vorgehend
Landgericht Essen, 1, Js 106/16
Landgericht Essen, 6, KLs 14/18

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 265/19
vom
14. Januar 2020
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen
ECLI:DE:BGH:2020:140120B4STR265.19.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 14. Januar 2020 gemäß §§ 349 Abs. 2, 44, 45 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt, soweit er im Rahmen der Begründung seiner Revision gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 21. Dezember 2018 die Frist zur rechtzeitigen Anbringung der im Schriftsatz vom 8. April 2019 durch Rechtsanwältin L. erhobenen Verfahrensrüge versäumt hat. Wiedereinsetzungskosten werden nicht erhoben. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 11 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision bleibt ohne Erfolg.
2
1. Dem Angeklagten war aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 15. Juli 2019 nach §§ 44, 45 Abs. 2 Satz 3 StPO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur rechtzeitigen Anbringung der im Schriftsatz vom 8. April 2019 durch Rechtsanwältin L. erhobenen Verfahrensrüge zu gewähren. Von der Erhebung von Kosten für die Wiedereinsetzung war gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GKG abzusehen.
3
2. Die Revision bleibt ohne Erfolg.
4
a) Die nach der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtzeitig erhobene Rüge, das Landgericht habe gegen § 244 Abs. 2 StPO verstoßen, weil es kein Sachverständigengutachten zur Schuldfähigkeit des Angeklagten erhoben habe, ist unzulässig. Es fehlt an einem ausreichenden Vortrag, dass sich das Landgericht zu einer solchen Beweiserhebung nach § 244 Abs. 2 StPO gedrängt sehen musste (zum Maßstab allg. vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2016 – 2 StR 383/15, NStZ 2017, 96 f.; zur Zuziehung eines psych. Sachverständigen vgl. die Nachweise bei Becker in: Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl. § 244 Rn. 78 ff.). Zwar deuten die Schilderungen der Nebenklägerin darauf hin, dass sich der Angeklagte durch den Tod seines Pflegesohnes im Frühjahr 2010 nachhaltig beeindruckt zeigte und innerhalb der Familie zurückzog (UA 45 f.). Auch setzten die sexuellen Übergriffe erst danach ein. Die dem Angeklagten zur Last liegenden Taten waren aber durch ein hohes Maß an Steuerung gekennzeichnet (Einordnung in ein über Jahre durchgehaltenes Bestrafungssystem ; gezielte Ausnutzung der Angst der Nebenklägerin vor einer Rückverbringung in ein Kinderheim), so dass es des Vortrags konkreter Umstände bedurft hätte, weshalb sich eine durch den Tod des Pflegesohnes ausgelöste posttraumatische Belastungsstörung auf die Begehung der Sexualtaten zum Nachteil der Pflegetochter ausgewirkt hat und deshalb die Einholung sachverständigen Rats erforderlich gewesen wäre.
5
b) Weder der Schuld-, noch der Strafausspruch weisen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Soweit die Strafkammer dem Angeklagten auch bei der Begründung der Einzelstrafen angelastet hat, dass die Nebenklägerin „über einen längeren Zeitraum hinweg gelitten hat“ und noch weiter stark unter den Folgen der Taten leiden wird“ (UA 72 f.), liegt darin keindurchgreifender Rechtsverstoß (vgl. dazu BGH, Urteil vom 25. April 2018 – 2 StR 194/17, NStZ 2019, 42 Rn. 14; Beschluss vom 22. Juli 2014 – 2 StR 84/14, NStZ-RR 2014, 340 mwN). Denn den Urteilsgründen lässt sich noch hinreichend entnehmen, dass bereits die Einzeltaten aufgrund der durchgehend bestehenden Bedrohungslage für die Geschädigte besonders belastend waren (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2018 – 5 StR 541/17, NStZ 2018, 537, 538).
Sost-Scheible Cierniak Bender Quentin Bartel
Vorinstanz:
Essen, LG, 21.12.2018 ‒ 12 Js 106/16 64 KLs 14/18

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 21 Nichterhebung von Kosten


(1) Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, werden nicht erhoben. Das Gleiche gilt für Auslagen, die durch eine von Amts wegen veranlasste Verlegung eines Termins oder Vertagung einer Verhandlung entstanden sind. Für ab

Strafprozeßordnung - StPO | § 45 Anforderungen an einen Wiedereinsetzungsantrag


(1) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses bei dem Gericht zu stellen, bei dem die Frist wahrzunehmen gewesen wäre. Zur Wahrung der Frist genügt es, wenn der Antrag rechtzeitig bei de

Strafprozeßordnung - StPO | § 44 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung


War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

(1) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses bei dem Gericht zu stellen, bei dem die Frist wahrzunehmen gewesen wäre. Zur Wahrung der Frist genügt es, wenn der Antrag rechtzeitig bei dem Gericht gestellt wird, das über den Antrag entscheidet.

(2) Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(1) Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, werden nicht erhoben. Das Gleiche gilt für Auslagen, die durch eine von Amts wegen veranlasste Verlegung eines Termins oder Vertagung einer Verhandlung entstanden sind. Für abweisende Entscheidungen sowie bei Zurücknahme eines Antrags kann von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht.

(2) Die Entscheidung trifft das Gericht. Solange nicht das Gericht entschieden hat, können Anordnungen nach Absatz 1 im Verwaltungsweg erlassen werden. Eine im Verwaltungsweg getroffene Anordnung kann nur im Verwaltungsweg geändert werden.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 383/15
vom
21. Juli 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1.: Hehlerei
zu 2.: Wohnungseinbruchsdiebstahls u.a.
zu 3.: Wohnungseinbruchsdiebstahls
ECLI:DE:BGH:2016:210716U2STR383.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 20. Juli 2016 in der Sitzung am 21. Juli 2016, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl, Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Ott,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin - in der Verhandlung vom 20. Juli 2016 - als Verteidigerin für den Angeklagten K. A. , Rechtsanwalt - in der Verhandlung vom 20. Juli 2016 - als Verteidiger für den Angeklagten J. A. , Rechtsanwalt - in der Verhandlung vom 20. Juli 2016 - als Verteidiger für die Angeklagte N. A. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 26. Mai 2015 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit sie verurteilt worden sind. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt: - den Angeklagten K. A. unter Freisprechung im Übrigen wegen Hehlerei unter Einbeziehung von zwei Einzelgeldstrafen aus früheren Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, - den Angeklagten J. A. unter Freisprechung im Übrigen wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in zwei Fällen und wegen Hehlerei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten , - die Angeklagte N. A. unter Freisprechung im Übrigen wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls unter Einbeziehung von zwei Einzelfreiheitsstrafen aus früheren Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten.
2
Gegen ihre Verurteilungen richten sich die Revisionen der Angeklagten mit Verfahrensbeanstandungen und der Sachrüge. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.

3
Nach den landgerichtlichen Feststellungen begingen die Angeklagten, die allesamt Geschwister sind, im Zeitraum von Dezember 2012 bis Februar 2013 in unterschiedlicher Zusammensetzung und Beteiligung Wohnungseinbruchsdiebstähle (Fälle 9, 12 und 16) sowie Hehlereitaten in Bezug auf Diebesgut , das aus Wohnungseinbrüchen stammte (Fälle 4, 5, 13 und 18).
4
Die Angeklagten haben zu den Vorwürfen geschwiegen. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten in den abgeurteilten Fällen zum einen auf Schuh- oder DNA-Spuren gestützt, die an einigen Tatorten sichergestellt wurden, sowie darauf, dass Diebesgut, im Wesentlichen Schmuck oder Wertgegenstände, in Wohnungen aufgefunden wurden, in denen die Angeklagten sowie weitere Familienmitglieder wohnten. Das Landgericht ist zu Verurteilungen in den Fällen gelangt, in denen den Angeklagten einzelne Taten entweder aufgrund von sichergestellten Spuren am Tatort der Wohnungseinbruchsdiebstähle (Fälle 9, 12 und 16) oder eindeutigen Besitzverhältnissen von Diebesgut (Fälle 4, 5, 13 und 18) zugeordnet werden konnten. In den übrigen Fällen hat es die Angeklagten freigesprochen.

II.

5
Die Revision des Angeklagten K. A. , der wegen Hehlerei von Diebesgut (Fälle 4, 5 und 13, Ziff. II.2 der Urteilsgründe) verurteilt wurde, hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Mit dieser macht der Beschwerdeführer eine Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO geltend, weil es das Landgericht abgelehnt hat, den Auslandszeugen Ja. A. zu vernehmen.
6
1. Der Rüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:
7
a) Zwischen dem 5. und dem 6. Hauptverhandlungstag übersandte der Verteidiger des Angeklagten K. A. (ebenso wie der Angeklagte J. A. , vgl. unten III.1.) einen Schriftsatz an das Landgericht und beantragte darin, den in Frankreich in Haft befindlichen Zeugen Ja. A. , den Bruder der Angeklagten, als Zeugen dazu zu vernehmen, dass der Angeklagte an den ihm vorgeworfenen Hehlerei- und Einbruchsdiebstahlstaten nicht beteiligt gewesen sei. Der Zeuge habe die im Rahmen der Durchsuchung aufgefundenen Gegenstände dem Angeklagten geschenkt sowie auf Frage nach der Herkunft der Gegenstände mitgeteilt, dass er die Geschenke käuflich erworben habe (UA S. 38 f.). Zur Begründung des Antrags bezog sich die Verteidigung insbesondere auf die Übersetzung eines auf Serbisch verfassten, handschriftlichen Schreibens des Zeugen Ja. A. an das Landgericht, in dem er darum bat, zum Gericht nach Deutschland gebracht zu werden. Der Zeuge wolle sagen, „was insgesamt war 2012-2013“ und er sei „alleine schuldig für die Probleme“.
8
b) Die Strafkammer hat ausweislich ihres Beschlusses gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO die Vernehmung des Auslandszeugen wegen Bedeutungslosigkeit abgelehnt und dies damit begründet, dass die in sein Wissen gestellten Behauptungen für die Entscheidung ohne Bedeutung seien, weil dem Angeklagten „als am gleichen Ort wohnenden Bruder […] angesichts der Gesamt- umstände klar gewesen sein“ müsse, „dass Ja. A. dieGegenstände nicht legal erworben haben“ könne.
9
2. Die Rüge genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
10
Insbesondere schadet es nicht, dass aus der Revisionsbegründungsschrift nicht hervorgeht, ob der schriftliche Antrag auf Vernehmung des Auslandszeugen in der Hauptverhandlung mündlich gestellt worden ist. Denn dem Senat ist es in der vorliegenden Konstellation auch ohne genauere Kenntnis dieser Umstände möglich zu prüfen, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen wären.
11
Es ändert nichts am Prüfungsmaßstab des Revisionsgerichts, wenn man den Antrag der Verteidigung auf Vernehmung des Auslandszeugen nicht als Beweisantrag, sondern lediglich als Beweisanregung ansehen würde. Denn auch das Übergehen eines außerhalb der Hauptverhandlung gestellten, dort aber nicht wiederholten und daher nicht nach Maßgabe von § 244 Abs. 3 bis 6 StPO zu verbescheidenden Beweisantrags (vgl. KK-Krehl, StPO, 7. Aufl., § 244 Rn. 85 mwN) kann nach den Umständen des Einzelfalls eine Verletzung der Aufklärungspflicht darstellen (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2001 – 1 StR 557/00, NStZ-RR 2002, 65, 68; Beschluss vom 20. November 2001 – 1 StR 470/01, NStZ-RR 2002, 110, 111; vgl. BGH, Beschluss vom 30. August 1988, 1 StR 357/88, BGHR StPO § 244 Abs. 2 Aufdrängen 1). Insoweit ist die Entscheidung des Tatgerichts über einen lediglich außerhalb der Hauptverhandlung gestellten schriftlichen Antrag am gleichen Maßstab zu messen, wie die Entscheidung über einen Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen , die gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO nach Maßgabe der Amtsaufklärungspflicht erfolgt (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – 1 StR 78/14; Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 62; KK-Krehl, StPO, 7. Aufl., § 244 Rn. 212 mwN).
12
3. Die Revision beanstandet zu Recht die Entscheidung des Landgerichts über die Nichtvernehmung des Ja. A. als Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO).

13
a) § 244 Abs. 2 StPO gebietet es, von Amts wegen Beweis zu erheben, wenn aus den Akten oder aus dem Stoff der Verhandlung Umstände und Möglichkeiten bekannt oder erkennbar sind, die bei verständiger Würdigung der Sachlage begründete Zweifel an der Richtigkeit der – auf Grund der bisherigen Beweisaufnahme erlangten – Überzeugung wecken müssen (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2014 – 4 StR 208/14, NStZ 2015, 36 mwN). Ob die vom Gericht auf Grund der verwendeten Beweismittel gewonnene Überzeugung ausreicht oder ob zu ihrer Absicherung oder Überprüfung weitere Beweismittel heranzuziehen sind, ist auf der Grundlage von Verfahrensablauf und Beweislage des Einzelfalls zu beurteilen. Je weniger gesichert ein Beweisergebnis erscheint, desto größer ist der Anlass für das Gericht, trotz der erlangten Überzeugung weitere erkennbare Beweismöglichkeiten zu benutzen (BGH, Beschluss vom 19. März 2013 – 5 StR 79/13, NStZ 2013, 725; Urteil vom 5. Dezember 1995 – 1 StR 580/95, StV 1996, 249, 250). Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Auslandszeuge – wie hier – Vorgänge bekunden soll, die für den Schuldvorwurf von zentraler Bedeutung sind (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 3 StR 374/06, NStZ 2007, 349, 351).
14
b) Die Strafkammer hat im Urteil festgestellt, dass die konkreten Umstände bei der Übernahme des Diebesguts durch K. A. von seinem Bruder Ja. A. (ohne dessen Vernehmung) gerade nicht aufgeklärt werden konnten (UA S. 19, 38 f.). Die in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptungen zu den Umständen der Übergabe des Diebesguts an seine Geschwister waren aber von wesentlicher indizieller Bedeutung für die Feststellung des subjektiven Tatbestands der Hehlerei. Daher besorgt der Senat bereits aufgrund der Beschlussbegründung, in der das Landgericht lediglich pauschal auf die „Gesamtumstände“ verweist, ohne sie näher zu erläutern (zu deninsoweit an die Begründung zu stellenden Anforderungen vgl. Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2006 – 2 StR 444/06, StV 2007, 176), dass die Strafkammer bei ihrer Entscheidung den genannten Maßstab der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) verkannt hat.
15
Dies gilt auch mit Blick darauf, dass das Landgericht im Urteil zur Begründung des (bedingten) Hehlereivorsatzes des Angeklagten letztlich auf die Aussage der Zeugin F. abgestellt hat (UA S. 35, 39). Zwar hat die Zeugin bekundet, dass die bei der Durchsuchung aufgefundenen Gegenstände Geschenke von Ja. A. gewesen seien. „Sie, also die gesamte Familie, hätten sich schon gewundert, woher dies alles stamme“. Die Zeugin F. habe „die Zweifel der Familie an dem rechtmäßigen Erwerb der vielen von ihrem Bruder Ja. A. verschenkten Gegenstände lebhaft und überzeugend schil- dern“ können. Dem lässt sich jedoch schon nicht entnehmen, inwiefern der An- geklagte K. A. überhaupt in die geschilderten Familiengespräche involviert war. Überdies berücksichtigt das Landgericht nicht, dass der Angeklagte K. A. nach den Urteilsfeststellungen zum Tatzeitraum nicht in dem Mehrfamilienhaus der Großfamilie, sondern mit seiner Ehefrau in einer eigenen Wohnung unter einer anderen Anschrift wohnte (UA S. 36, 38). Ein Großteil des Diebesguts wurde aber nicht in der Wohnung des Angeklagten K. A. , sondern in dem Mehrfamilienhaus, das von den anderen Familienmitgliedern bewohnt war, aufgefunden (UA S. 27 ff., 36 ff.). Stattdessen geht das Landgericht im Widerspruch dazu in dem die Vernehmung des Zeugen ablehnenden Beschluss gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO nicht zutreffend davon aus, dass K. A. „am gleichen Ort“ gewohnt habe.
16
c) Es lagen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass oder weshalb eine Überstellung des in Frankreich in Haft befindlichen Zeugen zum Zwecke seiner Vernehmung durch das Tatgericht (Art. 11 EuRhÜbk) nicht möglich gewesen wäre (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 6. November 1991 – 2 StR 342/91 –, NStZ 1992, 141; BGH, Urteil vom 29. Oktober 1981 – 4 StR 512/81). Aufgrund der Erklärung seiner Aussagebereitschaft war davon auszugehen, dass er weder von seinem Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO) noch von seinem Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 Abs. 1 StPO) Gebrauch machen wollte und einer Überstellung zur Zeugenvernehmung (Art. 11 Abs. 1 Satz 2 Ziff. a EuRhÜbk) zugestimmt hätte.
17
4. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht.

III.

18
Die Revision des Angeklagten J. A. hat ebenfalls mit einer Aufklärungsrüge Erfolg, mit der der Beschwerdeführer die Nichtvernehmung des Auslandszeugen Ja. A. beanstandet.
19
1. Der Angeklagte J. A. hat – wie der BeschwerdeführerK. A. – die Vernehmung des Auslandszeugen in einem Schriftsatz vom 6. Mai 2015 außerhalb der Hauptverhandlung beantragt und darin unter anderem unter Beweis gestellt, dass der Zeuge die Diebstahlstaten begangen habe und er daran nicht beteiligt gewesen sei. Außerdem seien ihm die bei ihm beschlagnahmten Gegenstände von Ja. A. , der ihm gegenüber angegeben habe, er habe sie aus Einnahmen aus seinem Gebrauchtwagenhandel bezahlt, geschenkt worden.
20
Das Landgericht hat durch Beschluss vom 19. Mai 2015 die Ladung des Zeugen gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine Zuordnung des Diebesguts nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme , soweit es sich nicht am Körper der Angeklagten befunden habe, ausschließlich aufgrund von am Tatort hinterlassenen Spuren denkbar sei, weswegen es nach pflichtgemäßem Ermessen einer Vernehmung des in Frankreich in Haft befindlichen Zeugen nicht bedürfe.
21
2. Als Aufklärungsrüge genügt die Verfahrensbeanstandung den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
22
Dem Revisionsvorbringen ist nach dessen Sinn und Zweck (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 1993 – 4 StR 31/93 mwN) zu entnehmen, dass mit der Verfahrensrüge die Ablehnung der Vernehmung des Zeugen Ja. A. beanstandet und diese Beanstandung (auch) als Aufklärungsrüge geltend gemacht wird. Dabei schadet es – wie oben ausgeführt – auch nicht, dass aus der Revisionsbegründungsschrift nicht hervorgeht, ob der schriftliche Antrag in der Hauptverhandlung mündlich gestellt worden ist (vgl. oben II.2).
23
3. Die Rüge ist auch begründet.
24
a) Das Landgericht hat bei seiner ablehnenden Entscheidung zwar zutreffend als maßgebendes Kriterium angesehen, ob die Aufklärungspflicht die Erhebung der beantragten Beweise erfordere (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2010 – 3 StR 451/09 –, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 15 mwN). Bei deren Prüfung hat das Tatgericht namentlich die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses zu würdigen; es ist bei dieser Prüfung auch vom Verbot der Beweisantizipation befreit (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 3 StR 374/06, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 13; BGH, Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60). Die Strafkammer durfte daher den zu erwartenden Beweiswert der Aussage des Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses würdigen.
25
b) Allerdings hat die Strafkammer bei ihrer Abwägung den besonderen Umständen des vorliegenden Sachverhalts und der Beweislage nicht im notwendigen Maße Rechnung getragen.
26
Das Landgericht hat bei seiner Entscheidung nicht ausreichend berücksichtigt , dass der Aussage des in Frankreich aufhältigen Zeugen eine herausgehobene Beweisbedeutung zukommt. Bei dem Zeugen Ja. A. , der sich in seinem Schreiben an das Tatgericht als „schuldig für die Probleme“ bekannt hat (offenkundig im Hinblick auf die verfahrensgegenständlichen Taten), handelt es sich möglicherweise um den einzigen zur Verfügung stehenden unmittelbaren Tat- und Entlastungszeugen hinsichtlich der Diebstahlstaten. Die Beweislage im Übrigen war auch nicht derart gesichert, dass die Strafkammer sich zum Versuch weiterer Aufklärung durch die zeugenschaftliche Einvernahme von Ja. A. nicht hätte gedrängt sehen müssen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 – 3 StR 274/09, BGHSt 55, 11, 23). So kamen hinsichtlich der Verurteilung wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls (Fälle 12 und 16, Ziff. II.1.a, b der Urteilsgründe) nach dem verlesenen kriminaltechnischen Gutachten zu den am Tatort von zwei Wohnungseinbruchsdiebstählen sichergestellten Schuhabdruckspuren, welches das wesentliche Indiz für die Täterschaft des Angeklagten J. A. darstellt (UA S. 31 f.), die Schuhe des Angeklagten aufgrund von Profilübereinstimmungen und der Gleichartigkeit der Größenverhältnisse als Spurenverursacher zwar in Betracht. Allerdings konnte die Strafkammer keine sichere Übereinstimmung der Schuhspur mit den Schuhen des Angeklagten feststellen, weil es hierfür an besonderen Merkmalen fehlte, die die Spur einzigartig oder sonst individuell unterscheidbar machten. Die Aufklärungspflicht hätte es deshalb geboten, den Zeugen Ja. A. hinsichtlich der im Zusammenhang mit den Diebstahlstaten unter Beweis gestellten Umständen zu vernehmen.
27
Dies gilt im Übrigen auch mit Blick auf die in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptungen zu den Umständen der Übergabe des Diebesguts an den Angeklagten. Das Landgericht, das hierauf in seinem ablehnenden Beschluss nicht eingegangen ist, musste sich auch diesbezüglich zur Vernehmung des Ja. A. gedrängt sehen (vgl. oben II.3).
28
4. Auf dem Rechtsfehler beruht das Urteil auch. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer anderen Würdigung der Beweise gelangt wäre, wenn der Zeuge Ja. A. die in sein Wissen gestellten Umstände bestätigt hätte.
29
5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Vorgehensweise des Landgerichts, einzelne Beweisbehauptungen aus den Anträgen der Verteidiger der Beschwerdeführer auf Vernehmung des Zeugen Ja. A. – gleichsam wie eine Einlassung der Angeklagten – in seine Beweiswürdigung miteinzustellen (UA S. 34 f., 38 f.), rechtsfehlerhaft war. Beweisbehauptungen , die in einem von dem Verteidiger gestellten Beweisantrag enthalten sind, dürfen nicht in eine Einlassung des Angeklagten umgedeutet werden, sofern sich dieser hierzu nicht erklärt (BGH, Beschlüsse vom 7. August 2014 – 3 StR 105/14, NStZ 2015, 207, 208; vom 12. April 2000 -, 1 StR 623/99, NStZ 2000, 495; vom 29. Mai 1990 – 4 StR 118/90, NStZ 1990, 447, 448). Ob die Angeklagten entsprechende Erklärungen abgegeben haben, lässt sich dem Urteil vorliegend nicht entnehmen.

IV.

30
Hinsichtlich der Angeklagten N. A. hat die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge einen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben, der zur Urteilsaufhebung führt.
31
1. Nach den Feststellungen brach die Angeklagte unter Mitwirkung weiterer unbekannter Täter am Morgen des 28. Januar 2013 in ein Wohnhaus der Geschädigten L. in T. ein, indem die Täter das Zugangsfenster zur Küche mittels eines Pflastersteins einschlugen. Auf diesem Weg gelangten die Angeklagte und ihre Mittäter in das Wohnhaus, suchten dort nach stehlens- werten Gegenständen und entwendeten gemeinsam Bargeld, Schmuck und andere Wertgegenstände im Gesamtwert von etwa 45.000 Euro (Fall 9).
32
2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts im Fall 9 hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
33
a) Die Strafkammer hat die Angeklagte N. A. im Wesentlichen deshalb als überführt angesehen, weil innerhalb des Wohnhauses der Geschädigten L. der Angeklagten zuzuordnende DNA-Spuren aufgefunden wurden (UA S. 40). Diese von ihr hinterlassenen Spuren seien nicht anders zu erklären als mit dem Eindringen der Angeklagten in das Wohnhaus und dem damit verbundenen Entwenden der dort befindlichen Wertgegenstände, zumal keine Anhaltspunkte gegeben seien, die den Aufenthalt der Angeklagten dort anderweitig erklären könnten (UA S. 42). Hinzu trete, dass beim Wohnungseinbruch entwendete Gegenstände im näheren Umfeld der Angeklagten, nämlich in den von ihr und ihren Familienmitgliedern bewohnten Wohnungen, aufgefunden wurden (UA S. 42).
34
Das Landgericht hat hierzu ausgeführt, dass im Rahmen der Spurensicherung am Tatort des Wohnungseinbruchs an dem Griff eines Schlüssels für eine Öffnungsblende am Doppelbett im Schlafzimmer ein Abrieb genommen wurde, an dem eine DNA-Spur festgestellt worden sei, die mit dem DNAIdentifizierungsmuster der Angeklagten N. A. übereinstimme. Zudem gehe aus einem verlesenen Gutachten der Firma E. GmbH hervor, dass der Abrieb von der genannten Schlüsselreide unter- sucht und dabei „eine Mischung von Merkmalen von mehr als einer Person festgestellt worden sei; bei einem direkten Abgleich mit Tatverdächtigen oder Tatortberechtigten sei eine Bewertung möglich“, (UA S. 41). Weiter seien in der Hauptverhandlung die „zweite Ergänzung zum Behördengutachten des LKA vom 24.04.2013 (Bl. 81-83 SB Spuren)“, „die Treffermitteilung des Thüringer LKA vom 18.03.2014 (Bl. 89 SB Spuren)“ verlesen sowie die „hierzu gehörige tabellarische Übersicht (Bl. 90 SB Spuren)“ im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Aus der Ergänzung zum Behördengutachten gehe hervor, dass unter anderem ein Mundhöhlenabstrich der Angeklagten mit Blick auf „Spurmaterial von Schnürsenkeln von sichergestellten Schuhen“ untersucht wurde. Aus der Treffermitteilung gehe eine Übereinstim- mung des DNA-Identifizierungsmusters der Angeklagten N. A. mit dem Abrieb der Schlüsselreide hervor (UA S. 41). Nähere Erläuterungen zu dem DNA-Identifizierungsmuster der Angeklagten, der sichergestellten Mischspur und der molekluargenetischen Vergleichsuntersuchung enthalten die Urteilsgründe nicht.
35
b) Dies genügt den Anforderungen nicht, die an eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung zu stellen sind. In Fällen, in denen das Tatgericht dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, sind die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2013 – 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212, 217 mwN). Für die Darstellung des Ergebnisses einer auf einer molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung ist jedenfalls erforderlich, dass der Tatrichter mitteilt, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination zu erwarten ist (BGH, Beschluss vom 12. April 2016 – 4 StR 18/16; Beschluss vom 22. Oktober 2014 – 1 StR 364/14, NStZ-RR 2015, 87, 88; Urteil vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13, NJW 2014, 2454; Urteil vom 21. März 2013 – 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212,

217).


36
c) Daran gemessen leidet das Urteil des Landgerichts an durchgreifenden Darlegungsmängeln. Den Ausführungen der Strafkammer zur DNAVergleichsuntersuchung lässt sich weder entnehmen, wie viele Systeme bei der Tatort(misch)spur und dem DNA-Identifizierungsmuster der Angeklagten detektiert und untersucht wurden, noch mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination zu erwarten ist. Nähere Darlegungen hierzu waren schon deswegen nicht entbehrlich, weil im vorliegenden Fall die Besonderheit gegeben ist, dass mehr als eine Person als Spurenleger angenommen werden kann (Mischspur) und eine Verwandtschaft zwischen möglichen spurenbeteiligten Personen in Betracht kommt (vgl. Senat, Urteil vom 24. März 2016 – 2 StR 112/14; BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13, NJW 2014, 2454).
37
d) Da das Landgericht seine Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten N. A. im Wesentlichen auf ihre Spurenlegerschaft und damit auf das Ergebnis der DNA-Vergleichsuntersuchungen gestützt hat, kann der Senat ein Beruhen des Urteils auf diesem Darstellungsmangel nicht ausschließen.

V.

38
1. Da das Urteil bereits auf die Verfahrensrügen der Angeklagten K. A. (vgl. oben unter II.) und J. A. (vgl. oben unter III.) sowie auf die Sachrüge der Angeklagten N. A. (vgl. oben unter IV.) vollständig aufzuheben ist, braucht der Senat auf die darüber hinaus erhobenen Rügen im Einzelnen nicht einzugehen.
39
2. Für die neu zu treffende Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
40
Sollte die neue Hauptverhandlung wiederum zu einer Verurteilung der Angeklagten führen, wird die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer im Rahmen der Gesamtstrafenbildung insbesondere Folgendes zu berücksichtigen haben:
41
a) Das Landgericht hat den Vollstreckungsstand hinsichtlich der am 7. Mai 2013 durch das Amtsgericht W. gegen den Angeklagten J. A. verhängten Geldstrafe (9 Cs 613 Js 203697/13) wegen der Tat vom 21. Februar 2013, die an sich gesamtstrafenfähig ist, nicht mitgeteilt. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die verhängte Geldstrafe im Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils noch nicht erledigt war. Sollte sie erledigt sein und deshalb eine Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 1 StGB ausscheiden , wäre ein Härteausgleich möglich (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. März 2016 – 4 StR 7/16 – und vom 2. Dezember 2015 – 4 StR 423/15).
42
b) Die vom Amtsgericht W. mit Urteil vom 11. März 2014 (9 Ds 711 Js 209920/13) gegen die Angeklagte N. A. ausgesprochene, nicht vollständig erledigte Freiheitsstrafe von sechs Monaten wegen der Tat vom 19. September 2013 wäre mit einer Strafe wegen der Tat vom 28. Januar 2013 des angefochtenen Urteils und der Strafe aus dem rechtskräftigen Strafbefehl vom 28. Februar 2013 (8 Ds 538 Js 203310/10) nicht gesamtstrafenfähig. Wenn die neu abzuurteilende Tat – wie hier – vor zwei rechtskräftigen, unerledigten Vorverurteilungen begangen wurde, ist mit der Strafe aus der ersten Verurteilung eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden; diese erste Vorverurteilung bildet eine Zäsur, so dass die zweite Vorverurteilung selbständig bestehen bleibt (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Mai 2004 – 2 StR 24/04; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 55 Rn. 9, 11 mwN). Nach diesen Grundsätzen entfaltet die (offenbar) noch nicht erledigte Bewährungsstrafe aus dem Strafbefehl vom 28. Februar 2013 Zäsurwirkung, so dass im Fall einer erneuten Verurteilung der Angeklagten N. A. wegen der Tat vom 28. Januar 2013 eine Gesamtstrafenbildung lediglich mit dieser zäsurbildenden Freiheitsstrafe in Betracht kommt, nicht aber mit der durch Urteil des Amtsgericht Weißenfeld vom 11. März 2014 (9 Ds 711 Js 209920/13) verhängten Freiheitsstrafe. Da das Landgericht die letztgenannte Strafe rechtsfehlerhaft in die Gesamtstrafe einbezogen hat, wird das neue Tatgericht im Fall einer Verurteilung bei der Strafzumessung mit Blick auf das Gesamtstrafübel das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) in den Blick zu nehmen haben. Fischer Appl Krehl Eschelbach RinBGHDr. Ott ist aus tatsächlichen Gründen an der Unterschrift gehindert. Fischer
14
a) Das Landgericht hat „die erheblichen Folgen der Taten für die Nebenklägerin“ bei jeder Einzeltat als Strafschärfungsgrund gewertet. Jedoch sind dem Täter Beeinträchtigungen des Opfers nur mit vollem Gewicht bei den Einzeltaten anzulasten, soweit sie unmittelbare Folge der Einzeltaten sind. Beeinträchtigungen , die sich erst aus der Vielzahl der Taten ergeben, können erst bei der Gesamtstrafenbildung gewichtet werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 22. Juli 2014 – 2 StR 84/14, NStZ-RR 2014, 340, und vom 12. September 2017 – 2 StR 101/17).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 8 4 / 1 4
vom
22. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. Juli 2014 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 25. November 2013 im gesamten Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Rechtsmittel des Angeklagten führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist es unbegründet.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts öffnete der Angeklagte an einem nicht genau feststellbaren Tag im Sommer 2012, jedenfalls aber einem Freitag nach dem 10. August 2012, mit einer Hand die Jeans der am 22. Juli 2003 geborenen Nebenklägerin, fasste ihr sodann in ihre Unterhose zwischen die Beine und streichelte ihre Scheide. Dann führte er für etwa zehn bis dreißig Sekunden einen Finger in die Scheide des Mädchens ein. Am Abend desselben Tages öffnete er erneut ihre Jeans, drang wiederum mit einem Finger in ihre Scheide ein, ließ aber von der Geschädigten ab, als sie zu ihm sagte, dass sie das nicht wolle. Am 14. Dezember 2012 begab sich der Angeklagte in das Schlafzimmer der Nebenklägerin, legte sich zu ihr und fasste ihr zwischen die Beine, wobei er erneut mit einem Finger in ihre Scheide eindrang. Als sie zum Ausdruck brachte, dass sie das nicht wolle, hörte er wiederum sofort auf.
3
2. Die auf eine Verletzung des „§ 244 Abs. 2 bis 4 StPO“ gestützte Verfahrensrüge ist aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 6. März 2014 jedenfalls unbegründet. Darüber hinaus hat die Überprüfung des Schuldspruchs auf die Sachrüge keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt. Auch insoweit nimmt der Senat auf die Ausführungen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 6. März 2014 Bezug.
4
3. Der Strafausspruch hält jedoch sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Bei der Zumessung der Einzelstrafen hat die Strafkammer „mit vollem Gewicht strafschärfend“ berücksichtigt, „dass diese bei der Geschädigten nicht unerhebliche konkrete Tatfolgen verursacht haben – wobei diese zwar erst nach der dritten Tat nach außen getreten sind, aber davon auszugehen ist, dass hier die Erfahrungen aller drei Übergriffe zusammenwirken“.
5
Diese Erwägung ist rechtsfehlerhaft. Mit ihrem vollen Gewicht können psychische Schäden bei der Bemessung einzelner Strafen nur in Ansatz gebracht werden, wenn festgestellt ist, dass sie die unmittelbare Folge gerade dieser Taten sind, nicht aber in gleicher Weise auch bei der Bemessung sämtlicher anderer Einzelstrafen. Sind die psychischen Schäden dagegen Folge aller Taten, wovon die Strafkammer hier offenbar ausgeht, so können sie dem An- geklagten nur einmal, nämlich bei der Gesamtstrafenbildung, angelastet werden (BGH, Beschlüsse vom 13. November 1997 – 4 StR 539/97, NStZ-RR 1998, 107 f. und vom 20. Juli 1993 – 4 StR 316/93; Senatsurteil vom 9. Juli 2014 – 2 StR 574/13 mwN).
6
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne die rechtsfehlerhafte Strafzumessungserwägung, der sie zu Lasten des Angeklagten bei der Bemessung aller Einzelstrafen besonderes Gewicht beigemessen hat, zu niedrigeren Einzelstrafen gelangt wäre. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.
Fischer Schmitt RiBGH Prof. Dr. Krehl ist an der Unterschrift gehindert. Fischer Eschelbach Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 541/17
vom
9. Januar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:090118B5STR541.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. Januar 2018 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. Juli 2017 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch Schutzbefohlener und mit gefährlicher Körperverletzung in 13 Fällen, wegen Nötigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch Schutzbefohlener, sowie wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch Schutzbefohlener und mit gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Von der Gesamtfreiheitsstrafe hat es aufgrund rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung sechs Monate als vollstreckt erklärt. Die gegen das Urteil gerichtete und auf eine Verfahrensrüge sowie die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
Der ergänzenden Erörterung bedarf nur Folgendes:
3
1. Die durch den Beschwerdeführer erhobene Verfahrensrüge betreffend eine „Verletzung des § 273 Abs. 3 StPO“ ist bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Denn der Beschwerdeführer hat vorgetragen, der Angeklagte habe die Taten in Annahme einer Verständigung „ohne nähere Ausführungen zum eigentlichen Tatgeschehen durch ein kurzes Pauschalgeständnis“ eingeräumt. Dieser Vortrag ist wahrheitswidrig. Aus der Sitzungsniederschrift, den Urteilsgründen und der dienstlichen Äußerung der Vorsitzenden geht hervor, dass der Angeklagte kein bloßes „Pauschalgeständnis“ abgegeben, sondern sich umfänglich zur Sache eingelassen hat.
4
Ferner kann dem Vorbringen die Angriffsrichtung der Rüge nicht hinreichend klar entnommen werden. Soweit der Beschwerdeführer beanstandet, er hätte der Verständigung nicht zugestimmt, wenn diese verlesen worden wäre, steht seiner Behauptung schon entgegen, dass der Verständigungsvorschlag von der Vorsitzenden in das Protokoll diktiert worden ist und dass der Angeklagte exakt diesem Vorschlag nach Erteilung der erforderlichen Belehrungen und nach Rücksprache mit dem Verteidiger zugestimmt hat. Soweit der Beschwerdeführer dahin zu verstehen ist, dass die Verständigung unter dem (versteckten ) Vorbehalt der Nichtvernehmung der Nebenklägerin zustande gekommen ist, fehlt es an jeglichem Vortrag zu Umständen, auf die sich eine diesbezügliche Erwartungshaltung des Angeklagten hätte gründen können. Die Vorsitzende hat in ihrer dienstlichen Äußerung in Abrede gestellt, dass ein solcher Vorbehalt im Rahmen der Verständigung eine Rolle gespielt hat.
5
2. Der Schuldspruch wird von den Feststellungen getragen. Das gilt auch, soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in 17 Fällen (§ 224 Abs. 1 Nr. 5, teils auch Nr. 2 StGB) zum Nachteil seiner Tochter und in einem Fall zum Nachteil seines Sohnes verurteilt wurde. Insoweit sind die Taten nicht etwa wegen Einwilligung der Tatopfer gerechtfertigt.
6
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts würgte der Angeklagte seine beiden Kinder jeweils bis zum Eintritt von Atemnot, wobei er vielfach Stricke , Schals, Tücher oder Lederbänder einsetzte. Die sadomasochistischen Praktiken filmte bzw. fotografierte er, um sich an den Aufnahmen sexuell zu erregen.
7
aa) Die Mitwirkungsbereitschaft der während der ersten Tatserie (Taten 1 bis 12) höchstens zwölf Jahre alten Tochter und des zur Tatzeit zehn Jahre alten Sohnes des Angeklagten (Tat 13) ist jeweils schon wegen Einwilligungsunfähigkeit rechtlich ohne Bedeutung. Nach Rechtsprechung und herrschender Lehre ist einwilligungsfähig, wer nach seiner geistigen und sittlichen Reife imstande ist, Bedeutung und Tragweite des konsentierten Rechtsgutsangriffs zu erkennen und sachgerecht zu beurteilen, wobei umso strengere Anforderungen zu stellen sind, je gewichtiger der Angriff ist und je schwerer seine Folgen abzusehen sind (vgl. BGH, Urteile vom 12. November 1953 – 3 StR 713/52, BGHSt 5, 362, 363 f.; vom 10. Februar 1959 – 5 StR 533/58, BGHSt 12, 379, 382 f.; BayObLG NJW 1999, 372; Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., vor § 32 ff. Rn. 40 mwN). Es muss nicht entschieden werden, ob Einwilligungsfähigkeit in Bezug auf geringer wiegende Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit auch unterhalb der Altersgrenze von 14 Jahren gegeben sein kann (dazu LK-StGB/Rönnau, 12. Aufl., vor § 32 Rn. 195 mwN). Denn es liegt auf der Hand, dass einem zehn bzw. zwölf Jahre alten Kindes das erforderliche Urteilsvermögen in Bezug auf vom Täter nicht vollständig kontrollierbare und damit zumindest abstrakt lebensgefährliche Würgehandlungen fehlt. Eines Eingehens auf eine Unwirksamkeit der Einwilligung der Nebenklä- gerin wegen Täuschung oder der Einwilligung beider Kinder wegen Sittenwidrigkeit (§ 228 StGB) bedarf es daher nicht mehr.
8
bb) Vor der rund ein Jahr nach dem ersten Tatkomplex folgenden zweiten Tatserie drohte der Angeklagte seiner nunmehr 14 Jahre alten Tochter unter Scheinidentitäten, dass ihr zunächst die Finger gebrochen und die Haare ausgerissen würden, wonach sie durch Überstülpen einer Plastiktüte erstickt werde, wenn sie nicht (weitere) Aufnahmen von sadomasochistischen Praktiken von sich erstellen lasse und übermittle. In dieser von ihr als real empfundenen Drucksituation ergab sich die Nebenklägerin in ihr Schicksal. Die solchermaßen erzwungene Mitwirkungsbereitschaft ist ohne Weiteres irrelevant (vgl. Sternberg-Lieben, aaO, vor §§ 32 ff. Rn. 48 mwN).
9
2. Der Generalbundesanwalt beanstandet, dass das Landgericht die schweren Tatfolgen für die Nebenklägerin sowohl bei der Bemessung der Einzelstrafen als auch bei der Bildung der Gesamtstrafe straferschwerend berücksichtigt hat. Er bezieht sich dabei auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach Beeinträchtigungen des Opfers durch eine Mehrheit von Taten dem Täter nur dann mit vollem Gewicht bei den Einzeltaten angelastet werden dürfen , wenn sie unmittelbare Folge der Einzeltaten sind; sind sie dagegen Folge aller Taten, so können sie nur einmal, nämlich bei der Gesamtstrafenbildung, gewichtet werden (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 13. November 1997 – 4 StR 539/97, NStZ-RR 1998, 107 f.; vom 22. Juli 2014 – 2 StR 84/14, NStZ-RR 2014, 340). Allerdings ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass bereits die Einzeltaten des ersten Tatkomplexes die Nebenklägerin seelisch, aber auch körperlich „über die Maßen“ belastet haben (UA S. 11, 19). Verstärkt gilt dies für die Taten der zweiten Tatserie, aufgrund derer sich die Nebenkläge- rin ständig in großer Angst befand und schon damals ernsthafte Suizidgedanken hegte (UA S. 12, 20).
10
Es kann offenbleiben, ob der Strafausspruch als durchgreifend rechtsfehlerhaft angesehen werden muss, wenn das Tatgericht unter solchen Vorzeichen die schweren Tatfolgen bei der Bemessung der Einzelstrafen ohne ausdrücklich einschränkenden Hinweis in Ansatz gebracht hat. Denn mit dem Generalbundesanwalt ist hier jedenfalls ein Beruhen des Urteils auf dem geltend gemachten Umstand ausgeschlossen (§ 337 Abs. 1 StGB). Gegen den Angeklagten sprechen nämlich derart gewichtige Erschwerungsgründe, dass die ausgeurteilten Einzelstrafen (jeweils ein Jahr Freiheitsstrafe für die Missbrauchstaten des ersten Tatkomplexes, jeweils zwei Jahre Freiheitsstrafe für die Taten der sexuellen Nötigung im zweiten Tatkomplex) als im untersten Bereich des bei der Strafzumessung zu Gebote stehenden Spielraums angesehen werden müssen.
11
Der Angeklagte hat seine Tochter unter Ausnutzung der väterlichen Autorität und des in ihn gesetzten Vertrauens durch die Täuschung zu ihrer Zustimmung zu den Handlungen der ersten Tatserie gebracht, ohne den Verkauf der bei den Taten gemachten Film- bzw. Fotoaufnahmen werde die Familie die Wohnung verlieren und auseinanderbrechen. Bei der Fertigung der Bilder würgte er das zumeist unbekleidete Mädchen mit den Händen oder strangulierte es mit Schlingen und Schals solange, bis dessen Gesicht wegen Atemnot rot angelaufen und angeschwollen war. Regelmäßig hatte es danach Kopfschmerzen , Striemen und Würgemale am Hals. Dass die Nebenklägerin unter der Bedrohungssituation während des zweiten Tatkomplexes immer stärker litt und sich mit Suizidabsichten trug, berührte den Angeklagten nicht (UA S. 12). Die- ses Vorgehen offenbart ein ungewöhnliches Maß an menschenverachtender Gesinnung.
12
Darüber hinaus hat das Landgericht bei der Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe zugunsten des Angeklagten gewertet, dass dessen Hemmschwelle im Verlauf der Taten gesunken sei (UA S. 33). Diese gerade bei serienhaft begangenen Missbrauchstaten ohnehin nicht unproblematische Erwägung (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. Rn. 1213 mwN; ganz abl. Reichenbach JR 2012, 9, 11 f.) kann jedenfalls dann nicht zugunsten des Täters wirken, wenn er, was beim Angeklagten der Fall war, von vornherein eine Vielzahl von Taten geplant hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 27. Januar 2016 – 5 StR 387/15, NStZ-RR 2016, 105 Rn. 17 mwN).
13
4. Dass das Landgericht trotz der auch durch die Taten des Kindesmissbrauchs verursachten gravierenden Konsequenzen für die körperliche und seelische Entwicklung der Nebenklägerin (unter anderem schwere Depressionen, hierdurch bedingter Abgang vom Gymnasium, halbjährige stationäre Unterbringung in der Psychiatrie, Verlust des gesamten Freundeskreises, Notwendigkeit weiterer Therapien) den Verbrechenstatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 3 StGB nicht erkennbar bedacht hat, beschwert den Angeklagten nicht. Entsprechendes gilt für § 176a Abs. 5 Variante 1 StGB (schwere körperliche Misshandlung).
Mutzbauer Sander Schneider
Dölp König