Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Juni 2008 - V ZB 29/08

published on 19/06/2008 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Juni 2008 - V ZB 29/08
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Landgericht Bonn, 1 O 400/06, 27/07/2007
Oberlandesgericht Köln, 20 U 149/07, 02/01/2008

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 29/08
vom
19. Juni 2008
in dem Rechtsstreit
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 19. Juni 2008 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke,
Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 2. Januar 2008 wird auf Kosten der Kläger als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 12.624,15 €.

Gründe:


I.


1
Mit den Klägern am 1. August 2007 zugestelltem Urteil hat das Landgericht die Zahlungsklage der Kläger zum überwiegenden Teil abgewiesen. Hiergegen haben die Kläger, soweit hier noch von Interesse, mit am 29. August 2007 und noch einmal am 25. September 2007 bei dem Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 4. Oktober 2007 eingegangenem Schriftsatz begründet. Mit am 6. Dezember 2007 eingegangenem Schriftsatz haben die Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Hierzu haben sie vorgetragen, die am 1. Oktober 2007 abgelaufene Berufungsbegründungsfrist sei zwar ordnungsgemäß mit einer Vorfrist auf den 24. September 2007 im Fristenkalender eingetragen worden und zur Vorfrist vorgelegt worden, was den Anlass für das Schreiben vom 25. September 2007 gegeben habe. Die erfahrene und verlässliche Büroangestellte ihres Prozessbevoll- mächtigten habe aber vergessen, die Akten am 1. Oktober 2007 vorzulegen. Zur Glaubhaftmachung haben sie sich auf die anwaltliche Versicherung ihres Prozessbevollmächtigten und die eidesstattliche Erklärung der Büroangestellten berufen. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung der Kläger als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde.

II.


2
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthaft, im Übrigen aber unzulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt.
3
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Senats auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Auf die Frage, ob die von dem Berufungsgericht - auch bei der Glaubhaftmachung vorzunehmende (vgl. MünchKomm-ZPO/Prütting, 3. Aufl., § 294 Rdn. 26; Musielak/Huber, ZPO, 6. Aufl., § 294 Rdn. 3, Zöller /Greger, ZPO, 26. Aufl., § 294, Rdn. 6) - freie Würdigung des Vortrags der Kläger zu ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist mit Prozessrecht nicht mehr zu vereinbaren ist, kommt es nicht an.
4
2. Die Kläger haben nämlich auch die Wiedereinsetzungsfrist von einem Monat nach § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO versäumt; ihr Wiedereinsetzungsantrag war deshalb unzulässig.
5
a) Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt nach § 234 Abs. 2 ZPO an dem Tage, an dem das Hindernis behoben ist. Das ist nicht erst dann der Fall, wenn das Hindernis nicht mehr weiterbesteht. Die Frist beginnt vielmehr schon dann, wenn das Weiterbestehen des Hindernisses nicht mehr als unverschuldet angesehen werden kann. Maßgebend für den Fristbeginn ist damit der Zeitpunkt, in dem der verantwortliche Rechtsanwalt bei Anwendung der unter den gegebenen Umständen von ihm zu erwartenden Sorgfalt die eingetretene Säumnis hätte erkennen müssen, also der Irrtum darüber nicht mehr unverschuldet war (BGH, Beschl. v. 12. Oktober 1989, I ZB 3/89, NJW-RR 1990, 379, 380; Beschl. v. 7. Februar 1996, XII ZB 107/94, FamRZ 1996, 934; Senat, Beschl. v. 25. Oktober 2005, V ZB 111/05, BGH-Report 2006, 255).
6
b) Das Hindernis bestand hier darin, dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht bemerkt hatte. Dieses Hindernis entfiel nicht erst mit dem Eingang des Hinweisbeschlusses des Berufungsgerichts vom 29. November 2007 am 4. Dezember 2007. Es entfiel vielmehr schon, als der Prozessbevollmächtigte der Kläger bei Anwendung der von ihm als Rechtsanwalt zu verlangenden Sorgfalt die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hätte bemerken müssen. Das war der 4. Oktober 2007. An diesem Tag hat er die Berufungsbegründung bei dem Berufungsgericht eingereicht. Bei der Anfertigung der Begründungsschrift muss der Rechtsanwalt selbständig und eigenverantwortlich die Berechnung und - hier - Wahrung der Berufungsbegründungsfrist prüfen (st. Rspr.: BGH, Beschl. v. 19. Februar 1991, VI ZB 2/91, NJW-RR 1991, 827, 828; Beschl. v. 14. Januar 1997, VI ZB 24/96, NJW 1997, 1311; Beschl. v. 5. November 2002, VI ZB 40/02, NJW 2003, 437; Senat, Beschl. v. 25. Oktober 2005, V ZB 111/05, BGH-Report 2006, 255). Hätte der Prozessbevollmächtigte der Kläger das getan, so wäre ihm auch aufgefallen , dass die Frist für die Berufungsbegründung bereits am 1. Oktober 2007 abgelaufen war. Damit begann die Frist für die Wiedereinsetzung nach § 234 Abs. 2 ZPO am 4. Oktober 2007 zu laufen. Sie lief unter Berücksichtigung des Umstands, dass der 4. November 2007 ein Sonntag war, am 5. November 2007 ab. Der am 6. Dezember 2007 gestellte Wiedereinsetzungsantrag war damit verspätet.
7
3. Das Berufungsgericht hat deshalb mit der Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags die Kläger auch nicht in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt oder ihnen den Zugang zur Berufungsinstanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert (dazu: BVerfG, NJWRR 2002, 1004; Senat, BGHZ 151, 221, 227; BGH, Beschl. v. 9. November 2005, XII ZB 270/04, FamRZ 2006, 192).

III.


8
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger Klein Lemke
Schmidt-Räntsch Roth
Vorinstanzen:
LG Bonn, Entscheidung vom 27.07.2007 - 1 O 400/06 -
OLG Köln, Entscheidung vom 02.01.2008 - 20 U 149/07 -
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Annotations

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)