Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Jan. 2020 - 1 StR 490/19

bei uns veröffentlicht am16.01.2020
vorgehend
Landgericht Karlsruhe, 95 , s 13230/18

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 490/19
vom
16. Januar 2020
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a.
ECLI:DE:BGH:2020:160120B1STR490.19.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 16. Januar 2020 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe – auswärtige Strafkammer Pforzheim – vom 27. Mai 2019 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt.
2
Die Revision des Angeklagten hat zum Rechtsfolgenausspruch mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), da die Strafkammer die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt hat. Dies führt gemäß § 5 Abs. 3 JGG auch zur Aufhe- bung des Strafausspruchs. Im Übrigen ist seine Revision unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Die sachverständig beratene Jugendkammer hat im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 64 StGB einen Hang und symptomatischen Zusammenhang für gegeben erachtet, jedoch die Gefahr zukünftiger hangbedingt begangener rechtswidriger Taten verneint. Der Angeklagte habe während des Vollzugs der Untersuchungshaft Kontakt mit der vollzugsinternen Drogenberatung aufgenommen und an der Organisation einer ambulanten Therapie gearbeitet. Sein Ziel sei es, „den Zigarettenkonsum einzuschränken und auch die Drogenproblematik mittels professioneller Hilfe anzugehen“. Deshalb sei „von einem hohen Potenzial bei einer ernsthaft betriebenen Suchtaufarbeitung“ auszugehen und davon, dass er mit professioneller Hilfe seinen Betäubungsmittelmissbrauch einstellen und keine weiteren Straftaten begehen werde.
4
2. Diese Begründung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die Jugendkammer wesentliche negative prognoserelevante Gesichtspunkte außer Betracht gelassen hat.
5
a) Die Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 64 Satz 1 StGB setzt die „begründete“ bzw. „naheliegende“ Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher Straftaten voraus (BGH, Urteile vom 22. November 2018 – 4 StR 356/18 Rn. 10 mwN und vom 11. Dezember 1990 – 1 StR 611/90 Rn. 4; Beschluss vom 9. Oktober 2019 – 4 StR 367/19 Rn. 6), wobei die Frage der Wiederholungsgefahr aufgrund einer umfassenden Gesamtabwägung zu beantworten ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Oktober 2019 – 4 StR 367/19 Rn. 6 und vom 13. Dezember 2018 – 3 StR 386/18 Rn. 11).
6
Faktoren, die eine solche Gefahr begründen, können sich aus der Persönlichkeit des Täters ergeben, seinem bisherigen Rauschmittelkonsum – Zeitraum, Menge und Art –, Vorleben, Vorstrafen, Vorahndungen, Nachtat- verhalten und Anlasstat (BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2019 – 4 StR 367/19 Rn. 6). Dabei kann die Gefahr auch allein durch die Anlasstat begründet werden (BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2000 – 5 StR 289/00 Rn. 2 und vom 11. März 1997 – 5 StR 29/97); durch eine hangbedingte schwere Gewalttat als Anlasstat wird sie regelmäßig hinreichend belegt sein (BGH, Beschlüsse vom 13. Dezember 2018 – 3 StR 386/18 Rn. 13; vom 25. November 2014 – 5 StR 509/14 Rn. 2; vom 20. Januar 2004 – 4 StR 464/03 Rn. 6 und vom 18. Juli 2000 – 5 StR 289/00 Rn. 2; Urteil vom 29. Juni 1988 – 2 StR 200/88 Rn. 14).
7
b) Der Angeklagte hat früh mit dem Rauschmittelmissbrauch begonnen. Er trank seit dem 14. Lebensjahr Alkohol, konsumierte seit dem 15. Lebensjahr Marihuana und gelegentlich Amphetamin. Mit Verfügung vom 13. Januar 2016 – zu diesem Zeitpunkt war der Angeklagte 16 Jahre alt – sah die Staatsanwalt- schaft von der Verfolgung des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nach § 45 Abs. 2 JGG ab. In dem Zeitraum unmittelbar vor der Inhaftierung konsumierte der Angeklagte bereits täglich zwischen zwei und drei Gramm Marihuana , hatte die Ausbildung abgebrochen und eine in der Folge aufgenommene Arbeitsstelle nach vier Monaten gekündigt. Er hat Schulden in Höhe von 7.000 € und solche gegenüber seinen Drogenlieferanten. Nach den Feststellungen beging er die gegenständliche Tat aus finanzieller Not, dem Druck seiner Drogenlieferanten, seine Schulden zu bezahlen, und weil das von ihm in ʺKommissionʺ übernommene Marihuana vonseinen Abnehmern nicht bezahlt worden war.
8

c) Die Jugendkammer hat damit wesentliche negative prognoserelevante Umstände nicht berücksichtigt. Die Schulden des Angeklagten in Verbindung mit seiner Rauschmittelabhängigkeit – der Angeklagte klagte in der Untersuchungshaft über Entzugserscheinungen in Gestalt von Schlafstörungen und Schweißausbrüchen –, das Fehlen von Beharrungsvermögen bei Übernahme von Ausbildungs- oder Arbeitsstellen und von legalen Einkunftsquellen sprechen als negative Faktoren für die Gefahr erneuter Beschaffungskriminalität. Die Rauschgiftabhängigkeit selbst ist unbehandelt und – sogar im Falle einer Behandlung wegen der hohen Rückfallgefahr – ein gewichtiges Indiz für eine Gefährlichkeit.
9
Zudem hat die Jugendkammer – ebenso wie die Jugendgerichtshilfe – bei dem Angeklagten schädliche Neigungen aufgrund des ihn umgebenden Umfelds, seines Suchtmittelmissbrauchs, seiner Perspektivlosigkeit und dem Fehlen einer Tagesstruktur festgestellt. Die Jugendgerichtshilfe befürchtete deshalb, der Angeklagte werde ohne weiteren fördernden Einfluss des Vollzuges in sein altes Umfeld zurückkehren und die alten Verhaltensmuster wieder aufnehmen.
10
Allein der Umstand, dass der Angeklagte Kontakt mit der vollzugsinternen Drogenberatung aufgenommen hat, um eine ambulante Therapie zu organisieren , ist für sich nicht geeignet, die Gefahr zukünftiger hangbedingt begangener rechtswidriger Taten des Angeklagten zu entkräften und die konkrete Aussicht zu begründen, der Angeklagte könne auch ohne Vollzug der Maßregel geheilt, jedenfalls aber über eine erhebliche Zeitspanne vor einem Rückfall bewahrt werden, seine Gefährlichkeit also auch ohne Maßregelvollzug aufgehoben oder deutlich herabgesetzt werden.
11
Der Annahme seiner Gefährlichkeit steht nicht entgegen, dass der Angeklagte bislang nicht durch Gewalttaten aufgefallen ist. In Gestalt des den Gegenstand des angefochtenen Urteils bildenden erheblichen hangbedingten Vermögens- und Gewaltdelikts ist der Angeklagte in einer Art und in einem Maße strafrechtlich in Erscheinung getreten, die die Gefahr zukünftiger, auf seinen Hang zurückzuführender erheblicher rechtswidriger Taten nahelegen.
12
3. Die fehlerhafte Ablehnung der Maßregelanordnung zieht wegen des durch § 5 Abs. 3 JGG vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen nach sich; denn danach kann bei schuldhaft begangenen Straftaten von der an sich erforderlichen Verhängung von Jugendstrafe abgesehen werden, wenn sie als zusätzliche erzieherische Maßnahme wegen der Maßregelanordnung nicht erforderlich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. März 2018 – 3 StR 41/18 Rn. 6; vom 27. Oktober 2015 – 3 StR 314/15 Rn. 7; vom 25. November 2014 – 5 StR 509/14 Rn. 4; vom 26. Mai 2009 – 4 StR 134/09 Rn. 2 und vom 11. Juli 2017 – 5 StR 282/17 Rn. 4). Raum Cirener Fischer Bär Leplow
Vorinstanz:
Karlsruhe - Zwst. Pforzheim, LG, 27.05.2019 - 95 Js 13230/18 17 KLs

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.

(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.

(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

10
Die Feststellungen und Wertungen des Landgerichts belegen nämlich, dass die Voraussetzungen einer solchen Unterbringung nicht vorliegen: Die Strafkammer geht im Anschluss an die Ausführungen des von ihr gehörten Sachverständigen davon aus, dass die Wiederholungsgefahr gering sei, aber nicht ausgeschlossen werden könne. Für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hingegen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die „begründete“ Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher Straf- taten erforderlich (BGH, Urteil vom 21. September 1993 – 4 StR 374/93, NStZ 1994, 30, 31; ebenso Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, StGB, 29. Aufl., § 64 Rn. 12; vgl. auch BGH, Urteil vom 7. Mai 1991 – 1 StR 141/91); es muss mit einer Wiederholung „zu rechnen“ (BGH, Beschluss vom 29. August 2018 – 4 StR 248/18), dies muss „konkret (zu) besorgen“ sein (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2008 – 3 StR 148/08, NStZ-RR 2008, 234; OLG Koblenz, Beschluss vom 27. Oktober 2010 – 2 Ss 170/10). Die bloße Wiederholungsmöglichkeit genügt nicht (BGH, Urteil vom 21. September 1993 aaO; Urteil vom 11. Dezember 1990 – 1 StR 611/90, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 3; Beschluss vom 6. Dezember 1996 – 2 StR 608/96, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 6). Auch in der Literatur wird eine „nahe liegende“ bzw. bestimmte Wahrscheinlichkeit weiterer hangbedingter Straftaten gefordert (Schöch in LK-StGB, 12. Aufl., § 64 Rn. 84; MünchKomm-StGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 64 Rn. 55; SSWStGB /Kaspar, 3. Aufl., § 64 Rn. 29; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 64 Rn. 5). Dem genügt eine „geringe“ Wahrscheinlichkeit nicht. Daher kommt es nicht mehr darauf an, ob die Formulierung der Strafkammer, die einerseits eine geringe Wahrscheinlichkeit feststellt, sie andererseits aber lediglich nicht ausschließen kann, nicht schon in sich widersprüchlich ist.
6
aa) Die Gefahr der zukünftigen Begehung erheblicher rechtswidriger und auf den Hang zurückzuführender Straftaten setzt eine naheliegende Wahrscheinlichkeit voraus. Eine bloße Wiederholungsmöglichkeit genügt nicht. Für die Rückfallgefahr können sich Anhaltspunkte etwa aus der Persönlichkeit des Täters, seinem bisherigen Rauschmittelkonsum, seinem Vorleben und seinen Vorstrafen ergeben. Für die Frage der Wiederholungsgefahr ist eine umfassende Gesamtabwägung erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 1990 – 1 StR 611/90, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 3; Beschluss vom 13. Dezember 2018 – 3 StR 386/18, Rn. 11, insofern nicht abgedruckt in NStZ 2019, 400; MüKo-StGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 64 Rn. 55 mwN).
11
Diese äußerst knappen Ausführungen genügen nicht den an die Darlegung der Gefahrenprognose von Rechts wegen zu stellenden Anforderungen. Sie belegen nicht die Wahrscheinlichkeit, dass der - nicht vorbestrafte - Angeklagte hangbedingt erneut straffällig werden wird. Weder seine Gefährlichkeit noch der symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang zu Rauschmitteln und wahrscheinlichen künftigen Taten ist nachvollziehbar dargelegt (zu den Voraussetzungen vgl. nur MüKoStGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 64 Rn. 52 f., 55 ff. mwN).
6
aa) Die Gefahr der zukünftigen Begehung erheblicher rechtswidriger und auf den Hang zurückzuführender Straftaten setzt eine naheliegende Wahrscheinlichkeit voraus. Eine bloße Wiederholungsmöglichkeit genügt nicht. Für die Rückfallgefahr können sich Anhaltspunkte etwa aus der Persönlichkeit des Täters, seinem bisherigen Rauschmittelkonsum, seinem Vorleben und seinen Vorstrafen ergeben. Für die Frage der Wiederholungsgefahr ist eine umfassende Gesamtabwägung erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 1990 – 1 StR 611/90, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 3; Beschluss vom 13. Dezember 2018 – 3 StR 386/18, Rn. 11, insofern nicht abgedruckt in NStZ 2019, 400; MüKo-StGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 64 Rn. 55 mwN).
5 StR 289/00

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 18. Juli 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Juli 2000

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 7. März 2000 nach § 349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten ist, soweit sie den Schuldspruch betrifft, unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Beweiswürdigung, auf deren Grundlage das Schwurgericht eine Notwehrlage des Angeklagten bei Beginn der gewalttätigen Einwirkung auf sein Opfer ausgeschlossen und eine alkoholbedingte erhebliche Verminderung, nicht indes einen Ausschluß der Schuldfähigkeit des Angeklagten angenommen hat, hält nach dem Gesamtzusam- menhang der Urteilsgründe sachlichrechtlicher Prüfung stand. Anders verhält es sich mit dem Rechtsfolgenausspruch.
Die Begründung, mit welcher das Landgericht die Anordnung einer Maßregel der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt hat, erweist sich als rechtsfehlerhaft. Der – wie vom psychiatrischen Sachverständigen zweifelsfrei festgestellt – alkoholkranke Angeklagte hat ohne jeden verständlichen Anlaß im Zustand alkoholbedingter erheblicher Enthemmung im Sinne von § 21 StGB eine besonders schwere Gewalttat begangen. Danach ist die vom Schwurgericht gebilligte Wertung des Sachverständigen, es fehle an einer Gefahr künftiger erheblicher Straftaten des Angeklagten infolge seines Hanges, nicht verständlich. Die von § 64 Abs. 1 StGB geforderte Gefahr kann allein durch die Anlaßtat begründet werden (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 – Gefährlichkeit 2; BGH, Beschluß vom 11. März 1997 – 5 StR 29/97 – ; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 64 Rdn. 6); durch eine hangbedingte schwere Gewalttat als Anlaßtat wird sie regelmäßig hinreichend belegt. In Ermangelung jeglichen nachvollziehbaren Tatmotivs war hier auch aus dem eher unauffälligen Vorleben des Angeklagten nichts anderes herzuleiten. Der weitere Hinweis des Sachverständigen, der Angeklagte biete “noch keine nachvollziehbare innere Motivation” für eine Entziehungskur, ist – auch im Blick auf zu erwägende Möglichkeiten einer maßgeblichen Motivationsstärkung im Rahmen der Behandlung – zu vage, um das Fehlen der für eine Unterbringung gemäß § 64 StGB erforderlichen hinreichend konkreten Aussicht eines Behandlungserfolges (BVerfGE 91, 1) ausreichend zu belegen und die Nichtanordnung der Maßregel allein zu tragen.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß die Strafe bei Anordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB niedriger hätte ausfallen können. Das gilt insbesondere angesichts dessen, daß der Strafausspruch – trotz des gravierenden Tatbildes – seiner Begründung wegen nicht unbedenklich ist.
Einem Täter wie dem Angeklagten, dem eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) zugute zu halten ist, darf die bei Begehung der Tat bewiesene Handlungsintensität, die auf diesen Zustand zurückgeht, nur eingeschränkt angelastet werden (vgl. BGHR StGB § 21 – Strafzumessung 17; Tröndle/Fischer aaO § 46 Rdn. 19 und 22; jeweils m.w.N.). Eine wesentliche Strafschärfung wegen besonderen Leidens des Opfers setzt – wenn nicht etwa entsprechend gezieltes Verhalten des Täters in Frage steht – regelmäßig voraus, daß das Opfer dabei mindestens teilweise bei Bewußtsein gewesen ist, was sich hier ohne näheren Beleg nicht von selbst versteht.
Bei dieser Sachlage muß über Strafhöhe und Maßregel – wiederum unter Zuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StGB) – erneut tatrichterlich verhandelt werden.
Harms Basdorf Tepperwien Gerhardt Brause
2
1. Die Begründung, mit der die Jugendkammer die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt hat, erweist sich als rechtsfehlerhaft. Der zweifelsfrei alkoholkranke Angeklagte hat im Zustand alkoholbedingt verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB eine schwere Gewalttat begangen. Vor diesem Hintergrund ist die Wer- tung der Jugendkammer nicht verständlich, es fehle an einer Gefahr künftiger erheblicher Straftaten aufgrund des Hangs. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird die von § 64 Satz 1 StGB geforderte Gefahr nämlich in aller Regel allein durch eine hangbedingte schwere Gewalttat als Anlasstat hinreichend belegt (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 1988 – 2 StR 200/88, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 2; Beschlüsse vom 18. Juli 2000 – 5 StR 289/00, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 7; vom 20. Janu- ar 2004 – 4 StR 464/03, NStZ-RR 2004, 204, 205). Dass der mehrfach vorbelastete Angeklagte bislang nicht gerade durch Gewalttaten aufgefallen ist, steht der Annahme seiner Gefährlichkeit mithin genauso wenig entgegen wie dessen Selbsteinschätzung, er könne sich seine Aggressivität nicht erklären. Da Beeinflussungssituationen auch in Zukunft eintreten können, trägt auch die Überlegung der Jugendkammer nicht, der Mittäter des Angeklagten sei die „treibende Kraft“ gewesen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 464/03
vom
20. Januar 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 20. Januar 2004 einstimmig beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Neubrandenburg vom 24. April 2003 mit
Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Sachverhalt
aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt; eine Unterbringung nach § 64 StGB hat es abgelehnt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Sachverhalt; eines Eingehens auf die Verfahrensrügen, die die Nichtanordnung der Unterbringung betreffen, bedarf es deshalb nicht.
1. Nach den Feststellungen nahm der Angeklagte seit Jahren regelmäßig alkoholische Getränke im Übermaß zu sich. Auch am Tattag trank er mit
dem später Geschädigten Manfred W. und weiteren Personen erhebliche Mengen Alkohol, bevor er sich am späten Nachmittag schlafen legte. Etwa zwei Stunden später wurde er von dem ebenfalls hochgradig alkoholisierten Manfred W. geweckt, der lautstark weiteren Alkohol forderte. Um ihn zur Ruhe zu bringen, wollte der Angeklagte, wie er es schon öfter getan hatte, Manfred W. in dessen Wohnung einschließen; er stieß ihn hinein und schlug ihn mehrfach mit der Faust. Es entwickelte sich eine Rangelei, in deren Verlauf Manfred W. ein Messer mit feststehender Klinge zog und dem Angeklagten vor das Gesicht hielt. Der Angeklagte, der eine BAK von 3,72 ‰ hatte, nahm ihm das Messer ab, wie er dies in der Vergangenheit bereits mehrfach problemlos getan hatte. Aus Wut über das Verhalten des Geschädigten und um dafür zu sorgen , daß dieser ihn künftig nicht nochmals so bedrohen werde, stach der Angeklagte das Messer dreimal mit erheblicher Intensität in den Rücken beziehungweise die Flanke des Geschädigten. Einer der Stiche verursachte eine Lungenverletzung, die zum alsbaldigen Tod des Opfers führte. Der Angeklagte begab sich in seine eigene Wohnung und teilte der Polizei telefonisch mit, er sei von Manfred W. angegriffen worden und befürchte eine weitere Bedrohung.
2. Der Schuldspruch wegen Totschlags hat keinen Bestand, weil der Tötungsvorsatz nicht ausreichend festgestellt ist. Das Landgericht hat das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes allein aus der besonders gefährlichen Gewaltanwendung gefolgert. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der Schluß auf einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz nahe liegt, doch ist dieser nur dann rechtsfehlerfrei , wenn der Tatrichter alle nach Sachlage in Betracht kommenden Tatumstände in seine Erwägungen einbezogen hat, die dieses Ergebnis in Frage
stellen können (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 50 m.w.N.). Hier fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten, der zur Tatzeit eine BAK von 3,72 ‰ aufwies. Wegen dieser Alkohol-intoxikation hat das Landgericht - den Ausführungen des zur Schuldfähigkeitsbeurteilung gehörten Sachverständigen folgend - eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB angenommen. Bei dieser Sachlage versteht es sich nicht von selbst, daß der über das Verhalten des Manfred W. in Wut geratene Angeklagte trotz seiner erheblichen Alkoholisierung erkannt hat, daß seine Gewalthandlungen zum Tode des Opfers führen könnten, und diese Folge auch billigend in Kauf genommen hat (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 26, 55). Wenn ein Täter durch Alkohol oder andere Rauschmittel in seiner Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt war, bedarf es besonderer Begründung, wenn der Tatrichter das Wissenselement des bedingten Vorsatzes aus der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung herleiten will. Eine solche Begründung läßt das angefochtene Urteil vermissen: Das Landgericht hat sich mit der erheblichen Alkoholisierung nur bei der Schuldfähigkeitsprüfung, nicht aber bei der Erörterung des Vorsatzes auseinandergesetzt. Das Urteil ist deswegen aufzuheben.
Da die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf, insbesondere zum Fehlen einer Notwehrlage, von diesem Rechtsfehler nicht betroffen sind, können sie aufrechterhalten bleiben.
3. Der neu entscheidende Tatrichter wird auch über die Frage einer Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB zu befinden haben, und zwar, wie § 246 a StPO vorschreibt, unter Hinzuziehung eines Sachverständigen. Eine Unterbringungsentscheidung ist - wie die Revision zu Recht gerügt hat -
rechtsfehlerhaft, wenn das Gericht es unterläßt, in der Hauptverhandlung einen Sachverständigen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen (vgl. BGHR StPO § 246 a Satz 1 Sachverständiger 1). Sowohl bei der Feststellung eines Hanges als auch bei der erforderlichen Gefährlichkeitsprognose ist das Gericht gehalten, sich sachverständiger Hilfe zu bedienen. Dieses Verfahrenserfordernis kann nicht etwa durch die in anderen Verfahren erworbenen und andere Angeklagte betreffende "eigene Sachkunde" des Gerichts ersetzt werden (BGH, Beschluß vom 15. Juli 1999 - 4 StR 231/99; vgl. auch Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 246 a Rdn. 1).
Bezüglich der Frage, ob bei dem bisher nicht bestraften Angeklagten infolge seines Hanges die Gefahr künftiger erheblicher Straftaten besteht, wird der neu entscheidende Tatrichter zu bedenken haben, daß die von § 64 Abs. 1 StGB geforderte Gefahr allein durch die Anlaßtat begründet werden kann (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 2; BGH, Beschluß vom 18. Juli 2000 - 5 StR 289/00; vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 64 Rdn. 11 m.w.N.).
Tepperwien Kuckein Athing
5 StR 289/00

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 18. Juli 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Juli 2000

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 7. März 2000 nach § 349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten ist, soweit sie den Schuldspruch betrifft, unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Beweiswürdigung, auf deren Grundlage das Schwurgericht eine Notwehrlage des Angeklagten bei Beginn der gewalttätigen Einwirkung auf sein Opfer ausgeschlossen und eine alkoholbedingte erhebliche Verminderung, nicht indes einen Ausschluß der Schuldfähigkeit des Angeklagten angenommen hat, hält nach dem Gesamtzusam- menhang der Urteilsgründe sachlichrechtlicher Prüfung stand. Anders verhält es sich mit dem Rechtsfolgenausspruch.
Die Begründung, mit welcher das Landgericht die Anordnung einer Maßregel der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt hat, erweist sich als rechtsfehlerhaft. Der – wie vom psychiatrischen Sachverständigen zweifelsfrei festgestellt – alkoholkranke Angeklagte hat ohne jeden verständlichen Anlaß im Zustand alkoholbedingter erheblicher Enthemmung im Sinne von § 21 StGB eine besonders schwere Gewalttat begangen. Danach ist die vom Schwurgericht gebilligte Wertung des Sachverständigen, es fehle an einer Gefahr künftiger erheblicher Straftaten des Angeklagten infolge seines Hanges, nicht verständlich. Die von § 64 Abs. 1 StGB geforderte Gefahr kann allein durch die Anlaßtat begründet werden (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 – Gefährlichkeit 2; BGH, Beschluß vom 11. März 1997 – 5 StR 29/97 – ; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 64 Rdn. 6); durch eine hangbedingte schwere Gewalttat als Anlaßtat wird sie regelmäßig hinreichend belegt. In Ermangelung jeglichen nachvollziehbaren Tatmotivs war hier auch aus dem eher unauffälligen Vorleben des Angeklagten nichts anderes herzuleiten. Der weitere Hinweis des Sachverständigen, der Angeklagte biete “noch keine nachvollziehbare innere Motivation” für eine Entziehungskur, ist – auch im Blick auf zu erwägende Möglichkeiten einer maßgeblichen Motivationsstärkung im Rahmen der Behandlung – zu vage, um das Fehlen der für eine Unterbringung gemäß § 64 StGB erforderlichen hinreichend konkreten Aussicht eines Behandlungserfolges (BVerfGE 91, 1) ausreichend zu belegen und die Nichtanordnung der Maßregel allein zu tragen.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß die Strafe bei Anordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB niedriger hätte ausfallen können. Das gilt insbesondere angesichts dessen, daß der Strafausspruch – trotz des gravierenden Tatbildes – seiner Begründung wegen nicht unbedenklich ist.
Einem Täter wie dem Angeklagten, dem eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) zugute zu halten ist, darf die bei Begehung der Tat bewiesene Handlungsintensität, die auf diesen Zustand zurückgeht, nur eingeschränkt angelastet werden (vgl. BGHR StGB § 21 – Strafzumessung 17; Tröndle/Fischer aaO § 46 Rdn. 19 und 22; jeweils m.w.N.). Eine wesentliche Strafschärfung wegen besonderen Leidens des Opfers setzt – wenn nicht etwa entsprechend gezieltes Verhalten des Täters in Frage steht – regelmäßig voraus, daß das Opfer dabei mindestens teilweise bei Bewußtsein gewesen ist, was sich hier ohne näheren Beleg nicht von selbst versteht.
Bei dieser Sachlage muß über Strafhöhe und Maßregel – wiederum unter Zuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StGB) – erneut tatrichterlich verhandelt werden.
Harms Basdorf Tepperwien Gerhardt Brause

(1) Der Staatsanwalt kann ohne Zustimmung des Richters von der Verfolgung absehen, wenn die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen.

(2) Der Staatsanwalt sieht von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet ist und er weder eine Beteiligung des Richters nach Absatz 3 noch die Erhebung der Anklage für erforderlich hält. Einer erzieherischen Maßnahme steht das Bemühen des Jugendlichen gleich, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Der Staatsanwalt regt die Erteilung einer Ermahnung, von Weisungen nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, 7 und 9 oder von Auflagen durch den Jugendrichter an, wenn der Beschuldigte geständig ist und der Staatsanwalt die Anordnung einer solchen richterlichen Maßnahme für erforderlich, die Erhebung der Anklage aber nicht für geboten hält. Entspricht der Jugendrichter der Anregung, so sieht der Staatsanwalt von der Verfolgung ab, bei Erteilung von Weisungen oder Auflagen jedoch nur, nachdem der Jugendliche ihnen nachgekommen ist. § 11 Abs. 3 und § 15 Abs. 3 Satz 2 sind nicht anzuwenden. § 47 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung.

(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.

(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.

(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.

6
b) Der aufgezeigte Rechtsfehler führt auch zur Aufhebung des Strafausspruchs. Denn es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht im Falle der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 5 Abs. 3 JGG davon abgesehen hätte, gegen ihn eine Jugendstrafe zu verhängen.
7
2. Die fehlerhafte Ablehnung der Maßregelanordnung zieht gemäß § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG die Aufhebung auch des Strafausspruchs nach sich (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2014 - 5 StR 509/14, juris Rn. 4).
2
1. Die Begründung, mit der die Jugendkammer die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt hat, erweist sich als rechtsfehlerhaft. Der zweifelsfrei alkoholkranke Angeklagte hat im Zustand alkoholbedingt verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB eine schwere Gewalttat begangen. Vor diesem Hintergrund ist die Wer- tung der Jugendkammer nicht verständlich, es fehle an einer Gefahr künftiger erheblicher Straftaten aufgrund des Hangs. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird die von § 64 Satz 1 StGB geforderte Gefahr nämlich in aller Regel allein durch eine hangbedingte schwere Gewalttat als Anlasstat hinreichend belegt (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 1988 – 2 StR 200/88, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 2; Beschlüsse vom 18. Juli 2000 – 5 StR 289/00, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 7; vom 20. Janu- ar 2004 – 4 StR 464/03, NStZ-RR 2004, 204, 205). Dass der mehrfach vorbelastete Angeklagte bislang nicht gerade durch Gewalttaten aufgefallen ist, steht der Annahme seiner Gefährlichkeit mithin genauso wenig entgegen wie dessen Selbsteinschätzung, er könne sich seine Aggressivität nicht erklären. Da Beeinflussungssituationen auch in Zukunft eintreten können, trägt auch die Überlegung der Jugendkammer nicht, der Mittäter des Angeklagten sei die „treibende Kraft“ gewesen.
2
Die sachverständig beratene Jugendkammer hat die Anordnung, den zur Tatzeit 16 Jahre alten Angeklagten, dessen Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Tat wegen Alkoholisierung in Verbindung mit einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (ICD 10: F 92.9) erheblich vermindert war, gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen, für sich genommen rechtsfehlerfrei begründet. Das Urteil lässt jedoch nicht erkennen, dass das Landgericht geprüft hat, ob gemäß § 5 Abs. 3 JGG von Jugendstrafe abzusehen ist, weil deren Verhängung im Hinblick auf die gleichzeitig erfolgte Unterbringungsanordnung entbehrlich ist. Bei schuldhaft begangenen Straftaten eröffnet § 5 Abs. 3 JGG die Möglichkeit, von der an sich erforderlichen Verhängung von Jugendstrafe abzusehen, wenn sie als zusätzliche erzieherische Maßnahme wegen der Maßregelanordnung nicht erforderlich ist, und trägt damit dem Gedanken der Einspurigkeit freiheitsentziehender Maßnahmen im Jugendstrafrecht Rechnung (BGHSt 39, 92, 95). Eine entsprechende Prüfung und Entscheidung ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Zwar betrifft der Rechtsfehler unmittelbar nur die Verhängung der Jugendstrafe. Wegen des durch § 5 Abs. 3 JGG vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung (vgl. BGHR JGG § 5 Abs. 3 Absehen 1 für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus) hebt der Senat den Rechtsfolgenausspruch insgesamt auf.
4
Zwar betrifft der Rechtsfehler unmittelbar nur die Verhängung der Jugendstrafe. Wegen des durch § 5 Abs. 3 JGG vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung hebt der Senat aber den Rechtsfolgenausspruch insgesamt auf (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. Mai 2009 – 4 StR 134/09, NJW 2009, 2694).