Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Nov. 2018 - V ZB 180/17

bei uns veröffentlicht am22.11.2018
vorgehend
Amtsgericht Frankfurt am Main, 934 XIV 1167/17 B, 18.08.2017
Landgericht Frankfurt am Main, 29 T 210/17, 24.08.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 180/17
vom
22. November 2018
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage
zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Steht Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame
Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal
aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008 Nr. L 348/98) einer nationalen
Regelung entgegen, nach der die Abschiebungshaft in einer gewöhnlichen
Haftanstalt vollzogen werden kann, wenn von dem Ausländer
eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende
Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, wobei der Abschiebungsgefangene
auch in diesem Fall getrennt von Strafgefangenen unterzubringen
ist?
BGH, Beschluss vom 22. November 2018 - V ZB 180/17 - LG Frankfurt am Main
AG Frankfurt am Main
ECLI:DE:BGH:2018:221118BVZB180.17.0

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. November 2018 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, den Richter Dr. Kazele, die Richterin Haberkamp und den Richter Dr. Hamdorf

beschlossen:
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Steht Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008 Nr. L 348/98) einer nationalen Regelung entgegen, nach der die Abschiebungshaft in einer gewöhnlichen Haftanstalt vollzogen werden kann, wenn von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, wobei der Abschiebungsgefangene auch in diesem Fall getrennt von Strafgefangenen unterzubringen ist?

Gründe:


I.


1
Der Betroffene ist tunesischer Staatsangehöriger. Mit Verfügung vom 1. August 2017 ordnete das zuständige Ministerium des Bundeslandes Hessen seine Abschiebung nach Tunesien an, gestützt auf § 58a Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Nach dieser Vorschrift kann die oberste Landesbehörde gegen einen Ausländer auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen.
2
Begründet wurde die Entscheidung damit, dass von dem Betroffenen eine besondere Gefahr im Sinne von § 58a Abs. 1 AufenthG ausgehe. Dies ergebe sich aus einer Gesamtschau der Persönlichkeit des Betroffenen, seines Verhaltens , seiner nach außen erkennbaren inneren Einstellung, seiner Verbindungen zu anderen Personen und Gruppierungen, von denen eine terroristische Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgehe, sowie weiterer Umstände. Dabei seien insbesondere zu berücksichtigen seine radikalislamistische Gesinnung, seine Einstufung als Schleuser und Rekrutierer für den „Islamischen Staat“ (IS) durch die Verfassungsschutzbehörden, seine Tätigkeit für den IS in Syrien, das bei ihm sichergestellte Bildmaterial mit an Grausamkeit und Menschenverachtung schwer zu überbietenden Tötungsszenen, der auf seinem Mobiltelefon und dem Laptop einer Kontaktperson gesicherte Kommunikationsund Nutzungsinhalt sowie seine in Chatverläufen erklärte Bereitschaft, gegen die seinen Wertvorstellungen widersprechende Lebensweise in Deutschland vorzugehen.
3
Gegen diese Verfügung erhob der Betroffene beim Bundesverwaltungsgericht Klage und stellte einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Diesen Antrag lehnte das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 19. September 2017 (BVerwG 1 VR 8.17, ECLI:DE:BVerwG:2017:190917B1VR8. 17.0) mit der Maßgabe ab, dass zusätzlich zu einer bereits vorliegenden Verbalnote des tunesischen Außenministeriums eine tunesische Regierungsstelle zusichert , dass im Falle der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe die Möglichkeit einer Überprüfung der Strafe mit der Aussicht auf Umwandlung in eine zeitige Freiheitsstrafe oder auf Herabsetzung der Haftdauer gewährt wird. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Gericht unter anderem aus, angesichts der von den Sicherheitsbehörden gesammelten, umfangreichen Erkenntnisse sei es hinreichend wahrscheinlich im Sinne der nach § 58a AufenthG erforderlichen, auf Tatsachen gestützten Risikoprognose, dass der Betroffene einen Terroranschlag in Deutschland begeht.
4
Ein im Januar 2017 gegen den Betroffenen wegen des Verdachts der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung erlassener Haftbefehl wurde durch den Bundesgerichtshof aufgehoben (BGH, Beschluss des 3. Strafsenats vom 17. August 2017 - AK 34/17, ECLI:DE:BGH:2017:170817 BAK34.17.1); der Betroffene wurde anschließend aus der Untersuchungshaft entlassen.
5
Auf Antrag der zuständigen Ausländerbehörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 18. August 2017 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung von dessen Abschiebung nach Tunesien bis zum 23. Oktober 2017 angeordnet. In ihrem Haftantrag hat die Behörde mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, die Abschiebungshaft auf der Grundlage von § 62a Abs. 1 Satz 2 Alternative 2 AufenthG nicht in einer speziellen Abschiebungshafteinrichtung, sondern in der allgemeinen Justizvollzugsanstalt Frankfurt am Main I zu vollziehen. Die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht (Beschwerdegericht) mit Beschluss vom 24. August 2017 zurückgewiesen. Mit der nach Ablauf der ange- ordneten Haftdauer begründeten Rechtsbeschwerde, über die der vorlegende Senat zu entscheiden hat, möchte der Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Inhaftierung erreichen. Die Abschiebungshaft wurde im weiteren Verlauf mehrfach verlängert; ge6 gen diese Verlängerungen wurden ebenfalls Rechtsmittel eingelegt, die beim Bundesgerichtshof anhängig sind. Am 9. Mai 2018 wurde der Betroffene nach Tunesien abgeschoben. Das vorliegende Verfahren betrifft allein den Haftzeitraum bis zum 23. Oktober 2017.

II.


7
Das Beschwerdegericht hält den Vollzug der Abschiebungshaft in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt am Main I für rechtmäßig. Das ergebe sich aus § 62a Abs. 1 Satz 2 Alternative 2 AufenthG; diese Vorschrift verstoße nicht gegen Art. 16 Abs.1 der Richtlinie 2008/115/EG.

III.

8
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthaft und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässig. Ihre Begründetheit hängt entscheidend von der Beantwortung der im Tenor formulierten Vorlagefrage durch den Gerichtshof der Europäischen Union ab.
9
1. Die Haftanordnung des Amtsgerichts und ihre Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht wären rechtswidrig und die Rechtsbeschwerde folglich begründet, wenn Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG so auszulegen sein sollte, dass der Vollzug der Abschiebungshaft in einer gewöhnlichen Haftanstalt auch dann untersagt ist, wenn von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht.
10
a) Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG erfolgt die Inhaftierung von Betroffenen zur Sicherung der Ab- oder Zurückschiebung grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Nur wenn in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden sind, kann die Unterbringung nach Satz 2 in gewöhnlichen Haftanstalten erfolgen, wobei die Drittstaatsangehörigen gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen unterzubringen sind. Diese Ausnahmeregelung ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union eng auszulegen. Sie kann deshalb bei einem föderal gegliederten Mitgliedstaat wie der Bundesrepublik Deutschland nur angewendet werden, wenn in keinem Bundesland eine spezielle Hafteinrichtung für Abschiebungshäftlinge vorhanden ist (EuGH, Urteil vom 17. Juli 2014, Rs. C-417/13 u.a., Bero, ECLI:EU:C:2014:2095). Der Vollzug in einer gewöhnlichen Haftanstalt gemeinsam mit gewöhnlichen Strafgefangenen wird auch nicht dadurch zulässig, dass der Drittstaatenangehörige in diese Unterbringung einwilligt (EuGH, Urteil vom 17. Juli 2014, Rs. C-474/13, Pham, ECLI:EU:C:2014:2096).
11
b) Das nationale deutsche Recht erlaubt es in § 62a AufenthG, bei Ausländern , von denen eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeuten- de Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht (sogenannte „Gefährder“), die Ab- schiebungshaft ausnahmsweise nicht in einer speziellen Hafteinrichtung für Ab- schiebehäftlinge, sondern in einer gewöhnlichen („sonstigen“) Haftanstalt zu voll- ziehen, wobei auch in diesem Fall die Unterbringung getrennt von Strafgefangenen zu erfolgen hat. § 62a Abs. 1 Aufenthaltsgesetz lautet auszugsweise: „Die Abschiebungshaft wird grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen. Sind spezielle Hafteinrichtungen im Bundesgebiet nicht vorhanden oder geht von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus, kann sie in sonstigen Haftanstalten vollzogen werden; die Abschiebungsgefangenen sind in diesem Fall getrennt von Strafgefangenen unterzubringen“.
12
Die Regelung in § 62a Abs. 1 Satz 2 Alternative 2 AufenthG wurde mit dem am 28. Juli 2017 verkündeten und nach seinem Art. 9 am Folgetag in Kraft getretenen Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2780) in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen. Sie findet vorliegend Anwendung, weil die Haft am 18. August 2017 und somit nach Inkrafttreten des Gesetzes angeordnet wurde.
13
c) Ob Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG es dem nationalen Gesetzgeber gestattet, für sogenannte „Gefährder“ (siehe Rn. 11) Sonderregelungen vorzusehen , die den Vollzug der Abschiebungshaft in einer gewöhnlichen Haftanstalt erlauben, ist umstritten.
14
aa) Der deutsche Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass die von ihm neu geschaffene Regelung mit der Richtlinie vereinbar ist. Die in dem ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 18/11546) noch nicht enthaltene Regelung geht auf einen Vorschlag des Innenausschusses des Deutschen Bundestages zurück, der wie folgt begründet wurde (BT-Drucks. 18/12415 S. 15): „Die Unterbringung von Abschiebungsgefangenen, die eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit darstellen, bedarf unter Umständen besonderer Sicherheitsvorkehrungen. Die Unterbringungseinrichtungen für Abschiebungsgefangene sind nicht so ausgestaltet, dass besonderen Sicherheitsbedürfnissen Rech- nung getragen wird („Wohnen minus Freiheit“). Ergibt sich, dass einzelne Abschiebungsgefangene eine entsprechende Gefahr nicht zuletzt für die anderen Abschiebungshäftlinge darstellen, kann eine Unterbringung in gewöhnlichen Abschiebungshafteinrichtungen ein besonderes, wenn nicht unzumutbares Risiko bedeuten. In solchen Fällen muss es gestattet werden, diese Abschiebungsgefangenen auch in dafür geeigneten anderen Einrichtungen unterzubringen“.
15
Der federführende Innenausschuss des Bundesrats hat ebenfalls eine entsprechende Ergänzung des Gesetzes vorgeschlagen und zur Begründung ausgeführt (BR-Drucks. 179/1/17 S. 15): „Gefangene in Abschiebungshafteinrichtungen genießen nach den Vorga- ben der EU-Rückführungsrichtlinie deutlich mehr Freiheiten als Untersuchungs - oder Strafgefangene. Sie haben umfangreiche Kommunikationsmöglichkeiten , inklusive fremdsprachliche Auslandsgespräche und sind damit im Einzelfall schwer zu kontrollieren. Zudem können sich Abschiebungsgefangene in der Einrichtung in größerem Umfang frei bewegen, darüber hinaus stehen ihnen mehr Sozialeinrichtungen zur Verfügung und eine maximale Absicherung der Einrichtung gegen Übergriffe von außen ist aufgrund der Verwendung bisher nicht notwendig. Diese Vollzugserleichterungen sind bei Sicherheitsgefährdern nicht angebracht. Personen, von denen eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, bedürfen einer intensiveren Überwachung. Ansonsten drohen Schäden für andere Gefangene sowie für das Aufsichtspersonal. Bei diesen Personen ist ein Vollzug der Abschiebungshaft in den vorhandenen Hochsicherheitsbereichen der geeigneten Haftanstalten erforderlich. In der vom Strafvollzugsausschuss eingesetzten Arbeitsgruppe "Umgang mit terroristischen Attentäterinnen und Attentätern", wobei für potentielle Terroristen nichts anderes gelten kann, haben sich die beteiligten 15 Länder einstimmig für eine dezentrale Unterbringung ausgesprochen , die nur bei Nutzung der vorhandenen Haftanstalten sichergestellt werden kann. Der Wortlaut des Artikels 16 Absatz 1 Satz 1 der Rückführungsrichtlinie sieht lediglich im Grundsatz eine Unterbringung in speziellen Abschiebungshaftanstalten vor. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nicht ausgeschlossen. […]“.
16
bb) In der Literatur wird teilweise davon ausgegangen, dass § 62a Abs. 1 Satz 2 Alternative 2 AufenthG mit der Richtlinie 2008/115/EG nicht vereinbar sei, weil deren Art. 16 eine Ausnahme wegen eines gesteigerten Sicherheitsbedürfnisses nicht vorsehe (vgl. Hörich/Tewocht, NVwZ 2017, 1153, 1155; Schulenberg, ZAR 2017, 401, 402). Auch der Rechtsausschuss des Bundesrats hatte im Gesetzgebungsverfahren zunächst Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Regelung mit der Richtlinie vorgebracht. Da Abschiebungsgefangene auch bei einem Vollzug in einer gewöhnlichen Haftanstalt von Strafgefangenen zu trennen seien, müssten sie zwangsläufig gemeinsam mit Untersuchungshaftgefangenen untergebracht werden. Dem Sinn der Richtlinie dürfte es aber entsprechen , Untersuchungshaftgefangene den Strafgefangenen gleichzustellen, so dass ausreisepflichtige Personen nicht in Justizvollzugsanstalten untergebracht werden könnten (BR-Drucks. 390/1/17 S. 2). Dem ist das Plenum des Bundesrats nicht gefolgt. cc) Nach anderer Ansicht ist die Regelung zulässig, weil nach Art. 72 AEUV
17
die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für den Schutz der inneren Sicherheit unberührt blieben und die Rückführungsrichtlinie insoweit nicht als abschließende Regelung anzusehen sei. Deshalb bleibe auch im Zusammenhang mit der Abschiebungshaft die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für wirksame Maßnahmen der Gefahrenabwehr bestehen (BeckOK AuslR/Kluth, 19. Ed. 1.8.2018, AufenthG § 62a Rn. 11a). Durch den offenen Charakter der Abschiebungshaft innerhalb der Einrichtungen seien wirksame Maßnahmen der Gefahrenabwehr in diesen kaum möglich bzw. würden den Charakter der Einrichtung grundlegend verändern und damit dem vorrangigen Leitbild der Rückführungsrichtlinie widersprechen (BeckOK AuslR/Kluth, 19. Ed. 1.8.2018, AufenthG § 62a Rn. 11a; im Ergebnis ebenso Bergmann/Dienelt/Winkelmann, 12. Aufl., AufenthG § 62a Rn. 13).
d) Sollte Art. 16 der Richtlinie 2008/115/EG dem Vollzug der Abschie18 bungshaft in einer gewöhnlichen Haftanstalt bei Gefährdern entgegenstehen, hätte die Haft vorliegend nicht angeordnet werden dürfen, weil ein entsprechender Vollzug angekündigt, für die Haftgerichte also absehbar war. Im Hinblick auf das Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Rechts der Europäischen Union muss der Haftrichter die Anordnung von Sicherungshaft nämlich ablehnen, wenn absehbar ist, dass der Betroffene rechtswidrig untergebracht werden wird (Senat, Beschluss vom 11. Juli 2013 - V ZB 40/11, juris Rn. 20 [insoweit in NVwZ 2014, 166 nicht abgedruckt]; Beschluss vom 25. Juli 2014 - V ZB 137/14, FGPrax 2014, 230 Rn. 5). 2. Sollte Art. 16 der Richtlinie 2008/115/EG hingegen so auszulegen sein,
19
dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der die Abschiebungshaft in einer gewöhnlichen Haftanstalt - getrennt von Strafgefangenen - vollzogen werden kann, wenn von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, wäre die Haft vorliegend rechtmäßig und die Rechtsbeschwerde unbegründet.
20
a) Die von dem Betroffenen gegen die Prognose des Amtsgerichts und des Beschwerdegerichts hinsichtlich der Durchführbarkeit der Abschiebung erhobene Rüge erachtet der Senat als nicht durchgreifend. Insoweit wird im Rahmen des Vorlageverfahrens von einer Begründung abgesehen.
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b) Dass der Betroffene innerhalb der Justizvollzugsanstalt nicht hinreichend von Strafgefangenen getrennt worden wäre (was unabhängig von der Vorlagefrage einen Verstoß gegen Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG darstellen würde, vgl. Senat, Vorlagebeschluss vom 11. Juli 2013 - V ZB 40/11, juris Rn. 23, insoweit nicht abgedruckt in NVwZ 2014, 166 Rn. 23), macht er nicht geltend.
22
Die vorstehend genannten Vorschriften des deutschen Rechts sind in der Anlage im Wortlaut beigefügt. Stresemann Schmidt-Räntsch Kazele Haberkamp Hamdorf
Vorinstanzen:
AG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 18.08.2017 - 934 XIV 1167/17 B -
LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 24.08.2017 - 2-29 T 210/17 -

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(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten: 1. die

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(2) Den Abschiebungsgefangenen wird gestattet, mit Rechtsvertretern, Familienangehörigen, den zuständigen Konsularbehörden und einschlägig tätigen Hilfs- und Unterstützungsorganisationen Kontakt aufzunehmen.

(3) Bei minderjährigen Abschiebungsgefangenen sind unter Beachtung der Maßgaben in Artikel 17 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98) alterstypische Belange zu berücksichtigen. Der Situation schutzbedürftiger Personen ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

(4) Mitarbeitern von einschlägig tätigen Hilfs- und Unterstützungsorganisationen soll auf Antrag gestattet werden, Abschiebungsgefangene zu besuchen.

(5) Abschiebungsgefangene sind über ihre Rechte und Pflichten und über die in der Einrichtung geltenden Regeln zu informieren.

(1) Die oberste Landesbehörde kann gegen einen Ausländer auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen. Die Abschiebungsanordnung ist sofort vollziehbar; einer Abschiebungsandrohung bedarf es nicht.

(2) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat kann die Übernahme der Zuständigkeit erklären, wenn ein besonderes Interesse des Bundes besteht. Die oberste Landesbehörde ist hierüber zu unterrichten. Abschiebungsanordnungen des Bundes werden von der Bundespolizei vollzogen.

(3) Eine Abschiebungsanordnung darf nicht vollzogen werden, wenn die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 bis 8 gegeben sind. § 59 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Die Prüfung obliegt der über die Abschiebungsanordnung entscheidenden Behörde, die nicht an hierzu getroffene Feststellungen aus anderen Verfahren gebunden ist.

(4) Dem Ausländer ist nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung unverzüglich Gelegenheit zu geben, mit einem Rechtsbeistand seiner Wahl Verbindung aufzunehmen, es sei denn, er hat sich zuvor anwaltlichen Beistands versichert; er ist hierauf, auf die Rechtsfolgen der Abschiebungsanordnung und die gegebenen Rechtsbehelfe hinzuweisen. Ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von sieben Tagen nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung zu stellen. Die Abschiebung darf bis zum Ablauf der Frist nach Satz 2 und im Falle der rechtzeitigen Antragstellung bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nicht vollzogen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
AK 34/17
vom
17. August 2017
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung
ECLI:DE:BGH:2017:170817BAK34.17.1

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschuldigten und seiner Verteidiger am 17. August 2017 gemäß §§ 121, 122 StPO
beschlossen:
Der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 26. Januar 2017 (6 ARs 1/17), neu gefasst durch die Beschlüsse vom 23. März 2017 und 6. Juli 2017, wird aufgehoben.
Der Beschuldigte ist in dieser Sache aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Gründe:

1
Der Beschuldigte ist aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 26. Januar 2017 (6 ARs 1/17), geändert durch Beschlüsse vom 23. März 2017 und 6. Juli 2017, am 1. Februar 2017 festgenommen worden und befindet sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft.

I.

2
Gegenstand des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 26. Januar 2017 ist nach dessen zweimaliger Änderung allein noch der Vorwurf, der Beschuldigte habe den "Islamischen Staat Irak und Großsyrien" (ISIG) und damit eine Vereinigung im Ausland unterstützt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Tot- schlag (§ 212 StGB) oder Kriegsverbrechen zu begehen (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5, § 129b Abs. 1 StGB).

II.

3
Die Prüfung, ob die Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus fortdauern darf (§§ 121, 122 StPO), führt zur Aufhebung des Haftbefehls, weil der Beschuldigte der ihm vorgeworfenen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung im Sinne des Haftbefehls nach derzeitigem Ermittlungsstand jedenfalls nicht dringend verdächtig im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO ist.
4
1. Soweit dem Beschuldigten Tätigkeiten als Schleuser und Anwerber für den ISIG angelastet werden, umschreibt der Haftbefehl den Vorwurf nicht in ausreichendem Maße und genügt damit nicht den Anforderungen des § 114 Abs. 2 Nr. 2 StPO.
5
a) Nach dieser Vorschrift sind im Haftbefehl die Tat, deren der Beschuldigte dringend verdächtig ist, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften anzuführen. Der strafrechtliche Vorwurf, der die Untersuchungshaft rechtfertigen soll, ist in ähnlicher Weise wie in der Anklageschrift (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO) zu umschreiben. Dies bedeutet, dass der Tatvorgang als solcher in seiner bedeutsamen konkreten Erscheinungsform mitgeteilt werden muss (LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 114 Rn. 9). Der Haftbefehl muss das ihm zugrundeliegende Geschehen nach Ort und Zeit, Art der Durchführung und sonstigen Umständen so genau bezeichnen, dass ein bestimmter Lebensvorgang erkennbar ist, dem der Beschuldigte den gegen ihn erhobenen Vorwurf einer Straftat entnehmen kann (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 114 Rn. 7 mwN). Zwar kann - soweit in einem frühen Stadium der Ermittlungen eine detaillierte Beschreibung der Taten noch nicht möglich ist - eine zusammenfassende Darstellung im Haftbefehl genügen. Im weiteren Verlauf ist die Tatschilderung dann aber der fortschreitenden Ermittlungslage anzupassen. Stets müssen bei der Umschreibung des historischen Vorgangs auch die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale aufscheinen. Es muss für jedes gesetzliche Tatbestandsmerkmal erkennbar sein, durch welchen Teil des Geschehens es erfüllt ist (vgl. KG, Beschluss vom 10. August 2016 - (5) 121 HEs 8/16 (14/16), juris Rn. 27; LR/Hilger aaO; Meyer-Goßner/Schmitt aaO; KK-Graf, StPO, 7. Aufl., § 114 Rn. 6). Verlangt ist somit die konkrete Beschreibung eines Lebenssachverhalts, der unter einen Straftatbestand subsumiert werden kann. Die Anforderungen an die Tatschilderung richten sich damit auch danach, welche Straftat dem Beschuldigten vorgeworfen wird.
6
Vorliegend wird dem Beschuldigten die Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 StGB angelastet. Unter einem Unterstützen im Sinne dieser Vorschriften ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich jedes Tätigwerden eines Nichtmitgliedes zu verstehen, das die innere Organisation der Vereinigung und ihren Zusammenhalt unmittelbar fördert, die Realisierung der von ihr geplanten Straftaten - wenn auch nicht unbedingt maßgebend - erleichtert oder sich sonst auf deren Aktionsmöglichkeiten und Zwecksetzung in irgendeiner Weise positiv auswirkt und damit die ihr eigene Gefährlichkeit festigt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 117). Dies kann zum einen dadurch geschehen, dass ein Außenstehender mitgliedschaftliche Betätigungsakte eines Angehörigen der Vereinigung fördert; in diesem Sinne handelt es sich beim Unterstützen um eine zur Täterschaft verselbständigte Beihilfe zur Mitgliedschaft (vgl. etwa BGH, Urteil vom 3. Oktober 1979 - 3 StR 264/79, BGHSt 29, 99, 101). Zum anderen greift der Begriff des Unterstützens einer Vereinigung über ein im strengeren Sinne des § 27 Abs. 1 StGB auf die Förderung der Tätigkeit eines Vereinigungsmitglieds beschränktes Verständnis hinaus; denn er bezieht sich auch und - wie schon der Wortlaut des Gesetzes zeigt - sogar in erster Linie auf die Vereinigung als solche, ohne dass im konkreten Fall die Aktivität des Nichtmitgliedes zu einer einzelnen organisationsbezogenen Tätigkeit eines Organisationsmitgliedes hilfreich beitragen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2007 - AK 6/07, BGHSt 51, 345, 350 f.; Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 117 f.). Auch muss das Wirken des Nichtmitgliedes nicht zu einem von diesem erstrebten Erfolg führen; es genügt, wenn sein Tun für die Organisation objektiv nützlich ist, ohne dass ein messbarer Nutzen für diese eintritt (vgl. BGH, Urteile vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 116; vom 25. Juli 1984 - 3 StR 62/84, BGHSt 33, 16, 17; vom 25. Januar 1984 - 3 StR 526/83, BGHSt 32, 243, 244). Erforderlich ist aber immer, dass das Nichtmitglied konkret eine Unterstützungsleistung für die Vereinigung erbringt. Dabei stehen die Handlungen, mit denen der Täter eine terroristische Vereinigung unterstützt, zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit. Denn anders als bei der mitgliedschaftlichen Betätigung an einer Vereinigung nach § 129a Abs. 1 Alternative 2 StGB, bei der wegen ihres Charakters als Organisationsdelikt mehrere Beteiligungsakte jedenfalls dann, wenn sie nicht ihrerseits einen weiteren Straftatbestand erfüllen, zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit verknüpft werden (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308 ff.), kommt wegen der unterschiedlichen rechtlichen Struktur bei den Tatbestandsvarianten des Werbens und Unterstützens nach § 129a Abs. 5 StGB eine solche normativ vorgegebene pauschale Zusammenfassung mehrerer unterstützender Einzelakte nicht in Betracht. Bei mehrfachem Werben oder Unterstützen liegt vielmehr in der Regel Tatmehrheit vor (vgl. LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129 Rn. 193).
7
Daraus folgt als Anforderung an die Tatschilderung in diesen Fällen, dass es zur Beschreibung des Tatvorwurfs der Unterstützung einer terroristi- schen Vereinigung im Haftbefehl nicht ausreicht, dem Beschuldigten allgemein eine Tätigkeit etwa als "Rekruteur" anzulasten. Erforderlich ist vielmehr die Darlegung einer oder mehrerer Unterstützungshandlung(en), die - gegebenenfalls jede für sich - so konkret umschrieben sein muss (müssen), dass erkennbar ist, ob sie den Straftatbestand des § 129a Abs. 5 StGB erfüllt (erfüllen). Nur dann kann der Haftbefehl seinen Funktionen gerecht werden, zu denen nicht nur die Information des Beschuldigten zählt. Vielmehr ist es auch Aufgabe des Haftbefehls , dem Haftprüfungsgericht im Rahmen der besonderen Haftprüfung nach den §§ 121 ff. StPO mit Blick auf das Tatbestandsmerkmal "wegen derselben Tat" eine Kontrolle der Haftzeit zu ermöglichen (vgl. KG, aaO Rn. 8 ff.). Ob die Schwierigkeiten der Ermittlungen gerade wegen des im Haftbefehl enthaltenen Tatvorwurfs eine sechs Monate überdauernde Untersuchungshaft rechtfertigen, kann nur im Blick auf eine individuelle Beschreibung des Tatvorwurfs im Haftbefehl entschieden werden.
8
b) Hieran gemessen genügt der Haftbefehl des Oberlandesgerichts insoweit nicht den Anforderungen des § 114 Abs. 2 Nr. 2 StPO als er auf den dringenden Tatverdacht gestützt ist, der Beschuldigte habe seit August 2015 in Frankfurt am Main und an anderen Orten den ISIG unterstützt, indem er "u. a. als Schleuser und Anwerber für" diese Organisation tätig gewesen sei. Damit wird lediglich allgemein eine "Tätigkeit", nicht aber eine konkrete Handlung umschrieben , mit der der Beschuldigte den ISIG unterstützt haben soll. Die Schilderung einer konkreten Unterstützungshandlung findet sich auch im Folgenden im Haftbefehl nicht. Soweit im Zusammenhang mit der rechtlichen Bewertung des Vorwurfs und der Darlegung der vorläufigen Beweisergebnisse ein Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 22. August 2016 zitiert wird, wonach der Beschuldigte die Reihen des IS in Syrien verlassen habe und sich nun in Deutschland aufhalte, wo er als Rekruteur und Schleuser für den IS tätig sei, wird auch hierin die Beschreibung konkreter einzelner Hand- lungen nicht erkennbar. Damit kann die Untersuchungshaft nicht auf den Vorwurf gestützt werden, der Beschuldigte habe während seines Aufenthaltes im Rhein-Main-Gebiet Aktivitäten entfaltet, um Mitglieder und Unterstützer für den IS zu gewinnen oder nach Deutschland einzuschleusen.
9
2. Dem Haftbefehl kann ansatzweise allenfalls insoweit eine den Anforderungen des § 114 Abs. 2 Nr. 2 StPO genügende Tatschilderung entnommen werden, als er bei der Aufzählung der gegen den Beschuldigten sprechenden Verdachtsgründe unter anderem anführt, dass dieser nach dem Ergebnis der Auswertung seines Mobiltelefons als Urheber gewaltverherrlichender Fotocollagen und aktives Mitglied bzw. Unterstützer einer Medien- und Cybereinheit des IS anzusehen sei. Ob die Unterstützung einer solchen Einheit des IS durch die Herstellung der Fotocollagen im Hinblick auf den eingangs formulierten Vorwurf , der Beschuldigte sei als Schleuser und Rekruteur für den IS tätig, überhaupt Gegenstand des Haftbefehls und ob dieser gegebenenfalls hinreichend konkret beschrieben ist, kann indes dahinstehen. Denn ein dringender Tatverdacht , der Beschuldigte habe eine ausländische terroristische Vereinigung bzw. die hierfür zuständigen Mitglieder durch digitale Bildbearbeitungen und -kompositionen in ihrer Propagandatätigkeit unterstützt, besteht in Anbetracht der sich aus den Sachakten ergebenden Beweislage nicht. Im Einzelnen:
10
a) Die bisherigen Ermittlungsergebnisse belegen zwar den Verdacht, dass der Beschuldigte Internetpräsentationen, mit denen für den IS geworben werden kann, vorbereitet hat. Eine Unterstützung der Vereinigung durch diese Handlungen, die die rechtlichen Voraussetzungen des § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB erfüllt, ist jedoch bisher nicht im Sinne eines dringenden Tatverdachts belegt.
11
Die Ermittlungen haben folgendes Ergebnis erbracht: Der Beschuldigte hatte, nachdem er erstmals 2003 nach Deutschland eingereist war und geheira- tet hatte, 2013 Deutschland wieder verlassen, kehrte aber 2015 zurück und lebte hier ohne festen Wohnsitz, wobei er bei unterschiedlichen Kontaktpersonen unterkam. Staatliche Leistungen nahm er nicht in Anspruch. Er verkehrte in islamistischen Kreisen. Insbesondere stand er - wie teilweise schon vor seiner Ausreise aus Deutschland im Jahr 2013 - nach seiner Wiedereinreise mit Personen in Kontakt, gegen die von Seiten der Staatsschutzbehörden wegen islamistischer Umtriebe ermittelt wird. Zu Einzelheiten kann auf den ersten Sachstandsbericht des Hessischen Landeskriminalamtes vom 23. Dezember 2016 verwiesen werden. Dass der Beschuldigte konkret dem IS zumindest befürwortend gegenübersteht, legen - neben dem Inhalt des oben genannten Behördenzeugnisses des Bundesamtes für Verfassungsschutz - die Angaben einer am 10. und 13. Oktober 2016 vernommenen VP des hessischen Landeskriminalamtes nahe, wonach der Beschuldigte beim IS eine "große Rolle" spielen soll und möglicherweise als Rekruteur und/oder Organisator des IS in Deutschland agiere, sowie die Aussagen der Zeugen K. sowie C. , dem gegenüber der Beschuldigte sich zu seinen Beziehungen zum IS bekannt hat. Am 15. August 2016 wurde der Beschuldigte aufgrund eines Auslieferungsersuchens Tunesiens in Haft genommen, wo er in Verdacht steht, an mehreren Terrorakten, unter anderem dem Anschlag auf das Bardo-Museum, beteiligt gewesen zu sein. Allerdings ist die Auslieferung nicht bewilligt und der Beschuldigte am 4. November 2016 aus der Auslieferungshaft entlassen worden.
12
Bei der Auswertung des bei der Festnahme des Beschuldigten im Auslieferungsverfahren sichergestellten Smartphones sind über 9.000 Bilddateien festgestellt worden, von denen eine Vielzahl einen Bezug zum IS aufweisen. Neben Bilddateien von Nachrichtentexten des ISIG bzw. IS auf offiziellen Medienportalen , die bis zur Verhaftung des Beschuldigten im August 2016 datieren und solchen, die Greueltaten des IS zum Gegenstand haben, sind dort auch Bildcollagen gefunden worden, bei denen Bilder um ein Logo des IS gruppiert und mit einem - arabischen - Text versehen sind. Aus dem Umstand, dass sich gleichzeitig noch unbearbeitete Ausgaben der in einer der Collagen verwendeten Bilder auf dem Smartphone befunden haben, die augenscheinlich als "Rohmaterialien" zur Erstellung der Bilder gedient haben, kann geschlossen werden, dass der Beschuldigte selbst der Urheber der Fotocollagen ist. Auch weitere auf dem Smartphone des Beschuldigten gespeicherte Bilddateien - insbesondere Bilder, die mit entsprechenden Programmen bearbeitet und oftmals beschriftet sind, wobei sie teilweise das Logo oder den Namen von Medienportalen des IS aufweisen - können mit der Gestaltung von Internetseiten des IS im Zusammenhang stehen.
13
b) Diese Ermittlungsergebnisse begründen indes nicht den dringenden Verdacht einer Straftat nach § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB.
14
Die oben dargelegte weite Begriffsbestimmung des Unterstützens im Sinne dieser Vorschrift darf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht dahin missverstanden werden, dass jedes Handeln eines Nichtmitgliedes im Sinne der Vereinigung als tatbestandsmäßig einzustufen wäre, ohne dass es auf die konkreten Wirkungen seines Tuns ankäme. Insbesondere darf nicht aus dem Blick verloren werden, dass der Gesetzgeber mit dem 34. Strafrechtsänderungsgesetz (vom 22. August 2002, BGBI. I S. 3390) und dem Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung und zur Änderung anderer Gesetze (vom 22. Dezember 2003, BGBI. I S. 2836) die Strafbarkeit des propagandistischen Wirkens eines Nichtmitgliedes im Sinne der Vereinigung auf die Fälle des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für die Organisation beschränkt und das lediglich befürwortende Eintreten für eine terroristische Vereinigung, die Rechtfertigung ihrer Ziele oder der aus ihr heraus begangenen Straftaten straffrei gestellt hat.
Diese gesetzgeberische Grundentscheidung ist zu beachten. Es ist nicht zulässig , sie dadurch zu umgehen, dass propagandistisches Handeln eines Nichtmitgliedes , das sich nicht als Werben um Mitglieder oder Unterstützer für die Vereinigung darstellt, allein wegen der psychologischen Folgen, die es - insbesondere etwa im Falle der Rechtfertigung oder Verherrlichung von Gewalttaten der Organisation - auf die angesprochenen Adressatenkreise haben kann, als Unterstützen der Vereinigung eingestuft wird (BGH, Beschlüsse vom 20. September 2012 - 3 StR 314/12, StraFo 2013, 123, 124; vom 11. Juli 2013 - AK 1314 /13, BGHSt 58, 318, 322 ff.). Ein Unterstützen ist erst dann anzunehmen, wenn das ein bloßes Werben für die Vereinigung darstellende Handeln des Nichtmitgliedes im konkreten Einzelfall über die propagandistische Wirkung seines Tuns hinaus einen objektiv nützlichen Effekt für die mitgliedschaftliche Betätigung eines Angehörigen der Organisation bewirkt. Dies bedeutet, dass ein Außenstehender eine Vereinigung auch mit Tätigkeiten unterstützen kann, die sich der Sache nach als Förderung des Werbens für die Vereinigung durch ein Organisationsmitglied darstellen, auch wenn dessen Verhalten als bloße propagandistische Tätigkeit im Sinne einer reinen Sympathiewerbung anzusehen ist. Demgegenüber unterfällt die um Sympathie oder um Mitglieder oder Unterstützer werbende Tätigkeit eines Nichtmitgliedes dann nicht dem Tatbestandsmerkmal des Unterstützens im Sinne des § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB, wenn sie sich allgemein für die Organisation oder ihre Ziele einsetzt, ohne dabei die propagandistische Tätigkeit eines Vereinigungsmitglieds individuell zu fördern (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2013 - AK 13-14/13, BGHSt 58, 318, 322 ff. mwN).
15
c) Hiernach begründet das Ergebnis der bisherigen Ermittlungen nicht den dringenden Verdacht des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung durch den Beschuldigten. Dass dieser Bildcollagen und andere Bildbearbeitungen für die Einstellung von Dateien in Internetforen herstellte, um möglicher- weise um Sympathie für den IS zu werben, erfüllt den Tatbestand des § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB nach dem dargelegten Maßstab nicht. Erforderlich wäre vielmehr, dass er mit seinen der Propaganda dienenden Vorbereitungshandlungen Mitglieder der Vereinigung individuell in ihrer medialen Tätigkeit für den IS gefördert hätte, indem er etwa seine Bilddateien in Absprache mit diesen veröffentlicht oder Mitgliedern der auf die Propagandatätigkeit ausgerichteten Abteilung des IS zu Veröffentlichungszwecken zur Verfügung gestellt hätte. Solche Verdachtsgründe ergeben die bisherigen Ermittlungen - auch unter Berücksichtigung der Vielzahl der Bilddateien, des mutmaßlichen Näheverhältnisses des Beschuldigten zu der Vereinigung und seiner Sympathie für den IS - nicht.
16
3. Weitere Unterstützungshandlungen schildert der Haftbefehl nicht. Der Senat kann deshalb nach dessen Erlass erlangte Ermittlungsergebnisse zu möglichen anderen Taten im Rahmen der von §§ 121, 122 StPO geforderten Prüfung nicht berücksichtigen. Prüfungsgegenstand im Haftprüfungsverfahren ist nur der nach § 122 Abs. 1 StPO vorgelegte Haftbefehl (KK-Schultheis, StPO, 7. Aufl., § 121 Rn. 24). Ergeben die weiteren Ermittlungen zusätzliche Taten des Beschuldigten, die keine Aufnahme in den Haftbefehl gefunden haben , so dürfen sie in einem Haftfortdauerbeschluss gemäß §§ 121, 122 StPO nur berücksichtigt werden, wenn der Haftbefehl angepasst und der erweiterte Haftbefehl gemäß § 115 StPO verkündet worden ist. Somit ist es für die Entscheidung des Senats etwa ohne Belang, ob tatsächlich ein dringender Tatverdacht besteht, dass der Beschuldigte an einem Propagandafilm des IS im Irak mitgewirkt hat.
17
Nach alledem war der Haftbefehl aufzuheben.
Becker Spaniol Berg

(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in

1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts,
2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie
3.
Freiheitsentziehungssachen.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 gilt dies nur, wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss richtet, der die Unterbringungsmaßnahme oder die Freiheitsentziehung anordnet. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 ist die Rechtsbeschwerde abweichend von Satz 2 auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen den eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden oder zurückweisenden Beschluss in den in § 417 Absatz 2 Satz 2 Nummer 5 genannten Verfahren richtet.

(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn

1.
schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder
2.
eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.

(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und
2.
die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.

(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit der Beschluss angefochten und dessen Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge);
2.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar
a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;
b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.

(4) Die Rechtsbeschwerde- und die Begründungsschrift sind den anderen Beteiligten bekannt zu geben.

(1) Die Abschiebungshaft wird grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen. Sind spezielle Hafteinrichtungen im Bundesgebiet nicht vorhanden oder geht von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus, kann sie in sonstigen Haftanstalten vollzogen werden; die Abschiebungsgefangenen sind in diesem Fall getrennt von Strafgefangenen unterzubringen. Werden mehrere Angehörige einer Familie inhaftiert, so sind diese getrennt von den übrigen Abschiebungsgefangenen unterzubringen. Ihnen ist ein angemessenes Maß an Privatsphäre zu gewährleisten.

(2) Den Abschiebungsgefangenen wird gestattet, mit Rechtsvertretern, Familienangehörigen, den zuständigen Konsularbehörden und einschlägig tätigen Hilfs- und Unterstützungsorganisationen Kontakt aufzunehmen.

(3) Bei minderjährigen Abschiebungsgefangenen sind unter Beachtung der Maßgaben in Artikel 17 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98) alterstypische Belange zu berücksichtigen. Der Situation schutzbedürftiger Personen ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

(4) Mitarbeitern von einschlägig tätigen Hilfs- und Unterstützungsorganisationen soll auf Antrag gestattet werden, Abschiebungsgefangene zu besuchen.

(5) Abschiebungsgefangene sind über ihre Rechte und Pflichten und über die in der Einrichtung geltenden Regeln zu informieren.

Tenor

Die Vollziehung der mit Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 8. Mai 2014 gegen den Betroffenen angeordneten und durch Beschluss der 39. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 27. Juni 2014 aufrecht erhaltenen Sicherungshaft wird einstweilen ausgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Betroffene ist türkischer Staatsbürger und reiste am 27. April 2014 ohne Ausweis- oder Aufenthaltspapiere mit Hilfe eines Schleppers nach Deutschland ein. Am 7. Mai 2014 wurde er in Köln bei dem Versuch festgenommen, sich unter Vorlage einer gefälschten bulgarischen Identitätskarte anzumelden. Mit Verfügung vom gleichen Tag drohte ihm die beteiligte Behörde die Abschiebung an. Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht am 8. Mai 2014 gegen den Betroffenen Haft bis zum 6. August 2014 angeordnet. Die Haft wird in einem gesonderten Gebäude auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Büren vollzogen. Am 6. Juni 2014 hat der Betroffene aus der Haft heraus einen Asylantrag gestellt. Auf die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 27. Juni 2014 die Rechtswidrigkeit der Haft für den Zeitraum vom 8. Mai 2014 bis zum 27. Juni 2014 festgestellt und die weitergehende Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt.

2

Einen ersten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angeordneten Haft hat der Senat mit Beschluss vom 3. Juli 2014 zurückgewiesen. Mit dem vorliegenden zweiten Aussetzungsantrag macht der Betroffene geltend, der Vollzug der Haft in der Justizvollzugsanstalt Büren widerspreche dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 17. Juli 2014 (Rs. 473/13 und 514/13 - Bero und Bouzalmate, ECLI:EU:C:2014:2095).

II.

3

Der Aussetzungsantrag hat Erfolg.

4

1. Er ist in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG statthaft (Senat, Beschluss vom 21. Januar 2010 - V ZB 14/10, FGPrax 2010, 97 Rn. 3). Seiner Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der Senat den ersten Aussetzungsantrag des Betroffenen abgelehnt hat. Der Zurückweisungsbeschluss erwächst nicht in Rechtskraft. Deshalb kann eine Aussetzung bei Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen auch angeordnet werden, wenn ein vorausgegangener Aussetzungsantrag zurückgewiesen worden ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 4. März 2009 - AnwZ (B) 78/08, juris Rn. 3). Ein Rechtsschutzbedürfnis für den erneuten Antrag besteht jedenfalls deshalb, weil der Betroffene unter Hinweis auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union nunmehr erstmals die rechtswidrige Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt Büren rügt.

5

2. Der Antrag ist auch begründet, weil die Rechtsbeschwerde des Betroffenen nach der gebotenen summarischen Prüfung erfolgreich sein wird. Im Hinblick auf das Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Rechts der Union (effet utile) muss der Haftrichter die Anordnung von Sicherungshaft ablehnen, wenn absehbar ist, dass der Betroffene entgegen den Vorgaben des Unionsrechts untergebracht werden wird (Senat, Vorlagebeschluss vom 11. Juli 2013 - V ZB 40/11, NVwZ 2014, 166, Rn. 20). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

6

a) Die Unterbringung des Betroffenen in der Justizvollzugsanstalt Büren widerspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.

7

aa) Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG erfolgt die Inhaftierung von Betroffenen zur Sicherung der Ab- oder Zurückschiebung grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Zwar dürfen Betroffene nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie in „gewöhnlichen Haftanstalten“ untergebracht werden, wenn in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden sind. Diese Ausnahme trifft aber nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union für Deutschland nicht zu, weil in mehreren deutschen Bundesländern spezielle Einrichtungen vorhanden sind (EuGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - C 473/13 und C 514/13 - Bero und Bouzalmate, ECLI:EU:C:2014: 2095 Rn. 30 f.).

8

§ 62a Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist in diesem Sinne richtlinienkonform einschränkend auszulegen. Dem steht nicht entgegen, dass die Vorschrift nach ihrem Wortlaut auf die Verhältnisse in dem betroffenen Bundesland und nicht auf die Verhältnisse in Deutschland insgesamt abstellt. Der Gesetzgeber hat mit der Vorschrift ausweislich der Entwurfsbegründung Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie ohne Abstriche umsetzen wollen (BT-Drucks. 17/5470 S. 25). Er hat dabei ein - wie sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergibt - fehlerhaftes Verständnis der Richtlinie zugrunde gelegt, was aber an dem Willen zur richtlinienkonformen Anpassung des nationalen deutschen Rechts nichts ändert. Einem solchen Versehen ist mit einer richtlinienkonformen - hier einschränkenden - Auslegung Rechnung zu tragen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148 Rn. 26; Senat, Beschluss vom 8. Januar 2014 - V ZB 137/12, InfAuslR 2014, 148 Rn. 9-11).

9

bb) Nach dem erwähnten Urteil des Gerichtshofs kann die Unterbringung eines Betroffenen in einem gesonderten Gebäude auf dem Gelände einer Justizvollzugsanstalt, anders als die beteiligte Behörde meint, auch nicht als Unterbringung in einer speziellen Hafteinrichtung angesehen werden, wie sie von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie verlangt wird. Wenn Betroffene in einem Mitgliedstaat überhaupt in gewöhnlichen Haftanstalten untergebracht werden dürfen, dürfte dies nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG nur „gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen“ geschehen. In einem weiteren Urteil vom 17. Juli 2014 hat der Gerichtshof der Europäischen Union ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich aus dem Wortlaut dieser Norm die unbedingte Verpflichtung ergibt, die illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen von den gewöhnlichen Strafgefangenen zu trennen, wenn ein Mitgliedstaat sie nicht in speziellen Hafteinrichtungen unterbringen kann (Rs. C-474/13 - Pham, ECLI:EU:C:2014:2096 Rn. 17, 21). Daraus folgt, dass eine solche gesonderte Unterbringung von Betroffenen auf dem Gelände einer gewöhnlichen Haftanstalt keine Unterbringung in einer speziellen Hafteinrichtung sein kann. Sie ist - unabhängig von ihrer Ausgestaltung im Einzelnen - eine Unterbringung in einer gewöhnlichen Haftanstalt, die in Deutschland, wie ausgeführt, generell nicht zulässig ist.

10

cc) Die Justizvollzugsanstalt Büren dient nach Teil 4 des geltenden Vollstreckungsplans für das Land Nordrhein-Westfalen (Allgemeinverfügung des Justizministeriums vom 16. September 2003 - 4431 - IV B. 28) dem Vollzug der Abschiebungshaft, der Freiheitsstrafe von bis zu drei Monaten und der Ersatzfreiheitsstrafe. Es handelt sich deshalb um eine gewöhnliche Haftanstalt, in der auch von einer Ab- oder Zurückschiebung Betroffene untergebracht sind. Diese Art der Unterbringung widerspricht dem Unionsrecht.

11

b) Daran gemessen ist jedenfalls der weitere Vollzug der Haft rechtswidrig, weil der Betroffene derzeit unter Verstoß gegen die Vorgaben des Unionsrechts untergebracht ist und die Behörde eine Änderung der Unterbringung abgelehnt hat.

Schmidt-Räntsch                      Roth                    Brückner

                          Weinland                 Kazele