach § 354 Abs. 1 StPO durch Freispruch in der Sache selbst entscheiden, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine neue Verhandlung noch weitere Feststellungen zu erbringen vermag, die einen Schuldspruch rechtfertigen (BGH, Urteil vom 22. April 2004 – 5 StR 534/02, NStZ-RR 2004, 270, 271). Dabei wird auch zu erörtern sein, ob die Notwehrbefugnisse des Angeklagten wegen einer ihm zuzurechnenden Angriffsprovokation beschränkt waren. Auch kommt gegebenenfalls die Annahme eines Erlaubnistatbestandsirrtums in Betracht.
15
1. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich nicht auf ein Notwehrrecht berufen kann, wer den gegen ihn geführten Angriff herausgefordert hat, um den Angreifer unter dem Deckmantel einer äußerlich gegebenen Notwehrlage an seinen Rechtsgütern zu verletzen (BGH, Urteil vom 22. November 2000 – 3 StR 331/00, NStZ 2001, 143; Urteil vom 7. Juni 1983 – 4 StR 703/82, NJW 1983, 2267). Einschränkungen der Notwehrbefugnis können sich aber auch dann ergeben, wenn der Täter den Angriff durch ein rechtswidriges Verhalten im Vorfeld (z.B. Beleidigungen des Angreifers) mindestens leichtfertig provoziert hat. In einem solchen Fall ist es dem Täter zuzumuten, dem Angriff nach Möglichkeit auszuweichen (BGH, Beschluss vom 14. Februar 1992 – 2 StR 28/92, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 9; Beschluss vom 17. Januar 1989 – 4 StR 2/89, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 4; Urteil vom 14. Juni 1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 359). Vermag er dies nicht, kann er – je nach der Stärke der ihm anzulastenden Provokation und dem Gewicht des beein- trächtigten Rechtsguts – auch Beschränkungen bei der Auswahl der Abwehrmittel unterliegen (BGH, Urteil vom 2. November 2005 – 2 StR 237/05, NStZ 2006, 332, 333). War die Provokation besonders stark, muss der Verteidiger unter Umständen auf eine einen sicheren Erfolg versprechende Verteidigung verzichten und das Risiko hinnehmen, dass ein milderes Abwehrmittel keine gleichwertigen Erfolgschancen bietet (BGH, Urteil vom 22. November 2000 – 3 StR 331/00, NStZ 2001, 143, 144; Urteil vom 26. Oktober 1993 – 5 StR 493/93, BGHSt 39, 374, 379). Regelmäßig wird er zu einer Trutzwehr mit einer lebensgefährlichen Waffe erst dann übergehen können, wenn er alle sich ihm bietenden Möglichkeiten zur Schutzwehr ausgeschöpft hat (BGH, Urteil vom 11. Juni 1991 – 1 StR 242/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 8; Urteil vom 18. August 1988 – 4 StR 297/88, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 3; Urteil vom 14. Juni 1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 359; vgl. Beschluss vom 12. Dezember 1975 – 2 StR 451/75, BGHSt 26, 256). Kann der Verteidiger dem von ihm leichtfertig provozierten Angriff nicht ausweichen und stehen ihm auch keine milderen Abwehrmittel zur Verfügung, ist ein Einsatz von lebensgefährlichen Verteidigungsmitteln gerechtfertigt (BGH, Beschluss vom 17. Januar 1989 – 4 StR 2/89, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 4).
16
Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte den später getöteten Z. und den Zeugen D. im Vorfeld des Angriffs unter anderem als „Wichser“ bezeichnet und dadurch beleidigt. Konkrete Feststellungen dazu, ob und inwieweit diese und weitere Äußerungen („na dann kommt doch her“) dazu beigetragen haben, dass Z. und D. die Verfolgung des Angeklagten und des Zeugen V. aufnahmen und inwieweit eine solche Entwicklung vorhersehbar war, hat das Landgericht nicht getroffen. Das Gesamtgeschehen legt einen derartigen motivationalen Zusammenhang nahe. Für den Fall, dass eine leichtfertige Angriffsprovokation festge- stellt werden kann, wird der neue Tatrichter zu prüfen haben, inwieweit es dem Angeklagten möglich war, dem Angriff auszuweichen und inwieweit er wegen der vorausgegangenen Provokation Einschränkungen bei der Notwehrausübung hinnehmen musste.
17
2. Ein analog § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB zum Vorsatzausschluss führender Erlaubnistatbestandsirrtum kann gegeben sein, wenn der rechtswidrig Angegriffene zu einem objektiv nicht erforderlichen Verteidigungsmittel greift, weil er irrig annimmt, der bereits laufende Angriff werde in Kürze durch das Hinzutreten eines weiteren Angreifers verstärkt werden; das gewählte Verteidigungsmittel aber in der von ihm angenommenen Situation zur endgültigen Abwehr des Angriffs erforderlich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 1. März 2011 – 3 StR 450/10, NStZ 2011, 630). Konnte der Angegriffene den Irrtum vermeiden , kommt nach § 16 Abs. 1 Satz 2 StGB eine Bestrafung wegen einer Fahrlässigkeitstat in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2001 – 3 StR 542/00, NStZ 2001, 530 f.).
18
Nach den Feststellungen des Landgerichts sah sich der Angeklagte von zwei Personen mit bellenden Hunden verfolgt, von denen ihn eine ( Z. ) bereits eingeholt hatte. Diese Annahme entsprach jedenfalls insoweit nicht den Tatsachen, als D. „eher an einer Deeskalation“ interessiert war und – so seine für „plausibel“ erachtete Aussage in der Hauptverhandlung – Z. sogar an dem Faustschlag gehindert hätte, wenn er zeitgleich mit ihm auf den Angeklagten getroffen wäre. Ob der Angeklagte bei der Ausführung des Stiches irrig davon ausging, dass der laufende Angriff von Z. in Kürze eine Verstärkung durch D. erfahren würde, lässt sich anhand dieser Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Sollte der neue Tatrichter zu entsprechenden Feststellungen gelangen, wird er zu erörtern haben, ob der tödliche Messerstich erforderlich gewesen wäre, um einen Angriff abzuwehren, wie ihn der Angeklagte befürchtete.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin
27
aa) Eine in einer objektiven Notwehrlage begangene Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt , das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 m. Anm. Erb, HRRS 2013, 113; Urteil vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 mwN). Ob dies der Fall ist, muss aus der Sicht eines objektiven und umfassend über den Sachverhalt unterrichteten Dritten in der Situation des Angegriffenen entschieden werden (BGH, Urteil vom 14. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14). Dabei kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung an (BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 m. Anm. Erb, HRRS 2013, 113; Urteil vom 28. Februar 1989 – 1 StR 741/88, NJW 1989, 3027). Da das Notwehrrecht nicht nur dem Schutz der bedrohten Individualrechtsgüter des Angegriffenen, sondern auch der Verteidigung der durch den rechtswidrigen Angriff negierten Rechtsordnung dient (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 359), kommen als alternativ in Betracht zu ziehende Abwehrhandlung grundsätzlich nur Maßnahmen in Betracht, die die bedrohte Rechtsposition gegen den Angreifer durchsetzen. Das Gesetz verlangt von einem rechtswidrig Angegriffenen nicht, dass er die Flucht ergreift oder auf andere Weise dem Angriff ausweicht, weil damit ein Hinnehmen des Angriffs verbunden wäre und weder das bedrohte Recht, noch die in ihrem Geltungsanspruch infrage gestellte Rechtsordnung gewahrt blieben (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 2004 – 2 StR 82/04, NStZ 2005, 31; Urteil vom 12. Februar 2003 – 1 StR 403/02, NJW 2003, 1955, 1957; Urteil vom 24. Juli 1979 – 1 StR 249/79, NJW 1980, 2263; Urteil vom 21. Dezember 1977 – 2 StR 421/77, BGHSt 27, 313, 314; LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 182; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 32 Rn. 118; NK-StGB/ Kindhäuser, 4. Aufl., § 32 Rn. 94 mwN). Etwas anderes kann lediglich dann gelten , wenn besondere Umstände das Notwehrrecht einschränken, etwa weil dem Angriff eine vorwerfbare Provokation des Angegriffenen vorausgegangen ist (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 141 m. Anm. Erb, HRRS 2013, 113; Urteil vom 30. Juni 2004 – 2 StR 82/04, NStZ 2005, 31) oder der Angegriffene sich sehenden Auges in Gefahr begeben hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2002 – 3 StR 503/01, NStZ-RR 2002, 203, 204 m. Anm. Walther, JZ 2003, 52).
27
Bei Würgen oder Erdrosseln als Tötungshandlung verstreicht bis zum Erfolgseintritt in der Regel ein ganz erheblicher Zeitraum der Gewaltanwendung , wie auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Fällen problematischer Begründung des Tötungsvorsatzes zu entnehmen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juli 1996 – 4 StR 275/96, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz , bedingter 48; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2003 – 5 StR 458/03, BGHR aaO Vorsatz, bedingter 57; vgl. ferner Eisen, Handwörterbuch der Rechtsmedizin, Bd. 1, 1973, S. 213, 217). Vor Eintritt des Todes kommt es jedenfalls zu körperlichen Reaktionen des gewürgten Opfers, die eine Verminderung von dessen Handlungsfähigkeit bewirken (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juni 1992 – 4 StR 308/92, BGHR aaO Vorsatz bedingter 30; Eisen aaO S. 213) und hierdurch einen Angriff auf den in Notwehr Würgenden durch fortschreitende äußere Anzeichen der Ermattung des Angreifers als sicher beendet und ein noch längeres Würgen als zweckverfehlend erscheinen lassen. Hiernach hätte das Landgericht auch bei Prüfung der erforderlichen Verteidigung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB eine mit der angriffsbeendenden Würgehandlung des Angeklagten einhergehende, den Tod des Angreifers indes vermeidende Handlungsalternative erwägen müssen.

Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

5 StR 119/02

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 14. Mai 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Mai 2002

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten Z wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. September 2001 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten Z wegen Totschlags zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Den Mitangeklagten S hat es freigesprochen. Die Revision des Angeklagten hat einen Teilerfolg. Aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ist die Beweisantragsrüge unzulässig; die Aufklärungsrüge sowie die Sachrüge, soweit sie den Schuldspruch betrifft, insbesondere die sachlichrechtlichen Einwendungen gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung, sind unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Hingegen hält der Strafausspruch sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Die Strafrahmenwahl des Tatrichters, der die Strafe dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen hat, erweist sich als rechtsfehlerhaft. Das Schwurgericht hat übersehen, daß nach den von ihm rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen eines minder schweren Falles des Totschlages gemäß der ersten Alternative des § 213 StGB anzunehmen waren.
Noch vertretbar hat das Schwurgericht trotz des heftigen Streits zwischen dem Angeklagten und dem späteren Opfer G , dem Ehemann seiner verstorbenen Großmutter, keine vom Angeklagten unverschuldete schwere Beleidigung angenommen, wenngleich G den Streit durch seine nach den Urteilsfeststellungen unberechtigte Weigerung auf Herausgabe dem Angeklagten gehörender Gegenstände hervorgerufen hatte. Das Schwurgericht hat es indes unterlassen, darüber hinaus die folgende weitere Besonderheit des unmittelbaren Vortatgeschehens zu berücksichtigen: G , der im Verlaufe des Streits außer sich geraten war, ergriff plötzlich ein mit Blech beschlagenes Brett, um damit auf den Angeklagten loszugehen. Dieser rechtswidrige Angriff G s auf den Angeklagten wurde vom Mitangeklagten durch Nothilfe verhindert, indem er G mit einer Eisenstange einen Schlag auf den Hinterkopf versetzte, infolgedessen dieser das Brett fallen ließ und zu Boden ging. In dieser Situation entriß der Angeklagte dem Nothelfer die Eisenstange; er erschlug damit das Opfer durch heftige, mit direktem Tötungsvorsatz geführte Schläge auf den Kopf und stieß schließlich dem Sterbenden ein Messer in die Brust. Der Angeklagte war hierbei zuletzt “kreidebleich, zitterte am ganzen Körper und sonderte Speichel ab” (UA S. 19).
Nach den rechtsfehlerfreien Erwägungen des Schwurgerichts im Zusammenhang mit der Rechtfertigung der gefährlichen Körperverletzung des Mitangeklagten war der dem Totschlag vorangegangene rechtswidrige Angriff auf den Angeklagten angesichts der Feststellungen zu den körperlichen Kräften des auûer sich geratenen G und zur Massivität jenes Angriffs als Miûhandlung im Sinne der ersten Alternative des § 213 StGB zu werten. Möglicherweise hat das Schwurgericht, das insoweit keine näheren Erörterungen angestellt hat, nicht bedacht, daû es hierfür keines Körperverletzungserfolges bedarf (BGHR StGB § 213 Alt. 1 Miûhandlung 4 und 5). Aus den festgestellten Begleitumständen zur Geschehensabfolge ergibt sich ohne weiteres, daû zugunsten des Angeklagten anzunehmen war, daû er durch diese Miûhandlung als gravierende Steigerung des zuvor verbal geführten heftigen Streits, die gleichsam “das Faû zum Überlaufen brachte” (vgl. BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 5), zum Zorn gereizt und auf der Stelle zur Tat hingerissen wurde. Angesichts der Rechtswidrigkeit des Angriffs des Opfers auf den Angeklagten war, zumal vor dem Hintergrund der Streitentstehung, eine eigene Schuld des Angeklagten an der Provokation auszuschlieûen.
2. Demgemäû hätte bei der Strafzumessung der Strafrahmen aus § 213 StGB zugrundegelegt werden müssen. Dieser Strafrahmen wäre zudem angesichts einer dem Angeklagten unbedenklich zugebilligten erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund krankhafter seelischer Störung – hervorgerufen durch seinen gestörten Hormonhaushalt bei mittelgradiger Alkoholisierung vor dem Hintergrund starker emotionaler Belastung (UA S. 48 f.) – gemäû §§ 21, 49 Abs. 1 StGB weiter zu mildern gewesen.
Auf die von der Revision vorgebrachten nicht unerheblichen Bedenken gegen die Verneinung einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit unter dem Gesichtspunkt des Affekts kommt es bei dieser Sachlage letztlich nicht an. Schuldunfähigkeit scheidet, wie die Revision nicht verkennt , aus. Ein Affekt liegt bei einem minder schweren Fall des Totschlags nach der ersten Alternative des § 213 StGB regelmäûig vor; er ist daneben, selbst wenn er den Grad einer tiefgreifenden Bewuûtseinsstörung erreichte, kaum weiter besonders strafzumessungsrelevant. So läge bei nur affektbe- dingter erheblicher Verminderung der Steuerungsfähigkeit ± anders als bei der hier angenommenen krankhaften seelischen Störung ± sogar eine nochmalige Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB eher fern (vgl. BGH NStZ 1986, 71; BGHR StGB § 213 Alt. 2 Gesamtwürdigung 2). 3. Danach erübrigt sich eine Aufhebung von Feststellungen nach § 353 Abs. 2 StPO. Der neue Tatrichter wird allein auf der Grundlage sämtlicher bislang rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ± die allenfalls durch weitergehende widerspruchsfreie Feststellungen ergänzt werden dürfen ± aus dem gemäû § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 213 StGB eine neue mildere Strafe zu verhängen haben.
Diese wird gleichwohl im Blick auf das gravierende Tatbild eher dem oberen als dem unteren Bereich dieses Strafrahmens zu entnehmen sein. Allerdings bestünden gegen eine erneute Anlastung früherer Aussagen des Angeklagten zum Nachteil des rechtskräftig freigesprochenen Mitangeklagten angesichts des weiteren Aussageverhaltens des Angeklagten und der sonstigen den Mitangeklagten betreffenden Sach- und Beweislage durchgreifende Bedenken.
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5
Das Landgericht hätte die erste Alternative des § 213 StGB ausdrücklich erörtern müssen, weil es aufgrund des konkret festgestellten Geschehensablaufs nicht fernliegend war, dass der Angeklagte durch eine vom späteren Opfer verübte schwere Beleidigung provoziert worden war (vgl. dazu Fischer, 59. Aufl., § 213 StGB, Rn. 5 f. mwN). Diese vorrangige Prüfung war deshalb geboten, weil der sich daraus ergebende Strafrahmen – ohne Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2011 – 5 StR 4/11, StraFo 2012, 24, 25 mwN) – eine weitere Milde- rung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ermöglicht hätte. Zwar hätte das Tatgericht insofern im Rahmen der damit verbundenen Ermessensausübung berücksichtigen dürfen, dass zwischen den ausgesprochenen Kränkungen und dem hochgradigen affektiven Erregungszustand eine enge Verbindung bestand und sie auf dieselbe Wurzel zurückzuführen waren (BGH, Urteil vom 13. August 1985 – 1 StR 250/85, NStZ 1986, 71; Beschlüsse vom 7. Dezember 1995 – 4 StR 688/95, StV 1996, 204, 205, und vom 21. Dezember 2010 – 3StR 454/10, NStZ 2011, 339, 340). Eine solche sich – an die Annahme der Provokationsalternative – anschließende Ermessensentscheidung, in der alle Umstände berücksichtigt werden, welche die Tat unter dem Gesichtspunkt der Schuld als mehr oder minder leicht oder schwer erscheinen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 1993 – 1 StR 26/93, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 7 mwN), hat das Tatgericht indes nicht vorgenommen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 454/10
vom
21. Dezember 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
21. Dezember 2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 19. Juli 2010 im Strafausspruch aufgehoben ; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge zum Strafausspruch Erfolg; zum Schuldspruch ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen lernten sich der Angeklagte und E. , das im Jahre 1991 geborene, an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidende spätere Tatopfer, im Sommer 2009 kennen und begannen eine intime Beziehung. Obwohl es zu immer heftigeren Auseinandersetzungen kam, bei denen der Angeklagte sich nicht aggressiv verhielt, E. sich indes häufig selbst verletzte und gegenüber dem Angeklagten gewalttätig wurde, bezogen die beiden eine gemeinsame Wohnung in K. . Das spätere Opfer hatte in der Folgezeit wie schon zuvor intime Kontakte zu mehreren weiteren Männern. Aufgrund der immer weiter eskalierenden Streitigkeiten, in deren Verlauf der Angeklagte auch mit einem Messer und einem Teleskopschlagstock bedroht wurde, kam es mehrfach zu Einsätzen der Polizei. Zuletzt ereignete sich am 4. März 2010 in der gemeinsamen Wohnung eine Auseinandersetzung, die bis in die Nacht andauerte. Während dieser verhielt sich E. erneut aggressiv; sie versetzte dem Angeklagten Schläge und Tritte. Am nächsten Morgen ging der Streit weiter. Nachdem das spätere Opfer den Angeklagten von neuem provoziert und getreten hatte, wollte dieser die Wohnung verlassen. Dies gelang ihm jedoch nicht, weil E. die Tür verschlossen und die Schlüssel an sich genommen hatte. Sie griff den Angeklagten weiterhin an, schlug ihn mit einem Besenstiel und bedrohte ihn mit einem Messer. Sodann versuchte sie, den Angeklagten mit einem Antennenkabel zu schlagen. Dieser riss ihr das Kabel aus der Hand, wickelte es mehrfach um ihren Hals und zog es solange zu, bis sie sich nicht mehr bewegte. Sodann verknotete er es. Dabei verspürte der Angeklagte zugleich Wut, Aggression und Ohnmacht; er wollte, dass das Opfer mit seinem Verhalten aufhört und wusste sich nicht mehr anders zu helfen. Sachverständig beraten hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte sich bedingt durch einen Ausbruch narzisstischer Wut in einem Affektzustand befand, durch den seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert im Sinne von § 21 StGB war.
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Das Landgericht hat die Strafe dem oberen Bereich des Rahmens des § 213 StGB entnommen. Einen minder schweren Fall nach § 213 1. Alt. StGB hat es allein deshalb verneint, weil das vom Opfer beabsichtigte Schlagen mit einem Antennenkabel gegenüber dem körperlich weit überlegenen Angeklagten nicht als tatbestandsrelevante Provokation angesehen werden könne. Die Würdigung der Gesamtumstände einschließlich des vertypten Strafmilderungsgrundes des § 21 StGB führe jedoch zur Annahme eines sonstigen minder schweren Falles nach § 213 2. Alt. StGB.
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2. Die Begründung, mit der die Strafkammer einen minder schweren Fall des Totschlags nach § 213 1. Alt. StGB abgelehnt hat, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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Den Anforderungen an eine schwere Beleidigung im Sinne des § 213 1. Alt. StGB genügen nur solche Provokationen, die auf der Grundlage aller dafür maßgebenden Umstände unter objektiver Betrachtung und nicht nur aus der Sicht des Täters als schwer beleidigend zu beurteilen sind; denn der hohe Rang des durch § 212 StGB geschützten Rechtsguts und die unter den Voraussetzungen des § 213 StGB mildere Beurteilung der Vernichtung menschlichen Lebens gebieten es, die Anforderungen an die Schwere der Beleidigung und auch der auf die tatauslösende Situation zulaufenden Entwicklung der Täter-OpferBeziehung nicht zu niedrig anzusetzen. Mit dieser Maßgabe kann jedoch auch eine für sich gesehen nicht als gravierend einzustufende Beleidigung dann als schwer zu bewerten sein, wenn sie nach einer Reihe von Kränkungen oder ehrverletzenden Situationen der "Tropfen" war, der "das Fass zum Überlaufen" gebracht hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 22. Juni 1993 - 5 StR 254/93, BGHR StGB § 213 1. Alt. Beleidigung 8; Beschluss vom 21. Mai 2004 - 1 StR 170/04, NStZ 2004, 631, 632). Erforderlich ist deshalb stets eine Gesamtbetrachtung aller für die Beurteilung maßgeblichen Umstände (BGH, Urteil vom 10. Oktober 1989 - 1 StR 239/89, BGHR StGB § 213 1. Alt. Beleidigung 5).
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Eine solche Gesamtwürdigung lässt das angefochtene Urteil vermissen. Das Landgericht hat ausschließlich den versuchten Angriff des Opfers gegen den Angeklagten mit dem Antennenkabel und damit noch nicht einmal den Verlauf der der Tat vorausgehenden Auseinandersetzung, sondern lediglich die unmittelbar tatauslösende Handlung des Opfers in seine Betrachtung einbezogen. Es hätte indes die gesamte Entwicklung der Beziehung zwischen dem Opfer und dem Angeklagten in den Blick nehmen und prüfen müssen, ob bei einer sachgerechten Bewertung aller maßgebenden Umstände die Voraussetzungen des § 213 1. Alt. StGB gegeben sind.
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3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Höhe der Strafe, auf die das Landgericht erkannt hat, auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht. Das Landgericht hat zwar die Voraussetzungen eines minder schweren Falles des Totschlags nach § 213 2. Alt. StGB angenommen. Dabei hat es allerdings den vertypten Strafmilderungsgrund des § 21 StGB in die Beurteilung einbezogen und somit "verbraucht". Es erscheint indes möglich, dass die Strafkammer, hätte sie die Voraussetzungen des § 213 1. Alt. StGB bejaht, den Strafrahmen des § 213 StGB erneut nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert und eine geringere Strafe verhängt hätte.
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Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist eine derartige weitere Milderung des Strafrahmens nicht ausgeschlossen; denn der über den Erregungszustand im Sinne des § 213 1. Alt. StGB hinausgehende Affekt, der zu einer von dieser Bestimmung nicht vorausgesetzten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt, kann eine zusätzliche Strafrahmenverschiebung rechtfertigen, ohne dass dem § 50 StGB entgegensteht (BGH, Beschlüsse vom 13. August 1985 - 1 StR 250/85, NStZ 1986, 71; vom 6. November 1985 - 2 StR 590/85, NStZ 1986, 115; vom 8. Juni 1993 - 1 StR 276/93, BGHR StGB § 50 Mehrfachmilderung 3; vom 30. Juli 2008 - 2 StR 270/08, NStZ 2009, 91, 92). Bei der vom neuen Tatgericht gegebenenfalls zu treffenden Entscheidung, ob eine weitere Strafrahmenmilderung angezeigt ist, wird allerdings zu berücksichtigen sein, dass die Milderungsgründe durch die enge Verknüpfung zwischen der Kränkung und dem psychischen Zustand des Angeklagten auf dieselben Wurzeln zurückgehen (BGH, Urteil vom 22. Juni 1993 - 5 StR 254/93, BGHR StGB § 213 1. Alt. Beleidigung 8; Beschluss vom 30. Juli 2008 - 2 StR 270/08, NStZ 2009, 91, 92).
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4. Die getroffenen Feststellungen werden durch den aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt, sie können deshalb bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, sind möglich. Becker von Lienen Hubert Schäfer Mayer

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 581/06
vom
27. Februar 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 27. Februar
2007 gemäß §§ 44 ff., 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 31. Juli 2006 auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Damit ist der Verwerfungsbeschluss des Landgerichts vom 27. Oktober 2006 gegenstandslos.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere – als Schwurgericht zuständige – Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


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1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision.
2
2. Dem Angeklagten ist nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da ihn – wie sein Verteidiger vorgetragen und glaubhaft gemacht hat – an der Fristversäumung kein (Mit-) Verschulden trifft (§ 44 Satz 1 StPO).
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3. Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben. Der Strafausspruch hat jedoch keinen Bestand. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt: "Indes hält die Ablehnung eines sonst minder schweren Falles des Totschlags gemäß § 213, 2. Alt. StGB revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Im Rahmen der bei der Prüfung eines minder schweren Falles erforderlichen Gesamtbetrachtung sind alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (BGHSt 26, 97, 98 f.). Die vom Schwurgericht vorgenommene Abwägung schuldmildernder und schulderhöhender Faktoren begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Schwurgericht hat einzelnen Umständen einen schulderhöhenden Charakter zugewiesen , obwohl dies vorliegend rechtlich anerkannten Strafzumessungsgrundsätzen zuwiderläuft: Die Abwägung des Schwurgerichts (UA S. 42) erschöpft sich, soweit sie zu Lasten des Angeklagten geht, im Wesentlichen in einer bloßen Wiedergabe des Tathergangs. Dabei verstößt die Hervorhebung des Umstands, dass sich der Angeklagte trotz Rückzugsmöglichkeit überhaupt auf eine Konfrontation mit dem Geschädigten eingelassen hat, gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB, denn diese "Konfrontation" ist ja gerade Grund und Gegenstand der Aburteilung. Soweit das Schwurgericht es für beachtlich hält, dass der Angeklagte dem Geschädigten in dem Bewusstsein entgegen gegangen ist, in der rechten Hand ein Messer zu halten , erschöpft sich dieser Umstand ebenfalls in einer nochmaligen Verwertung des tatbestandlichen Unrechts (vgl. Tröndle /Fischer, 54. Aufl., § 46 Rdn. 77). Im Übrigen wertet das Schwurgericht unzulässigerweise das Ausbleiben von Rücktrittsbemühungen zu Lasten des Angeklagten, indem es hervorhebt , der Angeklagte habe sich nicht weiter um den schwer verletzten Geschädigten gekümmert (BGH, Beschluss vom 25. September 2002 - 1 StR 347/02). Zudem hat das Schwurgericht zu Ungunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er sich selbst in einen alkoholisierten Zustand versetzt hat. Abgesehen davon, dass eine nicht eigenverantwortliche Berauschung des Angeklagten ein strafmildernder Gesichtspunkt gewesen wäre oder unter bestimmten Voraussetzungen zur Einordnung des Angeklagten als strafloses Werkzeug geführt hätte, stellt eine Alkoholisierung für sich genommen jedenfalls keinen schulderhöhenden Umstand dar, zumal der Angeklagte nicht etwa im Hinblick auf die spätere Tatbegehung Alkohol zu sich genommen hat. Das Schwurgericht stellt ferner wesentlich zu Lasten des Angeklagten darauf ab, der Angeklagte habe die Tat aus nichtigem Anlass begangen. Dies rechtfertigt die Besorgnis, das Schwurgericht habe die strafzumessungsrechtliche Bedeutung der zur Tatzeit zugunsten des Angeklagten objektiv gegebenen Notwehrlage verkannt. Insofern wäre vom Schwurgericht vielmehr zu berücksichtigen gewesen, dass bei einer Tötung im Grenzbereich der Notwehr (Tröndle/Fischer, 54. Aufl., § 213 Rdn. 13), insbesondere bei Überschreitung der Grenzen der Notwehr ohne Erreichen der Voraussetzungen des § 33 StGB (BGH, Beschluss vom 29. März 2000 - 2 StR 71/00), bereits allein aus diesem Grunde die Annahme eines minder schweren Falles im Sinne des § 213, 2. Alt. StGB in Betracht kommen kann und dieser Umstand gerade nicht ohne weiteres einen zu Lasten des Angeklagten wirkenden "nichtigen Tatanlass" darstellt".
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Dem kann sich der Senat nicht verschließen. Tepperwien Kuckein Athing Solin-Stojanović Ernemann