Bundesgerichtshof Urteil, 27. Okt. 2015 - 3 StR 199/15

bei uns veröffentlicht am27.10.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 199/15
vom
27. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
17. September 2015 in der Sitzung am 27. Oktober 2015, an denen
teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Dr. Schäfer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Vertreter der Nebenklägerin N. S. ,
Rechtsanwältin - in der Verhandlung -
als Vertreterin des Nebenklägers B. S. ,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Vertreter des Nebenklägers H. S. ,
Justizobersekretärin - in der Verhandlung - ,
Justizangestellte - bei der Verkündung -
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Stade vom 27. Oktober 2014 werden verworfen; jedoch wird die Entscheidungsformel des vorgenannten Urteils dahin geändert , dass der Angeklagte des Totschlags schuldig ist.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die den Nebenklägern dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags "in einem minder schweren Fall" schuldig gesprochen und ihn zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Dagegen wenden sich die jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten und das zu seinen Gunsten eingelegte , vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft. Die Revisionen haben keinen Erfolg.
2
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts begaben sich der später getötete, am Tattag 16-jährige L. S. und vier weitere Mittäter am 13. Dezember 2010 zum Grundstück des Angeklagten, um diesen auszurauben. Sie führten eine Softair-Pistole mit sich und hatten sich mit Mützen, Schals und/oder Strumpfhosen maskiert. Als der Angeklagte nach 21 Uhr sein Haus verließ, um seinen Hund zu füttern, wurde er von drei der Raubtäter überwältigt und zu Boden geworfen. Anschließend schleppten sie ihn ins Haus, wo er sich zu einem Stuhl im Wohnzimmer führen ließ, in dessen Armlehne er einige Zeit zuvor aus Angst vor einem Überfall eine scharfe und geladene Pistole versteckt hatte. Die Raubtäter, die die Waffe nicht bemerkten, befragten den Angeklagten in aggressivem Ton nach den Aufbewahrungsorten von Geld und Tresorschlüsseln. Der später Getötete und ein Mittäter fixierten den Angeklagten dabei an den Armen, hielten ihm die Softair-Pistole an den Kopf und strangulierten ihn mit einem Schal. Die drei übrigen Täter durchsuchten das Haus nach Wertgegenständen und nahmen Geld und Schmuckstücke an sich. Dabei lösten sie versehentlich die Alarmanlage aus; im Haus erklang ohrenbetäubender Lärm und die Außenbeleuchtung ging an, die die Terrasse und den angrenzenden Gartenbereich erhellte. Die Raubtäter gerieten dadurch in Panik und verließen - da sie die Haustür abgeschlossen hatten - durch eine nur teilweise zu öffnende Terrassentür das Haus des Angeklagten, um möglichst schnell zu ihrem Fluchtfahrzeug zu gelangen. Der später Getötete, der - von diesem unbemerkt - das Portemonnaie des Angeklagten mit über 2.000 € Bargeld eingesteckt hatte, zwängte sich als vierter durch den Türspalt. Der Angeklagte hatte inzwischen die Waffe ergriffen und durchgeladen und war den Raubtätern in einen Zwischenflur nachgegangen, aus dem er die Terrassentür im Blick hatte. Als er meinte, einen Schuss gehört zu haben, war er der Auffassung, nunmehr ebenfalls schießen zu dürfen. Tatsächlich war kein Schuss abgegeben oder von einem der Raubtäter auch nur eine Waffe auf den Angeklagten gerichtet worden. Dieser gab aus dem Zwischenflur heraus ohne vorherige Androhung des Schusswaffengebrauchs oder einen Warnschuss vier Schüsse in Körperhöhe in Richtung der weiterhin in Panik fliehenden Raubtäter ab. Der dritte traf L. S. , der sich noch in unmittelbarer Nähe der Terrassentür befand, in den Rücken, zertrümmerte einen Brustwirbel und verletzte den Herzbeutel sowie die Hauptschlagader; er verstarb binnen weniger Minuten an einem durch den Blutverlust verursachten Herz-Kreislauf-Versagen.
3
Der Angeklagte hielt bei den Schüssen den Tod eines der Flüchtenden, die er wegen der Außenbeleuchtung gut sehen konnte, für möglich und nahm dies billigend in Kauf. Er sah aufgrund der vorangegangenen Raubtat und eines am Tag zuvor stattgefundenen Überfalls, bei dem ein Opfer zu Tode gekommen war, sein Leben als bedroht an; zugleich war ihm allerdings bewusst, dass ein weiterer Angriff der fliehenden Täter, die ersichtlich keine Waffe auf ihn richteten, nicht unmittelbar bevorstand. Er schoss, um den Raubtätern zu verdeutlichen , dass sie nicht zurückkommen sollten. Die Sicherung seines Eigentums spielte bei Abgabe der Schüsse keine Rolle.
4
II. Auf der Grundlage dieser Feststellungen erweist sich die Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags auch unter Berücksichtigung der Revisionsangriffe als rechtsfehlerfrei. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
5
1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, begegnet keinen durchgreifenden revisionsrechtlichen Bedenken. Die Strafkammer hat sich vom Vorliegen des Tötungsvorsatzes des Angeklagten im Wesentlichen wegen der besonderen Gefährlichkeit der Tathandlung (mehrere Schüsse intentional in Höhe des Oberkörpers aus vier bis fünf Metern Entfernung), des nach Angaben des hinzugezogenen Sachverständigen sehr zielgerichteten Schussbildes, der Erfahrung des Angeklagten im Umgang mit Waffen sowie der guten Sichtbarkeit der fliehenden Raubtäter überzeugt. Bei dieser Sachlage war es nicht erforderlich, ausdrücklich die Äußerung des Angeklagten nach der Tat zu erörtern, er habe keinem Menschen etwas zu Leide getan; denn diese angesichts des vorangegangenen Geschehens offensichtlich unrichtige Erklärung legt den von der Revision bemühten Rückschluss nicht nahe, der Angeklagte habe bei Tatbegehung darauf vertraut, trotz der erkannten Gefährlichkeit seines Handelns werde der Taterfolg ausbleiben. Mit Blick auf die hochgefährliche Tatbegehung und insbesondere das zielgerichtete Schussbild bedurfte auch der Umstand, dass die Strafkammer - dem psychiatrischen Sachverständigen folgend und letztlich unter Anwendung des Zweifelssatzes - nicht hat ausschließen können, dass der Angeklagte infolge einer akuten Belastungsstörung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war, keiner eingehenderen Erörterung im Rahmen der Prüfung des Tötungsvorsatzes.
6
2. Zu Recht hat das Landgericht eine Rechtfertigung der Handlungen des Angeklagten abgelehnt.
7
a) Ein Notwehrrecht wegen eines gegenwärtigen Angriffs der Raubtäter auf Leib und Leben des Angeklagten kommt nicht in Betracht, denn das Landgericht hat gerade nicht feststellen können, dass tatsächlich ein Schuss auf den Angeklagten abgegeben wurde.
8
b) Ohne Erfolg bleiben die Revisionen, soweit sie die Ablehnung eines Notwehrrechts wegen der Wegnahme des Portemonnaies als rechtsfehlerhaft rügen. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, scheitert eine Rechtfertigung - was die Rechtsmittelbegründungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten verkennen - insoweit bereits an dem aus mehreren Gründen fehlenden Verteidigungswillen des Angeklagten, von dem die Verteidigungshandlung nach ständiger Rechtsprechung, von der abzuweichen der vorliegende Fall keinen Anlass bietet, getragen sein muss (RG, Urteil vom 19. Dezember 1919 - IV 708/19, RGSt 54, 196, 199; BGH, Urteile vom 15. Januar 1952 - 1 StR 552/51, BGHSt 2, 111, 114; vom 2. Oktober 1953 - 3 StR 151/53, BGHSt 5, 245, 247; vom 11. September 1995 - 4 StR 294/95, NStZ 1996, 29, 30; Beschluss vom 9. September 1997 - 1 StR 730/96, NJW 1998, 465, 466; Urteile vom 6. Oktober 2004 - 1 StR 268/04, NStZ 2005, 332, 334; vom 25. April 2013 - 4 StR 551/12, NJW 2013, 2133, 2134 f. mwN). Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen der Strafkammer ging der Angeklagte im Tatzeitpunkt davon aus, die Raubtäter hätten keine Beute erlangt. Er hatte also keine Kenntnis von der Notwehrlage. Zudem gab er die Schüsse auch nicht ab, um sein Eigentum zu verteidigen; allein handlungsleitendes Motiv war vielmehr Angst um sein Leben, nachdem er meinte, einen Schuss gehört zu haben.
9
Selbst wenn man mit einer in der Literatur vertretenen Auffassung in Fällen , in denen das subjektive Rechtfertigungselement fehlt, eine Strafbarkeit wegen vollendeten Delikts entfallen lassen und - mit Blick auf strukturelle Ähnlichkeiten zum untauglichen Versuch - nur eine solche wegen Versuchs annehmen wollte (vgl. LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 268 mwN; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 32 Rn. 27; s. auch - nicht tragend - BGH, Urteil vom 3. Dezember 1991 - 1 StR 120/90, BGHSt 38, 144, 155 f. zu § 218 Abs. 1, § 218a StGB aF; dagegen eingehend NK-StGB-Paeffgen, vor 4. Aufl., § 32 ff. Rn. 128 mwN), würde dies den Bestand des angefochtenen Urteils nicht gefährden. Denn das Landgericht hat weiter mit umfassender und zutreffender Begründung ausgeführt, dass die Schüsse in Höhe des Oberkörpers der fliehenden Täter nicht erforderlich waren, der Angeklagte vielmehr - jedenfalls mit Blick auf die Verteidigung allein seines Eigentums - gehalten war, auf die Beine der Flüchtenden zu zielen (vgl. zu den Grundsätzen des Einsatzes des mildesten Mittels bei lebensgefährlichen Verteidigungsakten, insb. beim Schusswaffengebrauch LK/Rönnau/Hohn aaO, § 32 Rn. 175 ff. mwN; Fischer aaO, § 32 Rn. 33a).
10
c) Der Angeklagte handelte auch nicht mit dem erforderlichen Willen, sein Hausrecht gegen einen gegenwärtigen Angriff der Raubtäter darauf zu verteidigen. Vielmehr waren nach den Feststellungen ursächlich für die Schüsse allein die Angst um sein Leben wegen des vermeintlichen Schusses auf ihn sowie sein Wunsch, den Angreifern zu verdeutlichen, dass sie nicht zurückkehren sollten.
11
Zur Verteidigung des Hausrechts stellten die Schüsse zudem keine gebotene Notwehrhandlung dar. Zwar ist anerkannt, dass auch das Hausrecht "grundsätzlich mit scharfen Mitteln" verteidigt werden darf, soweit es sich bei dem Angriff nicht um eine Bagatelle handelt (BGH, Beschluss vom 29. Januar 1982 - 3 StR 496/81, juris; Urteil vom 31. Juli 1979 - 1 StR 296/79, juris Rn. 12). Steht indes die mit der Verteidigung verbundene Beeinträchtigung des Angreifers in einem groben Missverhältnis zu Art und Umfang der aus dem Angriff drohenden Rechtsverletzung, so ist die Notwehr unzulässig (BGH, Beschluss vom 1. März 2011 - 3 StR 450/10, NStZ 2011, 630, 631; Urteile vom 16. Juli 1980 - 2 StR 127/80, NStZ 1981, 22, 23; vom 31. Juli 1979 - 1 StR 296/79 aaO mwN; LK/Rönnau/Hohn aaO, § 32 Rn. 230 ff. mwN; S/S-Perron, StGB, 29. Aufl., § 32 Rn. 50 mwN; MüKoStGB/Erb, 2. Aufl., § 32 Rn. 214 ff.). Dies war angesichts des Umstands, dass die Raubtäter im Begriff waren, das Grundstück fluchtartig zu verlassen und die Beendigung der Hausrechtsverletzung damit - wie von dem Angeklagten erkannt - auch ohne sein Zutun unmittelbar bevorstand, hier der Fall. Aus diesem Grund liegt auch der Einwand der Revision des Angeklagten, die Strafkammer habe sich mit der Intensität der ursprünglichen , in dem Überfall liegenden Hausrechtsverletzung nicht ausreichend auseinandergesetzt , neben der Sache.
12
3. Zu Recht hat die Strafkammer das Vorliegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums verneint, der gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB die Strafbarkeit wegen vorsätzlichen Handelns entfallen lassen könnte (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 6. Juni 1952 - 1 StR 708/51, BGHSt 3, 105, 106 f.; vom 10. Februar 2000 - 4 StR 558/99, BGHSt 45, 378, 384; vgl. aber auch BGH, Urteil vom 2. November 2011 - 2 StR 375/11, NStZ 2012, 272, 273: Ausschluss der Vorsatzschuld). In einem solchen Erlaubnistatbestandsirrtum befindet sich, wer irrig Umstände annimmt, die - wenn sie vorlägen - einen anerkannten Rechtfertigungsgrund begründen würden (LK/Vogel aaO, § 16 Rn. 110).
13
a) Diese Voraussetzung war nach den getroffenen Feststellungen bei dem Angeklagten nicht gegeben.
14
aa) Er nahm - entgegen der Auffassung der Revision der Staatsanwaltschaft - nicht an, sich in einer Lage zu befinden, aufgrund derer sein Handeln durch Notwehr hätte gerechtfertigt sein können. Denn das Landgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass dem Angeklagten im Moment der Schussabgabe bewusst war, dass ein (weiterer) Angriff der flüchtenden Raubtäter nicht unmittelbar bevorstand und diese keine Waffe auf ihn richteten. In der Beweiswürdigung hat die Strafkammer dazu ausgeführt, der Angeklagte habe lediglich die Vorstellung gehabt, der von ihm vermeintlich gehörte Schuss habe möglicherweise ihm gegolten. Er sei indes nicht davon ausgegangen, dass die Raubtäter von ihrer weiteren Flucht hätten absehen und zurückkehren oder gar weitere Schüsse in seine Richtung hätten abgeben wollen. Mit seinen Schüssen habe er lediglich aufzeigen wollen, dass die Täter ihre Flucht fortsetzen und nicht zurückkommen sollten. Damit stellte sich der Angeklagte aber gerade keinen gegenwärtigen Angriff auf sein Leben oder seine Gesundheit vor: Der vermeintlich abgegebene Schuss auf ihn hatte ihn ersichtlich nicht verletzt; weil er erkannte , dass ein weiterer Schuss nicht abgegeben werden würde, dauerte der (angenommene) Angriff aus seiner Sicht auch nicht mehr fort, weil die Herbeiführung oder Vertiefung einer Rechtsgutsverletzung nicht zu erwarten war (vgl. MüKoStGB/Erb aaO, § 32 Rn. 110 f. mwN).
15
bb) Die getroffenen Feststellungen erweisen sich auch nicht als widersprüchlich. Dies gilt insbesondere mit Blick darauf, dass sich aus der Einlassung des Angeklagten einerseits ergibt, dass er sich durch den vermeintlichen Schuss in Lebensgefahr gewähnt habe, er indes andererseits im Moment der Tatausführung - wie dargelegt - nicht (mehr) von einem gegenwärtigen Angriff auf sein Leben oder seine Gesundheit ausging. Soweit der Generalbundesanwalt der Einlassung entnehmen will, der Angeklagte habe - "weil sonst mit einer akuten Lebensgefahr nicht vereinbar" - eine "alsbaldige" Rückkehr der Raubtäter befürchtet und sei damit im Widerspruch zu den Feststellungen der Strafkammer doch von deren unmittelbar bevorstehenden Rückkehr und mithin von einem gegenwärtigen Angriff ausgegangen, handelt es sich dabei um eine Schlussfolgerung, die das Landgericht gerade nicht gezogen hat. Die Annahme des Angeklagten, sein Leben sei bedroht gewesen, mag infolge des von ihm vermeintlich gehörten, tatsächlich aber nicht abgegebenen Schusses als generelle Befürchtung subjektiv nachvollziehbar gewesen sein; dies steht aber nicht im Widerspruch dazu, dass er bei der anschließenden Abgabe der eigenen Schüsse erkannte, dass (nunmehr) ein weiterer Angriff der Täter auf ihn - sei es durch weitere Schüsse oder eine Rückkehr und Fortsetzung des Raubüberfalls - nicht unmittelbar bevorstand.
16
b) Die Angriffe der Revision des Angeklagten gegen die diesen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung haben gleichfalls keinen Erfolg. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Diesem obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung hat sich darauf zu beschränken, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, was in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall ist, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 6. August 2015- 3 StR 226/15, juris Rn. 5).
17
In diesem Sinne für das Revisionsgericht beachtliche Rechtsfehler in der Beweiswürdigung des Landgerichts zeigen die Rechtsmittel nicht auf. Die Beweiswürdigung ist insbesondere nicht lückenhaft. Die Revision des Angeklagten stellt zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung allein auf die Ausführungen der Strafkammer in der rechtlichen Würdigung ab, die zu seinen festgestellten Angaben nach der Tat gegenüber den anwesenden Polizeibeamten im Widerspruch stünden. Dabei übergeht der Beschwerdeführer die Beweiswürdigung der Strafkammer zu diesem Punkt, die sich mit seiner Einlassung ausdrücklich befasst und ausführlich begründet hat, warum sie nicht von einer (irrtümlich angenommenen) Notwehrlage ausgegangen ist.
18
4. Der Angeklagte war schließlich auch nicht gemäß § 33 StGB entschuldigt. Nach dieser Vorschrift wird der Täter nicht bestraft, der die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken (sog. asthenische Affekte) überschreitet.
19
Voraussetzung ist das Bestehen einer objektiv gegebenen Notwehrlage; auf Fälle der sogenannten Putativnotwehr, also unter anderem in einer irrtümlich angenommenen Notwehrlage (vgl. Fischer aaO, § 32 Rn. 51 mwN), ist die Vorschrift des § 33 StGB nicht anwendbar (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteile vom 24. Oktober 2001 - 3 StR 272/01, NStZ 2002, 141; vom 18. April 2002 - 3 StR 503/01, NStZ-RR 2002, 203, 204; vom 23. Januar 2003 - 4 StR 267/02, NStZ 2003, 599, 600, jeweils mwN; Beschluss vom 1. März 2011 - 3 StR 450/10, NStZ 2011, 630; s. auch LK/Zieschang aaO, § 33 Rn. 24 ff.; MüKoStGB/Erb aaO, § 33 Rn. 18; BeckOK StGB/Heuchemer, § 33 Rn. 13; Motsch, Der straflose Notwehrexzess, 2003, S. 39). Die asthenischen Affekte müssen weiter dafür ursächlich sein, dass der den Angriff wahrnehmende Täter die Grenzen der Notwehr überschreitet (MüKoStGB/Erb aaO, § 33 Rn. 20, 22; NK-StGB- Kindhäuser aaO, § 33 Rn. 25; S/S-Perron aaO, § 33 Rn. 5), wobei er gleichsam mit Verteidigungswillen handeln muss (LK/Zieschang aaO, § 33 Rn. 48 mwN).
20
Nach diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen eines Notwehrexzesses nicht erfüllt:
21
In Bezug auf das Rechtsgut Leben und Gesundheit lag ein gegenwärtiger Angriff - wie dargelegt - nicht vor; der Angeklagte überschritt auch nicht die Grenzen der Notwehr, vielmehr wären seine Schüsse - hätten die Raubtäter tatsächlich auf ihn gefeuert und wäre ihr Angriff noch gegenwärtig gewesen - gerechtfertigt gewesen. Es handelt sich insoweit mithin allenfalls um einen Fall allein der Putativnotwehr in Form eines Tatsachenirrtums über einen in Wirklichkeit nicht vorliegenden Angriff, nicht aber um einen Notwehrexzess (vgl. LK/Zieschang aaO, § 33 Rn. 22).
22
Mit Blick auf das Rechtsgut Eigentum fehlt es wiederum am Verteidigungswillen des Angeklagten, so dass auch insoweit die Anwendung des § 33 StGB ausscheidet.
23
Gleiches gilt - wie dargelegt - hinsichtlich der Verteidigung des Hausrechts des Angeklagten: Insoweit schoss er nicht aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken über den stattgehabten Angriff auf dieses Rechtsgut oder zu dessen Verteidigung gegen einen gegenwärtigen Angriff. Die nach den Feststellungen für die Schüsse ursächliche Angst um sein Leben sowie sein Wunsch, den Angreifern zu verdeutlichen, dass sie nicht zurückkehren sollten, belegen den erforderlichen Verteidigungswillen mit Blick auf das Hausrecht nicht, so dass es nicht darauf ankommt, ob die Todesangst wegen des vermeintlich gehörten Schusses im Rahmen der Überschreitung des das Hausrecht betreffenden objektiv gegebenen Notwehrrechts überhaupt zu berücksichtigen ist, was entge- gen den dargelegten Grundsätzen doch zu einer Berücksichtigung einer tatsächlich nicht bestehenden Notwehrlage im Rahmen der Prüfung des § 33 StGB führen könnte. Auch bedarf es keiner Entscheidung, ob - wie das Landgericht angenommen hat - in Fällen, in denen die Verteidigungshandlung in einem groben Missverhältnis zu der aus dem Angriff drohenden Rechtsverletzung steht, die Anwendung der Vorschrift des § 33 StGB ebenso ausscheidet, wie das Notwehrrecht (vgl. etwa NK-StGB-Kindhäuser aaO, § 33 Rn. 14; SKStGB /Rogall, 122. Lfg., § 33 Rn. 13; S/S-Perron aaO, § 33 Rn. 7; Roxin, Strafrecht AT, 4. Aufl., § 22 Rn. 79; Kühl, Strafrecht AT, 7. Aufl., § 12 Rn. 150; Jakobs, Strafrecht AT, 2. Aufl., 20. Abschn. Rn. 29; Motsch aaO, S. 91 f.; Diederich , Ratio und Grenzen des straflosen Notwehrexzesses, 2001, S. 73 ff.; aA LK/Zieschang aaO, § 33 Rn. 3; Fischer aaO, § 33 Rn. 8; HK-GS-StGB/Duttge, 3. Aufl., § 33 Rn. 4).
24
III. Der Senat hat den Schuldspruch neu gefasst, weil die Urteilsformel von allem freizuhalten ist, was nicht unmittelbar der Erfüllung ihrer Aufgabe dient, das begangene Unrecht zu kennzeichnen und die im Urteil getroffenen Anordnungen zu verlautbaren. Eine Bezeichnung der Tat als "minder schwerer Fall" erübrigt sich danach (BGH, Beschluss vom 11. März 2008 - 3 StR 36/08, juris Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 260 Rn. 25 mwN).
Becker Pfister Schäfer Gericke Spaniol

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(1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluß der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaft

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1.
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2.
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3.
seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.

(2) Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.

(3) Die Voraussetzungen des Absatzes 2 gelten bei einem Schwangerschaftsabbruch, der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommen wird, auch als erfüllt, wenn nach ärztlicher Erkenntnis an der Schwangeren eine rechtswidrige Tat nach den §§ 176 bis 178 des Strafgesetzbuches begangen worden ist, dringende Gründe für die Annahme sprechen, daß die Schwangerschaft auf der Tat beruht, und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.

(4) Die Schwangere ist nicht nach § 218 strafbar, wenn der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung (§ 219) von einem Arzt vorgenommen worden ist und seit der Empfängnis nicht mehr als zweiundzwanzig Wochen verstrichen sind. Das Gericht kann von Strafe nach § 218 absehen, wenn die Schwangere sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 450/10
vom
1. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts am 1. März 2011 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 12. Mai 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt , deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Die lückenhaften Feststellungen tragen nicht den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB).
3
a) Dem Angeklagten mussten im Jahre 2005 wegen arterieller Durchblutungsstörungen am rechten Bein ein Bypass gelegt und zwei Zehen amputiert werden. Seitdem ist er auf die Einnahme blutgerinnungshemmender Medikamente angewiesen. Gleichwohl wurden in der Folge an der Arteria fermoralis superficialis langstreckige Verschlüsse und ein teilthrombosiertes Aneurisma mit einem Durchmesser von ca. 5 cm diagnostiziert, die dringend der operativen Behandlung bedürfen.
4
Der als unauffällig und ruhig beschriebene Angeklagte wohnte in einem größeren Wohnkomplex in B. , in welchem es regelmäßig zu Ruhestörungen , Körperverletzungen, Drogendelikten und entsprechenden Polizeieinsätzen kam. Auf derselben Etage wohnte auch der als Hausmeister fungierende Zeuge W. , zu dem er ein von gegenseitigem Verständnis geprägtes Verhältnis hatte.
5
In der Tatnacht gegen 23.00 Uhr vernahm der nach dem Konsum von acht Flaschen Bier alkoholisierte Angeklagte erheblichen Lärm aus der Wohnung des Zeugen W. , in der sich mehrere Personen aufhielten, die bei offener Wohnungstür Alkohol und Drogen konsumierten, grölten und laute Musik spielten. Auf die Bitte des Angeklagten sorgte der Zeuge W. für Ruhe, worauf der Angeklagte sich schlafen legte. Gegen 0.45 Uhr erwachte der Angeklagte , weil erneut laute Musik aus der geöffneten Wohnungstür des Zeugen W. drang. Schlaftrunken und erheblich verärgert entschloss sich der Angeklagte , dessen Wohnung aufzusuchen, um für Ruhe zu sorgen und nötigenfalls den Stecker der Musikanlage zu ziehen. Die Einschaltung der Polizei hielt er nicht für angebracht, weil er mit dem Zeugen stets hatte reden können. Im Bewusstsein der erlebten Polizeieinsätze und aus Angst vor den unbekannten Gästen des Zeugen steckte er zu seinem Schutz ein zusammengeklapptes Taschenmesser mit einer 7 cm langen, spitz zulaufenden Klinge in die vordere Tasche der von ihm getragenen Jogginghose.
6
Der Zeuge W. war indes nach Alkoholkonsum zwischenzeitlich eingeschlafen. In dessen Wohnung fand der Angeklagte lediglich noch die Zeugen Br. und Bi. ansprechbar. Im Wohnungsflur stehend forderte er den Zeugen Br. auf, die Musik leiser zu stellen. Dieser trat auf den Angeklagten zu, verwickelte ihn zunächst in eine verbale Auseinandersetzung und versuchte schließlich, ihn aus der Wohnung zu drängen. Hieraus entwickelte sich "ein Handgemenge und ein Schubsen". Nun entschloss sich der im Wohnzimmer befindliche Zeuge Bi. , in das Geschehen "einzugreifen". Er stand auf und "schoss regelrecht" am Zeugen Br. vorbei in Richtung des Angeklagten, wobei er "mit den Armen gestikulierte". Obwohl die beiden Zeugen "zu keinem Zeitpunkt" beabsichtigten, den Angeklagten, der die Wohnung nicht freiwillig verlassen wollte, zu schlagen oder zu verletzen, fühlte dieser sich nun bedroht. Er fürchtete, gewaltsam aus der Wohnung des Zeugen W. "herauskatapultiert" zu werden und infolge dessen zu stürzen oder gegen die Wand des Etagenflurs zu prallen, was ihm wegen seines Gesundheitszustandes Angst bereitete. Er "meinte", einem solchen Angriff durch ungezielte Messerstiche in Richtung der Zeugen "begegnen zu dürfen". Deshalb zog er das Klappmesser hervor , öffnete es gleichzeitig und stach in unmittelbarer zeitlicher Abfolge zweimal ungezielt, aber heftig in Richtung der Zeugen. Der Zeuge Bi. wurde an der linken Halsseite getroffen und erlitt dort eine etwa 3 cm tiefe Stichwunde. Der Zeuge Br. erhielt einen Stich in den rechten Oberbauch, der zwischen den Leberlappen hindurchging.
7
b) Das Landgericht ist der Ansicht, der Angeklagte habe rechtswidrig gehandelt , weil er sich nicht auf eine Notwehrlage (§ 32 StGB) habe berufen könne. Die Zeugen hätten keinen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf ihn geführt , sondern nur versucht, ihn aus der Wohnung des Zeugen W. zu drängen. Hierzu seien sie berechtigt gewesen, weil sich der Angeklagte dort ohne Erlaubnis des Inhabers aufgehalten habe. Zwar habe der Angeklagte in Putativnotwehr gehandelt, weil er irrig angenommen habe, er werde nun - mit der möglichen Folge erheblicher Verletzungen - aus der Wohnung "herauskatapultiert". Putativnotwehr müsse sich jedoch im Rahmen dessen halten, was bei gegebener Notwehrlage gerechtfertigt wäre. Die Messerstiche seien aber bereits nicht das mildeste Mittel gewesen, um den (befürchteten) Angriff abzuwehren ; der Angeklagte hätte den unbewaffneten Zeugen den Einsatz des Messers zunächst androhen müssen. Jedenfalls seien sie aber nicht geboten gewesen, da sie in einem krassen Missverhältnis zu dem vom Angeklagten als gefährdet angesehenen Rechtsgut stünden. Auf eine Überschreitung der Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken könne sich der Angeklagte nicht berufen, da § 33 StGB im Falle bloßer Putativnotwehr keine Anwendung finde.
8
c) Diese Erwägungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.
9
aa) Entgegen der Ansicht des Landgerichts befand sich der Angeklagte auch objektiv insoweit in einer Notwehrlage, als der Zeuge Br. versuchte, ihn mittels körperlicher Gewalt zum Verlassen der Wohnung des Zeugen W. zu zwingen, denn hierdurch hat er den Angeklagten rechtswidrig angegriffen (§ 240 StGB; § 32 Abs. 2 StGB). Das Handeln des Zeugen Br. war insbesondere nicht durch Nothilfe zugunsten des Zeugen W. gerechtfertigt, denn der Angeklagte ist weder widerrechtlich in dessen Wohnung eingedrungen noch hat er unberechtigt darin verweilt (§ 123 Abs. 1 StGB). Inhaber des Hausrechts war der Zeuge W. . Dass dessen Wille einem Betreten seiner Wohnung durch den Angeklagten aus gegebenem Anlass entgegenstand, hat das Landgericht nicht festgestellt. Angesichts des Verhaltens des Zeugen W. anlässlich der vorangegangenen Ruhestörung und seines sachlichen Verhältnisses zum Angeklagten liegt dies auch nicht nahe. Schon deshalb konnte die vom Zeugen Br. als Drittem (vgl. hierzu Fischer, StGB, 58. Aufl., § 123 Rn. 29) an den Angeklagten gerichtete Aufforderung, die Wohnung zu verlassen, rechtlich keine Wirkung entfalten.
10
In einer objektiven Notwehrlage befand sich der Angeklagte naheliegend aber auch gegenüber dem Zeugen Bi. . Zwar hat das Landgericht nicht ausdrücklich festgestellt, mit welchem Ziel sich dieser dazu entschloss, in das Geschehen "einzugreifen", jedoch geht es nach dem Gesamtzusammenhang des Urteils von der nahe liegenden Annahme aus, er habe den Zeugen Br. bei der Entfernung des Angeklagten aus der Wohnung körperlich unterstützen wollen (s. insbes. UA S. 13).
11
bb) Danach irrte der Angeklagte entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht über die tatsächlichen Voraussetzungen einer Notwehrlage. Vielmehr schloss er aus dem Eingreifen des Zeugen Bi. irrig auf eine unmittelbar bevorstehende Intensivierung des bereits in Gang befindlichen rechtswidrigen Angriffs , der er durch den bislang geleisteten bloßen körperlichen Widerstand nicht mehr begegnen zu können glaubte.
12
(1) Hält sich der Angegriffene in einem solchen Falle im Rahmen dessen, was in der von ihm angenommenen Situation zur Abwendung des Angriffs objektiv erforderlich und geboten gewesen wäre, so beurteilt sich sein Handeln zunächst allein nach den Grundsätzen des Erlaubnistatbestandsirrtums. Seine Bestrafung wegen vorsätzlicher Tatbegehung ist nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB ausgeschlossen. Bei Vermeidbarkeit des Irrtums kommt gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 StGB die Bestrafung wegen einer Fahrlässigkeitstat in Betracht (Fischer aaO § 16 Rn. 22; § 32 Rn. 51). Zu prüfen bleibt dann indes, ob der (vermeidbare ) Irrtum auf einem der in § 33 StGB genannten asthenischen Affekte - Verwirrung , Furcht oder Schrecken - beruht, denn hierdurch entfiele schuldhaftes Handeln. Anders als in dem Fall, dass der Täter die Fortsetzung eines bereits beendeten Angriffs annimmt (hierzu BGH, Urteil vom 24. Oktober 2001 - 3 StR 272/01, NStZ 2002, 141), ist die Anwendung dieser Vorschrift nicht ausgeschlossen , denn die objektive Notwehrlage dauert fort (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 1986 - 3 StR 269/86, NStZ 1987, 20).
13
Ist sich der Angegriffene demgegenüber bewusst, dass seine Verteidigungshandlung über das hinausgeht, was zur Abwehr des (angenommenen) Angriffs im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB erforderlich gewesen wäre, so bleibt es bei einer vorsätzlichen rechtswidrigen Tat. Indes kommt ihm auch in diesem Falle der Schuldausschließungsgrund des § 33 StGB dann zugute, wenn er aus den in der Vorschrift genannten Gründen zur Überschreitung der Grenzen der Notwehr hingerissen worden ist (BGH, Beschluss vom 21. Juni 1989 - 3 StR 203/89, NStZ 1989, 474; Fischer aaO § 33 Rn. 8).
14
(2) Welche der genannten Möglichkeiten vorliegend in Betracht kommt, lässt sich anhand der Feststellungen nicht abschließend beurteilen.
15
Ob die Messerstiche im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB erforderlich gewesen wären, um einen Angriff abzuwehren, wie der Angeklagte ihn befürchtete, kann der Senat mangels zureichender Darlegungen zur inneren Tatseite nicht überprüfen. Zwar geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass der Einsatz einer lebensgefährlichen Waffe jedenfalls gegenüber einem unbewaffneten Angreifer grundsätzlich zunächst anzudrohen ist. Indes teilt es nicht mit, ob der Angeklagte überhaupt von einer Kampflage ausging, in der es noch möglich und Erfolg versprechend gewesen wäre, zunächst mit dem Messer zu drohen (hierzu Fischer aaO § 32 Rn. 33 mwN). Angesichts der Feststellung, der Zeuge Bi. sei regelrecht auf den Angeklagten zugeschossen, versteht sich dies nicht von selbst.
16
Der Auffassung des Landgerichts, die Messerstiche wären jedenfalls nicht im Sinne von § 32 Abs. 1 StGB geboten gewesen, kann sich der Senat nicht anschließen. Der Angegriffene muss von einer erforderlichen Verteidigungshandlung nicht bereits dann absehen, wenn zwischen der dem Angreifer dadurch drohenden Rechtsgutverletzung und dem angegriffenen eigenen Rechtsgut ein Ungleichgewicht besteht. Rechtsmissbräuchlich und damit nicht mehr geboten ist eine Verteidigungshandlung vielmehr erst dann, wenn die jeweils bedrohten Rechtsgüter zueinander in einem unerträglichen Missverhältnis stehen, etwa wenn die - wie hier - Leib oder Leben des Angreifers gefährdende Handlung der Abwehr eines evident bagatellhaften, bloßem Unfug nahe kommenden Angriffs dient (vgl. Fischer aaO § 32 Rn. 39). Bei dem vom Angeklagten befürchteten "Hinauskatapultieren" mit der Gefahr nicht unerheblicher Verletzungen infolge eines Sturzes oder eines Aufpralls auf der Wand kann davon keine Rede sein.
17
2. Unabhängig davon hat der Schuldspruch auch deshalb keinen Bestand , weil die Feststellungen nicht die Annahme des Landgerichts tragen, der Angeklagte sei bei der Begehung der ihm vorgeworfenen Tat schuldfähig gewesen (§ 20 StGB).
18
Sachverständig beraten hat das Landgericht festgestellt, dass der aus dem Schlaf gerissene Angeklagte zur Tatzeit infolge einer Blutalkoholkonzentration von 1,66 ‰ und eines beträchtlichen Erregungszustandes "in der Fähigkeit, das Unrecht seiner Handlungen einzusehen und nach der Einsicht zu handeln, erheblich eingeschränkt" war. Ist indes die Fähigkeit des Täters, das Unrecht seiner Tat einzusehen, erheblich vermindert, so kommt es für die Beurteilung seiner Schuldfähigkeit entscheidend darauf an, ob ihm deswegen diese Einsicht fehlt oder ob er gleichwohl über sie verfügt. Hat der Täter nicht die Einsicht in das Unerlaubte seines Handelns und kann ihm dies auch nicht vorgeworfen werden, so handelt er nach § 17 Satz 1 StGB ohne Schuld (vgl. Fischer aaO § 21 Rn. 3 mwN). Dazu, ob der Angeklagte ungeachtet der festgestellten erheblichen Beeinträchtigung seiner Einsichtsfähigkeit das Unerlaubte seines Handelns erkannte, verhält sich das Urteil nicht.
19
3. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird - nötigenfalls unter Heranziehung des Zweifelssatzes - sowohl den objektiven Sachverhalt als auch die subjektiven Vorstellungen des Angeklagten genauer festzustellen haben, um eine ausreichende Grundlage für die Bewertung zu schaffen, ob die Tat des Angeklagten gerechtfertigt oder entschuldigt ist.
Becker Pfister Hubert Schäfer Mayer

(1) Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich. Die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung bleibt unberührt.

(2) Wer bei Begehung der Tat irrig Umstände annimmt, welche den Tatbestand eines milderen Gesetzes verwirklichen würden, kann wegen vorsätzlicher Begehung nur nach dem milderen Gesetz bestraft werden.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

5
2. Gegen diesen Teilfreispruch wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger mit ihren Rechtsmitteln. Den in den Revisionsbegründungen vorgetragenen Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts bleibt der Erfolg versagt: Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht überwinden kann, so ist dies vom Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen. Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatrichters, dem allein es obliegt, sich unter dem Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht kann demgegenüber nur prüfen, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326). Liegt ein solcher Rechtsfehler nicht vor, ist die vom Tatgericht vorgenommene Würdigung auch dann hinzunehmen, wenn ein anderes Ergebnis ebenso möglich gewesen wäre oder gar näher gelegen hätte (BGH, Urteil vom 17. April 2014 - 3 StR 27/14, NStZRR 2014, 279, 280).

Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 450/10
vom
1. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts am 1. März 2011 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 12. Mai 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt , deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Die lückenhaften Feststellungen tragen nicht den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB).
3
a) Dem Angeklagten mussten im Jahre 2005 wegen arterieller Durchblutungsstörungen am rechten Bein ein Bypass gelegt und zwei Zehen amputiert werden. Seitdem ist er auf die Einnahme blutgerinnungshemmender Medikamente angewiesen. Gleichwohl wurden in der Folge an der Arteria fermoralis superficialis langstreckige Verschlüsse und ein teilthrombosiertes Aneurisma mit einem Durchmesser von ca. 5 cm diagnostiziert, die dringend der operativen Behandlung bedürfen.
4
Der als unauffällig und ruhig beschriebene Angeklagte wohnte in einem größeren Wohnkomplex in B. , in welchem es regelmäßig zu Ruhestörungen , Körperverletzungen, Drogendelikten und entsprechenden Polizeieinsätzen kam. Auf derselben Etage wohnte auch der als Hausmeister fungierende Zeuge W. , zu dem er ein von gegenseitigem Verständnis geprägtes Verhältnis hatte.
5
In der Tatnacht gegen 23.00 Uhr vernahm der nach dem Konsum von acht Flaschen Bier alkoholisierte Angeklagte erheblichen Lärm aus der Wohnung des Zeugen W. , in der sich mehrere Personen aufhielten, die bei offener Wohnungstür Alkohol und Drogen konsumierten, grölten und laute Musik spielten. Auf die Bitte des Angeklagten sorgte der Zeuge W. für Ruhe, worauf der Angeklagte sich schlafen legte. Gegen 0.45 Uhr erwachte der Angeklagte , weil erneut laute Musik aus der geöffneten Wohnungstür des Zeugen W. drang. Schlaftrunken und erheblich verärgert entschloss sich der Angeklagte , dessen Wohnung aufzusuchen, um für Ruhe zu sorgen und nötigenfalls den Stecker der Musikanlage zu ziehen. Die Einschaltung der Polizei hielt er nicht für angebracht, weil er mit dem Zeugen stets hatte reden können. Im Bewusstsein der erlebten Polizeieinsätze und aus Angst vor den unbekannten Gästen des Zeugen steckte er zu seinem Schutz ein zusammengeklapptes Taschenmesser mit einer 7 cm langen, spitz zulaufenden Klinge in die vordere Tasche der von ihm getragenen Jogginghose.
6
Der Zeuge W. war indes nach Alkoholkonsum zwischenzeitlich eingeschlafen. In dessen Wohnung fand der Angeklagte lediglich noch die Zeugen Br. und Bi. ansprechbar. Im Wohnungsflur stehend forderte er den Zeugen Br. auf, die Musik leiser zu stellen. Dieser trat auf den Angeklagten zu, verwickelte ihn zunächst in eine verbale Auseinandersetzung und versuchte schließlich, ihn aus der Wohnung zu drängen. Hieraus entwickelte sich "ein Handgemenge und ein Schubsen". Nun entschloss sich der im Wohnzimmer befindliche Zeuge Bi. , in das Geschehen "einzugreifen". Er stand auf und "schoss regelrecht" am Zeugen Br. vorbei in Richtung des Angeklagten, wobei er "mit den Armen gestikulierte". Obwohl die beiden Zeugen "zu keinem Zeitpunkt" beabsichtigten, den Angeklagten, der die Wohnung nicht freiwillig verlassen wollte, zu schlagen oder zu verletzen, fühlte dieser sich nun bedroht. Er fürchtete, gewaltsam aus der Wohnung des Zeugen W. "herauskatapultiert" zu werden und infolge dessen zu stürzen oder gegen die Wand des Etagenflurs zu prallen, was ihm wegen seines Gesundheitszustandes Angst bereitete. Er "meinte", einem solchen Angriff durch ungezielte Messerstiche in Richtung der Zeugen "begegnen zu dürfen". Deshalb zog er das Klappmesser hervor , öffnete es gleichzeitig und stach in unmittelbarer zeitlicher Abfolge zweimal ungezielt, aber heftig in Richtung der Zeugen. Der Zeuge Bi. wurde an der linken Halsseite getroffen und erlitt dort eine etwa 3 cm tiefe Stichwunde. Der Zeuge Br. erhielt einen Stich in den rechten Oberbauch, der zwischen den Leberlappen hindurchging.
7
b) Das Landgericht ist der Ansicht, der Angeklagte habe rechtswidrig gehandelt , weil er sich nicht auf eine Notwehrlage (§ 32 StGB) habe berufen könne. Die Zeugen hätten keinen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf ihn geführt , sondern nur versucht, ihn aus der Wohnung des Zeugen W. zu drängen. Hierzu seien sie berechtigt gewesen, weil sich der Angeklagte dort ohne Erlaubnis des Inhabers aufgehalten habe. Zwar habe der Angeklagte in Putativnotwehr gehandelt, weil er irrig angenommen habe, er werde nun - mit der möglichen Folge erheblicher Verletzungen - aus der Wohnung "herauskatapultiert". Putativnotwehr müsse sich jedoch im Rahmen dessen halten, was bei gegebener Notwehrlage gerechtfertigt wäre. Die Messerstiche seien aber bereits nicht das mildeste Mittel gewesen, um den (befürchteten) Angriff abzuwehren ; der Angeklagte hätte den unbewaffneten Zeugen den Einsatz des Messers zunächst androhen müssen. Jedenfalls seien sie aber nicht geboten gewesen, da sie in einem krassen Missverhältnis zu dem vom Angeklagten als gefährdet angesehenen Rechtsgut stünden. Auf eine Überschreitung der Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken könne sich der Angeklagte nicht berufen, da § 33 StGB im Falle bloßer Putativnotwehr keine Anwendung finde.
8
c) Diese Erwägungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.
9
aa) Entgegen der Ansicht des Landgerichts befand sich der Angeklagte auch objektiv insoweit in einer Notwehrlage, als der Zeuge Br. versuchte, ihn mittels körperlicher Gewalt zum Verlassen der Wohnung des Zeugen W. zu zwingen, denn hierdurch hat er den Angeklagten rechtswidrig angegriffen (§ 240 StGB; § 32 Abs. 2 StGB). Das Handeln des Zeugen Br. war insbesondere nicht durch Nothilfe zugunsten des Zeugen W. gerechtfertigt, denn der Angeklagte ist weder widerrechtlich in dessen Wohnung eingedrungen noch hat er unberechtigt darin verweilt (§ 123 Abs. 1 StGB). Inhaber des Hausrechts war der Zeuge W. . Dass dessen Wille einem Betreten seiner Wohnung durch den Angeklagten aus gegebenem Anlass entgegenstand, hat das Landgericht nicht festgestellt. Angesichts des Verhaltens des Zeugen W. anlässlich der vorangegangenen Ruhestörung und seines sachlichen Verhältnisses zum Angeklagten liegt dies auch nicht nahe. Schon deshalb konnte die vom Zeugen Br. als Drittem (vgl. hierzu Fischer, StGB, 58. Aufl., § 123 Rn. 29) an den Angeklagten gerichtete Aufforderung, die Wohnung zu verlassen, rechtlich keine Wirkung entfalten.
10
In einer objektiven Notwehrlage befand sich der Angeklagte naheliegend aber auch gegenüber dem Zeugen Bi. . Zwar hat das Landgericht nicht ausdrücklich festgestellt, mit welchem Ziel sich dieser dazu entschloss, in das Geschehen "einzugreifen", jedoch geht es nach dem Gesamtzusammenhang des Urteils von der nahe liegenden Annahme aus, er habe den Zeugen Br. bei der Entfernung des Angeklagten aus der Wohnung körperlich unterstützen wollen (s. insbes. UA S. 13).
11
bb) Danach irrte der Angeklagte entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht über die tatsächlichen Voraussetzungen einer Notwehrlage. Vielmehr schloss er aus dem Eingreifen des Zeugen Bi. irrig auf eine unmittelbar bevorstehende Intensivierung des bereits in Gang befindlichen rechtswidrigen Angriffs , der er durch den bislang geleisteten bloßen körperlichen Widerstand nicht mehr begegnen zu können glaubte.
12
(1) Hält sich der Angegriffene in einem solchen Falle im Rahmen dessen, was in der von ihm angenommenen Situation zur Abwendung des Angriffs objektiv erforderlich und geboten gewesen wäre, so beurteilt sich sein Handeln zunächst allein nach den Grundsätzen des Erlaubnistatbestandsirrtums. Seine Bestrafung wegen vorsätzlicher Tatbegehung ist nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB ausgeschlossen. Bei Vermeidbarkeit des Irrtums kommt gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 StGB die Bestrafung wegen einer Fahrlässigkeitstat in Betracht (Fischer aaO § 16 Rn. 22; § 32 Rn. 51). Zu prüfen bleibt dann indes, ob der (vermeidbare ) Irrtum auf einem der in § 33 StGB genannten asthenischen Affekte - Verwirrung , Furcht oder Schrecken - beruht, denn hierdurch entfiele schuldhaftes Handeln. Anders als in dem Fall, dass der Täter die Fortsetzung eines bereits beendeten Angriffs annimmt (hierzu BGH, Urteil vom 24. Oktober 2001 - 3 StR 272/01, NStZ 2002, 141), ist die Anwendung dieser Vorschrift nicht ausgeschlossen , denn die objektive Notwehrlage dauert fort (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 1986 - 3 StR 269/86, NStZ 1987, 20).
13
Ist sich der Angegriffene demgegenüber bewusst, dass seine Verteidigungshandlung über das hinausgeht, was zur Abwehr des (angenommenen) Angriffs im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB erforderlich gewesen wäre, so bleibt es bei einer vorsätzlichen rechtswidrigen Tat. Indes kommt ihm auch in diesem Falle der Schuldausschließungsgrund des § 33 StGB dann zugute, wenn er aus den in der Vorschrift genannten Gründen zur Überschreitung der Grenzen der Notwehr hingerissen worden ist (BGH, Beschluss vom 21. Juni 1989 - 3 StR 203/89, NStZ 1989, 474; Fischer aaO § 33 Rn. 8).
14
(2) Welche der genannten Möglichkeiten vorliegend in Betracht kommt, lässt sich anhand der Feststellungen nicht abschließend beurteilen.
15
Ob die Messerstiche im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB erforderlich gewesen wären, um einen Angriff abzuwehren, wie der Angeklagte ihn befürchtete, kann der Senat mangels zureichender Darlegungen zur inneren Tatseite nicht überprüfen. Zwar geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass der Einsatz einer lebensgefährlichen Waffe jedenfalls gegenüber einem unbewaffneten Angreifer grundsätzlich zunächst anzudrohen ist. Indes teilt es nicht mit, ob der Angeklagte überhaupt von einer Kampflage ausging, in der es noch möglich und Erfolg versprechend gewesen wäre, zunächst mit dem Messer zu drohen (hierzu Fischer aaO § 32 Rn. 33 mwN). Angesichts der Feststellung, der Zeuge Bi. sei regelrecht auf den Angeklagten zugeschossen, versteht sich dies nicht von selbst.
16
Der Auffassung des Landgerichts, die Messerstiche wären jedenfalls nicht im Sinne von § 32 Abs. 1 StGB geboten gewesen, kann sich der Senat nicht anschließen. Der Angegriffene muss von einer erforderlichen Verteidigungshandlung nicht bereits dann absehen, wenn zwischen der dem Angreifer dadurch drohenden Rechtsgutverletzung und dem angegriffenen eigenen Rechtsgut ein Ungleichgewicht besteht. Rechtsmissbräuchlich und damit nicht mehr geboten ist eine Verteidigungshandlung vielmehr erst dann, wenn die jeweils bedrohten Rechtsgüter zueinander in einem unerträglichen Missverhältnis stehen, etwa wenn die - wie hier - Leib oder Leben des Angreifers gefährdende Handlung der Abwehr eines evident bagatellhaften, bloßem Unfug nahe kommenden Angriffs dient (vgl. Fischer aaO § 32 Rn. 39). Bei dem vom Angeklagten befürchteten "Hinauskatapultieren" mit der Gefahr nicht unerheblicher Verletzungen infolge eines Sturzes oder eines Aufpralls auf der Wand kann davon keine Rede sein.
17
2. Unabhängig davon hat der Schuldspruch auch deshalb keinen Bestand , weil die Feststellungen nicht die Annahme des Landgerichts tragen, der Angeklagte sei bei der Begehung der ihm vorgeworfenen Tat schuldfähig gewesen (§ 20 StGB).
18
Sachverständig beraten hat das Landgericht festgestellt, dass der aus dem Schlaf gerissene Angeklagte zur Tatzeit infolge einer Blutalkoholkonzentration von 1,66 ‰ und eines beträchtlichen Erregungszustandes "in der Fähigkeit, das Unrecht seiner Handlungen einzusehen und nach der Einsicht zu handeln, erheblich eingeschränkt" war. Ist indes die Fähigkeit des Täters, das Unrecht seiner Tat einzusehen, erheblich vermindert, so kommt es für die Beurteilung seiner Schuldfähigkeit entscheidend darauf an, ob ihm deswegen diese Einsicht fehlt oder ob er gleichwohl über sie verfügt. Hat der Täter nicht die Einsicht in das Unerlaubte seines Handelns und kann ihm dies auch nicht vorgeworfen werden, so handelt er nach § 17 Satz 1 StGB ohne Schuld (vgl. Fischer aaO § 21 Rn. 3 mwN). Dazu, ob der Angeklagte ungeachtet der festgestellten erheblichen Beeinträchtigung seiner Einsichtsfähigkeit das Unerlaubte seines Handelns erkannte, verhält sich das Urteil nicht.
19
3. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird - nötigenfalls unter Heranziehung des Zweifelssatzes - sowohl den objektiven Sachverhalt als auch die subjektiven Vorstellungen des Angeklagten genauer festzustellen haben, um eine ausreichende Grundlage für die Bewertung zu schaffen, ob die Tat des Angeklagten gerechtfertigt oder entschuldigt ist.
Becker Pfister Hubert Schäfer Mayer

Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

2
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Schuldspruch war allerdings neu zu fassen, weil die Urteilsformel von allem freizuhalten ist, was nicht unmittelbar der Erfüllung ihrer Aufgabe dient, das begangene Unrecht zu kennzeichnen und die im Urteil getroffenen Anordnungen zu verlautbaren. Bezeichnungen der Tat als "gemeinschaftlich" oder "minder schwerer Fall" erübrigen sich danach (BGHSt 27, 287, 289). Im Übrigen war das Urteil lediglich um die Feststellung eines Konventionsverstoßes zu ergänzen (§ 349 Abs. 4 StPO).