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Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 274/17
vom
8. Februar 2018
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:080218U3STR274.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 8. Februar 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
Richter am Bundesgerichtshof Gericke, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Tiemann, Hoch als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten A. ,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten B. ,
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 17. November 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist.
2. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil in den Aussprüchen über das Absehen von der Verfallsanordnung gemäß § 111i Abs. 2 StPO aF aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zur Höhe des Erlangten aufrecht erhalten.
3. Im Umfang der jeweiligen Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die betreffend den Angeklagten A. weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft sowie die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt: Den Angeklagten A. unter Freispruch im Übrigen wegen schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in Tateinheit mit Zuhälterei in drei Fällen , versuchten schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in zwei Fällen, Zuhälterei, gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, Betruges in zwei Fällen, Anstiftung zur Körperverletzung in zwei Fällen sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren, den Angeklagten B. wegen schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in Tateinheit mit Zuhälterei in drei Fällen, versuchten schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in zwei Fällen, Zuhälterei, gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen, Betruges in drei Fällen sowie versuchten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren. Weiter hat es festgestellt , dass einer Verfallsanordnung Ansprüche Verletzter entgegenstehen und zwar betreffend beide Angeklagten als Gesamtschuldner haftend in Höhe von 275.224 € und darüber hinaus betreffend den Angeklagten A. allein in Höhe von 382.108,80 €.
2
Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren Revisionen , die auf die Nichtanordnung der Unterbringung der Angeklagten in der Sicherungsverwahrung und betreffend den Angeklagten A. weiter auch auf den Strafausspruch beschränkt sind. Die Angeklagten wenden sich jeweils mit der in allgemeiner Form erhobenen Sachrüge sowie mit Verfahrensbeanstandungen gegen ihre Verurteilungen.
3
Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft haben Erfolg, soweit sie sich gegen die unterbliebene Anordnung der Sicherungsverwahrung wenden. Die weitergehende den Angeklagten A. betreffende Revision sowie die Rechtsmittel der Angeklagten erweisen sich hingegen als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
4
A. Nach den Feststellungen des Landgerichts taten sich die Angeklagten, die zu dieser Zeit bereits seit einigen Jahren befreundet waren, im Jahr 2011 oder Anfang des Jahres 2012 zusammen, um durch die wirtschaftliche Ausnutzung ahnungsloser Frauen möglichst hohe eigene Einkünfte zu generieren. Der Angeklagte B. sollte dabei die Rolle des "Loverboys" übernehmen, den Kontakt zu attraktiven jungen Frauen herstellen und sich als an materiellen Dingen nicht interessierten Mann gerieren. Um die Frauen zum Eingehen einer Beziehung zu bringen, spiegelte er ihnen das Interesse an einer langfristigen Beziehung und späteren Familiengründung vor. Der Angeklagte A. sollte die Rolle des geheimnisvollen und eventuell auch nicht ungefährlichen Freundes des Angeklagten B. übernehmen, der ihm eng verbunden war. Nach Aufnahme der Beziehung zu dem Angeklagten B. sollten die Frauen von ihren Familien, Freunden und Bekannten isoliert werden, um ihre sozialen Kontakte weitgehend auf die Angeklagten zu beschränken. Danach sollten alle erdenklichen Möglichkeiten genutzt werden, um die Frauen wirtschaftlich auszunutzen, wobei sie jedenfalls zur Aufnahme der Prostitutionstätigkeit gebracht werden sollten. Dabei wollten die Angeklagten sie engmaschig überwachen; die Frauen sollten ihre gesamten Einnahmen abgeben. Auch wenn das Versprechen der späteren Familiengründung mit dem Angeklagten B. als Motivation für die Prostitutionstätigkeit diente, sollten die Frauen darüber hinaus - bei aus Sicht der Angeklagten unzureichender Arbeitsleistung - durch körperliche Übergriffe oder deren Androhung und verbale Herabwürdigungen unter Druck gesetzt und so zu größeren Anstrengungen bewegt werden. Gegebenenfalls sollten sie auch zur Aufnahme von Darlehen gebracht werden, deren Valuta von den Angeklagten vereinnahmt wurden; dadurch konnte - wegen der Verpflichtung zur Darlehensrück - bzw. Ratenzahlung, der sich die Frauen allein ausgesetzt sahen - wiederum Druck auf sie aufgebaut werden, der jedenfalls zum Teil auch dazu genutzt wurde, sie überhaupt zur Aufnahme der Prostitutionstätigkeit zu bringen. In den folgenden Jahren setzten die Angeklagten ihren Plan zum Nachteil von vier einheimischen Frauen bürgerlicher Herkunft, den Nebenklägerinnen, um. Drei von ihnen leiden immer noch psychisch unter dem Tatgeschehen und sind infolge der Straftaten zudem finanziell ruiniert.
5
Das Landgericht hat wegen der verfahrensgegenständlichen Taten des (versuchten) schweren Menschenhandels gegen den Angeklagten A. fünf Einzelfreiheitsstrafen zwischen drei Jahren und sieben Jahren und sechs Monaten bzw. gegen den Angeklagten B. zwischen einem Jahr und sechs Monaten und fünf Jahren und sechs Monaten verhängt. Wegen der Taten der Zuhälterei und der Körperverletzungsdelikte zum Nachteil der Frauen hat es gegen den Angeklagten A. unter anderem Freiheitsstrafen von zwei Jahren und neun Monaten, zweimal einem Jahr und sechs Monaten sowie einem Jahr und zwei Monaten verhängt und gegen den Angeklagten B. solche von zwei Jahren , zweimal einem Jahr und sechs Monaten, einem Jahr und vier Monaten sowie zweimal einem Jahr. Bei der Prüfung einer etwaigen Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit der Angeklagten hat die sachverständig beratene Strafkammer ausgeführt, bei dem Angeklagten B. lägen dissoziale Verhaltenszüge und emotional-instabile Züge vor, die den Grad einer Persönlichkeitsstörung jedoch nicht erreichten. Den Lebenslauf des Angeklagten A. zeichne ein dissoziales Verhalten und eine Einbindung in ein kriminelles Milieu aus, in dem er seine narzisstischen Persönlichkeitszüge habe ausleben können; er habe letztlich einen kriminellen Lebensentwurf.
6
B. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft
7
I. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind zulässig erhoben.
8
Dem steht nicht entgegen, dass die Staatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 2. März 2017 zur Begründung der am 21. November 2016 eingelegten Revisionen "zunächst" nur allgemein die Verletzung sachlichen Rechts gerügt und eine weitergehende Begründung und konkrete Revisionsanträge erst mit Schriftsatz vom 5. Mai 2017 abgegeben hatte. Zwar kann eine Revision der Staatsanwaltschaft, die innerhalb der Revisionsbegründungsfrist nur mit der allgemeinen Sachrüge begründet wird, unzulässig sein, wenn sich daraus der konkrete Umfang der Anfechtung nicht zweifelsfrei ergibt; das kommt etwa in Betracht, wenn das Urteil mehrere Angeklagte und/oder mehrere Taten betrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2002 - 5 StR 336/02, NJW 2003, 839), wenn ein teilweise verurteilendes, teilweise freisprechendes Erkenntnis sowohl zu Lasten als auch zu Gunsten der Angeklagten angefochten sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 2009 - 2 StR 324/09, NStZ-RR 2010, 288), oder wenn aus anderen Gründen der Anfechtungsumfang unklar bleibt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 2015 - 3 StR 163/15, wistra 2016, 164 f.). So verhält es sich hier indes nicht. Im Einzelnen:
9
Im Zeitpunkt der Erhebung der allgemeinen Sachrüge mit Schriftsatz vom 2. März 2017 war der Staatsanwaltschaft das Urteil des Landgerichts Düsseldorf gemäß der Verfügung des Vorsitzenden Richters der Strafkammer vom 1. Februar 2017 noch nicht zugestellt, sondern lediglich eine Urteilsabschrift formlos übersandt worden. Ausweislich der Verfügung des zuständigen Staatsanwalts vom 2. März 2017 gab er die Revisionsbegründung mit Erhebung der allgemeinen Sachrüge nur aus Gründen äußerster Vorsicht ab.
10
Tatsächlich ordnete der Vorsitzende der Strafkammer erst mit Verfügung vom 30. März 2017 die Zustellung des Urteils gemäß § 41 StPO an, die am 10. April 2017 bewirkt wurde. Angesichts dessen war die Revisionsbegründungsfrist gemäß § 345 Abs. 1 StPO am 5. Mai 2017, als die Staatsanwaltschaft den Anfechtungsumfang ihrer Rechtsmittel konkretisierte, noch nicht verstrichen. Denn durch die formlose Übersendung der Urteilsabschrift wurde die Frist nach § 345 Abs. 1 StPO nicht in Lauf gesetzt: Die Frist beginnt in Fällen wie dem vorliegenden, in denen bei Ablauf der Revisionseinlegungsfrist das Urteil noch nicht zugestellt ist, nach § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO mit der Zustellung des Urteils; Zustellungen an die Staatsanwaltschaft bedürfen - wie jede Zustellung - einer Anordnung des Vorsitzenden (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO) und werden von der Geschäftsstelle (§ 36 Abs. 1 Satz 2 StPO) - da bei Urteilen kein Fall von § 36 Abs. 2 StPO vorliegt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 36 Rn. 10, 12) - entweder nach § 37 Abs. 1 StPO in Verbindung mit den entsprechenden Regelungen der Zivilprozessordnung oder nach § 41 StPO bewirkt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2016 - 4 StR 253/16, BGHR StPO § 36 Abs. 1 Anordnung 1). Die Zustellung des Urteils (nach § 41 Satz 1 StPO durch Vorlegung der Urschrift des zuzustellenden Schriftstücks) ordnete der Vorsitzende der Strafkammer indes - trotz der insoweit missverständlichen Formulierung , dass das Urteil "nochmals gemäß § 41 StPO zugestellt werden" sollte - erstmals und ausschließlich am 30. März 2017 an. Das diese Anordnung umsetzende Schreiben der Geschäftsstelle des Landgerichts vom 6. April 2017 ging zusammen mit den Akten, in denen sich die Urschrift des Urteils befand, am 10. April 2017 bei der Staatsanwaltschaft ein, so dass die einmonatige Revisionsbegründungsfrist erst dann zu laufen begann.
11
Die von dem Verteidiger des Angeklagten A. in der Hauptverhandlung zur Begründung seiner Gegenauffassung zitierte Rechtsprechung betrifft die vorliegende Fallkonstellation nicht. Jenen Entscheidungen lag zugrunde, dass der Vorsitzende in der Zustellungsverfügung die Vorschrift des § 41 StPO zwar nicht ausdrücklich erwähnt hatte, die Zustellung aber anordnete und der Zustellungswille für die Staatsanwaltschaft erkennbar war (vgl. BayObLG, Beschluss vom 7. September 1995 - 2 ObOWi 600/95, BayObLGSt 1995, 154, 156; OLG Hamm, Beschluss vom 22. Mai 1981 - 6 Ss 802/81, JMBl. NW 1982, 21 f.). Hier wurde der Staatsanwaltschaft aber - wie dargelegt - nur eine Urteilsabschrift ohne Akten formlos übersandt; angesichts dessen kann keine Rede davon sein, dass aus der Übersendungsverfügung in Verbindung mit der aus den Akten zu ersehenden Verfahrenslage für die empfangende Staatsanwaltschaft erkennbar war, dass die Übersendung der Abschrift die - so in der StPO nicht vorgesehene - Zustellung des Urteils an sie bezweckte (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 6. Juli 2016 - 4 StR 253/16, BGHR StPO § 36 Abs. 1 Anordnung

1).

12
Wurde das Urteil der Staatsanwaltschaft damit erst am 10. April 2017 ordnungsgemäß zugestellt, lag die den Anfechtungsumfang konkretisierende Revisionsbegründungsschrift vom 5. Mai 2017 innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO.
13
II. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind auch überwiegend begründet.
14
1. a) Die Revision der Staatsanwaltschaft betreffend den Angeklagten A. ist ausweislich der Revisionsbegründung rechtswirksam auf den Strafausspruch und die Nichtanordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beschränkt.
15
b) Das nur hinsichtlich des unterbliebenen Maßregelausspruchs vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat auch nur in diesem Umfang Erfolg.
16
aa) Soweit sich die Staatsanwaltschaft gegen den Strafausspruch betreffend den Angeklagten A. wendet, ist ihre Revision entsprechend den Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
17
bb) Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung hält jedoch revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
18
Die Urteilsgründe verhalten sich zu der Möglichkeit der Anordnung dieser Maßregel nicht, so dass nicht erkennbar ist, ob das Landgericht deren Voraussetzungen geprüft hat. Dies erweist sich hier - ungeachtet des Umstands, dass die Staatsanwaltschaft die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung in der Hauptverhandlung nicht beantragt hatte und deshalb eine verfahrensrechtliche Pflicht zur Erörterung nach § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO nicht bestand - als rechtsfehlerhaft. Es stellt einen sachlichrechtlichen Mangel dar, wenn das Tatgericht die Sicherungsverwahrung nicht prüft, obwohl deren formelle Voraussetzungen gegeben sind und die Feststellungen die Annahme nahe legen, dass der Täter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist (BGH, Urteile vom 20. Oktober 2010 - 2 StR 404/10, juris Rn. 7; vom 9. Juni 1999 - 3 StR 89/99, BGHR StGB § 66 Abs. 3 Begründung 1). So verhält es sich hier:
19
Die formellen Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB liegen ausweislich der insoweit verhängten Einzelstrafen schon allein wegen der fünf Fälle des (versuchten) Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung vor. Darüber hinaus drängten die Feststellungen mit Blick auf den mehrfach bereits zu Freiheitsstrafen verurteilten Angeklagten A. , der auch schon - wenn auch länger zurückliegend - Haft verbüßte, zur Erörterung, ob dieser infolge eines Hanges zu erheblichen Straf- taten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich war (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB). Dies folgt hier schon daraus, dass der Angeklagte nach den Ausführungen beider Sachverständiger einen kriminellen Lebensentwurf verfolgt bzw. sich dissozial in einem von ihm gewählten kriminellen Milieu bewegt, in dem er seine narzisstischen Persönlichkeitszüge auslebt. Dabei beging er über mehr als drei Jahre erhebliche Straftaten zum Nachteil der Nebenklägerinnen, die in den Katalog des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB fallen. Es liegt nicht fern, dass von ihm auch in Zukunft solche Taten zu erwarten wären; jedenfalls hätte dies vom Landgericht erörtert werden müssen.
20
2. a) Das Rechtsmittel betreffend den Angeklagten B. ist rechtswirksam auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Zwar heißt es in dem abschließenden Antrag der beide Angeklagten betreffenden Revisionsbegründung , dass die Aufhebung - auch - des Strafausspruchs beantragt werde. Im Text der Revisionsrechtfertigung hat die Staatsanwaltschaft Mängel der Strafzumessung indes allein betreffend den Angeklagten A. gerügt. Folglich widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründungsschrift. Dies führt nach ständiger Rechtsprechung dazu, dass das Angriffsziel durch Auslegung zu ermitteln ist (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 30. November 2017 - 3 StR 385/17, NStZ-RR 2018, 86 mwN), die hier ergibt, dass die Staatsanwaltschaft betreffend den Angeklagten B. allein die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beanstandet.
21
b) Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg, denn in der Nichterörterung der Möglichkeit der Anordnung der Sicherungsverwahrung liegt ebenfalls ein sachlich-rechtlicher Mangel:
22
Auch betreffend den Angeklagten B. liegen die formellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 2 StGB vor; auch bei ihm drängten die Feststellungen zur Prüfung des Vorliegens eines Hanges im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB. Zwar ist bei diesem Angeklagten durch die ihn begutachtenden Sachverständigen keine vergleichbare Einbindung in ein kriminelles Milieu wie bei dem Angeklagten A. festgestellt worden; seine Vorstrafen sind nicht soerheblich und er wurde noch nicht zu Freiheitsstrafen verurteilt. Es ist weiter nicht zu verkennen , dass die materiellrechtliche Pflicht zur Prüfung der Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht in allen Fällen bestehen kann, in denen die formellen Voraussetzungen etwa nach § 66 Abs. 2 StGB gegeben sind; vielmehr ist daneben in jedem Einzelfall die Feststellung von Umständen erforderlich, die eine hangbedingte Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit jedenfalls naheliegend erscheinen lassen.
23
Hier ergab sich das Erfordernis zur Erörterung eines Hangs und einer daraus möglicherweise für die Allgemeinheit resultierenden Gefährlichkeit des Angeklagten aus dem Tatbild der zur Verurteilung gelangten Taten. Diese zeichneten sich dadurch aus, dass beide Angeklagten ihren Plan zur Ausbeutung ihrer Opfer immer weiter perfektionierten und den Druck auf sie stetig erhöhten, die dadurch bedingten - nachvollziehbaren - Ausfälle und Erschöpfungszustände der Frauen mit Gewalt beantworteten und durch die Schaffung pseudoreligiöser Konstrukte deren Abhängigkeit vertieften bzw. zu vertiefen suchten. Der Angeklagte B. beging so über einen langen Zeitraum erhebliche Anlasstaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB, deren Intensität stetig zunahm; allein dies hätte die Strafkammer auch hinsichtlich dieses Angeklagten zu einer Gesamtwürdigung seiner Person und seiner Taten veranlassen müssen , um die Frage des Vorliegens eines Hangs zu erheblichen Straftaten und seiner Gefährlichkeit für die Allgemeinheit auf zuverlässiger Tatsachengrundlage zu beantworten.
24
C. Die Revisionen der Angeklagten haben nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, im Übrigen erweisen sie sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
25
I. Die Verfahrensbeanstandungen greifen aus den Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts nicht durch. Ergänzend dazu gilt Folgendes :
26
1. Die von dem Angeklagten A. erhobene Rüge der Verletzung von § 243 Abs. 4 StPO bzw. eines Verstoßes gegen die gerichtliche Fürsorgepflicht und die Regeln eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 und 3 Buchstabe b MRK) erweist sich auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Verteidigers in der Revisionshauptverhandlung als unbegründet, weil ein Verfahrensverstoß jedenfalls nicht erwiesen ist. Dies folgt aus einer Gesamtwürdigung des Revisionsvortrags , der Revisionsgegenerklärung und insbesondere der inhaltlich eindeutigen dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden Richters, nach der er es ausschloss, entsprechend der anwaltlichen Erklärung von Rechtsanwalt Al. einen Zusammenhang zwischen dem Verfahrensergebnis und anderen beider Strafkammer anhängigen Verfahren hergestellt und den Verteidiger - auch nicht sinngemäß - darum gebeten zu haben, für irgendeinen Verfahrensablauf zu sorgen; er habe insoweit auch keine Äußerungen zur Strafzumessung gemacht. Da die Mitverteidiger bei den Gesprächen zwischen Rechtsanwalt Al. und dem Vorsitzenden Richter nicht zugegen waren, können sie über deren Inhalt keine Angaben aus eigener Wahrnehmung machen, sondern lediglich darüber, was ihnen darüber gesagt worden sei. Der Senat sieht deshalb unter Aufklärungsgesichtspunkten keine Veranlassung, von ihnen Auskünfte über die Berichte einzuholen, die Rechtsanwalt Al. ihnen über seine Gespräche gegeben habe; denn sie könnten allenfalls vom Hörensagen das wiederholen,was Rechtsanwalt Al. bereits in seiner vollständig in der Revisionsbegründung wiedergegebenen anwaltlichen Erklärung niedergelegt hat. Da dieser Schilderung - wie dargelegt - die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden Richters entgegensteht , bleibt es bei der Nichterweislichkeit des Verfahrensverstoßes; nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der abzuweichen der vorliegende Fall keinen Anlass bietet, geht dieses Ergebnis zu Lasten des Beschwerdeführers , insbesondere gilt der Zweifelssatz nicht hinsichtlich der Erweislichkeit von Tatsachen, aus denen sich ein Verfahrensverstoß ergeben soll (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2006 - 1 StR 268/06, BGHSt 51, 180, 183 mwN; BVerfG, Beschluss vom 11. November 2001 - 2 BvR 1151/01, StV 2002, 521).
27
2. Zu der von dem Angeklagten B. erhobenen Rüge, dieStrafkammer habe seinen Beweisantrag vom 19. September 2016 zu Unrecht als Beweisermittlungsantrag behandelt, gilt Folgendes: Das Landgericht hat den Antrag in der Sache erkennbar als aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung abgelehnt. Eine Verletzung von § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO oder der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO liegt danach nicht vor.
28
II. Die auf die Sachrügen veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Fehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Die Entscheidungen nach § 111i Abs. 2 StPO aF, von der Anordnung des Verfalls abzusehen, weil Ansprüche der Geschädigten entgegenstehen , kann indes keinen Bestand haben. Auch im Rahmen der nach § 111i Abs. 2 StPO aF zu treffenden Entscheidung hat das Tatgericht die Regelung des § 73c Abs. 1 StGB aF zu beachten (BGH, Beschluss vom 18. März 2015 - 3 StR 644/14, wistra 2015, 270 mwN). Deren Prüfung ist hier rechtsfehlerhaft unterblieben. Dafür, dass die Voraussetzungen des § 73c StGB im vorliegenden Fall nicht zu erörtern gewesen wären, bieten die Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Angeklagten keinen Anhalt.
29
Die Feststellungen dazu, was die Angeklagten aus den Taten erlangten, sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben.
Becker Gericke Spaniol RiBGH Dr. Tiemann ist erkrankt und daher gehindert zu unterschreiben. Becker Hoch

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(1) Ist jemandem aus der Tat ein Anspruch auf Ersatz des Wertes des Erlangten erwachsen und wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arrestschuldners eröffnet, so erlischt das Sicherungsrecht nach § 111h Absatz 1 an dem Gegenstand oder an dem durch dessen Verwertung erzielten Erlös, sobald dieser vom Insolvenzbeschlag erfasst wird. Das Sicherungsrecht erlischt nicht an Gegenständen, die in einem Staat belegen sind, in dem die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht anerkannt wird. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für das Pfandrecht an der nach § 111g Absatz 1 hinterlegten Sicherheit.

(2) Sind mehrere Anspruchsberechtigte im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 vorhanden und reicht der Wert des in Vollziehung des Vermögensarrestes gesicherten Gegenstandes oder des durch seine Verwertung erzielten Erlöses zur Befriedigung der von ihnen geltend gemachten Ansprüche nicht aus, so stellt die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arrestschuldners. Die Staatsanwaltschaft sieht von der Stellung eines Eröffnungsantrags ab, wenn begründete Zweifel daran bestehen, dass das Insolvenzverfahren auf Grund des Antrags eröffnet wird.

(3) Verbleibt bei der Schlussverteilung ein Überschuss, so erwirbt der Staat bis zur Höhe des Vermögensarrestes ein Pfandrecht am Anspruch des Schuldners auf Herausgabe des Überschusses. In diesem Umfang hat der Insolvenzverwalter den Überschuss an die Staatsanwaltschaft herauszugeben.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung: ja
Bei einem Strafverfahren gegen mehrere Angeklagte,
denen eine Vielzahl von Straftaten zur Last gelegt wird, läßt
sich aus einer nicht näher ausgeführten allgemeinen Sachrüge
das Anfechtungsziel der Staatsanwaltschaft nicht sicher
ermitteln. Es bedarf vielmehr eines ausdrücklichen Antrags
im Sinne der § 344 Abs. 1, § 352 Abs. 1 StPO, um das Begehren
der Beschwerdeführerin hinreichend klar zu erkennen.
BGH, Beschl. v. 7. November 2002 - 5 StR 336/02
LG Hamburg –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 7. November 2002
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Diebstahls u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. November 2002

beschlossen:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 13. November 2001 werden nach § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen.
Die Kosten der Rechtsmittel und die den Angeklagten durch diese Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
G r ü n d e Das Landgericht hat vier Angeklagte von dem Vorwurf, sich in mehre- ren Fällen des Diebstahls, der Bestechlichkeit und der Bestechung strafbar gemacht zu haben, freigesprochen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft. Zur Begründung der Revision rügt sie allgemein die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel ist unzulässig. Weder die Revisionseinlegungsschrift noch die Revisionsbegründung enthalten den nach § 344 Abs. 1 StPO erforderlichen Revisionsantrag, durch den der Umfang der Urteilsanfechtung bezeichnet wird. Das Fehlen eines solchen ausdrücklichen Antrags ist zwar dann unschädlich, wenn sich der Umfang der Anfechtung aus dem Inhalt der Revisionsbegründung ergibt. So ist nach der Rechtsprechung bei Revisionen des Angeklagten in der Erhebung der uneingeschränkten allgemeinen Sachrüge regelmäßig die Erklärung zu sehen, daß das Urteil insgesamt angefochten werde (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 1, 4; BGH NStZ-RR 2000, 38; BGH NStZ 1990, 96; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 344 Rdn. 2 m. w. N.). Auch bei Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers bedarf es in der Regel dann keines förmlichen Revisionsan- trags, wenn das Ziel der Revision aus dem Inhalt der Revisionsschrift oder dem Gang des bisherigen Verfahrens eindeutig hervorgeht (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 1; BGH bei Miebach NStZ 1989, 221; BGH, Urteile vom 7. Dezember 1982 – 1 StR 739/82 – und vom 12. August 1998 – 3 StR 196/98; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 344 Rdn. 4 m. w. N.). So liegt es hier jedoch nicht. Bei einem Strafverfahren gegen mehrere Angeklagte, denen eine Vielzahl von Straftaten zur Last gelegt wird, läßt sich aus einer nicht näher ausgeführten allgemeinen Sachrüge das Anfechtungsziel der Staatsanwaltschaft nicht sicher ermitteln. Es bedarf vielmehr eines ausdrücklichen Antrags im Sinne der § 344 Abs. 1, § 352 Abs. 1 StPO, um das Begehren der Beschwerdeführerin hinreichend klar zu erkennen. Das in § 344 Abs. 1 StPO enthaltene Erfordernis, daß der Revisionsantrag den Umfang der Anfechtung erkennen lassen muß, ist vor allem in den Fällen von besonderer Bedeutung, in denen das Urteil wie hier mehrere Angeklagte und mehrere selbständige Straftaten betrifft. Die allgemeine Sachrüge macht nämlich – im Gegensatz zu einer insoweit begründeten Revision eines Angeklagten – nicht deutlich, daß damit alle Rechtsmittel begründet werden sollen. Richtet sich die Revision gegen ein Urteil mit mehreren selbständigen Tatvorwürfen, bleibt der Umfang des Revisionsangriffs unklar. Es ist nämlich gerade nicht selbstverständlich , daß die Staatsanwaltschaft ihren Verfolgungswillen nach Durchführung einer Hauptverhandlung entsprechend ihrer Anklageschrift aufrechterhält. Sie ist – als insoweit unabhängiges Rechtspflegeorgan – in jedem Stadium des Verfahrens zur Prüfung des Umfangs der Strafverfolgung verpflichtet. Das Ergebnis dieser Prüfung muß hier – wie es Nr. 156 Abs. 2 RiStBV vorsieht – in einem Revisionsantrag Ausdruck finden. Damit wird keine sachwidrige Ungleichbehandlung im Vergleich mit einer Revision eines Angeklagten begründet. Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urt. vom 4. September 1952 – 5 StR 51/52), daß im Hinblick auf sachliche Besonderheiten einer staatsanwaltschaftlichen Revision deren Begründung strenger auszulegen ist als die der Angeklagten und Nebenbeteiligten. Dies wird ganz besonders deutlich in Fällen der vorliegen- den Art: Die Angeklagten sollen zum Teil gemeinschaftlich, zum Teil allein und zum Teil als Gehilfen handelnd in 16 selbständigen Fällen Gedenkmünzen aus verschiedenen Landeszentralbanken entwendet sowie für die rechtswidrige Entwendung Provisionen gezahlt bzw. erhalten haben. Da die Rechtsmittel den Anforderungen des § 344 Abs. 1 StPO nicht genügen, sind sie als unzulässig zu verwerfen. Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 2 StPO (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 473 Rdn. 15).
Harms Häger Raum Brause Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 163/15
vom
10. Dezember 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
Nebenbeteiligte:
a)
b)
wegen zu 1. - 4.: banden- und gewerbsmäßigen Betruges
zu 5.: Beihilfe zum Betrug
ECLI:DE:BGH:2015:101215U3STR163.15.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Dezember 2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof Hubert, Mayer, Gericke, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten S. ,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten K. ,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten L. ,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten R. ,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten T. ,
Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenbeteiligten S. K. ,
Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 31. Juli 2014 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten sowie den Nebenbeteiligten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten S. , K. , L. und R. jeweils wegen banden- und gewerbsmäßigen Betruges in vier Fällen (S. ), in drei Fällen (K. und L. ) bzw. in einem Fall (R. ), den Angeklagten T. wegen Beihilfe zum Betrug und den Angeklagten V. wegen Betruges zu Gesamtfreiheitsstrafen von zehn Jahren und sechs Mona- ten (S. ), acht Jahren und neun Monaten (L. ), sieben Jahren und neun Monaten (K. ) bzw. zu Freiheitsstrafen von sechs Jahren (R. ), zwei Jahren und zehn Monaten (V. ) und zwei Jahren und sechs Monaten (T. ) verurteilt. Gegen zwei weitere nicht revidierende Mitangeklagte hat es jeweils wegen Beihilfe zum Betrug auf Freiheitsstrafen erkannt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Eine von der Staatsanwaltschaft gegen fünf der Angeklagten, die beiden Nebenbeteiligten und elf weitere Drittbegünstigte beantragte Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO hat es nicht getroffen.
2
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg; es ist unzulässig.
3
Gemäß § 344 Abs. 1 StPO hat der Beschwerdeführer die Erklärung abzugeben , inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage. Dies hat innerhalb der Revisionsbegründungsfrist gemäß § 345 Abs. 1 StPO zu geschehen; spätere klarstellende Ausführungen oder Ergänzungen sind unbeachtlich.
4
Einen den Anforderungen des § 344 Abs. 1 StPO genügenden Antrag hat die Staatsanwaltschaft innerhalb der Frist zur Begründung des Rechtsmittels nicht gestellt, denn aus der Revisionseinlegungsschrift und der Revisionsbegründung ist nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, gegen wen sich das Rechtsmittel richtet und in welchem Umfang genau Feststellungen nach § 111i Abs. 2 StPO erstrebt werden. Das ergibt sich aus Folgendem:
5
1. Die Revision ist zunächst am 1. August 2014 nach § 341 Abs. 1 StPO - ohne jegliche namentliche Bezeichnung - gegen das acht Angeklagte betreffende Urteil insgesamt eingelegt und - in allgemeiner Form - mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet worden.
6
Mit der Revisionsbegründung vom 16. Dezember 2014 hat die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel "auf die Ablehnung einer Feststellung nach § 111i StPO" beschränkt. Im Eingang der Revisionsbegründung hat sie die acht Angeklagten aufgeführt, die Nebenbeteiligten hat sie hingegen nicht genannt. In der Begründung hat sie sodann ihren Antrag aus der Hauptverhandlung wiedergegeben , mit dem sie die Feststellung im Urteilstenor begehrt hatte, dass den Angeklagten S. , K. , L. , R. und T. sowie den beiden Nebenbeteiligten und sechs weiteren Drittbegünstigten (einer natürlichen und fünf juristischen Personen) aus den Taten Vermögenswerte zugeflossen seien und von der Anordnung von Verfall bzw. Wertersatzverfall wegen entgegenstehender Ansprüche Dritter abzusehen sei. In ihrem wiedergegebenen Antrag hatte sie weiter die Feststellung in den Urteilsgründen begehrt, dass und in welcher Höhe die fünf genannten Angeklagten, die Nebenbeteiligten und nunmehr zwölf weitere Drittbegünstigte (eine natürliche und elf juristische Personen ) mindestens Geldbeträge erlangt hätten.
7
Auf den folgenden Seiten der Revisionsbegründung hat die Staatsanwaltschaft den Tenor des landgerichtlichen Urteils sowie Feststellungen zu Zahlungen der Geschädigten und Verwendung dieser Zahlungsmittel wiedergegeben , um sodann auf fast 400 Seiten die im laufenden Verfahren angeordneten dinglichen Arreste mitzuteilen. Diese betreffen die genannten fünf Angeklagten, nur eine der beiden Nebenbeteiligten (I. S. ) und 18 Drittbegünstigte (zwei natürliche und 16 juristische Personen), von denen sechs Drittbegünstigte (eine natürliche und fünf juristische Personen) in den wiedergegebenen Anträgen der Staatsanwaltschaft bislang nicht erwähnt worden waren. Nach weiteren Ausführungen, insbesondere auch einer rechtlichen Würdigung, in der sie dargelegt hat, warum sie das Unterlassen der Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO durch die Strafkammer für rechtsfehlerhaft hält, schließt die Revisionsbegründung mit dem nicht auf Personen, sondern auf Fälle bezogenen Antrag, das angefochtene Urteil "aufzuheben, soweit Feststellungen nach § 111i StPO in Bezug auf die Taten zu Ziff. 1 bis 6 der Urteilsgründe unterblieben" seien. Der Fall zu Ziff. 6 der Urteilsgründe betrifft allein den Angeklagten V. , der an den anderen abgeurteilten Taten nicht beteiligt war, hinsichtlich dessen die Staatsanwaltschaft eine Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung nicht begehrt hatte und in dessen Vermögen ein Arrest nicht angeordnet worden war.
8
Die Revision gegen die beiden nichtrevidierenden Angeklagten hat die Staatsanwaltschaft drei Wochen später unter dem 7. Januar 2015 zurückgenommen (Eingang beim Landgericht am 14. Januar 2015). Auf eine über den Generalbundesanwalt vermittelte Anfrage des Senats hat sie mit Schriftsatz vom 5. November 2015 mitgeteilt, dass sich das Rechtsmittel gegen die Angeklagten S. , K. , L. , R. und T. richte; gegen den Angeklagten V. bestehe kein dinglicher Arrest. Ziel der Revision sei "auch die Feststellung, dass den in der Revisionsbegründung genannten Drittbegünstigten aus den Taten Vermögenswerte zugeflossen [seien] und von der sonst gebotenen Anordnung von Verfall bzw. Wertverfallersatz gleichwohl wegen entgegenstehender Ansprüche Verletzter abgesehen" werde. Im Termin zur Revisionshauptverhandlung hat der Sitzungsvertreter des Generalbundesanwalts die Revision gegenüber dem Angeklagten V. zurückgenommen und das Rechtsmittel im Übrigen vertreten.
9
2. Innerhalb der maßgeblichen Revisionsbegründungsfrist war damit nicht ersichtlich, ob sich das Rechtmittel, gegen alle acht Angeklagten, nur gegen fünf oder - worauf der Revisionsantrag hindeutete - gegen sechs der Angeklagten richtete. Ebenso war nicht eindeutig erkennbar, ob die Nebenbeteiligten Gegner des Rechtsmittelangriffs sein sollten, denn im wiedergegebenen Antrag waren beide genannt, in der weiteren Begründung wurde aber nur der Arrestbeschluss gegenüber I. S. wiedergegeben. Der Umstand, dass gegenüber dem Angeklagten V. sowie gegenüber den nicht revidierenden Angeklagten kein Arrest bestand, wurde von der Staatsanwaltschaft als Begründung dafür genommen, dass sich das Rechtsmittel nicht gegen diese richten sollte. Gleiches müsste nach der Begründung dann auch für die Nebenbeteiligte S. K. gelten, wenn gegenüber ihr kein dinglicher Arrest vorlag. Erst recht blieb offen, ob die bislang am Verfahren nicht gemäß §§ 442, 431 StPO beteiligten Drittbegünstigten vom Rechtsmittelangriff erfasst sein sollten und wenn ja, ob die sechs oder die zwölf in den erstinstanzlichen Anträgen genannten oder auch die sechs weiteren in der Revisionsbegründung im Zusammenhang mit den Arrestbeschlüssen aufgeführten.
10
Angesichts dieser unklaren und widersprüchlichen Angaben war die Revisionsbegründung nicht in der Lage, den Umfang der Urteilsanfechtung zweifelsfrei festzulegen, womit sich das Rechtsmittel insgesamt als unzulässig erweist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. November 2009 - 2 StR 324/09, NStZ-RR 2010, 288; vom 7. November 2002 - 5 StR 336/02, NJW 2003, 839). Insoweit führte eine etwaige in dem Schriftsatz vom 5. November 2015 enthaltene Klarstellung oder die gegenüber einzelnen Angeklagten erklärte Revisionsrücknahme nicht zu einem anderen Ergebnis, weil diese erst nach Ablauf der mit Zustellung des Urteils am 2. Dezember 2014 in Lauf gesetzten Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO zur Akte gelangten und damit verspätet waren.
Becker Hubert Mayer Gericke Spaniol

Zustellungen an die Staatsanwaltschaft erfolgen durch elektronische Übermittlung (§ 32b Absatz 3) oder durch Vorlegung der Urschrift des zuzustellenden Schriftstücks. Wenn mit der Zustellung der Lauf einer Frist beginnt und die Zustellung durch Vorlegung der Urschrift erfolgt, so ist der Tag der Vorlegung von der Staatsanwaltschaft auf der Urschrift zu vermerken. Bei elektronischer Übermittlung muss der Zeitpunkt des Eingangs (§ 32a Absatz 5 Satz 1) aktenkundig sein.

(1) Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn das Urteil später als einundzwanzig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen Monat und, wenn es später als fünfunddreißig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen weiteren Monat. War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung des Urteils und in den Fällen des Satzes 2 der Mitteilung des Zeitpunktes, zu dem es zu den Akten gebracht ist.

(2) Seitens des Angeklagten kann dies nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen.

(1) Die Zustellung von Entscheidungen ordnet der Vorsitzende an. Die Geschäftsstelle sorgt dafür, daß die Zustellung bewirkt wird.

(2) Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, sind der Staatsanwaltschaft zu übergeben, die das Erforderliche veranlaßt. Dies gilt nicht für Entscheidungen, welche die Ordnung in den Sitzungen betreffen.

(1) Für das Verfahren bei Zustellungen gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(2) Wird die für einen Beteiligten bestimmte Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte bewirkt, so richtet sich die Berechnung einer Frist nach der zuletzt bewirkten Zustellung.

(3) Ist einem Prozessbeteiligten gemäß § 187 Absatz 1 und 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes eine Übersetzung des Urteils zur Verfügung zu stellen, so ist das Urteil zusammen mit der Übersetzung zuzustellen. Die Zustellung an die übrigen Prozessbeteiligten erfolgt in diesen Fällen gleichzeitig mit der Zustellung nach Satz 1.

Zustellungen an die Staatsanwaltschaft erfolgen durch elektronische Übermittlung (§ 32b Absatz 3) oder durch Vorlegung der Urschrift des zuzustellenden Schriftstücks. Wenn mit der Zustellung der Lauf einer Frist beginnt und die Zustellung durch Vorlegung der Urschrift erfolgt, so ist der Tag der Vorlegung von der Staatsanwaltschaft auf der Urschrift zu vermerken. Bei elektronischer Übermittlung muss der Zeitpunkt des Eingangs (§ 32a Absatz 5 Satz 1) aktenkundig sein.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 253/16
vom
6. Juli 2016
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:060716B4STR253.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Juli 2016 gemäß § 349 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers N. gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 19. Oktober 2015 werden verworfen.
2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten dadurch und durch die Revision des Nebenklägers N. entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Der Nebenkläger N. trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und dieser Nebenkläger je zur Hälfte.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB angeordnet und ihn im Übrigen freigesprochen. Gegen das Urteil richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers N. . Beide Rechtsmittel sind unzulässig.
2
1. Die Revisionsführer haben gegen das am 19. Oktober 2015 in ihrer Anwesenheit verkündete Urteil am 21. bzw. 23. Oktober 2015 „Rechtsmittel“ eingelegt. Der Nebenklägervertreterin wurde das Urteil aufgrund einer entsprechenden Anordnung des Vorsitzenden am 18. Dezember 2015 zugestellt. Bei der Staatsanwaltschaft erfolgte eine Zustellung am 22. Dezember 2015; das Urteil selbst weist einen von der Ersten Staatsanwältin unterschriebenen Vermerk „Zugestellt StA Verden am 28.12.2015“ auf. Die Revisionsbegründungen sind am Montag, dem 25. Januar 2016 (Staatsanwaltschaft), bzw. am 12. Februar 2016 (Nebenkläger) beim Landgericht eingegangen. Wiedereinsetzungsanträge wurden nicht gestellt.
3
2. Beide Rechtsmittel sind – wie vom Generalbundesanwalts in den Antragsschriften vom 7. Juni 2016 dargelegt – unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO begründet wurden.
4
a) Dies ist – nach den oben mitgeteilten Daten – hinsichtlich des Rechtsmittels des Nebenklägers N. offensichtlich.
5
b) Aber auch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist verspätet begründet.
6
aa) Zustellungen an die Staatsanwaltschaft bedürfen – wie jede Zustellung – einer Anordnung des Vorsitzenden (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO). Sie werden von der Geschäftsstelle veranlasst (§ 36 Abs. 1 Satz 2 StPO) und – sofern kein Fall von § 36 Abs. 2 StPO vorliegt – entweder nach § 37 Abs. 1 StPO in Verbindung mit den entsprechenden Regelungen der Zivilprozessordnung oder nach § 41 StPO bewirkt.
7
bb) Hiervon ausgehend wurde die Zustellung des Urteils an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO am 22. Dezember 2015 ordnungsgemäß bewirkt.
8
(1.) Der Vorsitzende der Strafkammer hat die Urteilszustellung vor deren Durchführung angeordnet (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO).
9
Dies und einen entsprechenden Zustellungswillen des Vorsitzenden belegt dessen Zustellungsanordnung (Bd. V Bl. 50 d.A.: „Urschriftlich mit Akten ... der Staatsanwaltschaft Verden gem. § 41 StPO...“). Dass diese Anordnung – unabhängig von der Richtigkeit des dortangegebenen Datums (7. Dezember 2015) – vor deren Durchführung erfolgte, ergibt sich aus dem angebrachten Ausführungsvermerk vom 16. Dezember 2015 – dem Tag der Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls – sowie der dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden vom 22. März 2016 (Bd. VI Bl. 15 d.A.) und wird zudem belegt durch die in derselben Verfügung angeordneten, am 18. und 21. Dezember 2015 erfolgten Zustellungen an die Nebenklägervertreter.
10
(2.) Die Zustellung an die Staatsanwaltschaft wurde am 22. Dezember 2015 bewirkt (Bd. V Bl. 207 R d.A.; Vermerke der Ersten Staatsanwältin vom 23. Februar 2016, Bd. VI Bl. 6 d.A., und vom 26. April 2016, Bd. VI Bl. 20 d.A.).
11
(a) Den Anforderungen an eine Zustellung gemäß § 41 StPO ist bereits dadurch genügt, dass die Staatsanwaltschaft aus der Übersendungsverfügung in Verbindung mit der aus den Akten zu ersehenden Verfahrenslage erkennen kann, mit der Übersendung an sie werde die Zustellung nach § 41 StPO bezweckt (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2013 – 4 StR 336/12, BGHSt 58, 243, 252; vgl. auch LR/Graalmann-Scheerer, StPO, 26. Aufl., § 41 Rn. 1).
12
(b) Dies steht aufgrund der – oben mitgeteilten – Zustellungsanordnung des Vorsitzenden außer Frage. Dabei ergaben sich berechtigte Zweifel der Staatsanwaltschaft daran, dass an sie eine Zustellung nach § 41 StPO bewirkt wird, auch nicht daraus, dass der Vorsitzende am 22. Dezember 2015 eine (weitere) Verfügung zur Zustellung der Akten an die Staatsanwaltschaft „gem. § 347 StPO“ traf (Bd. V Bl. 207 R d.A.). Denn die aus den Akten zu ersehende Verfahrenslage war eindeutig. Diese enthielten nicht nur obige, auf die Zustellung des Urteils gerichtete Anordnung des Vorsitzenden sowie das Urteil, gegen das sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft richtete. Vielmehr war für die Staatsanwaltschaft auch ohne weiteres ersichtlich, dass die Übersendung „gem. § 347 StPO“ infolge des Fehlens nicht nur ihrer Revisionsanträge und -begründung, sondern auch der der Nebenkläger, auf einem Irrtum des Vorsitzenden beruhen musste, und sie auch nicht nur der Erledigung der von der Staatsanwaltschaft am 17. Dezember 2015 erbetenen Rücksendung von Beiakten diente (Bd. V Bl. 207 und 219 d.A.; zur entsprechenden Verfügung des Vorsitzenden : Bd. V Bl. 219 R d.A.)
13
(c) Nicht anders als bei einem Eingang bei Gericht (vgl. hierzu etwa BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2011 – 2 StR 405/11, NStZ-RR 2012, 118 mwN) kommt es auch bei einer Zustellung an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO allein auf den Eingang bei der Behörde, nicht aber auf den bei der zuständigen Abteilung oder gar dem das Verfahren bearbeitenden Staatsanwalt an.
14
Dabei bedarf keiner Entscheidung, wann und wie bei einer anderen Zustellungsart (nach § 37 Abs. 1 StPO in Verbindung den entsprechenden Regelungen der Zivilprozessordnung) die Anforderungen an eine wirksame Urteils- zustellung erfüllt werden (vgl. etwa zur Zustellung gegen Empfangsbekenntnis: OLG Frankfurt/M., Beschluss vom 28. Februar 1996 – 3 Ws 152-153/96, NStZRR 1996, 234; LG Marburg NStZ-RR 2014, 112; ferner KG, Beschluss vom 2. März 1994 – 4 Ws 264/93, NStE Nr. 3 zu § 41 StPO). Denn schon der Wort- laut von § 41 StPO („Zustellungen an die Staatsanwaltschaft...“) belegt,dass maßgeblich für eine solche Zustellung der Eingang bei der Behörde ist. Auch hat dort die „Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft“ den Tag des Urteilsein- gangs zu bescheinigen (Nr. 159 Satz 1 RiStBV), nicht aber die Geschäftsstelle des zuständigen Dezernats oder gar der das Verfahren bearbeitende Staatsanwalt. Denn die „Staatsanwaltschaft“ im Sinne des § 41 StPO ist nicht die Person , die das Amt der Staatsanwaltschaft ausübt (vgl. § 142 GVG), sondern die Behörde, die auch die Beschwerdeführerin (§ 343 Abs. 2 StPO) ist (ebenso bereits RG, Beschluss vom 12. September 1938 – 3 D 596/38, RGSt 72, 317; ferner : OLG Braunschweig, Beschluss vom 2. März 1988 – Ws 14/88, NStZ 1988, 514; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 8. September 1993 – 1 Ws 169/93, NStE Nr. 2 zu § 41 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 41 Rn. 3; LR/Graalmann-Scheerer aaO § 41 Rn. 2; MüKoStPO/Valerius StPO § 41 Rn. 4; KK-StPO/Maul StPO § 41 Rn. 5; BeckOK StPO/Larcher StPO § 41 Rn. 4).
15
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 – 3 StR 342/07, NStZ-RR 2008, 146 mwN, ferner Meyer-Goßner/Schmitt aaO § 473 Rn. 11 a.E.).
Sost-Scheible Cierniak Mutzbauer Bender Paul

(1) Die Zustellung von Entscheidungen ordnet der Vorsitzende an. Die Geschäftsstelle sorgt dafür, daß die Zustellung bewirkt wird.

(2) Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, sind der Staatsanwaltschaft zu übergeben, die das Erforderliche veranlaßt. Dies gilt nicht für Entscheidungen, welche die Ordnung in den Sitzungen betreffen.

Zustellungen an die Staatsanwaltschaft erfolgen durch elektronische Übermittlung (§ 32b Absatz 3) oder durch Vorlegung der Urschrift des zuzustellenden Schriftstücks. Wenn mit der Zustellung der Lauf einer Frist beginnt und die Zustellung durch Vorlegung der Urschrift erfolgt, so ist der Tag der Vorlegung von der Staatsanwaltschaft auf der Urschrift zu vermerken. Bei elektronischer Übermittlung muss der Zeitpunkt des Eingangs (§ 32a Absatz 5 Satz 1) aktenkundig sein.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 253/16
vom
6. Juli 2016
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:060716B4STR253.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Juli 2016 gemäß § 349 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers N. gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 19. Oktober 2015 werden verworfen.
2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten dadurch und durch die Revision des Nebenklägers N. entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Der Nebenkläger N. trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und dieser Nebenkläger je zur Hälfte.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB angeordnet und ihn im Übrigen freigesprochen. Gegen das Urteil richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers N. . Beide Rechtsmittel sind unzulässig.
2
1. Die Revisionsführer haben gegen das am 19. Oktober 2015 in ihrer Anwesenheit verkündete Urteil am 21. bzw. 23. Oktober 2015 „Rechtsmittel“ eingelegt. Der Nebenklägervertreterin wurde das Urteil aufgrund einer entsprechenden Anordnung des Vorsitzenden am 18. Dezember 2015 zugestellt. Bei der Staatsanwaltschaft erfolgte eine Zustellung am 22. Dezember 2015; das Urteil selbst weist einen von der Ersten Staatsanwältin unterschriebenen Vermerk „Zugestellt StA Verden am 28.12.2015“ auf. Die Revisionsbegründungen sind am Montag, dem 25. Januar 2016 (Staatsanwaltschaft), bzw. am 12. Februar 2016 (Nebenkläger) beim Landgericht eingegangen. Wiedereinsetzungsanträge wurden nicht gestellt.
3
2. Beide Rechtsmittel sind – wie vom Generalbundesanwalts in den Antragsschriften vom 7. Juni 2016 dargelegt – unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO begründet wurden.
4
a) Dies ist – nach den oben mitgeteilten Daten – hinsichtlich des Rechtsmittels des Nebenklägers N. offensichtlich.
5
b) Aber auch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist verspätet begründet.
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aa) Zustellungen an die Staatsanwaltschaft bedürfen – wie jede Zustellung – einer Anordnung des Vorsitzenden (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO). Sie werden von der Geschäftsstelle veranlasst (§ 36 Abs. 1 Satz 2 StPO) und – sofern kein Fall von § 36 Abs. 2 StPO vorliegt – entweder nach § 37 Abs. 1 StPO in Verbindung mit den entsprechenden Regelungen der Zivilprozessordnung oder nach § 41 StPO bewirkt.
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bb) Hiervon ausgehend wurde die Zustellung des Urteils an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO am 22. Dezember 2015 ordnungsgemäß bewirkt.
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(1.) Der Vorsitzende der Strafkammer hat die Urteilszustellung vor deren Durchführung angeordnet (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO).
9
Dies und einen entsprechenden Zustellungswillen des Vorsitzenden belegt dessen Zustellungsanordnung (Bd. V Bl. 50 d.A.: „Urschriftlich mit Akten ... der Staatsanwaltschaft Verden gem. § 41 StPO...“). Dass diese Anordnung – unabhängig von der Richtigkeit des dortangegebenen Datums (7. Dezember 2015) – vor deren Durchführung erfolgte, ergibt sich aus dem angebrachten Ausführungsvermerk vom 16. Dezember 2015 – dem Tag der Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls – sowie der dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden vom 22. März 2016 (Bd. VI Bl. 15 d.A.) und wird zudem belegt durch die in derselben Verfügung angeordneten, am 18. und 21. Dezember 2015 erfolgten Zustellungen an die Nebenklägervertreter.
10
(2.) Die Zustellung an die Staatsanwaltschaft wurde am 22. Dezember 2015 bewirkt (Bd. V Bl. 207 R d.A.; Vermerke der Ersten Staatsanwältin vom 23. Februar 2016, Bd. VI Bl. 6 d.A., und vom 26. April 2016, Bd. VI Bl. 20 d.A.).
11
(a) Den Anforderungen an eine Zustellung gemäß § 41 StPO ist bereits dadurch genügt, dass die Staatsanwaltschaft aus der Übersendungsverfügung in Verbindung mit der aus den Akten zu ersehenden Verfahrenslage erkennen kann, mit der Übersendung an sie werde die Zustellung nach § 41 StPO bezweckt (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2013 – 4 StR 336/12, BGHSt 58, 243, 252; vgl. auch LR/Graalmann-Scheerer, StPO, 26. Aufl., § 41 Rn. 1).
12
(b) Dies steht aufgrund der – oben mitgeteilten – Zustellungsanordnung des Vorsitzenden außer Frage. Dabei ergaben sich berechtigte Zweifel der Staatsanwaltschaft daran, dass an sie eine Zustellung nach § 41 StPO bewirkt wird, auch nicht daraus, dass der Vorsitzende am 22. Dezember 2015 eine (weitere) Verfügung zur Zustellung der Akten an die Staatsanwaltschaft „gem. § 347 StPO“ traf (Bd. V Bl. 207 R d.A.). Denn die aus den Akten zu ersehende Verfahrenslage war eindeutig. Diese enthielten nicht nur obige, auf die Zustellung des Urteils gerichtete Anordnung des Vorsitzenden sowie das Urteil, gegen das sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft richtete. Vielmehr war für die Staatsanwaltschaft auch ohne weiteres ersichtlich, dass die Übersendung „gem. § 347 StPO“ infolge des Fehlens nicht nur ihrer Revisionsanträge und -begründung, sondern auch der der Nebenkläger, auf einem Irrtum des Vorsitzenden beruhen musste, und sie auch nicht nur der Erledigung der von der Staatsanwaltschaft am 17. Dezember 2015 erbetenen Rücksendung von Beiakten diente (Bd. V Bl. 207 und 219 d.A.; zur entsprechenden Verfügung des Vorsitzenden : Bd. V Bl. 219 R d.A.)
13
(c) Nicht anders als bei einem Eingang bei Gericht (vgl. hierzu etwa BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2011 – 2 StR 405/11, NStZ-RR 2012, 118 mwN) kommt es auch bei einer Zustellung an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO allein auf den Eingang bei der Behörde, nicht aber auf den bei der zuständigen Abteilung oder gar dem das Verfahren bearbeitenden Staatsanwalt an.
14
Dabei bedarf keiner Entscheidung, wann und wie bei einer anderen Zustellungsart (nach § 37 Abs. 1 StPO in Verbindung den entsprechenden Regelungen der Zivilprozessordnung) die Anforderungen an eine wirksame Urteils- zustellung erfüllt werden (vgl. etwa zur Zustellung gegen Empfangsbekenntnis: OLG Frankfurt/M., Beschluss vom 28. Februar 1996 – 3 Ws 152-153/96, NStZRR 1996, 234; LG Marburg NStZ-RR 2014, 112; ferner KG, Beschluss vom 2. März 1994 – 4 Ws 264/93, NStE Nr. 3 zu § 41 StPO). Denn schon der Wort- laut von § 41 StPO („Zustellungen an die Staatsanwaltschaft...“) belegt,dass maßgeblich für eine solche Zustellung der Eingang bei der Behörde ist. Auch hat dort die „Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft“ den Tag des Urteilsein- gangs zu bescheinigen (Nr. 159 Satz 1 RiStBV), nicht aber die Geschäftsstelle des zuständigen Dezernats oder gar der das Verfahren bearbeitende Staatsanwalt. Denn die „Staatsanwaltschaft“ im Sinne des § 41 StPO ist nicht die Person , die das Amt der Staatsanwaltschaft ausübt (vgl. § 142 GVG), sondern die Behörde, die auch die Beschwerdeführerin (§ 343 Abs. 2 StPO) ist (ebenso bereits RG, Beschluss vom 12. September 1938 – 3 D 596/38, RGSt 72, 317; ferner : OLG Braunschweig, Beschluss vom 2. März 1988 – Ws 14/88, NStZ 1988, 514; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 8. September 1993 – 1 Ws 169/93, NStE Nr. 2 zu § 41 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 41 Rn. 3; LR/Graalmann-Scheerer aaO § 41 Rn. 2; MüKoStPO/Valerius StPO § 41 Rn. 4; KK-StPO/Maul StPO § 41 Rn. 5; BeckOK StPO/Larcher StPO § 41 Rn. 4).
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 – 3 StR 342/07, NStZ-RR 2008, 146 mwN, ferner Meyer-Goßner/Schmitt aaO § 473 Rn. 11 a.E.).
Sost-Scheible Cierniak Mutzbauer Bender Paul

(1) Die Zustellung von Entscheidungen ordnet der Vorsitzende an. Die Geschäftsstelle sorgt dafür, daß die Zustellung bewirkt wird.

(2) Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, sind der Staatsanwaltschaft zu übergeben, die das Erforderliche veranlaßt. Dies gilt nicht für Entscheidungen, welche die Ordnung in den Sitzungen betreffen.

(1) Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn das Urteil später als einundzwanzig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen Monat und, wenn es später als fünfunddreißig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen weiteren Monat. War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung des Urteils und in den Fällen des Satzes 2 der Mitteilung des Zeitpunktes, zu dem es zu den Akten gebracht ist.

(2) Seitens des Angeklagten kann dies nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 385/17
vom
30. November 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:301117U3STR385.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. November 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Berg, Hoch als beisitzende Richter,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 1. März 2017 wird verworfen. 2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung sowie Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwarnt und die Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 2 € vorbehalten. Von der Anordnung seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es abgesehen. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und auf den "Rechtsfolgenausspruch" beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich mit der Sachrüge gegen die Anwendung des § 59 StGB und die unterbliebene Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen hatte der bei Urteilsverkündung 42-jährige Angeklagte eine frühkindliche irreparable Hirnschädigung erlitten, auf Grund derer er leicht intelligenzgemindert ist (IQ von etwa 58). Bei einem Unfall im jungen Erwachsenenalter hatte er sich eine Kopfverletzung mit Hirnblutung zugezogen , als deren Folge sich eine organisch-wahnhafte, schizophrenieforme Störung entwickelte.
3
Am 27. Januar 2016 beging der Angeklagte die zwei verfahrensgegenständlichen Taten:
4
a) Gegen Mittag erschien der Zeuge W. , der Wiedereingliederungsbetreuer des Angeklagten, mit dessen langjähriger Lebensgefährtin sowie einer Mitarbeiterin der Arbeiterwohlfahrt in der von dem Paar gemeinsam genutzten Wohnung. Am Tag zuvor hatte die Lebensgefährtin dem Angeklagten gegenüber erklärt, sie werde sich von ihm trennen und ausziehen. Der Angeklagte , der noch im Bett lag, bat den Zeugen W. darum, in Ruhe gelassen zu werden, und beantwortete dessen Fragen nicht.
5
Als der Angeklagte hörte, dass darüber gesprochen wurde, einen Krankenwagen zu rufen, einen Facharzt zu kontaktieren oder ihn gegebenenfalls zwangsweise stationär in einer psychiatrischen Klinik unterbringen zu lassen, stand er auf, ging auf den Zeugen W. zu und schlug mit der Faust in die Richtung dessen Kopfes. Dem körperlich weit überlegenen Wiedereingliederungsbetreuer gelang es, den Schlag abzuwehren und die Hände des Angeklagten festzuhalten. Bei der anschließenden Rangelei fielen beide zu Boden; der Zeuge W. stürzte auf das Knie. Dies war für ihn schmerzhaft und führte zu einer kurzzeitigen Rötung des Knies, was der Angeklagte für möglich hielt und billigend in Kauf nahm.
6
b) Kurz nachdem der Zeuge W. die Wohnung verlassen hatte, folgte ihm der Angeklagte nach draußen. Auf der Straße vor dem in einem eng besiedelten Wohngebiet gelegenen Haus, zeigte er in Richtung des Wiedereingliederungsbetreuers den "Hitlergruß".
7
2. Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, der Angeklagte habe bei beiden Taten im Zustand verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB gehandelt. Der festgestellte psychische Defekt, der primär durch die organisch-wahnhafte, schizophrenieforme Störung, sekundär durch die Intelligenzminderung geprägt sei, habe zur Tatzeit seine Fähigkeit erheblich herabgesetzt, nach vorhandener Unrechtseinsicht zu handeln. Von der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das Landgericht abgesehen, weil es eine Gefährlichkeit des Angeklagten im Sinne des § 63 Satz 1 und 2 StGB verneint hat.

II.

8
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist rechtswirksam auf die Anwendung des § 59 StGB sowie die unterbliebene Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB beschränkt.
9
a) Zwar hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründungsschrift eingangs die Beschränkung des Rechtsmittels auf den gesamten Rechtsfolgenausspruch erklärt und abschließend die Aufhebung des angefochtenen Urteils in diesem Umfang beantragt. Hiermit stimmt jedoch der übrige Inhalt der Revisionsrechtfertigung nicht überein. Aus dieser ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin das Urteil allein deshalb für rechtsfehlerhaft hält, weil die Strafkammer darauf erkannt hat, den Angeklagten unter Vorbehalt der verhängten Gesamt- geldstrafe zu verwarnen, und die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt hat. Rechtliche Bedenken gegen die Bestimmung der Höhe der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe sind nicht geltend gemacht. Vielmehr hat die Staatsanwaltschaft - im rechtlichen Ansatz zutreffend - ausgeführt, von einer Beschränkung der Revision allein auf die Nichtanordnung der Maßregel nach § 63 StGB schon deshalb abzusehen, weil dies in Anbetracht des § 59 Abs. 2 Satz 2 StGB nicht in Betracht komme. Die daraus gezogene Konsequenz - Anfechtung des Rechtsfolgenausspruchs insgesamt - geht indes zu weit. Die Möglichkeit einer innerhalb des Strafausspruchs zu erklärenden Rechtsmittelbeschränkung auf die Anwendung des § 59 StGB hat die Beschwerdeführerin ersichtlich nicht bedacht.
10
Folglich widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründungsschrift. In einem solchen Fall ist nach ständiger Rechtsprechung das Angriffsziel durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGH, Urteile vom 11. Juni 2014 - 2 StR 90/14, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 9; vom 18. Dezember 2014 - 4 StR 468/14, NStZ-RR 2015, 88; vom 22. Februar 2017 - 5 StR 545/16, juris Rn. 10, jeweils mwN). Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 1, 2 RiStBV ist das Revisionsvorbringen dahin zu verstehen, dass die Staatsanwaltschaft die Höhe der festgesetzten Strafen nicht angreifen will.
11
b) Die Beschränkung der Revision auf den Ausspruch der Verwarnung mit Strafvorbehalt und die unterbliebene Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist rechtswirksam.
12
Entgegen verbreiteter Ansicht (grundlegend OLG Celle, Beschluss vom 9. Juni 1976 - 2 Ss 229/76, MDR 1976, 1041; s. auch Fischer, StGB, 65. Aufl., § 59 Rn. 11; LR/Gössel, StPO, 26. Aufl., § 318 Rn. 99; LK/Hubrach, StGB, 12. Aufl., § 59 Rn. 25) kann die Revision grundsätzlich auch auf die Anwendung des § 59 StGB beschränkt werden, ohne dass die Strafzumessung im Übrigen angegriffen werden müsste. Es ist kein Grund ersichtlich, die Verwarnung mit Strafvorbehalt insoweit anders zu behandeln als die Strafaussetzung zur Bewährung (ebenso - allerdings unter Bezugnahme auf mittlerweile überholte Rechtsprechung bezüglich § 56 StGB - OLG Celle, Beschluss vom 9. Juni 1976 - 2 Ss 229/76, aaO). Eine isolierte Anfechtung einer Bewährungsentscheidung ist grundsätzlich zulässig, es sei denn, die hierfür maßgeblichen Gesichtspunkte sind so eng mit den Strafzumessungserwägungen verknüpft, dass das Rechtsmittel notwendig den ganzen Strafausspruch erfasst, oder es besteht die Gefahr, dass das nach einem Teilrechtsmittel stufenweise entstehende Gesamturteil nicht mehr frei von inneren Widersprüchen bliebe (vgl. BGH, Urteile vom 6. April 1982 - 4 StR 666/81, NStZ 1982, 285, 286; vom 9. Februar1983 - 3 StR 493/82, NJW 1983, 1624; Beschluss vom 15. Mai 2001 - 4 StR 306/00, BGHSt 47, 32, 35; BayObLG, Urteil vom 15. Juli 2004 - 5 St RR 182/04, NStZ-RR 2004, 336, 337; ferner Fischer aaO, § 56 Rn. 27; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 40; KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 12; LR/Gössel aaO, Rn. 96; S/S-Stree/Kinzig, StGB, 29. Aufl., § 56 Rn. 65; BeckOK StPO/Wiedner, § 344 Rn. 25, 25.2). Entsprechendes hat für die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Frage der Anwendung des § 59 StGB zu gelten.
13
Eine Ausnahmekonstellation, die der innerhalb des Strafausspruchs isolierten Anfechtung der Verwarnungs- und Vorbehaltsentscheidung entgegenstünde , ist hier nicht gegeben. Es liegen keine Umstände vor, aus denen sich eine untrennbare Verknüpfung der Erörterungen zu dieser Frage mit denjenigen zur Schuld- und sonstigen Straffrage ergibt; auch innere Widersprüche infolge der Teilanfechtung sind - unabhängig vom Erfolg des Rechtsmittels - nicht zu besorgen. Insbesondere wendet sich die Beschwerdeführerin nicht gegen die (getroffene bzw. unterlassene) Feststellung oder Bewertung doppelrelevanter Tatsachen.
14
2. Die sachlichrechtliche Überprüfung der Entscheidungen, den Angeklagten gemäß § 59 StGB unter Vorbehalt der festgesetzten Gesamtgeldstrafe zu verwarnen und die Maßregel des § 63 StGB nicht anzuordnen, hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler ergeben.
15
a) Die von der Strafkammer ausgesprochene Verwarnung mit Strafvorbehalt kann bestehen bleiben.
16
aa) Im Hinblick auf die Höhe der Gesamtgeldstrafe ist der Anwendungsbereich des § 59 Abs. 1 Satz 1 StGB eröffnet. Die Vorschrift ist auch nicht deshalb gemäß § 59 Abs. 2 Satz 2 StGB unanwendbar, weil daneben auf Maßregeln der Besserung und Sicherung zu erkennen gewesen wäre (dazu im Einzelnen unten b).
17
bb) Des Weiteren hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei die in § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 StGB normierten tatbestandlichen Voraussetzungen mit Blick auf den ihr zustehenden Bewertungsspielraum bejaht und das ihr eingeräumte gesetzliche Rechtsfolgeermessen ausgeübt (UA S. 15 ff.).
18
Soweit die Revision ausführt, die Strafkammer habe verkannt, dass § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB "besondere Umstände in der Tat und der Persönlichkeit des Täters" verlange, gibt sie den Gesetzeswortlaut nicht zutreffend wieder. Denn die Vorschrift setzt das Vorliegen besonderer Umstände "nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Täters" voraus. Gegen die Annahme solcher besonderen Umstände auf Grund wertender Betrachtung ist hier revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
19
b) Das Absehen von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus begegnet ebenfalls keinen durchgrei- fenden rechtlichen Bedenken. Die Strafkammer hat rechtsfehlerfrei eine Gefährlichkeit des Angeklagten im Sinne des § 63 Satz 1 und 2 StGB verneint.
20
aa) Für eine negative Gefährlichkeitsprognose muss nach § 63 Satz 1 StGB eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Angeklagten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 5; vom 29. April 2014 - 3 StR 171/14, juris Rn. 5; vom 16. September 2014 - 3 StR 372/14, juris Rn. 4; vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16, juris Rn. 10; vom 21. Februar 2017 - 3 StR 535/16, StV 2017, 575, 576).
21
Liegen - wie hier - nur geringfügige Anlasstaten vor, gelten gemäß § 63 Satz 2 StGB verschärfte Darlegungsanforderungen; die besonderen Umstände im Sinne dieser Vorschrift müssen die schmale Tatsachenbasis infolge der anders gelagerten Anlassdelikte ausgleichen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 2017 - 3 StR 535/16, aaO, S. 577; vom 7. März 2017 - 5 StR 609/16, NStZ-RR 2017, 171; vom 5. September 2017 - 3 StR 329/17, juris Rn. 5).
22
bb) Gemessen daran hält die vom Landgericht getroffene Prognoseentscheidung rechtlicher Nachprüfung stand.
23
(1) Dass die Gefahr künftiger erheblicher rechtswidriger Taten als gering einzustufen ist, hat die Strafkammer im Wesentlichen wie folgt begründet:
24
Mit dem psychiatrischen Sachverständigen sei auszuschließen, dass der Angeklagte die Taten in einer den Realitätsbezug aufhebenden psychotischen Episode mit halluzinatorischen Erlebnisweisen begangen habe. Zwar träten bei ihm immer wieder solche Episoden auf, die mit einer ausgeprägten Angstsymptomatik sowie psychomotorischer Unruhe und Agitiertheit einhergingen, wodurch stationäre psychiatrische Behandlungen erforderlich würden. Auch sei in der Vergangenheit, mit Urteil vom 5. Juni 2007, wegen wahnbedingter Delikte die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus unter Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung angeordnet worden. Im Mai 2006 habe der Angeklagte in einem akuten psychotischen Schub der wahnhaftorganischen , schizophrenieformen Störung Wahnvorstellungen entwickelt und - ohne Unrechtseinsicht - aus Angst den Willen eines imaginären "Stefan" vollzogen gehabt, indem er insbesondere zwei Messerattacken auf Unbeteiligte ausgeführt gehabt habe. Anders als damals habe der Angeklagte jedoch zur hiesigen Tatzeit wegen der regelmäßigen medikamentösen Versorgung nicht unter Wahnvorstellungen gelitten. Vielmehr habe er "in der Tatsituation extremen Stress empfunden", womit er auf Grund seiner Krankheit nur schwer habe umgehen können; deshalb sei er "raptusartig entgleist" (UA S. 10 f.).
25
Mit - ein erhöhtes Deliktsrisiko bergenden - Wahnvorstellungen sei auch künftig nicht zu rechnen, weil der Angeklagte krankheitseinsichtig sei und zuverlässig seit Langem eine Depotmedikation in Anspruch nehme. Die medikamentöse Behandlung habe der Angeklagte fortgesetzt, auch als die entsprechende Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht (s. § 67b Abs. 2, § 68 Abs. 2, § 68b Abs. 2 Satz 1, 2 StGB) ab dem 10. Juli 2012 nicht mehr bestanden habe. Er sei seit den früheren Taten im Mai 2006 und wieder seit den verfahrensgegenständlichen Taten im Januar 2016 nicht durch körperliche Gewalt gegenüber Dritten aufgefallen, abgesehen von "Rangeleien", die bei zwangsweisen Einweisungen in die psychiatrische Klinik stattgefunden hätten und die für die dort Bediensteten Routine seien. Er habe die Taten in einer emotionalen Ausnahmesituation (Trennungserklärung der Lebensgefährtin am Tag zuvor) und stressbelasteten Konfliktsituation (In-Aussicht-Stellen eines stationären Aufenthalts in der psychiatrischen Klinik) begangen, wobei er zur Konfliktentstehung nichts beigetragen habe, vielmehr generell Auseinandersetzungen meide, indem er sich zurückziehe. Die Möglichkeit einer vergleichbaren tatauslösenden Ausgangslage sei "eher fernliegend" (UA S. 18 ff.).
26
(2) Diese Erwägungen sind frei von Rechtsfehlern. Die Strafkammer hat insbesondere darauf abstellen dürfen, dass der Angeklagte über lange Zeit strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist (zum Kriterium der Vordelinquenz vgl. nur BGH, Beschluss vom 22. August 2017 - 3 StR 249/17, juris Rn. 20 mwN), und dabei geringfügigen körperlichen Auseinandersetzungen anlässlich zwangsweiser Einweisungen in die psychiatrische Klinik eine zu vernachlässigende Bedeutung beimessen dürfen (zum minderen Gewicht deliktischen Verhaltens innerhalb von Betreuungs- und Behandlungseinrichtungen vgl. nur BGH, Beschluss vom 5. September 2017 - 3 StR 329/17, juris Rn. 5 mwN). Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass das Landgericht die überdauernde Krankheitseinsicht, verbunden mit einer langjährigen zuverlässigen Medikamenteneinnahme , risikomindernd in die gebotene umfassende Würdigung eingestellt hat.
27
Soweit die Beschwerdeführerin unter Berufung auf das Subsidiaritätsprinzip meint, das Landgericht habe die Nichtanordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht (auch) mit der regelmäßigen Medikamenteneinnahme begründen dürfen, sondern diesen Gesichtspunkt erst im Rahmen der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung gemäß § 67b Abs. 1 Satz 1 StGB berücksichtigen dürfen, ist dem nicht zu folgen. Zwar weist die Revision im Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Senats dieses Prinzip grundsätzlich nur für die Frage der Vollstreckung, nicht für die Frage der Anordnung gilt (vgl. Urteile vom 23. Februar 2000 - 3 StR 595/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 28; vom 14. Februar 2001 - 3 StR 455/00, juris Rn. 8; vom 11. Dezember 2008 - 3 StR 469/08, NStZ 2009, 260, 261; Beschluss vom 8. Januar 2015 - 3 StR 590/14, StV 2016, 730, 731). Jedoch nimmt die Beschwerdeführerin nicht hinreichend darauf Bedacht, dass das Subsidiaritätsprinzip das Verhältnis der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung zu minder einschneidenden Maßnahmen außerhalb dieser Maßregeln (zivilrechtliche oder verwaltungsrechtliche Unterbringung, Auflagen und Weisungen nach Strafaussetzung zur Bewährung, Betreuerbestellung etc.) betrifft. Derartige Maßnahmen waren hier nicht zu veranlassen, um die Gefährlichkeit des Angeklagten weiterhin auszuschließen.
28
Soweit der Bundesgerichtshof darüber hinaus in einigen Entscheidungen eine konsequente medizinische Behandlung als für die Maßregelanordnung unerheblich erachtet hat (vgl. Urteile vom 20. Februar 2008 - 5 StR 575/07, juris Rn. 14; vom 31. Mai 2012 - 3 StR 99/12, juris Rn. 10; vom 6. September 2012 - 3 StR 159/12, juris Rn. 8), lagen dem Fälle zugrunde, in denen der langjährig psychisch erkrankte Beschuldigte erst nach der Tat - während der einstweiligen Unterbringung (§ 126a StPO) oder einer zwangsweise durchgesetzten Therapie - erstmals bzw. erneut medikamentös eingestellt worden war und deshalb nicht auf eine wirksame Kontrolle dieser Behandlung mittels drohenden Bewährungswiderrufs gemäß § 67g Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB verzichtet werden konnte. Hiermit ist hingegen keineswegs eine allgemeingültige Aussage dergestalt verbunden, dass bei der Gefährlichkeitsprognose eine überdauernde Krankheitseinsicht , verbunden mit einer langjährigen zuverlässigen Medikamenteneinnahme , als protektiver Faktor grundsätzlich außer Betracht zu bleiben hätte.
29
cc) Da das Landgericht mit rechtsfehlerfreier Begründung den Angeklagten als nicht gefährlich im Sinne des § 63 StGB erachtet hat, kommt es nicht darauf an, inwieweit - was der Generalbundesanwalt auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen für zweifelhaft hält - ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem psychischen Defekt und einer solchen Gefährlichkeit gegeben wäre. Becker Schäfer Spaniol Berg Hoch

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind.

(2) Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal. Der Vorsitzende vernimmt den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse.

(3) Darauf verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dabei legt er in den Fällen des § 207 Abs. 3 die neue Anklageschrift zugrunde. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 3 trägt der Staatsanwalt den Anklagesatz mit der dem Eröffnungsbeschluß zugrunde liegenden rechtlichen Würdigung vor; außerdem kann er seine abweichende Rechtsauffassung äußern. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 4 berücksichtigt er die Änderungen, die das Gericht bei der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung beschlossen hat.

(4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(5) Sodann wird der Angeklagte darauf hingewiesen, daß es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ist der Angeklagte zur Äußerung bereit, so wird er nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 zur Sache vernommen. Auf Antrag erhält der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde; § 249 Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. Vorstrafen des Angeklagten sollen nur insoweit festgestellt werden, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Wann sie festgestellt werden, bestimmt der Vorsitzende.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 268/06
vom
19. Dezember 2006
BGHSt: ja zu I 2
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
_______________________________
Die gemäß § 247 Satz 4 StPO gebotene Unterrichtung eines vorübergehend
entfernten Angeklagten kann auch so erfolgen, dass er das Geschehen im Sitzungssaal
mittels Videoübertragung mitverfolgen kann. Der Vorsitzende muss
sich dann jedoch vergewissern, dass die Videoübertragung nicht durch technische
Störungen beeinträchtigt wurde. Wie er sich diese Gewissheit verschafft,
bestimmt der Vorsitzende.
BGH, Beschl. vom 19. Dezember 2006 - 1 StR 268/06 - LG Offenburg
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Dezember 2006 beschlossen
:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Offenburg vom 21. Dezember 2005 werden verworfen.
Jeder Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die
der Nebenklägerin R. M. dadurch jeweils entstandenen
notwendigen Auslagen zu tragen, der Angeklagte A.
Mi. auch die der Nebenklägerin I. Mi. durch sein
Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:


1
Die Angeklagten sind Brüder. Sie wurden jeweils zu Freiheitsstrafe verurteilt , weil sie die Stieftochter eines weiteren Bruders, die 1989 geborene R. M. , wiederholt sexuell missbraucht haben, H. Mi. etwa seit 1997, A. Mi. etwa seit 2000. A. Mi. hat außerdem seine Nichte, die 1996 geborene I. Mi. , 2000 wiederholt sexuell missbraucht. Zugleich wurden beide Angeklagte zu Schmerzensgeldzahlung an R. M. verurteilt, A. Mi. auch zu einer Schmerzensgeldzahlung an I. Mi, . Die auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revisionen bleiben erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

2
Der näheren Ausführung bedarf dies hinsichtlich zweier Verfahrensrügen. Diese sind für beide Angeklagten in ihrem rechtlichen Kern identisch erhoben. Kleinere Unterschiede im Vortrag sind für die rechtliche Bewertung des Vorbringens ohne Bedeutung und können daher auf sich beruhen.
3
1. R. M. wurde am 4. Verhandlungstag als Zeugin gehört und anschließend entlassen. Im Hinblick auf anderweitige Hilfsbeweisanträge, denen das Gericht stattgegeben hatte, wurde von Amts wegen auch R. M. am 17. Verhandlungstag nochmals als Zeugin geladen. Es ging um die näheren Umstände eines Umzugs, anlässlich dessen es zu sexuellen Übergriffen auf R. M. gekommen sein soll.
4
Auf Antrag der Nebenklägervertreterin wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen (§ 171b GVG). Zur Begründung nahm die Jugendkammer Bezug auf den entsprechenden Beschluss vom 4. Verhandlungstag.
5
Hiergegen wendet sich die Revision. Sie meint, da nur über die Umstände des Umzugs noch Beweis zu erheben war - über ein anderes Thema sei es bei der erneuten Vernehmung der Zeugin dann auch nicht gegangen - hätten die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit nicht vorgelegen.
6
Außerdem hätte unter den gegebenen Umständen nicht nur auf den früheren Beschluss Bezug genommen werden dürfen.
7
Im Rahmen des Vorbringens zu dieser Rüge gibt es von der Revision (insbesondere für den Angeklagten H. Mi. ) einerseits und dem Generalbundesanwalt andererseits umfangreiches und inhaltlich gegenläufiges Vorbringen zum erforderlichen Revisionsvortrag, den Gründen, warum dieser Vortrag unterblieben sei, und dementsprechend gegenläufige Anträge zu des- halb zu gewährender oder zu versagender Wiedereinsetzung. All dies kann auf sich beruhen bleiben. Die Rüge ist in weitem Umfang unstatthaft, soweit sie statthaft ist, ist sie jedenfalls offensichtlich unbegründet.
8
a) Statthaft ist hier allein die Rüge, es fehle an der gemäß § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG gebotenen Begründung des Beschlusses (vgl. BGH StV 1990, 10). Mit der Bezugnahme auf die Gründe des früheren Beschlusses sind die nach Auffassung des Gerichts maßgeblichen Gründe für den erneuten Ausschluss der Öffentlichkeit ausreichend angegeben (BGHSt 30, 298, 300, 304; BGH GA 1983, 361; in vergleichbarem Sinne auch BGH NStZ-RR 2004, 118, 119). Die Frage, ob die Gründe für den erneuten Ausschluss der Öffentlichkeit ausreichend deutlich sind, darf nicht - auch nicht im Zusammenhang mit den Anforderungen an den notwendigen Umfang des Revisionsvorbringens - mit der Frage vermengt werden, ob die Annahme des Gerichts, die Gründe der früheren Entscheidung rechtfertigten auch die erneut zu treffende Entscheidung, rechtlich zutrifft oder nicht.
9
b) Im Übrigen ist die Rüge unstatthaft, wie sich aus § 171b Abs. 3 GVG in Verbindung mit § 336 Satz 2 StPO ergibt. Unanfechtbar und damit revisionsgerichtlicher Überprüfung entzogen sind sämtliche im Rahmen von § 171b GVG inhaltlich zu treffenden Entscheidungen (vgl. Wickern in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 171b GVG Rdn. 25). Dies gilt auch für die einer solchen Entscheidung notwendig vorausgehende Prognose, ob eine Erörterung der in § 171b GVG genannten Umstände in dem Verfahrensabschnitt, für den die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden soll, zu erwarten ist (vgl. hierzu näher Wickern aaO Rdn. 11). Im Übrigen ist die Prognose, bei einer Vernehmung der zentralen Belastungszeugin für den Vorwurf sexuellen Missbrauchs würden in § 171b GVG genannte Umstände erörtert werden, auch dann nahe liegend, wenn es nur deshalb zu einer - erneuten - Vernehmung dieser Zeugin kommt, weil eine für sich genommen „neutrale“ Frage zum Randgeschehen (hier: nähere Umstände eines Umzugs) noch geklärt werden muss. Auch in einem solchen Fall ist kein Verfahrensbeteiligter rechtlich gehindert, bisher noch nicht gestellte, aber zur Sache gehörende - also den gesamten Anklagevorwurf betreffende - Fragen zu stellen; eine Beschränkung des Fragerechts auf ein bestimmtes Beweisthema gibt es nicht. All dies gilt entsprechend auch für das Gericht selbst. Schließlich wird das Verfahren auch dann nicht fehlerhaft, wenn sich die Prognose des Gerichts nicht bestätigt und es zu einer Erörterung der genannten Umstände nicht kommt (vgl. BGHSt 30, 212, 215 zu § 172 GVG).
10
2. Während der Vernehmung der Zeugin R. M. hatten sich die Angeklagten zu entfernen (§ 247 Satz 1 StPO). Sie konnten jedoch die Vernehmung von einem Nebenraum aus per Videoübertragung mitverfolgen. Nachdem die Angeklagten wieder im Sitzungssaal waren, erklärten ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung sämtliche Angeklagte „mit Zustimmung ihrer Verteidiger“ Folgendes:
11
“Ich konnte die Aussage der Zeugin R. M. uneingeschränkt optisch und akustisch in dem gesonderten Raum wahrnehmen. Aus diesem Grunde verzichte ich auf den Bericht des Vorsitzenden gemäß § 247 Satz 4 StPO.“
12
Dementsprechend wurde von einer weiteren Unterrichtung abgesehen. Nunmehr trägt die Revision unter Darlegung technischer Details vor, während der Vernehmung habe es Mängel der Übertragung gegeben, es sei „häufig“ bzw. „mehrfach“ vorgekommen, dass „keine vollständige Übertragung in den Nebenraum stattfand“. Der Angeklagte hätte gemäß § 247 Satz 4 StPO über den Inhalt der Vernehmung der Zeugin unterrichtet werden müssen.
13
Gleiches wird für das identisch abgelaufene Verfahrensgeschehen am 17. Verhandlungstag geltend gemacht, vom Angeklagten A. Mi. darüber hinaus auch für einen anderen Verhandlungstag, als nur er während der Vernehmung der Zeugin I. Mi. entfernt worden war.
14
Ein Rechtsfehler ist nicht ersichtlich.
15
a) In welcher Form eine gemäß § 247 Satz 4 StPO gebotene Unterrichtung zu erfolgen hat, ist im Gesetz nicht näher geregelt und daher im Rahmen der Verhandlungsleitung (§ 238 Abs. 1 StPO) vom Vorsitzenden zu bestimmen (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 247 Rdn. 44; Diemer in KK 5. Aufl. § 247 Rdn. 15). Die Unterrichtung kann auch in der Weise erfolgen, dass der Angeklagte das Geschehen im Gerichtssaal mittels Videoübertragung unmittelbar mit verfolgen kann. Durch die alsbaldige Unterrichtung gemäß § 247 Satz 4 StPO soll der Angeklagte in die Lage versetzt werden, den weiteren Gang der Verhandlung sofort zu beeinflussen. Damit soll sein Recht gewahrt werden, sich trotz seiner vorübergehenden Abwesenheit bestmöglich zu verteidigen (vgl. zusammenfassend BGHR StPO § 247 Satz 4 Unterrichtung 8 m.w.N.; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 15. November 1992 - 2 BvR 1793/ 92). All dies wird durch die in Rede stehende Verfahrensweise nicht gefährdet; daher ist es unschädlich, dass die Unterrichtung nicht erst erfolgt, wenn der Angeklagte wieder im Gerichtssaal ist, sondern schon vorher außerhalb des Gerichtssaals zeitgleich mit dem Geschehen im Gerichtssaal, und dass sie nicht verbal durch den Vorsitzenden erfolgt, sondern dadurch, dass dieser die Kenntnisnahme durch Videoübertragung ermöglicht. Ein unmittelbares Erleben einer Aussage durch Videoübertragung wird regelmäßig sogar eindrücklicher sein, als dies ein späterer verbaler Bericht hierüber sein kann.
16
b) All dies ändert jedoch nichts daran, dass die Verantwortung für die Unterrichtung des Angeklagten letztlich beim Vorsitzenden verbleibt. Dementsprechend muss er sich vergewissern, dass der Angeklagte nicht aus technischen Gründen gehindert war, die im Sitzungssaal gemachte Aussage uneingeschränkt zur Kenntnis zu nehmen. Wie er sich diese Gewissheit verschafft, bestimmt der Vorsitzende; es gelten insoweit vergleichbare Grundsätze wie bei der Gestaltung der Unterrichtung. Eine Befragung des Angeklagten, ob es Störungen gab, wie sie der Vorsitzende hier offenbar vorgenommen hat, wird regelmäßig zweckmäßig sein. Die Auffassung, dass der Vorsitzende darüber hinaus stets den Aussageinhalt darlegen müsse, weil es sonst nicht zuverlässig möglich sei, etwaige Unzulänglichkeiten der Übertragung festzustellen, teilt der Senat nicht. Allein dadurch, dass der Angeklagte eine Unterrichtung durch den Vorsitzenden entgegennimmt, kann offensichtlich nicht deutlich werden, was er durch die vorangegangene Übertragung schon weiß und was er wegen Übertragungsmängeln nicht wissen kann. Bei einer Fallgestaltung wie hier kann sich die Erkenntnis von Übertragungsmängeln nicht aus der Unterrichtung durch den Vorsitzenden, sondern nur aus einer Erklärung des Angeklagten ergeben. Die Möglichkeit, dass der Angeklagte zu Unrecht glaubt, alles wahrgenommen zu haben und erst durch die Unterrichtung eine sonst unbemerkt gebliebene Störung erkennt, ist praktisch nicht vorstellbar und kann daher außer Acht bleiben. Auch sonst sind Anhaltspunkte für die Annahme, die genannte Erklärung der Angeklagten, sie hätten der Vernehmung uneingeschränkt folgen können, könnte objektiv falsch sein, nicht ersichtlich. Ob bei einer Videoübertragung optische oder akustische Einschränkungen aufgetreten sind, ist eine sehr einfach zu beurteilende Frage. Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagten gleichwohl hierzu nicht in der Lage gewesen sein könnten, sind weder nachvollziehbar vorgetragen , noch sonst ersichtlich. Ebenso wenig ist ersichtlich, warum die Angeklagten hierzu absichtlich etwas Falsches vorgetragen haben könnten. Schließlich fällt ins Gewicht, dass diese Erklärung ausdrücklich mit Zustimmung der Verteidiger abgegeben wurde. Dass diese einer solchen Erklärung zugestimmt hätten , wenn ein - selbst ganz geringer - Zweifel an ihrer Richtigkeit bestanden hätte, liegt fern. Konkrete Anhaltspunkte, die hier eine andere Beurteilung nahe legen könnten, sind nicht ersichtlich. Nach alledem hat sich der Vorsitzende hier in rechtlich bedenkenfreier Weise die Gewissheit verschafft, dass die Angeklagten der Vernehmung uneingeschränkt folgen konnten.
17
c) Ob es generell möglich ist, dies mit neuem Tatsachenvortrag im Revisionsverfahren in Frage zu stellen, mag hier dahinstehen. Die nunmehr aufgestellte Behauptung technischer Störungen hat sich nämlich nicht erwiesen. Die - von der Revision inhaltlich nicht angezweifelte - dienstliche Erklärung des Ersten Justizhauptwachtmeisters E. ergibt nämlich, dass eine „lückenlose Übertragung in Bild und Ton“ sichergestellt war. Wie er näher darlegt, ist die technische Schilderung der Revision unzutreffend, selbst unter den von ihr behaupteten Umständen wären keine Tonstörungen aufgetreten, sondern allenfalls Bildstörungen. Der Senat braucht der Frage, ob es rechtlich überhaupt Bedeutung haben könnte, wenn die Angeklagten zwar alles gehört, aber nicht alles gesehen hätten, aber nicht näher nachzugehen. Aus der Erklärung des Ersten Justizhauptwachtmeisters E. ergibt sich nämlich nur, dass (allenfalls) Bildstörungen aufgetreten wären, wenn die Behauptungen der Revision zutreffen würden. Dass derartige Bildstörungen tatsächlich aufgetreten sind, ergibt sich hieraus jedoch nicht. Die in der Hauptverhandlung abgegebenen Erklärungen sprechen dagegen. Der Zweifelssatz gilt nicht hinsichtlich der Erweislichkeit von Tatsachen, aus denen sich ein Verfahrensverstoß ergeben soll (vgl. BGHSt 21, 4, 10; w. N. b. Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 41).
18
d) Besteht aber kein Zweifel daran, dass der Angeklagte durch die Videoübertragung umfassend über das Geschehen während seiner Abwesenheit im Sitzungssaal informiert ist, hätte eine gleichwohl nochmals vorgenommene Unterrichtung des Angeklagten über dieses Geschehen keinen erkennbaren Sinn. Außerdem kann ein Urteil offensichtlich nicht darauf beruhen, dass der Angeklagte nicht über etwas unterrichtet worden ist, was er ohnehin zuverlässig weiß.
19
e) Der Senat bemerkt, dass alledem bei sinngerechtem Verständnis die Entscheidung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 26. August 2005 - 3 StR 269/05 (BGHR StPO § 247 Abwesenheit 29) nicht entgegensteht. Außerdem ist diese Entscheidung nicht einschlägig i. S. d. § 132 GVG (vgl. hierzu Hannich in KK 5. Aufl. § 132 GVG Rdn. 3 f. m.w.N.), da der 3. Strafsenat über einen Sachverhalt zu entscheiden hatte, der mit dem vorliegenden nicht zu vergleichen ist: Dort waren während der Zeugenvernehmung unverzüglich geltend gemachte technische Mängel aufgetreten, die den Angeklagten an der weiteren Kenntnisnahme der Vernehmung mittels der zunächst einwandfrei gewesenen Videoübertragung hinderten. In diesem Zusammenhang machte er mit seiner Revision nicht etwa geltend, dass er nach Abschluss der Vernehmung nicht vollständig unterrichtet worden wäre; er wandte sich vielmehr (vergeblich) dagegen , dass die von der Störung betroffenen Vernehmungsteile nicht wiederholt worden waren, um ihm zu ermöglichen, auch diesen Teil der Vernehmung doch noch mittels Videoübertragung mitzuverfolgen.
20
f) Der Senat sieht Anlass zu folgenden Hinweisen:
21
(1) Bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden kann das Gericht etwaige technische Störungen, anders als im Fall des § 247a StPO, nicht selbst unmittelbar bemerken. Es erscheint daher zweckmäßig, dass ein Justizangehöriger in Gegenwart des Angeklagten die Videoübertragung verfolgt. Er kann das Gericht unmittelbar benachrichtigen, wenn dies während der Übertragung we- gen technischer Störungen oder aus sonstigen Gründen erforderlich wird. Nach Abschluss der Übertragung könnten Angaben eines solchen Beobachters gewichtiges Beweisanzeichen sein, sowohl bei der Überprüfung, ob der Angeklagte unterrichtet ist (vgl. I. 2. b), als auch dann, wenn, wie hier, Monate nach der Hauptverhandlung erstmals im Revisionsverfahren das Gegenteil von dem behauptet wird („häufig ... keine vollständige Übertragung“), was in der Hauptverhandlung noch unmissverständlich erklärt worden war („konnte … uneingeschränkt … wahrnehmen“).
22
(2) Ebenso kann sich empfehlen, insoweit vergleichbar dem Fall des § 247a Satz 4 StPO, den übertragenen Vorgang zugleich aufzuzeichnen, damit er in etwaigen Zweifelsfällen dem Angeklagten erforderlichenfalls nochmals vorgespielt werden kann.
23
(3) Schließlich wird in Fällen, in denen - anders als hier - etwa Pläne, Skizzen oder auch Lichtbilder als Vernehmungsbehelfe verwendet werden (vgl. hierzu BGHR StPO § 247 Abwesenheit 10, 28; BGH, Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 367/01; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 247 Rdn.19), auf die Wahrung der Recht e des Angeklagten in besonderer Weise Bedacht zu nehmen sein. Es versteht sich nämlich nicht von selbst, dass derartige Unterlagen ohne weiteres von der Videoübertragung erfasst werden und sich dementsprechend die hierzu gemachten Aussagen des Zeugen allein durch die Videoübertragung in vollem Umfang erschließen. In derartigen Fällen wird es sich empfehlen, den Angeklagten so zu unterrichten, wie dies ohne Videoübertragung zu geschehen hat.

II.

24
Auch im Übrigen hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigungen gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts. Nack Wahl Kolz Elf Graf

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Ist jemandem aus der Tat ein Anspruch auf Ersatz des Wertes des Erlangten erwachsen und wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arrestschuldners eröffnet, so erlischt das Sicherungsrecht nach § 111h Absatz 1 an dem Gegenstand oder an dem durch dessen Verwertung erzielten Erlös, sobald dieser vom Insolvenzbeschlag erfasst wird. Das Sicherungsrecht erlischt nicht an Gegenständen, die in einem Staat belegen sind, in dem die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht anerkannt wird. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für das Pfandrecht an der nach § 111g Absatz 1 hinterlegten Sicherheit.

(2) Sind mehrere Anspruchsberechtigte im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 vorhanden und reicht der Wert des in Vollziehung des Vermögensarrestes gesicherten Gegenstandes oder des durch seine Verwertung erzielten Erlöses zur Befriedigung der von ihnen geltend gemachten Ansprüche nicht aus, so stellt die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arrestschuldners. Die Staatsanwaltschaft sieht von der Stellung eines Eröffnungsantrags ab, wenn begründete Zweifel daran bestehen, dass das Insolvenzverfahren auf Grund des Antrags eröffnet wird.

(3) Verbleibt bei der Schlussverteilung ein Überschuss, so erwirbt der Staat bis zur Höhe des Vermögensarrestes ein Pfandrecht am Anspruch des Schuldners auf Herausgabe des Überschusses. In diesem Umfang hat der Insolvenzverwalter den Überschuss an die Staatsanwaltschaft herauszugeben.

Ist die Einziehung eines Gegenstandes wegen der Beschaffenheit des Erlangten oder aus einem anderen Grund nicht möglich oder wird von der Einziehung eines Ersatzgegenstandes nach § 73 Absatz 3 oder nach § 73b Absatz 3 abgesehen, so ordnet das Gericht die Einziehung eines Geldbetrages an, der dem Wert des Erlangten entspricht. Eine solche Anordnung trifft das Gericht auch neben der Einziehung eines Gegenstandes, soweit dessen Wert hinter dem Wert des zunächst Erlangten zurückbleibt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 6 4 4 / 1 4
vom
18. März 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 18. März 2015 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 10. Juli 2014 im Ausspruch über das Absehen von der Verfallsanordnung nach § 111i Abs. 2 StPO aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt und festgestellt, dass gegen ihn wegen eines Betrages in Höhe von 256.219,00 € lediglich deshalb nicht auf Verfall erkannt wird, weil Ansprüche Verletzter entgegenstehen. Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist zum Strafausspruch unbe- gründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Sie hat jedoch zum Ausspruch über das Absehen von einer Verfallsanordnung Erfolg.
2
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu ausgeführt: "Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass § 73c Abs. 1 StGB im Rahmen der nach § 111i Abs. 2 StPO zu treffenden Entscheidung zu berücksichtigen ist. Das Landgericht hat diese - hier auch nicht ausnahmsweise ausgeschlossene - Prüfung nicht vorgenommen. Das Urteil trifft keine Feststellungen zu den zum Zeitpunkt seines Erlasses aktuellen Vermögensverhältnissen des Angeklagten. Es verhält sich insbesondere nicht dazu, in welche Gegenstände des Angeklagten mit welchem Wert der dingliche Arrest vollzogen werden konnte. Ein Rückgriff auf den Beschluss der Kammer vom 10. Juli 2014 über die Aufrechterhaltung des Arrests, in dem die sichergestellten Vermögenswerte festgestellt sein sollen, ist auf Grundlage der allein mit der Sachrüge geführten Revision nicht möglich. Es liegt weiter nicht fern, dass jedenfalls einige der sämtlich namentlich bekannten 65 Anleger, die anders als die Geschädigten S. , B. , H. und E. nicht von den Angeklagten durch Erstattung der von ihnen geleisteten Zahlungen außergerichtlich klaglos gestellt wurden, gemäß §§ 111g und 111h StPO in diese Gegenstände vollstreckt und das zunächst vorhandene Vermögen durch solche - im Übrigen nach § 111i Abs. 2 Satz 4 StPO zu einem Abzug vom Erlangten oder dessen Wert führenden - Maßnahmen gemindert, wenn nicht aufgezehrt haben. Es bleibt mithin offen, ob der Wert des Erlangten im Vermögen des Angeklagten zur Zeit der Anordnung überhaupt noch vorhanden war und damit für den Fall, dass dies zu verneinen sein sollte , die Voraussetzungen für ein Absehen von der Anordnung nach richterlichem Ermessen gegeben waren (§ 73c Abs. 1 Satz 2 StGB) oder ob eine unbillige Härte im Sinne des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB der Anordnung entgegenstand. In letzterem Zusammenhang ist auch von Bedeutung , dass der Angeklagte 67 Jahre alt ist (bei der Altersangabe von 77 Jahren auf Seite 4 der Urteilsgründe handelt es sich im Hinblick auf die Feststellungen zu seinem beruflichen Werdegang im zweiten Absatz auf Seite 5 offensichtlich um ein Versehen) und unter chronischen Gesundheitsbeeinträchtigungen leidet, weshalb seine zukünftigen Erwerbsaussichten - zumal nach (teilweiser) Verbüßung der gegen ihn verhängten Strafe - zumindest deutlich eingeschränkt sein dürften.
Der neue Tatrichter wird entsprechende Feststellungen zu treffen und die Prüfung nach § 73c StGB nachzuholen haben. Er wird außerdem in den Urteilsgründen zum Umfang der gesamtschuldnerischen Haftung des Beschwerdeführers mit den auch unmittelbar an der Tatbeute beteiligten Mitangeklagten (UA S. 40 f.) Stellung zu nehmen haben (BGH, Beschluss vom 17. September 2013 - 5 StR 258/13 Rn. 8, NStZ 2014, 32 f.). Dass gegen die Mitangeklagten keine Anordnung nach § 111i StPO ergangen ist, steht dem nicht entgegen, weil in jedem Fall vermieden werden muss, dass durch den Auffangrechtserwerb des Staates unter Berücksichtigung der in Abzug zu bringenden Ersatzleistungen an Verletzte insgesamt mehr Vermögen abgeschöpft wird als durch die Taten erlangt wurde, und die Feststellung der gesamtschuldnerischen Haftung keine Vollstreckung gegen die Mitangeklagten ermöglicht. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da diese von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind."
3
Dem stimmt der Senat zu.
Becker Pfister Schäfer Gericke Spaniol

Ist die Einziehung eines Gegenstandes wegen der Beschaffenheit des Erlangten oder aus einem anderen Grund nicht möglich oder wird von der Einziehung eines Ersatzgegenstandes nach § 73 Absatz 3 oder nach § 73b Absatz 3 abgesehen, so ordnet das Gericht die Einziehung eines Geldbetrages an, der dem Wert des Erlangten entspricht. Eine solche Anordnung trifft das Gericht auch neben der Einziehung eines Gegenstandes, soweit dessen Wert hinter dem Wert des zunächst Erlangten zurückbleibt.