Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juli 2016 - 5 StR 270/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:070716B5STR270.16.0
07.07.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 270/16
vom
7. Juli 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:070716B5STR270.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Juli 2016 beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten K. und W. wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. Oktober 2015, soweit es diese Angeklagten betrifft, nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben.
Auf die Revision des Angeklagten Ö. wird das vorgenannte Urteil hinsichtlich dieses Angeklagten nach § 349 Abs. 4 StPO im Verfallsausspruch aufgehoben, soweit der erweiterte Wert- ersatzverfall in einer den Betrag von 13.790 € übersteigenden Höhe angeordnet ist. Es wird klargestellt, dass gegen den Angeklagten Ö. der erweiterte Verfall von Wertersatz in Höhe von 13.790 € als Gesamtschuldner mit den Angeklagten W. und K. angeordnet ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten Ö. wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie den erweiterten Wertersatzverfall in Höhe von insgesamt 253.490 € angeordnet. Mit den hier- gegen gerichteten Revisionen rügen die Angeklagten allgemein die Verletzung sachlichen Rechts, die Angeklagten K. und W. beanstanden darüber hinaus das Verfahren. Während die Revisionen der zuletzt genannten Angeklagten umfassend durchdringen, führt die Revision des Angeklagten Ö. zu einer Teilaufhebung der Verfallsentscheidung.
2
1. Die auf die Sachrügen veranlasste umfassende materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils hat allerdings zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Namentlich ist gegen die sorgfältige Beweiswürdigung in Bezug auf sämtliche Angeklagten rechtlich nichts zu erinnern.
3
2. Jedoch kann den im Wesentlichen gleichlautenden Verfahrensrügen der Angeklagten K. und W. , mit denen eine Verletzung des § 265 StPO in Verbindung mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens sowie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) beanstandet wird, der Erfolg nicht versagt bleiben.
4
a) Ihnen liegt folgendes Geschehen zugrunde:
5
Mit der durch das Landgericht unverändert zugelassenen Anklage waren den Angeklagten zwei Taten des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorgeworfen worden, weil ihnen durch den Nichtrevidenten S. nach demselben Muster am 8. und 14. Januar 2015 jeweils rund 20 kg Cannabis zum Zweck gewinnbringenden Verkaufs geliefert worden seien. Zu den Vorgängen ist durch das Landgericht umfänglich Beweis erhoben worden. Im Verlauf der Hauptverhandlung verlautbarte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Zweifel, ob der Tatnachweis für den 8. Januar 2015 geführt werden könne. Am zehnten von insgesamt elf Verhandlungstagen hat der Vorsitzende einen rechtlichen Hinweis erteilt, dass Tat 1 (vom 8. Januar 2015) und Tat 2 (vom 14. Januar 2015) entgegen Anklage und Eröffnungsbeschluss eine Handlungseinheit bilden könnten, weil in der „Bun- kerwohnung“ der Angeklagten eine Drogenmenge gefunden worden sei, die mit rund 35 kg weit über die am 14. Januar 2015 gelieferten rund 20 kg hinausgehe. Ferner ist ein Vermerk des Vorsitzenden verlesen worden, nach dem nicht ausgeschlossen werden könne, dass die überschießende Drogenmenge bereits am 8. Januar 2015 geliefert worden sei oder auch durch Unbekannte; eine vorläufige Verfahrenseinstellung „nach §§ 154, 154a StPO“ werde angeregt. Einem Antrag der Staatsanwaltschaft folgend hat das Landgericht danach beschlossen , das Verfahren in Bezug auf Tat 1 vorläufig einzustellen bzw. den Verfahrensstoff insoweit zu beschränken.
6
Am darauf folgenden (letzten) Verhandlungstag verlasen die Verteidiger schriftliche Einlassungen der Angeklagten, die sich ausdrücklich nur zu den Vorgängen am 14. Januar 2015 verhielten. Danach hat der Vorsitzende rechtliche Hinweise gegeben, dass hinsichtlich des Angeklagten W. „auch 2 Taten in Betracht kommen können in Form des Handeltreibens (Haschisch 2 Kilogramm) sowie Beihilfe zum Handeltreiben in Tateinheit mit Besitz“ und dass hinsichtlich des Angeklagten K. auch Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Betracht komme. Ein förmlicher Hinweis, dass Tat 1 bei der Beweiswürdigung und der Strafzumessung verwertet werden könne, ist nicht erteilt worden. Im Urteil hat das Landgericht die Drogenlieferung vom 8. Januar 2015 ordnungsgemäß festgestellt und diese Tat im Rahmen der Beweiswürdigung namentlich für die Annahme bandenmäßigen Handelns der Angeklagten sowie bei der Strafzumessung herangezogen.
7
b) Bei dieser Sachlage kann das Urteil bezüglich dieser Beschwerdeführer keinen Bestand haben.
8
aa) Es ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass durch vorläufige gerichtliche Verfahrenseinstellung ausgeschiedene Taten selbst im Fall prozessordnungsgemäßer Feststellung auch bei der Beweiswürdigung nur dann zu Lasten des Angeklagten verwertet werden dürfen, wenn dieser zuvor auf die Möglichkeit einer solchen Verwertung hingewiesen worden ist (vgl. BGH, Urteile vom 16. März 1983 – 2 StR 826/82, BGHSt 31, 302, 303; vom 3. April 1996 – 2 StR 590/95, BGHR StPO § 154 Abs. 2 Hinweispflicht 2; vom 20. März 2001 – 1 StR 543/00, BGHR StPO § 154 Abs. 2 Hinweispflicht 4). Die Verfahrenseinstellung begründet nämlich regelmäßig einen Vertrauenstatbestand , weswegen eine faire Verfahrensgestaltung sowie die Gewährleistung rechtlichen Gehörs es gebieten, einen Hinweis zu erteilen, wenn das Tatgericht den Verfahrensstoff doch zum Nachteil des Angeklagten zu berücksichtigen gedenkt (vgl. BGH, aaO). An einem solchen Hinweis fehlt es hier.
9
bb) Allerdings weist der Generalbundesanwalt zutreffend darauf hin, dass der vorgenannte Grundsatz dann nicht gilt, wenn nach Lage des Falls durch die vorläufige Teileinstellung des Verfahrens ein Vertrauenstatbestand von vornherein nicht entstanden sein kann (vgl. BGH, Urteile vom 3. April 1996 – 2 StR 590/95, aaO; vom 20. März 2001 – 1 StR 543/00, aaO). Für einen sol- chen Ausnahmefall könnte hier sprechen, dass die zu beiden Taten parallel laufende, im Zeitpunkt der Verfahrenseinstellung bereits im Wesentlichen abgeschlossenen Beweisaufnahme ausweislich der Urteilsurkunde gewichtige Anhaltspunkte für einen bandenmäßigen Drogenhandel großen Umfangs und eine Übergabe von Drogen an die Angeklagten im zweistelligen Kilogrammbereich (auch) am 8. Januar 2015 ergeben hatte. Ferner erfolgte die Teileinstel- lung ausweislich des am 10. Verhandlungstag erteilten rechtlichen Hinweises maßgebend deshalb, weil die Strafkammer Bedenken hatte, ob die Taten nicht entgegen Anklage und Eröffnungsbeschluss eine Bewertungseinheit bildeten.
10
Andererseits wurden sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch im verlesenen Vermerk des Vorsitzenden Beweiszweifel angesprochen. Hinzu kommen die am letzten Verhandlungstag gegebenen Hinweise an die beiden Angeklagten , die den Vorwurf bandenmäßigen Handelns nicht enthielten, sowie der Umstand, dass sich die Angeklagten nur zur Tat vom 14. Januar 2015 einließen. Dies deutet darauf hin, dass diese – nach dem dargestellten Verlauf nicht unberechtigt und für die Strafkammer erkennbar – darauf vertrauten, das Landgericht werde die Vorgänge zu Tat 1 bei der Urteilsfindung unberücksichtigt lassen. Unter solchen Vorzeichen hätte die Strafkammer einen Hinweis erteilen müssen. Anhaltspunkte dafür, dass die beabsichtigte Verwertung der Beweisergebnisse mit der Folge des Nichtentstehens eines Vertrauenstatbestandes in anderer Form zum Ausdruck gebracht worden ist, lassen sich der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft nicht entnehmen. Der Vorsitzende hat sich nicht dienstlich geäußert.
11
cc) Im Blick darauf, dass der Vorwurf bandenmäßigen Handeltreibens tragend auch auf die Vorgänge vom 8. Januar 2015 gestützt ist, kann ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO) nicht ausgeschlossen werden. Die Sache bedarf deshalb bezüglich der Angeklagten K. und W. insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
12
3. Gegen den Verfallsausspruch hinsichtlich des Angeklagten Ö. bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
13
a) Der Senat versteht den Verfallsausspruch des angefochtenen Urteils dahin, dass er sich – gesamtschuldnerisch (vgl. Weber, BtMG, 4. Aufl., § 33 Rn. 72 mwN) – in Höhe der bei dem Nichtrevidenten S. sichergestellten 239.700 € (nur) gegen die Angeklagten K. , Ö. und W. richtet. Das ist im Grundsatz frei von Rechtsfehlern, weil der Nichtrevident S. die Gelder, mit deren Einziehung er sich einverstanden erklärt hatte, im Wege eines anderen Vorgangs erlangt hat (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2006 – 1 StR 46/06, BGHSt 51, 65, 72; Weber, aaO, § 33 Rn. 76). Jedoch hätte das Landgericht wegen der Weitergabe Drogengelder an den Nichtrevidenten zwingend die Härtevorschrift des § 73c StGB erwägen müssen (vgl. BGH, aaO).
14
b) In Höhe der bei dem Angeklagten K. sichergestellten 13.790 € wird der Verfallsausspruch mit der vorgenannten Maßgabe durch den Rechtsfehler nicht berührt und kann bestehen bleiben. Jedoch war klarzustellen, dass insoweit eine gesamtschuldnerische Haftung angeordnet ist (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 16. Juli 2013 – 4 StR 144/13 Rn. 5 ff. mwN).
15
4. Die Prüfung des § 73c StGB wird das neu verhandelnde Tatgericht gegebenenfalls auch für die Angeklagten K. und W. nachzuholen haben.
Sander Dölp König
RiBGH Dr. Berger Bellay ist urlaubsbedingt an der Unterschrift gehindert. Sander

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(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 543/00
vom
20. März 2001
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. März
2001, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Schaal,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 21. Juli 2000 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und den Verfall eines Geldbetrages von 108.000 DM angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er ein Prozeßhindernis geltend macht und die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf nur die Rüge des Beschwerdeführers, das Landgericht habe, ohne ihn zuvor auf diese Möglichkeit hinzuweisen, durch vorläufige Teileinstellung des Verfahrens ausgeschiedene Taten bei der Beweiswürdigung zu seinen Lasten verwertet.
1. Die Rüge bezieht sich auf folgende Vorgänge: Die - ohne Ä nderungen zugelassene - Anklage legte dem Beschwerdeführer zur Last, in 56 Fällen ein Verbrechen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge begangen zu haben, und zwar von 1987 bis 1992 in 52 Fällen - Gesamtmenge ca. 11.600 Kilogramm Haschisch - und von 1993 bis 1997 in vier Fällen - Gesamtmenge 160 Kilogramm Haschisch -. In der vom 28. Juni 2000 bis 21. Juli 2000 dauernden Hauptverhandlung hat das Landgericht zu allen 56 Fällen umfassend - insbesondere durch Vernehmung des Hauptbelastungszeugen L. - Beweis erhoben. Am 21. Juli 2000 hat es auf Antrag der Staatsanwaltschaft, zu dem die Verteidigung keine Erklärung abgab, bezüglich der ersten 52 Fälle das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Unmittelbar darauf ist die Beweisaufnahme geschlossen worden. Einen Hinweis darauf, daß das Gericht den der vorläufigen Einstellung zugrundeliegenden Verfahrensstoff bei der Beweiswürdigung zu verwerten gedenke, verzeichnet die Sitzungsniederschrift nicht. Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten wegen der vier verbliebenen Taten im wesentlichen mit den Angaben des Zeugen L. begründet. Seine Überzeugung von der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen hat es auch auf Teile des der vorläufigen Einstellung zugrundeliegenden Verfahrensstoffs gestützt. 2. Die Rüge dringt nicht durch. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dem Grundsatz nach anerkannt, daß durch vorläufige Einstellung des Verfahrens ausgeschiedene
Taten - selbst wenn sie prozeßordnungsgemäß festgestellt worden sind - auch bei der Beweiswürdigung nur dann zu Lasten des Angeklagten verwertet werden dürfen, wenn dieser zuvor auf die Möglichkeit einer solchen Verwertung hingewiesen worden ist (vgl. BGHSt 31, 302, 303; BGHR StPO § 154 Abs. 2 Hinweispflicht 1, 2 [= NJW 1996, 2585, 2586] und 3). Der Grund hierfür liegt darin, daß die Verfahrenseinstellung regelmäßig einen Vertrauenstatbestand begründet. Eine faire Verfahrensgestaltung, aber auch der Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs gebieten es dann in der Regel, einen Hinweis zu erteilen, wenn der Tatrichter solchen Verfahrensstoff doch zu berücksichtigen gedenkt. Dieser Grundsatz gilt indessen nicht ausnahmslos. Ein ausdrücklicher Hinweis ist dann entbehrlich, wenn ein Vertrauenstatbestand nach dem Gang der Hauptverhandlung nicht geschaffen werden konnte (BGH NJW 1985, 1479; NStZ 1987, 133, 134; bei Kusch NStZ 1992, 225; NStZ 1994, 195; NJW 1996, 2585, 2586; vgl. auch BVerfG-Kammer NStZ 1995, 76), mag in solchen Fällen ein ausdrücklicher Hinweis auch zweckmäßig sein. Ein Vertrauen des Angeklagten kann nur dort verletzt sein, wo es zuvor geschaffen worden ist, wo also der Angeklagte durch den Beschluß nach § 154 StPO in eine Lage versetzt worden ist, die sein Verteidigungshandeln beeinflußt hat und bei verständiger Einschätzung der Verfahrenslage auch beeinflussen konnte. Hier konnte das ersichtlich nicht der Fall sein: Das Landgericht hat an mehreren Hauptverhandlungstagen zu allen 56 angeklagten Fällen umfassend Beweis erhoben. Die vorläufige Teileinstellung hinsichtlich der ersten - im Tatvorwurf erheblich gewichtigeren - 52 Fälle ist erst erfolgt, als die Beweisaufnahme abgeschlossen war. Die Beweisaufnahme gestaltete sich für alle 56 Fälle identisch, indem der Hauptbelastungszeuge L. , auf dessen Bekundungen es entscheidend ankam, die Tatvorwürfe durchgehend bestätigt hat. Zu
der Teileinstellung hat sich das Landgericht nicht entschlossen, weil es hinsichtlich der hiervon betroffenen Fälle Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen L. hatte, sondern weil es hier den Bekundungen des Zeugen weniger konkrete Anhaltspunkte bezüglich der genauen Tatmodalitäten entnehmen konnte als bei den vier verbliebenen - zeitlich jüngeren - Fällen. Dies war auch der Verteidigung bewußt, die selbst hinsichtlich aller angeklagten Fälle von einer unzureichenden Konkretisierung der Tatvorwürfe ausging und deshalb eine Einstellung des Verfahrens nach § 260 Abs. 3 StPO beantragt hat. Die Verfahrensweise des Landgerichts setzte erkennbar voraus, daß es hinsichtlich der noch abzuurteilenden Fälle verurteilungsgeneigt war. Hier konnte - wie der Zusammenhang der Urteilsgründe ohne weiteres ergibt - eine Verurteilung des Angeklagten nur erfolgen, wenn das Landgericht den Zeugen L. für glaubwürdig erachten würde. In dieser besonderen Verfahrenssituation konnte die Verteidigung nicht darauf vertrauen, das Landgericht werde die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen auf der gleichsam selektiven schmalen Tatsachengrundlage des noch verbliebenen Verfahrensgegenstands beurteilen. Für die Prüfung des Wahrheitsgehalts der Bekundungen des Zeugen L. bedurfte es - auch für den Angeklagten unübersehbar - einer Bewertung des Gesamtgeschehens einschließlich des Zustandekommens und der weiteren Entwicklung der Rauschgiftkontakte zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen. Gerade wenn sich aus denjenigen Sachverhalten, die dem ausgeschiedenen Verfahrensstoff zugrundelagen, Anhaltspunkte ergeben hätten, die Glaubwürdigkeit des Zeugen L. in Zweifel zu ziehen, war der Tatrichter im Blick auf seine Aufklärungspflicht und das Gebot einer lückenlosen Beweiswürdigung gehalten , diese nicht außer acht zu lassen; die Verteidigung hatte ihrerseits unverändert allen Anlaß, hierauf zurückzugreifen, wenn sie der Auffassung war, der Zeuge L. sei unglaubwürdig und deshalb könne auch in den verbliebenen,
noch zur Aburteilung stehenden Fällen eine Verurteilung auf seine Aussage nicht gestützt werden. Angesichts dieser besonderen Umstände, unter denen die Verfahrensbeschränkung erfolgt ist, konnte ein Vertrauen auf Nichtverwertung des ausgeschiedenen Verfahrensstoffs nicht erwachsen. Schäfer Wahl Schluckebier Kolz Schaal

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 543/00
vom
20. März 2001
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. März
2001, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Schaal,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 21. Juli 2000 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und den Verfall eines Geldbetrages von 108.000 DM angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er ein Prozeßhindernis geltend macht und die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf nur die Rüge des Beschwerdeführers, das Landgericht habe, ohne ihn zuvor auf diese Möglichkeit hinzuweisen, durch vorläufige Teileinstellung des Verfahrens ausgeschiedene Taten bei der Beweiswürdigung zu seinen Lasten verwertet.
1. Die Rüge bezieht sich auf folgende Vorgänge: Die - ohne Ä nderungen zugelassene - Anklage legte dem Beschwerdeführer zur Last, in 56 Fällen ein Verbrechen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge begangen zu haben, und zwar von 1987 bis 1992 in 52 Fällen - Gesamtmenge ca. 11.600 Kilogramm Haschisch - und von 1993 bis 1997 in vier Fällen - Gesamtmenge 160 Kilogramm Haschisch -. In der vom 28. Juni 2000 bis 21. Juli 2000 dauernden Hauptverhandlung hat das Landgericht zu allen 56 Fällen umfassend - insbesondere durch Vernehmung des Hauptbelastungszeugen L. - Beweis erhoben. Am 21. Juli 2000 hat es auf Antrag der Staatsanwaltschaft, zu dem die Verteidigung keine Erklärung abgab, bezüglich der ersten 52 Fälle das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Unmittelbar darauf ist die Beweisaufnahme geschlossen worden. Einen Hinweis darauf, daß das Gericht den der vorläufigen Einstellung zugrundeliegenden Verfahrensstoff bei der Beweiswürdigung zu verwerten gedenke, verzeichnet die Sitzungsniederschrift nicht. Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten wegen der vier verbliebenen Taten im wesentlichen mit den Angaben des Zeugen L. begründet. Seine Überzeugung von der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen hat es auch auf Teile des der vorläufigen Einstellung zugrundeliegenden Verfahrensstoffs gestützt. 2. Die Rüge dringt nicht durch. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dem Grundsatz nach anerkannt, daß durch vorläufige Einstellung des Verfahrens ausgeschiedene
Taten - selbst wenn sie prozeßordnungsgemäß festgestellt worden sind - auch bei der Beweiswürdigung nur dann zu Lasten des Angeklagten verwertet werden dürfen, wenn dieser zuvor auf die Möglichkeit einer solchen Verwertung hingewiesen worden ist (vgl. BGHSt 31, 302, 303; BGHR StPO § 154 Abs. 2 Hinweispflicht 1, 2 [= NJW 1996, 2585, 2586] und 3). Der Grund hierfür liegt darin, daß die Verfahrenseinstellung regelmäßig einen Vertrauenstatbestand begründet. Eine faire Verfahrensgestaltung, aber auch der Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs gebieten es dann in der Regel, einen Hinweis zu erteilen, wenn der Tatrichter solchen Verfahrensstoff doch zu berücksichtigen gedenkt. Dieser Grundsatz gilt indessen nicht ausnahmslos. Ein ausdrücklicher Hinweis ist dann entbehrlich, wenn ein Vertrauenstatbestand nach dem Gang der Hauptverhandlung nicht geschaffen werden konnte (BGH NJW 1985, 1479; NStZ 1987, 133, 134; bei Kusch NStZ 1992, 225; NStZ 1994, 195; NJW 1996, 2585, 2586; vgl. auch BVerfG-Kammer NStZ 1995, 76), mag in solchen Fällen ein ausdrücklicher Hinweis auch zweckmäßig sein. Ein Vertrauen des Angeklagten kann nur dort verletzt sein, wo es zuvor geschaffen worden ist, wo also der Angeklagte durch den Beschluß nach § 154 StPO in eine Lage versetzt worden ist, die sein Verteidigungshandeln beeinflußt hat und bei verständiger Einschätzung der Verfahrenslage auch beeinflussen konnte. Hier konnte das ersichtlich nicht der Fall sein: Das Landgericht hat an mehreren Hauptverhandlungstagen zu allen 56 angeklagten Fällen umfassend Beweis erhoben. Die vorläufige Teileinstellung hinsichtlich der ersten - im Tatvorwurf erheblich gewichtigeren - 52 Fälle ist erst erfolgt, als die Beweisaufnahme abgeschlossen war. Die Beweisaufnahme gestaltete sich für alle 56 Fälle identisch, indem der Hauptbelastungszeuge L. , auf dessen Bekundungen es entscheidend ankam, die Tatvorwürfe durchgehend bestätigt hat. Zu
der Teileinstellung hat sich das Landgericht nicht entschlossen, weil es hinsichtlich der hiervon betroffenen Fälle Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen L. hatte, sondern weil es hier den Bekundungen des Zeugen weniger konkrete Anhaltspunkte bezüglich der genauen Tatmodalitäten entnehmen konnte als bei den vier verbliebenen - zeitlich jüngeren - Fällen. Dies war auch der Verteidigung bewußt, die selbst hinsichtlich aller angeklagten Fälle von einer unzureichenden Konkretisierung der Tatvorwürfe ausging und deshalb eine Einstellung des Verfahrens nach § 260 Abs. 3 StPO beantragt hat. Die Verfahrensweise des Landgerichts setzte erkennbar voraus, daß es hinsichtlich der noch abzuurteilenden Fälle verurteilungsgeneigt war. Hier konnte - wie der Zusammenhang der Urteilsgründe ohne weiteres ergibt - eine Verurteilung des Angeklagten nur erfolgen, wenn das Landgericht den Zeugen L. für glaubwürdig erachten würde. In dieser besonderen Verfahrenssituation konnte die Verteidigung nicht darauf vertrauen, das Landgericht werde die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen auf der gleichsam selektiven schmalen Tatsachengrundlage des noch verbliebenen Verfahrensgegenstands beurteilen. Für die Prüfung des Wahrheitsgehalts der Bekundungen des Zeugen L. bedurfte es - auch für den Angeklagten unübersehbar - einer Bewertung des Gesamtgeschehens einschließlich des Zustandekommens und der weiteren Entwicklung der Rauschgiftkontakte zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen. Gerade wenn sich aus denjenigen Sachverhalten, die dem ausgeschiedenen Verfahrensstoff zugrundelagen, Anhaltspunkte ergeben hätten, die Glaubwürdigkeit des Zeugen L. in Zweifel zu ziehen, war der Tatrichter im Blick auf seine Aufklärungspflicht und das Gebot einer lückenlosen Beweiswürdigung gehalten , diese nicht außer acht zu lassen; die Verteidigung hatte ihrerseits unverändert allen Anlaß, hierauf zurückzugreifen, wenn sie der Auffassung war, der Zeuge L. sei unglaubwürdig und deshalb könne auch in den verbliebenen,
noch zur Aburteilung stehenden Fällen eine Verurteilung auf seine Aussage nicht gestützt werden. Angesichts dieser besonderen Umstände, unter denen die Verfahrensbeschränkung erfolgt ist, konnte ein Vertrauen auf Nichtverwertung des ausgeschiedenen Verfahrensstoffs nicht erwachsen. Schäfer Wahl Schluckebier Kolz Schaal

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.

(2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 46/06
vom
16. Mai 2006
in der Strafsache
gegen
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
______________________
1. Bei der Härteklausel des § 73c Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. StGB (Entreicherung) kommt
es grundsätzlich nicht darauf an, ob das vorhandene Vermögen einen Bezug zu
der rechtswidrigen Tat hat.
2. Zum Wert des Erlangten bei Tatbeteiligten in einer Handelskette.
BGH, Urteil vom 16. Mai 2006 - 1 StR 46/06 - LG Karlsruhe
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Mai 2006,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 23. September 2005 im Ausspruch über den Verfall von Wertersatz, soweit von einer 12.500,-- € übersteigenden Verfallsanordnung abgesehen wurde , aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen G r ü n d e:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen, davon in sieben Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Außerdem hat das Landgericht den Verfall von Wertersatz in Höhe von 12.500,-- € angeordnet.
2
Die zum Nachteil des Angeklagten eingelegte und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Strafausspruch im Fall 8, auf den Ausspruch über die Gesamtstrafe sowie auf die Anordnung des Verfalls von Wertersatz in Höhe von - nur - 12.500,-- € (betreffend die Fälle 1 bis 7) beschränkt. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat hinsichtlich der Verfallsanordnung Erfolg.

I.


3
Zur Strafzumessung im Fall 8:
4
In Erwartung eines hohen Gewinns stellte der Angeklagte am 19. November 2004 - zumindest in positiver Kenntnis dessen, dass es um den Handel mit Betäubungsmitteln geht, wenn er das Geschäft nicht sogar selbst initiiert und organisiert hatte, - zwei Mittätern 46.250,-- € zum Erwerb von 25 kg Marihuana zur Verfügung. Den Einsatz des Angeklagten vereinnahmte der vorgebliche Lieferant - unter Drohung mit einer Schusswaffe - ohne Gegenleistung. Die Strafkammer verhängte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, wobei sie dem Angeklagten unter anderem zugute hielt, dass er "nur mit Eventualvorsatz gehandelt hat".
5
Diese Erwägung in der Strafzumessung stellt einen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten dar. Nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen handelte der Angeklagte mit direktem Vorsatz. Der Ausspruch über die Einzelstrafe hat gleichwohl Bestand. Denn die vom Landgericht erkannte Strafe ist - noch - angemessen im Sinne von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO einer Norm, die auch bei einer Revision der Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten Anwendung findet (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2006 - 4 StR 536/05). Entscheidend ist, dass das Betäubungsmittelgeschäft scheiterte und der Angeklagte seiner eingesetzten Mittel in Höhe von 46.250,-- € vollständig verlustig ging.
6
Damit hat auch die rechtsfehlerfrei gebildete Gesamtstrafe Bestand.

II.


7
Zur Verfallsanordnung:
8
1. In der Zeit von Mai bis Dezember 2004 bezog der Angeklagte in sieben Fällen insgesamt 67 kg Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 6,97 % THC (10 kg) beziehungsweise mindestens 8 % THC (57 kg) "auf Kommission". 62.244 kg veräußerte der Angeklagte an verschiedene Abnehmer. Von diesen erhielt er 161.000,-- €, die er insgesamt - ohne Abzug seines nach der getroffenen Vereinbarung ihm hieraus zustehenden Gewinnanteils in Höhe von 200,-- € je Kilogramm - an seinen Lieferanten weitergab. Die Strafkammer beschränkte die Anordnung des Verfalls von Wertersatz (§ 73 Abs. 1 Satz 1, § 73a Satz 1 StGB) auf den Gewinnanteil (12.500,-- €). Nur diesen habe der Angeklagte, da es sich um ein Kommissionsgeschäft gehandelt habe, - jedenfalls zeitweise - erlangt im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB. "In dem Bewusstsein, dass die [von der Strafkammer] vertretene Rechtsansicht möglicherweise nicht der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung entspricht", hat das Landgericht das Absehen von einer weiterreichenden Verfallsanordnung ergänzend auf § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB gestützt. Der Wert des Erlangten (161.000,-- €) sei jedenfalls nicht mehr Vermögensbestandteil, denn die vorhandenen Vermögenswerte (netto über 800.000,-- €) des Angeklagten seien ohne jeden denkbaren Zusammenhang mit den abgeurteilten Straftaten erworben worden und der Zugriff auf das "unbefleckte" Vermögen würde insbesondere die Familie treffen, deren langfristiger Absicherung das vorhandene Vermögen des Angeklagten diene.
9
2. Die Erwägungen, aufgrund derer die Strafkammer davon abgesehen hat, einen 12.500,-- € übersteigenden Betrag für verfallen zu erklären, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
10
a) Bei der Prüfung, was der Angeklagte aus der Tat (Fälle 1 bis 7) gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erlangt hat, hat die Strafkammer die Reichweite des Bruttoprinzips verkannt.
11
"Bruttoprinzip" bedeutet, dass nicht bloß der Gewinn, sondern grundsätzlich alles, was der Täter für die Tat oder aus ihr erhalten hat, für verfallen zu erklären ist (BGH NStZ 1995, 491). Bei der Berechnung des bei einem verbotenen "Verkauf" Erlangten ist deshalb vom gesamten Erlös ohne Abzug des Einkaufspreises und sonstiger Aufwendungen auszugehen (BGHSt 47, 369 [370]; BGH NStZ 1994, 123; NStZ 2000, 480; NStZ-RR 2000, 57; wistra 2001, 388, 389; BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2000 - 1 StR 547/00; BGH, Urteil vom 20. März 2001 - 1 StR 12/01). Insbesondere bei Betäubungsmitteldelikten "besteht kein rechtlich schützenswertes Vertrauen, aus dem verbotenen Geschäft erlangte Vermögensbestandteile behalten zu dürfen, die der Erlös strafbarer Geschäfte sind (BGHSt 47, 369 [372]; BGH NStZ 2001, 312).
12
Das Bruttoprinzip sollte die Anordnung des Verfalls nicht nur im Hinblick auf seine Berechnung praktikabler machen. Die Abschöpfung des über den Nettogewinn hinaus Erlangten verfolgt vielmehr primär einen Präventionszweck. Die dadurch angestrebte Folge, dass auch die Aufwendungen nutzlos sind, soll zur Verhinderung gewinnorientierter Straftaten - und insbesondere diese wollte der Gesetzgeber erfassen - beitragen. Müsste der Betroffene für den Fall der Entdeckung lediglich die Abschöpfung des Tatgewinns befürchten, so wäre die Tatbegehung unter finanziellen Gesichtspunkten weitgehend risikolos. Diesen Präventionszweck - der Verfallsbetroffene soll das Risiko strafbaren Handelns tragen - hatte der Gesetzgeber im Auge, als er sich auf den Rechtsgedanken des § 817 Satz 2 BGB bezog und darauf abhob, dass das in ein verbotenes Geschäft Investierte unwiederbringlich verloren sein soll (BGHSt 47, 369 [373 f.]).
13
An dieser - verfassungungskonformen (vgl. BVerfG NJW 2004, 2073 [2074 ff.]) - Rechtsprechung hält der Senat uneingeschränkt fest. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach dann, wenn für einen dem Verfall unterliegenden Vermögensvorteil die Steuer bereits bestandskräftig festgesetzt worden ist, dies bei der zeitlich nachfolgenden Anordnung des Verfalls mindernd zu berücksichtigen ist (BGHSt 47, 260) liegen Besonderheiten des Steuerrechts zugrunde. Da für verfallen erklärte Vermögenswerte mangels Strafcharakters einer Verfallsanordnung grundsätzlich steuermindernd geltend gemacht werden dürfen, könnte die Verfallsanordnung je nach dem Zeitpunkt der Verfallsanordnung - vor oder nach Bestandskraft der Steuerfestsetzung - zu dem Gleichbehandlungsgebot widersprechenden unterschiedlichen Gesamtbelastungen führen (vgl. BGHSt 47, 260 [265 ff.]). Dies - sowie eine daraus folgende mögliche Doppelbelastung desselben Betroffenen - zu vermeiden, dient die Berücksichtigung steuerlicher Konsequenzen bei der Feststellung dessen, was im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erlangt wurde. Das gesetzlich verankerte Bruttoprinzip wird hierdurch nicht in Frage gestellt. Bei Betäubungsmittelgeschäften dürfte eine entsprechende - steuerlich relevante - Situation ohnehin nie eintreten.
14
Wirtschaftlich erlangt ist ein Gegenstand oder Wert im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB sobald dieser unmittelbar aus der Tat in die eigene Verfügungsgewalt des Täters übergegangen ist (vgl. Nack, Aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Verfall, Goltdammer’s Archiv für Strafrecht, 2003, 879 [880] m.w.N.). Beim Erlangen im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB handelt es sich um einen tatsächlichen Vorgang. Auch der einem Kurier ausgehändigte Kaufpreis unterliegt bei diesem in voller Höhe dem Verfall, unabhängig von den zivilrechtlichen Besitz- und Eigentumsverhältnissen zwischen den Tatbeteiligten (BGH NStZ 2004, 440; vgl. aber Winkler NStZ 2003, 247 [250]). Auf die Besonderheiten des Kommissionsgeschäfts kann es beim Betäubungsmittelhandel schon deshalb nicht ankommen, da sämtliche schuldrechtlichen Vereinbarungen in diesem Zusammenhang nichtig sind (§ 134 BGB).
15
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Angeklagte - entgegen der Bewertung durch die Strafkammer - nicht nur seinen Gewinnanteil, sondern den Gesamterlös in Höhe von 161.000,-- € gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erlangt. Mit der Übertragung der Beträge von seinen Abnehmern an ihn wurden die entsprechenden Geldmittel Teil seines Vermögens, und zwar unabhängig davon, ob sie bar oder unbar übergingen, ob sie mit anderen Geldern vermischt oder gesondert verwahrt wurden. Unmaßgeblich ist auch, aus welchem Guthaben anschließend der Lieferant bedient wurde. Selbst wenn ein Zwischenhändler dieselben Geldscheine, die er von seinen Rauschmittelkäufern erhalten hat, unmittelbar im Anschluss daran an seinen Lieferanten weitergibt, werden diese Beträge zunächst Teil seines Vermögens. Spätere Mittelabflüsse können dann allenfalls noch im Rahmen der Prüfung der Härtevorschrift des § 73c StGB von Bedeutung sein.
16
Grundsätzlich unterliegen somit die vom Angeklagten von seinen Abnehmern als Gegenwert für das veräußerte Marihuana erhaltenen 161.000,-- € bei ihm insgesamt dem Verfall gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB bzw. es ist gegen ihn in dieser Höhe der Verfall von Wertersatz anzuordnen (§ 73a Satz 1 StGB).
17
c) Das im Einzelfall unter Umständen notwendige Korrektiv zum Bruttoprinzip des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB bietet die Härtevorschrift des § 73c StGB.
18
Deren Voraussetzungen hat die Strafkammer in ihren Hilfserwägungen allerdings ebenfalls nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.
19
aa) Das gilt zunächst für die Härteklausel des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB, die die Anordnung des Verfalls zwingend ausschließt, soweit er für den Betroffenen eine unbillige Härte wäre. Als unbillige Härte - als Verstoß gegen das Übermaßverbot (vgl. BGHR StGB § 73c Härte 11) - stellt sich eine Anordnung des Verfalls von Wertersatz in Höhe der insgesamt vereinnahmten 161.000,-- € nach den bisherigen Feststellungen nicht dar. Dies hat zwar die Strafkammer im Ergebnis ebenfalls so gesehen. Soweit das Landgericht allerdings in anderem Zusammenhang auf die existenzbedrohenden Konsequenzen einer weitergehenden Verfallsanordnung für die Familie des Angeklagten - dies betrifft ihn selbst, nicht nur Außenstehende - hinweist, überzeugt dies nicht. Die Anordnung des Verfalls in Höhe von 161.000,-- € würde bei weitem nicht deren Existenzgrundlage vernichten. Bei diesem Betrag handelt es sich um nur 19,06 % des Nettovermögens am 31. Dezember 2004. Außerdem scheint der Angeklag- te neben seinem Erwerbseinkommen (1.800,-- € netto) bis Frühjahr 2004 über weitere laufende Einnahmen zu verfügen, etwa aus seinem mit Hilfe der Arbeitsagentur gegründeten Brennstoffhandel oder aus Überschüssen aus Vermietung und Verpachtung seiner Immobilien. Denn der Angeklagte hat sein Nettovermögen im Jahre 2004 um immerhin 30.882,-- € gesteigert. Hinzu kommt der - in der Höhe unbekannte - Aufwand zur Deckung des Lebensunterhalts der Familie.
20
bb) Die bisherigen Feststellungen tragen allerdings auch nicht das fakultative Absehen von einer Anordnung des Verfalls von Wertersatz in Höhe der gesamten 161.000,-- € aufgrund des § 73c Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. StGB.
21
Schon die Bewertung der Strafkammer, der Wert des Erlangten (161.000,-- €) sei im Vermögen des Angeklagten nicht mehr vorhanden im Sinne von § 73c Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. StGB vermag nicht zu überzeugen.
22
Der Wert des Erlangten ist dann noch vorhanden, wenn das (Netto-) Vermögen des Betroffenen den Wert des Erlangten zumindest erreicht. Deshalb scheidet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB von vorneherein aus, solange und soweit der Angeklagte über Vermögen verfügt, das wertmäßig nicht hinter dem "verfallbaren" Betrag zurück bleibt (BGHSt 48, 40 [42]; BGHR StGB § 73c Wert 2). Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob das vorhandene Vermögen einen konkreten oder unmittelbaren Bezug zu der rechtswidrigen Tat hat; ebenso wenig hängt die Anordnung des Verfalls davon ab, ob der Angeklagte die vorhandenen Vermögenswerte unmittelbar mit Drogengeldern erworben hat oder ob er mit Drogengeldern andere Aufwendungen bestritten und erst mit den so eingesparten Mitteln das noch vorhandene Vermögen gebildet hat (BGHR StGB § 73c Wert 2). Hieran hält der Senat fest. Nachforschungen über die Verwendung der erlangten Beträge, über die Quellen des vorhandenen Vermögens , über Vermögensumschichtungen, über ersparte Aufwendungen usw. sind deshalb grundsätzlich nicht erforderlich.
23
Der Senat teilt nicht die Auffassung, wonach vorhandenes Vermögen nur nahe lege, dass der Wert des Erlangten beim Verfallsbetroffenen noch vorhanden ist, wobei dies nicht mehr sei als eine widerlegbare Vermutung, die nicht greife, wenn zweifelsfrei feststehe, dass der fragliche Vermögenswert ohne jeden denkbaren Zusammenhang mit den abgeurteilten Taten, etwa mehrere Jahre vor deren Begehung im Wege der Erbfolge, erworben wurde (vgl. BGHSt 48, 40 [42 f.]). Ob eine derartig differenzierte Betrachtung einer über Jahre angesammelten Vermögensmasse im Hinblick darauf, ob der "Wert" eines bestimmten Mittelzuflusses darin noch enthalten ist, überhaupt möglich ist, erscheint fraglich. Unter Umständen könnten umfangreiche Finanzermittlungen notwendig werden. Jedenfalls ist diese einengende Auslegung aus Sicht des Senats vom Wortlaut des § 73c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB nicht geboten, beschränkt aber die Praktikabilität und Effektivität der Vorschriften über den Verfall - von Wertersatz - und insbesondere deren Präventivwirkung. In besonders gelagerten Einzelfällen bietet § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB genügend Schutz. Wäre die Anordnung des Verfalls des Erlangten im Einzelfall - ganz oder zum Teil - eine unbillige Härte, wäre die Maßnahme ungerecht oder verstieße gegen das Übermaßgebot (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2003 - 1 StR 453/02, insoweit in NStZ 2004, 457, nicht abgedruckt); dann hat die Anordnung gemäß § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB zu unterbleiben. Um eine unbillige Härte festzustellen, bedarf es im Rahmen der hierzu erforderlichen Gesamtbewertung dann aber keiner exakten Untersuchung über den Ursprung des vorhandenen Vermögens oder des wirtschaftlichen Verbleibs des Erlangten.

24
Im vorliegenden Fall kann dies jedoch dahinstehen. Denn soweit die Strafkammer auf die "unbefleckten" Vermögensteile des Angeklagten, also auf die vor dem Jahr 2004 erworbenen Grundstücke abgestellt hat, hat sie nicht bedacht , dass diese Immobilien weitgehend (1,4 von 2 Millionen €) kreditfinanziert sind. Zu Einzahlungen auf zur späteren Tilgung abgeschlossene Bauspar- und Lebensversicherungsverträge wurden vom Angeklagten im Jahre 2004 - dem Tatzeitraum - etwa 67.000,-- € aufgebracht; deren Bestand erhöhte sich nach den Feststellungen im Jahr 2004 nämlich von 207.764,-- € auf 275.000,-- €. Dies diente mittelbar der Entschuldung der Grundstücke und legt nahe, dass ein den Wert des Erlangten entsprechendes Vermögen des Angeklagten noch vorhanden ist, das nicht ohne jeden denkbaren Bezug zu den Straftaten des Angeklagten ist (vgl. BGHSt 38, 23 [25]; BGHSt 48, 40 [42 f.]). Feststellungen zum Umfang (Wert) des durch Schenkung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge von den Eltern erworbenen (unbelasteten?) Grundvermögens hat die Strafkammer bislang nicht getroffen.
25
Im Übrigen schlösse auch nach der oben zitierten - vom Senat nicht geteilten - Rechtsprechung selbst ein völlig fehlender Bezug des vorhandenen Vermögens zu den Straftaten des Angeklagten die Abschöpfung über die Verfallsvorschriften nicht aus. Denn vorhandenes Vermögen behält, auch dann, wenn es in keiner denkbaren Beziehung zum - nicht mehr vorhandenen - "Wert des Erlangten" steht und deshalb die Anwendbarkeit des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB nicht hindert, seine Bedeutung im Rahmen der nach billigem Ermessen zu treffenden Entscheidung (vgl. BGHSt 48, 40 [43]).
26
cc) Die Strafkammer hat ihre grundsätzlichen Vorbehalte gegen das Bruttoprinzip argumentativ auch auf den kumulierenden Effekt mehrerer Verfallsan- ordnungen gegen verschiedene Personen bei Handelsketten beziehungsweise bei Mittätern gestützt und in diesem Zusammenhang auch auf vermeintliche Probleme bei der Vollstreckung in derartigen Konstellationen hingewiesen. Denn dann ist - so bisherige Meinung - grundsätzlich von Gesamtschuldnerschaft auszugehen (vgl. BGH NStZ 2003, 198 [199]). Dies überzeugt nach Auffassung des Senats allerdings nicht für Fallgestaltungen der vorliegenden Art. Vielmehr ist jeder Täter, jeder Teilnehmer einer Handelskette, in der ein und dieselbe Menge an Betäubungsmitteln mehrfach umgesetzt und der entsprechende Kaufpreis jeweils bezahlt und vom Verkäufer im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erlangt wird, für sich zu betrachten und allein daran zu messen, was er konkret erhalten hat. Anderes gilt nur dann, wenn - dabei - mehrere Tatbeteiligte etwas gemeinsam erlangten, ohne dass festgestellt werden kann, wem dies zufloss. Ziel der aus Verfallsanordnungen gemäß §§ 73, 73a StGB resultierenden Zahlungsansprüche ist nicht die einmalige Abschöpfung des - regelmäßig beim Endabnehmer schließlich erreichten - höchsten Handelspreises. Vielmehr soll bei jedem Einzelnen, der aus einer rechtswidrigen Tat etwas erlangt hat, dieses weggenommen werden und zwar, da es sich um eine präventive Maßnahme eigener Art handelt, nach dem Bruttoprinzip. Bei einer Handelskette kann deshalb die Summe der Beträge, hinsichtlich derer gegen die verschiedenen Händler der Verfall angeordnet wurde, den maximalen Handelspreis des umgesetzten Betäubungsmittels um ein mehrfaches übersteigen. Dies dann über das Rechtsinstitut der Gesamtschuldnerschaft zu begrenzen und auszugleichen, widerspräche dem Zweck des Verfalls gemäß §§ 73, 73a StGB. Die Weitergabe des Erlangten kann in besonderen Ausnahmefällen beim jeweiligen Einzelfall im Rahmen des Härtausgleichs gemäß § 73c StGB Berücksichtigung finden, wenn kein - ausreichendes - Vermögen mehr vorhanden oder eine Verfallsanordnung eine unbillige Härte wäre.
27
Auch dies kann hier jedoch dahinstehen, da die Stellung als Gesamtschuldner die Anordnung des Verfalls beziehungsweise des Verfalls von Wertersatz gegen den Angeklagten in voller Höhe zunächst gerade nicht berührt.
28
3. Die Entscheidung über die Anordnung des Verfalls bedarf nach allem neuer Verhandlung und Entscheidung. Die bisher getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben. Diesen nicht widersprechende, ergänzende Feststellungen sind möglich.
Nack Wahl Schluckebier
Kolz Hebenstreit

Ist die Einziehung eines Gegenstandes wegen der Beschaffenheit des Erlangten oder aus einem anderen Grund nicht möglich oder wird von der Einziehung eines Ersatzgegenstandes nach § 73 Absatz 3 oder nach § 73b Absatz 3 abgesehen, so ordnet das Gericht die Einziehung eines Geldbetrages an, der dem Wert des Erlangten entspricht. Eine solche Anordnung trifft das Gericht auch neben der Einziehung eines Gegenstandes, soweit dessen Wert hinter dem Wert des zunächst Erlangten zurückbleibt.

5
Die gegenüber den Angeklagten getroffene Anordnung des Verfalls von Wertersatz war im Sinne einer gesamtschuldnerischen Haftung zu ändern.

Ist die Einziehung eines Gegenstandes wegen der Beschaffenheit des Erlangten oder aus einem anderen Grund nicht möglich oder wird von der Einziehung eines Ersatzgegenstandes nach § 73 Absatz 3 oder nach § 73b Absatz 3 abgesehen, so ordnet das Gericht die Einziehung eines Geldbetrages an, der dem Wert des Erlangten entspricht. Eine solche Anordnung trifft das Gericht auch neben der Einziehung eines Gegenstandes, soweit dessen Wert hinter dem Wert des zunächst Erlangten zurückbleibt.