Bundesgerichtshof Beschluss, 05. März 2009 - V ZB 153/08

bei uns veröffentlicht am05.03.2009
vorgehend
Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen, 7 C 694/07, 29.02.2008
Landgericht München I, 1 S 7114/08, 25.09.2008

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 153/08
vom
5. März 2009
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Der Rechtsanwalt muss bei der Unterzeichnung einer Berufungsschrift auch dann
überprüfen, ob sie an das zuständige Berufungsgericht gerichtet ist, wenn er diese
Frage durch einen anwaltlichen Kollegen seiner Sozietät hat prüfen lassen.
BGH, Beschluss vom 5. März 2009 - V ZB 153/08 - LG München I
AG Garmisch-Partenkirchen
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. März 2009 durch den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr. Krüger und die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke,
Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 25. September 2008 wird auf Kosten des Beklagten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 18.000 €.

Gründe:


I.


1
Durch ihm am 5. März 2008 zugestelltes Urteil des Amtsgerichts ist der Beklagte verurteilt worden, sein Teileigentum in einer Wohnungseigentumsanlage nicht zum Betrieb eines Pizzaservice zu nutzen. Seine Berufung gegen dieses Urteil ist an das unzuständige Landgericht München II gerichtet worden und dort am 7. April 2008, dem auf den 5. April 2008 folgenden Montag, eingegangen. Nach Abgabe der Sache an das zuständige Landgericht München I hat der Beklagte dort Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, der seine Sache in der beauftragten Sozietät bearbeitende Rechtsanwalt habe mit einem Kollegen der Sozietät besprochen, dass er selbst die Berufungsschrift erstelle, der Kollege das zuständige Berufungsgericht ermittele. Dieser habe die Prüfung aber wegen unvorhergesehener dringender anderer Arbeiten nicht durchführen können und die erfahrene und zuverlässige Sekretärin des die Sache bearbeitenden Rechtsanwalts gebeten, diesem auszurichten, er habe die Prüfung nicht durchführen können. An sich sei das Landgericht München II zuständiges Berufungsgericht; das könne sich durch die WEG-Novelle geändert haben. Die Sekretärin habe dem die Sache bearbeitenden Rechtsanwalt den Entwurf der Berufungsschrift aber mit dem unzutreffenden Bemerken vorgelegt, der Kollege habe mitgeteilt, zuständiges Berufungsgericht sei das Landgericht München II. Darauf habe dieser die an dieses Gericht gerichtete Berufungsschrift unterzeichnet.
2
Das Landgericht hat die Berufung unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags mit dem angefochtenen Beschluss als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten, mit der dieser die Durchführung des Berufungsverfahrens erreichen will. Die Kläger beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

II.


3
Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.
4
1. Sie ist zwar nach §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO unabhängig von einer Zulassung oder Nichtzulassung durch das Berufungsgericht von Gesetzes wegen statthaft, weil sie sich gegen einen Beschluss richtet, durch den die Berufung als unzulässig verworfen worden ist. Zulässig ist sie aber nach § 574 Abs. 2 ZPO nur, wenn auch die dort bestimmten weiteren Voraussetzungen gegeben sind. Das ist nicht der Fall.

5
2. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Eine Entscheidung des Berufungsgerichts ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Zulassung ist insbesondere auch nicht deshalb geboten (dazu: Senat, BGHZ 151, 221, 227; Beschl. v. 23. Oktober 2003, V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368; Beschl. v. 13. Mai 2004, V ZB 62/03, NJW-RR 2004, 1217), weil die Anforderungen, die das Berufungsgericht stellt, überzogen wären und der Beklagten den Zugang zu der an sich gegebenen Berufung unzumutbar erschwerten (vgl. dazu: BVerfGE 40, 88, 91; 67, 208, 212 f.; BVerfG NJW 1996, 2857; 2000, 1636; 2001, 1566; FamRZ 2002, 533; Senat, Beschl. v. 23. Oktober 2003, V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368).
6
a) Der Beklagte hat die Berufungsfrist versäumt, weil seine Prozessbevollmächtigten die Berufungsschrift am letzten Tag der Frist um 15.59 Uhr und damit zu einem Zeitpunkt bei dem unzuständigen Landgericht München II eingereicht haben, zu dem mit einer fristgerechten Weiterleitung im normalen Geschäftsgang (zu diesem Erfordernis: BGH, Beschl. v. 27. Juli 2000, III ZB 28/00, NJW-RR 2000, 1730, 1731) nicht mehr zu rechnen war. Die Zulässigkeit der Berufung hing deshalb entscheidend von dem Erfolg des frist- und formgerecht gestellten Antrags des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und dieser wiederum davon ab, ob die Adressierung der Berufungsschrift an das unzuständige Gericht unverschuldet war. Das hat das Berufungsgericht im Wesentlichen mit der Begründung verneint, der Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe bei Unterzeichnung der Berufungsschrift auch prüfen müssen, ob sie an das zuständige Gericht gerichtet war. Dabei habe er sich weder auf die Angaben seiner Sekretärin noch auf die vermeintlich vorgenommene Prüfung der Zuständigkeit durch seinen Anwaltskollegen verlassen dürfen.

7
b) Das entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die weder fortzubilden noch zu ergänzen ist und auch die Anforderungen an die Einlegung von Rechtsmitteln nicht überspannt.
8
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass der Rechtsanwalt die Berufungsschrift selbst auf ihre Richtigkeit (BGH, Beschl. v. 13. Juli 1988, VIII ZR 65/88, NJW-RR 1988, 1528, 1529; Beschl. v. 12. Mai 1989, IVb ZB 33/89, NJW 1989, 2396; Beschl. v. 10. Januar 1990, XII ZB 141/89, NJW 1990, 990; Beschl. v. 6. Mai 1992, XII ZB 39/92, VersR 1993, 79; Beschl. v. 4. November 1992, XII ZB 120/92, NJW-RR 1993, 254, 255; Musielak /Grandel, ZPO, 6. Aufl., § 233 Rdn. 45) überprüfen muss. Dazu gehört neben der Bezeichnung der Parteien (BGH, Beschl. v. 24. November 1981, VI ZB 11/81, VersR 1982, 191) auch die Bezeichnung des zuständigen Gerichts (BGH, Beschl. v. 7. Oktober 1987, IVb ZB 99/87, VersR 1988, 251; Beschl. v. 8. Dezember 1992, VI ZB 33/92, VersR 1993, 1381 f.; für Fristverlängerungsantrag : BGH, Beschl. v. 18. April 2000, XI ZB 1/00, NJW 2000, 2511). Hätte der Prozessbevollmächtigte diese Prüfung angestellt, hätte er festgestellt, jedenfalls feststellen müssen, dass die Berufung im Hinblick auf § 72 Abs. 2 Satz 1 GVG bei dem Landgericht München I einzulegen war.
9
bb) Diese Prüfung durfte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nicht delegieren. Ein Rechtsanwalt darf zwar seinem Büropersonal die Ermittlung der (genauen) Postanschrift des Berufungsgerichts überlassen und muss diese Anschrift dann auch nicht überprüfen (BGH, Urt. v. 2. Mai 1990, XII ZB 17/90, NJW-RR 1990, 1149, 1150; Senat, Urt. v. 15. Oktober 1999, V ZR 50/99, NJW 2000, 82; Musielak/Grandel, aaO, § 233 Rdn. 48). Das gilt aber nicht für die Angabe des Berufungsgerichts selbst. Sie ist ein nicht delegierbarer Kernbestandteil der Berufungsschrift.
10
cc) Nichts anderes ergibt die von der Rechtsbeschwerde angeführte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur, wie sie es nennt, Arbeitsteilung in Sozietäten. Danach sind die in einer Sozietät tätigen Rechtsanwälte gemeinsam verpflichtet, alles zu tun, um fristgebundene Schriftsätze rechtzeitig einzureichen (Senat, BGHZ 124, 47, 50 f.). Deshalb muss ein Rechtsanwalt, der im Postausgangsfach der Sozietät vergessene Post zur Post aufgeben will, prüfen, ob sich darunter eilige Sachen befinden, die schneller befördert werden müssen (BGH, Beschl. v. 13. November 2002, XII ZB 104/01, NJW-RR 2003, 490, 491), und mitgenommene Sendungen rechtzeitig in den Postkasten einwerfen, auch wenn er sie nicht bearbeitet hat (BGH, Urt. v. 19. Januar 1995, III ZR 107/94, NJW 1995, 1841). Das gilt erst recht für den Rechtsanwalt, der eine arbeitsteilig vorbereitete Berufungsschrift verantwortlich unterzeichnet. Bei dieser Art der Vorbereitung einer Berufungsschrift muss vor ihrer Absendung durch den prozessführenden Rechtsanwalt (oder seinen Vertreter) verantwortlich geprüft werden, ob die Koordination der Beiträge auch gelungen ist. Diese Prüfung kann sinnvoll nur durch den Rechtsanwalt erfolgen, der die Berufungsschrift unterzeichnet und damit für die Sozietät insgesamt die Verantwortung für deren Richtigkeit übernimmt. Dieser kann seiner Aufgabe nur gerecht werden, wenn er in seine Prüfung alle koordinierten Beiträge einbezieht und die Berufungsschrift insgesamt auf ihre Richtigkeit überprüft. Ein Ausblenden einzelner Elemente verfehlte den Zweck der Prüfung. Die erforderliche Prüfung beschränkt sich auf einen überschaubaren Kreis von Punkten und stellt deshalb auch keine übertriebenen Anforderungen.

III.


11
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger Klein Lemke
Schmidt-Räntsch Roth

Vorinstanzen:
AG Garmisch-Partenkirchen, Entscheidung vom 29.02.2008 - 7 C 694/07 -
LG München I, Entscheidung vom 25.09.2008 - 1 S 7114/08 -

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 05. März 2009 - V ZB 153/08

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 05. März 2009 - V ZB 153/08

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. März 2009 - V ZB 153/08 zitiert 6 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 72


(1) Die Zivilkammern, einschließlich der Kammern für Handelssachen und der in § 72a genannten Kammern, sind die Berufungs- und Beschwerdegerichte in den vor den Amtsgerichten verhandelten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, soweit nicht die Zuständigk

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. März 2009 - V ZB 153/08 zitiert oder wird zitiert von 9 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. März 2009 - V ZB 153/08 zitiert 4 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Mai 2004 - V ZB 62/03

bei uns veröffentlicht am 13.05.2004

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 62/03 vom 13. Mai 2004 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 233 D a) Das Verschulden einer Partei oder ihres Prozeßbevollmächtigten schließt die Wiedereinsetzung nicht

Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Okt. 2003 - V ZB 28/03

bei uns veröffentlicht am 23.10.2003

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 28/03 vom 23. Oktober 2003 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 574 Abs. 2 Verletzt die Entscheidung des Berufungsgerichts den Anspruch der beschwerten Partei auf Gewährun

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Nov. 2002 - XII ZB 104/01

bei uns veröffentlicht am 13.11.2002

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XII ZB 104/01 vom 13. November 2002 in dem Rechtsstreit Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. November 2002 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz, Dr.

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Juli 2000 - III ZB 28/00

bei uns veröffentlicht am 27.07.2000

BGHR: ja BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS III ZB 28/00 vom 27. Juli 2000 in dem Rechtsstreit Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Dr. Wurm, Streck, Schlick, Dr. Kapsa und Galke am 27. Juli 2000 beschlossen: Die sofortige
5 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 05. März 2009 - V ZB 153/08.

Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Mai 2011 - IV ZB 2/11

bei uns veröffentlicht am 11.05.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IV ZB 2/11 vom 11. Mai 2011 in dem Rechtsstreit Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Vorsitzende Richterin Dr. Kessal-Wulf, die Richter Wendt, Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt und den Richter Dr

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Apr. 2010 - V ZB 224/09

bei uns veröffentlicht am 12.04.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 224/09 vom 12. April 2010 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja GVG § 72 Abs. 2 Sätze 2 und 3 a) Die Berufung in einer Wohnungseigentumssache kann auch dann nur bei dem sachlic

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Mai 2010 - V ZA 11/10

bei uns veröffentlicht am 20.05.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZA 11/10 vom 20. Mai 2010 in dem Zwangsversteigerungsverfahren Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Mai 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, den Richter Dr. Klein, die Richterin Dr. Stre

Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Feb. 2016 - II ZB 8/15

bei uns veröffentlicht am 02.02.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS II ZB 8/15 vom 2. Februar 2016 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2016:020216BIIZB8.15.0 Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Februar 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann, den Richter Pro

Referenzen

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 28/03
vom
23. Oktober 2003
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Verletzt die Entscheidung des Berufungsgerichts den Anspruch der beschwerten
Partei auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes, so ist die nach § 574 Abs. 1
Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) unabhängig davon zulässig
, ob sich der Rechtsverstoß auf das Endergebnis auswirkt.
Eine konkrete Anweisung des Anwalts im Einzelfall macht nur dann allgemeine organisatorische
Regelungen obsolet, wenn diese durch die Einzelanweisung ihre Bedeutung
für die Einhaltung der Frist verlieren; das ist nicht der Fall, wenn die Weisung
nur dahin geht, einen Schriftsatz per Telefax zu übermitteln, die Fristüberschreitung
aber darauf beruht, daß es an ausreichenden organisatorischen Vorkehrungen
dazu fehlt, unter welchen Voraussetzungen eine Frist nach Übermittlung
fristwahrender Schriftsätze per Telefax als erledigt vermerkt werden darf.
BGH, Beschl. v. 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03 - LG Konstanz
AGÜberlingen
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 23. Oktober 2003 durch die
Richter Tropf, Prof. Dr. Krüger, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterin
Dr. Stresemann

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 1. Zivilkammer des Landgerichts Konstanz vom 2. April 2003 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Gründe:


I.


Gegen das ihr am 7. November 2002 zugestellte Urteil des Amtsgerichts hat die Beklagte Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist per Fax am 8. Januar 2003 bei dem Landgericht eingegangen.
Die Beklagte hat gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu folgendes ausgeführt : Ihr Prozeßbevollmächtigter habe den Begründungsschriftsatz am 7. Januar gefertigt und unterzeichnet und die bei ihm beschäftigte Rechtsanwaltsfachangestellte W. gegen 17.15 Uhr angewiesen, ihn per Fax an das Landgericht zu senden. Diese habe zwar mehrfach versucht zu faxen, was aber , weil sie versehentlich eine falsche Nummer gewählt habe, erfolglos geblieben sei. Sie habe angenommen, das Empfängergerät sei belegt, und habe sich zunächst anderen Aufgaben zugewendet, darüber aber die Angelegenheit ver-
gessen. Später habe sie die Frist im Kalender als erledigt eingetragen, so daß dem Prozeßbevollmächtigten bei dessen Kontrolle gegen 20.00 Uhr das Versäumnis nicht aufgefallen sei.
Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses verlangt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt. Die Kläger beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.


1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
aa) Allerdings liegt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kein Fall einer Divergenz zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 29. Juni 2000 (VII ZB 5/00, NJW 2000, 3006) vor. Eine die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde begründende Abweichung ist nämlich nur gegeben, wenn die angefochtene Entscheidung dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Entscheidung eines höherrangigen oder eines anderen gleichgeordneten Gerichts (Senat, BGHZ 151, 42; BGHZ 89, 149, 151). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Das Berufungsgericht geht - im Einklang mit der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes - davon aus, daß üblicherweise in Anwaltskanzleien auftretende Schwankungen der Arbeitsbelastung die Sorgfalts-
pflicht des Prozeßbevollmächtigten im Hinblick auf die Organisation eines reibungslos und fehlerfrei funktionierenden Geschäftsbetriebs nicht erhöhen. Es meint lediglich, im konkreten Fall hätten Umstände vorgelegen, die über das Übliche einer Mehrbelastung hinausgingen und daher zu besonderen Maßnahmen Anlaß gegeben hätten. Ist diese Auffassung - wie hier (siehe im folgenden ) - falsch, so liegt darin zwar eine rechtsfehlerhafte Würdigung. Doch wird damit kein allgemeiner Rechtssatz aufgestellt, der der Entscheidung des Bundesgerichtshofes entgegensteht.
bb) Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht aber auf einer Würdigung , die der Beklagten den Zugang zu dem von der Zivilprozeßordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG NJW 2003, 281) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. Senat, BGHZ 151, 221; Beschl. v. 20. Februar 2003, V ZB 60/02, NJW-RR 2003, 861; Beschl. v. 30. April 2003, V ZB 71/02, NJW 2003, 2388). Die Annahme, der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten habe angesichts der "besonderen Situation am Nachmittag" des 7. Januars 2003 eine eigenständige Prüfung der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist vornehmen müssen, entbehrt jeder Grundlage. Unscharf ist schon der Ansatz. Die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist war an sich nicht gefährdet. Der Prozeßbevollmächtigte hatte den Schriftsatz rechtzeitig gefertigt und dessen Übermittlung per Fax verfügt. Welche zusätzlichen Maßnahmen er hätte ergreifen sollen, worin sich die nach Auffassung des Berufungsgerichts gebotene erhöhte Sorgfaltspflicht hätte äußern sollen, wird in der angefochtenen Entscheidung nicht gesagt. Dafür ist auch nichts erkennbar. Die einfach zu erledigende Aufgabe einer Telefaxüber-
mittlung kann der Anwalt seinem Personal überlassen (BGH, Beschl. v. 11. Februar 2003, VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935, 936 m. zahlr. Nachw.). Er braucht sie nicht konkret zu überwachen oder zu kontrollieren. Im übrigen ist hier nach dem Vorbringen der Beklagten sogar eine Kontrolle erfolgt, die aber wegen des falschen Erledigungsvermerks ohne Befund blieb.
Wenn man in dieser konkreten Situation ein Weiteres von dem Anwalt verlangen wollte, so überspannte man die Sorgfaltsanforderungen. Denn solche Maßnahmen könnten nur in einer Beaufsichtigung des Übermittlungsvorgangs selbst oder in einer sofortigen Kontrolle sogleich nach Durchführung bestehen. Dies kann höchstens ganz ausnahmsweise in Betracht kommen (vgl. BGH, Beschl. v. 29. Juni 2000, VII ZB 5/00, NJW 2000, 3006), wenn ein geordneter Geschäftsbetrieb infolge besonderer Umstände nicht mehr gewährleistet ist. Solche Umstände hat das Berufungsgericht aber nicht festgestellt. Daß eine Rechtsanwaltsangestellte über ihre normale Dienstzeit hinaus arbeiten muß und daß drei fristgebundene Sachen zusätzlich zu bearbeiten sind, bedingt keine Situation, die ein ausreichend organisiertes Büro nicht bewältigen könnte. Im übrigen sollte die Übermittlung per Telefax zunächst, nur wenige Minuten nach dem üblichen Dienstschluß, erfolgen, und es ist nicht ersichtlich, inwieweit die Bearbeitung weiterer Fristsachen, die sich bis 19.30 Uhr hinzog, diese einfache Tätigkeit hätte stören oder in einer Weise gefährden können, daß ein Eingreifen des Anwalts erforderlich gewesen wäre.
cc) Dieser Verstoß gegen das Gebot der Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes führt unabhängig davon zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde , ob er sich auf das Ergebnis auswirkt. Insoweit besteht ein Unterschied zum Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO), in dem eine nicht entscheidungserhebliche Frage auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision gebietet (Senat, Beschl. v. 25. Juli 2002, V ZR 118/02, NJW 2002, 3180, 3181; Urt. v. 18. Juli 2003, V ZR 187/02, Umdruck S. 9, zur Veröffentlichung vorgesehen; BGH, Beschl. v. 19. Dezember 2002, VII ZR 101/02, NJW 2003, 831). Dieser Unterschied beruht auf folgendem: Anders als das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ist die Rechtsbeschwerde ein Rechtsmittel, das zur Entscheidung über die Sache führt. Dabei hängt - wie stets - die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht von Fragen der Begründetheit ab. Liegen die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 ZPO vor, so ist die Rechtsbeschwerde zulässig. Ob die angefochtene Entscheidung gleichwohl Bestand hat, ist eine Frage der Begründetheit. Beides miteinander zu verquicken, hieße, die Zulässigkeit des Rechtsmittels zu verneinen, weil es an der Begründetheit fehlt. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde geht es demgegenüber nicht um eine Entscheidung in der Sache selbst, sondern nur um die Frage, ob eine Sachüberprüfung im Revisionsverfahren geboten ist. Bei dieser Prüfung kann und muß berücksichtigt werden, ob die unter die Zulassungsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO subsumierbaren Rechts- oder Verfahrensfragen im konkreten Fall entscheidungserheblich sind oder nicht. Sind sie es nicht, besteht kein Anlaß für eine Zulassung; denn es kommt auf sie letztlich nicht an.
2. Die Rechtsbeschwerde ist aber nicht begründet. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht versagt (§ 233 ZPO) und die Berufung infolgedessen zutreffend als unzulässig verworfen (§ 522 Abs. 1 ZPO). Die Beklagte hat nämlich nicht dargelegt , daß sie ohne Verschulden gehindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Es ist nicht ausgeräumt, daß dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten ein eigenes (Organisations-) Verschulden vorzuwerfen ist,
das diese sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß. Das ergibt sich aus zwei Gesichtspunkten:
Zum einen hat der Anwalt organisatorische Vorkehrungen zu treffen, daß Fristen im Fristenkalender erst dann mit einem Erledigungsvermerk versehen werden, wenn die fristwahrende Handlung auch tatsächlich erfolgt oder jedenfalls soweit gediehen ist, daß von einer fristgerechten Vornahme auszugehen ist (BGH, Beschl. v. 18. Oktober 1993, II ZB 7/93, VersR 1994, 703; Beschl. v. 9. September 1997, IX ZB 80/97, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 60 m.w.N.). Zum anderen muß der Anwalt bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax die Ausgangskontrolle organisatorisch dahin präzisieren , daß er die damit befaßten Mitarbeiter anweist, einen Einzelnachweis über den Sendevorgang ausdrucken zu lassen, der die ordnungsgemäße Übermittlung anzeigt, bevor die entsprechende Frist als erledigt vermerkt wird (Senat, Beschl. v. 9. Februar 1995, V ZB 26/94, VersR 1995, 1073, 1074). Er muß ferner Vorsorge für Störfälle treffen, um sicherzustellen, daß der Übermittlungsvorgang entweder vollständig wiederholt wird oder daß der Anwalt selbst über geeignete andere Maßnahmen entscheidet.
Ob solche allgemeinen organisatorischen Maßnahmen im Büro des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten bestanden, ist nicht vorgetragen worden. Die bloße Angabe, vor Büroschluß werde kontrolliert, ob alle Fristen erledigt seien, erst danach werde die Frist gelöscht, genügt nicht den vorstehenden Anforderungen. Soweit die Beklagte in einem nach Erlaß des angefochtenen Beschlusses bei dem Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz nähere Angaben zur Ausgangskontrolle gemacht hat, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Derjenige, der Wiedereinsetzung beantragt, muß die Gründe, die die Wiedereinsetzung rechtfertigen, innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO vor-
bringen (BGH, Beschl. v. 12. Mai 1998, VI ZB 10/98, BGHR ZPO § 236 Abs. 2 Satz 1 Antragsbegründung 3). Zwar können erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden (BGH aaO; Beschl. v. 9. Juli 1985, VI ZB 10/85, VersR 1985, 1184, 1185). Das hilft der Beklagten im konkreten Fall aber schon deswegen nicht, weil die ergänzenden Angaben nach Erlaß der Entscheidung gemacht worden sind und daher für das Rechtsbeschwerdegericht nicht verfügbar sind. Seiner Beurteilung unterliegt - anders als im früheren Verfahren der sofortigen Beschwerde (§ 577 ZPO a.F.) - nur der in den Tatsacheninstanzen festgestellte Sachverhalt sowie der auf Verfahrensrüge zu beachtende dortige Sachvortrag. Soweit die Rechtsbeschwerde den neuen Sachvortrag mit Hilfe einer Aufklärungsrüge einführen möchte, ist ihr nicht zu folgen. Es bestand für das Berufungsgericht keine Pflicht, die anwaltlich vertretene Beklagte auf die nicht ausreichenden Gründe ihres Wiedereinsetzungsgesuchs hinzuweisen. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Ausgangskontrolle und an die organisatorischen Maßnahmen bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze stellt, sind bekannt und müssen einem Anwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Wenn der Vortrag dem nicht Rechnung trägt, gibt dies keinen Hinweis auf Unklarheiten oder Lücken, die aufzuklären bzw. zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluß darauf , daß entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist das Fehlen organisatorischer Maßnahmen zur Vermeidung von Fehlern bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze nicht deswegen unerheblich, weil der Prozeßbevollmächtigte eine konkrete Einzelweisung erteilt hat. Allerdings ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes anerkannt, daß es auf allgemeine organisatorische Regelungen nicht entscheidend ankommt, wenn im Einzelfall
konkrete Anweisungen vorliegen, deren Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte (BGH, Urt. v. 6. Oktober 1987, VI ZR 43/87, VersR 1988, 185, 186; Beschl. v. 26. September 1985, XI ZB 13/95, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 45; Beschl. v. 2. Juli 2001, II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60). Dabei ist jedoch auf den Inhalt der Einzelweisung und den Zweck der allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen Rücksicht zu nehmen. Weicht ein Anwalt von einer bestehenden Organisation ab und erteilt er stattdessen für einen konkreten Fall genaue Anweisungen, die eine Fristwahrung gewährleisten, so sind allein diese maßgeblich; auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen kommt es dann nicht mehr an (BGH, Beschl. v. 26. September 1995, XI ZB 13/95, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 45; Beschl. v. 1. Juli 2002, II ZB 11/01, NJW-RR 2002, 1289). Anders ist es hingegen, wenn die Einzelweisung nicht die bestehende Organisation außer Kraft setzt, sondern sich darin einfügt und nur einzelne Elemente ersetzt, während andere ihre Bedeutung behalten und geeignet sind, Fristversäumnissen entgegenzuwirken. So ersetzt z.B. die Anweisung, einen Schriftsatz sofort per Telefax zu übermitteln und sich durch einen Telefonanruf über den dortigen Eingang des vollständigen Schriftsatzes zu vergewissern, alle allgemein getroffenen Regelungen einer Ausgangskontrolle und macht etwa hier bestehende Defizite unerheblich (BGH, Beschl. v. 2. Juli 2001, II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60). Ebenso liegt es, wenn der Anwalt von der Eintragung der Sache in den Fristenkalender absieht und die Anweisung erteilt, den fertiggestellten Schriftsatz in die Ausgangsmappe für die Post zum Berufungsgericht zu legen (BGH, Beschl. v. 26. September 1995, XI ZR 13/95, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 45). Denn in diesem Fall würde eine Frist als erledigt vermerkt werden können (vgl. BGH, Beschl. v. 9. September 1997, IX ZB 80/97, NJW 1997, 3446; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 233 Rdn. 23 S. 698).
Besteht hingegen - wie hier - die Anweisung nur darin, die Übermittlung eines Schriftsatzes sofort per Fax zu veranlassen, so fehlt es an Regelungen, die eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle überflüssig machen. Inhalt der Anweisung ist nur die Bestimmung des Mediums der Übermittlung und der Zeitpunkt ihrer Vornahme. Damit sind aber sonst etwa bestehende Kontrollmechanismen weder außer Kraft gesetzt noch obsolet. Es bleibt sinnvoll und notwendig , daß Anweisungen darüber bestehen, wie die Mitarbeiter eine vollständige Übermittlung per Telefax sicherzustellen haben und unter welchen Voraussetzungen sie eine Frist als erledigt vermerken dürfen. Bestehen sie nicht, entlastet es den Anwalt nicht, wenn er sich im konkreten Einzelfall darauf beschränkt , eine Übermittlung per Telefax anzuordnen. Dem entspricht es, daß z.B. der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes (Beschl. v. 1. Juli 2002, II ZB 11/01) einen solchen Übermittlungsauftrag nur für ausreichend erachtet hat, wenn jedenfalls die betreffende Angestellte allgemein angewiesen war, die Telefaxübermittlung jeweils anhand des (auszudruckenden) Sendeberichts zu kontrollieren.

III.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Tropf Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 62/03
vom
13. Mai 2004
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Das Verschulden einer Partei oder ihres Prozeßbevollmächtigten schließt die
Wiedereinsetzung nicht aus, wenn die Partei alle erforderlichen Schritte unternommen
hat, die bei einem im übrigen normalen Geschehensablauf zur Fristwahrung
geführt hätten (hier: Fehlschlagen einer beschleunigten Absendung bei
gleichwohl rechtzeitiger Absendung).

b) Eine Partei darf (auch) nach Erlaß der Postuniversaldienstleistungsverordnung
vom 15. Dezember 1999 (BGBl. I S. 4218) darauf vertrauen, daß werktags im
Bundesgebiet aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag im Bundesgebiet
ausgeliefert werden. Anders liegt es nur, wenn konkrete Umstände vorliegen
, welche die ernsthafte Gefahr der Fristversäumung begründen.
BGH, Beschl. v. 13. Mai 2004 - V ZB 62/03 - OLG Frankfurt/Main
LG Darmstadt
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 13. Mai 2004 durch den
Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes Dr. Wenzel und die Richter Tropf,
Dr. Lemke, Dr. Gaier und Dr. Schmidt-Räntsch

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluß des 24. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15. Oktober 2003 aufgehoben.
Den Klägern wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: 210.000 €

Gründe


Mit ihnen am 27. Juni 2003 zugestelltem Urteil vom 17. Juni 2003 entschied das Landgericht Darmstadt zum Nachteil der Kläger. Gegen das Urteil legten die Kläger mit einem am 18. Juli 2003 bei dem Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung ein. Ihr Prozessbevollmächtigter stellte die Berufungsbegründung am 25. August 2003 fertig und legte sie in den Postausgangskorb seiner Kanzlei. Entgegen seiner allgemeinen Anweisung an seine
Kanzleikräfte, wonach Schriftsätze an Darmstädter Gerichte nicht mit der Post zu versenden, sondern bei Gericht abzugeben sind, wurde die Berufungsbegründung am 26. August 2003 zur Post gegeben. Sie erreichte das Berufungsgericht am 28. August 2003.
Die Kläger haben am 5. September 2003 Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Sie haben vorgetragen, ihr Prozeßbevollmächtigter habe durch seine erwähnte allgemeine Anweisung an seine Kanzleikräfte die erforderlichen Vorkehrungen für die Einhaltung der Berufungsfrist getroffen. Jedenfalls habe er aber auf die Einhaltung des üblichen Postlaufs vertrauen dürfen, der im Nahbereich von Darmstadt einen Tag betrage.
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt und die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger.

II.


Das Berufungsgericht meint, die Berufungsbegründungsfrist sei nicht ohne Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger versäumt worden. Die Anweisung, Schriftsätze an Darmstädter Gerichte bei diesen abzugeben, sei zwar sachgerecht. Die Einlassung der zuständigen Kanzleikraft belege indessen , daß der Prozeßbevollmächtigte der Kläger diese Kanzleikraft nicht ausreichend habe einweisen oder überwachen lassen. Die Nichtbeachtung dieser Anweisung sei auch ursächlich gewesen. Eine allgemeine Anweisung, fristgebundene Schriftsätze im Nahverkehr von Darmstadt gegebenenfalls erst am
am Tage vor Fristablauf mit der Post zu versenden, und der Vollzug einer solchen Anweisung seien mit den anwaltlichen Sorgfaltspflichten nicht zu vereinbaren gewesen. Auf einen Postlauf von einem Tag habe sich der Prozeßbevollmächtigte der Kläger auch im Nahbereich von Darmstadt nicht verlassen dürfen; er habe mit Verzögerungen rechnen müssen.

III.


Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Sie ist gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig. Das Berufungsgericht hat bei der Auslegung des § 233 ZPO die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlaßt haben muß, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, unzulässig überspannt (vgl. dazu: BVerfGE 40, 88, 91; 67, 208, 212 f.; BVerfG NJW 1996, 2857; 2000, 1636; 2001, 1566; FamRZ 2002, 533, 534; Senatsbeschl. v. 23. Oktober 2003, V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368). Mit seiner Würdigung hat das Berufungsgericht der Beklagten den Zugang zu dem von der Zivilprozeßordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG NJW 2003, 281) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. Senat, BGHZ 151, 221, 227; Beschl. v. 20. Februar 2003, V ZB 60/02, NJW-RR 2003, 861; Beschl. v. 30. April 2003, V ZB 71/02, NJW 2003, 2388; Beschl. v. 23. Oktober 2003, V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Nicht zu beanstanden ist allerdings die Ansicht des Berufungsgerichts , der Prozeßbevollmächtigte der Kläger habe der im anwaltlichen Verkehr mit dem Gericht erforderlichen Sorgfalt zur Wahrung einer Berufungsbegründungsfrist durch die der zuständigen Kanzleikraft erteilten allgemeine Weisung, Post an Darmstädter Gerichte nicht mit der Post zu verschicken, sondern bei Gericht abzugeben, im Grundsatz entsprochen. Diese Anweisung war sachgerecht , weil Schriftsätze Darmstädter Gerichte so am schnellsten erreichen können. Die Einhaltung von Fristen konnte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger mit einer solchen Anweisung aber nur sicherstellen, wenn er oder die von ihm hiermit beauftragten Mitarbeiter die zuständigen Kanzleikräfte in der gebotenen Weise einwiesen und die Einhaltung der Anweisung auch überwachten. Daran haben es der Prozessbevollmächtigte der Kläger und seine von ihm hiermit beauftragten Mitarbeiter im Falle der für die vorliegende Sache zuständigen Kanzleikraft fehlen lassen. Diese hat nach ihrer eidesstattlichen Versicherung nicht gewußt, daß zu den „Darmstädter Gerichten“ im Sinne der Anweisung auch der entscheidende, in Darmstadt ansässige, Senat des Berufungsgerichts gehört. Dem Berufungsgericht ist auch darin zuzustimmen, daß die Angaben der Kanzleikraft auf eine unzureichende Überwachung schließen lassen. Diese hat nämlich nach eigenen Angaben an den Darmstädter Senat des Berufungsgerichts gerichtete Schriftsätze der Kanzlei entgegen der Anweisung stets mit der Post versandt und nicht bei Gericht abgegeben oder abgeben lassen.

b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war dieser Fehler aber nicht ursächlich für die Versäumung der Berufungsfrist. Zwar wäre ohne Überwachungsverschulden der Schriftsatz entsprechend der Büroanweisung recht-
zeitig bei Gericht abgegeben worden. Das Verschulden einer Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten schließt die Wiedereinsetzung aber dann nicht aus, wenn seine rechtliche Erheblichkeit durch ein späteres, der Partei oder ihrem Vertreter nicht zuzurechnendes Ereignis verliert (sog. überholende Kausalität, Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 233 Rdn. 22a). So ist eine Wiedereinsetzung beispielsweise dann gewährt worden, wenn eine rechtzeitige Fehlerkorrektur infolge eines Fehlers des Gerichts unterblieben ist (BGH, Beschl. v. 12. Dezember 1984, IVb ZB 103/84, NJW 1985, 1226, 1227; Beschl. v. 20. Januar 1997, II ZB 12/96, NJW-RR 1997, 1020; Beschl. v. 26. September 2002, III ZB 44/02, NJW 2002, 3636, 3637) oder wenn die Partei alle erforderlichen Schritte unternommen hat, die bei einem im übrigen normalen Geschehensablauf zur Fristwahrung geführt hätten (BGH, Beschl. v. 28. November 1962, IV ZB 251/62, NJW 1963, 253, 254; Beschl. v. 29. Mai 1974, IV ZB 6/74, VersR 1974, 1001, 1002; BAG, NJW 1972, 735; BVerwG, NVwZ 1998, 1075, 1076). So liegt es hier. Die Berufungsschrift ist nach Fertigstellung am 26. August 2003 zur Post gegeben worden. Die Kläger und ihr Prozeßbevollmächtigter waren nicht verpflichtet, die Berufungsschrift zu einem früheren Zeitpunkt zur Post zu geben oder bei Gericht abzugeben. Sie waren vielmehr berechtigt, die Frist bis zum letzten möglichen Zeitpunkt auszunutzen (BVerfG, NJW 1995, 2546, 2547; BGH, Beschl. v. 26. November 1962, IV ZB 251/62, NJW 1963, 253, 254; Beschl. v. 15. April 1999, IX ZB 57/98, NJW 1999, 2118; BVerwG, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 166). Sie mußten nur dafür Sorge tragen, daß die Berufungsbegründungsschrift so rechtzeitig zur Post gegeben wurde, daß sie bei einer normalen Bearbeitung der Postsendungen noch fristgerecht beim Berufungsgericht einging. Das ist hier geschehen. Dann aber kommt es nicht darauf an, aus welchen Gründen sie die Frist bis zum letzten möglichen Moment ausgenutzt hat (BGH, Beschl. v. 28. November 1962 aaO.). Einer Prüfung, ob eine
allgemeine Anweisung, fristgebundene Schriftsätze im Nahverkehr erst am Tage vor Fristablauf mit der Post zu versenden, den anwaltlichen Sorgfaltspflichten entsprechen würde, bedarf es nicht. Eine solche Anweisung hat der Prozeßbevollmächtigte der Kläger seinem Personal nach den Feststellungen des Berufungsgerichts gerade nicht erteilt.

c) Ein Verschulden der Kläger oder ihres Prozeßbevollmächtigten liegt schließlich auch nicht darin, daß die Berufungsbegründung erst am 26. August 2003 zur Post gegeben worden ist.
aa) Nach ständiger Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1992, 1952; 1994, 244, 245 und 1854; 1995, 1210, 1211 und 2546, 2547; NJW-RR 2000, 726; NJW 2001, 744, 745 und 1566), des Bundesgerichtshofs (Beschl. v. 7. April 1993, XII ZB 38/93, VersR 1994, 495, 496; Beschl. v. 22. April 1993, VII ZB 2/93, DtZ 1993, 283; Beschl. 28. April 1993, VIII ZB 15/93, VersR 1994, 496, 497; Beschl. v. 26. Januar 1994, IV ZB 19/93, insoweit in BGHR ZPO § 233 Rechtsmittelauftrag 18 nicht abgedruckt; Beschl. v. 9. Februar 1998, II ZB 15/97, NJW 1998, 1870; Beschl. 15. April 1999, IX ZB 57/98, NJW 1999, 2118; Beschl. v. 5. Juli 2001, VII ZB 2/00, bislang veröff. nur bei juris; Beschl. v. 30. September 2003, VI ZB 60/02, BGH-Report 2004, 124) und der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes (BAG, NJW 1995, 548, 549 und 2575; BFH, NJW 1991, 1704; BSG, Urt. v. 30. September 1996, 10 RAr 1/96, veröff. bei juris; BVerwG Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 154, 166; NJW 1990, 2639, 2640) dürfen dem Bürger Verzögerungen der Briefbeförderung oder Briefzustellung durch die Deutsche Post AG nicht als Verschulden angerechnet werden. Der Bürger darf vielmehr darauf vertrauen, daß die Postlaufzeiten eingehalten werden, die seitens der Deutsche Post AG für den Nor-
malfall festgelegt werden. Ein Versagen dieser Vorkehrungen darf dem Bürger im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht als Verschulden angerechnet werden, weil er darauf keinen Einfluß hat. In seinem Verantwortungsbereich liegt es allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß (BAG, NJW 2000, 1669, 1670; BVerwG, NJW 1990, 1747) aufzugeben, daß es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutsche Post AG den Empfänger fristgerecht erreichen kann (BVerfG, NJW 2001, 1566, 1567; BGH, Beschl. v. 19. Dezember 1995, III ZR 226/95, veröff. bisher nur bei juris). Das gilt selbst dann, wenn allgemein mit erhöhtem Postaufkommen zu rechnen ist (BVerfG, NJW 2001, 1566). Anders liegt es nur, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß im Einzelfall mit längeren Postlaufzeiten zu rechnen ist (BVerfG, NJW 1995, 1210; BGH, Beschl. v. 9. Dezember 1992, VIII ZB 30/92, NJW 1993, 1332; Beschl. v. 25. Januar 1993, II ZB 18/92, NJW 1993, 1333, 1334). Daran hat sich durch Erlaß der Postuniversaldienstleistungsverordnung vom 15. Dezember 1999 (BGBl. I S. 4218 – PUDLV, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 30. Januar 2002, BGBl. I S. 572) im Ergebnis nichts geändert. Anders als bisher können die Deutsche Post AG und andere Unternehmer, die Universaldienstleitungen im Briefverkehr anbieten, die Postlaufzeiten nicht mehr selbst frei festlegen. Sie sind ihnen vielmehr etwas über dem bisherigen Niveau als Mindeststandards für den Normalfall verbindlich vorgegeben. Nicht neu ist auch, daß die bisher freiwillig angestrebten und jetzt gesetzlich vorgeschriebenen Postlaufzeiten in einem gewissen Prozentsatz verfehlt werden. Wie bisher kommt es aber entscheidend darauf an, ob die Postlaufzeiten in einem Umfang eingehalten werden, der bei dem Bürger das berechtigte Vertrauen in die Einhaltung der Postlaufzeiten begründet. Das ist der Fall. Nach § 2 Nr. 3 Satz 1 PUDLV müssen die Unternehmen sicherstellen, daß sie an Werktagen aufgegebene Inlandssendungen im gesamten Bundes-
gebiet im Jahresdurchschnitt mindestens zu 80% am ersten und zu 95% am zweiten Tag nach der Einlieferung ausliefern. Diese Quoten lassen die Einhaltung der Postlaufzeiten erwarten. Ohne konkrete Anhaltspunkte muß ein Bürger deshalb nicht mit Postlaufzeiten rechnen, welche die ernsthafte Gefahr der Fristversäumung begründen (BGH, Beschl. v. 15. April 1999, IX ZB 57/98, NJW 1999, 2118).
bb) Die Kläger haben vorgetragen, daß die normale Postlaufzeit im Nahbereich von Darmstadt einen Tag beträgt. Unter Zugrundelegung dieser Postlaufzeit war die Absendung der Berufungsbegründungsschrift am 26. August 2003 rechtzeitig, da sie bei normalem Postlauf am 27. August 2003 und damit rechtzeitig bei dem Berufungsgericht eingegangen wäre. Ihre Angabe zur normalen Postlaufzeit im Nahbereich von Darmstadt haben die Kläger nicht durch eine Auskunft der Deutsche Post AG belegt. Das brauchten sie auch nicht, weil diese Erwartung schon nach den gesetzlich bestimmten Quoten begründet war und das Berufungsgericht bei etwaigen Zweifeln an der Verläßlichkeit der von ihm selbst zugrunde gelegten Postlaufzeit von einem Tag von Amts wegen eine Auskunft der Post hätte einholen müssen (BVerfG, NJW 2001, 1566, 1567).

d) Ist dem Wiedereinsetzungsantrag der Kläger stattzugeben, darf ihre Berufung auch nicht als unzulässig verworfen werden.
Wenzel Tropf Lemke
Gaier Schmidt-Räntsch

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 28/03
vom
23. Oktober 2003
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Verletzt die Entscheidung des Berufungsgerichts den Anspruch der beschwerten
Partei auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes, so ist die nach § 574 Abs. 1
Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) unabhängig davon zulässig
, ob sich der Rechtsverstoß auf das Endergebnis auswirkt.
Eine konkrete Anweisung des Anwalts im Einzelfall macht nur dann allgemeine organisatorische
Regelungen obsolet, wenn diese durch die Einzelanweisung ihre Bedeutung
für die Einhaltung der Frist verlieren; das ist nicht der Fall, wenn die Weisung
nur dahin geht, einen Schriftsatz per Telefax zu übermitteln, die Fristüberschreitung
aber darauf beruht, daß es an ausreichenden organisatorischen Vorkehrungen
dazu fehlt, unter welchen Voraussetzungen eine Frist nach Übermittlung
fristwahrender Schriftsätze per Telefax als erledigt vermerkt werden darf.
BGH, Beschl. v. 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03 - LG Konstanz
AGÜberlingen
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 23. Oktober 2003 durch die
Richter Tropf, Prof. Dr. Krüger, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterin
Dr. Stresemann

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 1. Zivilkammer des Landgerichts Konstanz vom 2. April 2003 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Gründe:


I.


Gegen das ihr am 7. November 2002 zugestellte Urteil des Amtsgerichts hat die Beklagte Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist per Fax am 8. Januar 2003 bei dem Landgericht eingegangen.
Die Beklagte hat gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu folgendes ausgeführt : Ihr Prozeßbevollmächtigter habe den Begründungsschriftsatz am 7. Januar gefertigt und unterzeichnet und die bei ihm beschäftigte Rechtsanwaltsfachangestellte W. gegen 17.15 Uhr angewiesen, ihn per Fax an das Landgericht zu senden. Diese habe zwar mehrfach versucht zu faxen, was aber , weil sie versehentlich eine falsche Nummer gewählt habe, erfolglos geblieben sei. Sie habe angenommen, das Empfängergerät sei belegt, und habe sich zunächst anderen Aufgaben zugewendet, darüber aber die Angelegenheit ver-
gessen. Später habe sie die Frist im Kalender als erledigt eingetragen, so daß dem Prozeßbevollmächtigten bei dessen Kontrolle gegen 20.00 Uhr das Versäumnis nicht aufgefallen sei.
Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses verlangt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt. Die Kläger beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.


1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
aa) Allerdings liegt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kein Fall einer Divergenz zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 29. Juni 2000 (VII ZB 5/00, NJW 2000, 3006) vor. Eine die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde begründende Abweichung ist nämlich nur gegeben, wenn die angefochtene Entscheidung dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Entscheidung eines höherrangigen oder eines anderen gleichgeordneten Gerichts (Senat, BGHZ 151, 42; BGHZ 89, 149, 151). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Das Berufungsgericht geht - im Einklang mit der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes - davon aus, daß üblicherweise in Anwaltskanzleien auftretende Schwankungen der Arbeitsbelastung die Sorgfalts-
pflicht des Prozeßbevollmächtigten im Hinblick auf die Organisation eines reibungslos und fehlerfrei funktionierenden Geschäftsbetriebs nicht erhöhen. Es meint lediglich, im konkreten Fall hätten Umstände vorgelegen, die über das Übliche einer Mehrbelastung hinausgingen und daher zu besonderen Maßnahmen Anlaß gegeben hätten. Ist diese Auffassung - wie hier (siehe im folgenden ) - falsch, so liegt darin zwar eine rechtsfehlerhafte Würdigung. Doch wird damit kein allgemeiner Rechtssatz aufgestellt, der der Entscheidung des Bundesgerichtshofes entgegensteht.
bb) Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht aber auf einer Würdigung , die der Beklagten den Zugang zu dem von der Zivilprozeßordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG NJW 2003, 281) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. Senat, BGHZ 151, 221; Beschl. v. 20. Februar 2003, V ZB 60/02, NJW-RR 2003, 861; Beschl. v. 30. April 2003, V ZB 71/02, NJW 2003, 2388). Die Annahme, der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten habe angesichts der "besonderen Situation am Nachmittag" des 7. Januars 2003 eine eigenständige Prüfung der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist vornehmen müssen, entbehrt jeder Grundlage. Unscharf ist schon der Ansatz. Die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist war an sich nicht gefährdet. Der Prozeßbevollmächtigte hatte den Schriftsatz rechtzeitig gefertigt und dessen Übermittlung per Fax verfügt. Welche zusätzlichen Maßnahmen er hätte ergreifen sollen, worin sich die nach Auffassung des Berufungsgerichts gebotene erhöhte Sorgfaltspflicht hätte äußern sollen, wird in der angefochtenen Entscheidung nicht gesagt. Dafür ist auch nichts erkennbar. Die einfach zu erledigende Aufgabe einer Telefaxüber-
mittlung kann der Anwalt seinem Personal überlassen (BGH, Beschl. v. 11. Februar 2003, VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935, 936 m. zahlr. Nachw.). Er braucht sie nicht konkret zu überwachen oder zu kontrollieren. Im übrigen ist hier nach dem Vorbringen der Beklagten sogar eine Kontrolle erfolgt, die aber wegen des falschen Erledigungsvermerks ohne Befund blieb.
Wenn man in dieser konkreten Situation ein Weiteres von dem Anwalt verlangen wollte, so überspannte man die Sorgfaltsanforderungen. Denn solche Maßnahmen könnten nur in einer Beaufsichtigung des Übermittlungsvorgangs selbst oder in einer sofortigen Kontrolle sogleich nach Durchführung bestehen. Dies kann höchstens ganz ausnahmsweise in Betracht kommen (vgl. BGH, Beschl. v. 29. Juni 2000, VII ZB 5/00, NJW 2000, 3006), wenn ein geordneter Geschäftsbetrieb infolge besonderer Umstände nicht mehr gewährleistet ist. Solche Umstände hat das Berufungsgericht aber nicht festgestellt. Daß eine Rechtsanwaltsangestellte über ihre normale Dienstzeit hinaus arbeiten muß und daß drei fristgebundene Sachen zusätzlich zu bearbeiten sind, bedingt keine Situation, die ein ausreichend organisiertes Büro nicht bewältigen könnte. Im übrigen sollte die Übermittlung per Telefax zunächst, nur wenige Minuten nach dem üblichen Dienstschluß, erfolgen, und es ist nicht ersichtlich, inwieweit die Bearbeitung weiterer Fristsachen, die sich bis 19.30 Uhr hinzog, diese einfache Tätigkeit hätte stören oder in einer Weise gefährden können, daß ein Eingreifen des Anwalts erforderlich gewesen wäre.
cc) Dieser Verstoß gegen das Gebot der Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes führt unabhängig davon zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde , ob er sich auf das Ergebnis auswirkt. Insoweit besteht ein Unterschied zum Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO), in dem eine nicht entscheidungserhebliche Frage auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision gebietet (Senat, Beschl. v. 25. Juli 2002, V ZR 118/02, NJW 2002, 3180, 3181; Urt. v. 18. Juli 2003, V ZR 187/02, Umdruck S. 9, zur Veröffentlichung vorgesehen; BGH, Beschl. v. 19. Dezember 2002, VII ZR 101/02, NJW 2003, 831). Dieser Unterschied beruht auf folgendem: Anders als das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ist die Rechtsbeschwerde ein Rechtsmittel, das zur Entscheidung über die Sache führt. Dabei hängt - wie stets - die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht von Fragen der Begründetheit ab. Liegen die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 ZPO vor, so ist die Rechtsbeschwerde zulässig. Ob die angefochtene Entscheidung gleichwohl Bestand hat, ist eine Frage der Begründetheit. Beides miteinander zu verquicken, hieße, die Zulässigkeit des Rechtsmittels zu verneinen, weil es an der Begründetheit fehlt. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde geht es demgegenüber nicht um eine Entscheidung in der Sache selbst, sondern nur um die Frage, ob eine Sachüberprüfung im Revisionsverfahren geboten ist. Bei dieser Prüfung kann und muß berücksichtigt werden, ob die unter die Zulassungsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO subsumierbaren Rechts- oder Verfahrensfragen im konkreten Fall entscheidungserheblich sind oder nicht. Sind sie es nicht, besteht kein Anlaß für eine Zulassung; denn es kommt auf sie letztlich nicht an.
2. Die Rechtsbeschwerde ist aber nicht begründet. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht versagt (§ 233 ZPO) und die Berufung infolgedessen zutreffend als unzulässig verworfen (§ 522 Abs. 1 ZPO). Die Beklagte hat nämlich nicht dargelegt , daß sie ohne Verschulden gehindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Es ist nicht ausgeräumt, daß dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten ein eigenes (Organisations-) Verschulden vorzuwerfen ist,
das diese sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß. Das ergibt sich aus zwei Gesichtspunkten:
Zum einen hat der Anwalt organisatorische Vorkehrungen zu treffen, daß Fristen im Fristenkalender erst dann mit einem Erledigungsvermerk versehen werden, wenn die fristwahrende Handlung auch tatsächlich erfolgt oder jedenfalls soweit gediehen ist, daß von einer fristgerechten Vornahme auszugehen ist (BGH, Beschl. v. 18. Oktober 1993, II ZB 7/93, VersR 1994, 703; Beschl. v. 9. September 1997, IX ZB 80/97, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 60 m.w.N.). Zum anderen muß der Anwalt bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax die Ausgangskontrolle organisatorisch dahin präzisieren , daß er die damit befaßten Mitarbeiter anweist, einen Einzelnachweis über den Sendevorgang ausdrucken zu lassen, der die ordnungsgemäße Übermittlung anzeigt, bevor die entsprechende Frist als erledigt vermerkt wird (Senat, Beschl. v. 9. Februar 1995, V ZB 26/94, VersR 1995, 1073, 1074). Er muß ferner Vorsorge für Störfälle treffen, um sicherzustellen, daß der Übermittlungsvorgang entweder vollständig wiederholt wird oder daß der Anwalt selbst über geeignete andere Maßnahmen entscheidet.
Ob solche allgemeinen organisatorischen Maßnahmen im Büro des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten bestanden, ist nicht vorgetragen worden. Die bloße Angabe, vor Büroschluß werde kontrolliert, ob alle Fristen erledigt seien, erst danach werde die Frist gelöscht, genügt nicht den vorstehenden Anforderungen. Soweit die Beklagte in einem nach Erlaß des angefochtenen Beschlusses bei dem Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz nähere Angaben zur Ausgangskontrolle gemacht hat, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Derjenige, der Wiedereinsetzung beantragt, muß die Gründe, die die Wiedereinsetzung rechtfertigen, innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO vor-
bringen (BGH, Beschl. v. 12. Mai 1998, VI ZB 10/98, BGHR ZPO § 236 Abs. 2 Satz 1 Antragsbegründung 3). Zwar können erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden (BGH aaO; Beschl. v. 9. Juli 1985, VI ZB 10/85, VersR 1985, 1184, 1185). Das hilft der Beklagten im konkreten Fall aber schon deswegen nicht, weil die ergänzenden Angaben nach Erlaß der Entscheidung gemacht worden sind und daher für das Rechtsbeschwerdegericht nicht verfügbar sind. Seiner Beurteilung unterliegt - anders als im früheren Verfahren der sofortigen Beschwerde (§ 577 ZPO a.F.) - nur der in den Tatsacheninstanzen festgestellte Sachverhalt sowie der auf Verfahrensrüge zu beachtende dortige Sachvortrag. Soweit die Rechtsbeschwerde den neuen Sachvortrag mit Hilfe einer Aufklärungsrüge einführen möchte, ist ihr nicht zu folgen. Es bestand für das Berufungsgericht keine Pflicht, die anwaltlich vertretene Beklagte auf die nicht ausreichenden Gründe ihres Wiedereinsetzungsgesuchs hinzuweisen. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Ausgangskontrolle und an die organisatorischen Maßnahmen bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze stellt, sind bekannt und müssen einem Anwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Wenn der Vortrag dem nicht Rechnung trägt, gibt dies keinen Hinweis auf Unklarheiten oder Lücken, die aufzuklären bzw. zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluß darauf , daß entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist das Fehlen organisatorischer Maßnahmen zur Vermeidung von Fehlern bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze nicht deswegen unerheblich, weil der Prozeßbevollmächtigte eine konkrete Einzelweisung erteilt hat. Allerdings ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes anerkannt, daß es auf allgemeine organisatorische Regelungen nicht entscheidend ankommt, wenn im Einzelfall
konkrete Anweisungen vorliegen, deren Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte (BGH, Urt. v. 6. Oktober 1987, VI ZR 43/87, VersR 1988, 185, 186; Beschl. v. 26. September 1985, XI ZB 13/95, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 45; Beschl. v. 2. Juli 2001, II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60). Dabei ist jedoch auf den Inhalt der Einzelweisung und den Zweck der allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen Rücksicht zu nehmen. Weicht ein Anwalt von einer bestehenden Organisation ab und erteilt er stattdessen für einen konkreten Fall genaue Anweisungen, die eine Fristwahrung gewährleisten, so sind allein diese maßgeblich; auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen kommt es dann nicht mehr an (BGH, Beschl. v. 26. September 1995, XI ZB 13/95, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 45; Beschl. v. 1. Juli 2002, II ZB 11/01, NJW-RR 2002, 1289). Anders ist es hingegen, wenn die Einzelweisung nicht die bestehende Organisation außer Kraft setzt, sondern sich darin einfügt und nur einzelne Elemente ersetzt, während andere ihre Bedeutung behalten und geeignet sind, Fristversäumnissen entgegenzuwirken. So ersetzt z.B. die Anweisung, einen Schriftsatz sofort per Telefax zu übermitteln und sich durch einen Telefonanruf über den dortigen Eingang des vollständigen Schriftsatzes zu vergewissern, alle allgemein getroffenen Regelungen einer Ausgangskontrolle und macht etwa hier bestehende Defizite unerheblich (BGH, Beschl. v. 2. Juli 2001, II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60). Ebenso liegt es, wenn der Anwalt von der Eintragung der Sache in den Fristenkalender absieht und die Anweisung erteilt, den fertiggestellten Schriftsatz in die Ausgangsmappe für die Post zum Berufungsgericht zu legen (BGH, Beschl. v. 26. September 1995, XI ZR 13/95, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 45). Denn in diesem Fall würde eine Frist als erledigt vermerkt werden können (vgl. BGH, Beschl. v. 9. September 1997, IX ZB 80/97, NJW 1997, 3446; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 233 Rdn. 23 S. 698).
Besteht hingegen - wie hier - die Anweisung nur darin, die Übermittlung eines Schriftsatzes sofort per Fax zu veranlassen, so fehlt es an Regelungen, die eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle überflüssig machen. Inhalt der Anweisung ist nur die Bestimmung des Mediums der Übermittlung und der Zeitpunkt ihrer Vornahme. Damit sind aber sonst etwa bestehende Kontrollmechanismen weder außer Kraft gesetzt noch obsolet. Es bleibt sinnvoll und notwendig , daß Anweisungen darüber bestehen, wie die Mitarbeiter eine vollständige Übermittlung per Telefax sicherzustellen haben und unter welchen Voraussetzungen sie eine Frist als erledigt vermerken dürfen. Bestehen sie nicht, entlastet es den Anwalt nicht, wenn er sich im konkreten Einzelfall darauf beschränkt , eine Übermittlung per Telefax anzuordnen. Dem entspricht es, daß z.B. der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes (Beschl. v. 1. Juli 2002, II ZB 11/01) einen solchen Übermittlungsauftrag nur für ausreichend erachtet hat, wenn jedenfalls die betreffende Angestellte allgemein angewiesen war, die Telefaxübermittlung jeweils anhand des (auszudruckenden) Sendeberichts zu kontrollieren.

III.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Tropf Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann
BGHR: ja

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZB 28/00
vom
27. Juli 2000
in dem Rechtsstreit
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Dr. Wurm,
Streck, Schlick, Dr. Kapsa und Galke am 27. Juli 2000

beschlossen:
Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluß des 10. Zivilsenats des Kammergerichts vom 18. Mai 2000 - 10 U 2302/00 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Streitwert: 19.454,64 DM

Gründe


I.


Die Klägerin hat gegen das am 17. Februar 2000 zugestellte klageabweisende Urteil des Landgerichts Berlin durch Telefax und durch gewöhnliches Schreiben ihres Prozeßbevollmächtigten vom 15. März 2000 Berufung eingelegt. Die Berufungsschriften sind versehentlich nicht an das Kammergericht, sondern an das Landgericht Berlin adressiert worden. Dort sind sie am 15. März 2000 eingegangen. Gemäß Aktenvermerk vom 20. März 2000 ist dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin oder dessen Büro von seiten des Land-
gerichts Berlin fernmündlich mitgeteilt worden, daß die Berufung beim Kammergericht eingelegt werden müsse. Das Landgericht Berlin hat die Berufungsschriften an das Kammergericht weitergeleitet, wo sie am 21. März 2000 (Telefax ) und am 22. März 2000 (Brief) eingegangen sind.
Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 17. April 2000, dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 26. April 2000 zugegangen, hat das Kammergericht darauf hingewiesen, daß die Berufung verspätet eingegangen sei, und gefragt, ob das Rechtsmittel zurückgenommen werde. Einem Gesuch des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vom 25. April 2000, die Frist zur Begründung der Berufung zu verlängern, ist mit Verfügung des Vorsitzenden vom 26. April 2000 - unter Hinweis auf die Anfrage vom 17. April 2000 - stattgegeben worden.
Mit Beschluß vom 18. Mai 2000 hat das Kammergericht die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen, weil sie die Berufung nicht innerhalb eines Monats seit Zustellung des angefochtenen Urteils eingelegt habe. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin. Sie räumt ein, daß die Berufung verspätet eingelegt worden sei. Unter anderem weil die Berliner Justiz ihre Fax-Nummern umgestellt habe, sei die Berufungsschrift versehentlich an das Landgericht übermittelt worden. Erst mit Zugang der Verfügung des Vorsitzenden vom 17. April 2000 am 26. April 2000 habe ihr Prozeßbevollmächtigter Kenntnis von der Verspätung der Berufungseinlegung erhalten. Am Tag zuvor (25. April 2000) habe ihr Prozeßbevollmächtigter beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung zu verlängern. Insoweit habe er die Bewilligung der Fristverlängerung vom 26. April 2000 nur so verstehen können, "daß in Kennt-
nis der möglichen Verletzung der Berufungsfrist trotzdem eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist möglich und wirksam sei".
Ferner habe sie nicht davon ausgehen können, daß eine fehlerhaft beim Landgericht eingereichte Berufung, die offensichtlich beim Kammergericht habe eingelegt werden sollen, vier Werktage benötige, um dort einzugehen. Zumindest habe ihr Prozeßbevollmächtigter einen zeitnahen telefonischen Hinweis erwarten dürfen.

II.


Die sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Kammergericht hat die Berufung zutreffend als unzulässig verworfen.
1. Die Klägerin hat die Berufung nicht innerhalb der Berufungsfrist bei dem gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 3 GVG zuständigen Berufungsgericht eingelegt.
Gegen das am 17. Februar 2000 zugestellte Urteil des Landgerichts Berlin hätte die Klägerin binnen eines Monats (vgl. § 516 ZPO), also spätestens am 17. März 2000, durch Einreichung einer Berufungsschrift beim Kammergericht (vgl. § 518 Abs. 1 ZPO) Berufung einlegen müssen. Für das Ende der Berufungsfrist hatte die vom Vorsitzenden bewilligte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine Bedeutung.
Bei dem Kammergericht ist die Berufungsschrift unstreitig nicht fristgerecht eingegangen. Die am 15. März 2000, noch innerhalb der Frist, bei dem
Landgericht Berlin eingegangene Berufung konnte die Berufungsfrist nicht wahren. Der Schriftsatz war an das Landgericht Berlin adressiert, wurde deshalb bei der Gemeinsamen Briefannahme Justizbehörden Mitte - der das Kammergericht nicht angeschlossen war - nur für das Landgericht Berlin angenommen und gelangte allein in dessen Verfügungsgewalt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. Juli 1987 - III ZB 20/87 - BGHR ZPO § 518 Abs. 1 Berufungsgericht 3 und vom 29. Oktober 1987 - III ZB 33/87 - BGHR ZPO § 518 Abs. 1 Berufungsgericht 5). Das Landgericht Berlin war aber nicht zuständig.
Der an ein unzuständiges Gericht adressierte Schriftsatz geht erst dann beim zuständigen Gericht ein, wenn er nach Weiterleitung durch das zunächst angegangene Gericht tatsächlich in die Verfügungsgewalt des zuständigen Gerichts gelangt. Da das Gesetz nur auf den tatsächlichen Vorgang des Eingangs abhebt, kommt es für die Rechtzeitigkeit des Eingangs nicht darauf an, aus welchen - außerhalb des anzurufenden Gerichts gelegenen - Gründen sich der Eingang verzögert (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. Juli 1987 und 29. Oktober 1987 aaO).
In die tatsächliche Verfügungsgewalt des als Berufungsgericht zuständigen Kammergerichts gelangte die Berufungsschrift erst nach Ablauf der Berufungsfrist am 17. März 2000. Die per Telefax zum Landgericht Berlin eingelegte und von dort weitergeleitete Berufung ging am 21. März 2000 bei der Gemeinsamen Briefannahme Elßholzstraße, der das Kammergericht angeschlossen war, ein; die brieflich eingelegte Berufung ging am 22. März 2000, also ebenfalls verspätet, bei dem Kammergericht ein. Das wird von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen.
2. Der angefochtene Beschluß ist nicht verfahrensfehlerhaft ergangen.

a) Im Zeitpunkt der Beschlußfassung (18. Mai 2000) lag ein Wiedereinsetzungsgesuch der Klägerin, mit dem sich das Kammergericht hätte befassen müssen, nicht vor.
In dem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vom 25. April 2000 kann ein - stillschweigender - Wiedereinsetzungsantrag nicht gesehen werden, weil der Klägerin und deren Prozeßbevollmächtigten damals das Bewußtsein fehlte, die Frist zur Einlegung der Berufung versäumt zu haben (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 1968 - VIII ZR 123/66 - VersR 1968, 992 f). Nach dem Vorbringen der Klägerin erlangte ihr Prozeßbevollmächtigter erst am 26. April 2000, also nach dem Schriftsatz vom 25. April 2000, mit dem er um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nachsuchte, Kenntnis von einer möglichen Versäumung der Berufungsfrist. Dieser Schriftsatz war nicht als Wiedereinsetzungsantrag bestimmt.

b) Das Kammergericht hatte keine Veranlassung, der Klägerin von Amts wegen Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist zu gewähren (§ 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO). Es ist auch kein Fall gegeben, in dem der Senat im Rahmen des bei ihm anhängigen Verfahrens der sofortigen Beschwerde gegen den Verwerfungsbeschluß (§ 519 b Abs. 2 ZPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren hätte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Oktober 1981 - IVb ZB 825/81 - NJW 1982, 887 f; vom 4. November 1981 - IVb ZB 625/80 - NJW 1982, 1873, 1874; vom 9. Juli 1985 - VI ZB 8/85 - NJW 1985, 2650, 2651; Musielak/Ball, ZPO 1999 § 519 b Rn. 18). Denn nach dem Aktenstand bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin - die sich das Ver-
schulden ihres Prozeßbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß - die Frist unverschuldet versäumt hatte.
aa) Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin trug die Verantwortung dafür , daß eine fristwahrende Prozeßhandlung vor dem zuständigen Gericht erfolgte. Er verletzte seine Pflichten dadurch, daß er die Berufungsschrift nicht auf die richtige Adressierung hin überprüfte und entsprechend berichtigte. Insbesondere hätte ihm auffallen können, daß die Berufungsschrift entgegen § 518 Abs. 1 ZPO an das Gericht gerichtet war, dessen Entscheidung angefochten werden sollte (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 1995 - VII ZR 8/95 - NJW-RR 1996, 443 und Beschluß vom 18. April 2000 - XI ZB 1/00, zur Veröffentlichung bestimmt ).
bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs "wirkt sich ein etwaiges Verschulden der Partei oder ihres Prozeßbevollmächtigten nicht mehr aus", wenn der fristgebundene Schriftsatz so zeitig bei dem "mit der Sache befaßt gewesenen Gericht" eingeht, daß die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann. Geht der Schriftsatz gleichwohl nicht fristgerecht beim Rechtsmittelgericht ein, muß nach dieser Rechtsprechung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon gewährt werden, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht (BVerfG NJW 1995, 3173, 3175; BGH, Urteil vom 12. Oktober 1995 aaO; vom 1. Dezember 1997 - II ZR 85/97 - NJW 1998, 908; Beschluß vom 18. April 2000 aaO).
Hier war indes nicht ohne weiteres zu erwarten, daß die von dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin beim unzuständigen Landgericht Berlin eingereichte Berufungsschrift bei ordentlichem Geschäftsgang spätestens am 17. März 2000 dem Kammergericht vorliegen würde.
Die Berufungsschrift ging auf dem Telefaxgerät des Landgerichts Berlin am 15. März 2000, 17.56 Uhr, ein. Von dort gelangte sie am folgenden Tag (16. März 2000) zur Gemeinsamen Briefannahme Justizbehörden Mitte. Diese gab den Schriftsatz weiter an das Landgericht Berlin, wo er bei der zuständigen Geschäftsstelle am Freitag, dem 17. März 2000, dem Tag des Ablaufs der Berufungsfrist , eintraf. Die Geschäftsstelle leitete die Berufungsschrift weiter an das Kammergericht, wo sie am Dienstag, dem 21. März 2000, über die Gemeinsame Briefannahme Elßholzstraße einging. Laut Aktenvermerk vom 20. März 2000 wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin oder dessen Büro fernmündlich mitgeteilt, daß die Berufung beim Kammergericht eingelegt werden müsse.
Auch die zusätzlich brieflich eingelegte Berufung wurde im ordentlichen Geschäftsgang bearbeitet. Laut Eingangsstempel wurde sie am 15. März 2000 bei dem Landgericht Berlin eingereicht und gelangte über die Gemeinsame Briefannahme Justizbehörden Mitte (Eingang Freitag, den 17. März 2000), am Montag, dem 20. März 2000, an die zuständige Geschäftsstelle. Nach Weiterleitung durch das Landgericht Berlin ging die Berufungsschrift am 22. März 2000 über die Gemeinsame Briefannahme Elßholzstraße dem Kammergericht zu.
Der für die Übermittlung der Berufungsschriften an das Kammergericht benötigte Zeitaufwand entsprach somit demjenigen einer ordnungsgemäßen Sachbehandlung und fiel damit in den Risikobereich der für die fehlerhafte Adressierung verantwortlichen Klägerin.
Wurm Streck Schlick Kapsa Galke

(1) Die Zivilkammern, einschließlich der Kammern für Handelssachen und der in § 72a genannten Kammern, sind die Berufungs- und Beschwerdegerichte in den vor den Amtsgerichten verhandelten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, soweit nicht die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte begründet ist. Die Landgerichte sind ferner die Beschwerdegerichte in Freiheitsentziehungssachen und in den von den Betreuungsgerichten entschiedenen Sachen.

(2) In Streitigkeiten nach § 43 Absatz 2 des Wohnungseigentumsgesetzes ist das für den Sitz des Oberlandesgerichts zuständige Landgericht gemeinsames Berufungs- und Beschwerdegericht für den Bezirk des Oberlandesgerichts, in dem das Amtsgericht seinen Sitz hat. Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung anstelle dieses Gerichts ein anderes Landgericht im Bezirk des Oberlandesgerichts zu bestimmen. Sie können die Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 104/01
vom
13. November 2002
in dem Rechtsstreit
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. November 2002 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Weber-Monecke, Prof.
Dr. Wagenitz, Dr. Ahlt und Dr. VØzina

beschlossen:
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 28. März 2001 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen. Wert: 32.661 DM).

Gründe:

I.

Die Beklagte legte gegen das ihr am 4. Dezember 2000 zugestellte Urteil des Landgerichts am 4. Januar 2001 Berufung ein. Auf ihren Antrag wurde die Berufungsbegründungsfrist bis Montag, den 5. März 2001, verlängert. Die Berufungsbegründung ging am 6. März 2001 bei dem Oberlandesgericht ein. Nach einem gerichtlichen Hinweis auf den verspäteten Eingang der Berufungsbegründung beantragte die Beklagte am 12. März 2001 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Zur Begründung trug sie vor: In der Kanzlei ihrer Anwälte bestehe die Anweisung , daß die Tagespost, die zuvor postfertig gemacht und in das Postausgangsbuch eingetragen worden sei, täglich bei Büroschluß um 17.30 Uhr von einer Mitarbeiterin in den nächstgelegenen Briefkasten eingeworfen werde.
Dieser Briefkasten werde von montags bis freitags jeweils um 18.15 Uhr geleert. Am Freitag, dem 2. März 2001, habe Rechtsanwalt Dr. A. vormittags die Berufungsbegründung unterschrieben, selbst postfertig gemacht, in das Postausgangsbuch eingetragen und in die für die Ausgangspost vorgesehene Sammelstelle gelegt. Wegen eines auswärtigen Termins habe Rechtsanwalt Dr. A. gegen 15.00 Uhr das Büro verlassen; zu dieser Zeit sei dort noch eine Sekretärin tätig gewesen. Am Vormittag des 5. März 2001 habe Rechtsanwalt Dr. A. gegen 8.45 Uhr das Postausgangsfach leer vorgefunden und deshalb keinen Anlaß gehabt, auf Unregelmäßigkeiten zu schließen. Auf den Hinweis des Gerichts, die Berufungsbegründung sei verspätet eingegangen, habe sich herausgestellt, daß die Sekretärin am 2. März 2001 vergessen habe, die Tagespost mitzunehmen und in den Briefkasten einzuwerfen. Am Sonntag, den 4. März 2001, habe der Kollege von Rechtsanwalt Dr. A., Rechtsanwalt Dr. K. bemerkt, daß die Post noch im Postausgangsfach gelegen habe. Daraufhin habe er die Post mitgenommen und noch am Sonntag in den Briefkasten eingeworfen. Hierüber sei Rechtsanwalt Dr. A. nicht informiert worden, andernfalls sei es ihm am 5. März 2001 noch möglich gewesen, die Berufungsbegründung zu Gericht bringen zu lassen. Das Oberlandesgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten.

II.

Das nach § 519 b Abs. 2 ZPO a.F. statthafte Rechtsmittel ist form- und fristgerecht eingelegt worden und damit zulässig. In der Sache bleibt es jedoch ohne Erfolg, da die Beklagte die Berufungsbegründungsfrist nicht ohne ihr Verschulden versäumt hat. Das Berufungsgericht hat deshalb die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht nicht gewährt (§ 233 ZPO), sondern die Berufung verworfen. 1. Das Berufungsgericht hat ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten in dem Verhalten von Rechtsanwalt Dr. K. gesehen. Dieser habe die Post am Sonntag, den 4. März 2001, nicht ungeprüft in den - von Montag bis Freitag um 18.15 Uhr geleerten - Briefkasten einwerfen dürfen, sondern entweder selbst die Post auf eventuelle Fristsachen durchsehen oder diese Prüfung Rechtsanwalt Dr. A. am Montag überlassen müssen. Eine solche Pflicht des Rechtsanwalts Dr. K. habe bestanden , weil er erkannt habe, daß die Tagespost an dem vorausgegangenen Freitag liegengeblieben sei und ihm habe klar sein müssen, daß sich darunter auch fristgebundene Schriftsätze befinden konnten. Wenn er die erforderliche Überprüfung vorgenommen hätte, so wäre ihm die Berufungsbegründung aufgefallen , so daß deren rechtzeitige Einreichung bei Gericht noch am Montag, dem 5. März 2001, hätte veranlaßt werden können. Dieses Fehlverhalten des mit Rechtsanwalt Dr. A. in einer Sozietät verbundenen Rechtsanwalt Dr. K. müsse die Beklagte sich zurechnen lassen. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand. 2. Entgegen der von der sofortigen Beschwerde vertretenen Auffassung bestehen keine Bedenken gegen die Annahme, die Beklagte habe für das Verhalten von Rechtsanwalt Dr. K. einzustehen. Nach der ständigen Rechtspre-
chung des Bundesgerichtshofs ist davon auszugehen, daß ein Rechtsanwalt, der einer Anwaltssozietät angehört, ein ihm angetragenes Mandat zur Prozeßführung in der Regel im Namen dieser Sozietät annimmt, d.h. nicht nur sich persönlich, sondern auch den oder die mit ihm zur gemeinsamen Berufsausübung verbundenen Kollegen verpflichtet. Sowohl der Auftraggeber als auch der Rechtsanwalt haben nämlich grundsätzlich den Willen, das Mandatsverhältnis mit allen Mitgliedern der Sozietät zu begründen (BGHZ 124, 47, 48 f. m.w.N.; BGH Urteil vom 19. Januar 1995 - III ZR 107/94 - NJW 1995, 1841). Das gilt auch dann, wenn zwischen den Anwälten keine echte Sozietät besteht, sondern diese lediglich als Außensozietät auftreten und sich im Innenverhältnis nur zu einer Bürogemeinschaft verbunden haben (BGHZ 70, 247, 249), wie es die Beklagte hinsichtlich der Rechtsanwälte Dr. A. und Dr. K. behauptet. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände kann ausnahmsweise von der Begründung eines Einzelmandats an ein Mitglied der Sozietät ausgegangen werden (BGHZ aaO; Senatsbeschluß vom 7. Mai 1991 - XII ZB 18/91 - NJW 1991, 2294 für den Fall der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Prozeßkostenhilfe

).

3. Diese Rechtsprechung, an der der Senat festhält, führt dazu, daß die Beklagte sich das Verhalten des Rechtsanwalts Dr. K. zurechnen lassen muß.
a) Die Annahme des Berufungsgerichts, daß Rechtsanwalt Dr. K. ein Verschulden an der Fristversäumnis trifft, wird von der sofortigen Beschwerde nicht angegriffen. Gegen diese Beurteilung bestehen aus Rechtsgründen auch keine Bedenken.
b) Das Verschulden von Rechtsanwalt Dr. K. ist der Beklagten zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Es ist weder vorgetragen und glaubhaft gemacht worden , daß Rechtsanwalt Dr. A. ein Einzelmandat erteilt worden ist, noch ergibt
sich dies aufgrund besonderer Umstände des vorliegenden Falles. Deshalb ist davon auszugehen, daß das Mandat zur Führung des Rechtsstreits der Anwaltssozietät erteilt worden ist, so daß alle Mitglieder der Sozietät Bevollmächtigte im Sinne des § 85 ZPO sind. Das Verschulden eines Bevollmächtigten steht aber dem Verschulden der Partei gleich (§ 85 Abs. 2 ZPO). Soweit die sofortige Beschwerde demgegenüber geltend macht, die unmittelbare und volle Verantwortung für alle mit der Prozeßführung verbundenen Pflichten träfen allein Rechtsanwalt Dr. A. als den Anwalt, der die Beklagte vor Gericht vertrete, kann ihr nicht gefolgt werden. Zwar hat von mehreren in einer Sozietät zusammengeschlossenen Rechtsanwälten grundsätzlich derjenige die Fristen zu überwachen, der bei dem zuständigen Gericht zugelassen ist, was nicht nur für die überörtliche Sozietät, sondern allgemein gilt (BGH Beschluß vom 10. Juli 1997 - IX ZB 57/97 - NJW 1997, 3177, 3178). Im vorliegenden Fall beruht das Versäumen der Berufungsbegründungsfrist aber nicht auf der eigentlichen Fristüberwachung, sondern darauf, daß Rechtsanwalt Dr. K. eigenmächtig in den Geschehensablauf eingegriffen hat, indem er die Post - ohne eine Überprüfung auf das Vorhandensein von Fristsachen vorzunehmen - sonntags in einen (offensichtlich erst montags wieder geleerten) Briefkasten eingeworfen hat. Für ein solches Verschulden ihres Bevollmächtigten hat die Partei unabhängig davon einzustehen, wem im Innenverhältniss der Anwälte
zueinander die Fristenüberwachung grundsätzlich oblegen hat. Abgesehen davon war aber auch Rechtsanwalt Dr. K. bei dem Oberlandesgericht zugelassen und damit auch selbst für die Überwachung der Frist verantwortlich.
Hahne Weber-Monecke Wagenitz
Ahlt Vézina

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)