Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Dez. 2015 - XII ZB 227/12
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Dezember 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-Monecke und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Gegenstand der Rechtsbeschwerde ist die Verlängerung einer seit 2005 bestehenden Betreuung und eines Einwilligungsvorbehalts.
- 2
- Für den Betroffenen besteht seit 2005 eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post, Behördenangelegenheiten, Versicherungsangelegenheiten, Sozialangelegenheiten und Rentenangelegenheiten. Außerdem ist ein Einwilligungsvorbehalt im Bereich der Vermögenssorge angeordnet worden. Der Betroffene hat mehrfach die Aufhebung der Betreuung beantragt. Das Amtsgericht hat nach vorheriger Einholung eines Sachverständigengutachtens und persönlicher Anhörung des Betroffenen die Betreuung und den Einwilligungsvorbehalt verlängert. In dem betreffenden Beschluss hat das Amtsgericht ferner einen Verfahrenspfleger bestellt.
- 3
- Die gegen den Beschluss des Amtsgerichts gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Beschwerdegericht zunächst wegen Verfristung als unzulässig verworfen. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der Senat den Beschluss des Beschwerdegerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung zurückverwiesen (Senatsbeschluss vom 4. Mai 2011 - XII ZB 632/10 - FamRZ 2011, 1049). Das Beschwerdegericht hat daraufhin ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt und dieses dem Betroffenen zugeleitet. Der Verfahrenspfleger hat das Gutachten zur Stellungnahme erhalten. Sodann hat das Beschwerdegericht die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die erneute Rechtsbeschwerde des Betroffenen.
II.
- 4
- Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur erneuten Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
- 5
- 1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie gegen eine Entscheidung über die Verlängerung einer bereits bestehenden Betreuung (§ 295 FamFG) auch ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG, vgl. Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - XII ZB 166/10 - FamRZ 2010, 1897).
- 6
- 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
- 7
- a) Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung auf § 1896 Abs. 1 BGB gestützt und dazu ausgeführt, das in der Beschwerdeinstanz eingeholte Sachverständigengutachten komme zu dem Ergebnis, dass bei dem Betroffenen in Folge eines schweren Schädel-Hirn-Traumas aus dem Jahre 1982 eine tiefgreifende anhaltende organische Persönlichkeitsveränderung/-störung bestehe. In der aktuellen klinischen Untersuchung habe sich diese organische Persönlichkeitsstörung in einer schweren Störung der kognitiven Fähigkeiten, insbesondere hinsichtlich der eigenen Handlungsplanung und des Vorhersehens persönlicher und sozialer Konsequenzen des eigenen Handelns, gezeigt. Die psychische Störung bewirke, dass der Betroffene anhaltend nicht in der Lage sei, sinnvoll und eigenverantwortlich für seine persönlichen Angelegenheiten Sorge zu tragen.
- 8
- b) Die angegriffene Entscheidung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Beschwerdegericht hätte den Betroffenen erneut persönlich anhören müssen.
- 9
- aa) Allerdings kann das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 26. Februar 2014 - XII ZB 503/13 - FamRZ 2014, 828 Rn. 5 mwN). Nach Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung vorgetragene Tatsachen oder eine Änderung der Sachlage erfordern aber nur dann keine erneute Anhörung, wenn diese Tatsachen oder die Änderung offensichtlich für die Entscheidung unerheblich sind (Keidel/Sternal FamFG 18. Aufl. § 68 Rn. 59 mwN). Zieht das Beschwerdegericht für seine Entscheidung mit einem neuen Sachverständigengutachten eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der amtsgerichtlichen Anhörung datiert, so ist eine erneute Anhörung des Betroffenen dagegen geboten (Senatsbeschluss vom 2. September 2015 - XII ZB 138/15 - FamRZ 2015, 1959 Rn. 13).
- 10
- bb) Danach durfte das Beschwerdegericht von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nicht absehen, weil es seine Entscheidung hauptsächlich auf das von ihm neu eingeholte Sachverständigengutachten gestützt hat.
- 11
- cc) Die Entscheidung beruht auch auf dem Verfahrensfehler, da nicht ausgeschlossen ist, dass das Beschwerdegericht bei erneuter Anhörung des Betroffenen unter Hinzuziehung des Verfahrenspflegers zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre.
- 12
- c) Die Zurückverweisung gibt dem Beschwerdegericht Gelegenheit, im Hinblick auf die in der Rechtsbeschwerdegründung, speziell gegen die Aufrechterhaltung der Betreuung im Wirkungskreis Gesundheitsfürsorge, geltend gemachten Bedenken weitere Ermittlungen anzustellen. Insbesondere ist dem Verfahrenspfleger Gelegenheit zu geben, an der gebotenen persönlichen Anhörung des Betroffenen teilzunehmen.
- 13
- Der Verfahrenspfleger durfte nicht erst durch den amtsgerichtlichen Beschluss bestellt werden, durch den die Verlängerung der Betreuung angeordnet wurde. Der Mindeststandard der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, dem zu bestellenden Verfahrenspfleger als Verfahrensbeteiligtem (§ 274 Abs. 2 FamFG) grundsätzlich vor einem Eingriff in die Rechtssphäre des Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Ermittlungsergebnis zu geben (BayObLG NJW-RR 1988, 72 zu Art. 10 Bay. UnterbrG a. F.; OLG München OLGR 2006, 784). Deshalb muss im Hauptsacheverfahren der Verfahrenspfleger vor der abschließenden Anhörung des Betroffenen bestellt und ihm Gelegenheit gegeben werden, an dem Anhörungstermin teilzunehmen (zur Unterbringung siehe insoweit Senatsbeschluss vom 2. März 2011 - XII ZB 346/10 - FamRZ 2011, 805 Rn. 17 ff.; MünchKommFamFG/SchmidtRecla 2. Aufl. § 276 Rn. 14).
Vorinstanzen:
AG Güstrow, Entscheidung vom 27.08.2010 - 32 XVII 445/05 -
LG Rostock, Entscheidung vom 29.03.2012 - 3 T 345/10 -
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(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.
(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.
(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.
(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:
- 1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs, - 2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder - 3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
(1) Für die Verlängerung der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gelten die Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahmen entsprechend. Von der erneuten Einholung eines Gutachtens kann abgesehen werden, wenn sich aus der persönlichen Anhörung des Betroffenen und einem ärztlichen Zeugnis ergibt, dass sich der Umfang der Betreuungsbedürftigkeit offensichtlich nicht verringert hat und eine Verlängerung dem erklärten Willen des Betroffenen nicht widerspricht. Das Gericht hat die zuständige Behörde nur anzuhören, wenn es der Betroffene verlangt oder es zur Sachaufklärung erforderlich ist.
(2) Über die Verlängerung der Betreuung oder des Einwilligungsvorbehalts hat das Gericht spätestens sieben Jahre nach der Anordnung dieser Maßnahmen zu entscheiden. Ist die Maßnahme gegen den erklärten Willen des Betroffenen angeordnet worden, ist über eine erstmalige Verlängerung spätestens nach zwei Jahren zu entscheiden.
(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
- 1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.
(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.
(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.
(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:
- 1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs, - 2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder - 3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
(1) Zu beteiligen sind
- 1.
der Betroffene, - 2.
der Betreuer, sofern sein Aufgabenkreis betroffen ist, - 3.
der Bevollmächtigte im Sinne des § 1814 Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, sofern sein Aufgabenkreis betroffen ist.
(2) Der Verfahrenspfleger wird durch seine Bestellung als Beteiligter zum Verfahren hinzugezogen.
(3) Die zuständige Behörde ist auf ihren Antrag als Beteiligte in Verfahren über
- 1.
die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Umfang, Inhalt oder Bestand von Entscheidungen der in Nummer 1 genannten Art
(4) Beteiligt werden können
- 1.
in den in Absatz 3 genannten Verfahren im Interesse des Betroffenen dessen Ehegatte oder Lebenspartner, wenn die Ehegatten oder Lebenspartner nicht dauernd getrennt leben, sowie dessen Eltern, Pflegeeltern, Großeltern, Abkömmlinge, Geschwister und eine Person seines Vertrauens, - 2.
der Vertreter der Staatskasse, soweit das Interesse der Staatskasse durch den Ausgang des Verfahrens betroffen sein kann.