Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Aug. 2018 - 4 StR 248/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 29. August 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Seine hiergegen eingelegte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Nach den Feststellungen hielten sich der unter dem Einfluss von Amfetamin stehende Angeklagte und der Nebenkläger am 20. August 2017 ge- meinsam in der Wohnung des Angeklagten auf. Dabei kam es zu „Provokationen“ seitens des Nebenklägers, bei denen er den Angeklagten unter anderem einen „Spasti“ nannte. Der zunehmend erregte Angeklagte forderte den Neben- kläger daraufhin auf, seine Wohnung zu verlassen. Als der Nebenkläger dieser Aufforderung nicht unmittelbar nachkam und sagte, „halt die Fresse, sonst klatsch ich Dir eine“, stach ihm der Angeklagte ein Küchenmesser mit einer spitzen, etwa 10 Zentimeter langen und scharfen Klinge unterhalb der linken Achsel seitlich in den Oberkörper. Damit wollte der Angeklagte den Nebenkläger dazu bringen, seine Wohnung zu verlassen, ohne ihm lebensgefährliche Verletzungen zuzufügen. Der Nebenkläger erlitt eine sechs Zentimeter tiefe Stichwunde mit Eröffnung der linken Brusthöhle. In der Folge kam es zu einem Pneumothorax. Konkrete Lebensgefahr bestand nicht.
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- Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 und Nr. 5 StGB gewertet. Dabei ist es davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund des vorangegangenen Amfetaminkonsums bei Tatbegehung im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war.
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- 2. Der Rechtsfolgenausspruch hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
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- a) Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil dem Landgericht bei der Wahl des Strafrahmens und der konkreten Strafbemessung Rechtsfehler unterlaufen sind.
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- aa) Die Strafkammer hat die Strafe dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Regelstrafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB entnommen. Die Annahme eines minder schweren Falls im Sinne des § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB hat sie unter Bezugnahme auf die bei der konkreten Strafbemessung an- gestellten Erwägungen abgelehnt und besonders auf die Schwere der Verletzung des Nebenklägers hingewiesen.
- 7
- Diese Begründung ist rechtsfehlerhaft, weil sich das Landgericht nicht damit auseinandergesetzt hat, ob hier mit Blick auf das Tatvorgeschehen die Voraussetzungen des § 213 Alternative 2 StGB gegeben sind. Zwar führt dies bei Körperverletzungsdelikten – anders bei Tötungsdelikten – noch nicht zwingend zur Annahme eines minder schweren Falls, doch ist dessen Zubilligung regelmäßig geboten, sofern nicht erschwerende Gründe im Einzelfall entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 2018 – 1 StR 67/18, Rn. 26; Beschluss vom 27. März 2012 – 5 StR 103/12, NStZ-RR 2012, 277; Urteil vom 17. März 2011 – 5 StR 4/11, StraFo 2012, 24 mwN; siehe auch Beschluss vom 15. Dezember 2016 – 3 StR 417/16, Rn. 4). Daran gemessen reicht es nicht aus, dass das Landgericht durch seine Bezugnahme auf die bei der konkreten Strafbemessung angestellten Erwägungen auch die dort angesprochene ohne nähere Bewertung erwähnte Provokation des Nebenklägers pauschal bei der Strafrahmenwahl mit herangezogen hat.
- 8
- Rechtsfehlerhaft ist es vorliegend auch, dass sich die Strafkammer nicht erkennbar damit auseinandergesetzt hat, ob ein minder schwerer Fall gemäß § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB unter Heranziehung des vertypten Strafmilderungsgrundes des § 21 StGB zu bejahen war (zur Prüfungsreihenfolge vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2017 – 3 StR 516/16, NStZ 2017, 524 mwN). In diesem Fall hätte sich eine deutlich niedrigere Strafrahmenobergrenze ergeben.
- 9
- bb) Schließlich ist auch zu beanstanden, dass das Landgericht dem Angeklagten bei der konkreten Strafzumessung und durch die allgemeine Bezugnahme auch bei der Strafrahmenwahl die Verwirklichung von zwei Varianten des § 224 Abs. 1 StGB angelastet hat. Denn in Bezug auf den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht, dass der Angeklagte die Umstände erkannt hat, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit seines Tuns für das Leben des Nebenklägers in der konkreten Situation ergab (vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2015 – 4 StR 442/14, NStZ-RR 2015, 172, 173; Urteil vom 29. Januar 1952 – 1 StR 767/51, BGHSt 2, 160, 163; st. Rspr.). Dies versteht sich hier auch nicht von selbst. Zwar hat der Angeklagte objektiv eine lebensgefährliche Gewalthandlung begangen, doch ist das Landgericht mit Rücksicht auf die Amfetaminintoxikation und die Übermüdung des Angeklagten an anderer Stelle (bei der Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes ) selbst davon ausgegangen, dass er sich der Gefährlichkeit seines Handelns möglicherweise nicht in vollem Umfang bewusst war (UA 15). Unter diesen Umständen hätte es im Hinblick auf § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB – andersals bei dem gleichzeitig bejahten § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB – näherer Ausführungen zur subjektiven Tatseite bedurft.
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- b) Auch die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB kann nicht bestehen bleiben.
- 11
- Zwar hat das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen das Vorliegen eines Hangs und eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Hang und der Tatbegehung bejaht. Das Vorliegen einer hangbedingten Gefährlichkeit ist aber nicht hinreichend belegt. Der Angeklagte ist nicht vorbestraft. Die von ihm begangene Gewalttat geht maßgeblich auf eine Provokation des Nebenklägers zurück. Auch wenn die von § 64 Satz 1 StGB geforderte Gefahr allein durch die Anlasstat begründet werden kann und durch eine hangbedingte schwere Gewalttat regelmäßig hinreichend belegt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 – 5 StR 31/06, NStZ-RR 2006, 204 [Ls] mwN), hätte es hier mit Rücksicht auf die festgestellte Provokationslage und den sich daraus ergebenden besonderen Situationsbezug näherer Ausführungen dazu bedurft, warum mit einer Wiederholung zu rechnen ist. Die allgemeine Erwägung der Strafkammer, wonach die Ausgangsbedingungen der Tat jederzeit reproduzierbar seien, reicht dafür nicht aus, zumal es nach den Feststellungen auch schon in der Vergangenheit zu kleineren Streitigkeiten zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger gekommen war und sich beide auch noch zwei Tage vor der Tat gestritten hatten, ohne dass der Angeklagte deshalb gewalttätig geworden wäre (UA 4).
Franke Quentin
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
(1) Wer die Körperverletzung
- 1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, - 2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, - 3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls, - 4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder - 5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
(2) Der Versuch ist strafbar.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Wer die Körperverletzung
- 1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, - 2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, - 3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls, - 4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder - 5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
(2) Der Versuch ist strafbar.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.