Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Juli 2017 - III ZR 440/16
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Juli 2017 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, die Richter Tombrink, Dr. Remmert und Reiter sowie die Richterin Pohl
beschlossen:
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren beträgt 86.976,69 €.
Gründe:
I.
- 1
- Der Kläger nimmt den Beklagten, einen Facharzt für Psychiatrie, unter dem Vorwurf der Erstattung eines fehlerhaften Gerichtsgutachtens gemäß § 839a BGB auf Schadensersatz in Anspruch. Das Gutachten erstattete der Beklagte in einem Zivilprozess des Klägers gegen ein Versicherungsunternehmen , in dem es um die Geltendmachung von Ansprüchen auf Leistungen aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ging und der für den Kläger ohne Erfolg blieb.
- 2
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
- 3
- Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
- 4
- 1. Soweit das Berufungsgericht - jedenfalls - ein grobes Verschulden des Beklagten im Sinne von § 839a Abs. 1 BGB verneint hat, lässt dies einen Grund zur Zulassung der Revision nicht erkennen. Der Senat sieht von einer näheren Begründung gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO ab.
- 5
- 2. Vor diesem Hintergrund kommt es auf die - vom Berufungsgericht offen gelassene - Frage, ob die Haftung des Beklagten wegen schuldhaften Nichtgebrauchs eines Rechtsmittels nach § 839a Abs. 2, § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen ist, nicht entscheidungserheblich an. Ein Revisionszulassungsgrund ist insoweit nicht gegeben. Allerdings sieht der erkennende Senat Anlass für den Hinweis, dass die Auffassung des Berufungsgerichts (dessen Entscheidung unter anderem in MDR 2016, 1203 veröffentlicht worden ist), wonach die Einholung eines Privatgutachtens als "Rechtsmittel" im Sinne dieses Haftungsausschlusses anzusehen sei, von Rechtsfehlern beeinflusst ist.
- 6
- a) Als "Rechtsmittel" kommen zwar auch solche Behelfe in Betracht, die sich unmittelbar gegen das fehlerhafte Gutachten selbst richten und die bestimmt und geeignet sind, eine auf das Gutachten gestützte instanzbeendende gerichtliche Entscheidung zu verhindern. Zu denken ist insoweit etwa an Gegenvorstellungen und Hinweise auf die Unrichtigkeit des Gutachtens (vgl. § 411 Abs. 4 ZPO), an Anträge, den Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu laden, oder an formelle Beweisanträge auf Einholung eines neuen (Ober-)Gutachtens gemäß § 412 Abs. 1 ZPO (Senat, Beschluss vom 28. Juli 2006 - III ZB 14/06, NJW-RR 2006, 1454, 1455 Rn. 11 und Urteil vom 5. Juli 2007 - III ZR 240/06, BGHZ 173, 98, 100 f Rn. 8).
- 7
- b) Nicht unter die "Rechtsmittel" im Sinne von § 839a Abs. 2, § 839 Abs. 3 BGB fällt indessen die Einholung eines Privatgutachtens, um Einwände gegen ein beanstandetes gerichtliches Sachverständigengutachten zu substantiieren (so auch BeckOGK/Dörr, BGB, § 839a Rn. 67 [Stand: 1. April 2017]; Staudinger/Wöstmann, BGB [2013], § 839a Rn. 27 mwN aus dem Schrifttum; wohl auch MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl., § 839a Rn. 40; a.A. OLG Celle, DS 2012, 82, 83; LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 15. Oktober 2012 - 3 O 3620/12, BeckRS 2014, 15746). Zwar mag die Einholung und Vorlage eines Privatgutachtens die Aussicht dafür erhöhen, dass das Prozessgericht einem Antrag auf Einholung eines neuen (Ober-)Gutachtens Folge leistet (OLG Celle aaO S. 83 f; LG Nürnberg-Fürth aaO). Eine nicht sachkundige Partei ist jedoch generell nicht verpflichtet, zur Substantiierung ihrer Einwendungen gegen ein gerichtliches Sachverständigengutachten einen Privatgutachter zu konsultieren (BGH, Urteile vom 19. Februar 2003 - IV ZR 321/02, NJW 2003, 1400 f; vom 18. Oktober 2005 - VI ZR 270/04, NJW 2006, 152, 154 Rn. 15 und vom 8. Juli 2008 - VI ZR 259/06, NJW 2008, 2846, 2849 Rn. 27; s. auch Dörr aaO; Wagner aaO). Dem- entsprechend kann es ihr nicht im Sinne von § 839a Abs. 2, § 839 Abs. 3 BGB anspruchsausschließend zur Last fallen, wenn sie dies unterlassen hat.
Reiter Pohl
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 11.06.2013 - 2 O 1/13 -
OLG Celle, Entscheidung vom 20.07.2016 - 4 U 102/13 -
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(1) Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht.
(2) § 839 Abs. 3 ist entsprechend anzuwenden.
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
(1) Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht.
(2) § 839 Abs. 3 ist entsprechend anzuwenden.
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
(1) Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht.
(2) § 839 Abs. 3 ist entsprechend anzuwenden.
(1) Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht.
(2) § 839 Abs. 3 ist entsprechend anzuwenden.
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.
(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.
(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.
(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.
(1) Das Gericht kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet.
(2) Das Gericht kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist.
(1) Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht.
(2) § 839 Abs. 3 ist entsprechend anzuwenden.
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
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für Recht erkannt:
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von der beklagten Versicherungsgesellschaft , bei der sie seit 1987 eine Gruppenunfallversicherung unterhält, zugunsten eines ihrer Geschäftsführer (im folgenden: der Versicherte) die für 100%ige Invalidität vereinbarte Versicherungssumme von750.000 DM (abzüglich einer bereits geleisteten Zahlung von 75.000 DM).
Der Versicherte war neben seinem Bruder Mitgeschäftsführer der Klägerin, die ein Fuhrunternehmen betreibt, war aber nach seinen Angaben mit 80% seiner Arbeitskraft als Fernfahrer tätig und führte zu 20% kleine Reparaturen an den Lastkraftwagen aus. Am 3. August 1997 erlitt er durch einen Autounfall einen Verrenkungsbruch der Halswirbelsäule. Als Dauerschaden behielt der Versicherte eine Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Armes zurück. Die Parteien streiten darüber, ob er daneben weitere bleibende Gesundheitsschäden davongetragen hat und wie hoch gegebenenfalls der Grad seiner Invalidität anzusetzen ist. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen UB 86 der Beklagten zugrunde; die einschlägige Regelung in Teil 2 § 8 dieser Bedingungen entspricht § 8 AUB 61. § 8 II (2) - (4) AUB 61 enthalten die sogenannte Gliedertaxe nebst ergänzenden Bestimmungen. § 8 II (5) lautet: "Soweit sich der Invaliditätsgrad nach Vorstehendem nicht bestimmen läßt, wird bei der Bemessung in Betracht gezogen , inwieweit der Versicherte imstande ist, eine Tätigkeit auszuüben, die seinen Kräften und Fähigkeiten entspricht und die ihm unter billiger Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines Berufs zugemutet werden kann." Die Beklagte erbrachte auf die von der Klägerin verlangte Invaliditätsentschädigung Vorschußzahlungen von 75.000 DM. Diese Summe entspricht einem Invaliditätsgrad von 30%. Weitere Zahlungen lehnte die Beklagte ab. Daraufhin hat die Klägerin mit der Begründung, der Versicherte sei nach § 8 II (5) der Bedingungen vollständig arbeits- und be-
rufsunfähig, Klage auf Zahlung des Restbetrages für 100%ige Invalidität erhoben.
Das Landgericht hat die Klage unter Bezugnahme auf ein von ihm eingeholtes arbeitsmedizinisches Gutachten des Sachverständigen Dr. D. , wonach der Kläger noch als Linienbusfahrer arbeiten kann, durch Urteil vom 28. September 2001 abgewiesen. Die Berufung der Klägerin, die im Berufungsverfahren ein privates Gegengutachten vorgelegt hat, ist vom Berufungsgericht, das dieses Privatgutachten als verspätet angesehen und deshalb nicht zugelassen hat, zurückgewiesen worden. Hiergegen richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe:
Die Verfahrensrüge der Revision ist begründet. Das Berufungsgericht hat das von der Klägerin vorgelegte Privatgutachten zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen.
I. Das Berufungsgericht hat sein die Klageabweisung bestätigendes Urteil wie folgt begründet: Die Klägerin habe keinen über den von der Beklagten bereits vorprozessual gezahlten Betrag hinausgehenden Anspruch auf Invaliditätsentschädigung für den Versicherten. Da es insoweit um seine Arbeitsunfähigkeit nach § 8 II (5) AUB 61 gehe, die ausscheide , wenn er nicht mehr seinem bisherigen Beruf, wohl aber noch einer anderen zumutbaren Tätigkeit nachgehen könne, müsse er sich die
Feststellung des im ersten Rechtszug eingeholten arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens entgegenhalten lassen, daß er vollschichtig als Linienbusfahrer arbeiten könne. Das von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegte Privatgutachten, wonach der Versicherte aus neurologischer Sicht weder als LKW-Fahrer noch als Linienbusfahrer tätig sein dürfe, hätte zwar, wenn es zu berücksichtigen gewesen wäre, die Einholung eines Obergutachtens erforderlich gemacht. Das Privatgutachten könne jedoch wegen Verspätung nicht zugelassen werden. Die Klägerin hätte es schon im Verfahren vor dem Landgericht vorlegen müssen. Nach Erhalt des überzeugenden schriftlichen Gerichtsgutachtens hätte sie nicht darauf vertrauen dürfen, daß allein durch ihre kritische Stellungnahme zu diesem Gutachten und die Anhörung des Sachverständigen ein für sie günstigeres Ergebnis der Beweisaufnahme zu erreichen sein werde. Es habe sich ihr vielmehr aufdrängen müssen, daß sie, um einen nachteiligen Prozeßausgang zu vermeiden, bis zur Anhörung des Sachverständigen entweder ein weiteres Gutachten vorlegen oder aber - eventuell nach Einholung sachverständigen Rates - hätte substantiiert vortragen müssen, daß der neurologische Aspekt im Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen nicht hinreichend beachtet worden sei (§ 282 Abs. 1 ZPO, § 528 Abs. 2 ZPO a.F.). Darüber hinaus habe die Klägerin das Privatgutachten auch im Berufungsverfahren verspätet , nämlich erst im Anschluß an ihre Berufungsbegründung und nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingereicht (§§ 527, 519, 296 Abs. 1 ZPO a.F.). Es entschuldige sie nicht, daß ihr zweitinstanzlicher Prozeßbevollmächtigter sich erst nach der persönlichen Besprechung mit dem Versicherten, die er zwei Monate nach der Zustellung des landgerichtlichen Urteils geführt und in der er erstmals einen eigenen Eindruck vom schlechten Gesundheitszustand des Versicherten gewonnen habe,
für die Einholung eines Privatgutachtens entschieden habe. Denn der Klägerin selbst, nicht etwa ihrem Berufungsanwalt, sei vorzuwerfen, daß sie zwei Monate lang keine Aktivitäten im Hinblick auf die Erlangung eines weiteren Gutachtens entfaltet habe.
II. Die Nichtzulassung des Privatgutachtens hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Dem Berufungsgericht ist damit ein Verfahrensfehler unterlaufen. Der Klägerin kann weder für den ersten noch für den zweiten Rechtszug vorgeworfen werden, daß sie das Privatgutachten früher hätte vorlegen müssen.
1. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht einen Verstoß der Klägerin gegen ihre Prozeßförderungspflicht im erstinstanzlichen Verfahren angenommen (§ 528 Abs. 2 ZPO a.F. i.V. mit § 282 Abs. 1 ZPO). Nach § 528 Abs. 2 ZPO a.F. sind im Berufungsverfahren unter anderem neue Angriffs - und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug entgegen § 282 Abs. 1 ZPO a.F. nicht rechtzeitig vorgebracht worden sind, nur zuzulassen , wenn die Partei das Vorbringen im ersten Rechtszug nicht aus grober Nachlässigkeit unterlassen hat. § 282 Abs. 1 ZPO verpflichtet die Parteien, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel so zeitig vorzubringen, wie es nach der Prozeßlage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozeßführung entspricht. Die Klägerin hat schon objektiv nicht gegen diese Prozeßförderungspflicht verstoßen. Denn sie brauchte im ersten Rechtszug auch nach Erhalt des für sie ungünstigen Gerichtsgutachtens kein Privatgutachten vorzulegen.
a) Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Einwendungen der Klägerin gegen das Gerichtsgutachten seien ohne die Beifügung eines Privatgutachtens oder die Wiedergabe eingeholten sachverständigen Rates nicht substantiiert gewesen, steht nicht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Einklang. Ein Privatgutachten ist substantiierter Parteivortrag. Deshalb ist aber der Parteivortrag zu fachspezifischen , insbesondere medizinischen Fragen nicht unsubstantiiert, falls er nicht durch ein beigefügtes Privatgutachten untermauert wird. Wenn eine Partei nur geringe Sachkunde hat, dürfen weder an ihren klagebegründenden Sachvortrag noch an ihre Einwendungen gegen ein Sachverständigengutachten hohe Anforderungen gestellt werden, sondern darf sie sich auf den Vortrag von ihr zunächst nur vermuteter Tatsachen beschränken. Das gilt insbesondere hinsichtlich medizinischer Fragen (vgl. nur Urteile vom 19. Mai 1981 - VI ZR 220/79 - VersR 1981, 752 unter II 1 und vom 10. Januar 1995 - VI ZR 31/94 - BGHR ZPO § 138 Abs. 1 Darlegungslast
4).
b) Die Klägerin brauchte auch nicht etwa über ihre somit hinreichend substantiierte Kritik an dem gerichtlichen Gutachten hinaus weitergehende , zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen. Insbesondere brauchte sie keinen Privatgutachter zu konsultieren, um vorbeugend der Gefahr entgegenzuwirken, daß das Gericht dem Gerichtssachverständigen trotz ihrer Einwendungen folgen werde. Das Berufungsgericht hat mit seiner gegenteiligen Ansicht die Prozeßförderungspflicht über die Grenzen des § 282 Abs. 1 ZPO hinaus überspannt.
2. Aber auch die vom Berufungsgericht weiter herangezogenen §§ 527, 519, 296 Abs. 1 ZPO a.F., wonach ein im Berufungsverfahren
verspätet vorgebrachtes Angriffs- oder Verteidigungsmittel nur zuzulassen ist, wenn es die Erledigung nicht verzögern würde oder wenn die Verspätung genügend entschuldigt ist, tragen die Nichtzulassung des Privatgutachtens nicht.
Das Privatgutachten ist beim Berufungsgericht zwar objektiv verspätet eingegangen, nämlich erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist. Nach § 519 Abs. 3 Ziff. 2 ZPO a.F. muß bereits die Berufungsbegründung die im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) sowie die neuen Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden, die die Partei zur Rechtfertigung ihrer Berufung anzuführen hat, bezeichnen.
Jedoch trifft die Klägerin - und nur ihr, nicht etwa ihrem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten, wirft das Berufungsgericht ein Versäumnis vor - an der objektiven Verspätung des Privatgutachtens kein Verschulden. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin selbst hätte von sich aus unmittelbar nach Zustellung des landgerichtlichen Urteils Aktivitäten im Hinblick auf die Erlangung eines privaten Sachverständigengutachtens entfalten müssen, also schon bevor ihr zweitinstanzlicher Prozeßbevollmächtigter seine Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung abgeschlossen hatte, beruht auf einem zu strengen Maßstab für das in § 296 Abs. 1 ZPO a.F. vermutete Versäumnisverschulden der Partei. Zu folgen ist vielmehr der Auffassung der Revision, daß die Partei, die einen Rechtsanwalt mit der Prüfung der Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens beauftragt, keine Eigeninitiative zu entfalten braucht, solange die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht abgeschlossen ist, und daß sie auch nach Vorlage des Gutachtens über die Erfolgsaus-
sichten der Berufung nur solche Aktivitäten entfalten muß, die der Prozeßbevollmächtigte zweiter Instanz ihr zu entfalten anrät. Zutreffend weist die Revision darauf hin, daß eine vorauseilende Eigeninitiative für die Partei nicht zumutbar ist, die gerade deshalb, um die Erkenntnis zu gewinnen, ob und gegebenenfalls in welcher Form und aus welchen Gründen ein landgerichtliches Urteil angreifbar ist, den zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten mit einer Prüfung der Erfolgsaussicht beauftragt hat. Das Recht der Partei, das Ergebnis dieser Aussichtenprüfung abzuwarten, ergibt sich auch aus dem Sinn und Zweck des Anwaltszwanges , der, soweit er sich auf die Partei bezieht, im Verfahrensund Gefahrenschutz, in der Warn- und Beratungsfunktion besteht (Zöller /Vollkommer, ZPO 23. Aufl. § 78 Rdn. 2). Es wäre widersinnig, einerseits der Partei die anwaltliche Beratung aufzuzwingen und andererseits dann aber von ihr zu verlangen, daß sie dem Rechtsanwalt durch eine unberatene Eigeninitiative zuvorkommt.
Damit erweist sich als unberechtigt auch der Vorwurf des Berufungsgerichts , wenn erst der persönliche Eindruck vom Gesundheitszustand des Versicherten dazu führen konnte, Zweifel an der Richtigkeit des Gerichtsgutachtens aufkommen zu lassen, hätte die Klägerin ihrem Prozeßbevollmächtigten zweiter Instanz entweder den Zustand des Versicherten rechtzeitig eindringlicher schildern oder aber von sich aus dafür Sorge tragen müssen, daß ein persönliches Gespräch eher zustande kam. Auch ein solches Verhalten hätte eine eigene Vorwegnahme der rechtlichen Beurteilung des Falles vorausgesetzt, nämlich die Einsicht, daß das landgerichtliche Urteil keinen anderen Angriffspunkt als die in der Übernahme des Gerichtsgutachtens bestehende Beweiswürdigung bot.
3. Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache zu- rückzuverweisen, damit das Berufungsgericht ein Obergutachten über die neurologischen Gesichtspunkte und gegebenenfalls über die Frage einholt, ob der Kläger noch als Linienbusfahrer berufstätig sein kann. Das Gutachten hat sich nach den medizinischen Erkenntnismöglichkeiten zu richten, die spätestens drei Jahre nach dem Unfall gegeben waren (BGH, Urteil vom 13. April 1988 - IVa ZR 303/86 - VersR 1988, 798).
Der Einwand der Beklagten, § 8 II (5) AUB 61 sei von vornherein nicht einschlägig, ist nicht begründet. Die Behauptung der Beklagten, der Kläger mache nur ein Wegknicken des rechten Fußes und damit lediglich eine teilweise Gebrauchsunfähigkeit des rechten Fußes bzw. Beines geltend, die ausschließlich nach der Gliedertaxe zu bewerten sei, trifft nicht zu. Der Kläger hat schon im ersten Rechtszug außer dem zeitweisen Kontrollverlust über das rechte Bein verschiedene Taubheitsgefühle und eine Störung der Harnentleerung angeführt. Im zweiten Rechtszug hat er dann unter Berufung auf das Privatgutachten eine Spastik im Bereich der ganzen rechten Körperhälfte, gravierende Sensibilitätsstörungen mit eingeschränkter Gang- und Trittsicherheit, eine Störung der Urogenitalfunktionen und die gefährliche Empfindlichkeit der verplatteten
Bruchstelle in der Halswirbelsäule geltend gemacht. Diese Beeinträchtigungen - die er beweisen muß - lassen sich nicht mit der Gliedertaxe erfassen.
Seiffert Dr. Schlichting Ambrosius
Dr. Kessal-Wulf Felsch
(1) Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht.
(2) § 839 Abs. 3 ist entsprechend anzuwenden.
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.