Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 7 0 / 1 4
vom
28. Mai 2014
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts der Vergewaltigung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Mai 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Bundesanwältin beim Bundegerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 11. September 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung freigesprochen. Die Nebenklage rügt mit ihrer hiergegen gerichteten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
1. Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage hatte dem Angeklagten zur Last gelegt, am 15. Juni 2012 seine Ehefrau, die Nebenklägerin , vergewaltigt und körperlich misshandelt zu haben. Am Tattag gegen 19 Uhr habe er sie an den Haaren ins Badezimmer gezerrt, sie dort über den Rand der Badewanne gedrückt, dabei ihren Kopf an den Haaren so stark nach hinten gerissen, dass sie durch Überdehnung des Kehlkopfes nicht schreien konnte, ihre Jogginghose heruntergezogen und sodann gegen ihren Willen den Analverkehr durchgeführt. Dabei soll er der Nebenklägerin derart heftig an den Brustwarzen gezogen haben, dass sie erhebliche Schmerzen litt und zudem infolge des gewaltsamen Analverkehrs am After blutete.
3
2. Der Angeklagte hat den Tatvorwurf bestritten. Das Landgericht hat ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
4
Es hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
5
Der Angeklagte und die Nebenklägerin sind seit März 2010 verheiratet und haben zwei gemeinsame Kinder. Am 11. Mai 2012 ließ die Nebenklägerin gegen den Willen des Angeklagten einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Dies führte dazu, dass sich die Eheleute endgültig trennten, nachdem es schon zuvor häufig zu Spannungen und Streitigkeiten gekommen war. Am 24. August 2012 suchte der Angeklagte seine Ehefrau in deren Wohnung auf. Es kam zu einem Streit, der derart eskalierte, dass die Nebenklägerin die Polizei informierte. Den Beamten gegenüber erwähnte sie, dass der Angeklagte sie vor einiger Zeit vergewaltigt habe.
6
3. Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
7
Die Angaben der Nebenklägerin seien insgesamt als nicht glaubhaft zu beurteilen. Die zahlreichen und bei mehreren Vernehmungen konstant geschilderten Details sprächen zwar für einen real erlebten Vorgang. Die Nebenklägerin habe aber ihre ursprünglichen Angaben zur zeitlichen Einordnung der Tat im Rahmen der Hauptverhandlung revidiert und der Aussage des Zeugen U. angepasst. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens und bei ihrer ersten Befragung in der Hauptverhandlung habe sie noch angegeben, die Vergewaltigung sei einige Wochen nach dem Schwangerschaftsabbruch, also Mitte Juni 2012, erfolgt. Nach Vorhalt der Aussage des Zeugen U. , eines Jugendamtsmitarbeiters , der angegeben hatte, die Nebenklägerin hätte ihm bereits am 22. Mai 2012 von einer kurz zuvor (19./20. Mai 2012) erfolgten Vergewaltigung durch den Angeklagten berichtet, habe die Nebenklägerin in einer zweiten Vernehmung dessen zeitliche Einordnung bestätigt, nachdem sie nach eigenen Angaben zwischenzeitlich zusammen mit ihrer Mutter weitere Überlegungen angestellte hatte.
8
Vor diesem Hintergrund hat die Kammer sich im Hinblick auf den Zweifelsgrundsatz nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte die ihm vorgeworfene Tat begangen habe. Es sei kaum nachvollziehbar, wieso die Erinnerung der Nebenklägerin über ein Jahr nach der Tat nunmehr zuverlässiger sein sollte und warum sie nicht schon bei früheren Vernehmungen die Tatzeit hinterfragt und genauere Überlegungen angestellt habe. Der Nebenklägerin falle es zwar offensichtlich schwer, Ereignisse bestimmten Daten zuzuordnen. Ein Schwangerschaftsabbruch und eine Vergewaltigung seien aber für eine Frau derart einschneidende Erlebnisse, dass man normalerweise einordnen könne, ob die Vergewaltigung nur einige Tage oder mehrere Wochen danach geschehen sei. Berücksichtige man weiter, dass der Vorwurf der Vergewaltigung nach Trennung der Eheleute zum ersten Mal beim Jugendamt erhoben wurde, sei nicht auszuschließen, dass die Nebenklägerin die Beschuldigung erhoben habe, um das alleinige Sorgerecht für die Kinder zu bekommen. Hinzu käme, dass die Nebenklägerin im Rahmen der Hauptverhandlung kaum emotionale Betroffenheit habe erkennen lassen.

II.

9
Der Freispruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
10
1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO), dessen Schlussfolgerungen nicht zwingend, sondern nur möglich sein müssen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 - 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151; Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen. Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich zudem ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110 f.; vom 11. August 2011 - 4 StR 191/11; vom 26. April 2012 - 4 StR 599/11 und vom 8. August 2012 - 1 StR 88/12).
11
2. Die insoweit erforderliche Gesamtschau der Beweisergebnisse fehlt. Das Landgericht hat die Aussage der Nebenklägerin vor allem mit Blick auf die Umstände, die der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben entgegenstehen, ausführlich erörtert und überprüft (UA S. 5 - 8), während es die für die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben sprechenden Gesichtspunkte nur knapp und ohne erkennbare Würdigung aufgelistet hat (UA S. 4 - 5).
12
Im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung aller entscheidungsrelevanten Umstände hätte sich das Landgericht insbesondere damit auseinandersetzen müssen, dass die im Urteil mitgeteilten Aussagen der Nebenklägerin (polizeiliche Vernehmung, richterliche Vernehmung, Angaben in der Hauptverhandlung ) eine beachtliche inhaltliche Konstanz sowie einige originelle Details aufweisen. Auch wurden die Angaben der Nebenklägerin von ihrer Schwester vollständig bestätigt, die sich nach eigenen Angaben während des Tatgeschehens im Nebenzimmer aufgehalten hat. Insoweit verweist die Strafkammer lediglich auf die Möglichkeit, dass die Schwestern Gelegenheit hatten, sich abzusprechen. Es fehlt indes eine Würdigung der Aussage der Schwester und es bleibt entsprechend offen, ob und inwieweit das Gericht der Schwester überhaupt Glauben schenkt.
13
Die Strafkammer hat es aber auch versäumt, die Aussage des Zeugen U. vollständig in die Gesamtwürdigung einzustellen. Der Umstand, dass die Nebenklägerin diesem bereits am 22. Mai 2012 von der ihr widerfahrenen Vergewaltigung berichtet hat, könnte für die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben sprechen und insbesondere die Konstanz ihrer Angaben bestätigen. Es fehlt jedoch schon eine Darstellung dessen, was der Zeuge U. zu den konkreten Angaben der Nebenklägerin bekundet hat. Ferner erscheint auch die Erwägung der Strafkammer wenig lebensnah, es sei nur schwer nachvollziehbar, dass die Nebenklägerin ihrer Mutter am Sonntag vor dem Besuch des Jugendamts ledig- lich berichtet habe, es sei „etwas Schlimmes passiert“, ohne ihr Näheres zu er- zählen. Dass eine Frau sich scheut, auch ihr nahestehenden Personen, eine Vergewaltigung näher zu schildern und in Bezug auf das Vorgefallene ggf. auf nur allgemeine Beschreibungen zurückfällt, erscheint jedenfalls nicht außergewöhnlich.
14
Soweit die Strafkammer letztlich nicht hat „ausschließen“ können, dass die Nebenklägerin gegenüber dem Jugendamtsmitarbeiter die Beschuldigung gegen den Angeklagten nur deshalb erhoben hat, um das alleinige Sorgerecht für ihre Kinder zu bekommen, bleibt diese Erwägung schon im Hinblick auf das Fehlen entsprechender Feststellungen zu einem zum damaligen Zeitpunkt bestehenden Sorgerechtskonflikt reine Spekulation.
15
Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer umfassenden Gesamtschau auch der den Angeklagten belastenden Umstände den Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Nebenklägerin ein geringeres Gewicht beigemessen und sich von der Richtigkeit ihrer Angaben überzeugt hätte.
16
3. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das angefochtene Urteil schon den gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellenden Anforderungen nicht gerecht wird. Das Urteil lässt auch im Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht erkennen, von welchem Sachverhalt die Strafkammer im Hinblick auf den Tatvorwurf letztlich ausgegangen ist. Auch wären vorliegend Feststellungen zu Werdegang, strafrechtlichen Vorbelastungen und Persönlichkeit des Angeklagten wie auch zum Verlauf seiner Ehe mit der Nebenklägerin geboten gewesen, da diese für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle hätten spielen können und deshalb zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind (vgl. BGH, Urteile vom 13. Oktober 1999 - 3 StR 297/99, NStZ 2000, 91, vom 14. Februar 2008 - 4 StR 317/07, NStZ-RR 2008, 206, 207, vom 23. Juli 2008 - 2 StR 150/08, BGHSt 52, 314, 315, und vom 25. Oktober 2012 - 4 StR 170/12, NStZ-RR 2013, 52). Fischer Appl Eschelbach Ott Zeng

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Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafprozeßordnung - StPO | § 267 Urteilsgründe


(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese

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IM NAMEN DES VOLKES
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1 StR 114/11
vom
10. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. August
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
die Nebenklägerin persönlich,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 27. Oktober 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf der sexuellen Nötigung u.a. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen richtet sich die Revision der Nebenklägerin. Diese hat mit der Sachrüge Erfolg, da die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtsfehlerhaft ist. Eines näheren Eingehens auf die zusätzlich erhobenen Aufklärungsrügen bedarf es somit nicht.

I.


2
1. In der (im Wesentlichen auf den Angaben der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren beruhenden) unverändert zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Konstanz vom 12. Juli 2010 ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, dass er bei der Behandlung der Nebenklägerin in mindestens acht Fällen gegen deren Willen aus sexuellen Gründen mit seinem Finger in deren Vaginalbereich eingedrungen sei. Der Angeklagte hat die Vorwürfe bestritten. Das Landgericht hat sich nicht von seiner Schuld zu überzeugen vermocht. Hinsichtlich des Sachverhalts konnte es lediglich folgende Feststellungen treffen:
3
In der Zeit von August bis November 2009 begab sich die damals 18 Jahre alte Nebenklägerin wegen ihres Heuschnupfens mindestens fünf Mal in die Behandlung des als Heilpraktiker tätigen Angeklagten. Dieser war ihr persönlich bekannt, da sie bei dessen Tochter eine Ausbildung zur Kosmetikerin absolvierte. Zur Behandlung des Heuschnupfens führte der Angeklagte bei der Nebenklägerin jeweils zunächst eine Eigenblutbehandlung durch, bei der er ihr das zuvor entnommene Blut in ihren Gesäßmuskel spritzte und die Einstichstelle mit einer schmerzstillenden Salbe massierte. Anschließend nahm er noch eine Lymphdrainage vor, bei der er die Lymphknoten mit einem Massagegerät abtastete.
4
Mitte bzw. Ende November 2009 kam es wegen häufiger Krankmeldungen zu einem Streit zwischen der Nebenklägerin und ihrer Arbeitgeberin, der Tochter des Angeklagten, woraufhin die Nebenklägerin ihren Ausbildungsplatz vorzeitig kündigte.
5
In einem Brief vom 13. Januar 2010 schrieb der Angeklagte der Nebenklägerin Folgendes: „Meine Liebe Jenni. Beginnend möchte ich dich bitten, dass dieser Brief nur uns beide betrifft !!!! Es tut mir sehr leid, dass ich dich nicht mehr hier haben kann. (…) Ich hoffe, dass die Zuneigung zu dir nicht der Grund deiner Kündi- gung gewesen ist. (…) Bitte (…) mach keine trotz Aktionen mit der A. (…). Ich grüße und küsse dich herzlich, bitte melde dich. PS: Wenn du mir schreiben willst, dann schreibe als Absender Apotheke R. “.
6
Dieser Brief veranlasste die Nebenklägerin, zur Polizei zu gehen und gegen den Angeklagten Anzeige zu erstatten.
7
2. Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
8
Die Nebenklägerin und die Zeugin G. , die einen (von der Staats- anwaltschaft nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellten) „vergleichbaren Vorfall“ wie die Nebenklägerin geschildert habe, hätten auf die Strafkammer zwar „keinen unglaubwürdigen Eindruck“ gemacht. Dennoch seien Zweifel an der Glaubhaf- tigkeit der Aussagen der beiden miteinander bekannten Zeuginnen verblieben. So habe es in der Aussage der Nebenklägerin „Unsicherheiten bzw. Abweichungen zu ihren polizeilichen Angaben, die auch den Kernbereich der Tatvor- würfe betreffen“, gegeben. Außerdem hätten beide Zeuginnen ein Belastungs- motiv, da sie beide mit der Tochter des Angeklagten Streit gehabt hätten.

II.


9
Das freisprechende Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
10
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Insbesondere ist es ihm verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch seine eigene zu ersetzen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20).
11
Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich somit darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes , wenn sie lückenhaft ist, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 und 9. März 2011 - 2 StR 467/10 mwN). Insbesondere ist die Beweiswürdigung auch dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20, sowie BGH, Urteil vom 21. November 2006 - 1 StR 392/06) oder sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, dass die einzelnen Beweisergebnisse in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 mwN).

12
2. Diesen Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
13
a) Die Beweiswürdigung ist bereits deshalb rechtsfehlerhaft, weil es an einer geschlossenen Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin und der Zeugin G. fehlt.
14
Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist.
15
aa) Die Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin bei der Polizei und in der Hauptverhandlung beschränkt sich auf die Wiedergabe und Bewertung einzelner aus dem Gesamtzusammenhang der Aussage gerissener Angaben, die das Landgericht als „Unsicherheiten bzw. Abweichungen“ bezeichnet, „die auch den Kernbereich der Tatvorwürfe betreffen“. Die Bekundungen der Ne- benklägerin zu den von ihr erhobenen Vergewaltigungsvorwürfen, insbesondere konkrete Details zum unmittelbaren Tatgeschehen, werden dagegen nicht mitgeteilt. Auch ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, ob die Nebenklägerin die vom Landgericht aufgezeigten Widersprüche im Aussageinhalt nachvollziehbar erklären konnte oder nicht. Auf dieser Grundlage kann der Senat schon nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der - im Urteil nicht weiter mitgeteilten - Aussage der Nebenklägerin zum Kern- geschehen vorgenommen und die dabei von ihr aufgezeigten „Unsicherheiten bzw. Abweichungen“ zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von Aussage- konstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 - 4 StR 526/96).
16
bb) Eine zusammenhängende Schilderung der von der Zeugin G. gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe ist den Urteilsgründen ebenfalls nicht zu entnehmen. Die Ausführungen im angefochtenen Urteil beschränken sich auf den Hinweis, die Zeugin habe einen „vergleichbaren Vorfall“ geschildert. Weitere Einzelheiten der Aussage werden nicht mitgeteilt. Der Senat kann daher auch in Bezug auf die Aussage der Zeugin G. nicht überprüfen, ob das Landgericht die für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung wesentlichen Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat, zumal das Landgericht seine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin G. mit einem Streit zwischen ihr und der Tochter des Angeklagten begründet hat, ohne hierüber nähere Einzelheiten, z.B. zur Ursache, zum genauen Zeitpunkt, zum Verlauf oder zur Intensität des Streits, mitzuteilen.
17
b) Das Landgericht hat seine Zweifel an der Schuld des Angeklagten wesentlich auf „Abweichungen bzw. Unsicherheiten“ in der Aussage der Ne- benklägerin gestützt. So habe die Nebenklägerin unterschiedliche Angaben zum erstmaligen Einsatz eines Massagestabes - bei der ersten bzw. bei der zweiten Behandlung durch den Angeklagten - gemacht. Auch habe sie sich an die Anzahl der Behandlungstermine nur noch „grob“ erinnern können; zunächst habe sie von vier bis fünf, später dann von fünf bis acht Terminen gesprochen. Bei der Bewertung dieser ungenauen Gedächtnisleistungen der Nebenklägerin hätte sich das Landgericht mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob diese derart schwerwiegend sind, dass sie Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der Aussage erlauben. Denn nicht jede Inkonstanz stellt bereits einen Hinweis auf eine mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt dar (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172). Das Landgericht lässt dabei zudem auch die Einlassung des Angeklagten außer Acht, die in diesem Zusammenhang nicht wesentlich von den Angaben der Nebenklägerin abweicht. So hat der Angeklagte nicht nur angegeben, dass er die Nebenklägerin fünfmal in seiner Praxis behandelt habe, sondern auch, dass er dabei regelmäßig das Massagegerät eingesetzt habe.
18
c) Aus dem Brief vom 13. Januar 2010, den der Angeklagte an die Nebenklägerin geschrieben hat und der letztlich nach den Feststellungen der Aus- löser für ihre Strafanzeige gewesen ist, konnte das Landgericht keine „zwingenden Schlüsse“ hinsichtlich der Tatvorwürfe ziehen. Diese Formulierung lässt besorgen, dass das Landgericht die Anforderungen, die an die richterliche Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zu stellen sind, überspannt hat. Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2003 - 5 StR 358/03 mwN).
19
d) Bei der Bewertung des Briefes vom 13. Januar 2010 hat sich das Landgericht zudem lediglich mit den Textstellen auseinandergesetzt, in denen der Angeklagte von seiner Zuneigung zu der Nebenklägerin spricht, sie auffordert , Trotzreaktionen zu unterlassen, und sie bittet, bei Schreiben an ihn einen falschen Absender anzugeben. Dagegen bleibt die für ein Schreiben eines Therapeuten an seine Patientin ungewöhnliche Grußformel „ich küsse dich herzlich“ unerörtert. Für eine Erörterung auch dieser Textstelle hätte hier schon deshalb Anlass bestanden, weil der Angeklagte an anderer Stelle des Briefes seine Zuneigung zur Nebenklägerin zum Ausdruck bringt, so dass die von ihm verwendete Grußformel darauf hindeuten könnte, dass es bei der Behandlung der Nebenklägerin zu sexuellen Handlungen gekommen war.
20
e) Die erforderliche Gesamtschau der Beweisergebnisse fehlt.
21
Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln. Das einzelne Beweisanzeichen ist vielmehr mit allen anderen Indizien in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffes entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (BGH, Urteile vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03 und 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 jew. mwN).
22
Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, dass die Umstände, die für eine Täterschaft des Angeklagten sprechen, im Zusammenhang gewürdigt worden sind. Das Landgericht hat diese lediglich einzeln erörtert und nur geprüft, ob sie für sich allein zur Überführung des Angeklagten ausreichen. Dies genügt hier den Anforderungen an eine lückenlose Beweiswürdigung schon deshalb nicht, weil die Nebenklägerin und die Zeugin G. - wie dies an mehreren Stellen des Urteils ausgeführt wird (UA S. 7, 13 und 14) - auf das Landgericht „keinen unglaubwürdigen Eindruck“ gemacht haben. Der Senat kann daher nicht aus- schließen, dass das Landgericht bei einer umfassenden Gesamtschau der belastenden Umstände den jeweils isoliert aufgezeigten Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Nebenklägerin und der Zeugin G. ein geringe- res Gewicht beigemessen und sich nicht nur von der Richtigkeit ihrer Angaben, sondern letztlich auch von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt hätte.
Nack Wahl Elf Graf Sander

BUNDESGERICHTSHOF

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Urteil
4 StR 191/11
vom
11. August 2011
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wegen Verdachts des schweren Raubes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. August
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Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
der Angeklagte in Person,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 23. August 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des schweren Raubes freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer hiergegen gerichteten Revision die Verletzung sachlichen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage hatte dem Angeklagten Folgendes zur Last gelegt:
3
Eine Tätergruppe um A. , Ak. und P. habe einen Überfall auf die Filiale der Sparkasse W. in O. geplant. Der Angeklagte habe als Fachkraft für Sicherheit bei dem Unternehmen Pr. zahlreiche Geldtransporte für die Sparkasse W. in O. vorgenommen und habe daher die örtlichen Gegebenheiten und Sicherheitslücken gut gekannt und gewusst, wann beson- ders hohe Geldbeträge an die Sparkasse geliefert wurden. Er sei über seinen Schwager T. angeheuert worden, den ausführenden Tätern Zutritt zu den Räumlichkeiten des Haupttresors im Untergeschoss der Sparkasse zu verschaffen. Am Morgen des 2. Dezember 2009 gegen 9.00 Uhr hätten der Angeklagte und sein Kollege Wi. einen Geldbetrag in Höhe von etwa 435.000 € an die Sparkasse ausgeliefert. Der Angeklagte habe entgegen der üblichen Vorgehensweise die Rolle des Beifahrers übernommen. Nach Auslieferung des Geldes habe er das Rolltor für den Geldtransporter geöffnet und dabei unauffällig eine Tür vom Tresorbereich zum Treppenhaus geöffnet, die vom Treppenhaus nur durch Eingabe einer PIN geöffnet werden konnte. Durch diese Tür hätten sich wenig später die beiden tatausführenden Mittäter Zugang zum Tresorraum verschafft. Die Mittäter hätten im Tresorraum den Kassierer überwältigt und mit Kabelbindern gefesselt und Scheingeld in Höhe von 697.000 € aus dem Tresor entwendet.
4
2. Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung bestritten, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. Das Landgericht hat ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Es hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
5
Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt vor dem 5. November 2009 fassten der frühere Mitangeklagte P. und der gesondert verfolgte Ak. den Entschluss, die Sparkasse W. in O. zu überfallen. Am 2. Dezember 2009 gelang es den beiden angeworbenen unmittelbar tatausführenden Personen, deren Identität bislang nicht ermittelt werden konnte, den Kassierer im Tresorraum der Sparkasse zu über- wältigen und Geld im Wert von über 690.000 € zu erbeuten. Die Tat wurde ihnen dadurch ermöglicht, dass sie über Insiderwissen hinsichtlich der Abläufe innerhalb der Sparkasse bei Geldanlieferungen durch das Sicherheitsunter- nehmen Pr. aus verfügten. P. und Ak. hatten insbesondere davon Kenntnis erlangt, dass bei den Geldanlieferungen entgegen der geltenden Dienstanweisung sämtliche weiteren Türen auf dem Weg vom Sicherheitsbereich bis zum Tresorraum solange offen gehalten wurden, bis der Kassierer die gelieferten Geldmengen in den Tresor einsortiert hatte. Der Zugang zum Sicherheitsbereich war entweder über die Tiefgarage durch die Einfahrt für den Geldtransporter möglich oder vom Treppenhaus durch eine Tür zum Sicherheitsbereich, die vom Treppenhaus her nur mittels eines Zahlencodes , vom Sicherheitsbereich aus allerdings durch einen einfachen Drücker zu öffnen war. Welcher Zugangsweg tatsächlich genutzt worden ist, konnte das Landgericht nicht feststellen. P. fuhr die den Überfall unmittelbar ausführenden Täter von einem Parkplatz an der Autobahn A2 in G. nach O. und nach der Tat wieder zurück. Das Landgericht konnte sich keine Überzeugung davon verschaffen, dass der Angeklagte der Hinweisgeber für die Tätergruppe war.

II.


6
Der Freispruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
7
Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände , die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH, Urteil vom 14. August 1996 – 3 StR 183/96, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Aus den Urteilsgründen muss sich auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793 m.w.N.). Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung auch dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97 a.a.O.; BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (BGH, Urteile vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02 aaO und vom 18. August 2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85, 86).
8
Dem wird die Beweiswürdigung nicht gerecht.
9
1. Die Beweiswürdigung ist bereits deshalb lückenhaft, weil das Urteil keinerlei Angaben dazu enthält, worauf die Feststellungen zum Ablauf des Überfalls und zu den daran beteiligten Mittätern beruhen. Der als Zeuge gehörte Nebenkläger, der die Tat als Kassierer im Tresorraum erlebt hat, konnte ersichtlich zu den Hintermännern und zu der An- und Abreise der unmittelbar tatausführenden Mittäter keine Angaben machen. Der im Urteil als früherer Mitangeklagter bezeichnete P. hat sich, wie sich aus der Erwähnung UA S. 18 ergibt, zur Sache eingelassen; was er zu seinem eigenen Tatbeitrag, zu seinen Kenntnissen von der Tatplanung und einem etwaigen Mitwirken des Angeklagten ausgesagt hat, teilen die Urteilsgründe nicht mit. Als nach den Feststellungen an der Planung und der Tatausführung beteiligter Mittäter dürfte P. gewusst haben, von wem die für die Tatausführung benötigten InsiderInformationen stammten. Seine Einlassung hätte deshalb im Urteil dargelegt werden müssen, um dem Revisionsgericht die Prüfung der Beweiswürdigung zu ermöglichen.
10
2. Das Landgericht beschränkt sich rechtsfehlerhaft darauf, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen. Es setzt sich hingegen nicht damit auseinander, ob die Belastungsindizien , die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung hätten begründen können (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2004 – 4 StR 15/04, wistra 2004, 432 m.w.N.). Bei der Prüfung wesentlicher einzelner Belastungsindizien legt das Landgericht zudem Annahmen als nicht ausschließbar zugrunde, für die sich in der Hauptverhandlung keine Anhaltspunkte ergeben haben:
11
a) Der nach Auffassung des Landgerichts naheliegend in die Tat verwickelte Hinweisgeber Z. kann danach möglicherweise nicht gewusst haben, von wem der Tipp für den Banküberfall gekommen ist, und um an das ausgelobte Geld zu kommen, den ihm bekannten und bereits verhafteten Angeklagten benannt haben. Ob gerade die Benennung eines tatbeteiligten Geldtransportfahrers Voraussetzung für die Erlangung einer Belohnung war, teilt das Urteil jedoch nicht mit; möglicherweise wäre für eine Belohnung ausreichend gewesen , Hinweise auf die unmittelbar tatausführenden Täter zu geben – Z. hatte zwei Polen namentlich benannt.
12
b) Die Zeugin We. war sich sicher, den Angeklagten im Ho- tel „Holiday Inn“ in G. gesehenzu haben, ohne einen Zusammenhang mit dem gesondert verurteilten Tatbeteiligten P. herstellen zu können, an den sie sich ebenfalls erinnerte. Nach den Feststellungen hatte P. das Hotelzimmer angemietet, was für ein Wiedererkennen durch die Zeugin spricht. Das Landgericht hält es jedoch allein deshalb für möglich, dass sich die Zeugin bei dem Wiedererkennen des Angeklagten geirrt hat, weil das Hotel ca. 5.000 Gäste im Monat hat.
13
3. Das Landgericht geht im Übrigen auch von einem unzutreffenden Ansatzpunkt aus. Es würdigt die Einlassung des Angeklagten zu den einzelnen Belastungsindizien und hält sie für nicht widerlegt. Einlassungen des Angeklagten , für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, sind aber nicht ohne weiteres als „unwiderlegbar“ hinzunehmen und den Feststellungen zu Grunde zu legen. Der Tatrichter hat vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses darüber zu entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen.
14
4. Schließlich ist die Beweiswürdigung auch in einem weiteren Punkt lückenhaft. Das Landgericht sieht es als wesentliches Entlastungsindiz an, dass der Angeklagte am Tattag nicht damit rechnen konnte, als Bote eingesetzt zu werden (UA S. 11 und 13). Sie hält die Aussage des Zeugen W. für glaubhaft , dass er den Angeklagten kurz vor Fahrtantritt für diesen überraschend gefragt habe, ob er die Tätigkeit des Boten übernehmen könne. Die Plausibilität dieser Schlussfolgerung lässt sich für das Revisionsgericht jedoch nicht nachprüfen , weil die Urteilsgründe keine Angaben dazu enthalten, wie die Aufteilung der Tätigkeiten als „Bote“ und „Fahrer“ zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen üblicherweise erfolgte. Die Urteilsgründe enthalten auch keine Angaben dazu, weshalb es am Tattag zu einem Tausch der Tätigkeiten gekommen sein soll. Nähere Darlegungen wären hier erforderlich gewesen, um die vom Landgericht bejahte Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage überprüfen zu können. Denn der Zeuge W. hatte sich nach den Feststellungen zunächst auch eine falsche Aussage zum tatsächlich vorschriftswidrigen Ablauf der Ausfahrt aus dem Sicherheitsbereich zurecht gelegt.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
RiBGH Bender ist infolge Urlaubs ortsabwesend und daher an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 599/11
vom
26. April 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. April
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Bender
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 14. Juni 2011 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen.
4. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Vom Vorwurf, einen weiteren Raubüberfall begangen zu haben, hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihrer auf die Sachrüge und mehrere Verfahrensbeschwerden gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft den Teilfreispruch. Der Angeklagte wendet sich mit seinem die Verletzung materiellen Rechts geltend machenden Rechtsmittel gegen die Verurteilung.
2
Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es einer Erörterung der erhobenen Verfahrensbeanstandungen nicht bedarf. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet.

I.


3
Nach den zum Schuldspruch getroffenen Feststellungen schloss sich der Angeklagte in Weißrussland einer um H. bestehenden Bande an, die sich mit der Planung, Organisation und Durchführung von Banküberfällen in Deutschland befasste. Zur Begehung der Überfälle auf die von H. ausgewählten Banken reisten die Täter aus Weißrussland nach Deutschland und hielten sich nur für kurze Zeit im Inland auf. Der Angeklagte unterwarf sich den Regeln der Bande und ließ sich Ende September 2010 nach Deutschland schleusen. Am 1. und 12. Oktober 2010 beging er in K. und M. gemeinsam mit dem früheren Mitangeklagten R. jeweils unter Verwendung einer ungeladenen Schreckschusspistole zwei Banküberfälle, bei welchen 13.445 Euro und 24.950 Euro erbeutet wurden. Im Anschluss an die Tat am 12. Oktober 2010 in M. wurden der Angeklagte und sein Tatgenosse in der Nähe des Tatorts mit dem erbeuteten Bargeld festgenommen.
4
Hinsichtlich des Vorwurfs, am 15. Mai 2009 in L. zusammen mit einem Anderen eine Filiale der Sparkasse überfallen zu haben, ist das Verfahren in der Hauptverhandlung nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden.
5
Von dem weiteren in der Anklage der Staatsanwaltschaft Essen vom 14. Januar 2011 erhobenen Vorwurf, am 22. Mai 2009 mit einem Tatgenossen einen Überfall auf eine Sparkasse in W. - verübt zu haben, hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Nach Auffassung der Strafkammer ist dem Angeklagten eine Beteiligung an dieser Tat nicht nachzuweisen, obwohl die bei dem Überfall am 22. Mai 2009 von der Überwachungskamera gefertigten Lichtbilder nach dem Ergebnis eines morphologischen Vergleichsgutachtens als einen der Täter mit Wahrscheinlichkeit den Angeklagten zeigen und an einem weißen Kapuzenpullover, den einer der Täter bei dem in L. am 15. Mai 2009 – sieben Tage vor der angeklagten Tat – verübten Überfall getragen hatte, u.a. eine DNA-Spur gesichert werden konnte, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 10 Milliarden dem Angeklagten als Spurenverursacher zugeordnet werden kann.

II.


6
Revision der Staatsanwaltschaft
7
Der Teilfreispruch hält einer materiell-rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Ausführungen der Strafkammer zur Begründung des Freispruchs entsprechen nicht den formellen Anforderungen, die gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind. Zudem begegnen der Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifende rechtliche Bedenken.
8
1. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter grundsätzlich nach der Mitteilung des Anklagevorwurfs im Urteil zunächst diejenigen Feststellungen in einer geschlossenen Darstellung bezeichnen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung dartut, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch notwendigen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden konnten. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechts- fehler unterlaufen sind, insbesondere ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 27. Januar 2011 – 4 StR 487/10, NStZ-RR 2011, 275, 276; vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793; vom 14. Februar 2008 – 4 StR 317/07, NStZ-RR 2008, 206, 207). Diesen Anforderungen wird das an- gefochtene Urteil nicht gerecht. Die Urteilsgründe lassen jegliche Darstellung des festgestellten Tatgeschehens vermissen. Es bleibt daher offen, welche Erkenntnisse zur Identität der Täter des am 22. Mai 2009 verübten Überfalls die Strafkammer hat gewinnen können. Die Ausführungen zur Beweiswürdigung lassen lediglich erkennen, dass der Angeklagte auf den während des Überfalls aufgenommenen Lichtbildern der Überwachungskamera seinen Nachbarn in Weißrussland L. als einen der Täter identifiziert hat und der Zeuge B. in einem gesondert geführten Verfahren vom Vorwurf der Beteiligung an diesem Überfall rechtskräftig freigesprochen worden ist. Auf dieser Grundlage ist es dem Senat nicht möglich zu beurteilen, ob die Annahme der Strafkammer, eine Täterschaft des Angeklagten sei nicht nachzuweisen, auf einer den entscheidungserheblichen Sachverhalt ausschöpfenden Beweiswürdigung beruht.
9
2. Das Revisionsgericht hat es regelmäßig hinzunehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 – 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind.
Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18. Januar 2011 – 1 StR 600/10, NStZ 2011, 302; vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78 aaO). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 1996 – 3 StR 183/96, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08 aaO). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (vgl. BGH, Urteile vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97 aaO; vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteile vom 18. August 2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85, 86; vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90, 91).
10
Dem wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht in jeder Hinsicht gerecht.
11
a) Die Bewertung der Einlassung des Angeklagten beruht auf einer unvollständigen Würdigung. Das Landgericht hat der Einlassung des Angeklagten weder für sich noch in einer Zusammenschau mit den weiteren Beweisergebnissen eine für die Täterschaft des Angeklagten sprechende Beweisbedeutung beigemessen, weil sie widersprüchlich und im Ergebnis unverständlich geblieben sei. Dabei hat es die Strafkammer versäumt, sich mit dem Inhalt der Angaben des Angeklagten im Einzelnen näher auseinanderzusetzen, die sich daraus ergebenden Widersprüche zu bewerten und auf dieser Grundlage zu prüfen, ob nicht Teile der Angaben gegebenenfalls in Verbindung mit den übrigen Ergebnissen der Beweisaufnahme geeignet erscheinen, den Angeklagten im Sinne des Anklagevorwurfes zu belasten. So wäre zu erörtern gewesen, dass der Angeklagte die Tat am 22. Mai 2009 in W. – neben dem Überfall am 15. Mai 2009 und einem weiteren Banküberfall in H. – nicht nur pauschal eingeräumt, sondern sich selbst auf den während des Überfalls gefertigten Lichtbildern der Überwachungskamera als einen der Täter wiedererkannt hat, was mit der gleichzeitigen Behauptung, aber nicht „da gewesen“ zu sein, offenkundig nicht zu vereinbaren ist. Auch weist das Urteil auf einen Banküberfall in H. hin; dessen Tatzeit (28. Mai 2009) wäre mit der Einlassung, im Jahr 2009 nicht in Deutschland gewesen zu sein, unvereinbar. Die Angaben des Angeklagten zum eigenen Wiedererkennen hätten schließlich in die Würdigung des morphologischen Vergleichsgutachtens mit einbezogen werden und Anlass für die Erwägung geben müssen, ob das Ergebnis des Gutachtens und die Angaben des Angeklagten in einer Gesamtschau eine hinreichend sichere Identifizierung des Angeklagten ermöglichen.
12
b) Die Überlegungen der Strafkammer, mit welchen sie der dem Angeklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit zuzuordnenden DNA-Spur auf dem nach der Tat in L. am 15. Mai 2009 sichergestellten Kapuzenpullover jeglichen Indizwert für eine Täterschaft des Angeklagten abgesprochen hat, sind ebenfalls lückenhaft. Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten, er habe zum damaligen Zeitpunkt in einer Grenzstadt gelebt, viele Freunde gehabt , die nach Deutschland gefahren seien, und mit diesen eigentlich regelmäßig Kleidungsstücke – darunter auch einen solchen Kapuzenpullover – getauscht , als unwiderlegt angesehen. Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieser Behauptung hat es nicht festgestellt. Die Einlassung wird entgegen der Ansicht der Strafkammer auch nicht durch die im Urteil wiedergegebene Aussage des Zeugen S. bestätigt. Denn die Bekundungendes Zeugen, wonach die bei den Überfällen von den Tätern getrageneBekleidung jeweils von H. besorgt worden sei, lässt sich mit den Angaben des Angeklagten, mit nach Deutschland reisenden Freunden regelmäßig Kleidungsstücke ausgetauscht zu haben, in tatsächlicher Hinsicht ohne ergänzende , von der Strafkammer nicht vorgenommenen Erläuterungen nicht in Einklang bringen. Die Aussagen des Zeugen S. lässt zudem gerade die Möglichkeit offen, dass der Kapuzenpullover dem Angeklagten durch H. vor dem Überfall zur Verfügung gestellt und vom Angeklagten bei Begehung der Tat getragen wurde. Auch dies hat das Landgericht erkennbar nicht bedacht.

III.


13
Revision des Angeklagten
14
Die Revision des Angeklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Ernemann Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 88/12
vom
8. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. August
2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 22. September 2011 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) hinsichtlich der Tat Ziffer 4 der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zweier tatmehrheitlicher Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und des Weiteren in Höhe eines Betrages von 5.610 Euro den Verfall von Wertersatz angeordnet. Die auf die Verurteilung bezüglich der Tat Ziffer 4 beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, welche vom Generalbundesanwalt vertreten wird, führt aufgrund der zulässig erhobenen Sachbeschwerde zur Aufhebung des Schuld- und Strafausspruchs hinsichtlich der Tat Ziffer 4 sowie des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe.
2
1. Das Landgericht hat unter anderem folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Am 30. Mai 2011 gegen 13.00 Uhr begab sich der anderweitig verfolgte F. gemäß vorheriger Verabredung zur Wohnung des Angeklagten in Aalen und brachte 645,5 Gramm Kokaingemisch mit, dem bei einem Wirkstoffgehalt von etwas über 20 Prozent Kokainbase mindestens 143,231 Gramm Kokainhydrochlorid zugrunde lagen. Wie zuvor abgesprochen kaufte und übernahm der Angeklagte 120 Gramm des Kokaingemischs zum Grammpreis von 45 Euro auf Kommission von F. . 100 Gramm des Kokaingemischs sah der Angeklagte zum gewinnbringenden Weiterverkauf an einen Verdeckten Ermittler vor, 20 Gramm des Kokaingemischs waren für den Eigenbedarf bestimmt.
4
Auf die überraschend geäußerte, nicht näher begründete Bitte des F. , der vom kurze Zeit später geplanten Weiterverkauf von 100 Gramm Kokaingemisch durch den Angeklagten an einen Abnehmer wusste und nach diesem geplanten Geschäft sogleich das Kaufgeld abholen wollte, bewahrte der Angeklagte die restliche Menge des mitgebrachten Kokaingemischs, also weitere 525,5 Gramm, für ihn in seiner Wohnung auf. Der Angeklagte wollte diese Menge nicht selbst handeln, sondern nach gewisser Zeit, für die er sie in Verwahrung genommen hatte, an F. zurückgeben, der diese Menge zu- sammen mit dem Kaufgeld für 100 Gramm später abholen wollte. Weitere Überlegungen des Angeklagten zur späteren Verwendung des Rauschgifts durch F. sind nicht bekannt.
5
Nach der Übergabe des Rauschgifts verließ F. die Wohnung des Angeklagten. Gegen 19.00 Uhr wurde der Angeklagte, nachdem er entsprechend seiner Absicht kurz zuvor 99,9 Gramm des Kokaingemischs zum Preis von insgesamt 5.500 Euro an den Verdeckten Ermittler verkauft hatte, festgenommen. Das restliche Kokaingemisch wurde bei einer anschließenden Wohnungsdurchsuchung sichergestellt.
6
2. Das Landgericht hat „unter Beachtung des Grundsatzes zu Gunsten des Angeklagten“ seinen Feststellungen „mangels weiterer Erkenntnisse zu- nächst und hauptsächlich die insoweit geständige Einlassung des Angeklagten zu Grunde gelegt.“ Die Einlassung des Angeklagten, er habe bei F. 120 Gramm Kokain bestellt, wovon 100 Gramm zum Weiterverkauf und 20 Gramm zum Eigenkonsum bestimmt gewesen seien, habe sich nicht mit der zu einer Verurteilung ausreichenden Sicherheit dahingehend widerlegen lassen , dass er die gesamte Menge von 645 Gramm auf Kommission angekauft und übernommen habe, um dieses gewinnbringend weiterzuverkaufen.
7
Hinsichtlich des Umstandes, dass der Lieferant F. in dem gegen ihn selbst geführten Strafverfahren angegeben hatte, er habe die Gesamtmenge von 645 Gramm Kokain an den Angeklagten verkauft, hat sich die Strafkammer „ohne weitere zwingende Hinweise zu Lasten des Angeklagten“ nicht in der Lage gesehen, dies als richtig anzunehmen, weil es für F. „im Hinblick auf den gegen ihn erhobenen Strafvorwurf des unerlaubten Handeltreibens in nicht geringer Menge zumindest nach seiner eigenen Einschätzung ohne ihm günstige Bedeutung gewesen sein mag, etwaige weitere Abnehmer zu benennen.“ Förmlich hierüber Beweis erhoben hatte die Strafkammer nicht, nachdem F. im Strafverfahren gegen den Angeklagten gemäß § 55 StPO von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte.
8
Nach Auffassung der Strafkammer sprachen auch die durch die Lichtbilder dokumentierten Portionierungen des aufgefundenen Kokaingemischs nicht gegen die Einlassung des Angeklagten, er habe auf Wunschdes F. die restliche (nicht für ihn bestimmte) Menge in verschiedene Portionen aufgeteilt , wobei das Landgericht jedoch auch erkannt hat, dass sich ein Sinn dieses Vorgehens „insoweit nicht eindeutig“ erweist.
9
Für die Strafkammer erschien zwar auch ein Handeltreiben des Angeklagten mit einer großen Menge nicht ausgeschlossen; deutliche Hinweise hierauf sah sie aber nicht, auch nicht unter Berücksichtigung des Inhalts der Aussage des Verdeckten Ermittlers, der vom Angebot des Angeklagten zum Verkauf größerer Mengen berichtet hatte. Hierbei hat die Strafkammer zusätzlich berücksichtigt, dass der Angeklagte nach seinem Auftreten in der Hauptverhandlung zu großspurigem Vorbringen neigt, weshalb ohne weiteres auch eine Übertreibung durch ihn zu bedenken ist, um sich wichtig zu machen.
10
3. Die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
11
a) Das Revisionsgericht hat es grundsätzlich hinzunehmen, wenn das
11
Tatgericht einen Angeklagten von einem Tatvorwurf freispricht oder vorliegend wegen Teilen einer Tat nicht verurteilt, weil es insoweit Zweifel an dessen Tat- handlungen und subjektivem Täterwillen hat bzw. diese nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt auch, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 1. Juli 2008 - 1 StR 654/07, Rn. 18; vom 27. April 2010 - 1 StR 454/09, NStZ 2011, 108, 109 und vom 1. Februar 2011 - 1 StR 408/10, Rn. 15).
12
b) Zwar hat das Landgericht vorliegend die den Angeklagten belastenden Indizien dargestellt und im Einzelnen gewürdigt. Deren Bewertung genügt den vorstehenden Grundsätzen jedoch nicht.
13
So hat die Strafkammer keinen nachvollziehbaren Grund dafür gesehen, weshalb der Angeklagte das ihm nach seiner Einlassung nur zur kurzfristigen Aufbewahrung übergebene Kokaingemisch in völlig unterschiedliche Portionen von 132 Gramm, 148,5 Gramm, 241 Gramm und 24,1 Gramm aufteilte und abpackte , zumal keine dieser Portionen derjenigen von 20 Gramm entsprach, welche er neben der an den Verdeckten Ermittler verkauften Teilmenge von 100 Gramm für sich erworben hatte. Das Landgericht hat dabei verkannt, dass dieses Indiz auf eine eigene Weiterverwendung des Rauschgifts hindeutet.
14
c) Das Landgericht beschränkt sich im Übrigen rechtsfehlerhaft darauf, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen. Es setzt sich hingegen nicht damit auseinander, ob die Belastungsindizien, die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung hätten begründen können (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2004 - 4 StR 15/04, wistra 2004, 432 mwN).
15
Hinsichtlich der Auskunftsverweigerung F. s wäre die als unwiderlegbar hingenommene Einlassung des Angeklagten bezüglich der behaupteten Bitte F. s um kurzfristige Aufbewahrung des Kokaingemischs nicht ohne weiteres als unwiderlegbar hinzunehmen, sondern den Angaben F. s in seinem eigenen Strafverfahren gegenüber zu stellen gewesen. Die bloßen Vermutungen der Strafkammer, ob und welche Bedeutung entsprechende Angaben für F. in seinem eigenen Strafverfahren gehabt haben könnten, können jedenfalls nicht ausschließen, dass dessen Angaben, mit denen er sich auch eines größeren Handelsumfangs belastete, zutreffend waren. Die neu zur Entscheidung berufene Kammer wird auch der Frage nachzugehen haben, ob F. noch immer ein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht.
16
Schließlich wäre in diesem Gesamtzusammenhang auch noch zu erörtern gewesen, dass der Angeklagte nach der Durchsuchung und Beschlagnahme des Kokains gegenüber dem Polizeibeamten P. äußerte, 20 Minuten später sei nichts mehr in der Wohnung gewesen, was er aber eigentlich nicht wissen konnte; denn nach seiner Einlassung war mit F. nichts Genaues ausgemacht, wann dieser das Kokain wieder abholen sollte.
17
4. Hinsichtlich der Tat Ziffer 4 war daher der Schuldspruch mit den Feststellungen aufzuheben. Der neue Tatrichter wird insoweit die Feststellungen neu zu treffen haben. Falls die Hauptverhandlung erneut ergeben sollte, dass hinsichtlich der beim Angeklagten sichergestellten Menge ein Handeltreiben nicht in Betracht kommt, wird sich die Strafkammer damit auseinandersetzen müssen, ob der Angeklagte neben dem unerlaubten Besitz sich nicht doch auch tateinheitlich wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben strafbar gemacht hat; denn es liegt nicht nahe und wäre daher zu erörtern gewesen, weshalb der Lieferant F. eine solch große Menge zum Eigenverbrauch vorhalten wollte, zumal dann auch das vom Angeklagten vorgenommene Aufteilen dieser Menge keinerlei Sinn gemacht hätte.
18
Die Einzelstrafe im Fall Ziffer 4 sowie die Gesamtfreiheitstrafe können keinen Bestand haben und sind entsprechend dem Ergebnis der neuen Hauptverhandlung neu zu bemessen.
Wahl Graf RiBGH Prof. Dr. Jäger ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Wahl Sander Cirener

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 317/07
vom
14. Februar 2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter sexueller Nötigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Februar
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin Erna Waltraud B. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 20. Februar 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf der versuchten sexuellen Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin rügen mit ihren hiergegen gerichteten Revisionen die Verletzung sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft, deren Revision vom Generalbundesanwalt vertreten wird, beanstandet ferner das Verfahren. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


2
1. Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten Folgendes zur Last gelegt :
3
Der Angeklagte habe sich am 20. August 2006 gegen 19 Uhr auf dem Ostfriedhof in Gelsenkirchen der 86jährigen Nebenklägerin Erna B. von hinten genähert, als diese auf ihr Fahrrad steigen wollte, um nach Hause zu fahren. Er habe der Nebenklägerin mit beiden Händen den Hals fest zuge- drückt. Er habe die deshalb unter akuter Atemnot leidende Nebenklägerin, die versucht habe, sich zur Wehr zu setzen, in Richtung eines Gebüschs bei einem neu angelegten Gräberfeld geschoben und geäußert: "Wenn Sie hier nicht wollen , dann gehen wir in die Büsche. Vorwärts!" Er habe die Nebenklägerin über einen schmalen Weg in Richtung des Feldes geschoben, wobei diese zu Fall gekommen sei. Der Angeklagte habe versucht, die Nebenklägerin hochzuheben , was diese habe verhindern können. Als die Nebenklägerin vorgegeben habe, "sie könne nicht mehr", sie müsse Tabletten einnehmen, habe der Angeklagte sie auf den Rasen gebracht. Dort habe die Nebenklägerin sich an die Zeugin F. wenden können, worauf der Angeklagte von ihr abgelassen habe.
4
2. Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegte Tat bestritten und sich dahin eingelassen, er habe an jenem Tage eine dreiviertel Flasche Chantré getrunken , sei danach spazieren gegangen und habe sich dann auf eine Friedhofsbank gesetzt. Die Nebenklägerin, die ein Fahrrad geschoben habe, sei vor ihm unvermittelt in die Knie gesunken. Er sei ihr mit zwei schnellen Schritten zu Hilfe geeilt und habe ihr von hinten unter die Arme um den Brustkorb gegriffen, um sie aufzufangen. Die Nebenklägerin habe sich am Fahrrad festgehalten, so dass der Lenker eingeknickt sei, weshalb sie vom sandigen Weg in Richtung des frischen Gräberfeldes auf den Mulchbereich abgekommen seien. Er habe beruhigend auf die panisch wirkende Nebenkl ägerin eingeredet und ihr gesagt, dass er nur helfen wolle. Die Nebenklägerin habe geäußert, sie habe ihre Herztabletten nicht genommen. Dann habe er die Stimme von Frau F. gehört , die er gebeten habe, einen Krankenwagen zu rufen. Er habe darauf bestanden , dass neben dem Krankenwagen auch die Polizei gerufen werde, weil er wegen seiner Vorstrafen nachteilige Konsequenzen befürchtet habe.
5
3. Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und zur Begründung ausgeführt, es habe "zwar im Detail gewisse Zweifel" an der Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten, habe dessen Einlassung aber nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit zu widerlegen vermocht.
6
Die Bekundungen der Nebenklägerin und die der ebenso wie diese glaubwürdigen Zeugin F. seien "in einem entscheidenden Punkt - nämlich in der Frage, von wessen Initiative die Hilfeleistung der Zeugin F. ausging -" nicht miteinander in Einklang zu bringen. Die Zeugin F. habe, als sie gesehen habe, dass die Nebenklägerin zusammengebrochen sei, nach ihren Bekundungen "sofort hinübergerufen, ob sie helfen könne". Demgegenüber habe die Nebenklägerin bekundet, sie sei es gewesen, die um Hilfe gerufen und Frau F. dadurch veranlasst habe hinzuzukommen. Das Landgericht hat hierzu u.a. ausgeführt, dass sich der Widerspruch plausibel dadurch erklären lasse, dass die Nebenklägerin, entsprechend der Einlassung des Angeklagten und der Beobachtung der Zeugin F. , einen Schwächeanfall erlitten habe , hierdurch verwirrt gewesen sei und den gesamten Geschehensablauf falsch verstanden haben könnte. Im Hinblick darauf, dass der Polizeibeamte S. bei seinem Eintreffen am Tatort den Eindruck gehabt habe, die Nebenklägerin sei verwirrt gewesen, erscheine nicht ausgeschlossen, dass die nach ihren Angaben unter Bluthochdruck leidende Nebenklägerin einen Schwächeanfall erlitten habe. Deshalb sei die Möglichkeit von Fehlwahrnehmungen bzw. -deutungen des Gechehens durch die Nebenklägerin nicht auszuschließen.

II.


7
Der Freispruch hat keinen Bestand.
8
1. Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
a) Die Ausführungen des Landgerichts werden den gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellenden Anforderungen nicht gerecht.
10
Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen feststellen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen - zusätzlichen - Feststellungen nicht getroffen werden können. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind (st. Rspr., vgl. BGHSt 37, 21, 22; BGH wistra 2004, 105, 109 jew. m.w.N.). Dem genügt das angefochtene Urteil nicht.
11
Das Urteil enthält keine Feststellungen zur Person des Angeklagten. Solche Feststellungen sind zwar in erster Linie bei verurteilenden Erkenntnissen notwendig, um nachvollziehen zu können, dass der Tatrichter die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung (§ 46 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 StGB) ermittelt und berücksichtigt hat; aber auch bei freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen zumindest dann zu solchen Feststellungen verpflichtet, wenn diese zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind (vgl. BGH NStZ 2000, 91). So liegt es hier. Der Angeklagte will wegen der wegen seiner Vorstrafen befürchteten nachteiligen Konsequenzen darauf bestanden haben, dass die Polizei gerufen werde. Welcher Art diese Vorstrafen sind und wie lange sie zurückliegen, wird im Urteil jedoch nicht mitgeteilt. Nach den vom Angeklagten geäußerten Befürchtungen liegt es nahe, dass es sich um einschlägige Vorstrafen handelt, die Aufschluss über die Täterpersönlichkeit geben könnten.
12
Zudem fehlt eine geschlossene Darstellung derjenigen Tatsachen, die das Landgericht für erwiesen hält. Ohne Angaben insbesondere zu den örtlichen Verhältnissen in dem Bereich des Ostfriedhofs, in dem es zu dem Zusammentreffen des Angeklagten mit der Nebenklägerin kam, und dazu, wo diese schließlich am Boden gelegen hat, ist dem Senat die Überprüfung, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht, nicht möglich.
13
b) Die Beweiswürdigung ist zudem lückenhaft. Die Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, dass sich das Urteil nicht dazu verhält, in welchen Details das Landgericht "gewisse Zweifel" an der Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten hatte und aus welchen Gründen die Umstände, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme Schlüsse auch zu Ungunsten des Angeklagten ermöglichen, auch in einer Gesamtschau nicht ausreichten, die Einlassung , die Nebenklägerin habe einen Schwächeanfall erlitten, zu widerlegen.
14
Soweit das Landgericht meint, es könne nicht als gegen den Angeklagten sprechendes Indiz gewertet werden, dass er die nach seiner Einlassung erstmals auf dem Friedhofsweg in die Knie gesunkene Nebenklägerin nicht zurück auf die näher gelegene Bank, sondern bis auf den Mulchbereich verbracht haben will (UA 6), lässt es außer Acht, dass sich der Angeklagte nach den insoweit übereinstimmenden Bekundungen der Nebenklägerin und der vom Landgericht für glaubwürdig erachteten Zeugin F. mit der Nebenklägerin entgegen seiner Einlassung nicht im Bereich des Mulches vor den Gräbern, sondern "inmitten der frischen Gräber" aufhielt, als die Zeugin F. hinzukam (UA 5).
15
Bedenken begegnet auch die Erwägung des Landgerichts, für den vom Angeklagten behaupteten Schwächeanfall der Nebenklägerin spreche, dass die Zeugin F. und der Zeuge S. den Eindruck hatten, die Nebenklägerin sei verwirrt gewesen. Insoweit hätte die zumindest ebenso nahe liegende Möglichkeit der Erörterung bedurft, dass die Nebenklägerin deshalb verwirrt gewesen ist, weil sie zuvor von dem Angeklagten gewürgt und von dem Weg vor dem Friedhof bis zu den frischen Gräbern verbracht worden war.
16
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet zudem mit einer auf die Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) gestützten Rüge zu Recht, dass es das Landgericht unterlassen hat, durch Verlesung der Urteile Beweis über die den Verurteilungen des Angeklagten durch das Landgericht Mönchengladbach vom 31. Mai 1996 und das Landgericht Essen vom 17. Januar 2001 zu Grunde liegenden Taten zu erheben (vgl. auch BGHSt 43, 106).
17
Das Landgericht Mönchengladbach hatte den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte im August 1995 in den frühen Morgenstunden eine 18 Jahre alte Frau vom Rad gestoßen, ihr ein Küchenmesser an den Hals gelegt und sie gezwungen, sich vollständig zu entkleiden. Er verlangte von ihr, vor ihm niederzuknien und den Oralverkehr zu vollziehen, und zwang sie, ihm einen Zungenkuss zu geben. Dann griffen Polizeibeamte ein, die von Nachbarn alarmiert worden waren.
18
Das Landgericht Essen hatte den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen schlug der Angeklagte im Juli 1998 einen damals zwölf Jahre alten Jungen zunächst bewusstlos, packte ihn im Nacken und zerrte ihn in ein Gebüsch. Unter der Drohung, dem Jungen das Genick zu brechen, erzwang der Angeklagte den Oral- und den Analverkehr.
19
Das Landgericht hätte sich zu der Verlesung dieser Urteile gedrängt sehen müssen, zumal diese - wenn auch nicht durch einen förmlichen Beweisantrag - im Hauptverhandlungstermin vom 20. Februar 2007 von der Staatsanwaltschaft beantragt worden war. Dass die einschlägigen Vorverurteilungen, insbesondere auch die Feststellungen zu der Vorgehensweise des Angeklagten , für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Bekundungen der Nebenklägerin von Bedeutung sein können, liegt auf der Hand.
Tepperwien Maatz Athing
Solin-Stojanović Ernemann

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 170/12
vom
25. Oktober 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Oktober
2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung
–,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof – bei der
Verkündung –
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 6. Dezember 2011, soweit es den Angeklagten S. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Magdeburg zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.
2
Das – vom Generalbundesanwalt vertretene – Rechtsmittel hat schon mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die verfahrensrechtlichen Beanstandungen der Staatsanwaltschaft nicht ankommt.

I.


3
1. Die zugelassene Anklage hat dem Angeklagten zur Last gelegt, am 16. September 2009 in seiner Wohnung mittels stumpfer Gewalt so auf den Kopf des am 12. Februar 2008 geborenen Sohnes seiner Lebensgefährtin Christin H. , Jason H. , eingewirkt zu haben, dass dieser ausgedehnte Hautunterblutungen im Gesicht sowie infolge des Abrisses von zwei Brückenvenen sich über die gesamte rechte Großhirnhalbkugel erstreckende exzessive Blutungen unter die harte Hirnhaut erlitt, die eine operative Entlastung am selben Tag erforderten und woran Jason H. trotz einer weiteren Operation am 22. September 2009 verstarb. Dem Angeklagten sei dabei bewusst gewesen , dass er bei einer derart erheblichen Gewalteinwirkung auf den Kopf eines Kleinkindes dessen Tod verursachen könne, was ihm gleichgültig gewesen sei. Der Kindesmutter wurde in der Anklage nur eine Misshandlung von Jason am 12. oder 13. Juli 2009 zur Last gelegt. Auch sie wurde – von der Staatsanwaltschaft nicht angegriffen – freigesprochen.
4
2. Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegte Tat bestritten. In der Hauptverhandlung hat er zunächst ausgesagt, dass das spätere Tatopfer, nachdem Christin H. die Wohnung verlassen hatte, zu schreien und so stark zu strampeln begonnen habe, dass ihm, dem Angeklagten, das Kind, das er auf seinem Arm habe beruhigen wollen, aus Kopf- bzw. Brusthöhe auf die hart gepolsterte Couch gefallen sei. Er sei bei dem Versuch, Jason aufzufangen , mit seinem vollen Körpergewicht von neunzig Kilogramm auf diesen gefallen. Danach sei Jason plötzlich ganz ruhig gewesen und habe seinem Eindruck nach nicht mehr geatmet, woraufhin er seine Lebensgefährtin und kurz darauf den Notarzt angerufen habe. Den Vorwurf, Jasons Kopf gegen die Stirnwand des Kinderbettes geschlagen zu haben, hat der Angeklagte in Abredegestellt und sodann weiter ausgesagt, er habe Jason zwei- bis dreimal für ca. zehn Sekunden kräftig geschüttelt und dabei das Gleichgewicht verloren. Im Fallen auf das Kind habe er dessen Kopf mit seinem Knie getroffen. Bei seiner polizeilichen Vernehmung am 17. September 2009 hatte sich der Angeklagte demge- genüber dahin eingelassen, er habe den schreienden Jason aus dem Kinderbett gehoben und auf die Couch gesetzt, um dem Kind etwas zu trinken zu holen. Als er zurückgekommen sei, habe er gesehen, dass Jason auf der Couch umgefallen sei und die Augen verdreht habe. Dann habe er, der Angeklagte , seine Freundin angerufen und den Notarzt alarmiert. In einer weiteren Vernehmung bei der Polizei am 5. Oktober 2009 hatte der Angeklagte ähnliche Angaben gemacht und diese dahin ergänzt, Jason habe nach dem Fall auf die Couch die Augen „verleiert“ und in Abständen nach Luft geschnappt. Einer Ret- tungssanitäterin gegenüber hatte der Angeklagte noch in der Wohnung angegeben , Jason habe im Kinderbett geschrien und sei dann plötzlich – noch im Bett – umgefallen; von einem Sturz hat er nichts erwähnt.
5
3. Die Strafkammer hat sich von der Richtigkeit der „auch nur im Rahmen einer Verständigung“ abgegebenen Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht überzeugen können. Vor diesem Hintergrund vermittle die Einlassung den Eindruck einer konstruierten Aussage mit dem Ziel, das Geschehen unter Inkaufnahme des geringstmöglichen Schuldvorwurfs zu erklären.

II.


6
Der Freispruch hat keinen Bestand. Die Ausführungen des Landgerichts werden den gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellenden Anforderungen in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
7
1. Zum einen enthalten die Urteilsgründe keine Feststellungen zu Werdegang , Vorleben und Persönlichkeit des Angeklagten.
8
a) Solche Feststellungen sind zwar in erster Linie bei verurteilenden Erkenntnissen notwendig, um nachvollziehen zu können, ob der Tatrichter die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung (§ 46 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 StGB) ermittelt und berücksichtigt hat. Aber auch bei freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen zumindest dann zu solchen Feststellungen verpflichtet, wenn diese für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können und deshalb zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind; das ist auch dann der Fall, wenn vom Tatrichter getroffene Feststellungen zum Tatgeschehen ohne solche zu den persönlichen Verhältnissen nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar und deshalb lückenhaft sind (vgl. dazu BGH, Urteile vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, BGHSt 52, 314, 315; vom 13. Oktober 1999 – 3 StR 297/99, NStZ 2000, 91, und vom 14. Februar 2008 – 4 StR 317/07, NStZ-RR 2008, 206, 207). So liegt es hier.
9
b) Die Notwendigkeit, die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten umfassend in den Blick zu nehmen und nähere Feststellungen zu dessen Lebenslauf, Werdegang und Persönlichkeit zu treffen und in den Urteilsgründen darzulegen, ergibt sich im vorliegenden Fall bereits aus der ihm zum Vorwurf gemachten Straftat. Sie beruht auf einer Handlung, die sich im familiären, häuslichen Bereich ereignet haben soll. Ist ein solcher Vorwurf, wie hier, von erheblichem Gewicht, liegt es nahe, dass der Persönlichkeitsentwicklung der Beteiligten , insbesondere des der Tat Beschuldigten, und seinen individuellen Lebensumständen Bedeutung auch für die Beurteilung des Tatvorwurfs zukommen kann. Dies gilt nicht nur, wenn der Verdacht einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung besteht, sondern gleichermaßen, wenn der Vorwurf eine Gewalttat im Verhältnis von Eltern bzw. Erziehungsberechtigten zu ihren Kindern zum Gegenstand hat. Schon deshalb waren insoweit detaillierte Feststel- lungen geboten, die genaueren Aufschluss über die Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Lebensumstände hätten geben können, was gegebenenfalls – etwa im Hinblick auf eine mögliche Überlastungssituation – Rückschlüsse auf den Tatvorwurf zugelassen hätte.
10
c) Auch vor dem Hintergrund der wenigen zum Tatvorwurf getroffenen Feststellungen hätten die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten nicht unerörtert bleiben dürfen. Danach zeigten sich bei Jason am Vormittag des 16. September 2009 blaue Flecken im Gesicht. Auf der Festplatte des Computers der Mutter des Tatopfers wurde ein von dem Angeklagten am 11./12. September 2009 aufgenommener Videofilm sichergestellt, auf dem Jason mit massiven Hämatomen zu sehen ist. Dass eingehende Feststellungen zum persönlichen Hintergrund – auch unter Berücksichtigung der gegen die Mutter des Tatopfers erhobenen Vorwürfe der Misshandlung von Schutzbefohlenen – hier möglicherweise geeignet gewesen wären, angesichts der schwierigen Beweislage den gegen den Angeklagten erhobenen Tatvorwurf zu erhellen, liegt jedenfalls nicht fern.
11
2. Das Landgericht hat auch keine den Anforderungen an ein freisprechendes Urteil entsprechende Würdigung der Beweise vorgenommen.
12
a) Es ist regelmäßig verfehlt, die Einlassung des Angeklagten und die Aussagen sämtlicher Zeugen und Sachverständigen der Reihe nach und in ihren Einzelheiten mitzuteilen. Das kann die Besorgnis begründen, der Tatrichter sei davon ausgegangen, eine breite Darstellung der erhobenen Beweise könne die gebotene eigenverantwortliche Würdigung ersetzen. Darin liegt regelmäßig ein Rechtsfehler (BGH, Beschluss vom 6. Mai 1998 – 2 StR 57/98, NStZ 1998, 475; vgl. auch BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2003 – 3 StR 417/03, wistra 2004, 150). Vielmehr muss eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung eine Abwägung und Gewichtung der einzelnen Beweise enthalten (BGH, Beschluss vom 6. Mai 1998 – 2 StR 57/98, aaO). Eine solche lassen die Urteilsgründe hier nicht erkennen.
13
b) Die Ausführungen des Landgerichts durften sich nicht darin erschöpfen , die Einlassungen des Angeklagten in der Hauptverhandlung und im Ermittlungsverfahren ebenso wie die Aussagen seiner Lebensgefährtin in wesentlichen Teilen wörtlich in die Urteilsgründe aufzunehmen. Entsprechendes gilt für die Bekundungen der gerichtsmedizinischen Sachverständigen, denen die Strafkammer zwar ausweislich der Urteilsgründe gefolgt ist, deren Erkenntnisse aber weder im Hinblick auf einzelne den Angeklagten belastende Indiztatsachen gewichtet oder mit dem Beweisergebnis im Übrigen in Beziehung gesetzt werden.
14
c) Ferner begegnet die – losgelöst vom Ergebnis der Beweisaufnahme im Übrigen – erfolgte Bewertung der Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung vor dem Hintergrund der in den Urteilsgründen erwähnten Verständigung als nicht glaubhaft durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
15
Wie der Bundesgerichtshof schon mehrfach betont hat, darf eine Verständigung über das Strafmaß nicht dazu führen, dass ein so zustande gekommenes Geständnis dem Schuldspruch zu Grunde gelegt wird, ohne dass sich der Tatrichter von dessen Richtigkeit überzeugt (vgl. nur BGH, Beschluss vom 15. Januar 2003 – 1 StR 464/02, BGHSt 48, 161, 167). Auch für die Bewertung eines Geständnisses gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Senatsbeschluss vom 19. August 1993 – 4 StR 627/92, BGHSt 39, 291, 303; zur Darlegung in den Urteilsgründen BGH, Urteil vom 10. Juni 1998 – 2 StR 156/98, NJW 1999, 370, 371 mwN). Mag die Bewertung der Strafkammer , die Einlassung des Angeklagten vermittle den Eindruck eines mit einem bestimmten Ziel zusammengestellten Konstrukts, danach für sich genommen aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden sein, so liegt, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat, der Rechtsfehler darin, dass das Landgericht bei dieser Erwägung stehen geblieben ist und die einander widersprechenden Einlassungen des Angeklagten weder im Einzelnen einer Bewertung unterzogen noch mit dem übrigen Beweisergebnis in Beziehung gesetzt hat. Damit hat es sich den Blick dafür verstellt, dass Teile der Angaben des Angeklagten , etwa in Zusammenschau mit den Ausführungen der medizinischen Sachverständigen, geeignet sein könnten, diesen im Sinne des Anklagevorwurfs zu belasten. Abgesehen davon hätte es im vorliegenden Fall – über die Mindestanforderungen des § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO hinaus (vgl. MeyerGoßner , StPO, 55. Aufl., § 267 Rn. 23a mwN) – der Mitteilung von Einzelheiten zum Inhalt der erwähnten Verständigung bedurft, um die Beweiswürdigung der Strafkammer zum Einlassungsverhalten des Angeklagten ausreichend auf Rechtsfehler überprüfen zu können (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 6. November 2007 – 1 StR 370/07, BGHSt 52, 78, 82 ff.).

III.


16
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Mutzbauer Cierniak Franke
Bender Quentin