Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Jan. 2014 - XII ZB 289/13
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Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Beteiligte zu 2 wendet sich gegen die Bestellung eines Berufsbetreuers für seine Mutter.
- 2
- Die Betroffene leidet unter anderem an einer leichtgradigen Demenz. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und persönlicher Anhörung der Betroffenen hat das Amtsgericht für die Betroffene einen Berufsbetreuer bestellt und als Aufgabenkreise die Sorge für die Gesundheit, die Aufenthaltsbestimmung ohne die Entscheidung über die geschlossene Unterbringung, alle Vermögensangelegenheiten, die Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden, Kranken- und Pflegekassen sowie gegenüber der Heimverwaltung, alle Woh- nungsangelegenheiten sowie die Kontrolle der ein- und ausgehenden Post bestimmt , soweit sie nicht offensichtlich den persönlichen Bereich betrifft. Zudem hat das Amtsgericht den Zeitpunkt, bis zu dem die Betreuung zu überprüfen ist, auf den 2. Juli 2019 festgesetzt.
- 3
- Das Landgericht hat die Beschwerde des Beteiligten zu 2 zurückgewiesen. Hiergegen wendet er sich mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
- 4
- Die Rechtsbeschwerde ist wegen Verfahrensfehlern begründet.
- 5
- 1. Zu Recht rügt der Beteiligte zu 2, dass die Instanzgerichte der Betroffenen keinen Verfahrenspfleger bestellt haben.
- 6
- a) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen ist gemäß § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG regelmäßig geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt. Für einen in diesem Sinn umfassenden Verfahrensgegenstand spricht es, wenn die vom Gericht getroffene Maßnahme die Betreuung auf Aufgabenkreise erstreckt, die in ihrer Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung des Betroffenen umfassen und damit in die Zuständigkeit des Betreuers fallen. Selbst wenn dem Betroffenen nach der Entscheidung letztlich einzelne restliche Bereiche zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung verblieben sind, entbindet dies jedenfalls dann nicht von der Bestellung eines Verfahrenspflegers, wenn die verbliebenen Befugnisse dem Betroffenen in seiner konkreten Lebenssituation keinen nennenswerten eigenverantwortlichen Handlungsspielraum belassen (Senatsbeschluss vom 7. August 2013 - XII ZB 223/13 - FamRZ 2013, 1648 Rn. 11 mwN).
- 7
- Nach § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann von der Bestellung in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG ist die Nichtbestellung zu begründen. Der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt es, ob die den Tatsacheninstanzen obliegende Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen worden ist.
- 8
- b) Gemessen hieran hätte der Betroffenen ein Verfahrenspfleger bestellt werden müssen.
- 9
- Der vom Landgericht bestätigte Beschluss des Amtsgerichts erstreckt die Betreuung auf Aufgabenkreise, die in ihrer Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung der Betroffenen umfassen und damit in die Zuständigkeit des Betreuers fallen. Gleichwohl hat weder das Amtsgericht noch das Landgericht einen Verfahrenspfleger bestellt.
- 10
- Dass die Gerichte hier bewusst von der Regelbestellung abweichen wollten , lässt sich den Beschlüssen schon deshalb nicht entnehmen, weil es an einer entsprechenden Begründung nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG fehlt. Da es in den Fällen einer Demenzerkrankung regelmäßig keinen Grund i.S.d. § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG dafür geben wird, von der Bestellung eines Verfahrenspflegers abzusehen, ist nicht auszuschließen, dass die Instanzgerichte bei der Beurteilung der Notwendigkeit, für die anwaltlich nicht vertretene Betroffene einen Verfahrenspfleger zu bestellen, von ihrem Ermessen keinen Gebrauch gemacht haben.
- 11
- 2. Hinzu kommt, dass sich - wie die Rechtsbeschwerde ebenfalls zu Recht rügt - anhand der Akten nicht feststellen lässt, dass das Sachverständigengutachten vom 10. Juni 2012 der Betroffenen (bzw. sonst einem Verfah- rensbeteiligten) nach § 37 Abs. 2 FamFG bekanntgegeben worden ist. Selbst in Fällen, in denen die Bekanntgabe des Gutachtens die Gesundheit der Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden könnte, was hier aber nicht festgestellt ist, müsste ein Verfahrenspfleger bestellt, diesem das Gutachten übergeben werden und die Erwartung gerechtfertigt sein, dass er mit der Betroffenen über das Gutachten spricht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. August 2013 - XII ZB 691/12 - FamRZ 2013, 1725 Rn. 11 ff. und vom 11. August 2010 - XII ZB 138/10 - BtPrax 2010, 278 Rn. 9).
- 12
- 3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
- 13
- Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde dürften die von dem Beschwerdegericht zur Frage der Geeignetheit des Beschwerdeführers als Betreuer getroffenen Feststellungen nach dem gegenwärtigen Sachstand einer rechtlichen Überprüfung standhalten. Hierbei handelt es sich um tatrichterliche Würdigungen, die der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich entzogen sind. Die diesbezüglichen Angriffe der Rechtsbeschwerde vermögen die Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht zu erschüttern. Entsprechendes gilt für die Rüge der Rechtsbeschwerde, das Beschwerdegericht hätte den Berufsbetreuer abberufen müssen.
- 14
- Ferner hält der Senat die von der Rechtsbeschwerde erhobenen Rügen für nicht durchgreifend, wonach das eingeholte Sachverständigengutachten unzulänglich sei und die gesetzliche Frist zur Überprüfung der Betreuung auf der Grundlage des Gutachtens nicht hätte ausgeschöpft werden dürfen.
- 15
- Schließlich verkennt die Rechtsbeschwerde, dass das Beschwerdegericht die Möglichkeit der Betroffenen, einen freien Willen zu bilden, nicht in Abrede gestellt hat. Vielmehr ist das Landgericht in von Rechts wegen nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass es an einem entgegenstehenden Willen der Betroffenen i.S.d. § 1896 Abs. 1 a BGB fehlt.
Vorinstanzen:
AG Itzehoe, Entscheidung vom 02.07.2012 - 81 XVII 162/12 -
LG Itzehoe, Entscheidung vom 03.05.2013 - 4 T 267/12 -
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Annotations
(1) Das Gericht hat dem Betroffenen einen geeigneten Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist. Die Bestellung ist in der Regel erforderlich, wenn
- 1.
von der persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 278 Abs. 4 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 abgesehen werden soll oder - 2.
die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gegen den erklärten Willen des Betroffenen erfolgen soll.
(2) Von der Bestellung kann in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Die Nichtbestellung ist zu begründen.
(3) Der Verfahrenspfleger hat die Wünsche, hilfsweise den mutmaßlichen Willen des Betroffenen festzustellen und im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu bringen. Er hat den Betroffenen über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in geeigneter Weise zu informieren und ihn bei Bedarf bei der Ausübung seiner Rechte im Verfahren zu unterstützen. Er ist nicht gesetzlicher Vertreter des Betroffenen.
(4) Als Verfahrenspfleger ist eine natürliche Person zu bestellen. Wer Verfahrenspflegschaften im Rahmen seiner Berufsausübung führt, soll nur dann zum Verfahrenspfleger bestellt werden, wenn keine andere geeignete Person zur Verfügung steht, die zur ehrenamtlichen Führung der Verfahrenspflegschaft bereit ist.
(5) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers soll unterbleiben oder aufgehoben werden, wenn die Interessen des Betroffenen von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten werden.
(6) Die Bestellung endet, sofern sie nicht vorher aufgehoben wird, mit der Rechtskraft der Endentscheidung oder mit dem sonstigen Abschluss des Verfahrens.
(7) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers oder deren Aufhebung sowie die Ablehnung einer derartigen Maßnahme sind nicht selbständig anfechtbar.
(8) Dem Verfahrenspfleger sind keine Kosten aufzuerlegen.