Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Dez. 2018 - 3 StR 386/18

bei uns veröffentlicht am13.12.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 386/18
vom
13. Dezember 2018
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes
ECLI:DE:BGH:2018:131218B3STR386.18.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 13. Dezember 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 14. Februar 2018 aufgehoben
a) im Strafausspruch; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten,
b) mit den zugehörigen Feststellungen im Maßregelausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Hiergegen wendet er sich mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen überfielen der Angeklagte und drei Mitangeklagte in Ausführung eines gemeinsam gefassten Tatplans am Abend des 10. Dezember 2016 eine Wohngemeinschaft und entwendeten aus der Wohnung unter konkludenter Drohung mit einem zum Zweck der Einschüchterung bewusst offen getragenen Totschläger sowie unter Vorhalt einer ungeladenen Gaspistole - vorgefasster Absicht entsprechend - Marihuana , Bargeld und Wertgegenstände im Gesamtwert von 2.500 €.
3
2. Der Schuldspruch hält aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen sachlichrechtlicher Nachprüfung stand.
4
3. Die Bemessung der Freiheitsstrafe erweist sich hingegen als rechtsfehlerhaft.
5
a) Die Strafkammer hat im Rahmen der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten "dessen Vorstrafen" berücksichtigt, wenngleich mit minderem Gewicht, weil "die letzte Tat bereits im Jahr 2010 begangen wurde" (UA S. 35). Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn der Angeklagte ist nicht vorbestraft.
6
Ausweislich der Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen hatte die Staatsanwaltschaft im Jahr 2008 von der Verfolgung eines Diebstahls abgesehen (§ 45 JGG) und das Amtsgericht im Jahr 2010 ein Verfahren wegen eines weiteren Diebstahls gegen Erbringung von Arbeitsleistungen eingestellt (§ 47 JGG). Bei diesen beiden Voreintragungen im Erziehungsregister (vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 BZRG) handelt es sich weder um Vorstrafen noch um jugendgerichtliche Vorahndungen. Mit der jeweiligen Verfahrensweise war keine Feststellung der Schuld verbunden (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 6. September 2004 - 2 BvR 1280/04, juris Rn. 2; vom 8. März 2017 - 2 BvR 2282/16, NJW 2017, 1539 Rn. 14).
7
Dem Tatgericht ist es zwar nicht prinzipiell verwehrt, strafschärfend zu werten, dass der Angeklagte bei Tatbegehung durch frühere eingestellte Verfahren gewarnt war (s. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1972 - 2 StR 499/72, BGHSt 25, 64, 65; Beschluss vom 11. November 2004 - 5 StR 472/04, juris Rn. 4; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 46 Rn. 40). Eine bloße Berücksichtigung einer solchen Warnwirkung lässt sich dem Urteil aber gerade nicht entnehmen (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. Februar 1987 - 1 StR 698/86, NJW 1987, 2243, 2244; insgesamt skeptisch BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 4 StR 125/06, NStZ 2006, 620).
8
b) Auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht das Urteil im Strafausspruch (§ 337 Abs. 1 StPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte, wenn sie nicht rechtsfehlerhaft zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hätte, er wäre vorbestraft. Der Strafausspruch unterliegt daher der Aufhebung. Indes bleiben die zugehörigen Feststellungen von dem Wertungsfehler unberührt, sodass sie bestehen bleiben können (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).
9
4. Auch die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hat keinen Bestand.
10
Die Gefahr, der Angeklagte werde infolge seines Hangs erhebliche rechtswidrige Taten begehen (§ 64 Satz 1 StGB), findet in den tatsächlichen Feststellungen keine Grundlage. In den Urteilsgründen ist hierzu lediglich ausgeführt , diese Gefahr folge aus seiner "besonderen Persönlichkeitsstruktur und seiner nach wie vor vorhandenen Geldnot" (UA S. 39). Zur Persönlichkeitsstruktur ist nur die Diagnose des Sachverständigen wiedergegeben, beim Angeklagten liege eine "Persönlichkeitsakzentuierung mit narzisstischen und emotional instabil impulsiven Anteilen" vor (UA S. 38). Zur Geldnot findet sich allein die Mitteilung, der Angeklagte habe im Zeitraum von Oktober 2016 bis Mitte 2017 beim Glücksspiel seinen gesamten Lohn verspielt (s. UA S. 10).
11
Diese äußerst knappen Ausführungen genügen nicht den an die Darlegung der Gefahrenprognose von Rechts wegen zu stellenden Anforderungen. Sie belegen nicht die Wahrscheinlichkeit, dass der - nicht vorbestrafte - Angeklagte hangbedingt erneut straffällig werden wird. Weder seine Gefährlichkeit noch der symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang zu Rauschmitteln und wahrscheinlichen künftigen Taten ist nachvollziehbar dargelegt (zu den Voraussetzungen vgl. nur MüKoStGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 64 Rn. 52 f., 55 ff. mwN).
12
Zwar hat der Sachverständige, dem sich die Strafkammer angeschlossen hat, beim Angeklagten ein Abhängigkeitssyndrom von Cannabis (ICD-10 F12.20) sowie einen schädlichen Gebrauch von Kokain und Alkohol (ICD-10 F19.10) diagnostiziert (s. UA S. 38). Auch dies begründet jedoch noch nicht dessen Gefährlichkeit. Ein Erfahrungssatz des Inhalts, dass bei einem Drogenabhängigen generell die Gefahr neuer erheblicher Straftaten besteht, existiert nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juni 2011 - 2 StR 645/10, StV 2013, 149).
13
Eine schwere Gewalttat, die für sich allein die Gefährlichkeit indizieren könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2014 - 5 StR 509/14, juris Rn. 2 mwN), ist hier nicht gegeben. Das gilt umso mehr, als nicht festgestellt ist, dass der Angeklagte bei Tatbegehung drogenbedingt enthemmt gewesen wäre.
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(1) Der Staatsanwalt kann ohne Zustimmung des Richters von der Verfolgung absehen, wenn die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen. (2) Der Staatsanwalt sieht von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits dur

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(1) In das Erziehungsregister werden die folgenden Entscheidungen und Anordnungen eingetragen, soweit sie nicht nach § 5 Abs. 2 in das Zentralregister einzutragen sind:1.die Anordnung von Maßnahmen nach § 3 Satz 2 des Jugendgerichtsgesetzes,2.die Ano

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Staatsanwalt kann ohne Zustimmung des Richters von der Verfolgung absehen, wenn die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen.

(2) Der Staatsanwalt sieht von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet ist und er weder eine Beteiligung des Richters nach Absatz 3 noch die Erhebung der Anklage für erforderlich hält. Einer erzieherischen Maßnahme steht das Bemühen des Jugendlichen gleich, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Der Staatsanwalt regt die Erteilung einer Ermahnung, von Weisungen nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, 7 und 9 oder von Auflagen durch den Jugendrichter an, wenn der Beschuldigte geständig ist und der Staatsanwalt die Anordnung einer solchen richterlichen Maßnahme für erforderlich, die Erhebung der Anklage aber nicht für geboten hält. Entspricht der Jugendrichter der Anregung, so sieht der Staatsanwalt von der Verfolgung ab, bei Erteilung von Weisungen oder Auflagen jedoch nur, nachdem der Jugendliche ihnen nachgekommen ist. § 11 Abs. 3 und § 15 Abs. 3 Satz 2 sind nicht anzuwenden. § 47 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung.

(1) Ist die Anklage eingereicht, so kann der Richter das Verfahren einstellen, wenn

1.
die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen,
2.
eine erzieherische Maßnahme im Sinne des § 45 Abs. 2, die eine Entscheidung durch Urteil entbehrlich macht, bereits durchgeführt oder eingeleitet ist,
3.
der Richter eine Entscheidung durch Urteil für entbehrlich hält und gegen den geständigen Jugendlichen eine in § 45 Abs. 3 Satz 1 bezeichnete Maßnahme anordnet oder
4.
der Angeklagte mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist.
In den Fällen von Satz 1 Nr. 2 und 3 kann der Richter mit Zustimmung des Staatsanwalts das Verfahren vorläufig einstellen und dem Jugendlichen eine Frist von höchstens sechs Monaten setzen, binnen der er den Auflagen, Weisungen oder erzieherischen Maßnahmen nachzukommen hat. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar. Kommt der Jugendliche den Auflagen, Weisungen oder erzieherischen Maßnahmen nach, so stellt der Richter das Verfahren ein. § 11 Abs. 3 und § 15 Abs. 3 Satz 2 sind nicht anzuwenden.

(2) Die Einstellung bedarf der Zustimmung des Staatsanwalts, soweit er nicht bereits der vorläufigen Einstellung zugestimmt hat. Der Einstellungsbeschluß kann auch in der Hauptverhandlung ergehen. Er wird mit Gründen versehen und ist nicht anfechtbar. Die Gründe werden dem Angeklagten nicht mitgeteilt, soweit davon Nachteile für die Erziehung zu befürchten sind.

(3) Wegen derselben Tat kann nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel von neuem Anklage erhoben werden.

(1) In das Erziehungsregister werden die folgenden Entscheidungen und Anordnungen eingetragen, soweit sie nicht nach § 5 Abs. 2 in das Zentralregister einzutragen sind:

1.
die Anordnung von Maßnahmen nach § 3 Satz 2 des Jugendgerichtsgesetzes,
2.
die Anordnung von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln sowie eines diesbezüglich verhängten Ungehorsamsarrestes (§§ 9 bis 16 des Jugendgerichtsgesetzes), Nebenstrafen oder Nebenfolgen (§ 8 Abs. 3, § 76 des Jugendgerichtsgesetzes) allein oder in Verbindung miteinander,
3.
der Schuldspruch, der nach § 13 Absatz 2 Satz 2 aus dem Zentralregister entfernt worden ist, sowie die Entscheidung, die nach § 13 Absatz 3 aus dem Zentralregister entfernt worden ist,
4.
Entscheidungen, in denen das Gericht die Auswahl und Anordnung von Erziehungsmaßregeln dem Familiengericht überläßt (§§ 53, 104 Abs. 4 des Jugendgerichtsgesetzes),
5.
Anordnungen des Familiengerichts, die auf Grund einer Entscheidung nach Nummer 4 ergehen,
6.
der Freispruch wegen mangelnder Reife und die Einstellung des Verfahrens aus diesem Grund (§ 3 Satz 1 des Jugendgerichtsgesetzes),
7.
das Absehen von der Verfolgung nach § 45 des Jugendgerichtsgesetzes und die Einstellung des Verfahrens nach § 47 des Jugendgerichtsgesetzes,
8.
(weggefallen)
9.
vorläufige und endgültige Entscheidungen des Familiengerichts nach § 1666 Abs. 1 und § 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie Entscheidungen des Familiengerichts nach § 1802 Absatz 2 Satz 3 in Verbindung mit § 1666 Abs. 1 und § 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs, welche die Sorge für die Person des Minderjährigen betreffen; ferner die Entscheidungen, durch welche die vorgenannten Entscheidungen aufgehoben oder geändert werden.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 7 ist zugleich die vom Gericht nach § 45 Abs. 3 oder § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Jugendgerichtsgesetzes getroffene Maßnahme einzutragen.

(3) Ist ein Jugendarrest angeordnet worden, wird auch seine vollständige Nichtvollstreckung eingetragen.

(4) (weggefallen)

Tenor

1. Die Mitteilung der Staatsanwaltschaft Rostock vom 29. September 2016 - 431 Js 16463/16 - verletzt, soweit sie in ihren Gründen eine Schuldfeststellung enthält, den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Sie wird mit ihren Gründen aufgehoben. Die Sache wird insoweit an die Staatsanwaltschaft Rostock zurückverwiesen.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

3. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

4. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auswirkungen der Unschuldsvermutung auf die Begründung der Entscheidung zum Absehen von der Verfolgung gemäß § 45 JGG.

I.

2

Die Staatsanwaltschaft Rostock führte - unter dem Aktenzeichen 431 Js 16463/16 - gegen den am 15. August 2001 geborenen Beschwerdeführer ein Er-mittlungsverfahren wegen des Verdachts der Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB. Ihm wurde zur Last gelegt, er habe zusammen mit einem gleichaltrigen Freund am 25. Dezember 2015 im Bereich des Rostocker Hafens einen Stromkasten sowie zwei ummauerte Sitzbänke mit lila Farbe besprüht. Die für die Reinigung anfallenden Kosten werden auf etwa 500 Euro geschätzt. Die Hansestadt Rostock stellte wegen dieses Vorfalls Strafanzeige gegen unbekannt. Aufgrund der Beobachtungen eines Zeugen wurde der Beschwerdeführer in der Nähe des Tatortes von der Polizei angetroffen; der ihn begleitende Freund wies an den Fingernägeln entsprechende Farbspuren auf.

3

Der Beschwerdeführer ließ über einen von seinem Vater beauftragten Rechtsanwalt den Tatvorwurf bestreiten. An dem fraglichen Ort seien unterschiedliche Gruppierungen von Jugendlichen unterwegs gewesen. Die Beschreibung des Zeugen treffe auf den Beschwerdeführer nicht zu. Zudem sei in rechtlicher Hinsicht der objektive Tatbestand einer Sachbeschädigung nicht erfüllt, weil die Tatobjekte bereits zuvor flächendeckend bemalt worden seien.

4

Am 29. September 2016 traf der sachbearbeitende Oberstaatsanwalt folgende Verfügung:

[…]

3. Vermerk:

Die Beschuldigten K. und W. [Name des Beschwerdeführers] haben das Unrecht der Tat eingesehen und sind bisher noch nicht strafrechtlich aufgefallen.

Ferner ist der eingetretene Schaden gering.

Eine Ahndung durch den Richter ist daher entbehrlich.

4. Absehen von der Verfolgung gemäß § 45 Abs. 1 JGG bezüglich der Beschuldigten K. und W.

(Erledigungskennziffer: 409)

Tatvorwürfe (für Mitteilung an Erziehungsregister):

K. - Sachbeschädigung (§ 303 StGB)

W. - Sachbeschädigung (§ 303 StGB)

5. Kein Bescheid - amtliches Einschreiten.

6. Einstellungsnachricht an

a) Verteidigerin L. für Beschuldigten K.

b) Verteidiger E. für Beschuldigten W.

[…]

5

Mit Datum vom 29. September 2016 teilte die Staatsanwaltschaft Rostock dem Verteidiger des Beschwerdeführers das Absehen von der Verfolgung mit folgendem (beglaubigtem) Schreiben mit:

Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt E.,

Ihr Mandant hat sich durch sein Verhalten einer Straftat schuldig gemacht, die normalerweise eine Anklageerhebung und eine Gerichtsverhandlung zur Folge hätte. Ausnahmsweise werde ich aber in diesem Fall von der weiteren Verfolgung absehen, weil mir sein Verschulden nicht groß erscheint.

Sein Verhalten wird jedoch ausdrücklich gerügt, und er wird eindringlich vor weiteren Verfehlungen gewarnt. Im Wiederholungsfall kann er mit einer solchen Beendigung des Verfahrens nicht rechnen.

Das Absehen von der Verfolgung ist gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 7 Bundeszentralregistergesetz mit einer Eintragung in das Erziehungsregister […] verbunden. […].

II.

6

1. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der - durch seine Eltern gesetzlich vertretene - Beschwerdeführer einen Verstoß gegen die im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gewährleistete Unschuldsvermutung durch die Feststellung, er habe eine Straftat begangen.

7

Zudem liege ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG vor, weil der Beschwerdeführer - dem sich aus § 2 Abs. 1 JGG ergebenden Anlie-gen des Jugendgerichtsgesetzes widersprechend - schlechter gestellt werde als ein Erwachsener, bei dem das Ermittlungsverfahren nach § 153 StPO eingestellt würde. Eine Einstellung nach § 153 StPO würde nicht in das Bundeszentralregister eingetragen; dagegen werde das Absehen von der Verfolgung gemäß § 45 Abs. 1 JGG in das Erziehungsregister des Beschwerdeführers eingetragen.

8

Daneben beantragt der Beschwerdeführer hinsichtlich der Eintragung in das Erziehungsregister den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 BVerfGG.

9

2. Das Justizministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern hat von einer Stellungnahme abgesehen. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat mit Zuschrift vom 20. Januar 2017 Stellung genommen. Er hält die Verfassungsbeschwerde teilweise für begründet.

III.

10

1. Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, soweit der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung rügt, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

11

a) Die Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und hat damit Verfassungsrang. Sie ist auch kraft Art. 6 Abs. 2 EMRK Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik Deutschland im Range eines Bundesgesetzes (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 74, 358 <370>; 82, 106 <114>).

12

Die Unschuldsvermutung verwehrt es den Strafverfolgungsorganen nicht, schon vor Abschluss der Hauptverhandlung verfahrensbezogen den Grad des Verdachts einer strafbaren Handlung des Beschuldigten zu beurteilen (vgl. BVerfGE 74, 358 <372>; 82, 106 <115>). Festlegungen zur Schuld zu treffen, Schuld auszusprechen und Strafe zuzumessen, ist den Strafgerichten allerdings erst erlaubt, wenn die Schuld des Angeklagten in einem mit rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien ausgestatteten, bis zum prozessordnungsgemäßen Abschluss durchgeführten Strafverfahren nachgewiesen ist (vgl. BVerfGE 74, 358 <372>; 82, 106 <115>).

13

Die Unschuldsvermutung schließt nicht aus, in einer das Strafverfahren ohne förmlichen Schuldspruch beendenden Entscheidung einen verbleibenden Tatverdacht festzustellen und zu bewerten und dies bei der Entscheidung über die kostenrechtlichen Folgen zu berücksichtigen. Sie verbietet aber, gegen den Beschuldigten Maßregeln zu verhängen, die in ihrer Wirkung einer Strafe oder strafähnlichen Sanktion gleichkommen, oder ihm in einer strafgerichtlichen Entscheidung Schuld zuzuweisen, ohne dass ihm in dem gesetzlich dafür vorgeschriebenen Verfahren strafrechtliche Schuld nachgewiesen worden ist. Rechtsfolgen, die keinen Strafcharakter haben, können darum auch in einer das Verfahren abschließenden Entscheidung an einen verbleibenden Tatverdacht geknüpft werden. Allerdings muss dabei aus der Begründung deutlich hervorgehen, dass es sich nicht um eine gerichtliche Schuldfeststellung oder -zuweisung handelt, sondern nur um die Beschreibung und Bewertung einer Verdachtslage. Dieser Unterschied muss auch in der Formulierung der Gründe hinreichenden Ausdruck finden. Dabei ist der Sinnzusammenhang der gesamten Entscheidungsgründe zu würdigen. Unabhängig davon sollten die Gerichte und Strafverfolgungsorgane im Blick auf den verfassungsrechtlichen Rang der Unschuldsvermutung darauf Bedacht nehmen, nur solche Formulierungen zu verwenden, die von vornherein jeden Anschein einer unzulässigen Schuldzuweisung vermeiden; dies gilt insbesondere bei Formblättern (vgl. BVerfGE 82, 106 <117>).

14

Wird ein Strafverfahren eingestellt, bevor die Hauptverhandlung bis zur Schuldspruchreife durchgeführt worden ist, so fehlt es an der prozessordnungs-gemäßen Grundlage für eine Erkenntnis zur Schuld. Wie die Einstellungsvorschrift des § 153 StPO verlangt auch § 45 JGG nur eine hypothetische Schuldbeurteilung. Die Strafverfolgungsorgane haben den Sachverhalt, so wie er sich im jeweiligen Verfahrensstadium abzeichnet, daraufhin zu prüfen, ob die Schuld des Angeklagten gering wäre, wenn die Feststellungen in einer Hauptverhandlung diesem Bild entsprächen. Die strafrechtliche Relevanz darf nicht nach Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld festgestellt, sie darf lediglich unterstellt werden (vgl. BVerfGE 74, 358 <373>; 82, 106 <116>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. November 2005 - 2 BvR 878/05 -, juris, Rn. 19).

15

b) Nach diesen Maßstäben verstößt die dem Verteidiger des Beschwerde-führers mitgeteilte Begründung der Verfügung, von einer Verfolgung gemäß § 45 Abs. 1 JGG abzusehen, gegen die im Rechtsstaatsprinzip gründende Unschuldsvermutung. Sie verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

16

Die Formulierung "Ihr Mandant hat sich durch sein Verhalten einer Straftat schuldig gemacht", lässt sich nicht mehr als gebotene Beschreibung einer Verdachtslage verstehen. Auch wenn im zweiten Satzteil nicht ausdrücklich von einem Schuldspruch gesprochen wird, ist der Wortlaut der Formulierung "einer Straftat schuldig gemacht" einer noch der Unschuldsvermutung Rechnung tragenden Beschreibung der Verdachtslage nicht zugänglich. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass im Folgesatz das "Verschulden" des Beschwerdeführers als "nicht groß" bewertet wird.

17

c) Die Mitteilung vom 29. September 2016 an den Verteidiger des Beschwerdeführers ist daher mit ihren Gründen aufzuheben und die Sache an die Staatsanwaltschaft Rostock zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).

18

2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht gegeben sind. Insoweit wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer weiteren Begründung abgesehen.

19

3. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung.

20

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

5 StR 472/04

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 11. November 2004
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. November 2004

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. Juni 2004 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffnet en Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Revision ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit das Rechtsmittel sich gegen den Schuldspruch richtet. Jedoch hält der Strafausspruch sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
Nach den getroffenen Feststellungen trug der Angeklagt e, ein „bislang nur geringfügig und auch noch nicht einschlägig“ bestrafter 27jähriger Familienvater , der einen Arbeitsvertrag hat, 202 g Marihuana mit einem THC-Anteil von 19 g bei sich, wovon drei Viertel zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt waren. Zugleich führte er ein Klappmesser mit arretierbarer Klinge und einer Klingenlänge von 6 cm mit sich. Das Landgericht hat hierin rechtsfehlerfrei ein Verbrechen nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG gefunden. Es hat einen minder schweren Fall nach § 30a Abs. 3 BtMG angenommen.
Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet folgende strafschärfende Erwägung: Es konnte „nicht gleichsam unterschlagen werden, daß sich der Angeklagte … jedenfalls noch nach einer ihm auch bekannt gewordenen Aussage seiner früheren Lebensgefährtin …, die unter anderem angegeben hatte, daß der Angeklagte schon seit Jahren im großen Stile mit Rauschgift handele, zu seiner Tat hat hinreißen lassen. Denn auch unabhängig von dem von ihm bestrittenen Wahrheitsgehalt jener Aussage, hätte er sich solche Beschuldigung doch zumindest als Warnung dienen lassen können, derartige Straftaten besser zu unterlassen.“ Allerdings kann ein früheres Strafverfahren eine bei der Strafzumessung berücksichtigungstaugliche Warnfunktion selbst dann entfalten, wenn es mit einer Einstellung nach § 170 Abs. 2, §§ 153 ff. oder § 260 Abs. 3 StPO oder gar mit einem Freispruch geendet hat; auch die Zustellung einer Anklage wegen eines vergleichbaren Vorwurfs kann in diesem Sinne beachtlich sein (zu alledem Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 367 bis 369 m.N. der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). Dies findet seinen Grund darin, daß die zunächst erfolgte gesetzliche Tätigkeit der Strafverfolgungsorgane jedenfalls einen – jeweils näher bestimmten – Verdachtsgrad voraussetzt. Auch ist es grundsätzlich möglich, der Bezichtigung durch eine Privatperson eine Warnfunktion der genannten Art beizumessen – nämlich dann, wenn die Richtigkeit der Bezichtigung festgestellt ist. Indes ist es ausgeschlossen , privaten Bezichtigungen ohne Rücksicht auf deren Wahrheitsgehalt , also möglicherweise unwahren Verdächtigungen eine solche strafschärfend wirkende Warnfunktion zuzusprechen.
Deshalb bedarf die Sache neuer Strafzumessung. Der neu e Tatrichter wird auch zu erwägen haben, ob etwa eine günstige Prognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB und besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB vorliegen und alle Strafzwecke auch mit einer Freiheitsstrafe erreichbar sind, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden könnte.
Harms Häger Raum Brause Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 125/06
vom
25. April 2006
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 25. April 2006 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 1. Dezember 2005 im Strafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Es hat das Vorliegen eines minder schweren Falles verneint und die Strafe der Vorschrift des § 250 Abs. 1 StGB entnommen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf den Strafausspruch beschränkten Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen wollte der Angeklagte seine finanzielle Situation durch die Begehung eines Banküberfalls verbessern. Er wartete zunächst, bis verschiedene Kunden die ihm für einen Überfall günstig erscheinende Bankfiliale verlassen hatten. Sodann betrat er, abgesehen von einer Schirmmütze un- maskiert, die Bank und bedrohte die Kassiererin mit einer ungeladenen Pistole des Fabrikats Crvena Zastava - Kal. 9 mm -, wobei er die Waffe in Bauchhöhe der Frau hielt. Unter dem Eindruck der Bedrohung händigte ihm die Kassiererin, die befürchtete, durch einen Bauchschuss würde ihr eine äußerst qualvolle und wahrscheinlich letztendlich tödliche Verletzung zugefügt werden, insgesamt 9.750 Euro aus. Anhand der von der Überwachungskamera gefertigten Lichtbilder konnte der Angeklagte alsbald identifiziert und etwa einen Monat nach der Tat festgenommen werden.

II.


3
Der Strafausspruch hat keinen Bestand, weil dessen Begründung Rechtsfehler aufweist, die sich nicht ausschließbar auf die Höhe der erkannten Strafe ausgewirkt haben können.
4
1. Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Landgericht "die erhebliche kriminelle Energie", die bei der Vorbereitung der Tat zum Ausdruck gekommen sei, strafschärfend berücksichtigt hat. Eine solche ist - worauf auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift hingewiesen hat - durch die Feststellungen nicht belegt.
5
2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet auch die Erwägung der Strafkammer, der Angeklagte habe sich ein früheres Strafverfahren, das erst etwa ein halbes Jahr vor der Tat nach mehrjähriger Dauer mit einem Freispruch beendet worden war, nicht zur Warnung dienen lassen. In jenem Verfahren war der Angeklagte vom Vorwurf der versuchten Vergewaltigung einer Prostituierten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden, nachdem eine zunächst erfolgte Verurteilung auf seine Sprungrevision aufgehoben worden war.
6
Allerdings kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein früheres Strafverfahren eine bei der Strafzumessung berücksichtigungstaugliche Warnfunktion auch dann entfalten, wenn es mit einer Einstellung nach § 170 Abs. 2, §§ 153 ff. oder § 260 Abs. 3 StPO oder - wie hier - gar mit einem Freispruch geendet hat (vgl. BGHSt 25, 64 m.w.N.; BGH MDR 1954, 151; MDR 1979, 635 m.w.N.; StV 1991, 64; NStZ-RR 2005, 72; vgl. auch Gribbohm in LK 11. Aufl. § 46 Rdn. 158, 165, 166; Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 46 Rdn. 41; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl. Rdn. 367). Dies wird damit begründet , dass auch ein Verfahren, welches nicht mit einer Bestrafung endet, dem Täter die Folgen strafbaren Verhaltens vor Augen führe. Sein Handlungsunrecht wiege deswegen schwerer, wenn er trotz dieser Warnung eine Straftat begeht (vgl. BGHSt 25, 64 m.w.N.; ablehnend OLG Köln NJW 1960, 449; kritisch Franke in MK-StGB § 46 Rdn. 43).
7
Dies erscheint im Hinblick auf die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK bedenklich. Hinzu kommt, dass das Verfahren im vorliegenden Fall einen völlig anders gearteten Schuldvorwurf betraf.
8
3. Entgegen der Ansicht der Revision und des Generalbundesanwalts liegt dagegen ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB nicht vor. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Tatsache der Verwendung einer echten, wenn auch ungeladenen Schusswaffe, die im Urteil als schwere und große Pistole beschrieben wird, die schon optisch auf Grund ihrer Maße einen besonders bedrohlichen Eindruck macht, und die dadurch verursachten Folgen für das Opfer strafschärfend berücksichtigt hat (vgl. BGHSt 44, 103, 106; BGH NJW 1998, 3130, 3131). Für die Tatbestandsvariante des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB reicht es aus, dass der Täter ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden. Der Angeklagte hat das Tatmittel nicht nur bei sich geführt, sondern auch zur Drohung verwendet; zudem handelte es sich um ein Tatmittel, von dem auf Grund seiner Beschaffenheit ein besonderes Drohpotential ausging.

III.


9
Die zu II. 1 und 2 aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Strafausspruchs. Zwar liegt die Annahme eines minder schweren Falles nach § 250 Abs. 3 StGB angesichts der Straferschwerungsgründe und des gesamten Tatbildes eher fern; der Senat vermag aber nicht sicher auszuschließen, dass sich die fehlerhaften Erwägungen auf die Höhe der erkannten Strafe ausgewirkt haben.
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Sost-Scheible

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.

(2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 645/10
vom
15. Juni 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 15. Juni 2011 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 22. September 2010 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in drei Fällen, unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln in 16 Fällen und Beihilfe zum unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit es den Rechtsfolgenausspruch betrifft. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Das Landgericht hat dem Angeklagten in allen Fällen strafschärfend angelastet, dass es sich nicht um ein "Augenblicksversagen" gehandelt habe. In den Fällen 4. bis 19. hat es hinzugefügt, dass er sich erst "nach reiflicher Überlegung bewusst" zur Tatbegehung entschlossen habe. Dies lässt besorgen, dass das Landgericht dem Angeklagten entgegen § 46 Abs. 3 StGB bei der Strafbemessung vorgeworfen hat, er habe vorsätzlich gehandelt. Für die Fälle 1. bis 3. besteht dieses Bedenken, weil in Fällen des Betäubungsmittelerwerbs ausschließlich zum Eigenkonsum vor allem das Motiv erhebliche strafmildernde Bedeutung besitzt (vgl. BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 11; BGH Beschluss vom 22. Oktober 1992 - 1 StR 694/92). In den Fällen 4. bis 25. wurde dem Angeklagten auch gewerbsmäßiges Handeln angelastet, so dass dort erst recht die Überlegung, der Angeklagte habe sich bewusst zur Tatbegehung entschlossen , keinen bestimmenden Strafschärfungsgrund bilden darf.
3
Im Übrigen ist es rechtlich bedenklich, dass das Landgericht bei der Bemessung der Einzelstrafen jeweils die Gesamtmenge des Betäubungsmittelumsatzes berücksichtigt hat. Zumindest in den Fällen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG hat der Gesetzgeber der im Einzelfall gehandelten Betäubungsmittelmenge ein bestimmtes Unrechtsgewicht beigemessen. Vor diesem Hintergrund erscheint es fragwürdig, ob der Gesamtmenge von Betäubungsmitteln, mit denen der Angeklagte Straftaten begangen hat, bereits eine bestimmende Bedeutung bei der Strafzumessung im engeren Sinne zur Bestimmung der Einzelstrafen beigemessen werden kann.
4
2. Der Rechtsfolgenausspruch begegnet auch insoweit durchgreifenden Bedenken, als das Landgericht davon abgesehen hat, eine Maßregel nach § 64 StGB anzuordnen. Einen Erfahrungssatz des Inhalts, dass bei einem Drogenabhängigen grundsätzlich die Gefahr neuer erheblicher Straftaten besteht, gibt es allerdings nicht. Soweit zu erwarten wäre, dass der Angeklagte künftig Rauschgift nur zum Eigenkonsum erwirbt, könnte dies für sich genommen eine Unterbringungsanordnung nach § 64 StGB nicht rechtfertigen (vgl. BGH NStZ 1994, 280; StV 1996, 880). Da der Angeklagte aber bisher nicht sicher im Berufsleben Fuß gefasst hat, ist auch künftige Beschaffungskriminalität nicht fernliegend. Die Maßregelanordnung ist abhängig von der Entwicklung des Angeklagten. Insoweit hat das Landgericht zwar festgestellt, dass der Angeklagte in der Vergangenheit seinen Konsum reduzieren konnte und nach der vorläufigen Festnahme vom Amphetaminkonsum abgelassen hat, dies aber vor allem, weil auch seine Lieferanten verhaftet wurden. Den Haschischkonsum hat er trotzdem zunächst fortgesetzt. Danach war der Druck, den seine Freundin auf ihn ausgeübt hat, der Anlass für den anschließenden Verzicht auch auf Haschischkonsum. Ob es dabei sein Bewenden haben wird, ist angesichts der drohenden Strafvollstreckung und der beruflichen Situation des Angeklagten fraglich. Die Beteuerung des Angeklagten, nicht mehr mit Betäubungsmittelkonsum und -handel zu tun haben zu wollen, erscheint nicht als zuverlässiger Prognosegesichtspunkt.
Fischer Appl Berger Krehl Eschelbach
2
1. Die Begründung, mit der die Jugendkammer die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt hat, erweist sich als rechtsfehlerhaft. Der zweifelsfrei alkoholkranke Angeklagte hat im Zustand alkoholbedingt verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB eine schwere Gewalttat begangen. Vor diesem Hintergrund ist die Wer- tung der Jugendkammer nicht verständlich, es fehle an einer Gefahr künftiger erheblicher Straftaten aufgrund des Hangs. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird die von § 64 Satz 1 StGB geforderte Gefahr nämlich in aller Regel allein durch eine hangbedingte schwere Gewalttat als Anlasstat hinreichend belegt (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 1988 – 2 StR 200/88, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 2; Beschlüsse vom 18. Juli 2000 – 5 StR 289/00, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 7; vom 20. Janu- ar 2004 – 4 StR 464/03, NStZ-RR 2004, 204, 205). Dass der mehrfach vorbelastete Angeklagte bislang nicht gerade durch Gewalttaten aufgefallen ist, steht der Annahme seiner Gefährlichkeit mithin genauso wenig entgegen wie dessen Selbsteinschätzung, er könne sich seine Aggressivität nicht erklären. Da Beeinflussungssituationen auch in Zukunft eintreten können, trägt auch die Überlegung der Jugendkammer nicht, der Mittäter des Angeklagten sei die „treibende Kraft“ gewesen.