Bundesgerichtshof Urteil, 27. März 2024 - 2 StR 382/23

erstmalig veröffentlicht: 30.06.2024, letzte Fassung: 30.06.2024

Rechtsgebiete

Eingereicht durch

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

Herr Ralf Eschelbach

Zusammenfassung des Autors

Im hiesigen Leitsatzurteil des Bundesgerichtshof vom 27. März 2024 (2 StR 382/23) werden lesenswerte Feststellung zu den strafprozessualen Regelungen des Selbstleseverfahrens nach § 249 StPO getroffen. 

Für einen detaillierteren Einblick in das Urteil siehe Urteilsbesprechung.

Amtliche Leitsätze

1. Nebenkläger und deren bestellte anwaltliche Vertreter rechnen zu den übrigen Beteiligten im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO und haben das Recht, dass ihnen Gelegenheit zur Kenntnisnahme von den in der Selbstleseanordnung genannten Urkunden gewährt wird.

2. Die Teilnahme am Selbstleseverfahren ist für Nebenkläger und deren bestellte anwaltliche Vertreter disponibel. Ein Selbstleseverfahren kann auch ohne deren Beteiligung durchgeführt werden.

3. Waren Nebenkläger und/oder deren anwaltliche Vertreter an einem Selbstleseverfahren nicht beteiligt, müssen diese auch nicht von der Feststellung des Vorsitzenden nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO umfasst sein, um den ordnungsgemäßen Abschluss des Selbstleseverfahrens und damit die ordnungsgemäße Einführung der in das Selbstleseverfahren gegebenen Urkunden in die Hauptverhandlung zu bewirken.

Bundesgerichtshof

Urteil vom 27. März 2024 

Az.: 2 StR 382/23

 

 

Tenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 28. April 2023 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung und wegen Bedrohung zu vier Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

A)

Nach den Feststellungen des Landgerichts forderte der Angeklagte am 13. Januar 2022 (Fall B.I. Urteilsgründe) in seiner Wohnung die Geschädigte W.        auf, an ihm Oralverkehr zu vollziehen. Als sie seiner Aufforderung nicht nachkam, verwies er sie der Wohnung und sandte ihr Textnachrichten, in denen er ihr und ihr nahestehenden Personen körperliche Gewalt androhte.

Am 27. April 2022 (Fall B.III. der Urteilsgründe) traf sich der Angeklagte mit der Nebenklägerin, der Geschädigten S.    , in deren Wohnung. Nachdem beide bis etwa 2:00 Uhr des Folgetages einen Film angesehen hatten, gingen sie zu Bett. Den Wunsch des Angeklagten nach Geschlechtsverkehr lehnte die Nebenklägerin ab und erklärte, auch keinen Oralverkehr ausüben zu wollen. Der Angeklagte entschloss sich nunmehr, den Oralverkehr auch gegen den Willen der Nebenklägerin zu vollziehen. Er kniete sich auf Brusthöhe über die Nebenklägerin, wobei er seine Knie links und rechts neben ihren Schultern positionierte und die Nebenklägerin dadurch einklemmte. Obwohl die Nebenklägerin mehrfach wiederholte, dies nicht zu wollen, drückte der Angeklagte seinen erigierten Penis in ihren Mund und vollzog den Oralverkehr. Auf die Aufforderung aufzuhören reagierte der Angeklagte nicht. Aus Furcht vor dem ihr physisch überlegenen Angeklagten setzte sich die Nebenklägerin nicht körperlich zur Wehr. Nach etwa fünf Minuten ließ der Angeklagte plötzlich von der Nebenklägerin ab und erklärte, dass er so „nicht kommen" könne.

B)

Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.

I.

Die Rüge der Verletzung des § 261 StPO dringt nicht durch.

1. Die Revision beanstandet, in das Selbstleseverfahren gegebene Urkunden und Schriftstücke seien nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Das Selbstleseverfahren sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, es fehle an einer den Anforderungen des § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO genügenden Feststellung. Hierzu trägt die Revision folgendes Verfahrensgeschehen vor:

Die Geschädigte S.   wurde als Nebenklägerin zugelassen und ihr antragsgemäß Rechtsanwältin K.    beigeordnet. Diese erhielt nach Vernehmung der Nebenklägerin am ersten Hauptverhandlungstag die Verfahrensakten zur Einsicht. Die Nebenklägerin war nur während ihrer Zeugeneinvernahme, ihre anwaltliche Vertreterin mit Ausnahme einer kurzen Unterbrechung am zweiten Hauptverhandlungstag durchgehend anwesend.

Am dritten Verhandlungstag ordnete der Vorsitzende an, dass in einer Tabelle aufgelistete, näher bezeichnete Unterlagen im Selbstleseverfahren gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO in die Hauptverhandlung eingeführt werden sollen. Widerspruch gegen die Anordnung wurde nicht erhoben. Sodann erhielten die Schöffen, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, der Angeklagte und sein Verteidiger Kopien der in der Anordnung des Vorsitzenden genannten Urkunden ausgehändigt. Auch hiergegen wurde Widerspruch nicht erhoben.

Am fünften Hauptverhandlungstag traf der Vorsitzende – neben Feststellungen betreffend die Richter und Schöffen über deren Kenntnisnahme vom Wortlaut der Urkunden – folgende Feststellung: „Der Angeklagte, sein Verteidiger sowie der Vertreter der Staatsanwaltschaft hatten Gelegenheit, vom Wortlaut der vorgenannten Urkunden und Schriftstücke Kenntnis zu nehmen.“

Die Revision ist der Auffassung, diese Feststellung sei nicht geeignet, den formal ordnungsgemäßen Abschluss des Selbstleseverfahrens zu bewirken. Sie genüge nicht § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO, da zu den „übrigen Beteiligten", denen Gelegenheit zur Kenntnisnahme vom Wortlaut der Urkunden zu geben sei, auch die Nebenklägerin und deren in der Hauptverhandlung überdies anwesende anwaltliche Vertreterin rechne.

2. Die Rüge hat keinen Erfolg. Dahinstehen kann, ob sie in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise ausgeführt ist. Sie ist jedenfalls unbegründet. Zwar rechnet die Nebenklage zu den „übrigen Beteiligten“ im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO (nachfolgend a). Die Revision kann aber weder deren unterbliebene Beteiligung rügen (nachfolgend b) noch kann sie hier mit dem Vortrag durchdringen, die Feststellung des Vorsitzenden bleibe formal hinter dem zurück, was nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO festzustellen erforderlich gewesen wäre (nachfolgend c).

a) Die Nebenklage rechnet zu den übrigen Beteiligten im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO. Sie hat das Recht, dass ihr wie allen anderen Verfahrensbeteiligten Gelegenheit gewährt wird, vom Wortlaut der von der Selbstleseanordnung erfassten Urkunden Kenntnis zu nehmen.

aa) Beteiligt im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO sind nicht nur die Personen, die ein Widerspruchsrecht nach § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO haben, sondern alle, die sich mit Anträgen und Erklärungen am Verfahren beteiligen können (vgl. KK-StPO/Diemer, 9. Aufl., § 249 Rn. 37). Dazu rechnet auch die Nebenklage. Ihr kommen in der Hauptverhandlung grundsätzlich die gleichen Rechte zu wie der Staatsanwaltschaft, auch wenn sie in den einzelnen Verfahrensvorschriften nicht besonders erwähnt wird (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1979 – 5 StR 748/78, BGHSt 28, 272, 273). Sie hat das Recht, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, gehört zu werden und sich mit Anträgen oder Erklärungen an der Verhandlung zu beteiligen (§ 397 StPO). Diese Informations- und Partizipationsrechte ziehen eine Leseberechtigung der Nebenklage gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO nach sich, da die Verfahrensrechte der Nebenklage andernfalls nicht sinnvoll ausgeübt werden könnten (vgl. Löwe/Rosenberg/Mosbacher, StPO, 27. Aufl., § 249 Rn. 73, 79; MüKo-StPO/Kreicker, 2. Aufl., § 249 Rn. 56; SK-StPO/Frister, 5. Aufl., § 249 Rn. 75).

bb) Die Nebenklage kann folglich beanspruchen, dass ihr Gelegenheit zur Kenntnisnahme vom Wortlaut der ins Selbstleseverfahren gegebenen Urkunden gewährt wird, und zwar auch dann, wenn sie vor Anordnung der Selbstlesung bereits Einsicht in die Akten genommen oder Gelegenheit dazu hatte (vgl. MüKo-StPO/Kreicker, 2. Aufl., § 249 Rn. 56). Zwar regelt das Gesetz nicht die Art und Weise der Durchführung des Selbstleseverfahrens, sondern überlässt es der Verhandlungsleitung des Vorsitzenden, eine den jeweiligen Verfahrenserfordernissen und dem Umfang sowie dem Schwierigkeitsgrad der Lektüre angemessene Lösung zu finden (vgl. Löwe/Rosenberg/Mosbacher, StPO, 27. Aufl., § 249 Rn. 81). § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO fordert aber, dass der Nebenklage, so sie dies will und nicht hierauf verzichtet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 – 1 StR 422/10, NStZ 2011, 300; vom 10. Januar 2012 – 1 StR 587/11, NStZ 2012, 346, 347; Löwe/Rosenberg/Mosbacher, StPO, 27. Aufl., § 249 Rn. 82; KK-StPO/Diemer, 9. Aufl., § 249 Rn. 37; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 249 Rn. 23; Schneider, NStZ 2022, 338, 340), in gleicher Weise und in gleichem Umfang wie den weiteren Verfahrensbeteiligten – namentlich Angeklagtem, Verteidiger und Staatsanwaltschaft – die im Wege des Selbstleseverfahrens einzuführenden Urkunden zur Kenntnis gebracht werden. Ebenso wie dem verteidigten Angeklagten müssen einem Nebenkläger mit anwaltlichem Beistand gegebenenfalls die vom Selbstleseverfahren umfassten Urkunden bzw. deren Wortlaut vom Gericht zugänglich gemacht werden; er kann nicht darauf verwiesen werden, sein Rechtsbeistand verfüge über eine (elektronische) Kopie des betreffenden Dokuments (vgl. MüKo-StPO/Kreicker, 2. Aufl., § 249 Rn. 56).

b) Die Revision des Angeklagten kann die Rüge der Verletzung des § 261 StPO aber – wie sie in der Hauptverhandlung vor dem Senat zutreffend vorgetragen hat – nicht darauf stützen, die Nebenklägerin sei entgegen § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht am Selbstleseverfahren beteiligt oder ihr keine Gelegenheit zur Kenntnisnahme der ins Selbstleseverfahren gegebenen Unterlagen gegeben worden.

Wie ausgeführt ist die Nebenklage deswegen am Selbstleseverfahren „Beteiligte“ im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO, damit sie ihre Rechte wahrnehmen kann. Bleibt dies der Nebenklage verwehrt, ist der Rechtskreis des Angeklagten und seiner Verteidigung insoweit in keiner Weise berührt (zur „Rechtskreistheorie“ schon BGH, Beschluss vom 21. Januar 1958 – GSSt 4/57, BGHSt 11, 213, 214 ff.; Urteil vom 20. Januar 2004 – 1 StR 319/03, juris Rn. 28 mwN). Es obliegt vielmehr allein der Nebenklage, eine Verletzung ihrer Rechte bei der Durchführung des Selbstleseverfahrens geltend zu machen. Ihre Stellung als Verfahrensbeteiligte im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO gestattet es ihr nicht nur, selbst formlos darauf hinzuweisen, wenn der Durchführung des Selbstleseverfahrens Schwierigkeiten entgegenstehen (vgl. Löwe/Rosenberg/Mosbacher, StPO, 27. Aufl., § 249 Rn. 73), sie kann – und muss, will sie sich die Geltendmachung in einem unter den Voraussetzungen des § 400 Abs. 1 StPO zulässigen Revisionsverfahren erhalten – bei Beeinträchtigung ihres Beteiligungs- und Informationsrechts das Gericht nach § 238 Abs. 2 StPO anrufen (vgl. Löwe/Rosenberg/Mosbacher, StPO, 27. Aufl., § 249 Rn. 73).

Damit ist der Revision des Angeklagten auch der Einwand verwehrt, die hier getroffene Feststellung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO sei deswegen defizitär, weil durch sie belegt sei (vgl. BGH, Beschluss vom 30. September 2009 – 2 StR 280/09, juris Rn. 6 mwN), dass der Nebenklage keine Gelegenheit zur Kenntnisnahme im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO gegeben worden war.

c) Soweit die Rüge der Verletzung des § 261 StPO darauf gestützt wird, die Feststellung des Vorsitzenden nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO genüge in formeller Hinsicht nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie die Nebenklage nicht umfasse, dringt sie in der Sache nicht durch.

Die Nebenklage war nach dem Revisionsvorbringen an dem hier in Rede stehenden Selbstleseverfahren nicht beteiligt (nachfolgend aa). Ein Selbstleseverfahren kann aber unbeschadet der Rechte der Nebenklage aus § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO auch ohne deren Beteiligung durchgeführt werden (nachfolgend bb). Folglich fordert § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO in einem solchen Fall nicht, Feststellungen zu deren Gelegenheit zur Kenntnisnahme zu treffen, um das Selbstleseverfahren ordnungsgemäß abzuschließen und die davon umfassten Urkunden und Schriftstücke zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen (nachfolgend cc).

aa) Nach dem von der Revision vorgetragenen Verfahrensgang war offenkundig, dass die Nebenklage am Selbstleseverfahren nicht beteiligt war. Dass sie sich dem Verfahren gemäß § 396 Abs. 1 StPO angeschlossen und aufgrund dessen oder aufgrund der ihr gewährten Akteneinsicht die (abstrakte) Möglichkeit hatte, sich Kenntnis vom Wortlaut der von der Selbstleseanordnung umfassten Urkunden zu verschaffen, stellt – wie oben bereits ausgeführt – schon keine Gelegenheit zur Kenntnisnahme im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO dar. Eine Beteiligung der Nebenklage am Selbstleseverfahren war dadurch nicht bewirkt und ist auch im Weiteren nicht erfolgt.

Die Nebenklägerin selbst war in der Hauptverhandlung – abgesehen von ihrer Zeugeneinvernahme – nicht anwesend und somit an einer Teilnahme am Selbstleseverfahren ersichtlich nicht interessiert. Ihre anwaltliche Vertreterin war zwar anwesend, nach dem durch das Hauptverhandlungsprotokoll bestätigten Revisionsvortrag gab der Vorsitzende indes zur Durchführung des zuvor angeordneten Selbstleseverfahrens Kopien der betroffenen Urkunden und Schriftstücke – aus welchen Gründen auch immer – lediglich an die Schöffen, den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, den Angeklagten und seinen Verteidiger, also gerade nicht an die zu diesem Zeitpunkt anwesende Vertreterin der Nebenklägerin. Damit ist, wie die Revision selbst vorgetragen hat, offengelegt, dass der Vorsitzende die Nebenklage nicht als „übrige Verfahrensbeteiligte“ am Selbstleseverfahren beteiligt hat. Widerspruch hat die Vertreterin der Nebenklägerin nicht erhoben.

bb) Es steht der Einführung einer Urkunde im Wege des Selbstleseverfahrens nicht grundsätzlich entgegen, dass die Nebenklage am Selbstleseverfahren nicht beteiligt wird. Dass sie „übrige Beteiligte“ im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO ist und in der Hauptverhandlung ganz oder teilweise anwesend war, bedeutet nicht, dass ein Selbstleseverfahren ohne ihre Beteiligung nicht durchgeführt werden könnte.

(1) Die Nebenklage rechnet schon nicht zu den Verfahrensbeteiligten, denen ein Widerspruchsrecht gegen die Selbstleseanordnung nach § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO zuerkannt ist. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO wie auch aus § 397 Abs. 1 StPO (vgl. MüKo-StPO/Kreicker, 2. Aufl., § 249 Rn. 55; KK-StPO/Diemer, 9. Aufl., § 249 Rn. 35; HK-StPO/Julius/Engelstätter, 7. Aufl., § 249 Rn. 31; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, 66. Aufl., § 249 Rn. 21). Hieraus folgt bereits, dass ihr fehlendes Einverständnis der Durchführung eines Selbstleseverfahrens nicht entgegenstehen kann, damit – erst recht – nicht ihre Abwesenheit oder ihr fehlendes Interesse an der Beweiserhebung im Wege des Selbstleseverfahrens. Selbst wenn die Nebenklage in der Hauptverhandlung anwesend ist, sich gegen das Selbstleseverfahren ausspricht oder sich hieran nicht beteiligen will, steht dies der Beweiserhebung in dieser Form grundsätzlich nicht entgegen.

(2) Dem entspricht auch die Gesetzeshistorie. In seiner ersten Fassung nach Einführung durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 vom 5. Oktober 1978 (BGBl. I, S. 1645 ff.) sah § 249 Abs. 2 StPO als notwendige Voraussetzung für ein Absehen von der Verlesung von Urkunden oder anderen als Beweismittel dienenden Schriftstücken an, dass „die Staatsanwaltschaft, der Verteidiger und der Angeklagte hierauf verzichten“. Unabhängig von der Frage, ob – diesem Wortlaut widersprechend – gegebenenfalls auch ein Verzicht der Nebenklage erforderlich sein könnte (verneinend KK-StPO/Mayr, 1. Aufl. (1982), § 249 Rn. 37 mwN; bejahend Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, StPO, 24. Aufl. (1986), § 249 Rn. 55), bestand Einigkeit, dass § 249 Abs. 2 StPO jedenfalls keine Verzichtserklärung von solchen Verfahrensbeteiligten forderte, die – befugt oder unbefugt – der Hauptverhandlung fernblieben (vgl. Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, StPO, 24. Aufl. (1986), § 249 Rn. 56 mwN). Ziel der Einführung des Selbstleseverfahrens war es, umfangreiche Verfahren zu straffen, zu vereinfachen und zu beschleunigen (BT-Drucks. 8/976, S. 1; vgl. auch BT-Drucks. 12/6853, S. 1). Dementsprechend sollten Verfahrensbeteiligte, die unbefugt oder – wie insbesondere die Nebenklage – befugt einer Hauptverhandlung fernblieben, nicht die Macht haben, darüber zu bestimmen, in welcher Art und Weise ein Beweis in der Hauptverhandlung erhoben wird, zumal Umfang und Qualität der Beweiserhebung unverändert blieben (vgl. Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, StPO, 24. Aufl. (1986), § 249 Rn. 56). Durch die Änderung des § 249 Abs. 2 StPO durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1987 vom 21. Januar 1987 (BGBl. I, S. 475) – nunmehr Widerspruchsmöglichkeit statt notwendige Verzichtserklärung – sollte die Durchführung des Selbstleseverfahrens nicht erschwert oder eingeschränkt, sondern die Akzeptanz des Selbstleseverfahrens in der Praxis gefördert und das Absehen vom Verlesen weiter erleichtert werden (vgl. KK-StPO/Diemer, 9. Aufl., § 249 Rn. 31 mwN).

(3) Vor allem aber ist für die Nebenklage die Teilnahme am Selbstleseverfahren disponibel. Sie ist zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung berechtigt, trotz Zulassung (§ 396 Abs. 2 StPO) hierzu aber nicht verpflichtet. Es steht ihr grundsätzlich frei zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie sich an einzelnen Verfahrensschritten in einer Hauptverhandlung beteiligt, ohne dass dadurch die Beweisgewinnung beeinflusst wird.

(a) Die Nebenklage kann nicht nur darauf verzichten, dass ihr Gelegenheit zur Kenntnisnahme vom Wortlaut der Urkunden gegeben wird (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 – 1 StR 422/10, NStZ 2011, 300; vom 10. Januar 2012 – 1 StR 587/11, NStZ 2012, 346, 347; Löwe/Rosenberg/Mosbacher, StPO, 27. Aufl., § 249 Rn. 82; KK-StPO/Diemer, 9. Aufl., § 249 Rn. 37; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 249 Rn. 23; Schneider, NStZ 2022, 338, 340). Sie kann auch insgesamt und ohne ausdrückliche Erklärung von einer Teilnahme am Selbstleseverfahren absehen. So wie sie der Hauptverhandlung insgesamt fernbleiben kann oder an einer (angekündigten) Verlesung einer Urkunde in der Hauptverhandlung nicht teilnehmen muss, kann sie sich auch dafür entscheiden, dass das Selbstleseverfahren ohne ihre Beteiligung durchgeführt wird, ohne dass dadurch die Beweisgewinnung in der Hauptverhandlung in Frage stünde. In gleicher Weise steht es ihr frei, eine erkennbar unterlassene oder unterbliebene Beteiligung zu beanstanden oder auf die Geltendmachung ihrer Rechte aus § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO zu verzichten. Gesonderter Protokollierung bedarf dies nicht (vgl. auch zum Verzicht auf die Kenntnisnahmegelegenheit BGH, Beschluss vom 10. Januar 2012 – 1 StR 587/11, NStZ 2012, 346, 347; Löwe/Rosenberg/Mosbacher, StPO, 27. Aufl., § 249 Rn. 82; aA MüKoStPO/Kreicker, 2. Aufl., § 249 Rn. 60).

(b) Auch die Regelung des § 398 StPO bestätigt die Rolle der Nebenklage als einer wegen ihrer Schutzbedürftigkeit zwar möglichen, für das Verfahren aber nicht notwendigen Verfahrensbeteiligten (MüKo-StPO/Valerius, § 398 Rn. 1). Die Nebenklage nimmt – wie der Privatkläger, vgl. § 397 StPO – nur ihr persönliches Interesse wahr; soweit sie es unterlässt, ihre Rechte auf Teilnahme am Verfahren auszuüben, nimmt dieses ohne Rücksicht auf sie seinen Fortgang, § 398 Abs. 1 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1979 – 5 StR 748/78, BGHSt 28, 272, 273). Vorbehaltlich der Befugnis zur Einlegung von Rechtsmitteln muss die Nebenklage bei Unterlassen der ihr zustehenden Beteiligung am Hauptverfahren dessen Ergebnisse so hinnehmen, wie sie sich ohne ihre Beteiligung gestaltet haben (vgl. RGSt 61, 385, 386). Nach § 398 Abs. 2 StPO kann die Hauptverhandlung auch dann durchgeführt werden, wenn die Nebenklage nicht mehr (rechtzeitig) geladen werden konnte. Sie kann ebenso durchgeführt werden, wenn die Nebenklage zwar noch geladen werden konnte, der Nebenkläger oder sein Verfahrensbevollmächtigter aber an der Teilnahme verhindert ist, gleich ob aus triftigem oder anderem Grund (vgl. Löwe/Rosenberg/Wenske, StPO, 27. Aufl., § 398 Rn. 3; MüKo-StPO/Valerius, § 398 Rn. 5 f.; KK-StPO/Allgayer, 9. Aufl., § 398 Rn. 3 je mwN). Diese Regelungen gelten für die gesamte Hauptverhandlung und belegen also auch für die Durchführung eines Selbstleseverfahrens, dass dieses grundsätzlich auch ohne Beteiligung des Nebenklägers durchgeführt werden kann.

(c) Wollte man die Durchführung des Selbstleseverfahrens von der Beteiligung der Nebenklage abhängig machen, setzte man sich überdies in Widerspruch dazu, dass die Abwesenheit der Nebenklage – auch die ungewollte Abwesenheit wegen Verhinderung (s.o.) – bei Verlesung der Urkunden und Schriftstücke (§ 249 Abs. 1 StPO) in der Hauptverhandlung unschädlich wäre. Der Gesetzgeber hat das Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 StPO aber nicht als Ausnahme vom Grundsatz des Verlesens nach § 249 Abs. 1 StPO konzipiert, sondern als sachlich gleichwertige Alternative (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2020 – 5 StR 197/20, BGHSt 65, 155 gegen frühere anderslautende Rspr.; Mosbacher, NStZ 2013, 199, 202; Feldmann, wistra 2020, 1, 2 f.; zur Gesetzgebungsgeschichte auch Schlund, Das Selbstleseverfahren – Grund und Grenzen, 2018, S. 22 ff.). Die Einführung einer Urkunde in die Hauptverhandlung nach § 249 Abs. 2 StPO bedeutet gegenüber der Verlesung nach § 249 Abs. 1 StPO keinen Verzicht auf ein Beweismittel oder auf eine nach der Vorstellung des Gesetzes höherwertige Art der Beweisaufnahme, sondern lediglich die Wahl zwischen zwei für die Prozessbeteiligten gleichwertigen Arten der Einführung eines Beweismittels in die Hauptverhandlung; ebenso wenig kann § 249 Abs. 2 StPO sachlich als eine Ausnahmeregelung vom Grundsatz des § 249 Abs. 1 StPO verstanden werden (BT-Drucks. 10/1313, S. 28). Auch das Mündlichkeits- oder das Öffentlichkeitsprinzip, dessen Einschränkung der Gesetzgeber mit der Einführung des § 249 Abs. 2 StPO überdies bewusst in Kauf genommen hat (BT-Drucks. 10/1313, S. 28), gebietet nicht, die Durchführung eines Selbstleseverfahrens von der Beteiligung der Nebenklage abhängig zu machen.

cc) Kann das Selbstleseverfahren auch ohne Beteiligung der Nebenklage durchgeführt werden, kann folglich in einem solchen Fall auch § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO für den ordnungsgemäßen Abschluss des Selbstleseverfahrens nicht gebieten, Feststellungen zu deren Gelegenheit zur Kenntnisnahme zu treffen. Denn andernfalls könnte eine dem Verfahrensgang entsprechende Feststellung den Abschluss des Selbstleseverfahrens niemals bewirken. Zwar muss die Feststellung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO grundsätzlich auch die Nebenklage bzw. deren Gelegenheit zur Kenntnisnahme umfassen, wenn sie – anders als hier – am Selbstleseverfahren beteiligt war. Dass der Vorsitzende indes dem tatsächlichen Verfahrensgeschehen zuwider ausnahmslos feststellen müsste, dass alle „übrigen“ am Hauptverfahren Beteiligten Gelegenheit gehabt hatten, vom Wortlaut der ins Selbstleseverfahren gegebenen Urkunden Kenntnis zu nehmen, lässt sich weder aus dem Wortlaut des § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO noch dessen Sinn und Zweck ableiten.

(1) Nach dem Wortlaut des § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO ist „die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu“ festzustellen.

(a) Gefordert ist demnach, die tatsächlich gewährte – entgegen dem Revisionsvorbringen nicht eine lediglich abstrakt mögliche – „Gelegenheit“ im vorbeschriebenen Sinn des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO festzustellen. Zwar wäre durch die Feststellung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht bewiesen, dass die davon umfassten Beteiligten tatsächlich Gelegenheit zur Kenntnisnahme im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO hatten (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 – 3 StR 76/10, NJW 2010, 3382, 3383; zur negativen Beweiskraft auch BGH, Beschluss vom 30. September 2009 – 2 StR 280/09, juris Rn. 6 mwN). Auch könnte der Angeklagte eine die Nebenklage umfassende Feststellung nicht mit dem Einwand beanstanden, der Nebenklage sei in Wahrheit (wenngleich entgegen § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO) keine Gelegenheit zur Kenntnisnahme gewährt worden (s.o.). Der Wortlaut des § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO („die Gelegenheit“) fordert aber vom Vorsitzenden nicht, Feststellungen zu treffen, die dem tatsächlichen Verfahrensgang widersprechen. Anderes wäre unvereinbar damit, dass das Protokoll eine zuverlässige Grundlage für die Feststellung schaffen soll, ob der Ablauf der Hauptverhandlung den gesetzlichen Vorschriften entsprochen hat und die wesentlichen Förmlichkeiten beachtet wurden (§ 273 Abs. 1 StPO; KK-StPO/Greger, 9. Aufl., § 271 Rn. 1).

(b) Ebenso wenig ist nach dem Wortlaut des § 249 Abs. 2 StPO gefordert, dass die zu treffende Feststellung ausnahmslos die Formulierung „übrige Beteiligte“ enthält. Die zu treffende Feststellung entspricht auch dann den gesetzlichen Erfordernissen, wenn sie die Verfahrensbeteiligten, die nach § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO Gelegenheit zur Kenntnisnahme vom Wortlaut der Urkunden hatten, enumerativ benennt.

(aa) Dies erhellt sich schon daraus, dass selbst die in § 249 Abs. 2 StPO explizit genannten Verfahrensbeteiligten nicht stets am Hauptverfahren beteiligt sind, ohne dass hierdurch die Möglichkeit zur Durchführung eines Selbstleseverfahrens in Frage stünde. Sind an einer Hauptverhandlung – etwa in einem erstinstanzlichen Verfahren vor dem Oberlandesgericht oder vor dem Strafrichter – keine Schöffen beteiligt, kann vom Vorsitzenden nicht verlangt werden, entsprechend der Formulierung des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO zu protokollieren, dass (auch) die Schöffen vom Wortlaut der Urkunden Kenntnis genommen haben. Ebenso sinnwidrig wäre es zu fordern, in einem Verfahren, in dem eine Verteidigung nicht notwendig und ein Verteidiger auch nicht erschienen ist, festzustellen, dass die Verteidigung Gelegenheit zur Kenntnisnahme vom Wortlaut der Urkunden hatte. Nicht anders verhält es sich aber, wenn potentiell nach § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO zu Beteiligende wie die Nebenklage – etwa, weil sie nicht erschienen ist oder weil sie hierauf verzichtet hat – am Selbstleseverfahren tatsächlich nicht beteiligt waren.

(bb) Eine enumerative Aufzählung der Verfahrensbeteiligten erscheint in Abhängigkeit vom jeweiligen Verfahrensgang mitunter auch sinnvoll. Zwar wäre eine – insoweit nicht eindeutige – Feststellung betreffend die Gelegenheit zur Kenntnisnahme hinsichtlich der „übrigen Beteiligten“ einer Auslegung dahingehend zugänglich, dass sie sich (nur) auf die am Selbstleseverfahren Beteiligten bezieht, insbesondere dann, wenn einzelne Verfahrensbeteiligte bei der Durchführung des Selbstleseverfahrens – wie hier die Nebenklägerin – nicht anwesend oder – wie die Nebenklagevertreterin – offenkundig nicht beteiligt waren. Der Klarheit und Nachvollziehbarkeit des protokollierten Geschehens in der Hauptverhandlung förderlich ist es aber, wenn der Vorsitzende Entsprechendes bereits durch seine Feststellung zum Ausdruck bringt, indem er die am Selbstleseverfahren Beteiligten, denen gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO Gelegenheit zur Kenntnisnahme gewährt worden war, konkret bezeichnet.

(2) Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO.

(a) Der Protokollvermerk dient der Kenntlichmachung und dem Hinweis an die Verfahrensbeteiligten, dass der in der Selbstleseanordnung aufgeführte Beweisstoff Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO geworden ist und der Überzeugungsbildung des Gerichts zu Grunde gelegt werden kann. Dieser Kenntlichmachung und des Hinweises an die Verfahrensbeteiligten bedarf es, weil der Urkundsbeweis beim Selbstleseverfahren außerhalb der Hauptverhandlung erhoben wird und bei Anordnung des Selbstleseverfahrens der Zeitpunkt regelhaft noch ungewiss ist, zu welchem die Berufsrichter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunden Kenntnis genommen haben und für die übrigen Beteiligten Gelegenheit hierzu bestand (zum Ganzen vgl. BGH, Urteil vom 9. März 2017 – 3 StR 424/16, NStZ 2017, 722, 723; Beschlüsse vom 20. Juli 2010 – 3 StR 76/10, NJW 2010, 3382, 3383; vom 10. Mai 2022 – 2 StR 501/21, NStZ 2023, 118, 119). Die von § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO geforderte „Signalwirkung“ wird auch dann erreicht, wenn hinsichtlich derjenigen Verfahrensbeteiligten, ohne deren Beteiligung ein Selbstleseverfahren durchgeführt werden kann und die tatsächlich nicht beteiligt waren, eine Gelegenheit zur Kenntnisnahme nicht festgestellt ist. War die Nebenklage am Selbstleseverfahren nicht beteiligt, weil sie hierauf verzichtet oder – wie hier – ihre offenkundig unterbliebene Beteiligung nicht beanstandet hat, können Zweifel darüber, dass das Selbstleseverfahren abgeschlossen ist, jedenfalls dann nicht aufkommen, wenn hinsichtlich aller am Selbstleseverfahren Beteiligten eine Gelegenheit zur Kenntnisnahme festgestellt ist.

(b) Ausgehend hiervon war die von der Revision beanstandete Feststellung des Vorsitzenden, wonach der Angeklagte, sein Verteidiger sowie der Vertreter der Staatsanwaltschaft Gelegenheit hatten, vom Wortlaut der in der Selbstleseanordnung vom 21. April 2023 aufgeführten Urkunden und Schriftstücke Kenntnis zu nehmen, geeignet, den Abschluss des Selbstleseverfahrens zu bewirken. Durch den dem zulässigen Verfahrensgang entsprechenden Protokollvermerk wird klargestellt, dass der in der Selbstleseanordnung aufgeführte Beweisstoff nunmehr Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO geworden ist. Berechtigte Zweifel hierüber konnten bei dem – überdies in der Hauptverhandlung stets anwesenden – Angeklagten und seinem Verteidiger nicht aufkommen.

II.

Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens im Schriftsatz vom 1. Dezember 2023 keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht.

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Urteil vom 27. März 2024 

Az.: 2 StR 382/23

 

 

Tenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 28. April 2023 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung und wegen Bedrohung zu vier Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

A)

Nach den Feststellungen des Landgerichts forderte der Angeklagte am 13. Januar 2022 (Fall B.I. Urteilsgründe) in seiner Wohnung die Geschädigte W.        auf, an ihm Oralverkehr zu vollziehen. Als sie seiner Aufforderung nicht nachkam, verwies er sie der Wohnung und sandte ihr Textnachrichten, in denen er ihr und ihr nahestehenden Personen körperliche Gewalt androhte.

Am 27. April 2022 (Fall B.III. der Urteilsgründe) traf sich der Angeklagte mit der Nebenklägerin, der Geschädigten S.    , in deren Wohnung. Nachdem beide bis etwa 2:00 Uhr des Folgetages einen Film angesehen hatten, gingen sie zu Bett. Den Wunsch des Angeklagten nach Geschlechtsverkehr lehnte die Nebenklägerin ab und erklärte, auch keinen Oralverkehr ausüben zu wollen. Der Angeklagte entschloss sich nunmehr, den Oralverkehr auch gegen den Willen der Nebenklägerin zu vollziehen. Er kniete sich auf Brusthöhe über die Nebenklägerin, wobei er seine Knie links und rechts neben ihren Schultern positionierte und die Nebenklägerin dadurch einklemmte. Obwohl die Nebenklägerin mehrfach wiederholte, dies nicht zu wollen, drückte der Angeklagte seinen erigierten Penis in ihren Mund und vollzog den Oralverkehr. Auf die Aufforderung aufzuhören reagierte der Angeklagte nicht. Aus Furcht vor dem ihr physisch überlegenen Angeklagten setzte sich die Nebenklägerin nicht körperlich zur Wehr. Nach etwa fünf Minuten ließ der Angeklagte plötzlich von der Nebenklägerin ab und erklärte, dass er so „nicht kommen" könne.

B)

Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.

I.

Die Rüge der Verletzung des § 261 StPO dringt nicht durch.

1. Die Revision beanstandet, in das Selbstleseverfahren gegebene Urkunden und Schriftstücke seien nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Das Selbstleseverfahren sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, es fehle an einer den Anforderungen des § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO genügenden Feststellung. Hierzu trägt die Revision folgendes Verfahrensgeschehen vor:

Die Geschädigte S.   wurde als Nebenklägerin zugelassen und ihr antragsgemäß Rechtsanwältin K.    beigeordnet. Diese erhielt nach Vernehmung der Nebenklägerin am ersten Hauptverhandlungstag die Verfahrensakten zur Einsicht. Die Nebenklägerin war nur während ihrer Zeugeneinvernahme, ihre anwaltliche Vertreterin mit Ausnahme einer kurzen Unterbrechung am zweiten Hauptverhandlungstag durchgehend anwesend.

Am dritten Verhandlungstag ordnete der Vorsitzende an, dass in einer Tabelle aufgelistete, näher bezeichnete Unterlagen im Selbstleseverfahren gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO in die Hauptverhandlung eingeführt werden sollen. Widerspruch gegen die Anordnung wurde nicht erhoben. Sodann erhielten die Schöffen, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, der Angeklagte und sein Verteidiger Kopien der in der Anordnung des Vorsitzenden genannten Urkunden ausgehändigt. Auch hiergegen wurde Widerspruch nicht erhoben.

Am fünften Hauptverhandlungstag traf der Vorsitzende – neben Feststellungen betreffend die Richter und Schöffen über deren Kenntnisnahme vom Wortlaut der Urkunden – folgende Feststellung: „Der Angeklagte, sein Verteidiger sowie der Vertreter der Staatsanwaltschaft hatten Gelegenheit, vom Wortlaut der vorgenannten Urkunden und Schriftstücke Kenntnis zu nehmen.“

Die Revision ist der Auffassung, diese Feststellung sei nicht geeignet, den formal ordnungsgemäßen Abschluss des Selbstleseverfahrens zu bewirken. Sie genüge nicht § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO, da zu den „übrigen Beteiligten", denen Gelegenheit zur Kenntnisnahme vom Wortlaut der Urkunden zu geben sei, auch die Nebenklägerin und deren in der Hauptverhandlung überdies anwesende anwaltliche Vertreterin rechne.

2. Die Rüge hat keinen Erfolg. Dahinstehen kann, ob sie in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise ausgeführt ist. Sie ist jedenfalls unbegründet. Zwar rechnet die Nebenklage zu den „übrigen Beteiligten“ im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO (nachfolgend a). Die Revision kann aber weder deren unterbliebene Beteiligung rügen (nachfolgend b) noch kann sie hier mit dem Vortrag durchdringen, die Feststellung des Vorsitzenden bleibe formal hinter dem zurück, was nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO festzustellen erforderlich gewesen wäre (nachfolgend c).

a) Die Nebenklage rechnet zu den übrigen Beteiligten im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO. Sie hat das Recht, dass ihr wie allen anderen Verfahrensbeteiligten Gelegenheit gewährt wird, vom Wortlaut der von der Selbstleseanordnung erfassten Urkunden Kenntnis zu nehmen.

aa) Beteiligt im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO sind nicht nur die Personen, die ein Widerspruchsrecht nach § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO haben, sondern alle, die sich mit Anträgen und Erklärungen am Verfahren beteiligen können (vgl. KK-StPO/Diemer, 9. Aufl., § 249 Rn. 37). Dazu rechnet auch die Nebenklage. Ihr kommen in der Hauptverhandlung grundsätzlich die gleichen Rechte zu wie der Staatsanwaltschaft, auch wenn sie in den einzelnen Verfahrensvorschriften nicht besonders erwähnt wird (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1979 – 5 StR 748/78, BGHSt 28, 272, 273). Sie hat das Recht, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, gehört zu werden und sich mit Anträgen oder Erklärungen an der Verhandlung zu beteiligen (§ 397 StPO). Diese Informations- und Partizipationsrechte ziehen eine Leseberechtigung der Nebenklage gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO nach sich, da die Verfahrensrechte der Nebenklage andernfalls nicht sinnvoll ausgeübt werden könnten (vgl. Löwe/Rosenberg/Mosbacher, StPO, 27. Aufl., § 249 Rn. 73, 79; MüKo-StPO/Kreicker, 2. Aufl., § 249 Rn. 56; SK-StPO/Frister, 5. Aufl., § 249 Rn. 75).

bb) Die Nebenklage kann folglich beanspruchen, dass ihr Gelegenheit zur Kenntnisnahme vom Wortlaut der ins Selbstleseverfahren gegebenen Urkunden gewährt wird, und zwar auch dann, wenn sie vor Anordnung der Selbstlesung bereits Einsicht in die Akten genommen oder Gelegenheit dazu hatte (vgl. MüKo-StPO/Kreicker, 2. Aufl., § 249 Rn. 56). Zwar regelt das Gesetz nicht die Art und Weise der Durchführung des Selbstleseverfahrens, sondern überlässt es der Verhandlungsleitung des Vorsitzenden, eine den jeweiligen Verfahrenserfordernissen und dem Umfang sowie dem Schwierigkeitsgrad der Lektüre angemessene Lösung zu finden (vgl. Löwe/Rosenberg/Mosbacher, StPO, 27. Aufl., § 249 Rn. 81). § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO fordert aber, dass der Nebenklage, so sie dies will und nicht hierauf verzichtet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 – 1 StR 422/10, NStZ 2011, 300; vom 10. Januar 2012 – 1 StR 587/11, NStZ 2012, 346, 347; Löwe/Rosenberg/Mosbacher, StPO, 27. Aufl., § 249 Rn. 82; KK-StPO/Diemer, 9. Aufl., § 249 Rn. 37; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 249 Rn. 23; Schneider, NStZ 2022, 338, 340), in gleicher Weise und in gleichem Umfang wie den weiteren Verfahrensbeteiligten – namentlich Angeklagtem, Verteidiger und Staatsanwaltschaft – die im Wege des Selbstleseverfahrens einzuführenden Urkunden zur Kenntnis gebracht werden. Ebenso wie dem verteidigten Angeklagten müssen einem Nebenkläger mit anwaltlichem Beistand gegebenenfalls die vom Selbstleseverfahren umfassten Urkunden bzw. deren Wortlaut vom Gericht zugänglich gemacht werden; er kann nicht darauf verwiesen werden, sein Rechtsbeistand verfüge über eine (elektronische) Kopie des betreffenden Dokuments (vgl. MüKo-StPO/Kreicker, 2. Aufl., § 249 Rn. 56).

b) Die Revision des Angeklagten kann die Rüge der Verletzung des § 261 StPO aber – wie sie in der Hauptverhandlung vor dem Senat zutreffend vorgetragen hat – nicht darauf stützen, die Nebenklägerin sei entgegen § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht am Selbstleseverfahren beteiligt oder ihr keine Gelegenheit zur Kenntnisnahme der ins Selbstleseverfahren gegebenen Unterlagen gegeben worden.

Wie ausgeführt ist die Nebenklage deswegen am Selbstleseverfahren „Beteiligte“ im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO, damit sie ihre Rechte wahrnehmen kann. Bleibt dies der Nebenklage verwehrt, ist der Rechtskreis des Angeklagten und seiner Verteidigung insoweit in keiner Weise berührt (zur „Rechtskreistheorie“ schon BGH, Beschluss vom 21. Januar 1958 – GSSt 4/57, BGHSt 11, 213, 214 ff.; Urteil vom 20. Januar 2004 – 1 StR 319/03, juris Rn. 28 mwN). Es obliegt vielmehr allein der Nebenklage, eine Verletzung ihrer Rechte bei der Durchführung des Selbstleseverfahrens geltend zu machen. Ihre Stellung als Verfahrensbeteiligte im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO gestattet es ihr nicht nur, selbst formlos darauf hinzuweisen, wenn der Durchführung des Selbstleseverfahrens Schwierigkeiten entgegenstehen (vgl. Löwe/Rosenberg/Mosbacher, StPO, 27. Aufl., § 249 Rn. 73), sie kann – und muss, will sie sich die Geltendmachung in einem unter den Voraussetzungen des § 400 Abs. 1 StPO zulässigen Revisionsverfahren erhalten – bei Beeinträchtigung ihres Beteiligungs- und Informationsrechts das Gericht nach § 238 Abs. 2 StPO anrufen (vgl. Löwe/Rosenberg/Mosbacher, StPO, 27. Aufl., § 249 Rn. 73).

Damit ist der Revision des Angeklagten auch der Einwand verwehrt, die hier getroffene Feststellung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO sei deswegen defizitär, weil durch sie belegt sei (vgl. BGH, Beschluss vom 30. September 2009 – 2 StR 280/09, juris Rn. 6 mwN), dass der Nebenklage keine Gelegenheit zur Kenntnisnahme im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO gegeben worden war.

c) Soweit die Rüge der Verletzung des § 261 StPO darauf gestützt wird, die Feststellung des Vorsitzenden nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO genüge in formeller Hinsicht nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie die Nebenklage nicht umfasse, dringt sie in der Sache nicht durch.

Die Nebenklage war nach dem Revisionsvorbringen an dem hier in Rede stehenden Selbstleseverfahren nicht beteiligt (nachfolgend aa). Ein Selbstleseverfahren kann aber unbeschadet der Rechte der Nebenklage aus § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO auch ohne deren Beteiligung durchgeführt werden (nachfolgend bb). Folglich fordert § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO in einem solchen Fall nicht, Feststellungen zu deren Gelegenheit zur Kenntnisnahme zu treffen, um das Selbstleseverfahren ordnungsgemäß abzuschließen und die davon umfassten Urkunden und Schriftstücke zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen (nachfolgend cc).

aa) Nach dem von der Revision vorgetragenen Verfahrensgang war offenkundig, dass die Nebenklage am Selbstleseverfahren nicht beteiligt war. Dass sie sich dem Verfahren gemäß § 396 Abs. 1 StPO angeschlossen und aufgrund dessen oder aufgrund der ihr gewährten Akteneinsicht die (abstrakte) Möglichkeit hatte, sich Kenntnis vom Wortlaut der von der Selbstleseanordnung umfassten Urkunden zu verschaffen, stellt – wie oben bereits ausgeführt – schon keine Gelegenheit zur Kenntnisnahme im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO dar. Eine Beteiligung der Nebenklage am Selbstleseverfahren war dadurch nicht bewirkt und ist auch im Weiteren nicht erfolgt.

Die Nebenklägerin selbst war in der Hauptverhandlung – abgesehen von ihrer Zeugeneinvernahme – nicht anwesend und somit an einer Teilnahme am Selbstleseverfahren ersichtlich nicht interessiert. Ihre anwaltliche Vertreterin war zwar anwesend, nach dem durch das Hauptverhandlungsprotokoll bestätigten Revisionsvortrag gab der Vorsitzende indes zur Durchführung des zuvor angeordneten Selbstleseverfahrens Kopien der betroffenen Urkunden und Schriftstücke – aus welchen Gründen auch immer – lediglich an die Schöffen, den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, den Angeklagten und seinen Verteidiger, also gerade nicht an die zu diesem Zeitpunkt anwesende Vertreterin der Nebenklägerin. Damit ist, wie die Revision selbst vorgetragen hat, offengelegt, dass der Vorsitzende die Nebenklage nicht als „übrige Verfahrensbeteiligte“ am Selbstleseverfahren beteiligt hat. Widerspruch hat die Vertreterin der Nebenklägerin nicht erhoben.

bb) Es steht der Einführung einer Urkunde im Wege des Selbstleseverfahrens nicht grundsätzlich entgegen, dass die Nebenklage am Selbstleseverfahren nicht beteiligt wird. Dass sie „übrige Beteiligte“ im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO ist und in der Hauptverhandlung ganz oder teilweise anwesend war, bedeutet nicht, dass ein Selbstleseverfahren ohne ihre Beteiligung nicht durchgeführt werden könnte.

(1) Die Nebenklage rechnet schon nicht zu den Verfahrensbeteiligten, denen ein Widerspruchsrecht gegen die Selbstleseanordnung nach § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO zuerkannt ist. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO wie auch aus § 397 Abs. 1 StPO (vgl. MüKo-StPO/Kreicker, 2. Aufl., § 249 Rn. 55; KK-StPO/Diemer, 9. Aufl., § 249 Rn. 35; HK-StPO/Julius/Engelstätter, 7. Aufl., § 249 Rn. 31; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, 66. Aufl., § 249 Rn. 21). Hieraus folgt bereits, dass ihr fehlendes Einverständnis der Durchführung eines Selbstleseverfahrens nicht entgegenstehen kann, damit – erst recht – nicht ihre Abwesenheit oder ihr fehlendes Interesse an der Beweiserhebung im Wege des Selbstleseverfahrens. Selbst wenn die Nebenklage in der Hauptverhandlung anwesend ist, sich gegen das Selbstleseverfahren ausspricht oder sich hieran nicht beteiligen will, steht dies der Beweiserhebung in dieser Form grundsätzlich nicht entgegen.

(2) Dem entspricht auch die Gesetzeshistorie. In seiner ersten Fassung nach Einführung durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 vom 5. Oktober 1978 (BGBl. I, S. 1645 ff.) sah § 249 Abs. 2 StPO als notwendige Voraussetzung für ein Absehen von der Verlesung von Urkunden oder anderen als Beweismittel dienenden Schriftstücken an, dass „die Staatsanwaltschaft, der Verteidiger und der Angeklagte hierauf verzichten“. Unabhängig von der Frage, ob – diesem Wortlaut widersprechend – gegebenenfalls auch ein Verzicht der Nebenklage erforderlich sein könnte (verneinend KK-StPO/Mayr, 1. Aufl. (1982), § 249 Rn. 37 mwN; bejahend Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, StPO, 24. Aufl. (1986), § 249 Rn. 55), bestand Einigkeit, dass § 249 Abs. 2 StPO jedenfalls keine Verzichtserklärung von solchen Verfahrensbeteiligten forderte, die – befugt oder unbefugt – der Hauptverhandlung fernblieben (vgl. Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, StPO, 24. Aufl. (1986), § 249 Rn. 56 mwN). Ziel der Einführung des Selbstleseverfahrens war es, umfangreiche Verfahren zu straffen, zu vereinfachen und zu beschleunigen (BT-Drucks. 8/976, S. 1; vgl. auch BT-Drucks. 12/6853, S. 1). Dementsprechend sollten Verfahrensbeteiligte, die unbefugt oder – wie insbesondere die Nebenklage – befugt einer Hauptverhandlung fernblieben, nicht die Macht haben, darüber zu bestimmen, in welcher Art und Weise ein Beweis in der Hauptverhandlung erhoben wird, zumal Umfang und Qualität der Beweiserhebung unverändert blieben (vgl. Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, StPO, 24. Aufl. (1986), § 249 Rn. 56). Durch die Änderung des § 249 Abs. 2 StPO durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1987 vom 21. Januar 1987 (BGBl. I, S. 475) – nunmehr Widerspruchsmöglichkeit statt notwendige Verzichtserklärung – sollte die Durchführung des Selbstleseverfahrens nicht erschwert oder eingeschränkt, sondern die Akzeptanz des Selbstleseverfahrens in der Praxis gefördert und das Absehen vom Verlesen weiter erleichtert werden (vgl. KK-StPO/Diemer, 9. Aufl., § 249 Rn. 31 mwN).

(3) Vor allem aber ist für die Nebenklage die Teilnahme am Selbstleseverfahren disponibel. Sie ist zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung berechtigt, trotz Zulassung (§ 396 Abs. 2 StPO) hierzu aber nicht verpflichtet. Es steht ihr grundsätzlich frei zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie sich an einzelnen Verfahrensschritten in einer Hauptverhandlung beteiligt, ohne dass dadurch die Beweisgewinnung beeinflusst wird.

(a) Die Nebenklage kann nicht nur darauf verzichten, dass ihr Gelegenheit zur Kenntnisnahme vom Wortlaut der Urkunden gegeben wird (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 – 1 StR 422/10, NStZ 2011, 300; vom 10. Januar 2012 – 1 StR 587/11, NStZ 2012, 346, 347; Löwe/Rosenberg/Mosbacher, StPO, 27. Aufl., § 249 Rn. 82; KK-StPO/Diemer, 9. Aufl., § 249 Rn. 37; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 249 Rn. 23; Schneider, NStZ 2022, 338, 340). Sie kann auch insgesamt und ohne ausdrückliche Erklärung von einer Teilnahme am Selbstleseverfahren absehen. So wie sie der Hauptverhandlung insgesamt fernbleiben kann oder an einer (angekündigten) Verlesung einer Urkunde in der Hauptverhandlung nicht teilnehmen muss, kann sie sich auch dafür entscheiden, dass das Selbstleseverfahren ohne ihre Beteiligung durchgeführt wird, ohne dass dadurch die Beweisgewinnung in der Hauptverhandlung in Frage stünde. In gleicher Weise steht es ihr frei, eine erkennbar unterlassene oder unterbliebene Beteiligung zu beanstanden oder auf die Geltendmachung ihrer Rechte aus § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO zu verzichten. Gesonderter Protokollierung bedarf dies nicht (vgl. auch zum Verzicht auf die Kenntnisnahmegelegenheit BGH, Beschluss vom 10. Januar 2012 – 1 StR 587/11, NStZ 2012, 346, 347; Löwe/Rosenberg/Mosbacher, StPO, 27. Aufl., § 249 Rn. 82; aA MüKoStPO/Kreicker, 2. Aufl., § 249 Rn. 60).

(b) Auch die Regelung des § 398 StPO bestätigt die Rolle der Nebenklage als einer wegen ihrer Schutzbedürftigkeit zwar möglichen, für das Verfahren aber nicht notwendigen Verfahrensbeteiligten (MüKo-StPO/Valerius, § 398 Rn. 1). Die Nebenklage nimmt – wie der Privatkläger, vgl. § 397 StPO – nur ihr persönliches Interesse wahr; soweit sie es unterlässt, ihre Rechte auf Teilnahme am Verfahren auszuüben, nimmt dieses ohne Rücksicht auf sie seinen Fortgang, § 398 Abs. 1 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1979 – 5 StR 748/78, BGHSt 28, 272, 273). Vorbehaltlich der Befugnis zur Einlegung von Rechtsmitteln muss die Nebenklage bei Unterlassen der ihr zustehenden Beteiligung am Hauptverfahren dessen Ergebnisse so hinnehmen, wie sie sich ohne ihre Beteiligung gestaltet haben (vgl. RGSt 61, 385, 386). Nach § 398 Abs. 2 StPO kann die Hauptverhandlung auch dann durchgeführt werden, wenn die Nebenklage nicht mehr (rechtzeitig) geladen werden konnte. Sie kann ebenso durchgeführt werden, wenn die Nebenklage zwar noch geladen werden konnte, der Nebenkläger oder sein Verfahrensbevollmächtigter aber an der Teilnahme verhindert ist, gleich ob aus triftigem oder anderem Grund (vgl. Löwe/Rosenberg/Wenske, StPO, 27. Aufl., § 398 Rn. 3; MüKo-StPO/Valerius, § 398 Rn. 5 f.; KK-StPO/Allgayer, 9. Aufl., § 398 Rn. 3 je mwN). Diese Regelungen gelten für die gesamte Hauptverhandlung und belegen also auch für die Durchführung eines Selbstleseverfahrens, dass dieses grundsätzlich auch ohne Beteiligung des Nebenklägers durchgeführt werden kann.

(c) Wollte man die Durchführung des Selbstleseverfahrens von der Beteiligung der Nebenklage abhängig machen, setzte man sich überdies in Widerspruch dazu, dass die Abwesenheit der Nebenklage – auch die ungewollte Abwesenheit wegen Verhinderung (s.o.) – bei Verlesung der Urkunden und Schriftstücke (§ 249 Abs. 1 StPO) in der Hauptverhandlung unschädlich wäre. Der Gesetzgeber hat das Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 StPO aber nicht als Ausnahme vom Grundsatz des Verlesens nach § 249 Abs. 1 StPO konzipiert, sondern als sachlich gleichwertige Alternative (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2020 – 5 StR 197/20, BGHSt 65, 155 gegen frühere anderslautende Rspr.; Mosbacher, NStZ 2013, 199, 202; Feldmann, wistra 2020, 1, 2 f.; zur Gesetzgebungsgeschichte auch Schlund, Das Selbstleseverfahren – Grund und Grenzen, 2018, S. 22 ff.). Die Einführung einer Urkunde in die Hauptverhandlung nach § 249 Abs. 2 StPO bedeutet gegenüber der Verlesung nach § 249 Abs. 1 StPO keinen Verzicht auf ein Beweismittel oder auf eine nach der Vorstellung des Gesetzes höherwertige Art der Beweisaufnahme, sondern lediglich die Wahl zwischen zwei für die Prozessbeteiligten gleichwertigen Arten der Einführung eines Beweismittels in die Hauptverhandlung; ebenso wenig kann § 249 Abs. 2 StPO sachlich als eine Ausnahmeregelung vom Grundsatz des § 249 Abs. 1 StPO verstanden werden (BT-Drucks. 10/1313, S. 28). Auch das Mündlichkeits- oder das Öffentlichkeitsprinzip, dessen Einschränkung der Gesetzgeber mit der Einführung des § 249 Abs. 2 StPO überdies bewusst in Kauf genommen hat (BT-Drucks. 10/1313, S. 28), gebietet nicht, die Durchführung eines Selbstleseverfahrens von der Beteiligung der Nebenklage abhängig zu machen.

cc) Kann das Selbstleseverfahren auch ohne Beteiligung der Nebenklage durchgeführt werden, kann folglich in einem solchen Fall auch § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO für den ordnungsgemäßen Abschluss des Selbstleseverfahrens nicht gebieten, Feststellungen zu deren Gelegenheit zur Kenntnisnahme zu treffen. Denn andernfalls könnte eine dem Verfahrensgang entsprechende Feststellung den Abschluss des Selbstleseverfahrens niemals bewirken. Zwar muss die Feststellung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO grundsätzlich auch die Nebenklage bzw. deren Gelegenheit zur Kenntnisnahme umfassen, wenn sie – anders als hier – am Selbstleseverfahren beteiligt war. Dass der Vorsitzende indes dem tatsächlichen Verfahrensgeschehen zuwider ausnahmslos feststellen müsste, dass alle „übrigen“ am Hauptverfahren Beteiligten Gelegenheit gehabt hatten, vom Wortlaut der ins Selbstleseverfahren gegebenen Urkunden Kenntnis zu nehmen, lässt sich weder aus dem Wortlaut des § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO noch dessen Sinn und Zweck ableiten.

(1) Nach dem Wortlaut des § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO ist „die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu“ festzustellen.

(a) Gefordert ist demnach, die tatsächlich gewährte – entgegen dem Revisionsvorbringen nicht eine lediglich abstrakt mögliche – „Gelegenheit“ im vorbeschriebenen Sinn des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO festzustellen. Zwar wäre durch die Feststellung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht bewiesen, dass die davon umfassten Beteiligten tatsächlich Gelegenheit zur Kenntnisnahme im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO hatten (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 – 3 StR 76/10, NJW 2010, 3382, 3383; zur negativen Beweiskraft auch BGH, Beschluss vom 30. September 2009 – 2 StR 280/09, juris Rn. 6 mwN). Auch könnte der Angeklagte eine die Nebenklage umfassende Feststellung nicht mit dem Einwand beanstanden, der Nebenklage sei in Wahrheit (wenngleich entgegen § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO) keine Gelegenheit zur Kenntnisnahme gewährt worden (s.o.). Der Wortlaut des § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO („die Gelegenheit“) fordert aber vom Vorsitzenden nicht, Feststellungen zu treffen, die dem tatsächlichen Verfahrensgang widersprechen. Anderes wäre unvereinbar damit, dass das Protokoll eine zuverlässige Grundlage für die Feststellung schaffen soll, ob der Ablauf der Hauptverhandlung den gesetzlichen Vorschriften entsprochen hat und die wesentlichen Förmlichkeiten beachtet wurden (§ 273 Abs. 1 StPO; KK-StPO/Greger, 9. Aufl., § 271 Rn. 1).

(b) Ebenso wenig ist nach dem Wortlaut des § 249 Abs. 2 StPO gefordert, dass die zu treffende Feststellung ausnahmslos die Formulierung „übrige Beteiligte“ enthält. Die zu treffende Feststellung entspricht auch dann den gesetzlichen Erfordernissen, wenn sie die Verfahrensbeteiligten, die nach § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO Gelegenheit zur Kenntnisnahme vom Wortlaut der Urkunden hatten, enumerativ benennt.

(aa) Dies erhellt sich schon daraus, dass selbst die in § 249 Abs. 2 StPO explizit genannten Verfahrensbeteiligten nicht stets am Hauptverfahren beteiligt sind, ohne dass hierdurch die Möglichkeit zur Durchführung eines Selbstleseverfahrens in Frage stünde. Sind an einer Hauptverhandlung – etwa in einem erstinstanzlichen Verfahren vor dem Oberlandesgericht oder vor dem Strafrichter – keine Schöffen beteiligt, kann vom Vorsitzenden nicht verlangt werden, entsprechend der Formulierung des § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO zu protokollieren, dass (auch) die Schöffen vom Wortlaut der Urkunden Kenntnis genommen haben. Ebenso sinnwidrig wäre es zu fordern, in einem Verfahren, in dem eine Verteidigung nicht notwendig und ein Verteidiger auch nicht erschienen ist, festzustellen, dass die Verteidigung Gelegenheit zur Kenntnisnahme vom Wortlaut der Urkunden hatte. Nicht anders verhält es sich aber, wenn potentiell nach § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO zu Beteiligende wie die Nebenklage – etwa, weil sie nicht erschienen ist oder weil sie hierauf verzichtet hat – am Selbstleseverfahren tatsächlich nicht beteiligt waren.

(bb) Eine enumerative Aufzählung der Verfahrensbeteiligten erscheint in Abhängigkeit vom jeweiligen Verfahrensgang mitunter auch sinnvoll. Zwar wäre eine – insoweit nicht eindeutige – Feststellung betreffend die Gelegenheit zur Kenntnisnahme hinsichtlich der „übrigen Beteiligten“ einer Auslegung dahingehend zugänglich, dass sie sich (nur) auf die am Selbstleseverfahren Beteiligten bezieht, insbesondere dann, wenn einzelne Verfahrensbeteiligte bei der Durchführung des Selbstleseverfahrens – wie hier die Nebenklägerin – nicht anwesend oder – wie die Nebenklagevertreterin – offenkundig nicht beteiligt waren. Der Klarheit und Nachvollziehbarkeit des protokollierten Geschehens in der Hauptverhandlung förderlich ist es aber, wenn der Vorsitzende Entsprechendes bereits durch seine Feststellung zum Ausdruck bringt, indem er die am Selbstleseverfahren Beteiligten, denen gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO Gelegenheit zur Kenntnisnahme gewährt worden war, konkret bezeichnet.

(2) Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO.

(a) Der Protokollvermerk dient der Kenntlichmachung und dem Hinweis an die Verfahrensbeteiligten, dass der in der Selbstleseanordnung aufgeführte Beweisstoff Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO geworden ist und der Überzeugungsbildung des Gerichts zu Grunde gelegt werden kann. Dieser Kenntlichmachung und des Hinweises an die Verfahrensbeteiligten bedarf es, weil der Urkundsbeweis beim Selbstleseverfahren außerhalb der Hauptverhandlung erhoben wird und bei Anordnung des Selbstleseverfahrens der Zeitpunkt regelhaft noch ungewiss ist, zu welchem die Berufsrichter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunden Kenntnis genommen haben und für die übrigen Beteiligten Gelegenheit hierzu bestand (zum Ganzen vgl. BGH, Urteil vom 9. März 2017 – 3 StR 424/16, NStZ 2017, 722, 723; Beschlüsse vom 20. Juli 2010 – 3 StR 76/10, NJW 2010, 3382, 3383; vom 10. Mai 2022 – 2 StR 501/21, NStZ 2023, 118, 119). Die von § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO geforderte „Signalwirkung“ wird auch dann erreicht, wenn hinsichtlich derjenigen Verfahrensbeteiligten, ohne deren Beteiligung ein Selbstleseverfahren durchgeführt werden kann und die tatsächlich nicht beteiligt waren, eine Gelegenheit zur Kenntnisnahme nicht festgestellt ist. War die Nebenklage am Selbstleseverfahren nicht beteiligt, weil sie hierauf verzichtet oder – wie hier – ihre offenkundig unterbliebene Beteiligung nicht beanstandet hat, können Zweifel darüber, dass das Selbstleseverfahren abgeschlossen ist, jedenfalls dann nicht aufkommen, wenn hinsichtlich aller am Selbstleseverfahren Beteiligten eine Gelegenheit zur Kenntnisnahme festgestellt ist.

(b) Ausgehend hiervon war die von der Revision beanstandete Feststellung des Vorsitzenden, wonach der Angeklagte, sein Verteidiger sowie der Vertreter der Staatsanwaltschaft Gelegenheit hatten, vom Wortlaut der in der Selbstleseanordnung vom 21. April 2023 aufgeführten Urkunden und Schriftstücke Kenntnis zu nehmen, geeignet, den Abschluss des Selbstleseverfahrens zu bewirken. Durch den dem zulässigen Verfahrensgang entsprechenden Protokollvermerk wird klargestellt, dass der in der Selbstleseanordnung aufgeführte Beweisstoff nunmehr Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO geworden ist. Berechtigte Zweifel hierüber konnten bei dem – überdies in der Hauptverhandlung stets anwesenden – Angeklagten und seinem Verteidiger nicht aufkommen.

II.

Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens im Schriftsatz vom 1. Dezember 2023 keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Der Nebenkläger ist, auch wenn er als Zeuge vernommen werden soll, zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung berechtigt. Er ist zur Hauptverhandlung zu laden; § 145a Absatz 2 Satz 1 und § 217 Absatz 1 und 3 gelten entsprechend. Die Befugnis zur Ablehnung eines Richters (§§ 24, 31) oder Sachverständigen (§ 74), das Fragerecht (§ 240 Absatz 2), das Recht zur Beanstandung von Anordnungen des Vorsitzenden (§ 238 Absatz 2) und von Fragen (§ 242), das Beweisantragsrecht (§ 244 Absatz 3 bis 6) sowie das Recht zur Abgabe von Erklärungen (§§ 257, 258) stehen auch dem Nebenkläger zu. Dieser ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, im selben Umfang zuzuziehen und zu hören wie die Staatsanwaltschaft. Entscheidungen, die der Staatsanwaltschaft bekannt gemacht werden, sind auch dem Nebenkläger bekannt zu geben; § 145a Absatz 1 und 3 gilt entsprechend.

(2) Der Nebenkläger kann sich des Beistands eines Rechtsanwalts bedienen oder sich durch einen solchen vertreten lassen. Der Rechtsanwalt ist zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung berechtigt. Er ist vom Termin der Hauptverhandlung zu benachrichtigen, wenn seine Wahl dem Gericht angezeigt oder er als Beistand bestellt wurde.

(3) Ist der Nebenkläger der deutschen Sprache nicht mächtig, erhält er auf Antrag nach Maßgabe des § 187 Absatz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes eine Übersetzung schriftlicher Unterlagen, soweit dies zur Ausübung seiner strafprozessualen Rechte erforderlich ist.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 422/10
vom
14. Dezember 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Dezember 2010 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Wuppertal vom 22. März 2010 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte war faktischer Geschäftsführer einer nominell von seiner früheren Ehefrau geführten Firma, die im Zusammenhang mit dem Handel mit gebrauchten Baumaschinen und Lastkraftwagen in ein näher beschriebenes, über Jahre bundesweit praktiziertes Steuerhinterziehungssystem einbezogen war. Insgesamt wurde allein Umsatzsteuer - ebenfalls hinterzogene Einkommenund Gewerbesteuer sind nicht mehr Verfahrensgegenstand - in Höhe von mehr als 1,5 Millionen € sowohl durch die Verschleierung von Umsätzen als auch durch unberechtigten Vorsteuerabzug auf der Grundlage fingierter Rechnungen hinterzogen.
2
Auf dieser Grundlage wurde der Angeklagte wegen Steuerhinterziehung in 18 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision erhebt eine Verfahrensrüge in Zusammenhang mit einem Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO) und die näher ausgeführte Sachrüge. Sie bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
1. Zur Verfahrensrüge:
4
Auf Anordnung des Vorsitzenden wurde ein Selbstleseverfahren durchgeführt , das sich auf eine zwei Seiten umfassende Tabelle bezog, die von der Überschrift: „Vorsteuerbeträge aus Rechnungseingängen der Firmen G. GmbH + T. GmbH / 2000 bis 2004“ abgesehen, weitgehend aus Zahlen besteht.
5
Hieran knüpft die Revision an:
6
Der aus Syrien stammende Angeklagte verfügt ausweislich der Urteilsgründe „über keine Schulbildung, kann nicht Lesen und Schreiben“. Ergänzend heißt es an anderer Stelle der Urteilsgründe, nach Angaben der früheren Ehefrau könne er „nur ein paar Worte und im übrigen nur Zahlen lesen“. Ergänzend trägt die Revision näher vor, dass und warum die (mit dem die Revision begründenden Verteidiger nicht identische) Verteidigerin im damaligen Hauptverhandlungstermin der Auffassung war, nähere Erläuterungen gegenüber dem Angeklagten zu diesem Selbstleseverfahren seien nicht erforderlich. Insgesamt, so die Revision , komme „ein Selbstleseverfahren mit einem leseunkundigen Angeklagten … nicht in Betracht“. Nachdem der Generalbundesanwalt die Zulässigkeit der Rüge bezweifelt hat, weil ein Widerspruch gegen die Anordnung des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht erhoben worden sei, hat die Revision erwidert (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO), nicht die Anordnung des Selbstleseverfahrens sei fehlerhaft gewesen, sondern dessen Durchführung.
7
a) Der Vorsitzende bestimmt nach pflichtgemäßem Ermessen, ob ein Selbstleseverfahren durchzuführen ist (Mosbacher in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 64). Dabei sind auch - hier, wie die Revision zutreffend vorträgt , schon im Ermittlungsverfahren aktenkundig gewordene - Anhaltspunkte für Analphabetismus in die Erwägungen einzubeziehen (vgl. Mosbacher aaO Rn. 85). Einen Rechtssatz, dass in derartigen - nach forensischer Erfahrung nicht häufigen - Fällen ein Selbstleseverfahren keinesfalls zulässig sei, gibt es nicht. Wird ein solches - hier zwei Aktenseiten betreffendes - Verfahren für zweckmäßig gehalten, so ist die Situation damit vergleichbar, dass der Angeklagte Urkunden zwar lesen, aber mangels Sprachkenntnissen nicht verstehen kann. Auch dann ist ein Selbstleseverfahren möglich, jedoch muss das Gericht ermöglichen, dass ihm der Inhalt der Urkunde zur Kenntnis gebracht wird (vgl. Mosbacher aaO Rn. 80). Jedoch kann, von den hier nicht in Rede stehenden Richtern abgesehen , jeder Verfahrensbeteiligte, also auch der Angeklagte, auch darauf verzichten , vom Inhalt der Urkunden Kenntnis zu nehmen (vgl. Mosbacher aaO Rn. 82). Verzichtet er nicht, kann der Inhalt gegebenenfalls durch einen hierzu bereiten Verteidiger zur Kenntnis gebracht werden, sonst auf andere Weise. Es ist dem Strafprozessrecht auch sonst nicht fremd, dass erforderlichenfalls Urkunden vorgelesen werden (vgl. § 35 Abs. 3 StPO; zur Notwendigkeit des Vorlesens auch unter anderen als den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen vgl. Graalmann-Scheerer aaO § 35 Rn. 27).
8
b) Weder auf (etwaige) Fehler bei der Anordnung, noch bei der Durchführung des Selbstleseverfahrens kann mit Erfolg eine Verfahrensrüge gestützt werden , wenn zuvor kein Gerichtsbeschluss herbeigeführt wurde. Hinsichtlich der Anordnung ist eine Entscheidung des gesamten Spruchkörpers gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO herbeizuführen, bei der das Ermessen des Spruchkörpers an die Stelle des Ermessens des Vorsitzenden tritt (Mosbacher aaO Rn. 76). Geht es nicht um die Anordnung, sondern die ebenfalls zunächst vom Vorsitzenden zu bestimmende Art der Durchführung des Selbstleseverfahrens (Mosbacher aaO Rn. 81), ist eine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeizuführen, wobei dann nur die Rechtmäßigkeit, nicht aber die Zweckmäßigkeit der beanstandeten Maßnahme zu überprüfen ist (Mosbacher aaO Rn. 103). Hier ist weder das eine noch das andere geschehen. Daher ist für eine Verfahrensrüge im Zusammen- hang mit dem Selbstleseverfahren kein Raum (Mosbacher aaO Rn. 110; Kindhäuser NStZ 1987, 529, 531< § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO>; Mosbacher aaO Rn. 114 <§ 238 Abs. 2 StPO>). Soweit keine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde, ist ergänzend auf folgendes hinzuweisen: Der Bundesgerichtshof hat offen gelassen, ob eine Rüge auch dann daran scheitert, dass keine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde, wenn die behauptete Rechtsverletzung durch den Vorsitzenden nicht mehr mit der Einhaltung „der unumstößlichen, eindeutigen Grenzen zulässiger Verfahrensgestaltung“ vereinbar wäre (BGH, Urteil vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, JR 2007, 381, 384). Der Senat braucht dieser Frage hier ebenfalls nicht näher nachzugehen, da es hier um die Wahrung eines Rechts geht, auf das der Angeklagte, wie dargelegt, nach seinem Belieben verzichten kann, ohne dass mit einem solchen Verzicht Prozessrecht verletzt wäre. Wird die Verletzung eines derartigen Rechts gerügt, bleibt es bei dem Grundsatz, dass eine solche Rüge nur Erfolg haben kann, wenn eine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde.
9
2. Mit der Sachrüge macht die Revision geltend, es bleibe unklar, auf welcher Feststellungsgrundlage die mitgeteilten Umsatzsteuerverkürzungen der Höhe nach berechnet seien. Insoweit ist der Revision zuzugestehen, dass die Urteilsgründe nicht ausdrücklich ergeben, wie hoch die Umsätze waren, die den vom Angeklagten begangenen Umsatzsteuerhinterziehungen zu Grunde lagen. Dies gefährdet hier allerdings den Bestand des Urteils nicht.
10
Es ist zu differenzieren:
11
a) Soweit unberechtigter Vorsteuerabzug (§ 15 UStG) auf der Grundlage von Scheinrechnungen erfolgte, reichte es für die Sachdarstellung in den Urteilsgründen aus, dass dessen Höhe beziffert wird (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 420/10). Aus dem Umstand, dass vorliegend den Scheinrechnungen keine tatsächlich erbrachten Leistungen zu Grunde lagen, folgt, dass der gesamte aus diesen Scheinrechnungen geltende gemachte Vorsteuerabzug zu Unrecht erfolgte. Besonderheiten des Einzelfalls, die vorliegend weitere Darlegungen erforderlich gemacht hätten, sind nicht ersichtlich.
12
b) Soweit Umsatzsteuer dadurch verkürzt wurde, dass in den Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen des Unternehmens steuerbare Umsätze verschwiegen wurden, wären demgegenüber - nicht mit erkennbarem Mehraufwand verbundene - Feststellungen zur Höhe der verschwiegenen Umsätze sachgerecht gewesen, um den Senat auch ohne aufwändige eigene Bemühungen die von ihm auf ihre rechtliche Tragfähigkeit zu überprüfenden tatsächlichen Grundlagen des Urteils erkennen zu lassen. Unter den gegebenen Umständen gefährdet dieser Mangel hier den Bestand des Urteils jedoch nicht:
13
Die Überzeugung von der Richtigkeit der im Urteil festgestellten Besteuerungsgrundlagen kann das Tatgericht auch anhand eines Geständnisses des Angeklagten, das das Tatgericht überprüft hat, oder anhand von verlässlichen Wahrnehmungen von Beamten der Finanzverwaltung, die diese in der Hauptverhandlung als Zeuge berichten, gewinnen. Angaben von Beamten der Finanzverwaltung zu tatsächlichen Gegebenheiten können - wie bei sonstigen Zeugen auch - taugliche Grundlage der Überzeugung des Tatgerichts sein (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, NJW 2009, 2546 Rn. 18 f.).
14
Erweist sich - wie hier - die Berechnung der verkürzten Steuern auf Grundlage der so getroffenen Feststellungen als einfacher Rechenschritt (die festgestellte Hinterziehungssumme stellt nach dem zur Tatzeit geltenden Umsatzsteuersatz 16 % des zu Grunde liegenden Umsatzes dar), kann die Feststellung allein der hinterzogenen Steuern ausreichend sein. Anhaltspunkte da- für, dass der Strafkammer bei der Berechnung der hinterzogenen Umsatzsteuer (vgl. UA S. 16) bei der gegebenen Sachlage Rechtsanwendungsfehler zum Nachteil des Angeklagten unterlaufen sind, bestehen nicht, zumal der verteidigte Angeklagte die Richtigkeit des Zahlenwerks auch selbst anerkannt hat.
15
3. Auch im Übrigen hat die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Nack Wahl Hebenstreit RiBGH Prof. Dr. Sander befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift verhindert. Jäger Nack

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 587/11
vom
10. Januar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2012 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Regensburg vom 4. August 2011 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde wegen schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung früher verhängter Strafen zu einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
2
1. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung verkündete der Vor- sitzende folgende, „Beschluss“ genannte Anordnung und Feststellungen: „Die im Sonderband TKÜ-Band enthaltenen Gesprächsprotokolle wer- den im Selbstleseverfahren eingeführt, das Gericht hatte Gelegenheit, hiervon Kenntnis zu nehmen, alle übrigen Verfahrensbeteiligten hatten ebenfalls Gelegenheit dazu“.
3
2. Hieran knüpft die Revision an. Sie hält § 261 StPO für verletzt. Die Protokolle seien im Urteil verwertet, obwohl die Mitglieder des Gerichts vom Wortlaut der Protokolle keine Kenntnis erlangt hätten. Dies ergebe sich daraus, dass entgegen § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht festgestellt sei, dass die Richter von den Protokollen Kenntnis genommen hätten.
4
3. Hier wurde ein Selbstleseverfahren angeordnet und wegen früheren Geschehens sogleich als durchgeführt erklärt. Der Senat hat zunächst geprüft, ob dies den Anforderungen an ein Selbstleseverfahren entsprechen kann. Für die Rüge einer Verletzung von Bestimmungen, die im Zusammenhang mit einem Selbstleseverfahren zu beachten sind, wäre in dieser Form schwerlich Raum, wenn von vorneherein kein ordnungsgemäßes Selbstleseverfahren vorläge.
5
Ein Selbstleseverfahren ist - auch - in der geschilderten Weise möglich. Ziel eines Selbstleseverfahrens ist es, den Inhalt von Urkunden auch ohne ihre Verlesung zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen. Hierfür ist bedeutungslos , ob die Erklärung der Richter, vom Wortlaut der Urkunden Kenntnis genommen zu haben, darauf beruht, dass sie die Urkunden vor oder nach der Anordnung des Selbstleseverfahrens gelesen haben. Es genügt daher, wenn die Urkunden schon zuvor, etwa bei der Prüfung der Eröffnungsentscheidung , gelesen wurden. Soweit Richter die Urkunden nicht ohnehin unabhängig vom Selbstleseverfahren gelesen haben, wie z.B. möglicherweise ein zweiter Beisitzer oder ein Ergänzungsrichter und regelmäßig Schöffen, genügt es dementsprechend , wenn dies, etwa im Vorgriff auf ein beabsichtigtes Selbstleseverfahren schon vor dessen Anordnung, parallel zur Hauptverhandlung oder auch schon vor der Hauptverhandlung geschieht (vgl. Ganter in Graf, StPO § 249 Rn. 24; Diemer in KK 6. Aufl., § 249 Rn. 36).
6
Die übrigen Verfahrensbeteiligten müssen sich nicht darauf verweisen lassen, dass sie schon zuvor Gelegenheit zum Lesen der Urkunden gehabt hätten (Mosbacher in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 79). Da sie aber auf die Kenntnisnahme vom Inhalt der Urkunden sogar ganz verzichten können (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 422/10, NStZ 2011, 300 mwN), genügt - auch von der Revision nicht in Frage gestellt - die in der Hauptverhandlung unwidersprochen gebliebene Feststellung des Vorsitzenden , die übrigen Verfahrensbeteiligten hätten bereits ausreichende Gelegenheit zur Kenntnisnahme gehabt.
7
4. Nach alledem liegt im Ansatz ein prozessordnungsgemäßes Selbstleseverfahren vor.
8
Urkunden und sonstige Schriftstücke sind aber nur dann im Blick auf ein Selbstleseverfahren ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt, wenn nach dessen Durchführung (als wesentliche Verfahrensförmlichkeit, §§ 273, 274 StPO) zu Protokoll festgestellt ist, dass die Mitglieder des Gerichts vom Wortlaut der Urkunden und/oder sonstigen Schriftstücke Kenntnis genommen haben und die übrigen Verfahrensbeteiligten hierzu Gelegenheit hatten (§ 249 Abs. 2 Sätze 1 und 3 StPO). Die hier allein getroffene - auf Grund ihrer Eindeutigkeit auch keiner zu einem anderen Ergebnis führenden Auslegung zugängliche - Feststellung, die Mitglieder des Gerichts hätten Gelegenheit zur Kenntnisnahme gehabt, wird den Anforderungen des Gesetzes nicht gerecht (vgl. nur BGH, Beschluss vom 15. März 2011 - 1 StR 33/11, NStZ-RR 2011, 253, 255 mwN).
9
5. Ein Urteil beruht (§ 337 Abs. 1 StPO) auf dem aufgezeigten Mangel, wenn nicht auszuschließen ist, dass wesentliche Urteilsfeststellungen durch die nicht in einem ordnungsgemäß durchgeführten Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführten Urkunden und/oder Schriftstücke beeinflusst worden sind. Allein der Umstand, dass das Selbstleseverfahren durchgeführt worden ist, belegt die Bedeutung der Urkunden und/oder Schriftstücke für die Urteilsfeststellungen nicht (vgl. schon Kempf, StV 1987, 215, 221, 222), selbst die bloße Erwähnung eines Beweismittels bei der gelegentlich anzutreffenden, rechtlich nicht gebotenen und daher überflüssigen floskelhaften Aufzählung der Beweismittel besagt nicht notwendig, dass sich aus ihm etwas Wesentliches für die Urteilsfindung ergeben haben muss (Engelhardt in KK StPO, 6. Aufl., § 267 Rn. 13 mwN). Maßgeblich sind letztlich die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die konkreten Ausführungen zur Beweiswürdigung (vgl. BGH aaO).
10
Hier hat die Strafkammer gesondert für die Feststellungen zum Vortat-, Tat- und Nachtatgeschehen die maßgeblichen Beweismittel aufgezählt, die zwar hinsichtlich der Zeugen nicht in vollem Umfang identisch sind, die „im Selbstleseverfahren eingeführten TKÜ-Protokolle“ aber jeweils nennen.
11
Der Generalbundesanwalt weist allerdings zutreffend darauf hin, dass einem wichtigen Zeugen die Protokollierung einiger zentraler Telefongespräche vorgehalten wurde. Jedoch kann eine darauf erfolgte Zeugenaussage nicht den Inhalt der Urkunde bestätigen, sondern nur das, was der Zeuge zu dem ihm vorgehaltenen Inhalt gesagt hat (vgl. Diemer in KK StPO, 6. Aufl., § 249 Rn. 42 mwN). Die Strafkammer stellt jedoch nicht nur auf diese Aussagen ab, sondern etwa auch darauf, dass die Aussage des Zeugen mit einem Gesprächsprotokoll „korrespondiert“.
12
Soweit schließlich festgestellt ist, dass nach der Aussage eines Polizei- beamten „der Geschädigte den Inhalt der Gespräche … geschildert hat, wie in den TKÜ-Protokollen dokumentiert“, lässt dies unterschiedliche Auslegungen zu. Könnte diese Feststellung nur dahin verstanden werden, dass der Polizeibeamte berichtet hat, die Aussage des Geschädigten hätte nach einer von ihm (dem Polizeibeamten) vorgenommenen Überprüfung mit dem Inhalt der TKÜ- Protokolle übereingestimmt, könnte möglicherweise insoweit ein Beruhen des Urteils auf dem unzureichenden Selbstleseverfahren ausgeschlossen werden. Die genannte Urteilspassage lässt aber ebenso die Auslegung zu, dass nicht der Polizeibeamte die Aussage des Geschädigten mit den Protokollen verglichen hat, sondern dass die Strafkammer den Vergleich der vom Polizeibeamten berichteten Aussagen des Geschädigten mit den Protokollen selbst vorgenommen hat.
13
6. Im Ergebnis kann nach alledem ein Beruhen des Urteils auf dem aufgezeigten Mangel nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden. Deshalb hat die Revision Erfolg, ohne dass es noch auf Weiteres ankäme.
Nack Wahl Graf Jäger Sander

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 319/03
vom
20. Januar 2004
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Januar
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwälte
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin B.,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers M.,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 18. Februar 2003 werden verworfen.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten der Revision der Staatsanwalt- schaft und die durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.
3. Der Angeklagte trägt die Kosten seiner Revision und die durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenkläger.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung und wegen fahrlässiger Körperverletzung in drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 270 Tagessätzen zu je 90 freigesprochen. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, die sie auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und auf die Sachbeschwerde gestützt hat, erstrebt die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten zu einer höheren Strafe und die Anordnung des Berufsverbots. Der Angeklagte erhebt Verfahrensrügen und die Sachrüge und wendet sich insbesondere
gegen die Verurteilung wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung. Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

A.


Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
1. Der Angeklagte wurde im Oktober 1997 im Alter von 37 Jahren ärztlicher Direktor der Abteilung Unfallchirurgie an der Chirurgischen Universitätsklinik in F.. Er wollte der Unfallchirurgie sein Gepräge geben und dafür sorgen , daß sie als qualitativ hochwertig und auch in wissenschaftlicher Hinsicht bekannt würde. Gegen den Angeklagten läuft derzeit ein Disziplinarverfahren; er ist vorläufig vom Dienst suspendiert.
2. Der Verurteilung liegen vier stationäre Behandlungen zugrunde, bei denen dem Angeklagten Behandlungs- und Aufklärungsfehler vorgeworfen werden.

a) Im Februar 1999 behandelte der Angeklagte auf seiner Station den damals 18 Jahre alten Patienten E., der eine zweimalige vordere Schulterluxation rechts erlitten hatte. Der Angeklagte erklärte dem Patienten und seinen Eltern die anstehende Operation und wies darauf hin, daß es möglicherweise notwendig werden könnte, einen Knochenspan aus dem hinteren Beckenkamm zu entnehmen, um damit die Pfanne zu modellieren, wenn sich intraoperativ herausstellen sollte, daß die Schulterluxationen an einem zu flachen Pfannenrand lägen. Bei der Operation stellte der Angeklagte fest, daß die Kapsel mitsamt des Limbus ventralseitig vom Pfannenrand abgerissen war, so daß zur Behebung der vorderen Schulterinstabilität erforderlich war, den abge-
rissenen Limbus wieder am Pfannenrand anzuschrauben. Hierzu mußte er Löcher in das Schulterblatt bohren. Bei dem Bohrvorgang brach ihm der Bohrer ab mit der Folge, daß ein ca. 2 cm langes Bohrerstück, die Bohrerspitze, im Acromion steckenblieb. Die Bohrerspitze beeinträchtigte das Gelenk nicht und war fast vollständig im Knochen versenkt. Der Angeklagte ärgerte sich über den Bohrerabbruch und versuchte, durch eine Stichinzision die abgebrochene Bohrerspitze zu bergen, was jedoch nicht gelang. Er beendete die durchgeführte Operation und beließ das abgebrochene Bohrerteil im Körper des Patienten. Er wies die mitoperierende Ärztin Dr. G. an, den Bohrerabbruch nicht im Operationsprotokoll zu erwähnen; diese hielt sich an die Weisung. Nach der Operation rief der Angeklagte den Vater des Patienten an und teilte ihm mit, die Operation sei gut gelungen und es sei nicht notwendig gewesen, die Pfanne mittels eines Knochenspanes zu modellieren. Die abgebrochene Bohrerspitze erwähnte er bewußt nicht. Am Abend des Operationstages überraschte der Angeklagte den Patienten mit der Mitteilung, es sei besser, noch einmal zu operieren. Er habe bei der Operation festgestellt, daß auch eine hintere Schulterinstabilität bestehe, der man durch eine dorsale Kapselraffung begegnen könne. Wenn er ein hundertprozentiges Ergebnis wolle, sei eine zweite Operation notwendig. Den Bohrerabbruch erwähnte der Angeklagte dem Patienten gegenüber bewußt nicht. Der Patient war enttäuscht darüber, daß noch eine zweite Operation notwendig sei und bat um Bedenkzeit und besprach die Angelegenheit noch am selben Abend mit seinen Eltern. Am Folgetag fand eine Besprechung zwischen dem Angeklagten, dem Patienten und seinen Eltern statt. Der Angeklagte wiederholte die Notwendigkeit einer zweiten Operation. Auch bei diesem Gespräch erfolgte bewußt kein Hinweis darauf, daß bei der ersten Operation ein Bohrer abgebrochen war. Der zweite Eingriff erfolgte vier Tage später. Der Angeklagte durchleuchtete die Schulter, um den abgebrochenen Bohrer zu orten. Danach schnitt er die Schulter von oben auf und barg die Bohrerspit-
ze. Dann raffte er die obere Schulterkapsel, indem er eine Falte in die Kapsel legte und vernähte diese. In dem Operationsprotokoll wurde die Bergung der Bohrerspitze nicht erwähnt. Die Bohrerspitze fand auch keine Erwähnung in den später vom Angeklagten verfaßten Operationsberichten. Der Patient und seine Eltern erfuhren von dem abgebrochenen Bohrer erst im Jahre 2000 von dritter Seite.
Nach den Feststellungen der sachverständig beratenen Kammer hat der zweite Eingriff in erster Linie der Bergung der Bohrerspitze gedient. Der Angeklagte wollte das abgebrochene Bohrerstück nicht im Körper des Patienten belassen. Er wollte nicht, daß der Patient von dem Abbruch des Bohrers erfährt, was zwangsläufig der Fall gewesen wäre, denn das Metallteil wäre auf jedem späteren Röntgenbild klar zu erkennen gewesen. Die vom Angeklagten durchgeführte obere Kapselraffung durch Anbringung von Raffnähten war im Vergleich zu einer lehrbuchmäßig durchgeführten dorsalen Kapselraffung wenig effektiv und diente in erster Linie der Rechtfertigung des durchgeführten Eingriffs gegenüber dem Patienten. Der Angeklagte spiegelte dem Patienten wahrheitswidrig vor, es bestünde eine Indikation für eine dorsale Kapselraffung, um so eine Operationseinwilligung zu bekommen, die er bei wahrheitsgemäßer Aufklärung über den tatsächlichen Grund einer zweiten Operation, nämlich die Bergung der Bohrerspitze, ausdrücklich nicht bekommen hätte. Den Bohrerabbruch und den wahren Grund für die zweite Operation verschwieg er dem Patienten bewußt, weil er die Komplikation nicht zugeben wollte.

b) Die Patientin B. hatte 1996 einen Autounfall und erlitt dabei eine Beckenfraktur, die zu einer beckenschiefstandbedingten Verkürzung des linken Beines um 5 cm führte. Die Behandlung führte noch der Vorgänger des Angeklagten durch. Während eines weiteren Aufenthaltes in der
Universitätsklinik F. im September 1998 suchte die Patientin den Angeklagten auf, um die Problematik des Beinlängenunterschiedes zu besprechen. Dieser machte ihr den Vorschlag, die Verlängerung des linken Beines bei einer Operation zur Metallentfernung unter Verwendung eines Fixateur Externe zu versuchen. Dazu sollte der Oberschenkelknochen, der bei der Patientin einen innenliegenden Marknagel hatte, mit einem Meißel durchtrennt und je zwei Metallpins ober- und unterhalb dieser künstlich geschaffenen Knochenbruchstelle im 90° Winkel in diesen eingebracht werden, wobei die Pins durch die Weichteile des Oberschenkels nach außen dringen. Außerhalb des Oberschenkels an der Außenseite sollten die Pins durch eine Führungsstange miteinander verbunden werden. Neben einer Führungsstange sollte eine Spindel montiert werden, mit deren Hilfe das untere Pinpaar vom oberen Pinpaar wegbewegt werden sollte. Bis der gewünschte Längenausgleich erreicht wurde, sollte der heilende Knochen seinem Pendant hinterher laufen. Der Angeklagte erklärte der Patientin die Operation und wies darauf hin, daß es keine Garantie für das Funktionieren des Systems gebe und daß die gesamte Prozedur mit einem gewissen Infektrisiko verbunden sei. Die vorgesehene Distraktion des Knochens funktionierte allerdings nicht so, wie es sich der Angeklagte vorgestellt hatte. Alle vier Pins mußten ausgetauscht und jeweils neu an anderer Stelle im Knochen verankert werden. An mindestens einem Pin entstand am Ein- bzw. Austrittsloch eine Infektion. Es wurde mit einer Antibiose begonnen. Wegen des Verdachts einer Harnweginfektion wurde bei der Patientin auch eine Urinprobe genommen, deren Ergebnis auf ein hohes Vorkommen von Keimen hinwies.
Als nach einem Austausch aller Pins feststand, daß das System des Fixateur Externe nicht funktionierte, entschloß sich der Angeklagte zu einer einseitigen Verlängerung des Knochens um 3 cm. Zur Komplettierung der einseitigen Verlängerung wäre es erforderlich gewesen, den entstandenen Knochen-
spalt mit aus dem Beckenkamm entnommenem Knochenmaterial (Spongiosa) aufzufüllen und im Knochen zu stabilisieren. Bei diesem am 20. Oktober 1998 durchgeführten Eingriff verschob der Angeklagte die Einbringung des Knochenmaterials , da ihm dies zu riskant erschien. Bei bestehendem Infekt hätte die Gefahr bestanden, daß das Knochenmaterial sich infiziert und sich die Infektion explosionsartig ausbreitet mit der möglichen Folge einer Entzündung des Knochens selbst. Bei einem weiteren Eingriff am 29. Oktober 1998 brachte der Angeklagte das Knochenmaterial ein, verplattete den Knochenspalt und entfernte den Fixateur Externe. Intraoperativ entnahm der Angeklagte zum ersten Mal seit September 1998 einen Abstrich aus einem der Pinlöcher. Das Abstrichmaterial gab er in den normalen Geschäftsgang mit der Folge, daß er erst Anfang November das Untersuchungsergebnis hatte und aus dem sich ersehen ließ, daß Keime "zahlreich" vorhanden waren. In der Folge entwickelte sich ein massiver Infekt, der dazu führte, daß sich ein Abszeß bildete, der Anfang November 1998 aufbrach und sich aus einem Pinloch ca. ein halber Liter Eiter entleerte. Die Patientin mußte sofort neu operiert werden. Das Knochenmaterial wurde entfernt, die Wunde gespült und ein Antibiotikum eingelegt. Ein gleichzeitig entnommener Abstrich ergab, daß sich die Zahl der Staphylococcus aureus -Keime auf "massenhaft" erhöht hatte. Die Patientin mußte noch zweimal operiert werden, das infektiöse Geschehen war jedoch nicht mehr in den Griff zu bekommen. Auch 1999 waren zahlreiche Operationen notwendig, und die Patientin mußte bis in das Jahr 2000 Antibiotika nehmen. Die Situation beruhigte sich bis Dezember 2002, bis auch im Beckenkamm Keime festgestellt wurden.
Das Landgericht hat es als Behandlungsfehler angesehen, daß der Angeklagte trotz der Hinweise auf eine Infektion ohne rechtzeitige und ihm mögliche Kontrollmaßnahmen das Knochenmaterial in das infektiöse Geschehen
hinein in den Oberschenkelknochen einbrachte. Ohne diese Maßnahmen wäre der weitere dramatische Infektverlauf mit hoher Wahrscheinlichkeit vermieden worden.

c) Die Patientin Bi. hatte 1997 einen Autounfall erlitten, bei dem sie sich eine Fehlstellung des Wadenbeins und komplizierte Verletzung des linken Sprunggelenkes zuzog. Wegen anhaltender starker Schmerzen war die Patientin auch ein Jahr später noch in Behandlung. Ihr behandelnder Arzt schlug vor, zunächst eine geplante Kur anzutreten und abzuwarten. Bei den Schmerzen könne es sich um Weichteilschmerzen handeln; auch müsse die Möglichkeit einer Psychosomatik in Betracht gezogen werden. Über die Möglichkeiten einer sich entwickelnden Arthrose und über eine mögliche Sprunggelenksversteifung wurde ebenfalls gesprochen. Die Patientin gab sich mit der Einschätzung ihres Arztes nicht zufrieden und wandte sich im September 1998 an den Angeklagten, um bei ihm eine zweite Meinung einzuholen. Obwohl die Herkunft der Schmerzen nicht eindeutig geklärt war und die Versteifung eines Gelenkes ein schwerwiegender Eingriff ist, der grundsätzlich nur bei schweren Arthrosen oder bei Infektionen indiziert ist, erklärte der Angeklagte der Patientin , es gebe in ihrem Fall nur eine einzige Lösung, nämlich die Versteifung des oberen Sprunggelenkes (Arthrodese). Hierdurch werde sie schmerzfrei werden und sie könne wieder Sport treiben wie früher. Wegen des Versprechens der Schmerzfreiheit entschloß sich die Patientin, der Versteifung des linken oberen Sprunggelenkes zuzustimmen. Nach der am 1. Oktober 1998 vom Angeklagten durchgeführten Operation wurde die Patientin jedoch nicht schmerzfrei. Das gesamte Befundbild verschlechterte sich kontinuierlich. Anfang Dezember 1998 entfernte der Angeklagte eine der Schrauben, mit der die Gelenkversteifung durchgeführt worden war, weil sie in das untere Sprunggelenk hineinragte und dort schmerzhafte Irritationen verursachte. Eine zweite Schraube wurde Ende
Januar 1999 entfernt. Im Mai 1999 erfolgte die Versteifung des unteren linken Sprunggelenkes, weil sich dort zwischenzeitlich eine durch die Versteifung des oberen Sprunggelenkes bedingte Anschlußarthrose gebildet hatte. Diese Operation führte nicht zum gewünschten Erfolg, als ein knöcherner Durchbau des Gelenkes ausblieb. Es kam in der Folge zu Schraubenlockerungen und zu einem Schraubenbruch. In einer weiteren Operation Anfang Februar 2000 mußte eine erneute Versteifung des unteren Sprunggelenkes durchgeführt werden.
Ein vorwerfbares Verhalten hat das Landgericht in folgendem gesehen: Der Angeklagte offenbarte der Patientin nicht, daß bei ihr angesichts der ungeklärten Herkunft der Schmerzen nur eine sehr relative Indikation für eine Gelenkversteifung vorlag. Die knöchernen Veränderungen und der Drehfehler im Bereich des Wadenbeins rechtfertigten keine Gelenkversteifung. Er erlangte die Einwilligung der Patientin nur dadurch, daß er ihr Schmerzfreiheit versprach. Er glaubte zwar, daß er sie schmerzfrei machen könnte, mußte aber wissen, daß er ihr angesichts aller Umstände keine Schmerzfreiheit versprechen konnte. Bei ausreichender Aufklärung über die Risiken einer Versteifung des Sprunggelenkes hätte die Patientin ihre Einwilligung zur Arthrodese nicht gegeben.

d) Der rumänische Polizeibeamte M. hatte im Jahre 1995 einen Autounfall, bei dem er unter anderem einen Beckenbruch mit einer Hüftpfannenfraktur erlitten hatte. Ihm war ein künstliches Hüftgelenk mit abstützendem Beckenring eingesetzt worden. Im Jahre 1999 wurde das Becken instabil und verschob sich. Dadurch entstanden ein Beckenhochstand und eine Hüftpfannenarthrose sowie ein Arthrosenspalt von ca. 4 bis 5 cm. Unter Vermittlung von Bekannten kam der Patient nach F. und wurde einem Arzt in einem anderen Krankenhaus vorgestellt. Dieser erkannte, daß die Problematik komplex war, er fühlte sich allein überfordert. Er nahm Kontakt zum Angeklagten
auf, den er im vorliegenden Fall für einen geeigneten Spezialisten hielt. Beide kamen überein, den Patienten gemeinsam zu operieren. Man war sich einig, daß die Hüftgelenksprothese ausgetauscht werden müsse. Der Angeklagte sagte dem Patienten, es sei eine schwierige Operation; er versuche sowohl die Hüfte als auch das Becken zu operieren, das Becken müsse stabilisiert und die Prothese ausgetauscht werden. Er werde versuchen, den Beinlängenunterschied so weit wie möglich auszugleichen. Der Patient vertraute dem Angeklagten voll und ganz und äußerte sinngemäß, er solle es so machen, wie er es für richtig halte.
Die Operation erfolgte am 24. September 1999 zwischen 9.00 und 15.30 Uhr. Über einen äußeren Zugang wurde von außen ein Prothesenwechsel vorgenommen, indem eine Platte, die das Becken stabilisieren sollte, eingebracht wurde. Um in diesem Bereich ordnungsgemäß arbeiten zu können, müssen die großen Gefäße, nämlich die arteria iliaca externa und die vena iliaca externa, mit einem Gummizügel bzw. einer Gummischlaufe angeschlungen werden, damit sie hoch- und vom eigentlichen Operationsgebiet weggezogen werden können. Der Angeklagte schlang jedoch die genannten Gefäße nicht an, sondern beließ sie dort, wo sie natürlicherweise liegen. Er arbeitete sich tastend an der Beckenschaufel entlang, modellierte die stabilisierende Platte und schraubte sie am Knochen an. Die Platte kam hierbei über der Vene und der Arterie zu liegen. Dies führte dazu, daß die Arterie zwischen der letzten und vorletzten Schraube ein- und abgeklemmt wurde, was zu einem inneren Gefäßabriß und zu einem Abbruch der Blutversorgung im linken Bein führte. Die Vene wurde von der letzten Schraube mittig perforiert. Im Zusammenhang mit den Gefäßverletzungen kam es zu einer kleinen Blutung, die der Angeklagte mittels eines Bauchtuches stillte. Weder wurde der Gefäßdefekt bemerkt noch wurde
nach Beendigung der Operation das Bauchtuch aus dem Operationsbereich entfernt.
Während der Nachtschicht auf der chirurgischen Intensivstation bemerkte das Personal, daß das linke Bein des Patienten kalt und weiß war und ein Fußpuls nicht tastbar war. Eine sofort veranlaßte und durchgeführte Doppelsonographie bestätigte die fehlende Durchblutung des Beines. Der Patient wurde in der Nacht ab 3.50 Uhr von einem Gefäßchirurgen operiert. Die beschriebenen Gefäßverletzungen wurden festgestellt und die Vene wurde unter der Platte hervorgeholt und die durch die Schrauben verursachten Löcher wurden genäht. Die Arterie mußte mittels einer Prothese rekonstruiert werden. Das vergessene Bauchtuch wurde durch den Gefäßchirurgen geborgen, ohne daß daraus ein Schaden für den Patienten entstanden wäre.
Aufgrund der fehlerhaften Versorgung der Arterie und der Vene im Operationsbereich und der daraus unterbrochenen Durchblutung kam es nicht nur über einen Zeitraum von zwölf Stunden zum teilweisen Absterben des linken Beines, sondern es entwickelte sich bis zum nächsten Tag eine Thrombose. Diese machte weitere Operationen notwendig. Nach zahlreichen weiteren Komplikationen wurde im Juni 2002 die gesamte Hüftprothetik entfernt, da sich dort eine Fistel gebildet hatte. Der Patient lebt jetzt ohne jede Prothese, das linke Bein ist weitgehend nicht benutzbar. Eine mögliche Amputation steht im Raum.
3. Die Strafkammer hat angenommen, der Angeklagte habe sich im Fall des Patienten E. einer (vorsätzlichen) Körperverletzung schuldig gemacht. Der Patient habe in eine "dorsale Kapselraffung" eingewilligt. Diese sei zum einen nicht so durchgeführt und sei auch zum anderen nicht indiziert ge-
wesen. In die Operation "Bergung der Bohrerspitze" habe der Patient nicht ein- gewilligt und habe auch nicht einwilligen können, weil der Angeklagte dem Patienten gegenüber den Abbruch der Bohrerspitze bewußt verschwiegen habe. In den drei anderen Fällen hat die Strafkammer nur fahrlässiges Handeln des Angeklagten angenommen. Im Fall der Patientin B. habe der Angeklagte bei der Operation vom 29. Oktober 1998 von dem vorhandenen Infekt wissen können und müssen. Unabhängig davon, daß die Patientin über das hohe Infektionsrisiko nicht aufgeklärt worden sei, das mit der Einbringung des Knochenmaterials verbunden sei, habe keine Einwilligungsfähigkeit vorgelegen , da die Maßnahme des Einbringens des Knochenmaterials bei dem Infekt , so wie er tatsächlich vorgelegen hatte, nicht mehr vertretbar gewesen sei. Im Fall der Patientin Bi. hat die Strafkammer angenommen, es habe lediglich eine sehr relative Indikation für eine Versteifung des oberen Sprunggelenkes vorgelegen. Dies habe der Angeklagte der Patientin nicht offenbart und das Einverständnis der Patientin nur dadurch erlangt, daß er ihr Schmerzfreiheit versprochen habe. Daß die Patientin ohne das Versprechen der Schmerzfreiheit in die Operation nicht eingewilligt hätte, sei dem Angeklagten bewußt gewesen. Im Fall M. habe der Angeklagte bei dem Eingriff entgegen der ihm bekannten Operationstechnik sorgfaltswidrig die arteria und die vena iliaca externa nicht ordnungsgemäß versorgt. Dies habe zur Folge gehabt , daß die Arterie und die Vene zwischen Platte und Knochen eingeklemmt wurden.

B.


I. Revision der Staatsanwaltschaft
1. Die Staatsanwaltschaft greift die Strafzumessung insgesamt an. Die Strafkammer habe wesentliche strafzumessungsrelevante Gesichtspunkte un- erörtert gelassen. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen ent- und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen , wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, daß sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Spielraums liegt. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen (BGHSt 34, 345, 349; 29, 319, 320, zuletzt BGH NStZ-RR 2003, 124, st.Rspr.). In Zweifelsfällen muß das Revisionsgericht die vom Tatrichter vorgenommene Bewertung hinnehmen (BGHSt 29, 319, 320; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 1). Nach diesen revisionsrechtlichen Maßstäben ist die Strafzumessung nicht rechtsfehlerhaft.
2. Soweit beanstandet wird, die Strafkammer habe in den ihrer Strafzumessung vorangestellten Erwägungen die Presseberichterstattung über den Prozeß "erkennbar zugunsten" des Angeklagten gewertet, trifft dies nicht zu. Zwar wird ausgeführt, der Angeklagte und seine Familie wären Anfeindungen ausgesetzt gewesen, die dazu führten, daß die Familie seit Ende 2001 in den Vereinigten Staaten lebt. Die Strafkammer hat jedoch nicht die Presseberichter-
stattung als solche zugunsten des Angeklagten gewertet, sondern vielmehr den Verlust des Arbeitsplatzes und der beruflichen Stellung dargestellt. Allein darin hat sie einen die Schuld mindernden Umstand gesehen. Dies steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 2 m.w. Nachw.). Dies ergibt sich schon daraus, daß sie die prozeßbegleitende Berichterstattung in den Medien als "mitbedingt" dafür gesehen hat, daß die berufliche Karriere des Angeklagten in der Universitätsklinik beendet und er in Folge des anhängigen Disziplinarverfahrens seinen Beamtenstatus verlieren dürfte (UA S. 4, 61). Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob die Bewertung der Berichterstattung durch die Strafkammer zutreffend ist, was der Senat ohnehin nicht überprüfen kann, da insoweit eine Aufklärungsrüge , die den Inhalt der Presseartikel wiedergibt, nicht erhoben ist.
3. Die Staatsanwaltschaft beanstandet weiter, die Strafkammer habe im Fall des Patienten E. bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten nicht ausreichend berücksichtigt, daß dieser der mitoperierenden Ärztin Dr. G. die Anweisung gegeben habe, den Bohrerabbruch nicht im Operationsprotokoll zu erwähnen. Auch später habe der Angeklagte in den von ihm verfaßten Operationsberichten den Abbruch nicht erwähnt. Die Dokumentation eines Operationsablaufes sei eine wesentliche Dienstpflicht des verantwortlichen Operateurs. Das Unterlassen dieser Dokumentation sei eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung. Gleiches gelte für die Dokumentation der späteren Bergung der Bohrerspitze, die nach den getroffenen Feststellungen des Landgerichts ebenfalls in den späteren Operationsberichten keine Erwähnung finde.
Dies ist allerdings, worauf die Staatsanwaltschaft zu Recht hinweist, eine schwerwiegende Pflichtverletzung. Der Senat entnimmt dem Gesamtzusam-
menhang der Urteilsgründe, daß die Strafkammer diesen bestimmenden Strafschärfungsgrund gewürdigt hat. Sie hat bei den vorangestellten allgemeinen Strafzumessungserwägungen ausgeführt, daß sich gerade in diesem Fall eine ungewisse Unfähigkeit des Angeklagten gezeigt habe, mit Komplikationen sachgerecht umzugehen und tatsächliche oder vermeintliche "Fehler einzugestehen". Die Strafkammer führt diese persönlichen Defizite des Angeklagten auf eine zu schnelle und steile Karriere und dem damit verbundenen erheblichen Profilierungsdruck zurück, dem der Angeklagte nicht gewachsen sei (UA S. 60). Die Kammer hat damit die selbstherrliche Vorgehensweise des Chefarztes in dem Operationsteam, die sich in der Verletzung der Dokumentationspflichten, der Beeinflussung des ihm unterstellten Klinikpersonals und der Täuschung seiner Patienten dokumentierte, durchaus gesehen, hat sie aber letztlich anders gewichtet, als von der Beschwerdeführerin gewünscht. Ein beachtlicher Wertungsfehler liegt damit nicht vor.
4. Ebenso unbegründet ist die Beanstandung, die Strafkammer habe in den Fällen Bi. und B. die vom Angeklagten zu verantwortende Sorgfaltswidrigkeit gleichbehandelt, obwohl diese unterschiedlich und nicht vergleichbar sei. Im Fall Bi. hat das Landgericht das Ausmaß der Sorgfaltswidrigkeit für höher als im Fall B. erachtet (UA S. 62). Die Strafkammer hat den Umstand, daß die Patientin B. vom Angeklagten nicht über das mit dem Einbringen des Knochenmaterials verbundene erhöhte Infektionsrisiko aufgeklärt wurde, nicht als einen bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkt im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO erachtet. Sie hat insoweit festgestellt, daß die Patientin mit der Operation einverstanden gewesen wäre, wenn der Angeklagte ihr gesagt hätte, das Risiko "könne man in Kauf nehmen" (UA S. 10). Wesentlich für die Strafzumessung war deshalb, daß das Einbrin-
gen des Knochenmaterials nach den dem Angeklagten bekannten Umständen schon nicht einwilligungsfähig war (UA S. 57).
5. Soweit die Beschwerdeführerin im Fall M. die Annahme einer bewußten Fahrlässigkeit als strafschärfenden Gesichtspunkt vermißt, kommt es auf die ausdrückliche Einordnung einer Fahrlässigkeit als "bewußt" für die Strafzumessung nicht an. Entscheidend ist entsprechend § 46 Abs. 2 StGB, daß das Gericht "das Maß der Pflichtwidrigkeit" feststellt und die Intensität der Pflichtwidrigkeit bei der Strafzumessungsbeurteilung nachvollziehbar bewertet hat. Die Strafkammer hat die erheblichen Folgen dieser Tat berücksichtigt und auch bewertet, daß bei Rechtzeitigkeit der anstehenden "Revisionsoperation" bleibende Schäden für den Patienten M. ausgeblieben wären (UA S. 62).
6. Schließlich hält auch die Entscheidung, von der Anordnung eines Berufsverbots nach § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB abzusehen, rechtlicher Überprüfung stand. Die ins Ermessen des Gerichts gestellte Sicherungsmaßregel "Berufsverbot" soll die Allgemeinheit vor den Gefahren schützen, die von der Ausübung eines Berufs durch hierfür nicht hinreichend zuverlässige Personen ausgehen (vgl. Hanack in LK 11. Aufl. § 70 Rdn. 1, 18). Sie kann u. a. gegen denjenigen angeordnet werden, der wegen einer rechtswidrigen Tat verurteilt wurde, die er unter Mißbrauch seines Berufs oder unter grober Verletzung der damit verbundenen Pflichten begangen hat, wenn eine Gesamtwürdigung des Täters und der Tat die Gefahr erkennen läßt, daß er bei weiterer Ausübung dieses Berufs vergleichbare Straftaten begehen werde. Entsprechend dem Gefahrenabwehrzweck des § 70 Abs. 1 StGB muß der Mißbrauch oder die Pflichtverletzung in einem inneren Zusammenhang mit der Berufsausübung oder deren regelmäßiger Gestaltung stehen und so symptomatisch die Unzuverlässigkeit des Täters in seinem Beruf erkennen lassen (vgl. zum Schutzzweck des § 70 StGB
BVerfG, Dritte Kammer des Zweiten Senats, Beschl. v. 30. Oktober 2002 - 2 BvR 1837/00; Hanack aaO § 70 Rdn. 18; Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl., § 70 Rdn. 6 f.; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 70 Rdn. 3).
Eine solche generelle Unzuverlässigkeit im Arztberuf hat die Strafkammer nicht festgestellt. Sie hat das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verhängung eines Berufsverbots verneint, weil weder die einzelnen noch die Gesamtheit der festgestellten Behandlungs- und Aufklärungsfehler Hinweise darauf geben, daß der Angeklagte seinen Beruf bewußt und planmäßig zur Begehung von Körperverletzungsdelikten mißbraucht hat (Lackner/Kühl, StGB 24. Aufl. § 70 Rdn. 3 m.w. Nachw.). Der Senat vermag auch im übrigen keinen Ermessensfehler in der von der Strafkammer angestellten Gesamtwürdigung zu erkennen. Der Gesetzgeber hat dem Tatrichter bewußt einen weiten Ermessensspielraum zur Verfügung gestellt, um unbillige Ergebnisse bei dieser schwerwiegenden Rechtsfolge zu vermeiden (vgl. BT-Drucks. V/4095, S. 38; Sander in Sonderheft für Gerhard Schäfer, S. 57, 59). Die Kammer ist unter Würdigung des der Person und der Stellung des Angeklagten als Chefarzt einer Universitätsklinik und seiner Taten zu der - revisionsrechtlich ohnehin nur eingeschränkt überprüfbaren - Prognose gelangt, daß dieser in Verbindung mit seinem Arztberuf künftig keine vergleichbaren Rechtsverletzungen mehr begehen werde. Ob die berufliche Karriere des Angeklagten dabei tatsächlich, wie von der Strafkammer angenommen (UA S. 64), beendet ist oder etwa als niedergelassener Arzt fortgesetzt werden kann, kann letztlich dahinstehen. Die Strafkammer ist jedenfalls davon überzeugt, daß das durchgeführte Strafverfahren mit der Verurteilung und allen seinen Begleiterscheinungen den Angeklagten deutlich beeindruckt und ihm die Folgen der eigenen Überschätzung seiner Fähigkeiten und Möglichkeiten drastisch vor Augen geführt haben. Die Kammer hat dabei auch die Schwere der von der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang
mit den beiden Eingriffen beim Patienten E. festgestellten Pflichtverletzungen innerhalb des Operationsteams gesehen. Sie hat deshalb die verfahrensgegen- ständlichen Behandlungs- und Aufklärungsfehler als situativ bedingte Fehlleistungen des ansonsten qualifizierten Angeklagten angesehen. Die dafür maßgeblichen Erwägungen, daß die festgestellte Selbstüberschätzung in diagnostischer Hinsicht und der Mangel an Selbstzweifeln auf eine zu schnelle und steile Karriere zurückzuführen sind und der Angeklagte in seiner damaligen Situation als jüngster C-4-Professor und Ärztlicher Direktor unter erheblichem Profilierungsdruck stand, dem er im Ergebnis nicht gewachsen war, sind nachvollziehbar und lassen einen Ermessensfehler nicht erkennen (UA S. 60, 64).
II. Revision des Angeklagten
1. Der Angeklagte greift mit der Aufklärungsrüge gemäß § 244 Abs. 2 StPO im Fall des Patienten E. die tatrichterlichen Feststellungen zur fehlenden medizinischen Indikation für die Durchführung einer Kapselraffung in der zweiten Operation an und meint, der Sachverhalt über die Indikation sei nicht ausreichend aufgeklärt. Die Aufklärungsrüge ist jedenfalls unbegründet. Die sachverständig beratene Strafkammer ist auf der Grundlage des erstatteten medizinischen Gutachtens und nach verständiger Würdigung des sonstigen Beweisergebnisses, insbesondere aber aufgrund der bei den Operationen beteiligten Ärzte und Operationsschwestern, zu dem rechtsfehlerfreien Schluß gelangt, daß die vom Angeklagten vorgegebene Indikation für den zweiten operativen Eingriff wegen einer angeblichen Schulterinstabilität nicht bestand, der Eingriff vielmehr der Bergung der Bohrerspitze diente. Auf die hypothetische Effektivität der vom Angeklagten nur zum Schein durchgeführten oberen Kapselraffung kommt es daher nicht an.
2. Soweit der Beschwerdeführer die Verwertung der Aussagen der Ärztin Dr. Br. und der Operationsschwester D. durch das Landgericht beanstandet , hat er einen Rechtsfehler nicht aufgedeckt. Auf eine unterbliebene Belehrung über ein mögliches Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO kann die Revision nicht gestützt werden, weil diese Vorschrift - anders als etwa §§ 52, 252 StPO - nicht dem Schutz des Angeklagten, sondern ausschließlich dem des Zeugen dient (Rechtskreistheorie, st. Rspr., vgl. BGHSt 1, 39, 40; 11, 213, 219; 38, 302, 304; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl., § 55 Rdn. 17; KK/Senge, StPO 5. Aufl., § 55 Rdn. 19; LR-Dahs, StPO 25. Aufl., § 55 Rdn. 28 m.w. Nachw.).
3. Schließlich hat auch die Verfahrensrüge, das Landgericht habe die Zeugin Dr. Br. entgegen § 60 Nr. 2 StPO rechtsfehlerhaft vereidigt, keinen Erfolg. Feststellungen, die auf ein strafbares Verhalten der beim zweiten operativen Eingriff beim Patienten E. anwesenden Zeugin deuten, sind in den Urteilsgründen nicht enthalten. Der Senat kann im übrigen mit Sicherheit ausschließen , daß das Landgericht zu einer anderen Überzeugung gelangt wäre, wenn es die Zeugin nicht vereidigt hätte. Das Urteil stellt an keiner Stelle auf die Vereidigung der Zeugin, sondern allein auf deren schlüssigen Angaben ab, die von der unvereidigt gebliebenen Zeugin D. bestätigt wurden und sich als ein weiteres Indiz nahtlos in die Gesamtwürdigung des Landgerichts einfügen.
4. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der vom Angeklagten allgemein erhobenen Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil aufgezeigt. Insbesondere ist im Fall des Patienten E. nicht zu beanstanden, daß die Strafkammer den Angeklagten in diesem Fall wegen vorsätzlicher Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB verurteilt hat. Die Kammer ist zutreffend von dem rechtlichen Ansatz ausgegangen, daß ärztliche Heileingriffe nur durch eine von
Willensmängeln nicht beeinflußte Einwilligung des Patienten gemäß § 228 StGB gerechtfertigt sind (BGHSt 16, 309 st. Rspr.). Sie hat rechtsfehlerfrei festgestellt , daß für die Operation zur Bergung der Bohrerspitze keine Einwilligung vorlag, weil der Angeklagte in den Aufklärungsgesprächen dem Patienten und seinen Eltern die Notwendigkeit der zweiten Operation zur Kapselraffung der Schulter vorgetäuscht und die abgebrochene Bohrerspitze bewußt nicht erwähnt hat. Aufgrund der eindeutigen Feststellungen, nach denen der Patient E. zur Entfernung der abgebrochenen Bohrerspitze keine Einwilligung gegeben hätte, war für die Annahme kein Raum, die Rechtswidrigkeit habe deshalb entfallen können, weil der Eingriff de lege artis durchgeführt und der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die durchgeführte Operation eingewilligt hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 15. Oktober 2003 - 1 StR 300/03).
Nack Wahl Boetticher
Kolz Hebenstreit

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Der Nebenkläger kann das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, daß eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder daß der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluß des Nebenklägers berechtigt.

(2) Dem Nebenkläger steht die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß zu, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nach den §§ 206a und 206b eingestellt wird, soweit er die Tat betrifft, auf Grund deren der Nebenkläger zum Anschluß befugt ist. Im übrigen ist der Beschluß, durch den das Verfahren eingestellt wird, für den Nebenkläger unanfechtbar.

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

6
Wurde die Feststellung der Kenntnisnahme durch die Richter sowie der Gelegenheit hierzu für die übrigen Verfahrensbeteiligten nicht protokolliert, ist somit aufgrund der negativen Beweiskraft des Protokolls davon auszugehen, dass das Beweismittel nicht zur Kenntnis gelangt ist bzw. die Gelegenheit hierzu nicht eingeräumt worden ist (vgl. BGH NStZ 2005, 160; NJW 2009, 2836). Dem Revisionsgericht ist damit verwehrt, hierzu freibeweisliche Ermittlungen anzustellen. Die Beweiskraft des - hier auch nach Erhebung der Verfahrensrüge nicht berichtigten (vgl. dazu auch BGH NJW 2009, 2836) - Protokolls kann nur bei offenkundiger Fehler- oder Lückenhaftigkeit entfallen; solches ist hier nicht ersichtlich. Eine Lückenhaftigkeit ergibt sich nicht etwa schon daraus, dass die Anordnung des Selbstleseverfahrens, nicht aber die nach § 249 Abs. 2 StPO notwendige Feststellung über dessen erfolgreiche Durchführung vermerkt ist. Denn die Anordnung des Selbstleseverfahrens lässt keinen Schluss auf die weitere Beachtung des Verfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO zu (vgl. BGH NStZ 2000, 47 m.w.N.).

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Die Anschlußerklärung ist bei dem Gericht schriftlich einzureichen. Eine vor Erhebung der öffentlichen Klage bei der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht eingegangene Anschlußerklärung wird mit der Erhebung der öffentlichen Klage wirksam. Im Verfahren bei Strafbefehlen wird der Anschluß wirksam, wenn Termin zur Hauptverhandlung anberaumt (§ 408 Abs. 3 Satz 2, § 411 Abs. 1) oder der Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls abgelehnt worden ist.

(2) Das Gericht entscheidet über die Berechtigung zum Anschluß als Nebenkläger nach Anhörung der Staatsanwaltschaft. In den Fällen des § 395 Abs. 3 entscheidet es nach Anhörung auch des Angeschuldigten darüber, ob der Anschluß aus den dort genannten Gründen geboten ist; diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(3) Erwägt das Gericht, das Verfahren nach § 153 Abs. 2, § 153a Abs. 2, § 153b Abs. 2 oder § 154 Abs. 2 einzustellen, so entscheidet es zunächst über die Berechtigung zum Anschluß.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Der Nebenkläger ist, auch wenn er als Zeuge vernommen werden soll, zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung berechtigt. Er ist zur Hauptverhandlung zu laden; § 145a Absatz 2 Satz 1 und § 217 Absatz 1 und 3 gelten entsprechend. Die Befugnis zur Ablehnung eines Richters (§§ 24, 31) oder Sachverständigen (§ 74), das Fragerecht (§ 240 Absatz 2), das Recht zur Beanstandung von Anordnungen des Vorsitzenden (§ 238 Absatz 2) und von Fragen (§ 242), das Beweisantragsrecht (§ 244 Absatz 3 bis 6) sowie das Recht zur Abgabe von Erklärungen (§§ 257, 258) stehen auch dem Nebenkläger zu. Dieser ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, im selben Umfang zuzuziehen und zu hören wie die Staatsanwaltschaft. Entscheidungen, die der Staatsanwaltschaft bekannt gemacht werden, sind auch dem Nebenkläger bekannt zu geben; § 145a Absatz 1 und 3 gilt entsprechend.

(2) Der Nebenkläger kann sich des Beistands eines Rechtsanwalts bedienen oder sich durch einen solchen vertreten lassen. Der Rechtsanwalt ist zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung berechtigt. Er ist vom Termin der Hauptverhandlung zu benachrichtigen, wenn seine Wahl dem Gericht angezeigt oder er als Beistand bestellt wurde.

(3) Ist der Nebenkläger der deutschen Sprache nicht mächtig, erhält er auf Antrag nach Maßgabe des § 187 Absatz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes eine Übersetzung schriftlicher Unterlagen, soweit dies zur Ausübung seiner strafprozessualen Rechte erforderlich ist.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Die Anschlußerklärung ist bei dem Gericht schriftlich einzureichen. Eine vor Erhebung der öffentlichen Klage bei der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht eingegangene Anschlußerklärung wird mit der Erhebung der öffentlichen Klage wirksam. Im Verfahren bei Strafbefehlen wird der Anschluß wirksam, wenn Termin zur Hauptverhandlung anberaumt (§ 408 Abs. 3 Satz 2, § 411 Abs. 1) oder der Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls abgelehnt worden ist.

(2) Das Gericht entscheidet über die Berechtigung zum Anschluß als Nebenkläger nach Anhörung der Staatsanwaltschaft. In den Fällen des § 395 Abs. 3 entscheidet es nach Anhörung auch des Angeschuldigten darüber, ob der Anschluß aus den dort genannten Gründen geboten ist; diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(3) Erwägt das Gericht, das Verfahren nach § 153 Abs. 2, § 153a Abs. 2, § 153b Abs. 2 oder § 154 Abs. 2 einzustellen, so entscheidet es zunächst über die Berechtigung zum Anschluß.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 422/10
vom
14. Dezember 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Dezember 2010 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Wuppertal vom 22. März 2010 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte war faktischer Geschäftsführer einer nominell von seiner früheren Ehefrau geführten Firma, die im Zusammenhang mit dem Handel mit gebrauchten Baumaschinen und Lastkraftwagen in ein näher beschriebenes, über Jahre bundesweit praktiziertes Steuerhinterziehungssystem einbezogen war. Insgesamt wurde allein Umsatzsteuer - ebenfalls hinterzogene Einkommenund Gewerbesteuer sind nicht mehr Verfahrensgegenstand - in Höhe von mehr als 1,5 Millionen € sowohl durch die Verschleierung von Umsätzen als auch durch unberechtigten Vorsteuerabzug auf der Grundlage fingierter Rechnungen hinterzogen.
2
Auf dieser Grundlage wurde der Angeklagte wegen Steuerhinterziehung in 18 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision erhebt eine Verfahrensrüge in Zusammenhang mit einem Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO) und die näher ausgeführte Sachrüge. Sie bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
1. Zur Verfahrensrüge:
4
Auf Anordnung des Vorsitzenden wurde ein Selbstleseverfahren durchgeführt , das sich auf eine zwei Seiten umfassende Tabelle bezog, die von der Überschrift: „Vorsteuerbeträge aus Rechnungseingängen der Firmen G. GmbH + T. GmbH / 2000 bis 2004“ abgesehen, weitgehend aus Zahlen besteht.
5
Hieran knüpft die Revision an:
6
Der aus Syrien stammende Angeklagte verfügt ausweislich der Urteilsgründe „über keine Schulbildung, kann nicht Lesen und Schreiben“. Ergänzend heißt es an anderer Stelle der Urteilsgründe, nach Angaben der früheren Ehefrau könne er „nur ein paar Worte und im übrigen nur Zahlen lesen“. Ergänzend trägt die Revision näher vor, dass und warum die (mit dem die Revision begründenden Verteidiger nicht identische) Verteidigerin im damaligen Hauptverhandlungstermin der Auffassung war, nähere Erläuterungen gegenüber dem Angeklagten zu diesem Selbstleseverfahren seien nicht erforderlich. Insgesamt, so die Revision , komme „ein Selbstleseverfahren mit einem leseunkundigen Angeklagten … nicht in Betracht“. Nachdem der Generalbundesanwalt die Zulässigkeit der Rüge bezweifelt hat, weil ein Widerspruch gegen die Anordnung des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht erhoben worden sei, hat die Revision erwidert (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO), nicht die Anordnung des Selbstleseverfahrens sei fehlerhaft gewesen, sondern dessen Durchführung.
7
a) Der Vorsitzende bestimmt nach pflichtgemäßem Ermessen, ob ein Selbstleseverfahren durchzuführen ist (Mosbacher in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 64). Dabei sind auch - hier, wie die Revision zutreffend vorträgt , schon im Ermittlungsverfahren aktenkundig gewordene - Anhaltspunkte für Analphabetismus in die Erwägungen einzubeziehen (vgl. Mosbacher aaO Rn. 85). Einen Rechtssatz, dass in derartigen - nach forensischer Erfahrung nicht häufigen - Fällen ein Selbstleseverfahren keinesfalls zulässig sei, gibt es nicht. Wird ein solches - hier zwei Aktenseiten betreffendes - Verfahren für zweckmäßig gehalten, so ist die Situation damit vergleichbar, dass der Angeklagte Urkunden zwar lesen, aber mangels Sprachkenntnissen nicht verstehen kann. Auch dann ist ein Selbstleseverfahren möglich, jedoch muss das Gericht ermöglichen, dass ihm der Inhalt der Urkunde zur Kenntnis gebracht wird (vgl. Mosbacher aaO Rn. 80). Jedoch kann, von den hier nicht in Rede stehenden Richtern abgesehen , jeder Verfahrensbeteiligte, also auch der Angeklagte, auch darauf verzichten , vom Inhalt der Urkunden Kenntnis zu nehmen (vgl. Mosbacher aaO Rn. 82). Verzichtet er nicht, kann der Inhalt gegebenenfalls durch einen hierzu bereiten Verteidiger zur Kenntnis gebracht werden, sonst auf andere Weise. Es ist dem Strafprozessrecht auch sonst nicht fremd, dass erforderlichenfalls Urkunden vorgelesen werden (vgl. § 35 Abs. 3 StPO; zur Notwendigkeit des Vorlesens auch unter anderen als den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen vgl. Graalmann-Scheerer aaO § 35 Rn. 27).
8
b) Weder auf (etwaige) Fehler bei der Anordnung, noch bei der Durchführung des Selbstleseverfahrens kann mit Erfolg eine Verfahrensrüge gestützt werden , wenn zuvor kein Gerichtsbeschluss herbeigeführt wurde. Hinsichtlich der Anordnung ist eine Entscheidung des gesamten Spruchkörpers gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO herbeizuführen, bei der das Ermessen des Spruchkörpers an die Stelle des Ermessens des Vorsitzenden tritt (Mosbacher aaO Rn. 76). Geht es nicht um die Anordnung, sondern die ebenfalls zunächst vom Vorsitzenden zu bestimmende Art der Durchführung des Selbstleseverfahrens (Mosbacher aaO Rn. 81), ist eine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeizuführen, wobei dann nur die Rechtmäßigkeit, nicht aber die Zweckmäßigkeit der beanstandeten Maßnahme zu überprüfen ist (Mosbacher aaO Rn. 103). Hier ist weder das eine noch das andere geschehen. Daher ist für eine Verfahrensrüge im Zusammen- hang mit dem Selbstleseverfahren kein Raum (Mosbacher aaO Rn. 110; Kindhäuser NStZ 1987, 529, 531< § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO>; Mosbacher aaO Rn. 114 <§ 238 Abs. 2 StPO>). Soweit keine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde, ist ergänzend auf folgendes hinzuweisen: Der Bundesgerichtshof hat offen gelassen, ob eine Rüge auch dann daran scheitert, dass keine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde, wenn die behauptete Rechtsverletzung durch den Vorsitzenden nicht mehr mit der Einhaltung „der unumstößlichen, eindeutigen Grenzen zulässiger Verfahrensgestaltung“ vereinbar wäre (BGH, Urteil vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, JR 2007, 381, 384). Der Senat braucht dieser Frage hier ebenfalls nicht näher nachzugehen, da es hier um die Wahrung eines Rechts geht, auf das der Angeklagte, wie dargelegt, nach seinem Belieben verzichten kann, ohne dass mit einem solchen Verzicht Prozessrecht verletzt wäre. Wird die Verletzung eines derartigen Rechts gerügt, bleibt es bei dem Grundsatz, dass eine solche Rüge nur Erfolg haben kann, wenn eine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde.
9
2. Mit der Sachrüge macht die Revision geltend, es bleibe unklar, auf welcher Feststellungsgrundlage die mitgeteilten Umsatzsteuerverkürzungen der Höhe nach berechnet seien. Insoweit ist der Revision zuzugestehen, dass die Urteilsgründe nicht ausdrücklich ergeben, wie hoch die Umsätze waren, die den vom Angeklagten begangenen Umsatzsteuerhinterziehungen zu Grunde lagen. Dies gefährdet hier allerdings den Bestand des Urteils nicht.
10
Es ist zu differenzieren:
11
a) Soweit unberechtigter Vorsteuerabzug (§ 15 UStG) auf der Grundlage von Scheinrechnungen erfolgte, reichte es für die Sachdarstellung in den Urteilsgründen aus, dass dessen Höhe beziffert wird (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 420/10). Aus dem Umstand, dass vorliegend den Scheinrechnungen keine tatsächlich erbrachten Leistungen zu Grunde lagen, folgt, dass der gesamte aus diesen Scheinrechnungen geltende gemachte Vorsteuerabzug zu Unrecht erfolgte. Besonderheiten des Einzelfalls, die vorliegend weitere Darlegungen erforderlich gemacht hätten, sind nicht ersichtlich.
12
b) Soweit Umsatzsteuer dadurch verkürzt wurde, dass in den Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen des Unternehmens steuerbare Umsätze verschwiegen wurden, wären demgegenüber - nicht mit erkennbarem Mehraufwand verbundene - Feststellungen zur Höhe der verschwiegenen Umsätze sachgerecht gewesen, um den Senat auch ohne aufwändige eigene Bemühungen die von ihm auf ihre rechtliche Tragfähigkeit zu überprüfenden tatsächlichen Grundlagen des Urteils erkennen zu lassen. Unter den gegebenen Umständen gefährdet dieser Mangel hier den Bestand des Urteils jedoch nicht:
13
Die Überzeugung von der Richtigkeit der im Urteil festgestellten Besteuerungsgrundlagen kann das Tatgericht auch anhand eines Geständnisses des Angeklagten, das das Tatgericht überprüft hat, oder anhand von verlässlichen Wahrnehmungen von Beamten der Finanzverwaltung, die diese in der Hauptverhandlung als Zeuge berichten, gewinnen. Angaben von Beamten der Finanzverwaltung zu tatsächlichen Gegebenheiten können - wie bei sonstigen Zeugen auch - taugliche Grundlage der Überzeugung des Tatgerichts sein (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, NJW 2009, 2546 Rn. 18 f.).
14
Erweist sich - wie hier - die Berechnung der verkürzten Steuern auf Grundlage der so getroffenen Feststellungen als einfacher Rechenschritt (die festgestellte Hinterziehungssumme stellt nach dem zur Tatzeit geltenden Umsatzsteuersatz 16 % des zu Grunde liegenden Umsatzes dar), kann die Feststellung allein der hinterzogenen Steuern ausreichend sein. Anhaltspunkte da- für, dass der Strafkammer bei der Berechnung der hinterzogenen Umsatzsteuer (vgl. UA S. 16) bei der gegebenen Sachlage Rechtsanwendungsfehler zum Nachteil des Angeklagten unterlaufen sind, bestehen nicht, zumal der verteidigte Angeklagte die Richtigkeit des Zahlenwerks auch selbst anerkannt hat.
15
3. Auch im Übrigen hat die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Nack Wahl Hebenstreit RiBGH Prof. Dr. Sander befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift verhindert. Jäger Nack

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 587/11
vom
10. Januar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2012 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Regensburg vom 4. August 2011 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde wegen schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung früher verhängter Strafen zu einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
2
1. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung verkündete der Vor- sitzende folgende, „Beschluss“ genannte Anordnung und Feststellungen: „Die im Sonderband TKÜ-Band enthaltenen Gesprächsprotokolle wer- den im Selbstleseverfahren eingeführt, das Gericht hatte Gelegenheit, hiervon Kenntnis zu nehmen, alle übrigen Verfahrensbeteiligten hatten ebenfalls Gelegenheit dazu“.
3
2. Hieran knüpft die Revision an. Sie hält § 261 StPO für verletzt. Die Protokolle seien im Urteil verwertet, obwohl die Mitglieder des Gerichts vom Wortlaut der Protokolle keine Kenntnis erlangt hätten. Dies ergebe sich daraus, dass entgegen § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht festgestellt sei, dass die Richter von den Protokollen Kenntnis genommen hätten.
4
3. Hier wurde ein Selbstleseverfahren angeordnet und wegen früheren Geschehens sogleich als durchgeführt erklärt. Der Senat hat zunächst geprüft, ob dies den Anforderungen an ein Selbstleseverfahren entsprechen kann. Für die Rüge einer Verletzung von Bestimmungen, die im Zusammenhang mit einem Selbstleseverfahren zu beachten sind, wäre in dieser Form schwerlich Raum, wenn von vorneherein kein ordnungsgemäßes Selbstleseverfahren vorläge.
5
Ein Selbstleseverfahren ist - auch - in der geschilderten Weise möglich. Ziel eines Selbstleseverfahrens ist es, den Inhalt von Urkunden auch ohne ihre Verlesung zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen. Hierfür ist bedeutungslos , ob die Erklärung der Richter, vom Wortlaut der Urkunden Kenntnis genommen zu haben, darauf beruht, dass sie die Urkunden vor oder nach der Anordnung des Selbstleseverfahrens gelesen haben. Es genügt daher, wenn die Urkunden schon zuvor, etwa bei der Prüfung der Eröffnungsentscheidung , gelesen wurden. Soweit Richter die Urkunden nicht ohnehin unabhängig vom Selbstleseverfahren gelesen haben, wie z.B. möglicherweise ein zweiter Beisitzer oder ein Ergänzungsrichter und regelmäßig Schöffen, genügt es dementsprechend , wenn dies, etwa im Vorgriff auf ein beabsichtigtes Selbstleseverfahren schon vor dessen Anordnung, parallel zur Hauptverhandlung oder auch schon vor der Hauptverhandlung geschieht (vgl. Ganter in Graf, StPO § 249 Rn. 24; Diemer in KK 6. Aufl., § 249 Rn. 36).
6
Die übrigen Verfahrensbeteiligten müssen sich nicht darauf verweisen lassen, dass sie schon zuvor Gelegenheit zum Lesen der Urkunden gehabt hätten (Mosbacher in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 79). Da sie aber auf die Kenntnisnahme vom Inhalt der Urkunden sogar ganz verzichten können (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 422/10, NStZ 2011, 300 mwN), genügt - auch von der Revision nicht in Frage gestellt - die in der Hauptverhandlung unwidersprochen gebliebene Feststellung des Vorsitzenden , die übrigen Verfahrensbeteiligten hätten bereits ausreichende Gelegenheit zur Kenntnisnahme gehabt.
7
4. Nach alledem liegt im Ansatz ein prozessordnungsgemäßes Selbstleseverfahren vor.
8
Urkunden und sonstige Schriftstücke sind aber nur dann im Blick auf ein Selbstleseverfahren ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt, wenn nach dessen Durchführung (als wesentliche Verfahrensförmlichkeit, §§ 273, 274 StPO) zu Protokoll festgestellt ist, dass die Mitglieder des Gerichts vom Wortlaut der Urkunden und/oder sonstigen Schriftstücke Kenntnis genommen haben und die übrigen Verfahrensbeteiligten hierzu Gelegenheit hatten (§ 249 Abs. 2 Sätze 1 und 3 StPO). Die hier allein getroffene - auf Grund ihrer Eindeutigkeit auch keiner zu einem anderen Ergebnis führenden Auslegung zugängliche - Feststellung, die Mitglieder des Gerichts hätten Gelegenheit zur Kenntnisnahme gehabt, wird den Anforderungen des Gesetzes nicht gerecht (vgl. nur BGH, Beschluss vom 15. März 2011 - 1 StR 33/11, NStZ-RR 2011, 253, 255 mwN).
9
5. Ein Urteil beruht (§ 337 Abs. 1 StPO) auf dem aufgezeigten Mangel, wenn nicht auszuschließen ist, dass wesentliche Urteilsfeststellungen durch die nicht in einem ordnungsgemäß durchgeführten Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführten Urkunden und/oder Schriftstücke beeinflusst worden sind. Allein der Umstand, dass das Selbstleseverfahren durchgeführt worden ist, belegt die Bedeutung der Urkunden und/oder Schriftstücke für die Urteilsfeststellungen nicht (vgl. schon Kempf, StV 1987, 215, 221, 222), selbst die bloße Erwähnung eines Beweismittels bei der gelegentlich anzutreffenden, rechtlich nicht gebotenen und daher überflüssigen floskelhaften Aufzählung der Beweismittel besagt nicht notwendig, dass sich aus ihm etwas Wesentliches für die Urteilsfindung ergeben haben muss (Engelhardt in KK StPO, 6. Aufl., § 267 Rn. 13 mwN). Maßgeblich sind letztlich die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die konkreten Ausführungen zur Beweiswürdigung (vgl. BGH aaO).
10
Hier hat die Strafkammer gesondert für die Feststellungen zum Vortat-, Tat- und Nachtatgeschehen die maßgeblichen Beweismittel aufgezählt, die zwar hinsichtlich der Zeugen nicht in vollem Umfang identisch sind, die „im Selbstleseverfahren eingeführten TKÜ-Protokolle“ aber jeweils nennen.
11
Der Generalbundesanwalt weist allerdings zutreffend darauf hin, dass einem wichtigen Zeugen die Protokollierung einiger zentraler Telefongespräche vorgehalten wurde. Jedoch kann eine darauf erfolgte Zeugenaussage nicht den Inhalt der Urkunde bestätigen, sondern nur das, was der Zeuge zu dem ihm vorgehaltenen Inhalt gesagt hat (vgl. Diemer in KK StPO, 6. Aufl., § 249 Rn. 42 mwN). Die Strafkammer stellt jedoch nicht nur auf diese Aussagen ab, sondern etwa auch darauf, dass die Aussage des Zeugen mit einem Gesprächsprotokoll „korrespondiert“.
12
Soweit schließlich festgestellt ist, dass nach der Aussage eines Polizei- beamten „der Geschädigte den Inhalt der Gespräche … geschildert hat, wie in den TKÜ-Protokollen dokumentiert“, lässt dies unterschiedliche Auslegungen zu. Könnte diese Feststellung nur dahin verstanden werden, dass der Polizeibeamte berichtet hat, die Aussage des Geschädigten hätte nach einer von ihm (dem Polizeibeamten) vorgenommenen Überprüfung mit dem Inhalt der TKÜ- Protokolle übereingestimmt, könnte möglicherweise insoweit ein Beruhen des Urteils auf dem unzureichenden Selbstleseverfahren ausgeschlossen werden. Die genannte Urteilspassage lässt aber ebenso die Auslegung zu, dass nicht der Polizeibeamte die Aussage des Geschädigten mit den Protokollen verglichen hat, sondern dass die Strafkammer den Vergleich der vom Polizeibeamten berichteten Aussagen des Geschädigten mit den Protokollen selbst vorgenommen hat.
13
6. Im Ergebnis kann nach alledem ein Beruhen des Urteils auf dem aufgezeigten Mangel nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden. Deshalb hat die Revision Erfolg, ohne dass es noch auf Weiteres ankäme.
Nack Wahl Graf Jäger Sander

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 587/11
vom
10. Januar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2012 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Regensburg vom 4. August 2011 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde wegen schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung früher verhängter Strafen zu einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
2
1. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung verkündete der Vor- sitzende folgende, „Beschluss“ genannte Anordnung und Feststellungen: „Die im Sonderband TKÜ-Band enthaltenen Gesprächsprotokolle wer- den im Selbstleseverfahren eingeführt, das Gericht hatte Gelegenheit, hiervon Kenntnis zu nehmen, alle übrigen Verfahrensbeteiligten hatten ebenfalls Gelegenheit dazu“.
3
2. Hieran knüpft die Revision an. Sie hält § 261 StPO für verletzt. Die Protokolle seien im Urteil verwertet, obwohl die Mitglieder des Gerichts vom Wortlaut der Protokolle keine Kenntnis erlangt hätten. Dies ergebe sich daraus, dass entgegen § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht festgestellt sei, dass die Richter von den Protokollen Kenntnis genommen hätten.
4
3. Hier wurde ein Selbstleseverfahren angeordnet und wegen früheren Geschehens sogleich als durchgeführt erklärt. Der Senat hat zunächst geprüft, ob dies den Anforderungen an ein Selbstleseverfahren entsprechen kann. Für die Rüge einer Verletzung von Bestimmungen, die im Zusammenhang mit einem Selbstleseverfahren zu beachten sind, wäre in dieser Form schwerlich Raum, wenn von vorneherein kein ordnungsgemäßes Selbstleseverfahren vorläge.
5
Ein Selbstleseverfahren ist - auch - in der geschilderten Weise möglich. Ziel eines Selbstleseverfahrens ist es, den Inhalt von Urkunden auch ohne ihre Verlesung zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen. Hierfür ist bedeutungslos , ob die Erklärung der Richter, vom Wortlaut der Urkunden Kenntnis genommen zu haben, darauf beruht, dass sie die Urkunden vor oder nach der Anordnung des Selbstleseverfahrens gelesen haben. Es genügt daher, wenn die Urkunden schon zuvor, etwa bei der Prüfung der Eröffnungsentscheidung , gelesen wurden. Soweit Richter die Urkunden nicht ohnehin unabhängig vom Selbstleseverfahren gelesen haben, wie z.B. möglicherweise ein zweiter Beisitzer oder ein Ergänzungsrichter und regelmäßig Schöffen, genügt es dementsprechend , wenn dies, etwa im Vorgriff auf ein beabsichtigtes Selbstleseverfahren schon vor dessen Anordnung, parallel zur Hauptverhandlung oder auch schon vor der Hauptverhandlung geschieht (vgl. Ganter in Graf, StPO § 249 Rn. 24; Diemer in KK 6. Aufl., § 249 Rn. 36).
6
Die übrigen Verfahrensbeteiligten müssen sich nicht darauf verweisen lassen, dass sie schon zuvor Gelegenheit zum Lesen der Urkunden gehabt hätten (Mosbacher in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 79). Da sie aber auf die Kenntnisnahme vom Inhalt der Urkunden sogar ganz verzichten können (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 422/10, NStZ 2011, 300 mwN), genügt - auch von der Revision nicht in Frage gestellt - die in der Hauptverhandlung unwidersprochen gebliebene Feststellung des Vorsitzenden , die übrigen Verfahrensbeteiligten hätten bereits ausreichende Gelegenheit zur Kenntnisnahme gehabt.
7
4. Nach alledem liegt im Ansatz ein prozessordnungsgemäßes Selbstleseverfahren vor.
8
Urkunden und sonstige Schriftstücke sind aber nur dann im Blick auf ein Selbstleseverfahren ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt, wenn nach dessen Durchführung (als wesentliche Verfahrensförmlichkeit, §§ 273, 274 StPO) zu Protokoll festgestellt ist, dass die Mitglieder des Gerichts vom Wortlaut der Urkunden und/oder sonstigen Schriftstücke Kenntnis genommen haben und die übrigen Verfahrensbeteiligten hierzu Gelegenheit hatten (§ 249 Abs. 2 Sätze 1 und 3 StPO). Die hier allein getroffene - auf Grund ihrer Eindeutigkeit auch keiner zu einem anderen Ergebnis führenden Auslegung zugängliche - Feststellung, die Mitglieder des Gerichts hätten Gelegenheit zur Kenntnisnahme gehabt, wird den Anforderungen des Gesetzes nicht gerecht (vgl. nur BGH, Beschluss vom 15. März 2011 - 1 StR 33/11, NStZ-RR 2011, 253, 255 mwN).
9
5. Ein Urteil beruht (§ 337 Abs. 1 StPO) auf dem aufgezeigten Mangel, wenn nicht auszuschließen ist, dass wesentliche Urteilsfeststellungen durch die nicht in einem ordnungsgemäß durchgeführten Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführten Urkunden und/oder Schriftstücke beeinflusst worden sind. Allein der Umstand, dass das Selbstleseverfahren durchgeführt worden ist, belegt die Bedeutung der Urkunden und/oder Schriftstücke für die Urteilsfeststellungen nicht (vgl. schon Kempf, StV 1987, 215, 221, 222), selbst die bloße Erwähnung eines Beweismittels bei der gelegentlich anzutreffenden, rechtlich nicht gebotenen und daher überflüssigen floskelhaften Aufzählung der Beweismittel besagt nicht notwendig, dass sich aus ihm etwas Wesentliches für die Urteilsfindung ergeben haben muss (Engelhardt in KK StPO, 6. Aufl., § 267 Rn. 13 mwN). Maßgeblich sind letztlich die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die konkreten Ausführungen zur Beweiswürdigung (vgl. BGH aaO).
10
Hier hat die Strafkammer gesondert für die Feststellungen zum Vortat-, Tat- und Nachtatgeschehen die maßgeblichen Beweismittel aufgezählt, die zwar hinsichtlich der Zeugen nicht in vollem Umfang identisch sind, die „im Selbstleseverfahren eingeführten TKÜ-Protokolle“ aber jeweils nennen.
11
Der Generalbundesanwalt weist allerdings zutreffend darauf hin, dass einem wichtigen Zeugen die Protokollierung einiger zentraler Telefongespräche vorgehalten wurde. Jedoch kann eine darauf erfolgte Zeugenaussage nicht den Inhalt der Urkunde bestätigen, sondern nur das, was der Zeuge zu dem ihm vorgehaltenen Inhalt gesagt hat (vgl. Diemer in KK StPO, 6. Aufl., § 249 Rn. 42 mwN). Die Strafkammer stellt jedoch nicht nur auf diese Aussagen ab, sondern etwa auch darauf, dass die Aussage des Zeugen mit einem Gesprächsprotokoll „korrespondiert“.
12
Soweit schließlich festgestellt ist, dass nach der Aussage eines Polizei- beamten „der Geschädigte den Inhalt der Gespräche … geschildert hat, wie in den TKÜ-Protokollen dokumentiert“, lässt dies unterschiedliche Auslegungen zu. Könnte diese Feststellung nur dahin verstanden werden, dass der Polizeibeamte berichtet hat, die Aussage des Geschädigten hätte nach einer von ihm (dem Polizeibeamten) vorgenommenen Überprüfung mit dem Inhalt der TKÜ- Protokolle übereingestimmt, könnte möglicherweise insoweit ein Beruhen des Urteils auf dem unzureichenden Selbstleseverfahren ausgeschlossen werden. Die genannte Urteilspassage lässt aber ebenso die Auslegung zu, dass nicht der Polizeibeamte die Aussage des Geschädigten mit den Protokollen verglichen hat, sondern dass die Strafkammer den Vergleich der vom Polizeibeamten berichteten Aussagen des Geschädigten mit den Protokollen selbst vorgenommen hat.
13
6. Im Ergebnis kann nach alledem ein Beruhen des Urteils auf dem aufgezeigten Mangel nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden. Deshalb hat die Revision Erfolg, ohne dass es noch auf Weiteres ankäme.
Nack Wahl Graf Jäger Sander

(1) Der Fortgang des Verfahrens wird durch den Anschluß nicht aufgehalten.

(2) Die bereits anberaumte Hauptverhandlung sowie andere Termine finden an den bestimmten Tagen statt, auch wenn der Nebenkläger wegen Kürze der Zeit nicht mehr geladen oder benachrichtigt werden konnte.

(1) Der Nebenkläger ist, auch wenn er als Zeuge vernommen werden soll, zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung berechtigt. Er ist zur Hauptverhandlung zu laden; § 145a Absatz 2 Satz 1 und § 217 Absatz 1 und 3 gelten entsprechend. Die Befugnis zur Ablehnung eines Richters (§§ 24, 31) oder Sachverständigen (§ 74), das Fragerecht (§ 240 Absatz 2), das Recht zur Beanstandung von Anordnungen des Vorsitzenden (§ 238 Absatz 2) und von Fragen (§ 242), das Beweisantragsrecht (§ 244 Absatz 3 bis 6) sowie das Recht zur Abgabe von Erklärungen (§§ 257, 258) stehen auch dem Nebenkläger zu. Dieser ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, im selben Umfang zuzuziehen und zu hören wie die Staatsanwaltschaft. Entscheidungen, die der Staatsanwaltschaft bekannt gemacht werden, sind auch dem Nebenkläger bekannt zu geben; § 145a Absatz 1 und 3 gilt entsprechend.

(2) Der Nebenkläger kann sich des Beistands eines Rechtsanwalts bedienen oder sich durch einen solchen vertreten lassen. Der Rechtsanwalt ist zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung berechtigt. Er ist vom Termin der Hauptverhandlung zu benachrichtigen, wenn seine Wahl dem Gericht angezeigt oder er als Beistand bestellt wurde.

(3) Ist der Nebenkläger der deutschen Sprache nicht mächtig, erhält er auf Antrag nach Maßgabe des § 187 Absatz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes eine Übersetzung schriftlicher Unterlagen, soweit dies zur Ausübung seiner strafprozessualen Rechte erforderlich ist.

(1) Der Fortgang des Verfahrens wird durch den Anschluß nicht aufgehalten.

(2) Die bereits anberaumte Hauptverhandlung sowie andere Termine finden an den bestimmten Tagen statt, auch wenn der Nebenkläger wegen Kürze der Zeit nicht mehr geladen oder benachrichtigt werden konnte.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 76/10
vom
20. Juli 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Zum Umfang der Beweiskraft des Protokollvermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3
BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 3 StR 76/10 - LG Wuppertal
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Betruges
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 20. Juli 2010 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 5. November 2009 werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten M. K. wegen Betruges in drei Fällen unter Einbeziehung weiterer Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen ; den Angeklagten J. K. hat es wegen Betruges in vier Fällen und wegen versuchten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die dagegen gerichteten Revisionen der Angeklagten bleiben ohne Erfolg, da die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
2
Näherer Erörterung bedarf nur die von beiden Angeklagten erhobene Verfahrensbeanstandung, das Landgericht habe dem Urteil unter Verstoß gegen § 261 StPO Feststellungen zugrunde gelegt, die wegen fehlerhafter Durchführung des Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO nicht Gegenstand der Hauptverhandlung geworden seien. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde :
3
Im Verlauf der Hauptverhandlung hat der Strafkammervorsitzende bezüglich mehrerer Urkunden das Selbstleseverfahren angeordnet. Betreffend ein Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth hat er am darauf folgenden Hauptverhandlungstermin zu Protokoll die Feststellung getroffen, dass das Selbstleseverfahren beendet ist, die Mitglieder der Kammer "von dem Urteil" Kenntnis genommen haben und die übrigen Prozessbeteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Betreffend eine Reihe von Urkunden zu Geldbewegungen sowie zu Haftabwesenheitszeiten des Angeklagten M. K. hat der Vorsitzende zu Protokoll festgestellt, dass die Kammer "von den Urkunden", für die in der letzten Hauptverhandlung das Selbstleseverfahren angeordnet worden ist, Kenntnis genommen hat und die übrigen Prozessbeteiligten Gelegenheit hierzu hatten. Hinsichtlich mehrerer amtsgerichtlicher Urteile hat er zu Protokoll festgestellt, dass das Selbstleseverfahren beendet ist und die Kammer "von den Urteilen" Kenntnis genommen hat und die übrigen Prozessbeteiligten Gelegenheit hatten , hiervon Kenntnis zu nehmen.
4
Die Revision beanstandet, es sei nicht festgestellt worden, dass die Richter und Schöffen "vom Wortlaut" der Urkunden Kenntnis genommen hätten. Kenntnis von einer Urkunde sei mit der Kenntnis von deren Wortlaut nicht gleichzusetzen. Das Protokoll beweise, dass der Wortlaut von den Richtern nicht zur Kenntnis genommen worden sei.
5
Die Rüge bleibt ohne Erfolg. Der Wortlaut des Protokollvermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO ist für den Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung des Selbstleseverfahrens ohne Belang. Im Einzelnen:
6
Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO darf von der Verlesung einer Urkunde oder eines anderen Schriftstücks - neben anderen Voraussetzungen - dann abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde oder des Schriftstücks Kenntnis genommen haben. Die "Feststellungen über die Kenntnisnahme" sind nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen. Durch einen entsprechenden Protokollvermerk kann indes nicht bewiesen (§ 274 Abs. 1 Satz 1 StPO) werden, dass die Richter und Schöffen tatsächlich von Wortlaut Kenntnis genommen haben. Dies folgt schon daraus , dass in der Sitzungsniederschrift nur solche Vorgänge beweiskräftig beurkundet werden können, die sich während der laufenden Hauptverhandlung im Sitzungssaal (oder ggf. einem auswärtigen Verhandlungsort) zugetragen haben (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 273 Rn. 19), denn nur diese können der Vorsitzende und der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle durch ihre Unterschrift unter das Protokoll (§ 271 Abs. 1 Satz 1 StPO) aus eigener Wahrnehmung bestätigen.
7
Das Selbstleseverfahren hat den Kern des Urkundenbeweises - die Kenntnisnahme vom Urkundeninhalt durch die Richter und Schöffen - aber gerade aus der Hauptverhandlung herausverlagert. Damit ist es dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle von vornherein nicht möglich zu bestätigen, dass die Richter und Schöffen tatsächlich vom Wortlaut eines Schriftstücks Kenntnis genommen haben. Nichts anderes gilt aber auch für den Vorsitzenden. So ist schon gesetzlich nicht bestimmt, dass er bei der Kenntnisnahme durch die beisitzenden Richter und die Schöffen präsent ist; aber selbst wenn er - ausnahmsweise - anwesend sein sollte, unterliegt es nicht seiner Wahrnehmung, ob diese den Wortlaut tatsächlich vollständig zur Kenntnis genommen und mit der Aufmerksamkeit studiert haben, die erforderlich ist, damit sie ihrer Aufgabe der Urteilsfindung verantwortungsvoll gerecht werden können. Der Vorsitzende muss sich daher letztlich auf die Zusicherung der beisitzenden Richter und der Schöffen verlassen, dass sie das Schriftstück vollständig gelesen haben, und kann Entsprechendes nur für seine eigene Person aus eigenem Wissen verbindlich bestätigen.
8
Durch die Einführung des Selbstleseverfahrens hat der Gesetzgeber diese potentiellen Einbußen der Qualität des Urkundenbeweises in Kauf genommen. Dies ist von den Gerichten und den Verfahrensbeteiligten zu akzeptieren. Im Übrigen besteht aber auch bei dem Urkundenbeweis nach § 249 Abs. 1 StPO keine Gewähr dafür, dass die zur Urteilsfindung berufenen Gerichtspersonen der Verlesung - insbesondere bei der aufeinander folgenden Verlesung einer Vielzahl von Schriftstücken - immer mit der gebührenden Aufmerksamkeit folgen.
9
Hieraus ergibt sich, dass durch den Protokollvermerk nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO die tatsächliche Kenntnisnahme vom Wortlaut eines Schriftstücks durch die Richter und Schöffen im Wege des Selbstleseverfahrens nicht nachgewiesen werden kann. Er beweist daher nicht die ordnungsgemäße Durchführung dieses Verfahrens, sondern allein die Tatsache, dass der Vorsitzende in der Hauptverhandlung eine entsprechende Feststellung getroffen hat (KKDiemer , 6. Aufl., § 249 Rn. 39). Aus seiner Formulierung kann daher kein - im Sinne des § 274 Abs. 1 Satz 1 StPO beweiskräftig belegter - Schluss auf die (nicht) ordnungsgemäße Durchführung des Selbstleseverfahrens gezogen werden.
10
Nach Auffassung des Senats kommt der Protokollierung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO vielmehr eine andere Funktion zu. Da der Urkundsbeweis beim Selbstleseverfahren außerhalb der Hauptverhandlung erhoben wird, be- darf es der Kenntlichmachung und des Hinweises an die Verfahrensbeteiligten, dass der in dieser Sonderform gewonnene Beweisstoff dennoch als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO der Überzeugungsbildung des Gerichts zugrunde gelegt werden kann. Dies wird durch die Feststellung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO beweiskräftig vollzogen. Fehlt der entsprechende Vermerk, so ist danach die Inbegriffsrüge nach § 261 StPO eröffnet. Es verhält sich hier ähnlich wie bei der Verwertung offenkundiger, insbes. gerichtskundiger , außerhalb der Hauptverhandlung gewonnener Tatsachen, die Inbegriff der Hauptverhandlung grundsätzlich nur werden, wenn sie durch entsprechenden Hinweis in diese eingeführt worden sind (Meyer-Goßner, aaO, § 244 Rn. 3 mwN; zur strittigen Frage der diesbezüglichen Protokollierungspflicht vgl. Meyer -Goßner, aaO, § 273 Rn. 7 mwN).
11
Durch die hier vom Vorsitzenden zu Protokoll erklärten Feststellungen, die im Übrigen ohnehin als Feststellung der Kenntnisnahme vom Wortlaut der Schriftstücke durch Richter und Schöffen auszulegen sein dürften (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2003 - 1 StR 25/03, bei Becker, NStZ-RR 2004, 225, 227 Nr. 9; BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 - 5 StR 169/09, StV 2010, 226), sind die Schriftstücke in hinreichender Form zum Inbegriff der Hauptverhandlung gemacht worden und damit verwertbar.
12
Keiner Entscheidung bedarf, wie wegen der fehlenden Beweiskraft des Protokollvermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO für seine inhaltliche Richtigkeit eine Rüge zu behandeln wäre, entgegen der protokollierten Feststellung hätten die Richter oder Schöffen tatsächlich gar nicht vom Wortlaut der fraglichen Schriftstücke Kenntnis genommen; denn eine solche Rüge ist hier nicht erhoben.
VRiBGH Becker ist wegen Urlaubs Pfister RiBGH von Lienen ist wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. an der Unterschriftsleistung gehindert. Pfister Pfister Hubert Schäfer
6
Wurde die Feststellung der Kenntnisnahme durch die Richter sowie der Gelegenheit hierzu für die übrigen Verfahrensbeteiligten nicht protokolliert, ist somit aufgrund der negativen Beweiskraft des Protokolls davon auszugehen, dass das Beweismittel nicht zur Kenntnis gelangt ist bzw. die Gelegenheit hierzu nicht eingeräumt worden ist (vgl. BGH NStZ 2005, 160; NJW 2009, 2836). Dem Revisionsgericht ist damit verwehrt, hierzu freibeweisliche Ermittlungen anzustellen. Die Beweiskraft des - hier auch nach Erhebung der Verfahrensrüge nicht berichtigten (vgl. dazu auch BGH NJW 2009, 2836) - Protokolls kann nur bei offenkundiger Fehler- oder Lückenhaftigkeit entfallen; solches ist hier nicht ersichtlich. Eine Lückenhaftigkeit ergibt sich nicht etwa schon daraus, dass die Anordnung des Selbstleseverfahrens, nicht aber die nach § 249 Abs. 2 StPO notwendige Feststellung über dessen erfolgreiche Durchführung vermerkt ist. Denn die Anordnung des Selbstleseverfahrens lässt keinen Schluss auf die weitere Beachtung des Verfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO zu (vgl. BGH NStZ 2000, 47 m.w.N.).

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden.

(1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken.

(2) Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. § 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend.

(3) Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind.

(4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 424/16
vom
9. März 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Bankrotts
ECLI:DE:BGH:2017:090317U3STR424.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. März 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer, Gericke, Dr. Tiemann, Hoch als beisitzende Richter,
Richterin am Amtsgericht als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 17. März 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Bankrotts freigesprochen. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf Verfahrensrügen sowie auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensbeanstandung Erfolg.
2
I. Die Staatsanwaltschaft macht zu Recht geltend, dass das Landgericht seine Überzeugung teilweise nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewonnen hat (Verstoß gegen § 261 StPO).
3
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Im Termin zur Hauptverhandlung erhielten die Verfahrensbeteiligten jeweils einen Ordner mit Urkunden ausgehändigt; der Vorsitzende ordnete an, dass die in dem überreichten Ordner enthaltenen Schriftstücke im Wege des Selbstleseverfahrens verlesen werden sollten. Der Verteidiger des Angeklagten beanstandete diese Anordnung und beantragte eine gerichtliche Entscheidung. Die Strafkammer hob nach Beratung die Anordnung des Vorsitzenden teilweise auf und fasste sie "zur Klarstellung neu", indem sie entschied, dass "von der Verlesung folgender Urkunden […] gem. § 249 Abs. 2 StPO abgesehen werden" solle. Daran anschließend führte sie die Urkunden auf, auf die sich das Selbstleseverfahren beziehen sollte, unter anderem den im Urteil wörtlich wiedergegebenen "Versicherungsschein 950/245.417 W" sowie den ebenfalls in das Urteil eingerückten "Antrag auf Versicherung v. Diskotheken". Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung wurde weder festgestellt, dass Richter und Schöffen vom Wortlaut der im Selbstleseverfahren einzuführenden Urkunden Kenntnis genommen noch, dass die anderen Verfahrensbeteiligten dazu Gelegenheit hatten. Die Urkunden wurden auch nicht in anderer Weise in die Hauptverhandlung eingeführt.
4
2. Die Rüge ist zulässig erhoben, insbesondere gibt die Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft die den Mangel enthaltenden Tatsachen im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO an. Dazu ist es erforderlich aber auch ausreichend , dass die Verfahrenstatsachen so mitgeteilt werden, dass das Revisionsgericht allein auf Grund der Revisionsbegründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Revision zutrifft (allgemeine Meinung, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 344 Rn. 21 mwN). Dies ist hier der Fall:
5
Aus dem Revisionsvorbringen ergibt sich, dass die genannten Urkunden zwar im Selbstleseverfahren eingeführt werden sollten, dass dieses indes nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO abgeschlossen wurde, was durch das Fehlen des entsprechenden Eintrags im Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen wird (§ 274 Satz 1 StPO). Weiter trägt die Revision vor, dass die Urkunden - wiederum ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls - nicht auf andere Art und Weise, insbesondere nicht durch Verlesung, zum Gegen- stand der Hauptverhandlung gemacht wurden (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt aaO, § 249 Rn. 30). Angesichts der wörtlichen Wiedergabe der mehrseitigen Urkunden war hier der Vortrag entbehrlich, dass die Urkunden auch nicht durch nicht protokollierungspflichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1998 - 3 StR 437/98, NStZ-RR 1999, 107, 108) Vorhalt in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO).
6
Weiteren Vorbringens bedurfte es zur zulässigen Erhebung der Rüge nicht, insbesondere war es weder erforderlich, den gesamten Inhalt des "Urkundenordners" vorzutragen, noch das - teilweise - Einverständnis einzelner Verfahrensbeteiligter mit der Durchführung des Selbstleseverfahrens noch den vollständigen Beschluss der Strafkammer, mit der sie die Anordnung des Vorsitzenden teilweise aufhob und neu fasste: Es kommt für die Prüfung des Verfahrensmangels nicht darauf an, ob sich das Selbstleseverfahren auch auf andere und im Einzelnen welche Urkunden bezog, wie sich Verfahrensbeteiligte dazu stellten und mit welchem genauen Wortlaut die Strafkammer über den Widerspruch des Verteidigers entschied. Entscheidungserheblich für die Verfahrensbeanstandung ist allein, dass die beiden wiedergegebenen Urkunden Bestandteil des Selbstleseverfahrens waren, dass dieses nicht ordnungsgemäß abgeschlossen wurde und dass die Urkunden auch nicht anders in die Hauptverhandlung eingeführt wurden.
7
3. Der Verfahrensverstoß liegt vor: Der Feststellung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO bedarf es zur Kenntlichmachung und zum Hinweis an die Verfahrensbeteiligten , dass der Beweisstoff in Form des Urkundsbeweises, der beim Selbstleseverfahren außerhalb der Hauptverhandlung erhoben wird, dennoch als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne von § 261 StPO der Überzeugungsbildung des Gerichts zu Grunde gelegt werden kann. Dies wird durch die Feststellung und Protokollierung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO beweiskräftig vollzogen. Fehlt - wie hier - der entsprechende Vermerk, so ist die Inbegriffsrüge nach § 261 StPO eröffnet, dass die dem Selbstleseverfahren zugeführten Urkunden als verwertbarer Beweisstoff nicht zur Verfügung standen (BGH, Beschlüsse vom 20. Juli 2010 - 3 StR 76/10, NStZ 2010, 712, 713; vom 4. September 2013 - 5 StR 306/13, NStZ 2014, 224).
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4. Das Urteil beruht auf dem Verfahrensverstoß. Das Landgericht hat die Urkunden, deren vollständige wörtliche Zitierung es für geboten hielt, seiner Entscheidung zugrunde gelegt und ist nur unter ihrer Heranziehung zur Annahme einer Versicherung für fremde Rechnung gelangt, aus der sich letztlich die Ansprüche aus § 46 VVG ergeben haben sollen, die nach Auffassung der Strafkammer einem Beiseiteschaffen durch den Angeklagten im Sinne von § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB entgegenstehen. Der nur durch die Urkunden belegte Abschluss der Versicherung ist damit maßgeblich für den Freispruch.
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Ein Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensmangel entfällt entgegen der von dem Verteidiger des Angeklagten in der Hauptverhandlung geäußerten Rechtsauffassung auch nicht deshalb, weil sich die Anklage auf die Geltendmachung der Entschädigung gegenüber der Versicherung nicht bezogen hätte. Im Anklagesatz ist die Auszahlung der Entschädigungssumme am 25. Januar 2008 ausdrücklich erwähnt und wurde damit Teil des von der Anklage umfassten Lebenssachverhalts; dieser umfasste mithin nicht nur den nach den Feststellungen des Landgerichts rückdatierten und fingierten Sicherungsübereignungsvertrag vom 27. Juli 2007.
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II. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
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1. Der Freispruch begegnet auch in sachlich-rechtlicher Hinsicht durchgreifenden Bedenken, weil die vom Landgericht getroffenen Feststellungen keine tragfähige Grundlage für die Schlussfolgerung boten, die Rechtsstellung der H. Musikproduktionsgesellschaft mbH (im Folgenden: H. Musik), deren faktischer Geschäftsführer der Angeklagte war, sei durch die Erstellung des fingierten, rückdatierten Sicherungsübereignungsvertrags, mit dem das im Eigentum der H. Musik stehenden Inventar einer Diskothek auf die ebenfalls von dem Angeklagten kontrollierte H. Gastronomiebetriebs mbH (im Folgenden: H. Gastro) übertragen wurde, nicht verschlechtert worden. Das Landgericht hat in seiner rechtlichen Würdigung angenommen, dieH. Musik hätte, nachdem das Inventar bei einem Brand der Diskothek vollständig zerstört worden war, ohnehin keinen Anspruch auf Leistungen aus der von der H. Gastro (auch) für fremde Rechnung abgeschlossenen Inventarversicherung gehabt, weil die H. Gastro und die frühere Ehefrau des Angeklagten und Gesellschafterin beider Gesellschaften, B. H. , der H. Musik Darlehen zur Anschaffung von Inventar gewährt hatten, für die keine dingliche Sicherung bestand. Die H. Gastro hätte deshalb Ansprüche gegen die H. Musik in Bezug auf die versicherte Sache gehabt, weshalb sie sich nach § 46 Satz 2 VVG vor der H. Musik und deren Gläubigern aus der Entschädigungssumme hätte befriedigen dürfen.
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Feststellungen zur genauen Höhe, zur Zweckbestimmung und zum Tilgungsstand , zur Laufzeit und zur Fälligkeit der Darlehen im Zeitpunkt des Versicherungsfalls hat das Landgericht indes nicht getroffen, so dass nicht abschließend beurteilt werden konnte, ob sich insoweit Ansprüche "in Bezug auf die versicherte Sache" im Sinne von § 46 Satz 1 VVG ergaben. Ebensowenig lassen die Feststellungen die Prüfung zu, ob der Vereinnahmung der Versicherungsleistung durch die H. Gastro entgegenstand, dass zwischen ihr und der H. Musik infolge der abgeschlossenen Versicherung für fremde Rechnung ein gesetzliches Treuhandverhältnis bestand, das sie als Versicherungsnehmerin verpflichtete, die Versicherungsleistung einzufordern und an die H. Musik als Versicherte herauszugeben (MüKoVVG/Dageförde, 2. Aufl., § 46 Rn. 6 f.), und für das grundsätzlich ein Aufrechnungsverbot wegen eigener Ansprüche bestand (BGH, Urteil vom 29. September 1954 - II ZR 292/53, NJW 1954, 1722, 1723; vgl. auch MüKoVVG/Dageförde aaO, Rn. 11 mwN).
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2. Selbst wenn der H. Gastro wegen der gewährten Darlehen Ansprüche zugestanden haben sollten, die durch die Vereinnahmung der Entschädigungssumme befriedigt wurden, hätte die Strafkammer weiter prüfen müssen, ob nicht in der darin liegenden Rückgewähr gleichwohl ein Beiseiteschaffen von Vermögensgegenständen im Sinne von § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu sehen war:
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a) Wie die Staatsanwaltschaft zu Recht geltend macht, hätten die der H. Musik von der H. Gastro gewährten Darlehen nach der zur Tatzeit geltenden Rechtslage als eigenkapitalersetzende Darlehen im Sinne von § 32a Abs. 1 GmbHG aF zu werten sein können, mit der Folge, dass sie gemäß § 30 Abs. 1 GmbHG aF nicht hätten zurückgewährt werden dürfen. Dass der Angeklagte dies als faktischer Geschäftsführer beider Gesellschaften gleichwohl bewirkte , hätte in diesem Fall den Tatbestand des Beiseiteschaffens im Sinne von § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt (vgl. LK/Tiedemann, StGB, 12. Aufl., § 283 Rn. 34 mwN). Nach der Aufgabe der Interessentheorie (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2012 - 3 StR 118/11, BGHSt 57, 229) stünde einer Strafbarkeit wegen Bankrotts insoweit nicht mehr entgegen, dass die etwaige Rückgewähr der Darlehen gegebenenfalls nicht im Interesse der H. Musik lag.
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b) Der Senat kann offen lassen, ob vorliegend die zwischenzeitlich vorgenommenen Änderungen der Vorschriften des GmbHG bei der Prüfung, welches Gesetz das mildeste im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB ist, zu berücksichtigen wären (dafür wohl etwa LK/Dannecker, 12. Aufl., § 2 Rn. 83 ff.; aA wohl SK-StGB/Rudolphi/Jäger, 144. Lfg., § 2 Rn. 8c mwN). Die maßgeblichen Handlungen nahm der Angeklagte vor, als § 32a GmbHG noch in Kraft und deshalb § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB einschlägig war. Die Vorschriften der §§ 283 ff. StGB sind unverändert geblieben. Zur Beachtlichkeit der geänderten gesellschaftsrechtlichen Vorschriften könnte es vorliegend nur kommen, wenn dadurch die strafrechtliche Rechtslage bei einem Gesamtvergleich des konkreten Einzelfalls eine dem Täter günstigere Beurteilung zuließe (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 24. Juli 2014 - 3 StR 314/13, BGHSt 59, 271, 275). Dies ist indes nicht der Fall. Dazu im Einzelnen:
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Die Rückgewähr der Darlehen unter den genannten Voraussetzungen hätte hier nicht nur den Tatbestand der Gläubigerbegünstigung gemäß § 283c Abs. 1 StGB erfüllt, sondern wäre auch nach aktuell geltendem Recht unter den Tatbestand des Bankrotts nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu subsumieren. Zwar hat der Gesetzgeber durch die Neuregelung der §§ 30 ff. GmbHG mit Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) durch die Einführung von § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG nF geregelt, dass Gesellschafterdarlehen nicht mehr wie Stammkapital zu behandeln sind, weshalb keine grundsätzliche Rückzahlungssperre besteht. Aus § 64 Satz 3 GmbHG folgt indes, dass die Geschäftsführer der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen an die Gesellschafter oder - wie möglicherweise hier - an verbundene Unternehmen, auf die die Gesellschafter einen bestimmenden Einfluss ausüben können (vgl. MüKoGmbHG/Müller, 2. Aufl., § 64 Rn. 187 mwN), verpflichtet sind, wenn solche Zahlungen zur Zahlungsunfähigkeit oder zur Überschul- dung der Gesellschaft führen, oder wenn sie in einer solchen Krise bewirkt werden.
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Soweit aus diesen Regelungen der Schluss gezogen wird, es liege nunmehr bei Gesellschafterdarlehen stets eine Gläubigerstellung im Sinne von § 283c Abs. 1 StGB vor, weshalb ihre Rückgewähr - anders als vor der Streichung von § 32a GmbHG aF - nur noch als Gläubigerbegünstigung, nicht aber als Bankrott nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar sei (LK/Tiedemann aaO, § 283c Rn. 10; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, StGB, 29. Aufl., § 283c Rn. 12; diesen folgend im vorliegenden Verfahren auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens OLG Celle, Beschluss vom 23. Januar 2014 - 2 Ws 347/13, ZInsO 2014, 1668, 1670; siehe auch Bittmann, wistra 2009, 102, 103), erscheint dies zweifelhaft : Auch in anderen Fällen hat die Rechtsprechung unter Geltung des früheren Rechts die Gläubigerstellung eines Gesellschafters im strafrechtlichen Sinne unabhängig von den Regelungen des Kapitalersatzes verneint, etwa bei der Gewährung eines Darlehens durch einen Kommanditisten (BGH, Urteil vom 6. November 1986 - 1 StR 327/86, BGHSt 34, 221, 224 ff.) oder - vor Geltung des § 32a GmbHG aF - des Gesellschafters einer GmbH (BGH, Urteil vom 21. Mai 1969 - 4 StR 27/69, NJW 1969, 1494, 1495). Dahinter steht der Rechtsgedanke, dass die Auslegung des Begriffs des Gläubigers im Sinne von § 283c Abs. 1 StGB ein an den Schutzzwecken der §§ 283, 283c StGB orientiertes Verständnis erfordert. Während § 283c Abs. 1 StGB dafür Sorge tragen soll, dass - bei ungeschmälerter Masse in ihrer Gesamtheit - die Verteilung an die Gläubiger rechtmäßig vorgenommen wird, schützt § 283 Abs. 1 StGB die Masse vor einer Beeinträchtigung ihrer selbst durch Verfügungen des Schuldners. Eine diese Maßgaben berücksichtigende Auslegung kann den Gläubiger- begriff - insoweit abweichend von der zivilrechtlichen Rechtslage - einschränken (LK/Tiedemann aaO, Rn. 11).
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Es kann danach für die Gläubigerstellung im Sinne von § 283c Abs. 1 StGB nicht entscheidend darauf ankommen, ob einem Gesellschafter wegen eines der Gesellschaft gewährten Darlehens eine zivilrechtlich wirksame Rückzahlungsforderung zusteht, zumal es sich insoweit regelmäßig um eine gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangig zu erfüllende Forderung handeln wird. Maßgeblich ist vielmehr, dass es sich bei der Vorschrift des § 283c Abs. 1 StGB um eine Privilegierung gegenüber § 283 StGB handelt, die eingreift, weil ein Schuldner, der in einer an sich den Tatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllenden Weise agiert, milder bestraft werden soll, wenn er sich bloß davon leiten ließ, einen bestimmten Gläubiger durch Befriedigung oder Sicherung von dessen Forderung besonders zu bevorzugen. Wenn der Schuldner hingegen nicht nur (irgend)einen Gläubiger begünstigen, sondern - was hier mit Blick auf die Personenidentität zwischen den Gesellschaftern der H. Musik und der H. Gastro und die alleinige Kontrolle beider Gesellschaften durch den Angeklagten nicht fern liegt - sich selbst oder einem von ihm kontrollierten Unternehmen auf Kosten der Masse einen Vorteil verschaffen will, besteht kein Anlass für eine solche Privilegierung (vgl. BGH, Urteil vom 21. Mai 1969 - 4 StR 27/69, NJW 1969, 1494, 1495). In einem solchen Fall wird nicht lediglich die Verteilungsgerechtigkeit beeinträchtigt, sondern die Masse selbst. Im Ergebnis dürfte deshalb auch nach dem Inkrafttreten der genannten Neureglungen - insbesondere mit Blick auf das Zahlungsverbot in der Krise gemäß § 64 Sätze 1 und 3 GmbHG - die Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens durch den Täter an sich selbst oder eine von ihm kontrollierte andere Gesellschaft bei Vorliegen aller übrigen Tatbestandsvoraussetzungen regelmäßig den Tatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllen, nicht aber den der Gläubigerbegünsti- gung im Sinne von § 283c Abs. 1 StGB (vgl. Maurer/Wolf, wistra 2011, 327, 334; Richter in: Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl., § 84 Rn. 30; NK-StGB-Kindhäuser, 4. Aufl., § 283c Rn. 3).
Becker RiBGH Dr. Schäfer ist erkrankt Gericke und daher gehindert zu unterschreiben. Becker Tiemann Hoch

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.