Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Aug. 2016 - VII ZR 248/15
vorgehend
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. August 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Eick, die Richter Dr. Kartzke und Prof. Dr. Jurgeleit und die Richterinnen Graßnack und Borris
beschlossen:
Gründe:
- 1
- 1. Die Anhörungsrüge (§ 321a ZPO) des Beklagten vom 14. Juli 2016 ist nicht begründet.
- 2
- a) Nach der vom Bundesverfassungsgericht geteilten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können mit der Anhörungsrüge gegen einen Beschluss , mit dem eine Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen worden ist, nur neue und eigenständige Verletzungen des Art. 103 Abs. 1 GG durch den Bundesgerichtshof gerügt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2016 - VII ZR 47/15, juris Rn. 2; Beschluss vom 20. November 2007 - VI ZR 38/07, NJW 2008, 923 Rn. 5; BVerfG, NJW 2008, 2635, 2636, juris Rn. 15 ff.).
- 3
- b) Nach diesen Grundsätzen liegt ein Verstoß des Senats gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht vor. Der Senat hat das Vorbringen des Beklagten in der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung zur Kenntnis genommen und in vollem Umfang bezüglich der geltend gemachten Zulassungsgründe geprüft, aber aus Rechtsgründen nicht für durchgreifend erachtet.
- 4
- c) Mit der Anhörungsrüge können keine Zulassungsgründe nachträglich geltend gemacht werden, die nicht in der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung vorgetragen sind (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2013 - I ZR 141/12, juris Rn. 3). Das Vorbringen des Beklagten, aus dem - nach Einreichung der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung und nach Ablauf der Frist hierfür - ergangenen Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 24. Juni 2016 - 19 U 181/15 (Anlage 1 zum Schriftsatz vom 14. Juli 2016) ergebe sich, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Senatsbeschlusses vom 29. Juni 2016 - VII ZR 248/15 die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gegeben gewesen seien, ist deshalb zur Begründung der Anhörungsrüge ungeeignet (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2013 - I ZR 141/12, juris Rn. 3).
- 5
- 2. Im Übrigen vermag dieses - nach Erlass des Senatsbeschlusses vom 29. Juni 2016 - VII ZR 248/15 geltend gemachte - Vorbringen des Beklagten eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht zu rechtfertigen. Es kann im Streitfall dahinstehen, ob aus einer nachträglichen Divergenz im Einzelfall ein Zulassungsgrund resultieren kann, etwa wenn die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts von einer nach Ablauf der Frist für die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs abweicht und auf dieser Abweichung beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 26. April 2007 - IX ZB 8/06, ZInsO 2007, 663 Rn. 2, zur vergleichbaren Problematik bei § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO; vgl. auch BGH, Beschluss vom 17. April 2007 - XI ZR 343/05, BeckRS 2007, 08332). Eine nachträgliche Divergenz zur Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts, wie sie vom Beklagten geltend gemacht wird, vermag eine Zulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung jedenfalls dann nicht zu rechtfertigen, wenn diese Divergenz erst geltend ge- macht wird, nachdem der Bundesgerichtshof wie hier über die Nichtzulassungsbeschwerde bereits entschieden hat.
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 21.08.2013 - 13 O 249/12 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 02.10.2015 - I-16 U 182/13 -
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(1) Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn
- 1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und - 2.
das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
(2) Die Rüge ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
(3) Dem Gegner ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rüge an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rüge als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.
(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies auf Grund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. § 343 gilt entsprechend. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 10.11.2015 – 22 O 224/13 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe
2I.
3Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Rückzahlung von erhaltenen Bestandspflegeprovisionen nach Beendigung eines Versicherungsvertreterverhältnisses. Der Beklagte begehrt von der Klägerin im Wege der Widerklage die Auszahlung weiterer Provisionen für den Monat Juli 2012.
4Der Beklagte war aufgrund eines Agenturvertrages vom 24.09.2003 in der Zeit vom 01.10.2003 bis zum 31.07.2012 als selbstständiger Versicherungsvertreter für die Klägerin tätig. Mit Schreiben vom 26.01.2012 kündigte er ordentlich zum 31.07.2012.
5Bezüglich der Bestandsprovisionen ist in § 4 Abs. 2 des Agenturvertrages geregelt: „Vom zweiten Versicherungsjahr an erhält der Vertreter für die Pflege der Verträge, ihre Erhaltung, die Anpassung an veränderte Verhältnisse, für die Hilfe bei der Schadensbearbeitung und für postalische Aufwendungen sowie Bank- und Postgebühren eine Pflegeprovision …“. § 4 Abs. 5 sieht vor: „Die Provisionen kommen erst dann zur Auszahlung, wenn sie verdient sind, d.h. wenn der Versicherungsnehmer den Beitrag gezahlt hat.“
6Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Agenturvertrag Anlage K1 (Bl. 10-15 d.A.) verwiesen.
7Dem Beklagten wurden von der Klägerin im Kalenderjahr 2012 im Zeitraum von Anfang des Jahres bis zur Beendigung des Vertrages 54.032,37 € ausgezahlt.
8Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe einen Anspruch auf Rückzahlung von Bestandspflegeprovisionen in Höhe von 25.938,01 €. Dazu hat sie behauptet, in diesem Umfang seien an den Beklagten Bestandspflegeprovisionen vorschüssig bezahlt worden. Da der Beklagte zum Ende des Monats Juli 2012 ausgeschieden sei, habe er die Bestandspflegeleistung, die Voraussetzung des Verdienens der Bestandspflegeprovision sei, nicht mehr erbringen können. Da die Prämien für die Versicherungen monatlich, vierteljährlich, halbjährlich oder jährlich zahlbar seien, sei der Beklagte auch verpflichtet gewesen, die Kunden für den gesamten Zeitraum, für den die Provision gezahlt werde, zu betreuen, um die Provision behalten zu dürfen. Zur Berechnung hat sie auf die Anlage K 8 (Übersichtstabelle) und die Einzelaufstellungen K 9 -19 verwiesen.
9Nach der Beendigung des Agenturvertrages forderte der Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 17.08.2012 die Klägerin seinerseits vergeblich auf, Provisionsbeträge für Juli 2012 zu zahlen. Dazu verwies er auf die von der Klägerseite erstellten Abrechnungen für Juli 2012 seiner beiden Agenturkonten Nr. 8199 (Anlage B 7) in Höhe von + 6.358,40 € und Nr. 6999 (Anlage B 8) in Höhe von - 86,49 € zuzüglich der Freistellungsentschädigung für Juli 2012 in Höhe von 550,05 €.
10Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass dem Beklagten die geltend gemachten Provisionsansprüche für Juli 2012 nicht mehr zustünden; sie habe diese bei ihrer Klageberechnung bereits zugunsten des Beklagten berücksichtigt, soweit sie nicht als Bestandspflegeprovisionen unverdient seien.
11Die Klägerin hat beantragt,
12den Beklagten zu verurteilen, 25.938,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB p.a. aus 20.899,84 seit dem 10.11.2012 und aus weiteren 5.083,17 € seit Rechtshängigkeit an sie zu zahlen.
13Der Beklagte hat beantragt,
14die Klage abzuweisen,
15sowie widerklagend,
16die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten 6.821,96 € nebst Zinsen in Höhe von 8 % Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01.09.2012 zu bezahlen.
17Der Beklagte hat dazu die Auffassung vertreten, dass ihm die Bestandspflegeprovisionen ungekürzt zustünden, denn diese fielen bereits bei Zahlung der Prämie durch den Kunden vollständig an. Dies ergebe sich zwingend aus § 92 Abs. 4 HGB; diese Regelung sei durch § 4 Abs. 5 des Agenturvertrages übernommen worden. Der Vertrag enthalte keine Provisionsrückforderungsklausel und sehe auch keine Zahlung der Provision pro rata temporis vor. Bei der Bestandspflegeprovision handele sich nicht um einen Vorschuss für bestimmte Tätigkeiten, vielmehr gehe es gerade auch um das Honorieren des Fortbestandes des Vertrages für einen weiteren Zeitraum, der bei Zahlung durch den Kunden vorgegeben sei. Der Beklagte hat behauptet, als er die Bestandspflege von seinem Vorgänger mitten im Jahr übernommen habe, habe er auch keine anteilige Bestandspflegeprovision für das angebrochene Jahr bekommen. Jedenfalls sei die Regelung unklar, was die Klägerin nach Ansicht des Beklagten gegen sich gelten lassen müsse, weil es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen handele.
18Der Beklagte hat die Forderung der Klägerin auch der Höhe nach bestritten, insbesondere seien in den zurückgeforderten Provisionen auch Beträge enthalten, die bereits als Storno dem Beklagten rückbelastet worden seien; teilweise handele es sich auch nicht um Pflegeprovisionen, sondern um anteilig ausgezahlte Abschlussprovisionen (Folgeprovisionen), die die Klägerin nur einheitlich als „Inkassoprovision“ bezeichne. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf den (nachgelassenen) Schriftsatz des Beklagten vom 19.10.2015 verwiesen.
19Die Klägerin hat beantragt,
20die Widerklage abzuweisen.
21Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Ein Rückzahlungsanspruch bezüglich der Bestandspflegeprovisionen ergebe sich nicht aus dem Agenturvertrag. Die Klauseln in § 4 Abs. 2 und § 4 Abs. 5 des Agenturvertrages seien nicht eindeutig dahin auszulegen, dass eine Pflegeprovision nur für den Zeitraum zu zahlen sei, in welchem seitens des Vertreters auch eine entsprechende Bestandskundenpflege erbracht werde. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Beklagte unwidersprochen vorgetragen habe, dass er – als er die Bestandspflege von seinem Vorgänger übernommen habe - keine anteiligen Pflegeprovisionen für das angebrochene Jahr erhalten habe. Auch könne § 4 Abs. 2 des Agenturvertrages nicht eindeutig im Sinne einer Vorschussregelung für noch zu leistende Tätigkeiten verstanden werden. Insbesondere sei auch von „Erhaltung der Verträge“ die Rede. Insofern könne die Provision auch als Bestandsprovision (Halteprämie) verstanden werden, die nur anteilig zurückzuzahlen sei, wenn eine Stornierung des Kunden erfolge. Auch zeige der Verweis des Beklagten auf eine Klausel, die von der Sparkassenversicherung verwendet werde, dass die Beschreibung, für welche Zeit und welche Tätigkeit die Bestandspflegeprovision gezahlt wird und wann sie zurückzuzahlen ist, eindeutiger geregelt werden könne. Insofern sei die Klausel jedenfalls mehrdeutig und dies gehe, da es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handele, gem. § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten der Klägerin als Verwenderin.
22Die Widerklage habe Erfolg. Der Höhe nach ergäbe sich der Anspruch aus der Provisionsabrechnung der Klägerin für Juli 2012 selbst. Da Bestandspflegeprovisionen für die Zeit nach dem Ausscheiden des Beklagten nicht herauszurechnen seien, sei der Anspruch in voller Höhe berechtigt.
23Mit ihrer frist- und formgerecht eingereichten Berufung verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch und die Abweisung der Widerklage weiter.
24Die Klägerin rügt, das Landgericht habe die Regelungen im Vertretervertrag falsch ausgelegt. Es ergebe sich aus dem Vertrag eindeutig, dass der Vertreter nach seinem Ausscheiden kein Entgelt mehr für eine Betreuungstätigkeit – die er ja auch nicht mehr erbringen könne - verlangen könne.
25Für die Bestandsprovision gelte die Regelung in § 4 Abs. 2 des Agenturvertrages, die so auszulegen sei, dass der Vertreter nur Bestandsprovisionen für den Zeitraum anteilig erhalte, im dem er auch Bestandspflege geleistet habe. Denn es handele sich der Ausgestaltung nach um eine Tätigkeitsvergütung und keine Halteprämie. Sie verweist dazu auf eine Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 02.10.2015 (16 U 182/13), die die Auslegung der identischen Regelung im Agenturvertrag (§ 4) betrifft und die zu dem Ergebnis kommt, dass Bestandspflegeprovisionen nach dieser Vorschrift eindeutig vorschüssig gezahlt würden und es sich bei der Regelung in § 4 Abs. 5 nur um eine Fälligkeitsregelung handele. Den Umstand, dass der Versicherungsvertreter am Anfang seiner Tätigkeit keine Bestandsprovision für alle von ihm betreuten Verträge erhalten habe, habe das Oberlandesgericht Düsseldorf gesehen und dem keine entscheidende Bedeutung beigemessen.
26Vor diesem Hintergrund sei auch die Widerklage abzuweisen. Jedenfalls bestehe kein Anspruch in Höhe von 6.821,96 €, da der Gesamtbetrag der unverdienten und verdienten Provisionen für den Monat Juli 2012 nach ihrer bereits erstinstanzlich vorgelegten korrigierten Aufstellung Anlage K 8 nur 5.388,15 € ausmache.
27Die Klägerin beantragt,
28das Urteil des Landgerichts Köln vom 10.11.2015, Az. 22 O 224/13, aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 25.938,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB p.a. aus 20.899,84 seit dem 10.11.2012 und aus weiteren 5.083,17 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen und die Widerklage abzuweisen.
29Der Beklagte beantragt,
30die Berufung zurückzuweisen.
31Er verteidigt das Urteil. Entgegen dem Verständnis der Klägerin und des Oberlandesgerichts Düsseldorf in der von der Klägerin angeführten Entscheidung vom 02.10.2015 enthalte die Regelung in § 4 des Agenturvertrages keinen Hinweis darauf, dass die Pflegeprovision vorschüssig gezahlt werde. Auch eine Rückforderungsklausel enthalte der Vertrag – anders als bei anderen Versicherungsgesellschaften und anders als in einer späteren Vertragsversion der Klägerin - nicht. Im Gegenteil sei nach dem Wortlaut in § 4 Abs. 5 die Pflegeprovision verdient, wenn der Versicherungsnehmer den Beitrag bezahlt habe. Dies sei auch der angemessene Ausgleich dafür, dass der Versicherungsagent zu Beginn des Agenturvertrages Bestandspflege durchführe und dafür bis zu einem Zeitraum von 11 Monaten keine Bestandspflegeprovision erhalte. Die Pflegeprovision sei eine pauschalierte Gegenleistung für die Betreuung des gesamten Bestandes. Es werde nicht auf den Umfang der Betreuungstätigkeit in einem konkreten einzelnen Versicherungsvertrag abgestellt. Die Pflegeprovision stelle auch eine Vergütung dafür dar, dass es dem Agenten gelungen sei, durch gute Betreuung den Kunden im Bestand zu halten. Jedenfalls müssten bei einer vertraglichen AGB-Klausel Zweifel zu Lasten der Klägerin gehen
32II.
33Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Zur Begründung kann zunächst auf die Ausführungen in der angegriffenen Entscheidung verwiesen werden. Das Berufungsvorbringen und auch die von der Klägerin angeführte Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 02.10.2015 – 16 U 182/13 – veranlassen nicht zu einer anderen Sicht.
341. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rückzahlung von Bestandspflegeprovisionen aus § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. den Regelungen im Agenturvertrag vom 24.09.2003.
35a) Nach Aufbau und Wortlaut des § 4 des Agenturvertrages bezieht sich der Satz:„Provisionen kommen erst dann zur Auszahlung, wenn sie verdient sind, d.h. wenn der Versicherungsnehmer den Beitrag gezahlt hat“, auf beide zuvor aufgeführten Provisionsarten, nämlich die in § 4 Abs. 1 geregelte Abschlussprovision und die in § 4 Abs. 2 geregelte Pflegeprovision. Bei der Pflegeprovision wird nicht nach Zeitabschnitten differenziert, insbesondere geht aus der Regelung in § 4 Abs. 2 nicht hervor, dass sich die Bestandspflegeprovision auf eine konkrete, in einem bestimmten zukünftigen Zeitraum liegende Tätigkeit für bestimmte Verträge bezieht. Die Bestimmung regelt die Vergütung für die Bestandspflege vielmehr verallgemeinernd „für die Pflege der Verträge ihre Erhaltung, Anpassung, Hilfe bei der Schadenbearbeitung, Postgebühren etc.“ und kann daher jedenfalls auch als Pauschalvergütung dafür aufgefasst werden, dass der Bestand zu dem Zeitpunkt der Zahlung des Versicherungsbeitrags noch vorhanden war und für die künftige Periode bestandsfest ist. Denn die Formulierung, dass der Vertreter auch für die „Erhaltung“ der Verträge eine Provision erhält, hat auch einen Rückwärtsbezug in dem Sinne, dass ein Erfolg in der Vergangenheit honoriert werden soll (so auch für eine ähnliche Klausel Senat, Beschluss vom 26.11.2015, 19 U 108/15, nicht veröffentlicht; LG Köln, Urteil vom 30.06.2015 – 4 O 355/14; juris Rz. 26). Allein aus dem Umstand, dass der Versicherungsnehmer seinen Beitrag für die kommende Periode zahlt, ist nicht abzuleiten, dass auch der Versicherungsvertreter seine Pflegeprovision nur für bestimmte in einem festgelegten zukünftigen Zeitabschnitt noch zu erbringende Tätigkeiten erhält. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Beklagte – von der Klägerin nicht substantiiert bestritten - vorgetragen hat, dass er, als er die Bestandspflege von seinem Vorgänger übernommen hat, keine Pflegeprovision für die angebrochene Periode erhalten hat. Diesen Umstand hat das Landgericht zu Recht als erheblich dafür angesehen, wie ein Versicherungsvertreter die Bestimmung in § 4 Abs. 5 des Agenturvertrages nach den §§ 133, 157 BGB verstehen konnte. Da der Beklagte danach zunächst, z.B. bei jährlicher Zahlweise des Kunden, bis zu ein Jahr lang keine Provisionen erhielt, obwohl er u.U. Pflegeleistungen erbringen musste, konnte er die Regelung nur so verstehen, dass für das endgültige Verdienen maßgeblich ist, auf welchen Agenten der Vertrag im Zeitpunkt der Zahlung des Beitrags durch den Kunden „geschlüsselt“ ist. Dies ist jedenfalls ein System, das den wechselseitigen Interessen der Parteien bei Ausscheiden eines Versicherungsvertreters (Klägerin will Doppelzahlung vermeiden, Agent will einmal erhaltene Provisionen nicht zurückzahlen) angemessen und einfach Rechnung trägt. Auch der den Bestand übernehmende Vertreter wird nicht dadurch unangemessen benachteiligt, dass er nur sukzessive Provisionen erhält und er unter Umständen Bestandspflegeleistungen für Verträge leisten muss, für die er (noch) keine Bestandspflegeprovision erhalten hat. Seine Bemühungen werden sich in diesem konkreten Fall zwar erst zeitlich versetzt auswirken; dafür erhält er für andere Verträge schon eine Provision, obwohl er für deren Erhalt keine konkrete Tätigkeit entfalten muss.
36b) Die Formulierung in § 4 Abs. 5 des Agenturvertrages, nach dem die Provisionen zur Auszahlung kommen, wenn sie verdient sind, d.h., wenn der Versicherungsnehmer den Beitrag gezahlt hat, spricht eher dafür, dass Provisionen, die ausgezahlt wurden, weil der Versicherungsnehmer die Prämie für einen bestimmten Zeitraum gezahlt hat, auch endgültig verdient sind und keinen Vorschuss darstellen. Weder aus Systematik noch aus dem Wortlaut lässt sich (eindeutig) entnehmen, dass es sich um eine reine Fälligkeitsregelung handelt und in Bezug auf die Abschlussprovisionen schlicht die Anwendbarkeit von § 92 Abs. 4 HGB verdeutlicht werden sollte. Wie ausgeführt, wird in § 4 Abs.5 nicht zwischen der in § 4 Abs. 1 geregelten Abschlussprovision und der in § 4 Abs. 2 geregelten Bestandspflegeprovision differenziert. Gegen eine reine Fälligkeitsregelung spricht die Erwähnung des Wortes „verdient“. Nur der erste Satzteil isoliert betrachtet deutet auf eine Fälligkeitsregelung hin, da er auf den Zeitpunkt der „Auszahlung“ der Provision abstellt. Dass der Nebensatz „wenn sie verdient sind“, für die Bestandspflegeprovisionen keine eigenständige Bedeutung haben soll, überzeugt indes nicht. Denn für die Abschlussprovisionen hätte es – da in § 92 Abs. 4 HGB geregelt - überhaupt keiner besonderen Regelung im Agenturvertrag bedurft. Ein eindeutiger Hinweis auf eine Fälligkeitsregelung ergibt sich auch nicht daraus, dass schon im vorhergehenden Satz in § 4 Abs. 4 von„Auszahlung der Provision“ und einem „Auszahlrhythmus“ die Rede ist. Denn vor § 4 Abs. 5 befindet sich ein größerer Absatz, der darauf hindeutet, dass nunmehr eine neue Sinneinheit folgt.
37c) Üblicherweise muss der Versicherungsvertreter Provisionen für Verträge, die ungekündigt fortbestehen und für die Prämien bezahlt werden, bei seinem Ausscheiden nicht zurückzahlen. Sofern für den Fall der Bestandsprovisionen etwas anderes gelten soll, handelt es sich um einen Sonderfall, der ausdrücklich geregelt werden müsste, um dem Versicherungsvertreter zu ermöglichen, Vorsorge für den Fall seines vorzeitigen Ausscheidens aus dem Versicherungsvertragsverhältnis zu treffen. Jedenfalls bei einem langjährig für den Versicherer tätigen Vertreter erscheint es bedenklich, wenn er im Fall einer ordentlichen Kündigung auf einmal erhebliche Beträge zurückzahlen muss (vorliegend etwa die Hälfte der im ersten Halbjahr 2012 erhaltenen Provisionen). Dieses Bedürfnis nach Klarstellung hat die Klägerin offenbar auch erkannt und dem in späteren Agenturverträgen Rechnung getragen, z.B. in einem Agenturvertrag aus dem Jahr 2013, vorgelegt als Anlage B 17, Bl. 162, 168 GA, in dem die ursprüngliche Version des § 4 Abs. 2 wie folgt ergänzt wurde: „Dieses Entgelt deckt damit pauschal die jeweiligen monatlichen Aufwendungen des Vermittlers für den Beitragszahlungszeitraum des betreffenden Versicherungsvertrages ab. Bei Beendigung des Agenturvertragsverhältnisses zwischen der S und dem Vermittler, ist eine im Voraus gezahlte Pflegeprovision vom Vermittler zurückzuzahlen. Der Vermittler ist verpflichtet, die Pflegeprovision anteilig an die S zu erstatten, soweit sie nicht verdient ist. Verdient ist die Pflegeprovision anteilig für jeden angefangenen Monat, in dem das Agenturverhältnis wirksam bestand.“.
38d) Jedenfalls indiziert die Klarstellung, dass die Regelung vorher auch anders verstanden werden konnte. Sie ist mindestens mehrdeutig, was, da es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt, gem. § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten der Klägerin als Verwenderin geht. Eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist gemäß ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden wird, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind (BGH, Urteil vom 05.11.2015, VII ZR 59/14 = WM 2015, 2315 Rn. 18). Dies führt zu dem vorgenannten Auslegungsergebnis; jedenfalls ist diese Auslegung nicht fernliegend.
39Sieht man in der von der Klägerin favorisierten Auslegung der Klausel in § 4 Abs. 2 des Agenturvertrages keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsagenten nach § 307 Abs. 2 BGB, ist gem. § 305 c Abs. 2 BGB die „kundenfreundlichste“ Auslegung zugrunde zu legen, nach der die Pflegeprovisionen mit Zahlung des Beitrags endgültig verdient sind und nicht zurückgezahlt werden müssen. Wäre die Klausel in § 4 Abs. 2 in der von der Klägerin favorisierten Auslegung nach § 307 Abs. 2 BGB unwirksam, entfiele er als Rechtsgrund für die Rückforderung und die Provisionszahlung wäre aufgrund eines bestehenden Vertreterverhältnisses ebenfalls mit Rechtsgrund erfolgt.
40e) Auf weitere von dem Beklagten mit Schriftsatz vom 19.10.2015 vorgetragene Bedenken gegen die Schlüssigkeit der Höhe der Klageforderung kommt es danach nicht an.
412. Auch die Widerklageforderung in Höhe von 6.821,96 € ist vom Landgericht aus zutreffenden Gründen für berechtigt gehalten worden. Soweit in der Provisionsabrechnung für Juli 2012 eine Vergütung für Bestandspflegeprovisionen enthalten ist, ist sie nach dem vorgenannten Maßstab endgültig verdient und die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 18.08.2015 unter Bezugnahme auf die Anlage K 8 mit 4.114,04 € bezifferten und als „unverdient“ bezeichneten „Inkassozahlungen“ sind von dem Provisionsanspruch für Juli 2012 nicht in Abzug zu bringen. Soweit die Klägerin in der Anlage K 8 als Summe der „unverdienten und verdienten Inkassozahlungen“ einen Gesamtbetrag von 5.388,15 € anführt und daher meint, die von dem Beklagten für Juli 2012 errechnete Provisionsforderung von + 6.358,40 € für das Agenturkonto 8199 und von – 86,49 € für das Agenturkonto 6999 sei falsch, so ist dieser Einwand nicht stichhaltig. Denn der Beklagte stützt sich bei seiner Abrechnung auf Buchungsdaten der Klägerin auf den Agenturkonten (Anlage B 7 und B 8, Bl. 51, 52 GA) und auf die von der Klägerin erstellten Buchungsnoten (Anlagen B 17-19 zum Schriftsatz der Beklagten vom 19.10.2015 im gesonderten Anlagenheft hinten), die diese Beträge ausweisen. In diesen Abrechnungen sind auch andere Provisionsarten als Inkassoprovisionen (unter die die Klägerin offenbar die Bestandsprovisionen fasst) enthalten (z.B. B Rechtsschutz). Gründe, warum diese anderen Provisionen dem Beklagten nicht zustehen sollten, werden von der Klägerin nicht vorgebracht. Da sich die Anlage K 8 nur auf „Inkassozahlungen“, also Bestandsprovisionen beschränkt, ist sie für den gesamten Provisionsanspruch des Beklagten für den Monat Juli 2012 allein nicht maßgeblich.
423. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
434. Die Revision wird nicht zugelassen. Die Entscheidung hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erscheint eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 543 Abs. 2 ZPO geboten. Auch wenn das Oberlandesgericht Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 02.10.2015 – 16 U 182/13 - bei der Auslegung der gleichen Vertragsklausel in § 4 des Agenturvertrages zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, handelt es sich um eine reine Einzelfallentscheidung, für die u.a. auch der leicht divergierende Vortrag der jeweiligen Parteien zu den außerhalb der Vertragsurkunde liegenden Umständen maßgeblich war.
44Streitwert für das Berufungsverfahren: 32.759,97 €
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 174.157,34 €.
Nobbe Joeres Mayen Ellenberger Grüneberg
LG München II, Entscheidung vom 09.08.2002 - 14 O 5452/00 -
OLG München, Entscheidung vom 26.04.2005 - 5 U 4726/02 -