Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Jan. 2016 - KVR 11/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0
bei uns veröffentlicht am26.01.2016
vorgehend
Oberlandesgericht Düsseldorf, Kart 5/09, 13.11.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
KVR 11/15 Verkündet am:
26. Januar 2016
Bürk
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Kartellverwaltungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 2 Buchst. b
Bei der Bestimmung des Marktanteils eines Herstellers als Lieferant auf einem
Handelsmarkt nach Artikel 3 Absatz 1 der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung
1999 kommt es in Konstellationen, in denen die betreffenden Produkte
von einem Teil der Hersteller auch direkt an Endabnehmer veräußert werden,
regelmäßig nur auf die Umsätze an, die die Hersteller beim Absatz ihrer Produkte
an den Handel erzielen.
BGH, Beschluss vom 26. Januar 2016 - KVR 11/15 - OLG Düsseldorf
ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 26. Januar 2016 durch die Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck und Dr. Raum, die Richter Prof. Dr. Strohn, Dr. Bacher und Dr. Deichfuß
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. November 2013 wird zurückgewiesen. Die Betroffene zu 1 trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Bundeskartellamts und der Beigeladenen. Der Wert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens wird auf 7.000.000 Euro, der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 2.300.000 Euro festgesetzt.

ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0

Gründe:


1
I. Die Betroffene zu 1 und Rechtsbeschwerdeführerin, die Merck KGaA (im Folgenden: Merck), hat ihren Sitz in Darmstadt. Sie beschäftigt sich unter anderem mit der Herstellung von Laborchemikalien. Die meisten Hersteller von Laborchemikalien setzen ihre Produkte sowohl über den Handel als auch im Direktvertrieb an Endabnehmer ab, etwa an Labors oder Kliniken.
2
Merck vertrieb ihre Produkte zunächst selbst. 1999 übertrug sie einen großen Teil des Vertriebs auf ein Tochterunternehmen, die VWR International GmbH (Betroffene zu 2, im Folgenden: VWR). Im Zuge der Veräußerung der VWR an ein außenstehendes Unternehmen räumte Merck der VWR für mehrere europäische Staaten , darunter die Bundesrepublik Deutschland, durch eine am 15. Februar 2004 geschlossene , als "Amended and Restated Distribution Agreement" bezeichnete Vereinbarung ein exklusives Vertriebsrecht ein, dessen Bestand vertraglich von der Einhaltung eines Wettbewerbsverbots durch VWR abhängig gemacht wurde. In der Folge wurden Laborchemikalien von Merck in den betreffenden Staaten nur noch durch VWR vertrieben. Merck belieferte weder andere Händler noch Endabnehmer. Zugleich war VWR vertraglich verpflichtet, keine Laborchemikalien anderer Hersteller zu vertreiben, soweit Merck ein unmittelbar konkurrierendes Produkt führt.
3
Auf Beschwerde der Th. Geyer GmbH & Co. KG (Beigeladenen) leitete das Bundeskartellamt ein Verwaltungsverfahren ein. Dieses endete mit einem Beschluss vom 14. Juli 2009 (WuW/E DE-V 1790). Das Bundeskartellamt stellte fest, dass die Vereinbarungen zwischen Merck und VWR über das Alleinvertriebsrecht und das Wettbewerbsverbot gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen verstießen, und gab Merck auf, die Durchführung dieser Vereinbarungen abzustellen. Ferner stellte das Bundeskartellamt fest, dass Merck gegen das Diskriminierungsverbot nach § 20 Abs. 2 GWB verstoßen habe und verstoße. Gegen diese Verfügung haben Merck und VWR Beschwerde eingelegt.

ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0
4
Das Beschwerdegericht (OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 4730 - Laborchemikalien ) hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass es im Verhältnis der Hersteller und der Händler nicht einen einheitlichen Markt für Laborchemikalien gebe, sondern sieben Märkte, die jeweils unterschiedliche Produktgruppen von Laborchemikalien beträfen. Es hat die angefochtene Verfügung teilweise aufgehoben, die Beschwerde jedoch insoweit zurückgewiesen, als sie das Wettbewerbsverbot und die Vereinbarung über das Alleinvertriebsrecht im Verhältnis zum Laborchemikalienhandel für die Produktgruppen "anorganische Reagenzien", "Lösungsmittel" (mit Ablauf des Jahres 2008) und "Mikrobiologie" (mit Ablauf des Jahres 2009) betrifft. Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde gegen seine Entscheidung nicht zugelassen.
5
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde von Merck hat der Senat unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Beschwerdegerichts zugelassen, soweit die Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss des Bundeskartellamts hinsichtlich des Alleinvertriebsrechts für den Produktbereich "Mikrobiologie" zurückgewiesen worden ist.
6
Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt Merck weiterhin den Antrag, den Beschluss des Beschwerdegerichts und den Beschluss des Bundeskartellamts aufzuheben , soweit diese das Alleinvertriebsrecht für den Produktbereich "Mikrobiologie" betreffen. Das Bundeskartellamt tritt dem Rechtsmittel entgegen.
7
II. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
8
Durch die Vereinbarung eines Alleinvertriebsrechts für VWR und das Wettbewerbsverbot , das VWR in diesem Zusammenhang auferlegt wurde, hätten die Betroffenen gegen Art. 81 Abs. 1 EG und § 1 GWB verstoßen. Das VWR eingeräumte Alleinvertriebsrecht bezwecke und bewirke eine Einschränkung des Wettbewerbs beim Absatz von Laborchemikalien von Merck innerhalb des Gemeinsamen Marktes. Die ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0 Laborchemikalienhändler seien seither gezwungen, ihren Bedarf von Laborchemikalien von Merck bei VWR zu decken. Damit könne VWR Preiswettbewerb unterbinden. Zudem könnten Endabnehmer solche Laborchemikalien nur bei VWR beziehen. Die Vereinbarung eines Alleinvertriebsrechts könne nicht als notwendige Nebenabrede zum Verkauf der VWR angesehen werden.
9
Weil die Vertriebsbeschränkung das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfasse, sei sie auch geeignet, sich spürbar auf den zwischenstaatlichen Handel auszuwirken. Anhaltspunkte dafür, dass ausnahmsweise etwas anderes gelte, habe die Beschwerde nicht aufgezeigt.
10
Der Vertriebsvertrag sei von dem Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen nur zum Teil nach der Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 der Kommission vom 22. Dezember 1999 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen (Vertikal-GVO 1999) sowie nach der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen (Vertikal-GVO 2010) freigestellt. Nicht freigestellt sei die Vereinbarung, soweit sie sich auf den Absatz von Laborchemikalien der Produktgruppen "anorganische Reagenzien", "Lösungsmittel" und "Mikrobiologie" an den Handel erstrecke.
11
Nach dem Ergebnis der vom Beschwerdegericht veranlassten Nachermittlungen des Bundeskartellamts seien die Voraussetzungen für eine gruppenweise Freistellung bezüglich dieser drei Märkte nicht erfüllt, weil der Anteil von Merck jeweils über 30% liege. Maßgeblich seien insoweit die Marktanteile im Kalenderjahr vor dem Abschluss der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung, hier also im Jahr 2003. Für die Ermittlung der Marktanteile sei auf den Handelsmarkt und damit auf die Umsätze abzustellen, die die Hersteller von Laborchemikalien mit dem Absatz ihrer Pro- ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0 dukte an den Handel erzielten. Dagegen hätten Umsätze, die die Hersteller durch Verkäufe an Endabnehmer erzielten, außer Betracht zu bleiben. Anderes ergebe sich nicht aus Art. 9 Abs. 2 Buchst. b Vertikal-GVO 1999. Anhaltspunkte dafür, dass ein Marktzutritt weiterer Laborchemikalienhersteller auf dem Handelsmarkt hinreichend wahrscheinlich gewesen sei, habe die Beschwerde nicht aufgezeigt, so dass sich auch unter dem Gesichtspunkt des Einflusses potenziellen Wettbewerbs nichts anderes ergebe. Es sei ferner nicht ersichtlich, dass die Marktstellung von Merck nur dann zutreffend erfasst werde, wenn auch die Absätze anderer Hersteller an Endkunden in die Betrachtung einbezogen würden.
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Die Nachermittlungen des Bundeskartellamts hätten eine verwertbare, tragfähige und belastbare Grundlage für die Ermittlung der Marktanteile ergeben. Nachdem der Marktanteil von Merck für den Bereich "Mikrobiologie" erstmals im Jahr 2007 30% überschritten habe, habe die Freistellung gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. c Vertikal -GVO 1999 mit Ablauf des Jahres 2009 geendet. Die Voraussetzungen für eine Einzelfreistellung nach Art. 81 Abs. 3 Halbsatz 2 EG lägen nicht vor.
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III. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.
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1. Rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht angenommen, dass die von Merck und VWR getroffene Vereinbarung dem Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) unterfällt. Danach sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen , die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine spürbare Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Markts bezwecken oder bewirken, mit diesem unvereinbar und verboten.
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a) Die Abgrenzung des maßgebenden Markts ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, da sie wesentlich von den tatsächlichen Gegebenheiten des Markts abhängt. Sie kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur begrenzt überprüft werden (BGH, Beschluss vom 20. April 2010 - KVR 1/09, WuW/E DE-R 2905 Rn. 37 - Phonak/GN ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0 Store Nord). Diese Überprüfung lässt keine Rechtsfehler erkennen. Das Bundeskartellamt hat in der angefochtenen Verfügung dargelegt, dass Laborchemikalien aus Sicht der anwendenden Nachfrager nach ihren unterschiedlichen Einsatzbereichen in bestimmte Produktgruppen zusammengefasst werden können. Dass das Beschwerdegericht dem beigetreten ist, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Der Einwand der Rechtsbeschwerde, gerade der Umstand, dass nach den Ermittlungen des Bundeskartellamts Laborchemikalien von verschiedenen Gruppen von Nachfragern für unterschiedliche Anwendungen benötigt werden, spreche dafür, einen einheitlichen Markt für Laborchemikalien zugrunde zu legen, greift nach dem Bedarfsmarktkonzept , das nach der Rechtsprechung des Senats den Ausgangspunkt der Marktabgrenzung bildet (BGH, Beschluss, vom 6. Dezember 2011 - KVR 95/10, BGHZ 192, 18 Rn. 27 - Total/OMV), nicht durch.
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b) Ob die Alleinvertriebsvereinbarung eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt , kann offenbleiben, weil die verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts jedenfalls seine Beurteilung tragen, dass sie wettbewerbsbeschränkende Wirkungen entfaltet. Ob sich die Situation gegenüber dem Zeitraum vor der Veräußerung von VWR an ein außenstehendes Unternehmen verändert hat, ist nicht ausschlaggebend. Das Beschwerdegericht hat festgestellt, dass andere Händler infolge der Alleinvertriebsvereinbarung darauf angewiesen sind, ihren Bedarf an Laborchemikalien von Merck bei VWR zu decken. Damit ist der Preiswettbewerb beim Absatz solcher Chemikalien auf der Handelsstufe beeinträchtigt. Labore und andere Endabnehmer sind aufgrund der Vereinbarung gezwungen, die von ihnen benötigten Laborchemikalien von Merck über den Handel zu beziehen, und können ihren Bedarf nicht durch den Erwerb bei Merck direkt decken. Merck ist durch die Vereinbarung gehindert, mit dem Laborchemikalienhandel in Wettbewerb um Endabnehmer einzutreten. Es kommt hinzu, dass VWR durch die Bestellungen anderer Händler Informationen darüber erlangen kann, in welchem Umfang ihre Wettbewerber Laborchemikalien von Merck absetzen.

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c) Zu Recht hat das Beschwerdegericht ferner zugrunde gelegt, dass die Alleinvertriebsvereinbarung nicht deshalb vom Anwendungsbereich des Art. 81 Abs. 1 EG (Art. 101 AUEV) ausgenommen ist, weil sie zur Umsetzung des Vertrags über die Veräußerung der VWR objektiv erforderlich gewesen wäre. Nach der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs kann eine wettbewerbsbeschränkende Nebenabrede in einem an sich kartellrechtsneutralen Austauschvertrag vom Anwendungsbereich des Art. 81 Abs. 1 EG ausgenommen sein, wenn sie zur Umsetzung des Vertrags objektiv erforderlich und nach Geltungsdauer und Anwendungsbereich auf diesen Zweck beschränkt ist (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juli 1985 - 42/84, Slg. 1985,2566 Tz. 17 ff. - Remia/Nutricia; Urteil vom 11. September 2014 - C-382/12 P, NZKart 2015, 44 Tz. 89 - MasterCard Inc./Kommission; s. auch EuG, Urteil vom 18. September 2001 - T-112/99, Slg. 2001, II-2459 Tz. 104 ff.). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das Beschwerdegericht zutreffend verneint und darauf hingewiesen, dass die Alleinvertriebsvereinbarung schon deshalb nicht als objektiv erforderlich für die Durchführung des Unternehmensverkaufs angesehen werden kann, weil Merck daran nach dem Vertrag für den Fall, dass VWR bestimmte Verkaufsziele nicht erreicht, nicht gebunden sein sollte.
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d) Die Alleinvertriebsvereinbarung ist geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten spürbar in einer Weise zu beeinflussen, die der Verwirklichung der Ziele des Gemeinsamen Marktes abträglich sein kann. Die Vereinbarung erstreckt sich auf das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, aber auch auf andere Mitgliedstaaten. Eine Vertriebsbeschränkung, die das gesamte Gebiet eines Mitgliedstaats umfasst, ist regelmäßig geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen (EuGH, Urteil vom 24. September 2009 - C-125/07 P u.a., Slg. 2009, I-8681 Tz. 67 f. - Erste Group Bank/Kommission; Urteil vom 16. Juli 2015 - C-172/14, NZKart 2015, 526 Tz. 48 - Rumänische Pensionsfonds; BGH, Beschluss vom 14. August 2008 - KVR 54/07, WuW/E DE-R 2408 Rn. 36 - Lottoblock). Hinzu kommt, dass nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts mit Merck der füh- ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0 rende deutsche Hersteller für Laborchemikalien beteiligt ist. Schließlich ist VWR das führende deutsche Unternehmen für den Handel mit Laborchemikalien. Unter diesen Umständen kann nicht angenommen werden, dass die Auswirkungen der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten vernachlässigbar gering sind.
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e) Rechtsfehlerfrei ist auch die Beurteilung des Beschwerdegerichts, dass die Alleinvertriebsvereinbarung die Voraussetzungen für eine Einzelfreistellung nach Art. 81 Abs. 3 (Art. 101 Abs. 3 AEUV) nicht erfüllt. Danach kommt die Freistellung einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung in Betracht, wenn sie unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beiträgt, ohne dass den beteiligten Unternehmen Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, oder Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten. Die Beweislast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liegt nach Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln bei der Rechtsbeschwerdeführerin. Das Beschwerdegericht hat festgestellt, dass Merck weder zum Ausmaß der nach ihrer Darstellung mit der Exklusivabrede einhergehenden Effizienzvorteile noch zur angemessenen Beteiligung der Verbraucher an diesen ausreichend vorgetragen hat. Hiergegen erhebt die Rechtsbeschwerde keine erheblichen Einwendungen.
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2. Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, die von Merck und VWR getroffene Alleinvertriebsvereinbarung sei nach den Bestimmungen der Vertikal -GVO 1999 oder der Vertikal-GVO 2010 freigestellt. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts , das die Beschwerde gegen die Feststellung von Verstößen gegen Art. 81 Abs. 1 EG und § 1 GWB sowie gegen § 20 Abs. 2 GWB hinsichtlich Laborchemikalien der Produktgruppe "Mikrobiologie" für den Zeitraum seit Ablauf des Jah- ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0 res 2009 zurückgewiesen hat, hat Bestand, weil eine Freistellung sowohl nach der Vertikal-GVO 1999 wie nach der Vertikal-GVO 2010 ausscheidet.
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a) Auf die im Februar 2004 getroffene Alleinvertriebsvereinbarung fand zunächst die Vertikal-GVO 1999 Anwendung, die am 1. Januar 2000 in Kraft getreten ist (Art. 13 Abs. 1 Vertikal-GVO 1999). Nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO 1999 wird Art. 81 Abs. 1 EG unter den in dieser Verordnung genannten Voraussetzungen für Vereinbarungen zwischen Unternehmen, von denen jedes zwecks Durchführung der Vereinbarung auf einer unterschiedlichen Vertriebsstufe tätig ist, und welche die Bedingungen betreffen, zu denen die Parteien bestimmte Waren beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen können (vertikale Vereinbarungen), für unanwendbar erklärt. Um eine solche vertikale Vereinbarung handelt es sich, wie das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, bei der von Merck als Hersteller von Laborchemikalien und VWR als Händler solcher Chemikalien getroffenen Alleinvertriebsvereinbarung. Die Vereinbarung enthält, wie oben ausgeführt, eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG. Die Alleinvertriebsvereinbarung umfasst weder eine Kernbeschränkung nach Art. 4 Vertikal-GVO 1999 noch eine Verpflichtung, die unter Art. 5 Vertikal-GVO 1999 fällt. Für die Zeit ab 1. Juni 2010 beurteilt sich die Freistellung - unter Berücksichtigung der Übergangsregelung in Artikel 9 - nach der Vertikal-GVO 2010, deren Regelungen insoweit keine relevanten Abweichungen aufweisen.
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b) Für die Frage, ob die Alleinvertriebsvereinbarung freigestellt ist, kommt es entscheidend darauf an, ob Merck die nach der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung maßgebliche Marktanteilsschwelle überschritten hat.
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aa) Die gruppenweise Freistellung greift nach Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO 1999 und der inhaltlich übereinstimmenden Regelung in Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO 2010 nur, wenn der Anteil des Lieferanten an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragswaren oder -dienstleistungen verkauft, 30% nicht überschreitet. Bei der Ermitt- ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0 lung des Marktanteils im Sinne von Art. 3 Abs. 1 wird gemäß Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Vertikal-GVO 1999 der Absatzwert der verkauften Vertragswaren zugrunde gelegt, die vom Käufer aufgrund ihrer Eigenschaften, ihrer Preislage und ihres Verwendungszwecks als austauschbar oder substituierbar angesehen werden. Hierbei ist zunächst auf die Verhältnisse in dem Kalenderjahr abzustellen, das der in Rede stehenden Vereinbarung vorausgeht (Art. 9 Abs. 2 Buchst. b Vertikal-GVO 1999, Art. 7 Buchst. b Vertikal-GVO 2010). Wenn der Marktanteil zunächst unter 30% liegt, diese Schwelle jedoch anschließend überschreitet, entfällt die Freistellung nach einem gewissen Zeitraum (Art. 9 Abs. 2 Buchst. c und d Vertikal-GVO 1999, Art. 7 Buchst. d und e Vertikal-GVO 2010).
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bb) Nach der Auffassung des Bundeskartellamts und der Beigeladenen, der das Beschwerdegericht beigetreten ist, ist beim Vertrieb von Waren über unterschiedliche Vertriebsstufen im Hinblick auf die Ermittlung des Marktanteils nach Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO 1999 von verschiedenen Märkten auszugehen. Zu unterscheiden ist danach zwischen einem Markt, auf dem sich die Hersteller als Lieferanten und die Händler als Nachfrager gegenüberstehen (Handelsmarkt), und einem Markt, auf dem sich die Endabnehmer als Nachfrager und die Händler sowie solche Hersteller , die die betreffenden Waren auch direkt vertreiben, als Lieferanten gegenüberstehen (Endkundenmarkt). Soweit es um die Voraussetzungen einer gruppenweisen Freistellung einer Vereinbarung zwischen einem Hersteller und einem Händler geht, kommt es danach regelmäßig allein auf die Verhältnisse auf dem Handelsmarkt an.
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Der Anteil von Merck auf dem Handelsmarkt für Laborchemikalien aus dem Bereich "Mikrobiologie" lag nach dem Ergebnis der vom Beschwerdegericht veranlassten Nachermittlungen des Bundeskartellamts seit 2007 jeweils bei über 30%. Hieraus hat das Beschwerdegericht den Schluss gezogen, dass die Freistellung der Alleinvertriebsvereinbarung gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. c Vertikal-GVO 1999 mit Ablauf des Jahres 2009 geendet habe.

ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0
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cc) Die Rechtsbeschwerde wendet unter Bezugnahme auf das von ihr vorgelegte Rechtsgutachten von Prof. Dr. A. F. ein, diese Bestimmung des Marktanteils sei unzutreffend. Gehe es - wie hier - um Waren, die von den Herstellern nicht nur an Händler, die sie an Endabnehmer weiterveräußern, sondern teilweise auch direkt an Endabnehmer vertrieben werden, sei für die Bestimmung des Marktanteils nicht allein auf die Umsätze abzustellen, die die Hersteller aus Verkäufen an den Handel erzielten. Die isolierte Betrachtung der Handelsstufe führe unter solchen Umständen zu realitätsfernen Ergebnissen. Eine solche Vorgehensweise bilde die Marktposition der Hersteller, die nur an Händler lieferten, nicht zutreffend ab, sondern überzeichne sie. Dies gelte insbesondere, wenn - wie hier - das Volumen der Lieferungen der Hersteller an Endabnehmer das Volumen von Lieferungen an Händler deutlich übersteige. Die Ermittlung des Marktanteils durch das Beschwerdegericht trage dem Gesichtspunkt der Angebotsumstellungsflexibilität nicht hinreichend Rechnung , lasse also die Möglichkeit außer Betracht, dass andere Hersteller bei entsprechenden Erwerbsaussichten die Belieferung von Händlern aufnehmen oder ausweiten könnten. So verhalte es sich auch hier, was Auswirkungen auf die Marktstellung von Merck habe. Auch wenn es für die Marktabgrenzung auf die Perspektive des Handels als unmittelbaren Abnehmers ankomme, seien doch für die Bestimmung des Marktanteils die Volumina des Gesamtvertriebs, also sowohl die Umsätze aus den Verkäufen der Hersteller an Händler als auch die Umsätze aus den Verkäufen der Hersteller an Endabnehmer zu berücksichtigen, letztere vermindert um die Handelsspanne. Die Rechtsbeschwerde meint weiter, Art. 9 Abs. 2 Buchst. b VertikalGVO 1999 (Art. 7 Buchst. c Vertikal-GVO 2010), wonach der Marktanteil Waren oder Dienstleistungen einschließe, die zum Zweck des Verkaufs an integrierte Händler geliefert werden, sei erst recht anwendbar, wenn ein Hersteller Verkäufe an die nachgeordnete Handelsstufe, etwa direkt an den Endverbraucher, vornehme. Art. 9 Abs. 2 Buchst. b Vertikal-GVO 1999 ist nach dieser Auffassung Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes, wonach bei unterschiedlichen Vertriebsformen im Interesse ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0 der zutreffenden Abbildung der Marktverhältnisse die Marktanteile unter Berücksichtigung sämtlicher Vertriebsstufen zu ermitteln seien.
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Bei Anwendung dieser Grundsätze läge der Anteil von Merck auf dem Markt für Laborchemikalien aus dem Bereich "Mikrobiologie" in den Jahren 2003 bis 2011 jeweils deutlich unter 30%.
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d) Die Einwände der Rechtsbeschwerde greifen jedoch nicht durch.
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aa) Nach den Erwägungsgründen der Vertikal-GVO kommt es für die Frage, ob wettbewerbsschädliche Wirkungen, die von Beschränkungen in vertikalen Vereinbarungen ausgehen können, oder deren effizienzsteigernde Wirkungen überwiegen, unter anderem auf die Marktmacht der beteiligten Unternehmen an. Die Verordnung geht von der Annahme aus, dass bestimmte Arten vertikaler Vereinbarungen grundsätzlich geeignet sind, die Effizienz einer Produktions- und Vertriebskette zu erhöhen. Soweit mit solchen Vereinbarungen Beschränkungen des Intra-brand-Wettbewerbs einhergehen, kann dies nach Auffassung des Verordnungsgebers hingenommen werden, solange ein hinreichender Inter-brand-Wettbewerb gewährleistet ist, d.h. die an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen nicht über erhebliche Marktmacht verfügen (vgl. jeweils Erwägungsgründe 7 bis 9).
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bb) Die Marktmacht eines Lieferanten hängt davon ab, in welchem Maße er dem Wettbewerb anderer Lieferanten von Waren ausgesetzt ist, die von der Marktgegenseite aufgrund ihrer Eigenschaften, ihrer Preislage und ihres Verwendungszwecks als austauschbar oder substituierbar angesehen werden (vgl. jeweils Erwägungsgrund 7). Die Vertikal-GVO knüpft damit, wie auch Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Vertikal-GVO 1999 verdeutlicht, an das Bedarfsmarktkonzept an, nach welchem für die Abgrenzung des sachlich relevanten Markts die Sicht der Marktgegenseite, bei Absatzmärkten also die Sicht der Nachfrager maßgeblich ist (EuGH, Urteil vom 14. Februar 1978 - 27/76, Slg. 1978, 207 Tz. 12 ff. - United Brands Company; Urteil vom 9. November 1983 - 322/81, Slg. 1983, 3461 Tz. 37 - Michelin). Beim Vertrieb ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0 von Waren über unterschiedliche Vertriebsstufen ist im Hinblick auf die Ermittlung des Marktanteils nach Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO von verschiedenen Märkten auszugehen. Zu unterscheiden ist danach zwischen einem Markt, auf dem sich die Hersteller als Lieferanten und die Händler als Nachfrager gegenüberstehen (Handelsmarkt) und einem Markt, auf dem sich die Endabnehmer als Nachfrager und die Händler als Lieferanten gegenüberstehen (Endkundenmarkt). Soweit es Hersteller gibt, die zur direkten Belieferung von Endabnehmern bereit sind, sind auf dem Endkundenmarkt auch sie zu den Lieferanten zu rechnen.
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cc) Für die zutreffende Bestimmung der Marktmacht eines Herstellers im Verhältnis zum Handel kommt es grundsätzlich nur auf die Verhältnisse auf dem Handelsmarkt und damit auf das Volumen der Verkäufe der Hersteller an den Handel an (s. auch Leitlinien der Kommission für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000/C 291/01 Tz. 90 Satz 3; ABl. 2010/C 130/01 Tz. 88 Satz 3). Dies gilt auch, wenn es Hersteller gibt, die Waren der betreffenden Art direkt an Endabnehmer liefern. Denn der Teil der Produktion, den andere Hersteller im Direktvertrieb an Endabnehmer absetzen, steht aus der nach dem Bedarfsmarktkonzept maßgeblichen Sicht der Händler zur Deckung ihres Bedarfs regelmäßig nicht zur Verfügung. Ein Hersteller ist damit in Bezug auf Lieferungen an den Handel dem Wettbewerb anderer Hersteller nur insoweit ausgesetzt, als diese tatsächlich zu Lieferungen an Händler bereit sind. Eine Austauschbarkeit der Produkte aus der Sicht der nachgelagerten Marktstufe der Endabnehmer ist für die Handelsstufe bedeutungslos, wenn sie dort tatsächlich nicht besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 20. April 2010 - KVR 1/09, WuW/E DE-R 2905 Rn. 41 - Phonak/GN Store Nord). Sofern Endabnehmer die betreffenden Laborchemikalien nicht nur vom Handel, sondern auch direkt von anderen Herstellern beziehen können, wirkt sich dies auf dem Handelsmarkt nicht zugunsten der Händler aus, wenn diese Hersteller nicht bereit oder nicht in der Lage sind, den Handel zu beliefern , der Bezug der Waren von ihnen mithin für den Handel keine zumutbare Alternative darstellt. Der Teil der Produktion, den andere Hersteller im Direktvertrieb an ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0 Endabnehmer absetzen, stellt, wie das Bundeskartellamt in der Rechtsbeschwerdeerwiderung treffend formuliert hat, aus der maßgeblichen Sicht des Handels keine Bezugsalternative dar, sondern Konkurrenz beim Absatz an die Endabnehmer. Danach trifft die von der Rechtsbeschwerde vertretene Auffassung, für die Ermittlung der Marktanteile auf dem Handelsmarkt sei in einer solchen Konstellation auch die Marktstufe einzubeziehen, auf der die Endabnehmer nachfragen (ähnlich Ellger in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Auflage, Art. 3 Vertikal-GVO Rn. 16; Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, 3. Auflage, Art. 7 VO 330/2010 Rn. 4), nicht zu.
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dd) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nimmt die Kommission in Tz. 91 der Vertikalleitlinien 2000 und Tz. 89 der Vertikalleitlinien 2010 keinen anderen Standpunkt ein. Die Kommission weist dort lediglich - zutreffend - darauf hin, dass bei der Abgrenzung des sachlich relevanten Markts im Verhältnis zwischen Händler und Hersteller die Präferenzen der Endabnehmer, an die der Händler die vom Hersteller bezogenen Waren weiterveräußern möchte, im Allgemeinen nicht außer Betracht bleiben können. Dies rechtfertigt jedoch nicht den Schluss, dass die Unterscheidung zwischen dem Handelsmarkt und dem Endkundenmarkt bedeutungslos und stattdessen für die Bestimmung der Marktanteile auf einen Gesamtmarkt abzustellen ist, der die Absätze der Hersteller an den Handel und an Endabnehmer umfasst. Etwas anderes lässt sich auch nicht daraus entnehmen, dass es dort weiter heißt, die Märkte würden, weil in der Regel verschiedene Vertriebsformen miteinander in Wettbewerb stünden, im Allgemeinen nicht anhand der angewandten Vertriebsform bestimmt. Kann der Endabnehmer ein bestimmtes Produkt vom Handel oder direkt vom Hersteller beziehen, ist danach nicht von zwei nach Vertriebsformen getrennten Märkten auszugehen. Bei einer solchen Sachlage ist es sachlich gerechtfertigt , für die Bestimmung des Marktanteils eines bestimmten Herstellers auch die Umsätze einzubeziehen, die zwischen Handel und Endabnehmern erzielt werden, weil Handel und Hersteller insoweit im Wettbewerb stehen. Geht es demgegenüber ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0 um den Marktanteil eines Herstellers auf dem Handelsmarkt, ist eine Einbeziehung der Umsätze, die die Hersteller aus der Direktbelieferung von Endabnehmern erzielen , regelmäßig nicht sachgerecht, weil die Händler zur Deckung ihres Bedarfs nicht auf diese Produkte ausweichen können.
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ee) Ob Umsätze aus Lieferungen der Hersteller an Endabnehmer für die Bestimmung des Marktanteils eines Herstellers auf dem Handelsmarkt ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt potenziellen Wettbewerbs zu berücksichtigen sein können, kann offen bleiben.
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Als potenzieller Wettbewerber ist ein Unternehmen anzusehen, wenn hinreichend wahrscheinlich ist, dass es bei einem geringfügigen, aber dauerhaften Preisanstieg kurz- oder mittelfristig bereit und in der Lage ist, in den betroffenen Markt einzutreten (vgl. Art. 1 Abs. 1 Buchst. c Vertikal-GVO 2010; s. auch Tz. 27 der Leitlinien der Kommission für vertikale Beschränkungen, ABl. 2010/C 130/01). Muss ein Hersteller konkret damit rechnen, dass andere Hersteller, soweit sie bislang an Endabnehmer liefern, ihren Vertrieb in der Weise umstellen, dass sie die Belieferung des Handels aufnehmen oder ausweiten, wird dieser Umstand sein wettbewerbliches Handeln beeinflussen.
35
Im Streitfall scheidet eine Berücksichtigung der Umsätze aus Lieferungen anderer Hersteller von Laborchemikalien an Endabnehmer unter dem Gesichtspunkt potenziellen Wettbewerbs aus, weil nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts, an die der Senat gebunden ist (§ 76 Abs. 4 GWB), keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass eine Umstellung des Vertriebs solcher Hersteller auf eine Belieferung (auch) des Handels hinreichend wahrscheinlich ist. Das Beschwerdegericht hat hierzu festgestellt, es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass im Jahr 2003 tatsächlich eine Bereitschaft von Laborchemikalienproduzenten bestanden habe, ihren Vertrieb entsprechend umzustellen. Die Rechtsbeschwerde zeigt weder auf, dass diese Feststellung verfahrensfehlerhaft ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0 getroffen wurde, noch dass für die tatsächlichen Verhältnisse in den Folgejahren etwas anderes galt.
36
Ob ausnahmsweise in Konstellationen, in denen hinreichend wahrscheinlich ist, dass andere Hersteller bereit sind, ihren Vertrieb auf eine Belieferung des Handels umzustellen, der Marktanteil eines Herstellers auf dem Handelsmarkt nach Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO unter Einbeziehung auch von Umsätzen aus Lieferungen auf dem Endkundenmarkt zu ermitteln ist oder ob dem - im Hinblick darauf, dass Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO aus Gründen der Rechtssicherheit eine feste Marktanteilsschwelle vorsieht, bei deren Ermittlung nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Vertikal-GVO 1999 (Art. 7 Buchst. a Vertikal-GVO 2010) allein der Absatzwert tatsächlich auf dem relevanten Markt verkaufter Waren zugrunde zu legen ist (Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 3. Auflage, Art. 3 Rn. 500-502; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Auflage, § 15 Rn. 31) - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen nur durch eine Einzelfreistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG (Art. 101 Abs. 3 AEUV) Rechnung getragen werden kann, kann hier mithin offen bleiben.
37
ff) Anders als die Rechtsbeschwerde unter Berufung auf das von ihr vorgelegte Gutachten von F. (ähnlich Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, 3. Auflage , Art. 7 VO 330/2010 Rn. 4; Dallmann in Schulte/Just, Kartellrecht, 2. Auflage, Art. 7 Vertikal-GVO Rn. 5) meint, rechtfertigt die Regelung in Art. 9 Abs. 2 Buchst. b Vertikal-GVO 1999 (Art. 7 Buchst. c Vertikal-GVO 2010) keine abweichende Beurteilung. Für die Anwendung der Marktanteilsschwelle gilt danach, dass der Marktanteil Waren oder Dienstleistungen einschließt, die zum Zweck des Verkaufs an integrierte Händler geliefert werden. Der Auffassung der Rechtsbeschwerde, die Regelung müsse erst recht für den Fall gelten, dass der Anbieter selbst, mit eigenem Personal, ohne Einschaltung eines verbundenen Unternehmens Endabnehmer beliefert, kann nicht beigetreten werden.


ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0
38
(1) Ein Erst-Recht-Schluss (argumentum a fortiori) als besondere Form einer Analogie ist zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, soweit vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Abwägung der Interessen, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Norm, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 29. September 2015 - II ZB 23/14, WM 2016, 157 Rn. 23).
39
(2) Die Voraussetzungen für einen solchen Schluss liegen hier nicht vor. Art. 9 Abs. 2 Buchst. b Vertikal-GVO 1999 befasst sich lediglich mit der zutreffenden Erfassung des Volumens eines bestimmten Marktes, das für die Ermittlung der Marktanteile relevant ist. Die Norm bestimmt hierzu, dass Umsätze aus Lieferungen von Waren, die an integrierte Händler, also an rechtlich selbständige, aber konzernzugehörige Unternehmen zum Zweck des Weiterverkaufs geliefert werden, bei der Ermittlung des Marktanteils zu berücksichtigen sind und nicht etwa mit der Begründung , es handele sich um konzerninterne Umsätze, außer Betracht bleiben dürfen. Die Bestimmung soll damit gewährleisten, dass es für die Ermittlung des Marktanteils eines Herstellers unerheblich ist, ob er die betreffenden Waren selbst an die Abnehmer der betroffenen nachgeordneten Marktstufe - sei es der Handel oder seien es Endabnehmer - liefert oder hierfür ein konzernzugehöriges Unternehmen einschaltet. Sinn und Zweck der Regelung ist es mithin nur klarzustellen, welche Umsätze für die Ermittlung der Anteile auf dem in Rede stehenden Markt zu berücksichtigen sind, sie trifft jedoch keine Aussagen darüber, welchem Markt bestimmte Umsätze zuzuordnen sind.
40
Liefert ein Anbieter dagegen selbst, ohne Einschaltung eines verbundenen Unternehmens oder sonstiger Dritter, an seine Abnehmer, stellen sich keine vergleichbaren Fragen, vielmehr kann kein Zweifel daran bestehen, dass die hieraus resultierenden Umsätze bei der Ermittlung der Marktanteile auf dem betreffenden ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0 Markt - sei es der Handelsmarkt oder der Endkundenmarkt - zu berücksichtigen sind. Für die von der Rechtsbeschwerde befürwortete Anwendung von Art. 9 Abs. 2 Buchst. b Vertikal-GVO 1999 auf die direkte Belieferung von Endabnehmern durch Hersteller ist mithin kein Raum. Sie hätte vielmehr zur Folge, dass Umsätze, die auf dem Endkundenmarkt erzielt werden, bei der Bestimmung des Volumens eines anderen Marktes, nämlich des Handelsmarkts berücksichtigt werden. Dies ist mit Sinn und Zweck der Regelung, wie sie oben dargestellt wurden, nicht zu vereinbaren (ebenso Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 3. Auflage, Art. 7 Rn. 934).
41
gg) Kommt es danach für die Freistellung einer Vertriebsvereinbarung zwischen einem Hersteller und einem Händler bei der Bestimmung des Marktanteils eines Herstellers als Lieferant bzw. Anbieter nach Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO 1999 und Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO 2010 auch in Konstellationen, in denen die betreffenden Produkte von einem Teil der Hersteller auch direkt an Endabnehmer veräußert werden , regelmäßig nur auf die Umsätze an, die die Hersteller beim Absatz ihrer Produkte an den Handel erzielen, ist die Annahme des Beschwerdegerichts, dass der Marktanteil von Merck auf dem Markt für Laborchemikalien der Produktgruppe "Mikrobiologie" seit 2007 die 30%-Schwelle überschreitet, rechtsfehlerfrei.
42
e) Der Senat kann über die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 2 Buchst. b Vertikal-GVO 1999 (Art. 3 Abs. 1 und Art. 7 Buchst. c Vertikal-GVO 2010) in eigener Verantwortung entscheiden.
43
aa) Eine Ausnahme von der Pflicht letztinstanzlicher Gerichte nach Art. 267 Abs. 3 AEUV, den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung zur Auslegung des Unionsrechts zu ersuchen, ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt, wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt. Ob ein solcher Fall vorliegt, ist unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Unionsrechts, der besonderen Schwierigkeit seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichts- ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0 entscheidungen innerhalb der Gemeinschaft zu beurteilen (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - 283/81, Slg. 1982, 3417 Rn. 16 ff. - CILFIT; BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2014 - KRB 47/13, BGHSt 60, 121 Rn. 32).
44
bb) Nach dieser Maßgabe ist eine Vorlage hier nicht geboten. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, bestehen hinsichtlich der Auslegung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 2 Buchst. b Vertikal-GVO 1999 (Art. 3 Abs. 1 und Art. 7 Buchst. c Vertikal-GVO 2010) keine vernünftigen Zweifel.
45
Abweichende Entscheidungen mitgliedstaatlicher Behörden oder Gerichte oder der Unionsgerichte sind nicht ersichtlich. Die Entscheidung "Staubsaugerbeutelmarkt" des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 5. Oktober 2004 - KVR 14/03, BGHZ 160, 321) stützt den Standpunkt der Rechtsbeschwerde nicht. Wie oben ausgeführt (Rn. 32) kann sich die Rechtsbeschwerde für ihren Standpunkt auch nicht auf die Leitlinien der Kommission für vertikale Beschränkungen stützen. Angesichts dessen begründet der Umstand, dass sich die Rechtsbeschwerde für ihre Auffassung auf einzelne Stimmen in der Kommentarliteratur stützen kann (siehe die Nachweise in Rn. 31 und 37), keine Zweifel an der richtigen Auslegung des Unionsrechts.
46
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Satz 1 und 2 GWB. Im Hinblick darauf, dass die Beigeladene am Verfahrensausgang in besonderer Weise interessiert ist und sich dadurch veranlasst gesehen hat, das Verfahren durch Schriftsätze und ihre Beteiligung an der mündlichen Verhandlung zu fördern, entspricht es ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0 der Billigkeit, der Betroffenen zu 1 auch die Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. März 1990 - KVR 4/88, GRUR 1990, 702, 709 - Sportübertragungen , insoweit nicht in BGHZ 110, 371 abgedruckt).
Meier-Beck Raum Strohn Bacher Deichfuß
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 13.11.2013 - VI-Kart 5/09 (V) -


ECLI:DE:BGH:2016:260116BKVR11.15.0

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(1) § 19 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 gilt auch für Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen, soweit von ihnen andere Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen in der Wei

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(1) Die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde kann von den am Beschwerdeverfahren Beteiligten durch Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden. (2) Über die Nichtzulassungsbeschwerde entscheidet der Bundesgerichtshof durch Beschluss, der zu begrü

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(1) Das Beschwerdegericht entscheidet durch Beschluss nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Der Beschluss darf nur auf Tatsachen und Beweismittel gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnte

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Tenor Die Rechtsbeschwerde der Generalstaatsanwaltschaft gegen das Urteil des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 17. Dezember 2012 wird gemäß § 79 Abs. 5 OWiG verworfen.

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(1) § 19 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 gilt auch für Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen, soweit von ihnen andere Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen in der Weise abhängig sind, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf dritte Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen und ein deutliches Ungleichgewicht zur Gegenmacht der anderen Unternehmen besteht (relative Marktmacht). § 19 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 gilt ferner auch für Unternehmen, die als Vermittler auf mehrseitigen Märkten tätig sind, soweit andere Unternehmen mit Blick auf den Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten von ihrer Vermittlungsleistung in der Weise abhängig sind, dass ausreichende und zumutbare Ausweichmöglichkeiten nicht bestehen. Es wird vermutet, dass ein Anbieter einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen von einem Nachfrager abhängig im Sinne des Satzes 1 ist, wenn dieser Nachfrager bei ihm zusätzlich zu den verkehrsüblichen Preisnachlässen oder sonstigen Leistungsentgelten regelmäßig besondere Vergünstigungen erlangt, die gleichartigen Nachfragern nicht gewährt werden.

(1a) Eine Abhängigkeit nach Absatz 1 kann sich auch daraus ergeben, dass ein Unternehmen für die eigene Tätigkeit auf den Zugang zu Daten angewiesen ist, die von einem anderen Unternehmen kontrolliert werden. Die Verweigerung des Zugangs zu solchen Daten gegen angemessenes Entgelt kann eine unbillige Behinderung nach Absatz 1 in Verbindung mit § 19 Absatz 1, Absatz 2 Nummer 1 darstellen. Dies gilt auch dann, wenn ein Geschäftsverkehr für diese Daten bislang nicht eröffnet ist.

(2) § 19 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 5 gilt auch für Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen im Verhältnis zu den von ihnen abhängigen Unternehmen.

(3) Unternehmen mit gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern überlegener Marktmacht dürfen ihre Marktmacht nicht dazu ausnutzen, solche Wettbewerber unmittelbar oder mittelbar unbillig zu behindern. Eine unbillige Behinderung im Sinne des Satzes 1 liegt insbesondere vor, wenn ein Unternehmen

1.
Lebensmittel im Sinne des Artikels 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. L 31 vom 1.2.2002, S. 1), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2019/1381 (ABl. L 231 vom 6.9.2019, S. 1) geändert worden ist, unter Einstandspreis oder
2.
andere Waren oder gewerbliche Leistungen nicht nur gelegentlich unter Einstandspreis oder
3.
von kleinen oder mittleren Unternehmen, mit denen es auf dem nachgelagerten Markt beim Vertrieb von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb steht, für deren Lieferung einen höheren Preis fordert, als es selbst auf diesem Markt
anbietet, es sei denn, dies ist jeweils sachlich gerechtfertigt. Einstandspreis im Sinne des Satzes 2 ist der zwischen dem Unternehmen mit überlegener Marktmacht und seinem Lieferanten vereinbarte Preis für die Beschaffung der Ware oder Leistung, auf den allgemein gewährte und im Zeitpunkt des Angebots bereits mit hinreichender Sicherheit feststehende Bezugsvergünstigungen anteilig angerechnet werden, soweit nicht für bestimmte Waren oder Leistungen ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist. Das Anbieten von Lebensmitteln unter Einstandspreis ist sachlich gerechtfertigt, wenn es geeignet ist, den Verderb oder die drohende Unverkäuflichkeit der Waren beim Händler durch rechtzeitigen Verkauf zu verhindern sowie in vergleichbar schwerwiegenden Fällen. Werden Lebensmittel an gemeinnützige Einrichtungen zur Verwendung im Rahmen ihrer Aufgaben abgegeben, liegt keine unbillige Behinderung vor.

(3a) Eine unbillige Behinderung im Sinne des Absatzes 3 Satz 1 liegt auch vor, wenn ein Unternehmen mit überlegener Marktmacht auf einem Markt im Sinne des § 18 Absatz 3a die eigenständige Erzielung von Netzwerkeffekten durch Wettbewerber behindert und hierdurch die ernstliche Gefahr begründet, dass der Leistungswettbewerb in nicht unerheblichem Maße eingeschränkt wird.

(4) Ergibt sich auf Grund bestimmter Tatsachen nach allgemeiner Erfahrung der Anschein, dass ein Unternehmen seine Marktmacht im Sinne des Absatzes 3 ausgenutzt hat, so obliegt es diesem Unternehmen, den Anschein zu widerlegen und solche anspruchsbegründenden Umstände aus seinem Geschäftsbereich aufzuklären, deren Aufklärung dem betroffenen Wettbewerber oder einem Verband nach § 33 Absatz 4 nicht möglich, dem in Anspruch genommenen Unternehmen aber leicht möglich und zumutbar ist.

(5) Wirtschafts- und Berufsvereinigungen sowie Gütezeichengemeinschaften dürfen die Aufnahme eines Unternehmens nicht ablehnen, wenn die Ablehnung eine sachlich nicht gerechtfertigte ungleiche Behandlung darstellen und zu einer unbilligen Benachteiligung des Unternehmens im Wettbewerb führen würde.

Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.

(1) § 19 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 gilt auch für Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen, soweit von ihnen andere Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen in der Weise abhängig sind, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf dritte Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen und ein deutliches Ungleichgewicht zur Gegenmacht der anderen Unternehmen besteht (relative Marktmacht). § 19 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 gilt ferner auch für Unternehmen, die als Vermittler auf mehrseitigen Märkten tätig sind, soweit andere Unternehmen mit Blick auf den Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten von ihrer Vermittlungsleistung in der Weise abhängig sind, dass ausreichende und zumutbare Ausweichmöglichkeiten nicht bestehen. Es wird vermutet, dass ein Anbieter einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen von einem Nachfrager abhängig im Sinne des Satzes 1 ist, wenn dieser Nachfrager bei ihm zusätzlich zu den verkehrsüblichen Preisnachlässen oder sonstigen Leistungsentgelten regelmäßig besondere Vergünstigungen erlangt, die gleichartigen Nachfragern nicht gewährt werden.

(1a) Eine Abhängigkeit nach Absatz 1 kann sich auch daraus ergeben, dass ein Unternehmen für die eigene Tätigkeit auf den Zugang zu Daten angewiesen ist, die von einem anderen Unternehmen kontrolliert werden. Die Verweigerung des Zugangs zu solchen Daten gegen angemessenes Entgelt kann eine unbillige Behinderung nach Absatz 1 in Verbindung mit § 19 Absatz 1, Absatz 2 Nummer 1 darstellen. Dies gilt auch dann, wenn ein Geschäftsverkehr für diese Daten bislang nicht eröffnet ist.

(2) § 19 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 5 gilt auch für Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen im Verhältnis zu den von ihnen abhängigen Unternehmen.

(3) Unternehmen mit gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern überlegener Marktmacht dürfen ihre Marktmacht nicht dazu ausnutzen, solche Wettbewerber unmittelbar oder mittelbar unbillig zu behindern. Eine unbillige Behinderung im Sinne des Satzes 1 liegt insbesondere vor, wenn ein Unternehmen

1.
Lebensmittel im Sinne des Artikels 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. L 31 vom 1.2.2002, S. 1), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2019/1381 (ABl. L 231 vom 6.9.2019, S. 1) geändert worden ist, unter Einstandspreis oder
2.
andere Waren oder gewerbliche Leistungen nicht nur gelegentlich unter Einstandspreis oder
3.
von kleinen oder mittleren Unternehmen, mit denen es auf dem nachgelagerten Markt beim Vertrieb von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb steht, für deren Lieferung einen höheren Preis fordert, als es selbst auf diesem Markt
anbietet, es sei denn, dies ist jeweils sachlich gerechtfertigt. Einstandspreis im Sinne des Satzes 2 ist der zwischen dem Unternehmen mit überlegener Marktmacht und seinem Lieferanten vereinbarte Preis für die Beschaffung der Ware oder Leistung, auf den allgemein gewährte und im Zeitpunkt des Angebots bereits mit hinreichender Sicherheit feststehende Bezugsvergünstigungen anteilig angerechnet werden, soweit nicht für bestimmte Waren oder Leistungen ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist. Das Anbieten von Lebensmitteln unter Einstandspreis ist sachlich gerechtfertigt, wenn es geeignet ist, den Verderb oder die drohende Unverkäuflichkeit der Waren beim Händler durch rechtzeitigen Verkauf zu verhindern sowie in vergleichbar schwerwiegenden Fällen. Werden Lebensmittel an gemeinnützige Einrichtungen zur Verwendung im Rahmen ihrer Aufgaben abgegeben, liegt keine unbillige Behinderung vor.

(3a) Eine unbillige Behinderung im Sinne des Absatzes 3 Satz 1 liegt auch vor, wenn ein Unternehmen mit überlegener Marktmacht auf einem Markt im Sinne des § 18 Absatz 3a die eigenständige Erzielung von Netzwerkeffekten durch Wettbewerber behindert und hierdurch die ernstliche Gefahr begründet, dass der Leistungswettbewerb in nicht unerheblichem Maße eingeschränkt wird.

(4) Ergibt sich auf Grund bestimmter Tatsachen nach allgemeiner Erfahrung der Anschein, dass ein Unternehmen seine Marktmacht im Sinne des Absatzes 3 ausgenutzt hat, so obliegt es diesem Unternehmen, den Anschein zu widerlegen und solche anspruchsbegründenden Umstände aus seinem Geschäftsbereich aufzuklären, deren Aufklärung dem betroffenen Wettbewerber oder einem Verband nach § 33 Absatz 4 nicht möglich, dem in Anspruch genommenen Unternehmen aber leicht möglich und zumutbar ist.

(5) Wirtschafts- und Berufsvereinigungen sowie Gütezeichengemeinschaften dürfen die Aufnahme eines Unternehmens nicht ablehnen, wenn die Ablehnung eine sachlich nicht gerechtfertigte ungleiche Behandlung darstellen und zu einer unbilligen Benachteiligung des Unternehmens im Wettbewerb führen würde.

(1) Das Beschwerdegericht entscheidet durch Beschluss nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Der Beschluss darf nur auf Tatsachen und Beweismittel gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Das Beschwerdegericht kann hiervon abweichen, soweit Beigeladenen aus wichtigen Gründen, insbesondere zur Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen, Akteneinsicht nicht gewährt und der Akteninhalt aus diesen Gründen auch nicht vorgetragen worden ist. Dies gilt nicht für solche Beigeladene, die an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann.

(2) Hält das Beschwerdegericht die Verfügung der Kartellbehörde für unzulässig oder unbegründet, so hebt es diese auf. Hat sich die Verfügung vorher durch Zurücknahme oder auf andere Weise erledigt, so spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Verfügung der Kartellbehörde unzulässig oder unbegründet gewesen ist, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(3) Hat sich eine Verfügung nach den §§ 32 bis 32b oder § 32d wegen nachträglicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse oder auf andere Weise erledigt, so spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, ob, in welchem Umfang und bis zu welchem Zeitpunkt die Verfügung begründet gewesen ist.

(4) Hält das Beschwerdegericht die Ablehnung oder Unterlassung der Verfügung für unzulässig oder unbegründet, so spricht es die Verpflichtung der Kartellbehörde aus, die beantragte Verfügung vorzunehmen.

(5) Die Verfügung ist auch dann unzulässig oder unbegründet, wenn die Kartellbehörde von ihrem Ermessen fehlsamen Gebrauch gemacht hat, insbesondere, wenn sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder durch die Ermessensentscheidung Sinn und Zweck dieses Gesetzes verletzt hat. Die Würdigung der gesamtwirtschaftlichen Lage und Entwicklung ist hierbei der Nachprüfung des Gerichts entzogen.

(6) Der Beschluss ist zu begründen und mit einer Rechtsmittelbelehrung den Beteiligten zuzustellen.

23
cc) Das Verfahrensfortführungsrecht des gemeinsamen Vertreters nach § 6 Abs. 3 Satz 1 SpruchG ist auf die Verfahrensfortführung nach Erlass einer erstinstanzlichen Entscheidung auch nicht entsprechend anzuwenden. Eine Analogie ist zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 3. Februar 2015 - II ZR 105/13, ZIP 2015, 778 Rn. 11; Beschluss vom 23. September 2014 - II ZB 4/14, ZIP 2014, 2344 Rn. 12 mwN). Es fehlt sowohl wegen § 6 Abs. 3 Satz 2 SpruchG an einer Lücke als auch an der Vergleichbarkeit.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Generalstaatsanwaltschaft gegen das Urteil des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 17. Dezember 2012 wird gemäß § 79 Abs. 5 OWiG verworfen.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenbetroffenen entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

1

Das Oberlandesgericht hat die Nebenbetroffene vom Vorwurf einer Kartellordnungswidrigkeit freigesprochen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Generalstaatsanwaltschaft, der das Bundeskartellamt beitritt. Der Generalbundesanwalt beantragt ihre Verwerfung gemäß § 79 Abs. 5 OWiG. Die Europäische Kommission hat nach Art. 15 Abs. 3 Satz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 Stellung genommen.

I.

2

Das Oberlandesgericht hat die Nebenbetroffene freigesprochen, weil die Voraussetzungen für eine bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit nach § 30 Abs. 1 OWiG nicht vorlägen.

3

1. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts ist die Nebenbetroffene Gesamtrechtsnachfolgerin der maxit Deutschland GmbH (im Folgenden: Maxit), eines bundesweit in der Herstellung und im Vertrieb von Trockenmörtel tätigen Unternehmens. Maxit wurde durch notariell beurkundeten Vertrag vom 16. Juni 2009 auf die Nebenbetroffene verschmolzen, die Verschmelzung am 20. Juli 2009 in das Handelsregister eingetragen.

4

Zu den Größenverhältnissen der beiden Verschmelzungsbeteiligten hat das Oberlandesgericht festgestellt, dass Maxit zum Stichtag 31. Dezember 2008 Eigenkapital in Höhe von 16 Millionen Euro, Sachanlagen in Höhe von 43 Millionen Euro und Finanzanlagen in Höhe von 8 Millionen Euro aufwies. Die Umsatzerlöse im Jahr 2008 betrugen 214 Millionen Euro; bei Maxit waren im Jahr 2008 durchschnittlich 935 Mitarbeiter beschäftigt. Für die Nebenbetroffene ergaben sich vor der Verschmelzung zum Stichtag ein Eigenkapital in Höhe von 48 Millionen Euro, Sachanlagen in Höhe von 19 Millionen Euro und Finanzanlagen in Höhe von 4,6 Millionen Euro. Sie erzielte im Jahr 2008 Umsatzerlöse in Höhe von 80 Millionen Euro; bei ihr waren 289 Mitarbeiter beschäftigt.

5

Gegen Maxit ist ein Bußgeldbescheid erlassen worden, weil ihr damaliger - mittlerweile rechtskräftig mit einem Bußgeld belegter - Geschäftsführer sich bei einem Treffen am 27. Oktober 2005 mit anderen Spitzenvertretern von Mörtelherstellern über die jeweils bestehenden Absichten im Hinblick auf die Einführung einer Silostellgebühr ausgetauscht habe und die Hersteller, die Mörtelmengen über 5 Tonnen in Silos direkt an die Baustellen der Verarbeiter transportieren, in der Folgezeit bei ihren Abnehmern ein zusätzliches Entgelt für die Silogestellung durchsetzten.

6

2. Das Oberlandesgericht ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Verhängung einer Geldbuße gegen die Nebenbetroffene nach § 30 OWiG nicht vorlägen. Der Geschäftsführer sei nur für Maxit, nicht aber für die Nebenbetroffene tätig geworden. Im Zeitpunkt der Verschmelzung sei die Kartellordnungswidrigkeit des Geschäftsführers bereits beendet gewesen. Nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs komme eine Erstreckung der bußgeldrechtlichen Haftung auf den Rechtsnachfolger nur in Betracht, wenn zwischen der früheren und der neuen Vermögensverbindung Identität oder Nahezu-Identität bestünde. Zwar belegten die festgestellten Zahlen in nahezu allen Punkten (Sachanlagen, Finanzanlagen, Umsätze und Zahl der Mitarbeiter) ein relatives Übergewicht der Maxit. Auf eine im bußgeldrechtlichen Sinne hinreichende Prägung des Gesamtvermögens durch das übernommene Vermögen könne hieraus aber nicht geschlossen werden.

7

Aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 1/2003 lasse sich ebenfalls keine Bußgeldhaftung der Nebenbetroffenen herleiten. Dies gelte schon deshalb, weil das zur Last gelegte Verhalten nicht geeignet gewesen sei, den zwischenstaatlichen Handel spürbar zu beeinträchtigen, und somit nicht gegen Art. 81 EG (jetzt: Art. 101 AEUV) verstoßen habe. Ein durch die Silostellgebühr verursachter Preisanstieg könne Mörteleinlieferungen aus dem benachbarten Ausland allenfalls begünstigt, nicht aber erschwert haben. Zudem ermächtige Art. 5 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 1/2003 die nationalen Wettbewerbsbehörden lediglich zur Ahndung nach den Regeln ihres nationalen Rechts. Dieses schon vom Wortlaut der Norm nahegelegte Normverständnis werde durch die Entstehungsgeschichte bestätigt, nach der keine Harmonisierung der einzelstaatlichen Sanktionen habe erfolgen sollen.

II.

8

Die Rechtsbeschwerde der Generalstaatsanwaltschaft ist unbegründet.

9

Die erhobenen Verfahrensrügen, mit denen die Rechtsbeschwerde die Annahme des Oberlandesgerichts angreifen will, das Maxit vorgeworfene abgestimmte Verhalten sei nicht geeignet gewesen, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, bedürfen keiner Erörterung. Das Urteil kann insoweit auf einem etwaigen Verfahrensmangel ebenso wenig beruhen wie auf einem sachlich-rechtlichen Fehler bei der Prüfung möglicher Auswirkungen des abgestimmten Verhaltens auf den Binnenmarkt. Denn aus den nicht angegriffenen Feststellungen des Oberlandesgerichts ergibt sich, dass die Nebenbetroffene weder für einen Verstoß des Geschäftsführers der Maxit gegen § 1 GWB noch für einen Verstoß gegen Art. 81 EG eine bußgeldrechtliche Verantwortung trägt.

10

1. Die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen bestimmt sich nach § 30 OWiG.

11

a) Nach der hier maßgeblichen, bis zum 29. Juni 2013 geltenden Fassung dieser Vorschrift kann eine Verbandsgeldbuße nur dann gegen die juristische Person festgesetzt werden, wenn ein Organ oder ein für sie in Leitungsfunktion tätiger Mitarbeiter eine Ordnungswidrigkeit begangen hat (§ 30 Abs. 1 OWiG). Die Verhängung einer Geldbuße setzt danach eine unmittelbare Beziehung zwischen dem Täter und der juristischen Person voraus, für die er gehandelt hat. In den Fällen der Gesamtrechtsnachfolge durch Verschmelzung entfällt diese Beziehung mit der Wirksamkeit der Verschmelzung, weil die verschmolzene juristische Person ab diesem Zeitpunkt erloschen ist (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG). Zu der juristischen Person, auf die verschmolzen wurde, steht der Täter aber, wenn er nicht für diese gehandelt hat, in keiner solchen Beziehung. Da die Verfassungsgewährleistung nach Art. 103 Abs. 2 GG nur dann eine Ahndung zulässt, wenn diese gesetzlich bestimmt ist, hat der Senat unter der Geltung des § 30 OWiG aF eine generelle Bußgeldverantwortung des Rechtsnachfolgers ausgeschlossen, weil hierüber der Gesetzgeber zu befinden hätte (BGH, Beschluss vom 10. August 2011 - KRB 55/10, BGHSt 57, 193 - Versicherungsfusion). Der Gesetzgeber hat hierauf mit dem 8. Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1738) reagiert. Die mit diesem Gesetz eingefügte Vorschrift des § 30 Abs. 2a OWiG, nach der im Falle einer Gesamtrechtsnachfolge oder einer partiellen Gesamtrechtsnachfolge durch Aufspaltung (§ 123 Abs. 1 UmwG) die Geldbuße gegen den oder die Rechtsnachfolger festgesetzt werden kann und die in einem Fall wie dem vorliegenden die Verhängung eines Bußgelds gegen den Gesamtrechtsnachfolger erlaubte, kann auf die hier zu beurteilende Tat indes keine rückwirkende Anwendung finden (nulla poena sine lege; Art. 103 Abs. 2 GG, Art. 49 Abs. 1 Satz 1 GR-Charta).

12

b) Allerdings kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit des Rechtsnachfolgers auch nach § 30 OWiG aF angenommen werden, wenn zwischen der früheren und der neuen Vermögensverbindung nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise nahezu Identität besteht. Eine solche wirtschaftliche Identität ist allerdings nur gegeben, wenn das "haftende Vermögen" weiterhin vom Vermögen des gemäß § 30 OWiG Verantwortlichen getrennt, in gleicher oder in ähnlicher Weise wie bisher eingesetzt wird und in der neuen juristischen Person einen wesentlichen Teil des Gesamtvermögens ausmacht (BGH aaO, Beschlüsse vom 11. März 1986 - KRB 8/85, WUW/E 2265, 2267 - Bußgeldhaftung; vom 23. November 2004 - KRB 23/04, NJW 2005, 1381, 1383 - nicht verlesener Handelsregisterauszug; vom 4. Oktober 2007 - KRB 59/07, BGHSt 52, 58 Rn. 7 - Akteneinsichtsgesuch; vom 10. August 2011 - KRB 55/10, BGHSt 57, 193 Rn. 16 - Versicherungsfusion).

13

c) Entgegen der Auffassung des Bundeskartellamts erlaubt § 81 Abs. 4 Satz 2 GWB 2005 für den Zeitraum nach der 7. GWB-Novelle keine andere Beurteilung. Denn der Bezug dieser Regelung auf das "Unternehmen" und die Bestimmung seines Umsatzes betrifft allein die Rechtsfolgenseite, während die Frage, ob eine juristische Person überhaupt durch das Handeln ihrer Leitungsperson mit einem Bußgeld belegt werden darf, abschließend durch § 30 OWiG bestimmt wird; die in § 30 Abs. 1 OWiG vorgesehene Begrenzung der Ahndung einer Organtat gegenüber derjenigen („dieser“) juristischen Person, deren Organ die Tat begangen hat, vermag § 81 Abs. 4 Satz 2 GWB 2005 nicht aufzuheben (vgl. BGHSt 57, 193 Rn. 21 - Versicherungsfusion). Mit der Einfügung von § 30 Abs. 2a OWiG hat der Gesetzgeber im Übrigen an der Anknüpfung bei der juristischen Person festgehalten (vgl. Raum in Langen/Bunte, Kartellrecht, 12. Aufl., § 81 GWB Rn. 42) und damit bestätigt, dass § 30 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 81 GWB und mithin das bis zum Inkrafttreten der 8. GWB-Novelle geltende nationale Recht eine über die vorstehenden Grundsätze hinausgehende bußgeldrechtliche Inanspruchnahme des Gesamtrechtsnachfolgers nicht erlaubte (vgl. BT-Drucks. 17/9852, S. 40, 49; 17/11053, S. 20).

14

2. Nach diesen Grundsätzen besteht keine bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit der Nebenbetroffenen nach § 30 Abs. 1 OWiG. Die Voraussetzung einer Nahezu-Identität zwischen dem Vermögen der verschmolzenen Gesellschaft und dem der Nebenbetroffenen hat das Oberlandesgericht rechtsfehlerfrei verneint.

15

a) Zwar lässt sich bei den aufgeführten wirtschaftlichen Parametern ein deutliches Übergewicht von Maxit feststellen. Mit Ausnahme des Eigenkapitals, das zum Verschmelzungsstichtag bei Maxit nur etwa 25 % des Eigenkapitals der Nebenbetroffenen aufwies, liegt bei den anderen Kennzahlen durchschnittlich ein Verhältnis von 2:1 zugunsten von Maxit vor. Dies betrifft Finanzanlagen, Mitarbeiterzahl, Umsätze und Produktionsstandorte. Ein solcher wirtschaftlicher Größenunterschied reicht aber nicht aus, um eine Nahezu-Identität des ursprünglichen Vermögens von Maxit und dem der Nebenbetroffenen nach der Verschmelzung anzunehmen. Auch eine Gesamtbetrachtung, die einen längeren Zeitraum nach der Verschmelzung umfasst, ergibt - wie das Oberlandesgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat - nicht, dass die frühere Maxit als unternehmerischer Vermögenswert die durch die Verschmelzung konstituierte Nebenbetroffene so maßgeblich geprägt hätte, dass von einem (nahezu) einheitlichen Vermögenswert ausgegangen werden könnte.

16

b) Unbeachtlich bleibt in diesem Zusammenhang weiterhin der Umstand, dass die Nebenbetroffene bereits vor der Übernahme alle Geschäftsanteile der Maxit gehalten hatte. Das gilt hier schon deshalb, weil dies zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung noch nicht der Fall war.

17

3. An dem Ergebnis, dass nach den hier maßgeblichen Rechtgrundlagen in § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. § 30 OWiG aF ein Bußgeld gegen die Nebenbetroffene nicht verhängt werden kann, vermag auch eine unionsrechtskonforme Auslegung dieser Bestimmungen nichts zu ändern.

18

a) Allerdings hat die Kommission in ihrer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass es der allgemeine Grundsatz der effektiven Durchsetzung des Wettbewerbsrechts der Union (vgl. dazu EuGH, Slg. 2011, I-5161 Rn. 19 mwN = WuW/E EU-R 1975 - Pfleiderer) erfordert, dass das nationale Recht wirksame und hinreichend abschreckende Sanktionen bereithält (vgl. EuGH, Slg. 2009 I-4833 Rn. 37 = WuW/E EU-R 1572 - X BV; Urteil vom 18. Juni 2013 - C-681/11, WuW/E EU-R 2754 Rn. 35 f. - Schenker; Dannecker/Biermann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., Vor Art. 23 VO 1/2003 Rn. 9 mwN; siehe auch EuGH, Slg. 2005, I-3565 Rn. 53 - Berlusconi). Damit geht die Pflicht der mitgliedstaatlichen Gerichte einher, das einzelstaatliche Recht möglichst so auszulegen, dass bei einer - hier zu Gunsten der Rechtsbeschwerde unterstellten - Zuwiderhandlung gegen Art. 81, 82 EG (Art. 101, 102 AEUV) effektive Sanktionen verhängt werden können.

19

Bei der Auslegung der einzelstaatlichen Vorschriften müssen die Gerichte der Mitgliedstaaten zur wirksamen Durchsetzung des Unionsrechts im Rahmen der Wortlautgrenze und unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts alle verfügbaren Spielräume nutzen (vgl. EuGH, Slg. 2009 I-6653 Rn. 60 ff. - Mono Car Styling; BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 Rn. 21 mwN; BVerfG, NJW 2012, 669 Rn. 46 ff. mwN), deren Bestimmung nach nationalen Auslegungsmethoden allerdings den innerstaatlichen Gerichten obliegt (EuGH, Slg. 2009 I-6653 Rn. 63 - Mono Car Styling; Urteil vom 28. Juni 2012 - C-7/11, juris Rn. 54 - Caronna; BVerfG, NJW 2012, 669 Rn. 47 f. mwN). Die Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung findet aber in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, insbesondere im Grundsatz der Rechtssicherheit, insofern ihre Schranken, als sie nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem, also entgegen den nach nationalem Recht zulässigen Methoden richterlicher Rechtsfindung, dienen darf (vgl. EuGH, Slg. 2009 I-6653 Rn. 60 ff. mwN - Mono Car Styling; BGHZ 179, 27 Rn. 19 ff. mwN; BGH, Urteil vom 3. Juli 2014 - I ZR 30/11, WRP 2014, 1203 Rn. 46 mwN; BVerfG, aaO).

20

Diese Grundsätze gelten in besonderer Weise für Vorschriften auf dem Gebiet des Strafrechts (siehe dazu EuGH, Slg. 2005, I-5285 Rn. 47 - Pupino; KK-OWiG/Rogall, 4. Aufl., § 3 Rn. 83 mwN), bei deren Auslegung dem im deutschen und europäischen Verfassungsrecht verankerten Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 Abs. 2 GG; Art. 49 Abs. 1 GR-Charta; Art. 7 MRK) und somit auch der Wortsinngrenze besondere Bedeutung zukommt (vgl. LK-StGB/Dannecker, 12. Aufl., § 1 Rn. 348 ff.; Hassemer/Kargl in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Aufl., § 1 Rn. 111a; Jarass, EU-GRCharta, 2. Aufl., Art. 49 Rn. 11). Eine gesetzlich nicht vorgesehene strafrechtliche Verantwortlichkeit kann danach auf eine unionsrechtskonforme Auslegung selbst dann nicht gestützt werden, wenn die in Rede stehende nationale Regelung sich andernfalls als unionsrechtswidrig erweisen könnte (EuGH, Urteil vom 28. Juni 2012 - C-7/11, juris Rn. 52 - Caronna; vgl. EuGH, Slg. 2005, I-3565 Rn. 74 mwN - Berlusconi).

21

b) Das Oberlandesgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die hier anzuwendenden Bestimmungen in § 81 GWB und § 30 OWiG aF ihrem Wortlaut nach eine bußgeldrechtliche Inanspruchnahme der Nebenbetroffenen nicht zu rechtfertigen vermögen. Mit Blick auf das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG setzt die Erstreckung der bußgeldrechtlichen Haftung auf einen Rechtsnachfolger in Anbetracht der Wortsinngrenze des § 30 OWiG aF im Anwendungsbereich dieser Vorschrift - wie bereits ausgeführt - voraus, dass dieser bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise nahezu identisch mit der früheren Vermögensverbindung in dem Sinne ist, dass das "haftende Vermögen" weiterhin vom Vermögen des gemäß § 30 OWiG Verantwortlichen getrennt, in gleicher oder in ähnlicher Weise wie bisher eingesetzt wird und in der neuen juristischen Person einen wesentlichen Teil des Gesamtvermögens ausmacht (BGHSt 57, 193 Rn. 12 ff. - Versicherungsfusion).

22

4. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Oberlandesgericht es rechtsfehlerfrei abgelehnt, gegen die Nebenbetroffene ein auf Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 i.V.m. Art. 81 EG (jetzt: Art. 101 AEUV) als eigenständige Befugnisnorm gestütztes Bußgeld zu verhängen.

23

a) Nach der europäischen Rechtspraxis ist es zwar möglich, dass die Kommission auch den aus der Verschmelzung hervorgegangenen Rechtsträger für die Zahlung einer Geldbuße in Haftung nimmt. Da nach Art. 23 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 das Unternehmen Adressat einer bußgeldrechtlichen Ahndung durch die Kommission sein kann, besteht im Unionsrecht keine § 30 Abs. 1 OWiG vergleichbare starre Anbindung an den Rechtsträger, für den die kartellordnungswidrig handelnde natürliche Person tätig geworden ist. Dies hat auch zur Folge, dass die Kommission gegen den Rechtsnachfolger ein Bußgeld verhängen darf, wenn das ursprünglich haftende Unternehmen nicht mehr existiert, weil es von einem Erwerber übernommen wurde. In diesem Fall kann die Verantwortung für die von dem übernommenen Unternehmen begangene Zuwiderhandlung dem Erwerber und Rechtsnachfolger zugerechnet werden (EuGH, Urteil vom 5. Dezember 2013, C-448/11 Rn. 28 - SNIA; Slg. 2009, I-8681 Rn. 85 = WuW/E EU-R 1633 - Erste Group Bank). Dies gilt jedenfalls, soweit das übernehmende Unternehmen - was hier nicht zweifelhaft wäre - in der wirtschaftlichen Kontinuität zu dem übernommenen Unternehmen steht (vgl. EuGH, Slg. 2004, I-123 Rn. 359 = WuW/E EU-R 899 - Aalborg Portland).

24

b) Art. 23 VO (EG) Nr. 1/2003 ermächtigt indes allein die Kommission und nicht die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten, die dort normierten Entscheidungen zu treffen. Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 enthält keine Verweisung, aus der sich anderes schließen ließe.

25

Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) Nr. 1/2003 sind die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten für die Anwendung der Artikel 81 und 82 EGV (jetzt Art. 101 f. AEUV) zuständig. Sie können hierzu die in Satz 2 dieser Vorschrift genannten Entscheidungen erlassen. Aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2, 4. Spiegelstrich VO (EG) Nr. 1/2003 ergibt sich indes im Verhältnis zum Bürger keine über die einzelstaatliche Ermächtigung hinausgehende Grundlage für die Verhängung europäischer Geldbußen. Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 rechtfertigt es insbesondere nicht, unabhängig von nationalen Bestimmungen über die Begründung einer Bußgeldhaftung jeden Rechtsträger, der zu einem Unternehmen im Sinn des europäischen Wettbewerbsrechts gehört, das den Art. 101, 102 AEUV zuwidergehandelt hat, nach denselben Grundsätzen in die Haftung zu nehmen, die im Rahmen des Art. 23 VO (EG) Nr. 1/2003 gelten. Die Auferlegung einer Sanktion wegen Zuwiderhandlung gegen das europäische Kartellrecht durch die Behörden der Mitgliedstaaten muss vielmehr sowohl hinsichtlich Grund als auch Höhe von dem jeweiligen einzelstaatlichen Recht gedeckt sein.

26

Die Rechtsbeschwerde (ebenso Ost in Bien, Das deutsche Kartellrecht nach der 8. GWB-Novelle, S. 305, 314 ff.) macht demgegenüber geltend, Art. 5 Abs. 1 Satz 2, 4. Spiegelstrich VO (EG) Nr. 1/2003 berechtige dem Grunde nach dazu, Unternehmen im Sinn des europäischen Wettbewerbsrechts mit einer Geldbuße zu belegen, die das nationale Recht nur der Höhe nach näher ausgestalte, und dabei nach den für Entscheidungen der Kommission gemäß Art. 23 VO (EG) Nr. 1/2003 anerkannten Grundsätzen den Adressaten auszuwählen. Diese Auffassung der Rechtsbeschwerde trifft nicht zu. Sie widerspricht nicht nur der ganz überwiegenden Literaturmeinung (dazu unten aa), sondern auch dem Wortlaut und dem aus der Entstehungsgeschichte ersichtlichen Willen des Verordnungsgebers sowie dem mit Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 insoweit verfolgten Zweck (dazu unten bb).

27

aa) Nach der nahezu einhelligen Auffassung im Schrifttum stellt Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 im Verhältnis zum Bürger keine Rechtsgrundlage für die Verhängung unionsrechtlicher Geldbußen dar (Sura in Langen/Bunte, Kartellrecht, 12. Aufl., Art. 5 VO 1/2003 Rn. 9 f.; KK-KartR/Schütz, Art. 5 VO 1/2003 Rn. 6 f.; MünchKommWettbR/Bauer, Art. 5 VO 1/2003 Rn. 3 ff.; Ritter in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., Art. 5 VO (EG) 1/2003 Rn. 1 mit Fn. 1, Rn. 3, 7; Dannecker/Biermann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., Vor § 81 GWB Rn. 19, 22; Klees, Europäisches Kartellverfahrensrecht, § 7 Rn. 49; Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, 3. Aufl., Art. 5 VO 1/2003 Rn. 9 f., 12 aE; Puffer-Mariette in Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., Art. 5 VO 1/2003 Rn. 12 mit Fn. 33 f., Rn. 16, 20; O. Weber in Schulte/Just, Kartellrecht, Art. 5 VO 1/2003 Rn. 4, 9 f.; Bürger, WuW 2011, 130, 132, 134; de Bronett, Europäisches Kartellverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 5 Rn. 7; Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, § 8 Rn. 10, 22 ff.; Dalheimer in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Stand März 2005, Art. 5 VO Nr. 1/2003 Rn. 17; Hossenfelder in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl., Art. 5 VO 1/2003/EG Rn. 3; FK/Achenbach, Stand Okt. 2011, § 81 GWB Rn. 23; Petsche/Lager/Metzlaff in Liebscher/Flohr/Petsche, Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 2. Aufl., § 6 Rn. 4 mit Fn. 9, Rn. 11; wohl auch Bechtold, Kartellgesetz, 7. Aufl., § 81 Rn. 5; im Grundsatz auch FK/Jaeger, Stand Okt. 2007, Art. 5 VO 1/2003 Rn. 14; vgl. auch Generaldirektor der Europäischen Kommission Italianer, S. 2 der Anlage zu BKartA, Stellungnahme zum RegE der 8. GWB-Novelle; GAin Kokott, Schlussanträge vom 8. September 2011 - C-17/10 Rn. 58 - Toshiba Corporation; Raum in Langen/Bunte, Kartellrecht, 12. Aufl., § 81 GWB Rn. 76; aA nur Ost in Bien, Das deutsche Kartellrecht nach der 8. GWB-Novelle, S. 305, 314 ff.; ohne konkrete Begründung auch Mäsch/van der Hout, Kartellrecht, Art. 5 VerfVO Rn. 4; möglicherweise auch Jung in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl., Art. 104 AEUV Rn. 5).

28

bb) Wie das Oberlandesgericht zutreffend ausgeführt hat, sprechen sowohl die Gesetzessystematik als auch die Entstehungsgeschichte dafür, dass mit Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 lediglich im Verhältnis zwischen der Union und den Mitgliedstaaten Entscheidungsbefugnisse und Aufgaben zur Stärkung der dezentralen Anwendung des Unionsrechts (Erwägungsgründe 6 und 34 der Verordnung) auf die Mitgliedstaaten übertragen werden sollten, ohne dabei eine eigenständige Rechtsgrundlage für das Tätigwerden der nationalen Wettbewerbsbehörden gegenüber dem Bürger zu schaffen (in diese Richtung wohl auch GAin Kokott, Schlussanträge vom 28. Februar 2013 - C-681/11 Rn. 113 - Schenker). Wortlaut und Aufbau der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 legen nahe, dass die im Kapitel II („Zuständigkeit“) enthaltenen Regelungen der Art. 4 und 5 vor allem die parallele Zuständigkeit der Kommission und der einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörden für die Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts statuieren. Abgesehen von der Ermächtigung der nationalen Wettbewerbsbehörden zum Entzug des Rechtsvorteils einer Gruppenfreistellung (Art. 29 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003) enthält die Verordnung konkrete Regelungen nur für die von der Kommission zu treffenden Entscheidungen nach Art. 7 ff. und 23 f. VO (EG) Nr. 1/2003. Auf die erst dort vorgesehenen konkreten Eingriffsbefugnisse verweist lediglich die den Aufgabenbereich der Kommission betreffende Zuständigkeitsbestimmung in Art. 4 VO (EG) Nr. 1/2003, nicht jedoch die die Mitgliedstaaten betreffende Zuständigkeitsregelung in Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003.

29

Nach der eindeutigen Begründung im Vorschlag der Kommission (KOM/2000/0582 endg.) enthält Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 keine Harmonisierung der einzelstaatlichen Sanktionen, worauf auch die Kommission in ihrer Stellungnahme zum Rechtsbeschwerdeverfahren hinweist. Ein Vorschlag des Europäischen Parlaments, Art. 5 Abs. 1 Satz 2, 4. Spiegelstrich des Kommissionsentwurfs dahin abzuändern, dass die nationalen Behörden zur Verhängung von Geldbußen und Zwangsgeldern nach Art. 22, 23 des Entwurfs (jetzt: Art. 23, 24 VO (EG) Nr. 1/2003) oder sonstigen nach Europäischem Wettbewerbsrecht vorgesehenen Sanktionen befugt sind (A5-0229/2001, ABl. 2002 C 72 E/305, 306, vgl. Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Währung vom 21. Juni 2001, A5-0229/2001, S. 7 f.), ist nicht übernommen worden. Vielmehr blieb es bei der Ermöglichung einzelstaatlicher Sanktionen mit dem Ziel, die dezentrale Durchsetzung des Kartellrechts zu fördern.

30

cc) Diesem Verständnis von Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 steht auch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 3. Mai 2011 (C-375/09, Slg. 2011, I-3055, 3082 - Tele2 Polska) nicht entgegen. Dieser Entscheidung ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 ohne weiteres belastende Maßnahmen der einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörden rechtfertigt. Der Gerichtshof hat dort lediglich entschieden, dass Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 als unmittelbar anwendbare Vorschrift der Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, die zu einer verfahrensbeendenden Entscheidung verpflichten würde, mit der ein Verstoß gegen Art. 102 AEUV verneint wird. Denn insoweit erlaubt das Unionsrecht den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten lediglich zu entscheiden, dass für sie kein Anlass zum Tätigwerden besteht (EuGH, aaO Rn. 32 ff. - Tele2 Polska).

31

c) Der Senat kann insoweit über die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2, 4. Spiegelstrich VO (EG) Nr. 1/2003 in eigener Verantwortung entscheiden.

32

aa) Eine Ausnahme von der Pflicht letztinstanzlicher Gerichte nach Art. 267 Abs. 3 AEUV, den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung zur Auslegung des Unionsrechts zu ersuchen, ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt, wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. Ob ein solcher Fall gegeben ist, ist unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts - insbesondere im Lichte seiner Ziele und seines Entwicklungsstands zur Zeit der Anwendung der betreffenden Vorschrift insgesamt -, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Gemeinschaft zu beurteilen (vgl. nur EuGH, Slg. 1982, 3417 Rn. 16 ff. - CILFIT; BGH, Beschluss vom 26. November 2007 - NotZ 23/07, BGHZ 174, 273 Rn. 34 mwN).

33

bb) Gemessen an diesem Maßstab erweist sich die Ansicht der Rechtsbeschwerde als offenkundig unzutreffend. Auch der Gerichtshof geht ersichtlich davon aus, dass die Regelung der Voraussetzungen für den Erlass von Sanktionen im Sinn des Art. 5 Abs. 1 Satz 2, 4. Spiegelstrich VO (EG) Nr. 1/2003 den Mitgliedstaaten obliegt. Soweit das einzelstaatliche Recht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs mit Blick auf die Voraussetzungen für die Verhängung solcher Sanktionen mindestens genauso streng sein muss wie Art. 23 VO (EG) Nr. 1/2003, damit die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht in Frage gestellt wird (EuGH, WuW/E EU-R 2754 Rn. 35 f. - Schenker), betrifft dies nämlich die Frage, ob die einzelstaatlichen Regelungen dem Erfordernis einer effektiven Durchsetzung des Wettbewerbsrechts - gegebenenfalls bei unionsrechtskonformer Auslegung - genügen. Eine unmittelbare Anwendung von Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 als Rechtsgrundlage für einzelstaatliche Geldbußen, die - sei es nur teilweise - an die Stelle der erforderlichen nationalen Sanktionsregelung tritt, wird dadurch aber nicht eröffnet. Nicht anders geht die Kommission in ihrer Stellungnahme zur Rechtsbeschwerde davon aus, dass die Verhängung von Geldbußen durch einzelstaatliche Gerichte nach einzelstaatlichem Recht zu erfolgen hat, welches allerdings unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Effektivitätsgebots auszugestalten und im Rahmen gegebenenfalls vorhandener Spielräume auszulegen ist.

34

cc) Abweichende Entscheidungen mitgliedstaatlicher Behörden oder Gerichte oder der Unionsgerichte sind nicht ersichtlich und - auch bei der gebotenen Berücksichtigung der verschiedenen sprachlichen Fassungen der Verordnung (vgl. BGHZ 174, 273 Rn. 34 mwN) - in Anbetracht der eindeutigen Entstehungsgeschichte von Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 nicht zu erwarten. Die von der Rechtsbeschwerde angeführte Entscheidung des Unionsgerichtshofs (Slg. 2011, I-3055, 3082 - Tele2 Polska) begründet aus den bereits dargelegten Gründen und im Übrigen schon deshalb keine Zweifel an der richtigen Auslegung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2, 4. Spiegelstrich VO (EG) Nr. 1/2003, weil sie sich nicht mit Sanktionen befasst. Die ihr vorangegangenen Schlussanträge des Generalanwalts Mazák (Slg. 2011, I-3055, 3058) enthalten ebenfalls keine Äußerung dahin, dass Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 auch als Rechtsgrundlage für die Verhängung von Sanktionen dienen könnte.

35

d) Dahinstehen kann nach alledem, ob im Übrigen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung, Art. 5 VO (EG) Nr. 1/2003 sei dem Grunde nach und in Verbindung mit Art. 101 AEUV sowie § 81 GWB als Rechtsgrundlage für die Verhängung von Unternehmensgeldbußen geeignet, der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen gemäß Art. 49 Abs. 1, 2 GR-Charta entgegenstünde.

Limperg                       Meier-Beck                        Raum

                 Strohn                            Deichfuß

(1) Die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde kann von den am Beschwerdeverfahren Beteiligten durch Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden.

(2) Über die Nichtzulassungsbeschwerde entscheidet der Bundesgerichtshof durch Beschluss, der zu begründen ist. Der Beschluss kann ohne mündliche Verhandlung ergehen.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat schriftlich bei dem Oberlandesgericht einzulegen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung.

(4) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts zu begründen. Die Frist kann auf Antrag von dem oder der Vorsitzenden verlängert werden. In der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde müssen die Zulassungsgründe des § 77 Absatz 2 dargelegt werden.

(5) Die Nichtzulassungsbeschwerdeschrift und -begründung müssen durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein; dies gilt nicht für Nichtzulassungsbeschwerden der Kartellbehörden.

(6) Wird die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen, so wird die Entscheidung des Oberlandesgerichts mit der Zustellung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs rechtskräftig. Wird die Rechtsbeschwerde zugelassen, so wird das Verfahren als Rechtsbeschwerdeverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Rechtsbeschwerde. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Frist für die Begründung der Rechtsbeschwerde.