Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Okt. 2018 - 1 StR 438/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 10. Oktober 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten und den nicht revidierenden Mitangeklagten V. jeweils wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen. Den Angeklagten hat es deswegen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die gegen seine Verurteilung mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
I.
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- Nach den Feststellungen des Landgerichts übernahmen die Angeklagten aufgrund eines ihnen von dritter Seite erteilten Auftrags am 9. oder 10. Juli 2017 in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken von einer namentlich nicht bekannten Person in D. 496,14 g Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von 52,8 % (mindestens 261,9 g Heroin-Hydrochlorid) zum weiteren Transport über Österreich nach Serbien, wobei sie wussten, dass dieses zuvor über die niederländisch -deutsche Grenze ins Bundesgebiet verbracht worden war. Am 11. Juli 2017 fuhren sie in Ausführung des gemeinsam gefassten Tatentschlusses mit dem vakuumiert in einer Schachtel verpackten und im Koffer des Mitangeklagten verstauten Heroin in einem Flixbus von D. in Richtung der deutschösterreichischen Grenze, um das Rauschgift auftragsgemäß über Österreich nach Serbien zu verbringen, wo es – wie beide wussten – weiterveräußert werden sollte. Um 13 Uhr desselben Tages wurden die Angeklagten in dem Bus auf der Bundesautobahn A3 bei P. einer polizeilichen Kontrolle unterzogen , bei der das Rauschgift in dem im Gepäckraum des Busses verstauten Koffer aufgefunden wurde. Für den Transport sollten die Angeklagten neben dem an den Mitangeklagten übergebenen Spesenbetrag in Höhe von 1.500 € ein Entgelt von insgesamt 3.000 € erhalten.
II.
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- 1. Der den Angeklagten betreffende Schuldspruch hat keinen Bestand, weil die diesem zugrunde liegenden Feststellungen nicht auf einer tragfähigen Beweiswürdigung beruhen.
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- a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGH, Urteil vom 28. März 2018 – 2 StR 311/17, juris Rn. 9; Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, StV 2017, 367, 368). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (BGH, Urteile vom 5. April 2018 – 1 StR 67/18, StraFo 2018, 399, 400 und vom 28. März 2018 – 2 StR 311/17, aaO; Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, aaO). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist auf die Frage beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 5. April 2018 – 1 StR 67/18, aaO; vom 28. März 2018 – 2 StR 311/17, aaO und vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 261 Rn. 38).
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- b) Ein solcher Rechtsfehler liegt hier vor, weil die Beweiswürdigung, aufgrund deren sich das Landgericht davon überzeugt hat, dass der Angeklagte das für den Verkauf durch einen Dritten vorgesehene Rauschgift gemeinsam mit dem Mitangeklagten auf der Grundlage eines gemeinsamen Tatentschlusses übernommen und in Richtung der deutsch-österreichischen Grenze verbracht hat, lückenhaft ist.
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- aa) Bei Fallkonstellationen, in denen das Gericht der Aussage des einzigen Belastungszeugen oder der belastenden Einlassung des Mitangeklagten – wie hier – nur teilweise folgt und es in anderen Teilen Zweifel an dessen Dar- stellung hat oder diese sogar für widerlegt hält, kann den belastenden Angaben dieses einzigen Zeugen oder Mitangeklagten nur dann gefolgt werden, wenn das Tatgericht alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2012 – 5 StR 544/12, NStZ-RR 2013, 119 mwN; Beschlüsse vom 22. Januar 2002 – 5 StR 549/01, NStZ-RR 2002, 146 und vom 16. Februar 2000 – 3 StR 28/00, StV 2000, 599 f.); regelmäßig ist dabei zudem zu verlangen, dass es außerhalb der Aussage oder Einlassung Gründe von erheblichem Gewicht gibt, die für die Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben sprechen. Diese sind in den Urteilsgründen darzulegen (BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 159; Beschluss vom 27. November 2017 – 5 StR 520/17, NStZ 2018, 116).
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- bb) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht. Zwar liegt hier nicht hinsichtlich des gesamten Tatgeschehens eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vor. Vielmehr stützt das Landgericht seine Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, insbesondere zum Reiseverlauf , auf weitgehend übereinstimmende Angaben der Angeklagten und weitere Beweismittel. Zudem hat der Angeklagte selbst eingeräumt, dass ihm klar geworden sei, „dass es sich tatsächlich um ein Drogengeschäft handelte“ (UA S. 13). Die vorliegende Fallkonstellation zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass hinsichtlich der zentralen Frage, ob die Angeklagten das Rauschmittel auf der Grundlage eines gemeinsamen Tatentschlusses übernommen und in Richtung der deutsch-österreichischen Grenze transportiert haben, Aussage gegen Aussage steht, und das Landgericht insoweit den Angaben des Mitangeklagten folgt, obwohl dessen Angaben im Übrigen „nicht uneingeschränkt plausibel“ (UA S. 21) und daher in Teilen nicht glaubhaft waren.
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- Es liegt damit eine Beweislage vor, bei der die Urteilsgründe erkennen lassen müssen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, in die gebotene Gesamtwürdigung der Indizien einbezogen hat. Zudem ist anhand außerhalb der belastenden Aussage liegender Umstände nachvollziehbar zu begründen, warum der Darstellung des Mitangeklagten zur Tatbeteiligung des Angeklagten gefolgt werden kann, obwohl dessen Einlassung vom Gericht in Teilen als nicht glaubhaft angesehen wurde.
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- Daran fehlt es hier. Das Landgericht hat keine ausreichenden, außerhalb der Einlassung des Mitangeklagten liegenden Umstände benannt, die geeignet sind zu begründen, warum der den Angeklagten belastenden Darstellung des Mitangeklagten zu folgen ist. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil hierauf beruht.
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- cc) Ergänzend bemerkt der Senat:
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- Ausgehend davon, dass der Angeklagte bestritten hat, den Auftrag zum Transport von Heroin nach Serbien gemeinsam mit dem Mitangeklagten übernommen und (in Teilen) ausgeführt zu haben, hätte das Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung hinsichtlich des in den Urteilsgründen im Wortlaut wiedergegebenen Chat-Verkehrs vom 8. Juli 2017 (UA S. 16 f.) jedenfalls auch erörtern müssen, dass dieser neben den im Plural („wir“) verfassten Nachrich- ten mehrere ausgehende Nachrichten enthält, die nicht im Plural abgefasst sind, sondern im Singular (z.B. „…dann schicke ich die Adresse“, „Ok ich warte“ , „Ich will ihn sehen...", „Ok ich bin in 15 Minuten da“). Gleiches gilt für die vom Mobiltelefon des Mitangeklagten am 8. Juli 2017 ab 22.34 Uhr versandten – durchgehend im Singular gefassten – Textnachrichten (UA S. 18), mittels de- rer die Ergebnisse der durchgeführten Tests mit der dem Mitangeklagten in R. überlassenen Heroinprobe übermittelt wurden. Nachdem der Angeklagte bestritten hat, den Auftrag zum Transport des Heroins nach Serbien ge- meinsam mit dem Mitangeklagten übernommen und (in Teilen) ausgeführt zu haben, stellt der vorgenannte Chat-Verkehr ein gewichtiges Indiz für die Frage der Tatbeteiligung des Angeklagten dar, das in die Gesamtwürdigung hätte einbezogen werden müssen.
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- 2. Der Rechtsfehler in der Beweiswürdigung führt zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen, soweit es den Angeklagten betrifft. Von der Aufrechterhaltung der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sieht der Senat ab, um dem neuen Tatrichter auf der Grundlage einer neuen Beweisaufnahme insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).
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- Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass bereits nach der eigenen Einlassung des Angeklagten seine Tatbeteiligung zumindest als Gehilfe des Mitangeklagten in Betracht kommt.
Bär Pernice
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.