Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Juli 2000 - III ZB 28/00
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Streitwert: 19.454,64 DM
Gründe
I.
Die Klägerin hat gegen das am 17. Februar 2000 zugestellte klageabweisende Urteil des Landgerichts Berlin durch Telefax und durch gewöhnliches Schreiben ihres Prozeßbevollmächtigten vom 15. März 2000 Berufung eingelegt. Die Berufungsschriften sind versehentlich nicht an das Kammergericht, sondern an das Landgericht Berlin adressiert worden. Dort sind sie am 15. März 2000 eingegangen. Gemäß Aktenvermerk vom 20. März 2000 ist dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin oder dessen Büro von seiten des Land-
gerichts Berlin fernmündlich mitgeteilt worden, daß die Berufung beim Kammergericht eingelegt werden müsse. Das Landgericht Berlin hat die Berufungsschriften an das Kammergericht weitergeleitet, wo sie am 21. März 2000 (Telefax ) und am 22. März 2000 (Brief) eingegangen sind.
Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 17. April 2000, dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 26. April 2000 zugegangen, hat das Kammergericht darauf hingewiesen, daß die Berufung verspätet eingegangen sei, und gefragt, ob das Rechtsmittel zurückgenommen werde. Einem Gesuch des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vom 25. April 2000, die Frist zur Begründung der Berufung zu verlängern, ist mit Verfügung des Vorsitzenden vom 26. April 2000 - unter Hinweis auf die Anfrage vom 17. April 2000 - stattgegeben worden.
Mit Beschluß vom 18. Mai 2000 hat das Kammergericht die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen, weil sie die Berufung nicht innerhalb eines Monats seit Zustellung des angefochtenen Urteils eingelegt habe. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin. Sie räumt ein, daß die Berufung verspätet eingelegt worden sei. Unter anderem weil die Berliner Justiz ihre Fax-Nummern umgestellt habe, sei die Berufungsschrift versehentlich an das Landgericht übermittelt worden. Erst mit Zugang der Verfügung des Vorsitzenden vom 17. April 2000 am 26. April 2000 habe ihr Prozeßbevollmächtigter Kenntnis von der Verspätung der Berufungseinlegung erhalten. Am Tag zuvor (25. April 2000) habe ihr Prozeßbevollmächtigter beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung zu verlängern. Insoweit habe er die Bewilligung der Fristverlängerung vom 26. April 2000 nur so verstehen können, "daß in Kennt-
nis der möglichen Verletzung der Berufungsfrist trotzdem eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist möglich und wirksam sei".
Ferner habe sie nicht davon ausgehen können, daß eine fehlerhaft beim Landgericht eingereichte Berufung, die offensichtlich beim Kammergericht habe eingelegt werden sollen, vier Werktage benötige, um dort einzugehen. Zumindest habe ihr Prozeßbevollmächtigter einen zeitnahen telefonischen Hinweis erwarten dürfen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Kammergericht hat die Berufung zutreffend als unzulässig verworfen.
1. Die Klägerin hat die Berufung nicht innerhalb der Berufungsfrist bei dem gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 3 GVG zuständigen Berufungsgericht eingelegt.
Gegen das am 17. Februar 2000 zugestellte Urteil des Landgerichts Berlin hätte die Klägerin binnen eines Monats (vgl. § 516 ZPO), also spätestens am 17. März 2000, durch Einreichung einer Berufungsschrift beim Kammergericht (vgl. § 518 Abs. 1 ZPO) Berufung einlegen müssen. Für das Ende der Berufungsfrist hatte die vom Vorsitzenden bewilligte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine Bedeutung.
Bei dem Kammergericht ist die Berufungsschrift unstreitig nicht fristgerecht eingegangen. Die am 15. März 2000, noch innerhalb der Frist, bei dem
Landgericht Berlin eingegangene Berufung konnte die Berufungsfrist nicht wahren. Der Schriftsatz war an das Landgericht Berlin adressiert, wurde deshalb bei der Gemeinsamen Briefannahme Justizbehörden Mitte - der das Kammergericht nicht angeschlossen war - nur für das Landgericht Berlin angenommen und gelangte allein in dessen Verfügungsgewalt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. Juli 1987 - III ZB 20/87 - BGHR ZPO § 518 Abs. 1 Berufungsgericht 3 und vom 29. Oktober 1987 - III ZB 33/87 - BGHR ZPO § 518 Abs. 1 Berufungsgericht 5). Das Landgericht Berlin war aber nicht zuständig.
Der an ein unzuständiges Gericht adressierte Schriftsatz geht erst dann beim zuständigen Gericht ein, wenn er nach Weiterleitung durch das zunächst angegangene Gericht tatsächlich in die Verfügungsgewalt des zuständigen Gerichts gelangt. Da das Gesetz nur auf den tatsächlichen Vorgang des Eingangs abhebt, kommt es für die Rechtzeitigkeit des Eingangs nicht darauf an, aus welchen - außerhalb des anzurufenden Gerichts gelegenen - Gründen sich der Eingang verzögert (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. Juli 1987 und 29. Oktober 1987 aaO).
In die tatsächliche Verfügungsgewalt des als Berufungsgericht zuständigen Kammergerichts gelangte die Berufungsschrift erst nach Ablauf der Berufungsfrist am 17. März 2000. Die per Telefax zum Landgericht Berlin eingelegte und von dort weitergeleitete Berufung ging am 21. März 2000 bei der Gemeinsamen Briefannahme Elßholzstraße, der das Kammergericht angeschlossen war, ein; die brieflich eingelegte Berufung ging am 22. März 2000, also ebenfalls verspätet, bei dem Kammergericht ein. Das wird von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen.
2. Der angefochtene Beschluß ist nicht verfahrensfehlerhaft ergangen.
a) Im Zeitpunkt der Beschlußfassung (18. Mai 2000) lag ein Wiedereinsetzungsgesuch der Klägerin, mit dem sich das Kammergericht hätte befassen müssen, nicht vor.
In dem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vom 25. April 2000 kann ein - stillschweigender - Wiedereinsetzungsantrag nicht gesehen werden, weil der Klägerin und deren Prozeßbevollmächtigten damals das Bewußtsein fehlte, die Frist zur Einlegung der Berufung versäumt zu haben (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 1968 - VIII ZR 123/66 - VersR 1968, 992 f). Nach dem Vorbringen der Klägerin erlangte ihr Prozeßbevollmächtigter erst am 26. April 2000, also nach dem Schriftsatz vom 25. April 2000, mit dem er um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nachsuchte, Kenntnis von einer möglichen Versäumung der Berufungsfrist. Dieser Schriftsatz war nicht als Wiedereinsetzungsantrag bestimmt.
b) Das Kammergericht hatte keine Veranlassung, der Klägerin von Amts wegen Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist zu gewähren (§ 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO). Es ist auch kein Fall gegeben, in dem der Senat im Rahmen des bei ihm anhängigen Verfahrens der sofortigen Beschwerde gegen den Verwerfungsbeschluß (§ 519 b Abs. 2 ZPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren hätte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Oktober 1981 - IVb ZB 825/81 - NJW 1982, 887 f; vom 4. November 1981 - IVb ZB 625/80 - NJW 1982, 1873, 1874; vom 9. Juli 1985 - VI ZB 8/85 - NJW 1985, 2650, 2651; Musielak/Ball, ZPO 1999 § 519 b Rn. 18). Denn nach dem Aktenstand bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin - die sich das Ver-
schulden ihres Prozeßbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß - die Frist unverschuldet versäumt hatte.
aa) Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin trug die Verantwortung dafür , daß eine fristwahrende Prozeßhandlung vor dem zuständigen Gericht erfolgte. Er verletzte seine Pflichten dadurch, daß er die Berufungsschrift nicht auf die richtige Adressierung hin überprüfte und entsprechend berichtigte. Insbesondere hätte ihm auffallen können, daß die Berufungsschrift entgegen § 518 Abs. 1 ZPO an das Gericht gerichtet war, dessen Entscheidung angefochten werden sollte (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 1995 - VII ZR 8/95 - NJW-RR 1996, 443 und Beschluß vom 18. April 2000 - XI ZB 1/00, zur Veröffentlichung bestimmt
bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs "wirkt sich ein etwaiges Verschulden der Partei oder ihres Prozeßbevollmächtigten nicht mehr aus", wenn der fristgebundene Schriftsatz so zeitig bei dem "mit der Sache befaßt gewesenen Gericht" eingeht, daß die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann. Geht der Schriftsatz gleichwohl nicht fristgerecht beim Rechtsmittelgericht ein, muß nach dieser Rechtsprechung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon gewährt werden, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht (BVerfG NJW 1995, 3173, 3175; BGH, Urteil vom 12. Oktober 1995 aaO; vom 1. Dezember 1997 - II ZR 85/97 - NJW 1998, 908; Beschluß vom 18. April 2000 aaO).
Hier war indes nicht ohne weiteres zu erwarten, daß die von dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin beim unzuständigen Landgericht Berlin eingereichte Berufungsschrift bei ordentlichem Geschäftsgang spätestens am 17. März 2000 dem Kammergericht vorliegen würde.
Die Berufungsschrift ging auf dem Telefaxgerät des Landgerichts Berlin am 15. März 2000, 17.56 Uhr, ein. Von dort gelangte sie am folgenden Tag (16. März 2000) zur Gemeinsamen Briefannahme Justizbehörden Mitte. Diese gab den Schriftsatz weiter an das Landgericht Berlin, wo er bei der zuständigen Geschäftsstelle am Freitag, dem 17. März 2000, dem Tag des Ablaufs der Berufungsfrist , eintraf. Die Geschäftsstelle leitete die Berufungsschrift weiter an das Kammergericht, wo sie am Dienstag, dem 21. März 2000, über die Gemeinsame Briefannahme Elßholzstraße einging. Laut Aktenvermerk vom 20. März 2000 wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin oder dessen Büro fernmündlich mitgeteilt, daß die Berufung beim Kammergericht eingelegt werden müsse.
Auch die zusätzlich brieflich eingelegte Berufung wurde im ordentlichen Geschäftsgang bearbeitet. Laut Eingangsstempel wurde sie am 15. März 2000 bei dem Landgericht Berlin eingereicht und gelangte über die Gemeinsame Briefannahme Justizbehörden Mitte (Eingang Freitag, den 17. März 2000), am Montag, dem 20. März 2000, an die zuständige Geschäftsstelle. Nach Weiterleitung durch das Landgericht Berlin ging die Berufungsschrift am 22. März 2000 über die Gemeinsame Briefannahme Elßholzstraße dem Kammergericht zu.
Der für die Übermittlung der Berufungsschriften an das Kammergericht benötigte Zeitaufwand entsprach somit demjenigen einer ordnungsgemäßen Sachbehandlung und fiel damit in den Risikobereich der für die fehlerhafte Adressierung verantwortlichen Klägerin.
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Annotations
(1) Die Oberlandesgerichte sind in Zivilsachen zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel:
- 1.
der Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte - a)
in den von den Familiengerichten entschiedenen Sachen; - b)
in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit Ausnahme der Freiheitsentziehungssachen und der von den Betreuungsgerichten entschiedenen Sachen;
- 2.
der Berufung und der Beschwerde gegen Entscheidungen der Landgerichte.
(2) § 23b Absatz 1, 2 und 3 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) In Zivilsachen sind Oberlandesgerichte ferner zuständig für die Verhandlung und Entscheidung von Musterfeststellungsverfahren nach Buch 6 der Zivilprozessordnung im ersten Rechtszug. Ein Land, in dem mehrere Oberlandesgerichte errichtet sind, kann durch Rechtsverordnung der Landesregierung einem Oberlandesgericht die Entscheidung und Verhandlung für die Bezirke mehrerer Oberlandesgerichte oder dem Obersten Landesgericht zuweisen, sofern die Zuweisung für eine sachdienliche Förderung oder schnellere Erledigung der Verfahren zweckmäßig ist. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.
(1) Der Berufungskläger kann die Berufung bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen.
(2) Die Zurücknahme ist dem Gericht gegenüber zu erklären. Sie erfolgt, wenn sie nicht bei der mündlichen Verhandlung erklärt wird, durch Einreichung eines Schriftsatzes.
(3) Die Zurücknahme hat den Verlust des eingelegten Rechtsmittels und die Verpflichtung zur Folge, die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen. Diese Wirkungen sind durch Beschluss auszusprechen.
Wird innerhalb der Berufungsfrist ein Urteil durch eine nachträgliche Entscheidung ergänzt (§ 321), so beginnt mit der Zustellung der nachträglichen Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist auch für die Berufung gegen das zuerst ergangene Urteil von neuem. Wird gegen beide Urteile von derselben Partei Berufung eingelegt, so sind beide Berufungen miteinander zu verbinden.
(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.
(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird; - 2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.
(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
Wird innerhalb der Berufungsfrist ein Urteil durch eine nachträgliche Entscheidung ergänzt (§ 321), so beginnt mit der Zustellung der nachträglichen Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist auch für die Berufung gegen das zuerst ergangene Urteil von neuem. Wird gegen beide Urteile von derselben Partei Berufung eingelegt, so sind beide Berufungen miteinander zu verbinden.