Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Aug. 2018 - 4 StR 248/18

bei uns veröffentlicht am29.08.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 248/18
vom
29. August 2018
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2018:290818B4STR248.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 29. August 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 22. Februar 2018 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Seine hiergegen eingelegte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen hielten sich der unter dem Einfluss von Amfetamin stehende Angeklagte und der Nebenkläger am 20. August 2017 ge- meinsam in der Wohnung des Angeklagten auf. Dabei kam es zu „Provokationen“ seitens des Nebenklägers, bei denen er den Angeklagten unter anderem einen „Spasti“ nannte. Der zunehmend erregte Angeklagte forderte den Neben- kläger daraufhin auf, seine Wohnung zu verlassen. Als der Nebenkläger dieser Aufforderung nicht unmittelbar nachkam und sagte, „halt die Fresse, sonst klatsch ich Dir eine“, stach ihm der Angeklagte ein Küchenmesser mit einer spitzen, etwa 10 Zentimeter langen und scharfen Klinge unterhalb der linken Achsel seitlich in den Oberkörper. Damit wollte der Angeklagte den Nebenkläger dazu bringen, seine Wohnung zu verlassen, ohne ihm lebensgefährliche Verletzungen zuzufügen. Der Nebenkläger erlitt eine sechs Zentimeter tiefe Stichwunde mit Eröffnung der linken Brusthöhle. In der Folge kam es zu einem Pneumothorax. Konkrete Lebensgefahr bestand nicht.
3
Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 und Nr. 5 StGB gewertet. Dabei ist es davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund des vorangegangenen Amfetaminkonsums bei Tatbegehung im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war.
4
2. Der Rechtsfolgenausspruch hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil dem Landgericht bei der Wahl des Strafrahmens und der konkreten Strafbemessung Rechtsfehler unterlaufen sind.
6
aa) Die Strafkammer hat die Strafe dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Regelstrafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB entnommen. Die Annahme eines minder schweren Falls im Sinne des § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB hat sie unter Bezugnahme auf die bei der konkreten Strafbemessung an- gestellten Erwägungen abgelehnt und besonders auf die Schwere der Verletzung des Nebenklägers hingewiesen.
7
Diese Begründung ist rechtsfehlerhaft, weil sich das Landgericht nicht damit auseinandergesetzt hat, ob hier mit Blick auf das Tatvorgeschehen die Voraussetzungen des § 213 Alternative 2 StGB gegeben sind. Zwar führt dies bei Körperverletzungsdelikten – anders bei Tötungsdelikten – noch nicht zwingend zur Annahme eines minder schweren Falls, doch ist dessen Zubilligung regelmäßig geboten, sofern nicht erschwerende Gründe im Einzelfall entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 2018 – 1 StR 67/18, Rn. 26; Beschluss vom 27. März 2012 – 5 StR 103/12, NStZ-RR 2012, 277; Urteil vom 17. März 2011 – 5 StR 4/11, StraFo 2012, 24 mwN; siehe auch Beschluss vom 15. Dezember 2016 – 3 StR 417/16, Rn. 4). Daran gemessen reicht es nicht aus, dass das Landgericht durch seine Bezugnahme auf die bei der konkreten Strafbemessung angestellten Erwägungen auch die dort angesprochene ohne nähere Bewertung erwähnte Provokation des Nebenklägers pauschal bei der Strafrahmenwahl mit herangezogen hat.
8
Rechtsfehlerhaft ist es vorliegend auch, dass sich die Strafkammer nicht erkennbar damit auseinandergesetzt hat, ob ein minder schwerer Fall gemäß § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB unter Heranziehung des vertypten Strafmilderungsgrundes des § 21 StGB zu bejahen war (zur Prüfungsreihenfolge vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2017 – 3 StR 516/16, NStZ 2017, 524 mwN). In diesem Fall hätte sich eine deutlich niedrigere Strafrahmenobergrenze ergeben.
9
bb) Schließlich ist auch zu beanstanden, dass das Landgericht dem Angeklagten bei der konkreten Strafzumessung und durch die allgemeine Bezugnahme auch bei der Strafrahmenwahl die Verwirklichung von zwei Varianten des § 224 Abs. 1 StGB angelastet hat. Denn in Bezug auf den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht, dass der Angeklagte die Umstände erkannt hat, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit seines Tuns für das Leben des Nebenklägers in der konkreten Situation ergab (vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2015 – 4 StR 442/14, NStZ-RR 2015, 172, 173; Urteil vom 29. Januar 1952 – 1 StR 767/51, BGHSt 2, 160, 163; st. Rspr.). Dies versteht sich hier auch nicht von selbst. Zwar hat der Angeklagte objektiv eine lebensgefährliche Gewalthandlung begangen, doch ist das Landgericht mit Rücksicht auf die Amfetaminintoxikation und die Übermüdung des Angeklagten an anderer Stelle (bei der Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes ) selbst davon ausgegangen, dass er sich der Gefährlichkeit seines Handelns möglicherweise nicht in vollem Umfang bewusst war (UA 15). Unter diesen Umständen hätte es im Hinblick auf § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB – andersals bei dem gleichzeitig bejahten § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB – näherer Ausführungen zur subjektiven Tatseite bedurft.
10
b) Auch die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB kann nicht bestehen bleiben.
11
Zwar hat das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen das Vorliegen eines Hangs und eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Hang und der Tatbegehung bejaht. Das Vorliegen einer hangbedingten Gefährlichkeit ist aber nicht hinreichend belegt. Der Angeklagte ist nicht vorbestraft. Die von ihm begangene Gewalttat geht maßgeblich auf eine Provokation des Nebenklägers zurück. Auch wenn die von § 64 Satz 1 StGB geforderte Gefahr allein durch die Anlasstat begründet werden kann und durch eine hangbedingte schwere Gewalttat regelmäßig hinreichend belegt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 – 5 StR 31/06, NStZ-RR 2006, 204 [Ls] mwN), hätte es hier mit Rücksicht auf die festgestellte Provokationslage und den sich daraus ergebenden besonderen Situationsbezug näherer Ausführungen dazu bedurft, warum mit einer Wiederholung zu rechnen ist. Die allgemeine Erwägung der Strafkammer, wonach die Ausgangsbedingungen der Tat jederzeit reproduzierbar seien, reicht dafür nicht aus, zumal es nach den Feststellungen auch schon in der Vergangenheit zu kleineren Streitigkeiten zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger gekommen war und sich beide auch noch zwei Tage vor der Tat gestritten hatten, ohne dass der Angeklagte deshalb gewalttätig geworden wäre (UA 4).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

26
a) Das Landgericht hat es unterlassen, sich ausdrücklich mit den Voraussetzungen des Provokationstatbestandes der ersten Alternative des § 213 StGB auseinanderzusetzen. Hierzu bestand nach den tatsächlichen Gegebenheiten des festgestellten Vorgehens des Nebenklägers gegen den Angeklagten (UA S. 13) Anlass (vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 213 Rn. 2 ff.). Rechtlich war die Erörterung des § 213 Alt. 1 StGB angezeigt, weil sein Vorliegen auch im Rahmen des § 224 StGB die Annahme eines minder schweren Falles regelmäßig nahe legt, sofern nicht erschwerende Gründe im Einzelfall entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2011 – 5 StR 4/11, StraFo 2012, 24 f.; Be- schlüsse vom 9. August 1988 – 4 StR 221/88, BGHR StGB § 223a Abs. 1 Strafzumessung 2; vom 27. März 2012 – 5 StR 103/12, NStZ-RR 2012, 277 und vom 19. Juni 2012 – 3 StR 206/12, NStZ-RR 2012, 308; ferner Fischer, aaO, § 224 Rn. 34 mwN). Dies erscheint vorliegend zumindest nicht von vorneherein ausgeschlossen, zumal die Kammer weitere Milderungsgründe für die Zumessung der Strafe als bestimmend angesehen hat, namentlich das Geständnis und die Entschuldigung des Angeklagten.
5 StR 103/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 27. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. März 2012

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. Oktober 2011 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Die Annahme eines unbeendeten Tötungsversuchs und die darauf gründende Zubilligung strafbefreienden Rücktritts (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f.) beschwert den Angeklagten nicht.
Ebenso wenig beschwert den zu vier Jahren Freiheitsstrafe aus dem Strafrahmen nach §§ 213, 23, 49 Abs. 1 StGB verurteilten Angeklagten die inkonsequente und unrichtige Strafrahmenwahl des Landgerichts. Das Vorliegen der Voraussetzungen der ersten Alternative des § 213 StGB legt die Zubilligung eines minder schweren Falles nach § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB zwar nahe (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2011 – 5 StR 4/11, StraFo 2012, 24 mwN), zwingt jedoch – wenn, wie hier, gravierende erschwerende Umstände in den Vorbelastungen des Angeklagten und der Art der Tatausführung ge- geben sind – nicht dazu. Daher wäre die Strafe zutreffend – nicht anders als bei der Annahme idealkonkurrierenden versuchten Totschlags – dem Normalstrafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB zu entnehmen gewesen.
Basdorf Brause Schaal König Bellay
5 StR 4/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 17. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
17. März 2011, an der teilgenommen haben:
Richter Dr. Raum als Vorsitzender,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
alsbeisitzendeRichter,
Bundesanwalt
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
der Angeklagte persönlich,
Rechtsanwalt B.
alsVerteidiger,
Rechtsanwalt S.
alsNebenklägervertreter,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 19. Juli 2010 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Der hiergegen gerichtete, mit Verfahrensrügen und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten bleibt zum Schuldspruch aufgrund der zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt. Das Rechtsmittel führt allerdings mit der Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts schlug der Angeklagte den Nebenkläger mit zwei Bierflaschen aus Glas (0,33 I) auf den Hinterkopf, wobei eine Flasche zerbrach. Der Nebenkläger konnte den Angeklagten zunächst abdrängen. Der Angeklagte ging jedoch sofort wieder auf den Neben- kläger los. Mit dem scharfkantigen Hals der zerbrochenen Bierflasche schlug und stach er mehrfach in Richtung des Halses und des Kopfs des Nebenklägers. Er verursachte glattrandige Verletzungen im Bereich des linken Ohrs mit einer fast vollständigen Abtrennung des linken Ohrläppchens und mehrere , teils schlitzartige und in einem Fall bis ins Unterhautfettgewebe reichende glattrandige Verletzungen an der linken Halsseite, die nur wenige Zentimeter von der Halsschlagader bzw. der Halsvene entfernt waren; der Angriff war deswegen lebensbedrohend (UA S. 7, 14). Nur durch das Eingreifen weiterer Gäste und des Sicherheitsdienstes konnte er von weiteren Verletzungshandlungen abgehalten werden.
3
2. Die sachverständig beratene Schwurgerichtskammer ist davon ausgegangen , dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund des Zusammenwirkens einer alkoholischen Beeinflussung (maximale Blutalkoholkonzentration : 1,26 ‰), von Übermüdung und einer ängstlich gereizten Grundstimmung infolge von Nachstellungen und Provokationen von Seiten des Nebenklägers im Vorfeld sowie unmittelbar vor der Tat nicht ausschließbar erheblich im Sinne von § 21 StGB vermindert gewesen sei. Sie hat die Strafe dem in § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB normierten minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung entnommen. Die Annahme eines minder schweren Falls sei dabei nur unter Berücksichtigung und Verbrauch des vertypten Strafmilderungsgrundes nach § 21 StGB gerechtfertigt.
4
3. Der Strafausspruch hat aufgrund der Nichtabhandlung der Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB keinen Bestand.
5
a) Das Landgericht hat es unterlassen, sich ausdrücklich mit den Voraussetzungen des Provokationstatbestandes der ersten Alternative des § 213 StGB auseinanderzusetzen. Hierzu bestand nach den tatsächlichen Gegebenheiten ungeachtet des festgestellten, für sich nicht massiven Vorgehens des Nebenklägers gegen den Angeklagten und seine Freundin unmittelbar vor Tatbegehung (UA S. 6) angesichts des vorangegangenen nachhaltigen Nachstellungsverhaltens des Nebenklägers (UA S. 4 f.) Anlass (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 213 Rn. 5 a.E. mN zur st. Rspr.). Rechtlich war die Erörterung des § 213 Alt. 1 StGB angezeigt, weil sein Vorliegen auch im Rahmen des § 224 StGB die Annahme eines minder schweren Falles regelmäßig gebietet (vgl. zu § 226 Abs. 2 StGB aF: BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 1991 – 5 StR 6/91, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 2; vom 19. Januar 1994 – 2 StR 560/93, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 5; siehe auch BGH, Beschluss vom 9. August 1988 – 4 StR 221/88, BGHR StGB § 223a Abs. 1 Strafzumessung 2; ferner jeweils mwN: Fischer, aaO, § 224 Rn. 15; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 224 Rn. 15). Sofern der Erregungszustand über den in § 213 StGB umschriebenen hinausgeht und zu einer von dieser Vorschrift nicht vorausgesetzten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt, kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ohne Verstoß gegen § 50 StGB eine zusätzliche Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 24. August 1976 – 1 StR 482/76; Beschlüsse vom 19. Januar 1994 – 2 StR 560/93, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 5; vom 6. November 1985 – 2 StR 590/85, NStZ 1986, 115; vom 30. Juli 2008 – 2 StR 270/08, NStZ 2009, 91, 92; vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 454/10).
6
b) Danach kann sich die Nichterörterung des § 213 Alt. 1 StGB hier auf die Strafrahmenwahl ausgewirkt haben. Allerdings gehen die beiden Milderungsgründe nach §§ 213 und 21 StGB mit der durch die Provokation verursachten affektiven Erregung des Angeklagten auf dieselbe Wurzel zurück. Dies kann einer nochmaligen Strafrahmenmilderung entgegenstehen, obliegt aber der Prüfung des Tatgerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 454/10; Schneider in MK, § 213 Rn. 28 mwN; noch weiter einschränkend Jähnke in LK, 11. Aufl., § 213 Rn. 14).
7
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht eine nochmalige Strafrahmenverschiebung vorgenommen oder aus dem Strafrahmen des § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB eine mildere Strafe verhängt hätte, wenn es die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB geprüft und bejaht sowie konsequent diesen Umstand und die erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des nur unwesentlich vorbelasteten Angeklagten bei der allgemeinen Strafzumessung zu seinen Gunsten bewertet hätte.
8
c) Das neue Tatgericht wird bei der erneuten Straffindung insbesondere im Blick auf die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB das gesamte relevante Vorverhalten des Nebenklägers und dessen Einfluss auf die Tatbegehung des Angeklagten umfassend aufzuklären und zudem erneut Feststellungen dazu zu treffen haben, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB vorliegen.
Raum Schaal Schneider König Bellay
4
Eine Erstattung der notwendigen Auslagen des Angeklagten im Revisionsverfahren findet wegen der zum Schuldspruch gleichfalls erfolglosen Revision des Angeklagten nicht statt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 473 Rn. 10a).

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 516/16
vom
4. April 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur sexuellen Nötigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:040417B3STR516.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 1. a) und 2. auf dessen Antrag - am 4. April 2017 gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen :
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 9. August 2016 wird

a) das Verfahren im Fall II. 4 der Urteilsgründe eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last,

b) das vorgenannte Urteil - unter Aufrechterhaltung der zugehörigen Feststellungen - aufgehoben,
aa) soweit der Angeklagte im Fall II. 5 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freispruch im Übrigen - wegen Beihilfe zur sexuellen Nötigung, Beleidigung und Beihilfe zur Beleidigung in Tateinheit mit Beihilfe zur Sachbeschädigung unter Einbeziehung von früher gegen ihn verhängten Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt auf Antrag des Generalbundesanwalts zur teilweisen Einstellung des Verfahrens und hat darüber hinaus den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verfahrensrüge dringt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.
3
2. Auf Antrag des Generalbundesanwalts hat der Senat das Verfahren gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II. 4 der Urteilsgründe wegen Beihilfe zur Beleidigung in Tateinheit mit Beihilfe zur Sachbeschädigung verurteilt worden ist.
4
3. Im Hinblick auf die Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 5 der Urteilsgründe wegen Beihilfe zur sexuellen Nötigung kann der Ausspruch über die insoweit verhängte Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten keinen Bestand haben, weil sich die Strafrahmenwahl als rechtsfehlerhaft erweist.
5
Das Landgericht hat der Strafzumessung den gemäß § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Regelstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung zugrunde gelegt. Das Vorliegen eines minder schweren Falles im Sinne des § 177 Abs. 5 StGB aF hat die Strafkammer ver- neint. Zur Begründung hat sie auf die Erwägungen Bezug genommen, aus denen sie im Hinblick auf den als Täter der sexuellen Nötigung verurteilten Mitangeklagten die Annahme eines minder schweren Falles abgelehnt hat. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
6
Sieht das Gesetz einen besonderen Strafrahmen für minder schwere Fälle vor und ist - wie hier gemäß § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB - auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, muss bei der Strafrahmenwahl im Rahmen einer Gesamtwürdigung zunächst geprüft werden, ob die allgemeinen Milderungsgründe die Annahme eines minder schweren Falles tragen. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falles abzulehnen, so sind zusätzlich die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter die Anwendung des milderen Strafrahmens danach weiterhin nicht für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 7. März 2017 - 2 StR 567/16, juris Rn. 6; vom 13. Oktober 2016 - 3 StR 248/16, juris Rn. 5, jeweils mwN).
7
Daran fehlt es hier. Die Strafkammer hat nicht geprüft, ob ein minder schwerer Fall anzunehmen ist, weil bei dem Angeklagten - im Gegensatz zu dem Mitangeklagten - der gesetzlich vertypte Strafmilderungsgrund nach § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB vorliegt.
8
4. Die Einzelstrafe im Fall II. 5 der Urteilsgründe ist deshalb neu zu bemessen. Hierzu hebt der Senat auch den den Angeklagten an sich nicht beschwerenden Schuldspruch in diesem Fall auf, um der nunmehr zur Entschei- dung berufenen Strafkammer eine Strafzumessung aufgrund einer gegebenenfalls abweichend vorzunehmenden rechtlichen Bewertung der Tat zu ermöglichen. Im Einzelnen:
9
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts verbrachte die in verschiedener Hinsicht psychisch und körperlich beeinträchtigte Nebenklägerin das Wochenende vom 12. bis zum 15. September 2014 gemeinsam mit dem Angeklagten und dem Mitangeklagten in der Wohnung des Angeklagten. Während dieser Zeit beging der Mitangeklagte insgesamt sieben Straftaten zum Nachteil der Nebenklägerin, im Wesentlichen Beleidigungen sowie die im Fall II. 5 der Urteilsgründe abgeurteilte sexuelle Nötigung.
10
Zu der Beteiligung des Angeklagten an den Taten hat die Strafkammer allgemein ausgeführt, dass dieser "zwar nicht bei allen aufzuzeigenden Straftaten in der Weise beteiligt" gewesen sei, dass er dem Mitangeklagten "jeweils im Einzelfall konkrete Anweisungen zu einem entsprechenden Verhalten gegeben" habe. Er habe aber "durch sein Gesamtverhalten" von Anfang an "demonstriert" , "dass er das provozierende, demütigende und menschenverachtende Verhalten gegenüber der Nebenklägerin stützte und gleichfalls wollte". Er habe seinen "persönlichen Spaß" an den Aktionen des Mitangeklagten zum Nachteil der Nebenklägerin gehabt und dies "unverhohlen" gezeigt. Dadurch habe er den Mitangeklagten in dessen "ohnehin vorhandenen Tatentschluss" bestärkt.
11
Die sexuelle Nötigung des Mitangeklagten zum Nachteil der Nebenklägerin ereignete sich den Feststellungen zufolge, nachdem der Angeklagte und der Mitangeklagte eine Zeitlang mit der Nebenklägerin auf dem Sofa gesessen hatten. Der Angeklagte forderte den Mitangeklagten sodann "unvermittelt" auf, "seinen Penis aus der Hose zu holen" und ihn der Nebenklägerin ins Gesicht zu halten sowie in ihren Mund zu stecken. "Daraufhin" zog der Mitangeklagte "un- ter dem Einfluss dieser Aufforderung" seine Hose herunter, setzte sich auf die Nebenklägerin und drückte ihr seinen nackten Penis ins Gesicht. Anschließend forderte er "gemäß der an ihn gerichteten Aufforderung" die Nebenklägerin auf, seinen Penis in den Mund zu nehmen.
12
b) Aufgrund dieser Feststellungen hätte das Landgericht prüfen müssen, ob der Angeklagte den Mitangeklagten zu der sexuellen Nötigung angestiftet hat. Dies wird nunmehr nachzuholen sein. Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) stünde einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs nicht entgegen (vgl. dazu BGH, Urteile vom 14. Oktober 1959 - 2 StR 291/59, BGHSt 14, 5, 7; vom 17. Juli 1979 - 1 StR 261/79, BGHSt 29, 63, 66), sondern lediglich der Verhängung einer höheren Einzelstrafe.
13
Die der Verurteilung des Angeklagten zugrunde liegenden bisherigen Feststellungen bleiben von dem Rechtsfehler indes unberührt und können deshalb gemäß § 353 Abs. 2 StPO bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
14
5. Die Teileinstellung des Verfahrens sowie die Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 5 der Urteilsgründe entziehen auch dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage. Auch insoweit haben die zugehörigen, rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen indes Bestand.
Becker RiBGH Gericke und Ri'inBGH Dr. Spaniol befinden sich im Urlaub und sind daher gehindert zu unterschreiben. Becker Tiemann Hoch

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 442/14
vom
26. März 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. März
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin – in der Verhandlung –,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung –
als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung –
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 3. April 2014, auch zugunsten der Angeklagten, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wenden sich die Nebenkläger mit ihren zulässigen Revisionen und rügen die Verletzung sachlichen Rechts. Sie beanstanden insbesondere, dass die Angeklagte nicht wegen Körperverletzung mit Todesfolge im Sinne von § 227 StGB oder wegen eines Tötungsdelikts verurteilt worden ist. Die Rechtsmittel haben Erfolg, und zwar auch insoweit, als sie zugunsten der Angeklagten wirken (§ 301 StPO).

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Die aus schwierigen, von Gewalt und sexuellem Missbrauch geprägten familiären Verhältnissen stammende, zum Tatzeitpunkt 44 Jahre alte Ange- klagte ist seit ihrem 18. Lebensjahr verheiratet. Die Ehe gestaltete sich schon nach kurzer Zeit wegen starken Alkoholkonsums, Geldverschwendung und Gewalttätigkeiten des Ehemannes zunehmend problematisch. Zum Tatzeitpunkt war die Angeklagte, die bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Krise von ihrem Ehemann kaum Unterstützung erfuhr, nicht mehr in der Lage, die laufenden Verbindlichkeiten der inzwischen hoch verschuldeten Familie zu bedienen.
4
Nach Eingang einer neuerlichen Mahnung, mit der sie zur Rückführung eines Bankkredits aufgefordert wurde, beschloss die Angeklagte erstmals, bei einer Person außerhalb ihrer Familie um Hilfe zu bitten. Am Tattag, dem 22. Oktober 2013, suchte sie die 88 Jahre alte, körperlich noch rüstige Geschädigte auf, die in der Nachbarschaft wohnte. Nachdem die Geschädigte die Angeklagte in ihre Wohnung eingelassen und beide sich eine gewisse Zeit unterhalten hatten, nahm die Angeklagte von ihrem ursprünglich gefassten Plan Abstand , die Geschädigte um Geld zu bitten, und wollte nach Hause zurückkehren. Die Geschädigte lud sie jedoch ein, noch gemeinsam in der Küche Kaffee zu trinken. Infolge der mittelschweren Demenzerkrankung der Geschädigten, deren Symptome und Auswirkungen der Angeklagten nicht bekannt waren, sprang die Geschädigte plötzlich vom Küchentisch auf, fing an zu schreien und beschimpfte die Angeklagte, die sie demenzbedingt nun nicht mehr erkannte, als „Miststück“. Da gutes Zureden durch die Angeklagte nicht half und die Ge- schädigte weiter schrie, befürchtete die Angeklagte, dass Nachbarn auf das Geschrei aufmerksam werden könnten. Daher hielt sie der Geschädigten von vorne mit einer Hand den Mund zu, um sie am Schreien zu hindern. Diese setzte sich jedoch in einer solchen Weise zur Wehr, dass es zu einem Gerangel kam, in dessen Verlauf beide zu Boden gingen. Einer plötzlichen Regung folgend setzte sich die Angeklagte auf den Oberkörper der auf dem Rücken lie- genden und noch lebenden, weiterhin schreienden Geschädigten und drückte ihr Mund und Nase ohne Tötungsvorsatz für mindestens zwanzig Sekunden fest zu, um die Geschädigte auf diese Weise zur Ruhe zu bringen, wobei der Angeklagten die Gefährlichkeit ihres Handelns bewusst war. Als sie daraufhin bei der Geschädigten keine Atemtätigkeit mehr feststellte, nahm sie an, diese getötet zu haben. Um ihre Täterschaft zu verdecken und die Tat wie einen Wohnungseinbruchsdiebstahl aussehen zu lassen, fesselte die Angeklagte die Geschädigte in Höhe der Unterschenkel und legte einen straffen Knebel um Kopf und Mund der Frau, den sie mit einem festen Doppelknoten im Mundbereich verschloss. Die Geschädigte verstarb infolge Erstickens, wobei die Strafkammer den genauen Zeitpunkt des Todeseintritts nicht feststellen konnte. Demzufolge hat sie offen gelassen, ob das Tatopfer, dessen Körper während der Knebelung noch Kreislauftätigkeit aufwies, zu diesem Zeitpunkt nur bewusstlos war, der Tod also erst durch die nachfolgende Knebelung eintrat, oder der Tod bereits zuvor infolge des Zuhaltens von Mund und Nase eingetreten war, es sich bei der nachfolgenden Kreislauftätigkeit also lediglich um ein „Nachschlagen des Herzens“ handelte. Das Landgericht hat ferner nicht aus- schließen können, dass die Angeklagte die Tat affektbedingt im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit beging.
5
2. Das Landgericht hat angenommen, dass die Angeklagte sich der gefährlichen Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB strafbar gemacht hat. Da nicht habe aufgeklärt werden können, ob die Geschädigte bereits durch das Zuhalten des Mundes für einen Zeitraum von etwa zwanzig Sekunden oder erst infolge der anschließenden Knebelung zu Tode kam, die Angeklagte aber unwiderlegbar davon ausgegangen sei, ihr Opfer schon durch die erste, ohne Tötungsvorsatz vorgenommene Handlung getötet zu haben, scheide in Anwendung des Zwei- felssatzes eine Verurteilung wegen Totschlags (§ 212 StGB) ebenso aus wie eine solche wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB). Aus demselben Grund komme ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) nicht in Betracht.

II.


6
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf die jeweils mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts begründeten Revisionen der Nebenkläger führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Die Erwägungen der Strafkammer leiden an einem durchgreifenden Rechtsfehler, der die Verurteilung gleichermaßen zugunsten wie auch zu Ungunsten der Angeklagten beeinflusst haben kann (§ 301 StPO; st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 23. August 1995 – 2 StR 394/95, NStZ-RR 1996, 130 mwN).
7
1. Zur Begründung der subjektiven Tatseite der gefährlichen Körperverletzung sowie zur Abgrenzung vom bedingten Tötungsvorsatz stellt die Strafkammer maßgeblich auf das Bewusstsein der Angeklagten von der Gefährlichkeit des Zuhaltens von Mund und Nase des Opfers ab. Insoweit im Wesentlichen der Einlassung der Angeklagten folgend, gelangt sie einerseits zu der Feststellung, die Gefährlichkeit dieses Handelns sei der Angeklagten bewusst gewesen, ein bedingter Tötungsvorsatz lasse sich jedoch nicht feststellen. Die Verneinung des Tötungsvorsatzes stützt das Landgericht bei der Beweiswürdigung hingegen auf die Erwägung, das Verschließen der Atemwege eines Menschen sei zwar grundsätzlich als gefährliche Gewalthandlung anzusehen, die zum Tode führen könne, unter Berücksichtigung der Umstände des Falles sei hier jedoch nicht davon auszugehen, dass die Angeklagte die potentielle Lebensgefährlichkeit ihrer Handlungsweise erkannt und gebilligt habe. Den bedingten Vorsatz einer Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StPO hält die Strafkammer schließlich für gegeben; der Angeklagten sei insbesondere die Gefährlichkeit ihres Handelns und der Umstand, dass es geeignet war, das Leben des Tatopfers zu gefährden, bewusst gewesen.
8
2. Diese Erwägungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die in ihnen enthaltenen Widersprüche können auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht aufgelöst werden.
9
a) Die Urteilsausführungen lassen zum einen besorgen, dass die Strafkammer das Vorliegen der Voraussetzungen eines bedingten Tötungsvorsatzes auf der Grundlage von zwei einander widersprechenden Begründungen verneint hat. Während die Strafkammer einerseits der Einlassung der Angeklagten folgt, ihr sei die Gefährlichkeit des Zuhaltens von Mund und Nase des Tatopfers bewusst gewesen, schließt sie an anderer Stelle aus, dass die Angeklagte die potentielle Lebensgefährlichkeit ihrer Handlungsweise erkannt haben könnte. Da die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmen und wesentlicher Indikator sowohl für das Wissensals auch für das Willenselement des bedingten Tötungsvorsatzes ist (vgl. nur Senatsurteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; BGH, Urteil vom 4. April 2013 – 3 StR 37/13, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 64), kann der Senat auf der Grundlage dieser widersprüchlichen Erwägungen in den Urteilsgründen nicht überprüfen, ob das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat.
10
b) Zum anderen lassen die Ausführungen der Strafkammer besorgen, dass sie – rechtsfehlerhaft – den in-dubio-Grundsatz bereits auf die einzelnen Indizien angewandt hat (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 261 Rn. 26 mwN). Denn sie geht – ohne dies näher zu belegen – davon aus, dass „gegen einen Tötungsvorsatz“ das Nachtatgeschehen, also der Suizidver- such der Angeklagten, spreche, ferner, dass sie sich die Tat nicht zunutze gemacht habe und ein Tötungsmotiv nicht ersichtlich sei. All dies schließt indes einen bedingten Tötungsvorsatz nicht aus, zumal mit ihm handelnde Täter kein Tötungsmotiv haben, sondern einem anderen Handlungsantrieb nachgehen (vgl. Senatsurteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 445). Der Zweifelssatz bedeutet auch nicht, dass von der dem Angeklagten jeweils (denkbar) günstigsten Fallgestaltung auch dann auszugehen ist, wenn hierfür keine Anhaltspunkte bestehen. Unterstellungen zugunsten des Täters sind vielmehr nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter hierfür reale Anknüpfungspunkte hat (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom 13. Dezember 2012 – 4 StR 177/12, NStZ-RR 2013, 117, 118; BGH, Urteil vom 20. Mai 2009 – 2 StR 576/08, NStZ 2009, 630).
11
c) Die nach § 301 StPO gebotene Nachprüfung des Urteils auf Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergibt ferner, dass die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB aus Rechtsgründen ebenfalls keinen Bestand haben kann.
12
Für den Körperverletzungsvorsatz im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist neben dem zumindest bedingten Verletzungsvorsatz erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Täter die Umstände erkennt, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit des Tuns in der konkreten Situation für das Leben des Opfers ergibt, auch wenn er sie nicht als solche bewertet (BGH, Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 15). Die Ausführungen im Rahmen der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes, wonach die Angeklagte die potentielle Lebensgefährlichkeit ihrer Handlungsweise weder erkannt noch gebilligt habe, stehen, wie bereits dargelegt, insoweit in einem unauflösbaren Widerspruch zu den Feststellungen und zur rechtlichen Würdigung.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Bender

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

5 StR 31/06

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 22. Februar 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Februar 2006

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 19. Oktober 2005 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben, soweit eine Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision bleibt zum Schuld- und Strafausspruch ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO), führt indes mit der Sachrüge zur Aufhebung der ablehnenden Entscheidung nach § 64 StGB358 Abs. 2 Satz 2 StPO); auch nach Anfrage bei seinem Verteidiger hat der Angeklagte diesen Punkt nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
2
Der Schuldspruch unterliegt keinen durchgreifenden Bedenken. Die einleitend wiedergegebene Stellungnahme des Sachverständigen zur Frage noch erhaltener Schuldfähigkeit (UA S. 30) bezieht sich ersichtlich allein auf die Einsichtsfähigkeit; bezogen auf die Steuerungsfähigkeit wäre sie zu beanstanden , da bei hoher Alkoholisierung die Möglichkeit eines Vollrausches selbstverständlich nicht etwa regelmäßig auszuschließen ist. Die anschließenden einzelfallbezogenen Erwägungen zum Ausschluss eines Vollrausches , die im Ergebnis von Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung im Einklang mit dem Sachverständigen geteilt wurden, sind indes nicht zu beanstanden und für sich allein tragfähig.
3
Auch Strafrahmenwahl und Strafzumessung begegnen keinen durchgreifenden Bedenken. Nach der eingehenden Auseinandersetzung des Schwurgerichts mit der eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit begründenden massiven Alkoholisierung des Angeklagten ist letztlich nicht zu besorgen, dass das Gericht verkannt haben könnte, dass die strafschärfend gewertete Nichtigkeit des Tatanlasses durch die Verminderung der Schuldfähigkeit bedingt ist und dem Angeklagten daher nicht uneingeschränkt angelastet werden durfte (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 46 Rdn. 33). Dass einer etwaigen zusätzlichen Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB strafmildernde Wirkung zukommen könnte, ist auszuschließen.
4
Allerdings kann die Ablehnung einer Maßregel nach § 64 StGB für sich keinen Bestand haben. Angesichts des Tatbildes der tödlichen Gewalttat des alkoholkranken, mit 3,47 ‰ massiv alkoholisierten Angeklagten gegen einen Trinkgenossen aufgrund nichtigsten Anlasses – Streit, ob das Opfer dem Angeklagten für diesen eingekaufte Zigaretten zu dessen etwa fünf Meter entfernter Parkbank zu bringen habe oder ob der Angeklagte sie sich abholen müsse – überbewerten Gericht und Sachverständiger bei der Verneinung einer Wiederholungsgefahr das Fehlen einschlägiger Vorbelastungen des Angeklagten; sie lassen unbeachtet, dass die von § 64 Abs. 1 StGB geforderte Gefahr allein durch die Anlasstat begründet werden kann und durch eine hangbedingte schwere Gewalttat regelmäßig hinreichend belegt wird (BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 7). Der Senat vermag nicht der Wertung des Tatgerichts zu folgen, die Tat sei „auf eine spezielle Täter-OpferKonstellation in einer für den Angeklagten besonderen Ausnahmesituation zurückzuführen“. Dem widerstreitet die an den Lebensumständen des Angeklagten gemessene Alltagssituation der im Trinkermilieu begangenen Tat.
5
Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es angesichts des bloßen Wertungsfehlers nicht. Da nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ein Ausmaß der Alkoholerkrankung des Angeklagten, bei dem die Voraussetzungen des § 63 StGB in Erwägung zu ziehen wären, ausscheidet, ein Hang im Sinne des § 64 StGB indes feststeht, wird das neue Tatgericht die ausstehende Maßregelentscheidung auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen, namentlich auch zum Vorleben des Angeklagten, die lediglich durch weitere, ihnen nicht widersprechende Feststellungen ergänzbar sind, zu treffen und dafür – erneut mit sachverständiger Hilfe – im Wesentlichen nur noch die Frage hinreichender Erfolgsaussicht einer Entziehungskur im Sinne von BVerfGE 91, 1 zu klären haben.
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