Bundesgerichtshof Urteil, 25. Apr. 2018 - 2 StR 194/17

bei uns veröffentlicht am25.04.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 194/17
vom
25. April 2018
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes
ECLI:DE:BGH:2018:250418U2STR194.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Verhandlung vom 25. April 2018, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, Zeng, Schmidt,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 26. Oktober 2016 im Strafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und elf Monaten verurteilt. Nach Aufhebung dieses Urteils durch Senatsurteil vom 20. Mai 2015 – 2 StR 455/14 (StV 2017, 9 f.) und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, hat dieses den Angeklagten erneut wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sieben Fällen verurteilt, nunmehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg, im Übrigen ist es unbegründet.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Im Jahr 1996 lernte der Angeklagte die Zeugin I. H. kennen , die verheiratet war und aus deren Ehe die Kinder S. (1985), M. (1987) und J. H. (1990) hervorgegangen waren. Ihre Ehe war von Alkoholmissbrauch durch den Ehemann belastet. Der Angeklagte hielt sich oft in der Ehewohnung auf und übernahm dort Hausmeistertätigkeiten. Anfang 1997 kam es zur Trennung der Eheleute. Am 6. Februar 1997 bezog I. H. mit ihren Kindern eine Wohnung im ersten Obergeschoss eines Wohnhauses, die sie sodann gemeinsam mit dem Angeklagten bewohnte. Etwa zweieinhalb Jahre später mieteten der Angeklagte und I. H. eine Wohnung im zweiten Obergeschoss hinzu. In der Zeit, in welcher sie dort wohnten , kam es zu einer Mehrzahl von sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf die Nebenklägerin J. H. . Dabei manipulierte der Angeklagte an der Scheide der Nebenklägerin und ließ sich von ihr mit der Hand bis zum Samenerguss befriedigen. Die Taten wurden, soweit sie konkretisierbar sind, zwischen Februar 1997 und Oktober 2001 beim gemeinsamen Bad des Angeklagten mit der Nebenklägerin (Taten 1 und 2) oder im Wohnzimmer (Tat 3), im Zeitraum von 1999 bis Oktober 2001 im Kinderzimmer und im Schlafzimmer der Erwachsenen (Tat 4) oder nur im Schlafzimmer der Erwachsenen (Tat 5) sowie im Zeitraum von Februar 1997 bis Oktober 2001 in einem Lastkraftwagen begangen (Taten 6 und 7).
4
2. Im Frühjahr 1999 berichtete die Nebenklägerin erstmals ihrer Mutter von den sexuellen Übergriffen. Diese konfrontierte den Angeklagten mit den Vorwürfen, der jedoch Missbrauchshandlungen abstritt und die Nebenklägerin eindringlich ansah, worauf diese die Anschuldigungen zurücknahm. In den Sommerferien 1999 hielt sich die Nebenklägerin bei ihrer Großmutter auf und äußerte auch dieser gegenüber Missbrauchsvorwürfe gegen den Angeklagten. Die Großmutter informierte ihren Sohn Mi. , der am 6. August 1999 Strafanzeige erstattete. Dadurch erfuhr auch das Jugendamt von den Missbrauchsbehauptungen. Dessen Mitarbeiterin P. wurde bei einem Gespräch in der Familie von M. H. , dem Bruder der Nebenklägerin, darauf hingewiesen , er sei ebenfalls vom Angeklagten missbraucht worden. Das Jugendamt schaltete deshalb die Zeugin Ha. als Fachkraft ein. Beide Kinder wiederholten ihr gegenüber die Missbrauchsvorwürfe. Daraufhin organisierte das Jugendamt eine Therapie für die Kinder bei der Jugendhilfe F. .
5
I. H. glaubte indes an eine Verschwörung gegen den Angeklagten , weil die Großmutter den Angeklagten nicht als ihren Partner akzeptierte. Die Kinder bemerkten, dass ihre Mutter unter der Trennung von dem Angeklagten litt, der aus dem Haus verwiesen worden war. Sie vermissten ihn eben- falls und „entschlossen sich daher auch aufgrund der langjährigen Orientierung am Angeklagten, die Vorwürfe zurückzunehmen und stattdessen zu behaupten, sie seien von ihrer Großmutter instruiert worden, entsprechende Angaben zu machen“.
6
Die Missbrauchsvorwürfe fanden auch Eingang in das familiengerichtliche Verfahren über die Scheidung der Ehe von I. und K. H. und das Recht der elterlichen Sorge. Dort wurde ein psychologisches Gutachten durch die Sachverständige Dipl.-Psych. Dr. Ku. eingeholt. Bei deren Exploration erklärten J. und M. H. , dass es keine Missbrauchshandlungen gegeben habe, sondern ihre Großmutter sie zu entsprechenden Behauptungen aufgefordert habe. Die Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass die Missbrauchsbehauptungen „einer aussagepsychologi- schen Überprüfung nicht standhielten, es aber dennoch viele Hinweise darauf gebe, dass die Zurücknahme der kindlichen Aussagen bewusst falsch von den Kindern getätigt worden sei“. Daraufhin wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten am 29. Februar 2000 eingestellt. Der Angeklagte war im Oktober 1999 in die Wohnung von I. H. zurückgekehrt und setzte danach die sexuellen Übergriffe fort.
7
Aus der Beziehung mit I. H. ging die am 7. Mai 2001 geborene Tochter B. hervor. Kurz vor deren Geburt nahm der Angeklagte auch eine intime Beziehung mit der damals 19-jährigen C. L. (später P. ) auf. Als I. H. davon erfuhr, trennte sie sich vom Angeklagten.

II.

8
Die Revision ist unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet. Jedoch ist der Strafausspruch wegen eines Wertungsfehlers aufzuheben.
9
1. Die Beweiswürdigung unterliegt keinen rechtlichen Bedenken.
10
a) Das Tatgericht ist nicht schon dann aufgrund des Zweifelssatzes an der Verurteilung eines Angeklagten gehindert, wenn „Aussage gegen Aussage“ steht und keine weiteren belastenden Indizien vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158). Wird die Tat vom mutmaßlichen Opfer in einer Zeugenaussage geschildert, kann der Angeklagte auf die- ser Grundlage verurteilt werden, wenn das Tatgericht von der Glaubhaftigkeit der Aussage dieses einzigen Belastungszeugen überzeugt ist. Der Tatrichter muss sich dabei bewusst sein, dass die Aussage dieses Zeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen ist, zumal der Angeklagte in solchen Fällen wenige Verteidigungsmöglichkeiten besitzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können , erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, StV 2017, 367, 368 mwN). Aus den Urteilsgründen muss sich ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. Senat, Urteil vom 22. April 2015 – 2 StR 351/14). Hierbei sind das Gewicht und Zusammenspiel der einzelnen Indizien in einer Gesamtschau zu bewerten (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Juli 2016 – 2 StR 59/16, NStZ-RR 2016, 382; Beschluss vom 4. April 2017 – 2 StR 409/16, StV 2018, 193, 194).
11
b) Den danach an die Sachdarstellung und die Beweiswürdigung zu stellenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil.
12
Insbesondere sind keine Lücken in der Beweiswürdigung oder Erörterungsmängel zu verzeichnen. Das sachverständig beratene Landgericht hat nicht übersehen, dass die Äußerungen der Nebenklägerin nach erstmaliger Erhebung von Missbrauchsvorwürfen wechselnd waren, was es jedoch mit den jeweiligen Gegebenheiten in der Familie erklärt hat. Auch hat es erkannt, dass die Nebenklägerin durch verschiedene Personen aus dem familiären Umfeld, Mitarbeitern des Jugendamts und Sachverständigen im familiengerichtlichen Verfahren sowie im Strafverfahren vielfach mit dem Thema des sexuellen Missbrauchs konfrontiert war. Es hat aber eine suggestive Beeinflussung mit der Folge der Erinnerungsverfälschung rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch, dass das Landgericht dem Aussageverhalten des Bruders der Nebenklägerin im Ergebnis keine Beweisbedeutung beigemessen hat. Die Aussageentstehung und -entwicklung, die Aussagemotivation der Nebenklägerin sowie die Qualität ihrer Angaben hat das Landgericht berücksichtigt. Daraus hat es Hinweise auf die Glaubhaftigkeit der den Angeklagten belastenden Angaben gewonnen, die einzelne Glaubhaftigkeitsbedenken wegen Inkonstanz in Teilbereichen der Angaben sowie Beurteilungsunsicherheiten wegen zwischenzeitlicher Aktenlektüre der Nebenklägerin zurücktreten lassen. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.
13
2. Die Strafzumessung enthält dagegen einen Wertungsfehler, der zur Aufhebung des Strafausspruchs führt.
14
a) Das Landgericht hat „die erheblichen Folgen der Taten für die Nebenklägerin“ bei jeder Einzeltat als Strafschärfungsgrund gewertet. Jedoch sind dem Täter Beeinträchtigungen des Opfers nur mit vollem Gewicht bei den Einzeltaten anzulasten, soweit sie unmittelbare Folge der Einzeltaten sind. Beeinträchtigungen , die sich erst aus der Vielzahl der Taten ergeben, können erst bei der Gesamtstrafenbildung gewichtet werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 22. Juli 2014 – 2 StR 84/14, NStZ-RR 2014, 340, und vom 12. September 2017 – 2 StR 101/17).
15
Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass bereits bestimmte Einzeltaten die Nebenklägerin besonders belastet haben, so dass diese bei den Einzelstrafen uneingeschränkt berücksichtigt werden könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2018 – 5 StR 541/17). Deshalb ist die pauschale Berücksichtigung bei der Bemessung der Einzelstrafen – und erneut bei der Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe – rechtsfehlerhaft.
16
b) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die verhängten Einzelstrafen auf dem Rechtsfehler beruhen. Dies entzieht zugleich der Gesamtstrafe die Grundlage.
17
c) Der zur Aufhebung des Strafausspruchs führende Wertungsfehler betrifft die getroffenen Feststellungen nicht; diese können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
18
d) Bei der neuen Festsetzung der Einzelstrafen ist, was im angefochtenen Urteil hinsichtlich der Einzelstrafen in den Fällen 1 – 5 übersehen wurde, das Verschlechterungsverbot gemäß § 358 Abs. 2 StPO zu beachten.
Appl Krehl Eschelbach Zeng Schmidt

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 25. Apr. 2018 - 2 StR 194/17

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 25. Apr. 2018 - 2 StR 194/17

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 25. Apr. 2018 - 2 StR 194/17 zitiert 2 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Urteil, 25. Apr. 2018 - 2 StR 194/17 zitiert oder wird zitiert von 8 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 25. Apr. 2018 - 2 StR 194/17 zitiert 7 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Sept. 2017 - 2 StR 101/17

bei uns veröffentlicht am 12.09.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 101/17 vom 12. September 2017 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a. ECLI:DE:BGH:2017:120917B2STR101.17.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des G

Bundesgerichtshof Urteil, 22. Apr. 2015 - 2 StR 351/14

bei uns veröffentlicht am 22.04.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 S t R 3 5 1 / 1 4 vom 22. April 2015 in der Strafsache gegen wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. April 2015, an

Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Jan. 2018 - 5 StR 541/17

bei uns veröffentlicht am 09.01.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 5 StR 541/17 vom 9. Januar 2018 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. ECLI:DE:BGH:2018:090118B5STR541.17.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwal

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Apr. 2017 - 2 StR 409/16

bei uns veröffentlicht am 04.04.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 409/16 vom 4. April 2017 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. ECLI:DE:BGH:2017:040417B2STR409.16.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschw

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Jan. 2017 - 2 StR 235/16

bei uns veröffentlicht am 10.01.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 235/16 vom 10. Januar 2017 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. ECLI:DE:BGH:2017:100117B2STR235.16.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Gener

BGH 2 StR 455/14

bei uns veröffentlicht am 20.05.2015

Tenor Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 15. Juli 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juli 2014 - 2 StR 84/14

bei uns veröffentlicht am 22.07.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 S t R 8 4 / 1 4 vom 22. Juli 2014 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 25. Apr. 2018 - 2 StR 194/17.

Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Jan. 2020 - 4 StR 265/19

bei uns veröffentlicht am 14.01.2020

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 265/19 vom 14. Januar 2020 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen ECLI:DE:BGH:2020:140120B4STR265.19.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbund

Referenzen

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 15. Juli 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und elf Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2

1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts lernte der Angeklagte im Jahre 1996 die Zeugin I.   H.       kennen, die verheiratet war und aus deren Ehe die Kinder S.    , M.     und J.     H.       hervorgegangen waren. Die Ehe war von übermäßigem Alkoholkonsum des Ehemanns belastet. Der Angeklagte hielt sich oft in der Ehewohnung auf und übernahm Hausmeistertätigkeiten. Anfang 1997 kam es zu einem Streit zwischen den Eheleuten, der zur Trennung führte. Am 6. Februar 1997 bezog die Zeugin I.   H.     mit den Kindern eine Wohnung im ersten Obergeschoss eines Wohnhauses, die sie gemeinsam mit dem Angeklagten bewohnte. Etwa zweieinhalb Jahre später mieteten der Angeklagte und I.   H.     eine Wohnung im zweiten Obergeschoss des Hauses hinzu und benutzten beide Wohnungen als Einheit. In der Zeit, in welcher der Angeklagte und I.   H.      dort wohnten, kam es zu sexuellen Übergriffen auf die Nebenklägerin J.    H.      . Dabei manipulierte der Angeklagte an der Scheide der Nebenklägerin und ließ sich seinerseits von dieser mit der Hand befriedigen. Diese Taten wurden zwischen Februar 1997 und Oktober 2001 beim gemeinsamen Baden des Angeklagten mit der Nebenklägerin (Fälle III.1. und III.2. der Urteilsgründe) oder im Wohnzimmer (Fall III.3.), im Zeitraum von 1999 bis Oktober 2001 im Kinderzimmer und im Schlafzimmer (Fall III.4.) oder nur im Schlafzimmer der Erwachsenen (Fall III.5.) sowie im Zeitraum von Februar bis Mai 1997 in einem Lastkraftwagen begangen (Fälle III.6. und III.7.).

3

b) Zu den Hintergründen der Entstehung der Missbrauchsvorwürfe gegen den Angeklagten hat das Landgericht Folgendes festgestellt:

4

Im Verfahren um die Scheidung der Ehe von I.   und K.   H.     wurde von der Zeugin I.   H.       der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs der Nebenklägerin und ihres Bruders M.      durch den Angeklagten geäußert. Die Nebenklägerin hatte sich mit ihrer Missbrauchsbehauptung an ihre Mutter gewandt, diese Behauptung aber alsbald wieder zurückgenommen. Nach einer Offenbarung der Vorwürfe gegenüber der Großmutter informierte diese ihren Sohn, der am 6. August 1998 Strafanzeige erstattete. Das Jugendamt erfuhr von M.    H.      , dass der Angeklagte bei ihm "das Gleiche machen würde". I.   H.       vermutete eine Verschwörung ihrer Angehörigen gegen den Angeklagten. Die Kinder bemerkten, dass ihre Mutter unter der Trennung von diesem litt. Sie "entschlossen sich daher, ihre Angaben zurückzunehmen und zu behaupten, sie seien von der Großmutter angehalten worden, entsprechende Angaben zu machen". Sie wurden zur Stabilisierung psychotherapeutisch behandelt. "Zum weiteren Inhalt der Behandlung konnten in der Hauptverhandlung keine Feststellungen getroffen werden".

5

Ende 1999 gingen die Zeugin I.   H.       und der Angeklagte eine intime Beziehung ein, aus der am 7. Mai 2001 die Tochter B.    H.    hervorging. Als I.   H.      sich im Krankenhaus aufhielt, nahm der Angeklagte eine Beziehung mit der Zeugin     P.     auf. Nach Rückkehr aus dem Krankenhaus erfuhr I.   H.     davon und trennte sich vom Angeklagten.

6

In der Folgezeit kam es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen I.   H.       und dem Angeklagten um das Sorgerecht für ihre gemeinsame Tochter B.   . Dabei äußerte die Zeugin I.  H.      den Verdacht, der Angeklagte habe ihre ehelichen Kinder sexuell missbraucht.

7

Aus der Beziehung des Angeklagten mit      P.     gingen vier Kinder hervor, darunter die Tochter Jo.    . Im Jahre 2011 kam es zu einem Strafverfahren wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil dieser Tochter durch den Angeklagten. Dort erklärte die Zeugin I.   H.       , sie wisse nun, dass der Angeklagte mit ihrem Sohn M.     Analverkehr gehabt und an der Nebenklägerin "herumgespielt" habe. Die Nebenklägerin wurde als Zeugin vernommen und bestätigte den Missbrauchsvorwurf. Das Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs zum Nachteil der Tochter Jo.      wurde eingestellt.

8

2. Der Angeklagte hat die Begehung der Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Verurteilung auf die Angaben der Nebenklägerin gestützt. Diese wurden durch Angaben ihres Bruders M.     H.       bestätigt. Dieser hat in der Hauptverhandlung zuerst die Frage nach sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf ihn selbst verneint, bei einer erneuten Vernehmung aber angegeben, es sei in zwei Fällen zur analen Penetration gekommen. Das Landgericht hat angenommen, die erste Aussage sei falsch gewesen; er habe sie aus Sorge gemacht, dass sich "nunmehr auch sein Bruder S.    , mit dem er als einzigem aus der Familie regelmäßig Kontakt pflege, von ihm abwenden würde". Dieser Aussageänderung ist das Landgericht gefolgt.

9

Pseudoerinnerungen der Nebenklägerin an Missbrauchshandlungen hat das Landgericht ausgeschlossen, weil sie keine erhöhte Fantasieproduktivität gezeigt habe und keine psychische Störung vorliege. "Auch die psychotherapeutische Behandlung der Nebenklägerin sei nicht geeignet, Suggestionseffekte zu begründen. Die Behandlung im Jahr 1999 habe stabilisierenden Zielen gedient und nicht der Aufdeckung von Missbrauchsereignissen".

10

Die Aussage des Zeugen S.    H.       sei nicht geeignet, den Angeklagten zu entlasten. Dieser Zeuge habe zwar berichtet, dass "sie, die Kinder, früher dazu gedrängt worden" seien, "etwas `in dieser Richtung zu sagen´". Sexueller Missbrauch sei "eigentlich immer ein Thema in der `Familie´ gewesen". Jedoch habe die Zeugin     F.   davon berichtet, dass S.   H.    ihr vor etwa zehn Jahren mitgeteilt habe, er habe den Angeklagten in der Badewanne sexuell befriedigen müssen.

II.

11

Die Revision gegen dieses Urteil ist begründet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerhaft.

12

Ein Rechtsfehler der Beweiswürdigung kann vorliegen, wenn sie widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Die Beweiswürdigung muss zudem erschöpfend sein. Nach diesem Maßstab bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken gegen das angefochtene Urteil.

13

1. Die Überlegung, die Zeugenaussage der Nebenklägerin werde durch die Angaben ihres Bruders M.    bestätigt, ist lückenhaft.

14

Das Landgericht hat den Vorwurf des Missbrauchs der Nebenklägerin durch die Feststellung eines Missbrauchs zum Nachteil von M.    H.     bestätigt und durch das Bestreiten eines Missbrauchs zum Nachteil von S.   H.      durch diesen Zeugen nicht als widerlegt angesehen. Werden aber Taten zum Nachteil anderer Personen als belastendes Indiz gewertet, kann an den Nachweis solcher Taten im Wesentlichen kein anderer Maßstab angelegt werden, als an den Beweis der Tat, die den eigentlichen Verfahrensgegenstand bildet.

15

Die Taten des Angeklagten zum Nachteil von M.    H.     hat das Landgericht aufgrund der zweiten Vernehmung dieses Zeugen in der Hauptverhandlung festgestellt, weil er dabei seinen Widerruf der früheren Aussage, mit der ein Missbrauch zu seinem Nachteil bestritten worden war, mit einem glaubhaften Aussagemotiv vorgebracht habe. Weder eine Inhaltsanalyse der Aussage noch eine umfassende Untersuchung der Aussageentstehung und -entwicklung hat die Strafkammer vorgenommen. Auch die Plausibilität der Angaben ist im Urteil nicht überprüft worden. So ist bereits eine Tatkonkretisierung dahin, wann, wo und unter welchen Umständen ein Analverkehr des Angeklagten mit dem Zeugen stattgefunden haben soll, nicht erfolgt.

16

2. Soweit das Landgericht die Möglichkeit von Scheinerinnerungen der Nebenklägerin an Missbrauchstaten des Angeklagten ausgeschlossen hat, ist seine Beweiswürdigung ebenfalls lückenhaft.

17

a) Das Landgericht ist der Sachverständigen in der Annahme gefolgt, die psychotherapeutische Behandlung der Nebenklägerin im Jahre 1999 sei nicht geeignet gewesen, Pseudoerinnerungen an einen sexuellen Missbrauch hervorzurufen. Dem widerspricht die Mitteilung im Urteil, dass zum Inhalt der Behandlung keine Feststellungen getroffen werden konnten.

18

b) Auch sonst ist der Ausschluss von Scheinerinnerungen der Nebenklägerin nicht lückenlos erfolgt.

19

Geht ein Psychotherapeut davon aus, dass den Beschwerden einer Patientin verdrängte Erinnerungen zugrunde liegen, kann die Therapie im Versuch der Rückgewinnung solcher Erinnerungen bestehen. Wenn dabei auch nach sexuellem Missbrauch geforscht wird, kann eine Scheinerinnerung daran entstehen (vgl. Köhnken in Müller/Schlothauer [Hrsg.], Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 2. Aufl. § 61 Rn. 24; Mack, Kriminalistik 2014, 459, 461; Steller NJW-Sonderheft für G. Schäfer, 2002, S. 69, 70; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S. 105 ff.). Das Vorliegen von Pseudoerinnerungen kann im Einzelfall nicht durch einen Hinweis auf die Aussagequalität der Zeugenaussagen widerlegt werden. Scheinerinnerungen können nämlich auch Merkmale aufweisen, die Realkennzeichen eines Erlebnisberichts entsprechen (vgl. Steller in Volbert/Steller, Handbuch der Rechtspsychologie, 2008, S. 300, 306; Rolinski in Festschrift für Kühne, 2013, S. 297, 303). Eine sichere Verneinung von Pseudoerinnerungen setzt namentlich voraus, dass entweder suggestive Einflüsse ausgeschlossen werden oder weitere Beweise angeführt werden, mit denen die Richtigkeit der Zeugenaussage belegt werden kann.

20

Der Ausschluss einer Erinnerungsverfälschung war der Strafkammer nicht durch Rekonstruktion des Inhalts der Therapie möglich, weil sie keine näheren Feststellungen dazu treffen konnte. Eine Widerlegung der Suggestionshypothese mit Hilfe der Angaben des Zeugen M.    H.      ist ihrerseits nicht lückenlos erfolgt, zumal dieser ebenfalls psychotherapeutisch behandelt wurde und demselben Einfluss ausgesetzt gewesen sein kann wie die Nebenklägerin.

21

3. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist auch unvollständig, soweit das Landgericht seine Feststellungen zu Tatzeiten und zu dem Ablauf der Aufdeckungsmaßnahmen nicht in Beziehung zueinander gesetzt hat. Nach seinen Feststellungen hat der Angeklagte die abgeurteilten Taten teils vor, teils nach der Äußerung von Missbrauchsvorwürfen gegenüber den Angehörigen der Geschädigten begangen, möglicherweise auch während des Ermittlungsverfahrens. Die Bedeutung dieser Tatsache hat das Landgericht nicht gewürdigt.

22

4. Die genannten Umstände hätten gemeinsam mit den weiteren Tatsachen und Beweisen, die für und gegen die Tatbegehung des Angeklagten sprechen, in einer umfassenden Gesamtschau gewürdigt werden müssen. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass das Landgericht diesem Erfordernis nicht genügend Rechnung getragen hat.

23

Dies wird daraus deutlich, dass das Landgericht der geänderten Aussage des Zeugen M.    H.     zu eigenen Missbrauchserlebnissen gefolgt ist, während es das Bestreiten von Missbrauchshandlungen des Angeklagten durch den Zeugen S.    H.       als unzureichenden Entlastungsbeweis bezeichnet hat. Diese Aussagekonstellationen sind von der Strafkammer weder gemeinsam bewertet noch in einer Gesamtschau damit gewürdigt worden, dass schon in dem frühen Aufdeckungsgeschehen widersprüchliches Aussageverhalten verschiedener Auskunftspersonen zu verzeichnen war. Darin könnten Anzeichen für eine wechselseitige innerfamiliäre Beeinflussung der Zeugen zu sehen sein, die eine besonders vorsichtige Beweiswürdigung gebieten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 579/05, NStZ-RR 2006, 242, 243).

Fischer                   Krehl                       Eschelbach

               Zeng                      Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 235/16
vom
10. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:100117B2STR235.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 10. Januar 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 1. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in jeweils fünf Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in weiteren fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. a) Der Angeklagte lebte seit dem Jahr 2006 zusammen mit seiner Lebensgefährtin und deren Kindern, u.a. mit der am 21. November 2000 geborenen Geschädigten, in einem gemeinsamen Haushalt. Am 7. August 2010 heirateten er und seine Lebensgefährtin.
4
Im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2007 und dem 31. Dezember 2013 berührte der Angeklagte die Geschädigte an fünf verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen im Bereich der Brust, zog sich und dem Kind die Hose aus, manipulierte mit seiner Hand an der unbedeckten Vagina der Geschädigten und berührte sie mit seinem unbedeckten erigierten Glied. „In mehreren Fäl- len“ sagte die Geschädigte zum Angeklagten, „dass es weh tue und dass er das lassen solle. Das führte aber nicht dazu, dass die sexuellen Handlungen aufhör- ten“ (Fälle II. 1. bis 5. der Urteilsgründe).
5
Innerhalb des vorgenannten Zeitraums forderte der Angeklagte das Kind an weiteren vier verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen dazu auf, an ihm den Oralverkehr zu vollziehen. Das Kind leistete den Aufforderungen Folge und nahm den Penis des Angeklagten in den Mund; in einem Fall kam es zum Samenerguss im Mund der Geschädigten, die das Ejakulat „unter“ einen Teppich spuckte. „In den anderen Fällen kam es außerhalb des Mundes des Kindes zur Ejakulation“ (Fälle II. 6. bis 9. der Urteilsgründe).
6
An einem nicht mehr feststellbaren Tag im Zeitraum zwischen dem 1. Dezember 2013 und dem 31. Januar 2014 vollzog der Angeklagte mit der Geschädigten den vaginalen Geschlechtsverkehr; dabei benutzte er ein Kondom. Zu der Geschädigten sagte er danach u.a., dass er sie liebe, es ihr „kleines Geheimnis“ sei und sie es niemandem verraten dürfe (Fall II. 10. der Urteilsgründe

).


7
b) Die Geschädigte offenbarte sich erstmals während ihrer Grundschulzeit , im März 2010, gegenüber einer Freundin, die ihrerseits davon der Hortleiterin erzählte. Die Geschädigte berichtete sodann auch der Hortleiterin und ei- ner weiteren Mitarbeiterin des Hortes „von den sexuellen Übergriffen“. Sodann wurde die Mutter der Geschädigten informiert, die mit ihrer Tochter ins Krankenhaus fuhr. Aufgrund der dort vorgenommenen körperlichen Untersuchungen konnten „sexuelle Übergriffe weder bestätigt noch widerlegt werden“.
8
Die Mutter der Geschädigten spiegelte dieser sodann vor, sie habe den Angeklagten einem Lügendetektortest unterzogen. Ihrer Tochter überreichte sie daraufhin einen Brief mit dem Ergebnis des vermeintlichen Testes, wonach der Angeklagte „100%-ig die Wahrheit gesagt“ und die Geschädigte gelogen habe. Zunächst blieb das Kind dabei, dass seine Angaben zu den sexuellen Übergriffen der Wahrheit entsprochen hätten; etwa zwei bis drei Wochen später, noch im Jahr 2010 vor der Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten, entschuldigte sich die Geschädigte bei dem Angeklagten.
9
In der Folgezeit traten zunehmend gesundheitliche, insbesondere psychische Probleme bei der Geschädigten auf. Sie unternahm Suizidversuche, „woraufhin es zu mehreren stationären Aufenthalten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ kam. Im Jahr 2013 offenbarte sich die Geschädigte einer weiteren Freundin. Der Angeklagte sei des Öfteren zu ihr ins Zimmer gekommen und habe sich nackt zu ihr ins Bett gelegt. Er sei dann mit seinem Glied an sie her- angerückt. Sie habe ihm „einen Blasen“ müssen und es habe auch Geschlechtsverkehr gegeben.
10
Wegen eines Antrags auf Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie kam im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 der von der Geschädigten „bereits in der Grundschulzeit offenbarte sexuelle Missbrauch zur Sprache“, woraufhin die Richterin die Staatsanwaltschaft informierte.
11
c) Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten auch sexuelle Übergriffe zum Nachteil seiner am 24. Januar 2009 geborenen leiblichen Tochter zur Last gelegt. Aufgrund des Ergebnisses einer aussagepsychologischen Begutachtung sei deren allgemeine Aussagetüchtigkeit „noch nicht gegeben“, so dass die Ju- gendkammer insoweit die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat.
12
2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten gestützt. Deren Angaben entsprächen einem tatsächlichen Erleben und seien glaubhaft.

II.

13
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
14
1. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich der sexuellen Übergriffe des Angeklagten hält - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) - sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
15
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, aaO).
Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).
16
Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an dieDarlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. August 2012 - 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656, 657).
17
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter durchgreifenden Erörterungsmängeln.
18
aa) Bereits die Feststellungen und Erwägungen zurAussageentstehung und -entwicklung, die für die Bewertung der Aussage von Geschädigten des sexuellen Missbrauchs von besonderer Bedeutung sind (vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. April 2014 - 5 StR 113/14, NStZ-RR 2014, 219), sind widersprüchlich und lückenhaft.
19
Zwar teilt das Urteil mit, dass sich die Geschädigte bereits im März 2010 ihrer damaligen Freundin offenbart habe. Nach Aussage dieser Zeugin sei zwar das Wort „Vergewaltigung“ nicht gefallen, es seien aber „konkrete Angaben“ zu sexuellen Handlungen (UA S. 7, 13) gewesen, die indes das Landgericht nicht weiter erläutert. An anderer Stelle des Urteils führt das Landgericht hingegen - widersprüchlich - aus, dass diese Zeugin sich in der Hauptverhandlung nicht mehr habe erinnern können, was genau die Geschädigte damals gesagt habe (UA S. 13).
20
Soweit Angaben der Geschädigten gegenüber weiteren Zeugen festgestellt sind, erscheinen diese Angaben gegenüber denjenigen der Geschädigten im Ermittlungsverfahren detailarm und kaum aussagekräftig. Deswegen ist der Schluss des Landgerichts, die Angaben der Geschädigten „zum Kern des Ge- schehens (seien) stets nachvollziehbar und widerspruchsfrei“ (UA S. 15), für den Senat nicht nachvollziehbar, zumal an anderer Stelle festgestellt ist, dass die Angaben der Geschädigten „teilweise widersprüchlich“ sind (UA S. 22). Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - zum Kerngeschehen Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlichrechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).
21
bb) Das Landgericht hat zwar die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte erörtert. Es hat die Offenbarungssituation gewürdigt und erörtert, ob es der Geschädigten möglicherweise nur darum gegangen sein könnte, „bei ihrem leiblichen Vater wohnen zu können oder jeden- falls aus der Wohnung ihrer Mutter auszuziehen“ (UA S. 19), zumal die Ge- schädigte gegen eine Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten gewesen sei. Das Landgericht hat das (mögliche) Motiv für eine Falschbelastung unter anderem mit der Erwägung ausgeschlossen, dass die Geschädigte das Ziel, aus der Wohnung der Mutter auszuziehen, zur Zeit der polizeilichen Vernehmung im Jahr 2014 bereits erreicht habe. Indes übersieht die Jugendkammer, dass sich die Geschädigte zum Zeitpunkt der Erstoffenbarung im März 2010 noch in einer anderen familiären Situation befand, insbesondere weil die Heirat, die erst im August 2010 erfolgte, noch ausstand. Bereits zu einem Zeitpunkt vor der Erstoffenbarung hat sie ihren leiblichen Vater zudem nicht nur regelmäßig besucht sondern „ihrer Mutter mehrfach gesagt, dasssie gerne bei ihrem leiblichen Vater wohnen möchte“ (UA S. 11).
22
Hinzu kommt, dass es - auch nach der Einlassung des Angeklagten - zwischen ihr und ihrem Stiefvater „seit dem Jahr 2008“ (UA S. 10) vermehrt zu Schwierigkeiten und daraus resultierenden Sanktionen gekommen ist. Dass sie „zu ihrer Mutter kein gutes Verhältnis gehabt“ (UA S. 21) habe, erläutert die Ju- gendkammer im Einzelnen nicht näher.
23
cc) Ein Erörterungsmangel liegt schließlich auch darin, dass das Landgericht sich nicht näher damit auseinandergesetzt hat, dass die Geschädigte, „in der Folgezeit“ (UA S. 5, 9) wegen Suizidversuchen mehrfach in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen worden war und der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 wegen eines Antrags auf (erneute) Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie von der Geschä- digten „zur Sprache“ kam. Offen bleibt schon, ab wann und welche psychischen Probleme bei der Geschädigten auftraten, wann, warum und von welcher Art die Suizidversuche gewesen sind, und wie lange die jeweiligen stationären Aufenthalte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie dauerten. Inwieweit die jeweiligen Aussagen der Geschädigten, die zudem von einer Zeugin als Mädchen be- schrieben wird, das „immer habe auffallen wollen und Wert darauf gelegt habe, im Mittelpunkt zu stehen“ (UA S. 7) und auch „nicht immer die Wahrheit gesagt habe“ (UA S. 14), von diesen „psychischen Problemen“ bzw. von - ebenfalls nicht näher ausgeführten - „Verhaltensauffälligkeiten“ (UA S. 20) geprägt sein könnten, erschließt sich dem Senat mangels näherer Erörterung durch das Landgericht nicht.
24
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der sachlich-rechtlichen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. VRiBGH Prof. Dr. Fischer Eschelbach Zeng ist krankheitsbedingt an der Unterschrift gehindert. Eschelbach Bartel Grube

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 3 5 1 / 1 4
vom
22. April 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. April
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl
als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Eschelbach,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Bartel,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 21. Mai 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine dagegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts lebte und arbeitete die Nebenklägerin T. als Kellnerin in B. . Den Vorschlag der ebenfalls als Kellnerin tätigen Zeugin Bo. , einer Freundin des Angeklagten, ebenso wie sie selbst gelegentlich in Deutschland der Prostitution nachzugehen, um mehr Geld zur Verfügung zu haben, wies die Nebenklägerin zurück.
3
Im Oktober 2011 reiste der Angeklagte mit seinen Begleiterinnen Kar. und Bo. nach Deutschland. In A. wohnten sie bei dem Barbetreiber Ü. , der Wohnungen u. a. an R. und B. vermietete , von denen einige der Prostitution nachgingen.
4
Zur gleichen Zeit berichtete der gesondert verfolgte Ka. in B. der Nebenklägerin wahrheitswidrig, in Deutschland eine Schwester zu haben, die ein Restaurant betreibe und gegen gute Bezahlung eine Kellnerin suche. Im Vertrauen darauf reiste die Nebenklägerin mit Ka. , der für sie die Reisekosten verauslagte, nach K. . Dort offenbarte ihr dieser, keine Schwester in Deutschland zu haben. Viemehr solle die Nebenklägerin, was mit dem Angeklagten abgesprochen sei, der Prostitution nachgehen. Der sich weigernden Nebenklägerin erklärte er, dass sie ihm jetzt Geld schulde, und er den Angeklagten verständigen werde. Wenig später erschien dieser mit seinen Begleiterinnen Bo. und Kar. in K. und verbrachte die Nebenklägerin in die Wohnung im Hause des Zeugen Ü. , die er dort bewohnte. Spätestens jetzt war der Angeklagte entschlossen, die Hilflosigkeit der lediglich bulgarisch und etwas russisch sprechenden Nebenklägerin, die darin bestand, dass sie in einem für sie fremden Land ohne Sprachkenntnisse, Geld, Arbeitsmöglichkeiten und Kontakte war, auszunutzen, um sie zu seinem finanziellen Vorteil in Deutschland der Prostitution zuzuführen. Ob der Zeuge Ka. und der Angeklagte zuvor vereinbart hatten, die Zeugin T. unter wahrheitswidrigen Angaben nach Deutschland zu lotsen, konnte die Kammer nicht feststellen.
5
Weil sich die Nebenklägerin zunächst weigerte, drohte er ihr damit, dass andernfalls "etwas Schlimmes" passieren würde. Gleichzeitig nahm er ihren Pass an sich, um sie an einer Flucht zu hindern. Zudem verlangte der Angeklagte , die Nebenklägerin müsse sich auf eine Beziehung zum Zeugen Ü. einlassen, der ihm dafür im Gegenzug seine bei diesem bestehenden Schulden erlassen werde. Die Nebenklägerin, die miterlebt hatte, wie der Angeklagte die Zeugin Bo. mehrfach geschlagen hatte, gehorchte aus Angst, zumal der Zeuge Ü. ihr gegenüber freundlich auftrat und ihr neben einem Mobiltelefon auch Münzen zur Verfügung stellte, um an den Automaten in seiner Bar zu spielen.
6
In der Zwischenzeit reiste Ka. wieder ab. Sein Angebot, mit nach B. zu kommen, lehnte die Nebenklägerin ab, da sie von Ka. , der ihr Vertrauen missbraucht hatte, keine Hilfe erwartete, sondern eine weitere Ausnutzung ihrer hilflosen Lage befürchtete.
7
Kurz darauf brachte der Angeklagte die Nebenklägerin zur Ausübung der Prostitution mit einer kurzen Unterbrechung nacheinander in zwei von dem Zeugen Ü. ausgewählte Bars. Er fuhr sie täglich zwischen 16 und 18 Uhr dorthin, um sie morgens zwischen 5 und 7 Uhr wieder abzuholen. Die Hälfte ihres Verdienstes musste die Nebenklägerin der Barfrau überlassen, die andere Hälfte dem Angeklagten. Um sicherzugehen, dass die Nebenklägerin arbeitete und um die Zahl der von ihr bedienten Freier zu kontrollieren, riefen der Angeklagte und Ü. die Nebenklägerin regelmäßig auf ihrem Mobiltelefon an. Da der Angeklagte mitunter der Meinung war, dass die Nebenklägerin nicht ausreichend Kunden bedienen bzw. heimlich Geld nach B. schicken würde, schlug er sie bei zwei Gelegenheiten in den Rücken, ohne dass dies zu sichtbaren Verletzungen führte.
8
Nachdem sich der Angeklagte Mitte Dezember 2011 mit dem Zeugen Ü. überworfen hatte und von diesem Repressalien fürchtete, kehrte er mit sei- nen Begleiterinnen Bo. und Kar. nach B. zurück. Das Angebot der beiden Frauen, mitzukommen, lehnte die Nebenklägerin ab, weil sie befürchtete, der Angeklagte würde ihr auf der Fahrt etwas antun und es deshalb das geringere Übel wäre, bei dem Zeugen Ü. zu bleiben, der sie allerdings in der Folgezeit nicht mehr zur Prostitution zwang. Im Februar 2012 gelang der Nebenklägerin die Flucht zu einer in Belgien lebenden Cousine.

II.

9
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensrüge nicht mehr ankommt.
10
1. Die den Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung der Kammer hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatgerichts; der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt aber, ob dem Tatgericht dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2004, 238; 2005, 147, NJW 2006, 925, 928). In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe zudem erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 13 und 14). Aus den Urteilsgründen muss sich schließlich auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11; Beweiswürdigung, unzureichende 1; BGH NStZ 2002, 48; NStZ-RR 2004, 238). Diesen Anforderungen genügt die landgerichtliche Beweiswürdigung nicht.
11
a) Das Landgericht hat die Verurteilung allein auf die Angaben der Nebenklägerin gestützt, die sie für glaubwürdig erachtet hat, weil sie den Sachverhalt - auch im Vergleich zu ihren Vernehmungen im Ermittlungsverfahren - durchgehend konstant, in sich widerspruchsfrei sowie auch insgesamt schlüssig und nachvollziehbar geschildert hatte. Nähere Einzelheiten hierzu - über die Mitteilung der landgerichtlichen Einschätzung hinaus - enthalten die Urteilsgründe nicht. Ohne Kenntnis aber von der Entstehungsgeschichte der Aussage und den Einzelheiten der Angaben der Zeugin im Ermittlungsverfahren kann der Senat, insbesondere in einem Fall, in dem dies wie in einer Aussage-gegenAussage -Konstellation besonders geboten ist, die Würdigung der den Angeklagten belastenden Aussage durch die Strafkammer nicht nachvollziehen.
12
b) Das Landgericht hat sich nach der knappen Würdigung der Angaben der Nebenklägerin mit einer Reihe von Umständen auseinandergesetzt, die der Überzeugungskraft ihrer Darlegungen entgegenstehen könnten. Es ist dabei zu der Überzeugung gelangt, dass etwa die Ablehnung des jeweiligen Angebots des Zeugen Ka. bzw. der Zeuginnen Bo. und Kar. , mit ihnen nach B. zurückzufahren, keinen Einfluss auf die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin hat, durch den Angeklagten (auch) mit Gewalt zur Prostitution gezwungen worden zu sein. Auch den Bekundungen der Zeugin Bo. , die berichtet hatte, die Nebenklägerin habe in ihrem Beisein angegeben , mit dem Zeugen Ka. nach Deutschland gekommen zu sein, um der Prostitution nachzugehen, hat sie keine Bedeutung für die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin beigemessen.
13
Es mag dahinstehen, ob die Strafkammer jeden dieser Umstände mit tragfähiger Begründung als unbeachtlich angesehen hat. Jedenfalls fehlt es - über die isolierte Bewertung dieser Umstände hinaus - an einer umfassenden Gesamtwürdigung, bei der sämtliche für und gegen die Täterschaft des Angeklagten sprechenden Umstände gegeneinander hätten abgewogen werden müssen.
14
2. Diese Mängel der landgerichtlichen Beweiswürdigung führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass im Hinblick auf das Merkmal der auslandsspezifischen Hilflosigkeit der Umstand, dass die Nebenklägerin über ein Telefon verfügte und damit womöglich Hilfe hätte herbeirufen können, um ihren Aufenthalt in Deutschland zu beenden, gegebenenfalls der Erörterung bedarf.
Krehl Eschelbach Ott
Zeng Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 409/16
vom
4. April 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:040417B2STR409.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. April 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 31. Mai 2016 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit er verurteilt wurde. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen
1
wegen Vergewaltigung in vier Fällen, sexueller Nötigung und vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Außerdem hat es angeordnet, dass drei Monate der Gesamtfreiheitsstrafe als bereits vollstreckt gelten. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit Verfahrensrügen und der Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel ist begründet.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es ab dem Jahr 2007
2
zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf seine Ehefrau, die Nebenklägerin. An einem nicht näher bestimmten Tag zwischen März 2007 und August 2011 waren der Angeklagte und die Nebenklägerin zunächst einvernehmlich intim. Der Angeklagte wünschte dann auch Oralverkehr, den seine Ehefrau ablehnte. Gegen ihren Willen drückte er ihre Beine auseinander und begann damit , an ihr den Oralverkehr durchzuführen. Den Versuch der Zeugin, sich aufzurichten , wehrte er ab, indem er sie mit den Händen nach hinten drückte. Er hielt sodann ihre Hände fest und drang mit seiner Zunge in ihre Vagina ein (Fall 5 der Anklageschrift). Im gleichen Zeitraum kam es mindestens bei einer Gelegenheit dazu,
3
dass der Angeklagte die Hand der Nebenklägerin nahm und diese an sein Geschlechtsteil drückte. Sie versuchte, ihre Hand wegzuziehen, was ihr aber nicht gelang, weil der Angeklagte diese festhielt. Sodann rieb er mit der von ihm festgehaltenen Hand der Nebenklägerin bis zum Samenerguss an seinem Penis (Fall 4 der Anklageschrift). Etwa im Jahr 2008 fertigte der Angeklagte unbemerkt intime Fotos vom
4
Genitalbereich der Nebenklägerin an. Als sie diese Fotos im März oder April 2009 auf der Kamera entdeckte und ihn darauf ansprach, warf er sie aus Wut gegen einen Türrahmen. Sie wurde dadurch für kurze Zeit bewusstlos (Fall 8 der Anklageschrift). In zumindest jeweils einem Fall ab dem Jahr 2010 drang der Angeklag5 te mit einem Finger und bei einer anderen Gelegenheit mit der ganzen Hand in die Vagina der Nebenklägerin ein. Als sie sich zu wehren versuchte, überwand er ihren Widerstand mit überlegener Kraft (Fälle 6 und 7 der Anklageschrift).
6
An einem Tag um den 19. August 2011 wollte die Nebenklägerin nicht mit dem Angeklagten sexuell verkehren. Er kniete sich auf ihre Oberarme und führte seinen Penis in ihren Mund ein. Dabei hielt er den Kopf der Nebenklägerin mit einer Hand an ihren Haaren fest und stützte sich mit der anderen Hand am Bettrahmen ab. So erzwang er den Oralverkehr bis zum Samenerguss in ihr Gesicht (Fall 2 der Anklageschrift). Unmittelbar vor dem 40. Geburtstag der Nebenklägerin am 26. Mai
7
2012 stieß der Angeklagte diese im Rahmen eines Streits mit Wucht gegen den Backofen in der Küche. Sie trug ein Hämatom davon (Fall 9 der Anklageschrift).

II.

Entgegen der Auffassung der Revision liegt kein Verfahrenshindernis
8
vor. Die Tatumgrenzungsfunktion der Anklageschrift ist noch gewahrt. 1. Die Anklageschrift hat die Aufgabe, den Verfahrensgegenstand im
9
Sinne von § 151 StPO zu kennzeichnen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 1994 - 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45; Urteil vom 29. Juli 1998 - 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 154 f.; Senat, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10, BGHSt 56, 183, 185). Sie bestimmt dadurch mittelbar auch den Umfang der Rechtskraft eines späteren Urteils und dient der Verhinderung einer Mehrfachverfolgung des Angeklagten wegen derselben Tat (Art. 103 Abs. 3 GG). § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO nennt Tatzeit und Tatort als Konkretisierungsmerkmale; jedoch stehen diese Merkmale nicht allein. Andere Umstände, insbesondere Einzelheiten der Tatbegehung, dienen ebenfalls der Tatkonkretisierung. Tatzeit und Tatort als Umgrenzungsmerkmale können dadurch ergänzt oder ersetzt werden. Ihr Fehlen oder ihre Unbestimmtheit ist nicht schon für sich genommen ein we- sentlicher Anklagemangel. Maßgeblich ist vielmehr, ob der historische Geschehensablauf mit der Gesamtheit der mitgeteilten Umgrenzungsmerkmale noch ausreichend gekennzeichnet ist. 2. Diesen Anforderungen genügt die Tatschilderung in der Anklage10 schrift noch ausreichend. Als Fall 5 der Anklageschrift wurde ein Fall des erzwungenen Oralver11 kehrs zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, der sich durch Auseinanderdrücken der Beine der Ehefrau und Eindringen des Angeklagten mit der Zunge in ihre Vagina von anderen Taten unterscheidet. Insoweit ist er hinreichend konkretisiert, obwohl der in der Anklageschrift genannte Zeitraum, innerhalb dessen diese Tat begangen worden sein soll, sich über mehrere Jahre erstreckt. Der weitere Fall eines erzwungenen Oralverkehrs (Fall 2 der Anklageschrift ) lag nach dem Anklagesatz kurze Zeit vor dem 19. August 2011. Er ist durch die genauere Feststellung des Tatzeitpunkts und die andersartige Begehungsweise mit einem Eindringen mit dem Penis in den Mund der Nebenklägerin von anderen Taten abgegrenzt. Bei den Fällen des erzwungenen Handverkehrs (Fall 4 der Anklage12 schrift), des Einführens eines Fingers in die Scheide und des Einführens der ganzen Hand in die Vagina (Fälle 6 und 7 der Anklageschrift) handelt es sich um unterschiedliche Verhaltensweisen, die jeweils mehrfach vorgekommen sein können, aber im Zweifel zugunsten des Angeklagten als Einzelfälle zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden. Eine weitere Strafverfolgung wegen vergleichbarer Taten im beschriebenen Rahmen wird dadurch im Zweifel gemäß Art. 103 Abs. 3 GG ausgeschlossen. Die angeklagten und abgeurteilten Körperverletzungstaten sind durch
13
die jeweilige Handlungsweise sowie durch den Tatanlass nach Entdeckung der intimen Fotos durch die Ehefrau (Fall 8 der Anklageschrift) beziehungsweise die Tatzeit „kurz vor dem 25.08.2012“ (Fall 9 der Anklageschrift) unterscheidbar dargestellt worden.

III.

Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält sachlich-rechtlicher Über14 prüfung nicht stand. Dies zwingt zur Urteilsaufhebung, soweit der Angeklagte verurteilt wurde. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es danach nicht mehr an. 1. In Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, ist eine beson15 ders sorgfältige Gesamtwürdigung aller Umstände durch das Tatgericht erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 - 1 StR 700/13; Senat, Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 und Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16). Seine Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass es alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. Senat, Urteil vom 22. April 2015 - 2 StR 351/14). Hierbei sind das Gewicht und Zusammenspiel der einzelnen Indizien in einer Gesamtschau zu bewerten (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Juli 2016 - 2 StR 59/16, NStZ-RR 2016, 382). 2. Den hiernach an die Beweiswürdigung zu stellenden besonderen An16 forderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte
17
durch sein Verhalten verhindert, dass die Nebenklägerin nach Ende des Mut- terschutzes ihre Arbeit bei der Volksbank wieder aufnehmen konnte. Sie hatte weder eigenes Einkommen noch Einblick in die ehelichen Finanzen. Ihr war es „zunehmend peinlich“, dass sie den Angeklagten um Geld bitten musste, um neue Kleidung kaufen zu können. In den Phasen, in denen das eheliche Sexualleben ruhte, weil die Nebenklägerin nach der Geburt der Kinder sexuelle Handlungen ablehnte, unterhielt der Angeklagte außereheliche Beziehungen, wovon die Nebenklägerin erfuhr. Ab Mai 2013 hatte sie selbst eine Liebesbeziehung mit dem Zeugen L. aufgenommen und war zeitweilig mit diesem nach F. gezogen. Am 15. Juni 2013 hatte der Angeklagte das Pferd „D. “ verkauft, ohne mit der Nebenklägerin darüber gesprochen zu haben. Wegen des nicht näher erläuterten Geschehens in diesem Zusammenhang hatte sie gegen ihn Strafanzeige erstattet, wonach sie anschließend gefragt wurde, „ob noch etwas vorgefallen sei“. Erst dann hatte sie erstmals gegenüber den Ermittlungsbehörden von sexuellen Übergriffen des Angeklagten berichtet. Das Landgericht hat angenommen, die Aussagen der Nebenklägerin
18
seien von so hoher Qualität, dass sie nicht in der Lage gewesen wäre, ihre Anschuldigungen so vorzutragen, wenn diese nicht erlebnisbasiert wären. Zudem sei Aussagekonstanz festzustellen. Soweit abweichende Angaben gemacht worden seien, beträfen diese nur Randgeschehen. Indem die Nebenklägerin von langem Duschen nach der Vergewaltigung gesprochen habe, habe sie über deliktstypisches Opferverhalten nach der Tat berichtet. Ihre Angaben dazu, dass auch einvernehmlicher Geschlechtsverkehr stattgefunden habe, seien teilweise entlastende Aussageelemente. Keine der strafbaren Handlungen sei von der Nebenklägerin dramatisierend beschrieben worden. Für eine Falschaussage habe kein Motiv vorgelegen. Ein mögliches Motiv, das alleinige Sorgerecht für die Kinder zu erhalten und den Angeklagten beruflich oder finanziell zu schädigen, würde völlig außer Verhältnis zu den massiven Tatvorwürfen stehen. Das Aussageverhalten der Nebenklägerin spreche nicht nur gegen eine „auswendig gelernte Falschaussage“, sondern auch gegen eine falsche Erinne- rung. Soweit die Nebenklägerin in der Kur erstmals einer „Präventologin“ von sexuellen Übergriffen ihres Ehemanns berichtet habe, sei eine Überlagerung ihrer Erinnerungen durch therapeutische Prozesse auszuschließen; dafür gebe es keine Anhaltspunkte. Damals sei die Nebenklägerin auch noch nicht endgültig zur Trennung von ihrem Ehemann entschlossen gewesen.
b) Diese Erwägungen sind lückenhaft.
19
aa) Was die Nebenklägerin im Einzelnen im Vorverfahren und in der
20
Hauptverhandlung ausgesagt hat, wird im Urteil nicht mitgeteilt. Daher kann die Annahme einer Aussagekonstanz, die erhebliche Beweisbedeutung haben soll, vom Senat nicht nachgeprüft werden. In Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, muss auch eine Aussage der Geschädigten bei der Polizei in das Urteil mit aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts die rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung verwehrt ist (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Juli 2014 - 2 StR 94/14, NStZ 2014, 667, 668). Das Landgericht hat die Angaben der Nebenklägerin bei der Polizei im Urteil jedoch nicht dargestellt. Die Mitteilung bereits des Anzeigenanlasses und der dabei gemachten
21
Angaben wäre erforderlich gewesen, um nachvollziehen zu können, warum die Nebenklägerin ein Geschehen im Zusammenhang mit dem Verkauf des Pferdes zum Anlass für eine Strafanzeige genommen, aber die Sexualdelikte zu- nächst nicht erwähnt hat. Mit der „Erfahrung der Kammer“, dass Sexualstrafta- ten im Rahmen von Beziehungen oft erst spät zur Anzeige gebracht werden, ist dieser Ablauf nicht zu erklären. bb) Die Annahme des Landgerichts, die Aussagequalität sei derart
22
hoch, dass die Nebenklägerin nicht in der Lage gewesen wäre, diese Angaben zu erfinden, ist in dieser Allgemeinheit nicht nachzuvollziehen. Der in zwei Varianten beschriebene Oralverkehr als „modus operandi“ erscheint nicht als derart komplexes Verhalten, dass eine unzutreffende Schilderung ohne Erlebnisbezug bereits wegen des Aussageinhalts ausgeschlossen wäre. Die wiederholte Wiedergabe eines solchen Geschehens lässt auch für sich genommen keine besondere Aussagekonstanz erkennen, zumal eine Vielzahl weiterer sexueller Übergriffe behauptet wurde, die von der Nebenklägerin nicht konkretisiert werden konnten. cc) Soweit das Landgericht darauf verwiesen hat, das sprunghafte Aus23 sageverhalten der Nebenklägerin spreche gegen eine auswendig gelernte oder aus anderer Quelle konstruierte Aussage, legt es einen Erfahrungssatz zugrunde , der nicht existiert. dd) Besondere Bedeutung kommt in der vorliegenden Fallkonstellation
24
der Frage nach einem möglichen Motiv für falsche Angaben zu. Diese Frage hat das Landgericht nicht lückenlos beantwortet. Die Annahme, allein ein Interesse an der Erlangung des alleinigen Sor25 gerechts für die ehelichen Kinder oder ein Rachemotiv wegen ehelichen Fehlverhaltens des Angeklagten wäre wegen Unverhältnismäßigkeit nicht ausreichend , um ein Falschbelastungsmotiv der Nebenklägerin zu begründen, greift zu kurz. Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass der Wunsch nach Erlangung des alleinigen Sorgerechts nicht ausreichend sein könnte, um eine Falschbelastungsmotivation zu entwickeln. Zudem wäre hier zu berücksichtigen , dass die Tochter der Nebenklägerin und des Angeklagten als derart stark belastet beschrieben wurde, dass sie Selbstmordgedanken geäußert habe. Daraus könnte sich ein verstärktes Interesse der Nebenklägerin an der Erlangung des alleinigen Sorgerechts ergeben haben.
26
Schließlich steht dieses Interesse nicht allein. Es könnten zugleich finanzielle Interessen der Nebenklägerin angesichts der Tatsache, dass sie nicht über eigene Einkünfte verfügt, mit zu berücksichtigen sein. Ferner könnte Verärgerung der Nebenklägerin wegen der außerehelichen Beziehungen des Angeklagten eine ergänzende Rolle gespielt haben. Das Zusammentreffen mehrerer Gründe für eine unzutreffende Belastung des Angeklagten könnte dem Motivbündel ausreichendes Gewicht verliehen haben. ee) Der neue Tatrichter wird auch den Ursprung der Belastung des An27 geklagten durch Erstoffenbarung gegenüber der „Präventologin“ näher zu prü- fen haben. Der Hinweis auf das Fehlen bekannter Anhaltspunkte für einen sugges28 tiven Einfluss reicht nicht aus, wenn der Anlass, der Gegenstand sowie die Art und Weise der therapeutischen Maßnahmen nicht mitgeteilt werden und das Urteil offenlässt, wie sich die Nebenklägerin dabei geäußert hat (vgl. zur möglichen aussagepsychologischen Bedeutung therapeutischer Maßnahmen Senat, Urteil vom 20. Mai 2015 - 2 StR 455/14, StV 2017, 9, 10; Köhnken in Müller /Schlothauer [Hrsg.], Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 2. Aufl., § 61 Rn. 24; Mack, Kriminalistik 2014, 459, 461; Steller, NJWSonderheft für G. Schäfer, 2002, S. 69, 70; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S. 105 ff.). Die Überlegung, die Nebenklägerin sei zu jener Zeit noch nicht endgültig zur Trennung vom Angeklagten entschlossen gewesen , überbrückt diese Lücke nicht ausreichend, da die Nebenklägerin seit ihrer Kur jedenfalls schon eine außereheliche Beziehung gepflegt hat. Appl Krehl Eschelbach Zeng Grube

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 8 4 / 1 4
vom
22. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. Juli 2014 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 25. November 2013 im gesamten Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Rechtsmittel des Angeklagten führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist es unbegründet.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts öffnete der Angeklagte an einem nicht genau feststellbaren Tag im Sommer 2012, jedenfalls aber einem Freitag nach dem 10. August 2012, mit einer Hand die Jeans der am 22. Juli 2003 geborenen Nebenklägerin, fasste ihr sodann in ihre Unterhose zwischen die Beine und streichelte ihre Scheide. Dann führte er für etwa zehn bis dreißig Sekunden einen Finger in die Scheide des Mädchens ein. Am Abend desselben Tages öffnete er erneut ihre Jeans, drang wiederum mit einem Finger in ihre Scheide ein, ließ aber von der Geschädigten ab, als sie zu ihm sagte, dass sie das nicht wolle. Am 14. Dezember 2012 begab sich der Angeklagte in das Schlafzimmer der Nebenklägerin, legte sich zu ihr und fasste ihr zwischen die Beine, wobei er erneut mit einem Finger in ihre Scheide eindrang. Als sie zum Ausdruck brachte, dass sie das nicht wolle, hörte er wiederum sofort auf.
3
2. Die auf eine Verletzung des „§ 244 Abs. 2 bis 4 StPO“ gestützte Verfahrensrüge ist aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 6. März 2014 jedenfalls unbegründet. Darüber hinaus hat die Überprüfung des Schuldspruchs auf die Sachrüge keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt. Auch insoweit nimmt der Senat auf die Ausführungen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 6. März 2014 Bezug.
4
3. Der Strafausspruch hält jedoch sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Bei der Zumessung der Einzelstrafen hat die Strafkammer „mit vollem Gewicht strafschärfend“ berücksichtigt, „dass diese bei der Geschädigten nicht unerhebliche konkrete Tatfolgen verursacht haben – wobei diese zwar erst nach der dritten Tat nach außen getreten sind, aber davon auszugehen ist, dass hier die Erfahrungen aller drei Übergriffe zusammenwirken“.
5
Diese Erwägung ist rechtsfehlerhaft. Mit ihrem vollen Gewicht können psychische Schäden bei der Bemessung einzelner Strafen nur in Ansatz gebracht werden, wenn festgestellt ist, dass sie die unmittelbare Folge gerade dieser Taten sind, nicht aber in gleicher Weise auch bei der Bemessung sämtlicher anderer Einzelstrafen. Sind die psychischen Schäden dagegen Folge aller Taten, wovon die Strafkammer hier offenbar ausgeht, so können sie dem An- geklagten nur einmal, nämlich bei der Gesamtstrafenbildung, angelastet werden (BGH, Beschlüsse vom 13. November 1997 – 4 StR 539/97, NStZ-RR 1998, 107 f. und vom 20. Juli 1993 – 4 StR 316/93; Senatsurteil vom 9. Juli 2014 – 2 StR 574/13 mwN).
6
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne die rechtsfehlerhafte Strafzumessungserwägung, der sie zu Lasten des Angeklagten bei der Bemessung aller Einzelstrafen besonderes Gewicht beigemessen hat, zu niedrigeren Einzelstrafen gelangt wäre. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.
Fischer Schmitt RiBGH Prof. Dr. Krehl ist an der Unterschrift gehindert. Fischer Eschelbach Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 101/17
vom
12. September 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:120917B2STR101.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12. September 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 23. November 2016 im Strafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer - Jugendschutzkammer - des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in sechs Fällen, davon in zwei Fällen tateinheitlich mit schwerem sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen.
2
Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
4
2. Der Strafausspruch hält insgesamt sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Bei der Zumessung der sechs Einzelstrafen (Einzelfreiheitsstrafen zwischen einem Jahr und sechs Monaten und drei Jahren) hat das Landgericht jeweils die von ihm festgestellten Tatfolgen für die Nebenklägerin zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt. Es hat darüber hinaus bei der Bildung der Gesamtstrafe erneut die Folgen bedacht, unter denen die Nebenklägerin noch heute psychisch leidet.
5
Die bisherigen Feststellungen, namentlich die näheren Ausführungen zu den seelischen Beeinträchtigungen und Verhaltensauffälligkeiten der Nebenklägerin (UA S. 14 ff.), belegen jedoch nicht, dass sich diese Folgen bei dem Mädchen bereits infolge jeder einzelnen Tat eingestellt haben. Vielmehr zeigten sich die Auffälligkeiten erst nach dem Ende aller sexuellen Übergriffe durch den Angeklagten.
6
Vor diesem Hintergrund erweist sich jedenfalls die Berücksichtigung der gesamten Tatfolgen für die Nebenklägerin bei jeder Einzelstrafe als rechtsfehlerhaft. Sind die festgestellten psychischen Schäden Folgen aller Taten, so können sie dem Angeklagten bei der Gesamtstrafenbildung angelastet werden. Sind sie dagegen unmittelbare Folge allein einzelner Taten, so können sie mit ihrem vollen Gewicht nur in diesen Fällen, nicht aber in gleicher Weise auch bei der Bemessung sämtlicher anderer Einzelstrafen und bei der Gesamtstrafenbildung in Ansatz gebracht werden (Senat, Beschlüsse vom 22. Juli 2014 - 2 StR 84/14, NStZ-RR 2014, 340, 341; vom 9. Juli 2014 - 2 StR 574/13, NStZ 2014, 701 mwN).
7
3. Der zur Aufhebung des Strafausspruchs führende Wertungsfehler betrifft die getroffenen Feststellungen nicht; diese können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
Appl Krehl Zeng Grube Schmidt

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 541/17
vom
9. Januar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:090118B5STR541.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. Januar 2018 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. Juli 2017 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch Schutzbefohlener und mit gefährlicher Körperverletzung in 13 Fällen, wegen Nötigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch Schutzbefohlener, sowie wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch Schutzbefohlener und mit gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Von der Gesamtfreiheitsstrafe hat es aufgrund rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung sechs Monate als vollstreckt erklärt. Die gegen das Urteil gerichtete und auf eine Verfahrensrüge sowie die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
Der ergänzenden Erörterung bedarf nur Folgendes:
3
1. Die durch den Beschwerdeführer erhobene Verfahrensrüge betreffend eine „Verletzung des § 273 Abs. 3 StPO“ ist bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Denn der Beschwerdeführer hat vorgetragen, der Angeklagte habe die Taten in Annahme einer Verständigung „ohne nähere Ausführungen zum eigentlichen Tatgeschehen durch ein kurzes Pauschalgeständnis“ eingeräumt. Dieser Vortrag ist wahrheitswidrig. Aus der Sitzungsniederschrift, den Urteilsgründen und der dienstlichen Äußerung der Vorsitzenden geht hervor, dass der Angeklagte kein bloßes „Pauschalgeständnis“ abgegeben, sondern sich umfänglich zur Sache eingelassen hat.
4
Ferner kann dem Vorbringen die Angriffsrichtung der Rüge nicht hinreichend klar entnommen werden. Soweit der Beschwerdeführer beanstandet, er hätte der Verständigung nicht zugestimmt, wenn diese verlesen worden wäre, steht seiner Behauptung schon entgegen, dass der Verständigungsvorschlag von der Vorsitzenden in das Protokoll diktiert worden ist und dass der Angeklagte exakt diesem Vorschlag nach Erteilung der erforderlichen Belehrungen und nach Rücksprache mit dem Verteidiger zugestimmt hat. Soweit der Beschwerdeführer dahin zu verstehen ist, dass die Verständigung unter dem (versteckten ) Vorbehalt der Nichtvernehmung der Nebenklägerin zustande gekommen ist, fehlt es an jeglichem Vortrag zu Umständen, auf die sich eine diesbezügliche Erwartungshaltung des Angeklagten hätte gründen können. Die Vorsitzende hat in ihrer dienstlichen Äußerung in Abrede gestellt, dass ein solcher Vorbehalt im Rahmen der Verständigung eine Rolle gespielt hat.
5
2. Der Schuldspruch wird von den Feststellungen getragen. Das gilt auch, soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in 17 Fällen (§ 224 Abs. 1 Nr. 5, teils auch Nr. 2 StGB) zum Nachteil seiner Tochter und in einem Fall zum Nachteil seines Sohnes verurteilt wurde. Insoweit sind die Taten nicht etwa wegen Einwilligung der Tatopfer gerechtfertigt.
6
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts würgte der Angeklagte seine beiden Kinder jeweils bis zum Eintritt von Atemnot, wobei er vielfach Stricke , Schals, Tücher oder Lederbänder einsetzte. Die sadomasochistischen Praktiken filmte bzw. fotografierte er, um sich an den Aufnahmen sexuell zu erregen.
7
aa) Die Mitwirkungsbereitschaft der während der ersten Tatserie (Taten 1 bis 12) höchstens zwölf Jahre alten Tochter und des zur Tatzeit zehn Jahre alten Sohnes des Angeklagten (Tat 13) ist jeweils schon wegen Einwilligungsunfähigkeit rechtlich ohne Bedeutung. Nach Rechtsprechung und herrschender Lehre ist einwilligungsfähig, wer nach seiner geistigen und sittlichen Reife imstande ist, Bedeutung und Tragweite des konsentierten Rechtsgutsangriffs zu erkennen und sachgerecht zu beurteilen, wobei umso strengere Anforderungen zu stellen sind, je gewichtiger der Angriff ist und je schwerer seine Folgen abzusehen sind (vgl. BGH, Urteile vom 12. November 1953 – 3 StR 713/52, BGHSt 5, 362, 363 f.; vom 10. Februar 1959 – 5 StR 533/58, BGHSt 12, 379, 382 f.; BayObLG NJW 1999, 372; Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., vor § 32 ff. Rn. 40 mwN). Es muss nicht entschieden werden, ob Einwilligungsfähigkeit in Bezug auf geringer wiegende Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit auch unterhalb der Altersgrenze von 14 Jahren gegeben sein kann (dazu LK-StGB/Rönnau, 12. Aufl., vor § 32 Rn. 195 mwN). Denn es liegt auf der Hand, dass einem zehn bzw. zwölf Jahre alten Kindes das erforderliche Urteilsvermögen in Bezug auf vom Täter nicht vollständig kontrollierbare und damit zumindest abstrakt lebensgefährliche Würgehandlungen fehlt. Eines Eingehens auf eine Unwirksamkeit der Einwilligung der Nebenklä- gerin wegen Täuschung oder der Einwilligung beider Kinder wegen Sittenwidrigkeit (§ 228 StGB) bedarf es daher nicht mehr.
8
bb) Vor der rund ein Jahr nach dem ersten Tatkomplex folgenden zweiten Tatserie drohte der Angeklagte seiner nunmehr 14 Jahre alten Tochter unter Scheinidentitäten, dass ihr zunächst die Finger gebrochen und die Haare ausgerissen würden, wonach sie durch Überstülpen einer Plastiktüte erstickt werde, wenn sie nicht (weitere) Aufnahmen von sadomasochistischen Praktiken von sich erstellen lasse und übermittle. In dieser von ihr als real empfundenen Drucksituation ergab sich die Nebenklägerin in ihr Schicksal. Die solchermaßen erzwungene Mitwirkungsbereitschaft ist ohne Weiteres irrelevant (vgl. Sternberg-Lieben, aaO, vor §§ 32 ff. Rn. 48 mwN).
9
2. Der Generalbundesanwalt beanstandet, dass das Landgericht die schweren Tatfolgen für die Nebenklägerin sowohl bei der Bemessung der Einzelstrafen als auch bei der Bildung der Gesamtstrafe straferschwerend berücksichtigt hat. Er bezieht sich dabei auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach Beeinträchtigungen des Opfers durch eine Mehrheit von Taten dem Täter nur dann mit vollem Gewicht bei den Einzeltaten angelastet werden dürfen , wenn sie unmittelbare Folge der Einzeltaten sind; sind sie dagegen Folge aller Taten, so können sie nur einmal, nämlich bei der Gesamtstrafenbildung, gewichtet werden (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 13. November 1997 – 4 StR 539/97, NStZ-RR 1998, 107 f.; vom 22. Juli 2014 – 2 StR 84/14, NStZ-RR 2014, 340). Allerdings ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass bereits die Einzeltaten des ersten Tatkomplexes die Nebenklägerin seelisch, aber auch körperlich „über die Maßen“ belastet haben (UA S. 11, 19). Verstärkt gilt dies für die Taten der zweiten Tatserie, aufgrund derer sich die Nebenkläge- rin ständig in großer Angst befand und schon damals ernsthafte Suizidgedanken hegte (UA S. 12, 20).
10
Es kann offenbleiben, ob der Strafausspruch als durchgreifend rechtsfehlerhaft angesehen werden muss, wenn das Tatgericht unter solchen Vorzeichen die schweren Tatfolgen bei der Bemessung der Einzelstrafen ohne ausdrücklich einschränkenden Hinweis in Ansatz gebracht hat. Denn mit dem Generalbundesanwalt ist hier jedenfalls ein Beruhen des Urteils auf dem geltend gemachten Umstand ausgeschlossen (§ 337 Abs. 1 StGB). Gegen den Angeklagten sprechen nämlich derart gewichtige Erschwerungsgründe, dass die ausgeurteilten Einzelstrafen (jeweils ein Jahr Freiheitsstrafe für die Missbrauchstaten des ersten Tatkomplexes, jeweils zwei Jahre Freiheitsstrafe für die Taten der sexuellen Nötigung im zweiten Tatkomplex) als im untersten Bereich des bei der Strafzumessung zu Gebote stehenden Spielraums angesehen werden müssen.
11
Der Angeklagte hat seine Tochter unter Ausnutzung der väterlichen Autorität und des in ihn gesetzten Vertrauens durch die Täuschung zu ihrer Zustimmung zu den Handlungen der ersten Tatserie gebracht, ohne den Verkauf der bei den Taten gemachten Film- bzw. Fotoaufnahmen werde die Familie die Wohnung verlieren und auseinanderbrechen. Bei der Fertigung der Bilder würgte er das zumeist unbekleidete Mädchen mit den Händen oder strangulierte es mit Schlingen und Schals solange, bis dessen Gesicht wegen Atemnot rot angelaufen und angeschwollen war. Regelmäßig hatte es danach Kopfschmerzen , Striemen und Würgemale am Hals. Dass die Nebenklägerin unter der Bedrohungssituation während des zweiten Tatkomplexes immer stärker litt und sich mit Suizidabsichten trug, berührte den Angeklagten nicht (UA S. 12). Die- ses Vorgehen offenbart ein ungewöhnliches Maß an menschenverachtender Gesinnung.
12
Darüber hinaus hat das Landgericht bei der Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe zugunsten des Angeklagten gewertet, dass dessen Hemmschwelle im Verlauf der Taten gesunken sei (UA S. 33). Diese gerade bei serienhaft begangenen Missbrauchstaten ohnehin nicht unproblematische Erwägung (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. Rn. 1213 mwN; ganz abl. Reichenbach JR 2012, 9, 11 f.) kann jedenfalls dann nicht zugunsten des Täters wirken, wenn er, was beim Angeklagten der Fall war, von vornherein eine Vielzahl von Taten geplant hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 27. Januar 2016 – 5 StR 387/15, NStZ-RR 2016, 105 Rn. 17 mwN).
13
4. Dass das Landgericht trotz der auch durch die Taten des Kindesmissbrauchs verursachten gravierenden Konsequenzen für die körperliche und seelische Entwicklung der Nebenklägerin (unter anderem schwere Depressionen, hierdurch bedingter Abgang vom Gymnasium, halbjährige stationäre Unterbringung in der Psychiatrie, Verlust des gesamten Freundeskreises, Notwendigkeit weiterer Therapien) den Verbrechenstatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 3 StGB nicht erkennbar bedacht hat, beschwert den Angeklagten nicht. Entsprechendes gilt für § 176a Abs. 5 Variante 1 StGB (schwere körperliche Misshandlung).
Mutzbauer Sander Schneider
Dölp König

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.