Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Dez. 2018 - IV ZB 10/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Lehmann, die Richterinnen Dr. Brockmöller und Dr. Bußmann am 19. Dezember 2018
beschlossen:
Gründe:
- 1
- I. Der Kläger fordert von der Beklagten nach einem Widerspruch gegen das Zustandekommen einer im Jahr 2000 nach dem sogenannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden : § 5a VVG a.F.) abgeschlossenen fondsgebundenen Lebensversicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, § 818 Abs. 1 BGB die Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge sowie die Herausgabe von Nutzungen, die die Beklagte aus den Beiträgen gezogen haben soll.
- 2
- Nachdem der Kläger den Versicherungsvertrag zunächst gekündigt und die Beklagte daraufhin den Rückkaufswert ausgezahlt hatte, erklärte der Kläger im Jahr 2015 den Widerspruch des Vertrages. Er meint, das Widerspruchsrecht habe zum Zeitpunkt der Erklärung noch bestanden, weil die Widerspruchsfrist gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. nicht zu laufen begonnen habe und § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. nicht anwendbar sei.
- 3
- Der Kläger hat die bereicherungsrechtliche Forderung auf 4.316,21 € beziffert und so berechnet, dass er von der Summe der gezahlten Versicherungsbeiträge einen Risikoanteil, den erhaltenen Rückkaufswert sowie Fondsverluste abgezogen und Nutzungen in Höhe von 3.728,39 € hinzugerechnet hat.
- 4
- Das Amtsgericht hat die Klage wegen Verwirkung abgewiesen und den Streitwert auf 4.316,21 € festgesetzt. Das Landgericht hat die Berufung des Klägers verworfen, weil die Beschwer 600 € nicht übersteige; der Streitwert sei auf 587,82 € festzusetzen. Der Anspruch auf Herausgabe der Nutzungen werde als Nebenforderung im Sinne des § 4 ZPO geltend gemacht, da der Rückkaufswert nach den Tarifbedingungen der Lebensversicherung nicht die Beitragsanteile enthalten könne, aus denen die Beklagte nach dem Vortrag des Klägers die Nutzungen gezogen haben soll. Diese Beitragsanteile seien folglich im klägerischen Antrag enthalten und der Nutzungsherausgabeanspruch bei der Berechnung des Streitwerts daher nicht zu berücksichtigen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
- 5
- II. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
- 6
- 1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Eine Ent- scheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Kläger - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt - in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), das es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Juni 2018 - IV ZB 10/17, NJW-RR 2018, 957 Rn. 6 m.w.N.).
- 7
- 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landgericht die Berufung nicht als unzulässig verwerfen. Der Wert des Beschwerdegegenstandes der Berufung beträgt 4.316,21 € und übersteigt damit die Wertgrenze von 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), weil der vom Kläger geltend gemachte Nutzungsherausgabeanspruch im Streitfall nicht als Nebenforderung im Sinne des § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO zu qualifizieren ist.
- 8
- Verlangt ein Versicherungsnehmer gestützt auf einen Widerspruch nach § 5a VVG a.F. die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages, ist ein in diesem Rahmen geltend gemachter Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen bei der Streitwertberechnung zu berücksichtigen. Das ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO.
- 9
- Die Vorschrift bezweckt eine praktische, einfache und klare Wertermittlung , da von der Wertfestsetzung die sachliche Zuständigkeit der Gerichte und die Zulässigkeit von Rechtsmitteln abhängt (vgl. Senatsbeschluss vom 2. März 1994 - IV ZR 270/93, juris Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom 27. Juni 2013 - III ZR 143/12, NJW 2013, 3100 Rn. 8; vom 7. Ok- tober 1976 - VII ZR 95/76, WM 1976, 1201; vom 6. Oktober 1960 - VII ZR 42/59, NJW 1960, 2336; vom 23. November 1956 - V ZR 32/55, NJW 1957, 103, 104; Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen , Band 2, Abteilung 1, 2. Aufl. S. 147; MünchKomm-ZPO/Wöstmann , 5. Aufl. § 4 Rn. 1; Roth in Stein/Jonas, ZPO 23. Aufl. § 4 Rn. 1, 16; Kruis in Wieczorek/Schütze, ZPO 4. Aufl. § 4 Rn. 2, 18). Dieser Zweck einer Vereinfachung der Berechnung würde verfehlt, wenn es in Fällen der vorliegenden Art für die Streitwertermittlung darauf ankäme, ob und in welchem Umfang der eingeklagte Nutzungsherausgabeanspruch in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem weiter geltend gemachten Anspruch auf Rückzahlung der Versicherungsbeiträge steht, von diesem also sachlich rechtlich abhängt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2016 - IX ZR 60/16, juris Rn. 2 m.w.N.). Dies kann hier von Fall zu Fall insbesondere danach variieren, mit welchem der Ansprüche der an den Versicherungsnehmer typischerweise ausgezahlte Rückkaufswert in welcher Höhe zu verrechnen ist. Hierfür kommt es nicht nur darauf an, wie die Frage nach der Verrechnung des Rückkaufswerts abstraktgenerell zu beantworten ist - dazu werden in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung verschiedene Positionen vertreten (vgl. OLG Karlsruhe VersR 2017, 1420 unter 1 [juris Rn. 3 ff.] m.w.N.). Es bestimmt sich, wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen hat, auch nach den Umständen des Einzelfalles, deren rechtliche Bewertung unterschiedlich ausfallen kann.
- 10
- Auf dieser vielschichtigen Grundlage wäre es für die Parteien in derartigen Prozessen häufig kaum möglich, im Vorhinein zu erkennen, welches Gericht sachlich zuständig ist und ob ein Rechtsmittel zulässigerweise eingelegt werden kann, wenn die volle oder teilweise (Nicht-) Berücksichtigung des Nutzungsherausgabeanspruchs insofern zu unterschiedlichen Ergebnissen führte; die insbesondere auch in ihrem Inte- resse gebotene praktische, einfache und klare Wertermittlung wäre nicht mehr gewährleistet. Der § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO zugrunde liegende Vereinfachungsgedanke spricht daher entscheidend dafür, den Nutzungsherausgabeanspruch des Versicherungsnehmers in Fällen der vorliegenden Art unabhängig von den Umständen des Einzelfalles bei der Streitwertbemessung zu berücksichtigen.
- 11
- 3. Die angefochtene Entscheidung ist daher gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Dr. Brockmöller Dr. Bußmann
Vorinstanzen:
AG Nürnberg, Entscheidung vom 23.01.2018 - 15 C 5458/17 -
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 06.06.2018- 11 S 1150/18 -
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(1) Die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen sowie auf dasjenige, was der Empfänger auf Grund eines erlangten Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung des erlangten Gegenstands erwirbt.
(2) Ist die Herausgabe wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich oder ist der Empfänger aus einem anderen Grunde zur Herausgabe außerstande, so hat er den Wert zu ersetzen.
(3) Die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ist ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist.
(4) Von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an haftet der Empfänger nach den allgemeinen Vorschriften.
(1) Für die Wertberechnung ist der Zeitpunkt der Einreichung der Klage, in der Rechtsmittelinstanz der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels, bei der Verurteilung der Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, entscheidend; Früchte, Nutzungen, Zinsen und Kosten bleiben unberücksichtigt, wenn sie als Nebenforderungen geltend gemacht werden.
(2) Bei Ansprüchen aus Wechseln im Sinne des Wechselgesetzes sind Zinsen, Kosten und Provision, die außer der Wechselsumme gefordert werden, als Nebenforderungen anzusehen.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die Berufung findet gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt.
(2) Die Berufung ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder - 2.
das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat.
(3) Der Berufungskläger hat den Wert nach Absatz 2 Nr. 1 glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf er nicht zugelassen werden.
(4) Das Gericht des ersten Rechtszuges lässt die Berufung zu, wenn
Das Berufungsgericht ist an die Zulassung gebunden.(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.
(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.
(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.