Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Juli 2019 - 3 StR 155/19

bei uns veröffentlicht am09.07.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 155/19
vom
9. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
ECLI:DE:BGH:2019:090719B3STR155.19.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. Juli 2019 einstimmig
beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 10. Dezember 2018 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu Freiheitsstrafe verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Seine Revision, mit der er ein Prozesshindernis geltend macht und die Verletzung materiellen Rechts rügt, ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Anders als die Revision meint, begründet es kein - dauerndes oder vorübergehendes - Prozesshindernis im Sinne von § 206a Abs. 1 bzw. § 205 Satz 1 StPO, dass der Angeklagte nach Einlegung der Revision und vor Zustellung des angefochtenen Urteils aus der Untersuchungshaft heraus in den Libanon abgeschoben worden ist.
3
a) Hat ein Angeklagter einen Verteidiger, so hindert seine Abschiebung den Fortgang des Revisionsverfahrens im Grundsatz - wie auch hier - nicht (zur Überstellung eines Angeklagten aufgrund Rückführungsverlangens eines anderen Staates vor der Revisionshauptverhandlung s. BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 1986 - 2 StR 588/86, BGHR GG Art. 25 Restitutionsanspruch 1; vom 18. Februar 1987 - 2 StR 588/86, juris Rn. 4; die Verfassungskonformität dieser Entscheidungen bestätigend BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1994 - 2 BvR 435/87, NJW 1995, 651; zur freiwilligen Ausreise ins Ausland vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13. Oktober 2011 - 31 Ss 42/11, juris Rn. 5). Die zwangsweise Rückführung des Angeklagten gebietet weder mit Blick auf das Prinzip des fairen Verfahrens nach § 6 Abs. 1 MRK noch auf das Recht auf Verteidigung gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK für sich gesehen die Einstellung des Verfahrens.
4
Die grundsätzliche Ablehnung eines solchen Prozesshindernisses folgt aus dem Wesen der Revision als eines auf Rechtsprüfung beschränkten Rechtsmittels, dem die gesetzliche Ausgestaltung des Revisionsverfahrens Rechnung trägt, und steht in Einklang mit der Rechtsprechung zur Verfahrensvoraussetzung der Verhandlungsfähigkeit in der Revisionsinstanz.
5
aa) Zwischen dem Tat- und dem Revisionsgericht besteht eine prinzipielle Aufgabenteilung dergestalt, dass dem Tatgericht die Aufklärung und Feststellung des ihm durch die Anklage unterbreiteten Sachverhalts sowie die Rechtsanwendung hierauf einschließlich der Festsetzung gerechter Rechtsfolgen obliegt , während das Revisionsgericht zu überprüfen hat, ob das angefochtene tatrichterliche Urteil aus sich heraus Rechtsfehler enthält und in gesetzmäßiger Weise zustande gekommen ist.
6
Dementsprechend kann in der Hauptverhandlung vor dem Tatgericht die Einlassung des Angeklagten wesentliche Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein. Er kann selbst Anträge stellen und Zeugen befragen. Er wird vor Entscheidungen des Gerichts neben seinem Verteidiger angehört. Diese Rechte geben dem Angeklagten die Möglichkeit, das Verfahren unabhängig von seinem Verteidiger mitzugestalten und sich so zu verteidigen. Demgegenüber finden im Revisionsverfahren Erörterungen tatsächlicher Art im Allgemeinen nicht statt. Die Möglichkeiten des Angeklagten, dieses Verfahren mitzugestalten , sind gering. Selbst kann der Angeklagte das Rechtsmittel lediglich einlegen und zurücknehmen. Schon die Bestimmung des Umfangs der Anfechtung kann der Angeklagte nur durch seinen Verteidiger (oder zu Protokoll der Geschäftsstelle ) vornehmen (§ 344 Abs. 1 StPO). Dasselbe gilt für die nach § 344 Abs. 2 StPO erforderliche Begründung der Revision. In der Revisionshauptverhandlung hat der auf freiem Fuß befindliche Angeklagte das Recht auf Anwesenheit und auf Gewährung des letzten Worts. Freilich kann er dabei für das Revisionsverfahren maßgebliche Erklärungen gemäß § 344 StPO, die nach § 345 StPO nur befristet angebracht werden können und der dort genannten Form bedürfen , nicht wirksam abgeben (s. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 8. Februar 1995 - 5 StR 434/94, BGHSt 41, 16, 18 f.). Der nicht auf freiem Fuß befindliche Angeklagte kann seine Anwesenheit in der Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht nicht erzwingen; die Entscheidung darüber steht vielmehr in dessen Ermessen (§ 350 Abs. 2 Satz 3 StPO). Dies ist wegen der skizzierten Ausgestaltung des Revisionsverfahrens unbedenklich, wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und dieser in der Hauptverhandlung anwesend ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 1995 - 5 StR 434/94, aaO, S. 19).
7
bb) In Anbetracht dessen ist etwa auch für die Verfahrensvoraussetzung der Verhandlungsfähigkeit anerkannt, dass es im Revisionsverfahren für die Wahrung der Verteidigungsinteressen des Angeklagten ausreichend ist, wenn er die Fähigkeit hatte, über die Einlegung des Rechtsmittels verantwortlich zu entscheiden, und wenigstens zeitweilig zu einer Grundübereinkunft mit seinem Verteidiger über Fortführung oder Rücknahme des Rechtsmittels in der Lage ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 1995 - 5 StR 434/94, BGHSt 41, 16, 19; vom 21. Dezember 2016 - 4 StR 527/16, NStZ 2017, 490; Urteil vom 4. Juli 2018 - 5 StR 46/18, NStZ-RR 2018, 320, 321; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit s. BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1995 - 2 BvR 345/95, NJW 1995, 1951, 1952).
8
b) Im Fall der Abschiebung ist ein Prozesshindernis zwar ausnahmsweise in Betracht zu ziehen, falls es dem Angeklagten tatsächlich nicht möglich ist, mit seinem Verteidiger in Verbindung zu treten. Da sich ein Angeklagter zu diesem Zweck moderner Kommunikationsmittel bedienen kann, wird mit der Abschiebung jedoch selten die Vereitelung einer Kontaktaufnahme einhergehen (aA - ohne nähere Begründung - OLG Brandenburg, Beschluss vom 26. Mai 2004 - 2 Ws 97/04, NStZ-RR 2005, 49 f.). Im zu beurteilenden Fall besteht hierfür keinerlei Anhalt. Gerade der Vortrag des Verteidigers zu Einzelheiten der Abschiebung spricht, ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, für eine solche Kommunikationsmöglichkeit. Denn seine diesbezüglichen Kenntnisse beruhen naheliegenderweise darauf, dass der Angeklagte dem Verteidiger oder seiner in Deutschland lebenden Familie, noch bevor dieser die Revisionsbegründungsschrift verfasst hat, Informationen über seine zwangsweise Rückführung in den Libanon erteilt hatte.
9
c) Daraus, dass einem abgeschobenen Angeklagten versagt ist, selbst die Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle zu erklären, ergibt sich nichts anderes. Trotz eines solchen Mangels bei der persönlichen Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte (zum Anspruch des verteidigten Angeklagten auf Protokollerklärung s. LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 345 Rn. 16; BeckOK StPO/Wiedner, § 345 Rn. 36) sind diese ausreichend gewahrt, wenn er einen Verteidiger hat, zumal dieser - anders als gewöhnlich der Angeklagte - rechtskundig ist.
10
Im zu beurteilenden Fall kommt hinzu, dass der im Revisionsverfahren tätige Verteidiger dem Angeklagten bereits im Ermittlungsverfahren beigeordnet worden war und an der Hauptverhandlung teilgenommen hat. Welchen revisionsrechtlich erheblichen Informationsvorsprung der Angeklagte ihm gegenüber gehabt haben könnte, der persönliche Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle als erfolgversprechender hätte erscheinen lassen, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch in anderem Zusammenhang gilt, dass die Beiordnung eines Verteidigers geeignet ist, erkennbare Mängel bei der persönlichen Wahrnehmung der Verteidigungsrechte zu kompensieren (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2017 - StB 2/17, BGHR GVG § 184 Gerichtssprache 1 Rn. 10; ferner MüKoStPO/Wenske, § 205 Rn. 34).
11
2. Die auf die Sachbeschwerde gebotene umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Gericke Spaniol Berg
Hoch Anstötz

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


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Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 345 Revisionsbegründungsfrist


(1) Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn d

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 25


Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 184


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Strafprozeßordnung - StPO | § 205 Einstellung des Verfahrens bei vorübergehenden Hindernissen


Steht der Hauptverhandlung für längere Zeit die Abwesenheit des Angeschuldigten oder ein anderes in seiner Person liegendes Hindernis entgegen, so kann das Gericht das Verfahren durch Beschluß vorläufig einstellen. Der Vorsitzende sichert, soweit nöt

Strafprozeßordnung - StPO | § 350 Revisionshauptverhandlung


(1) Dem Angeklagten, seinem gesetzlichen Vertreter und dem Verteidiger sowie dem Nebenkläger und den Personen, die nach § 214 Absatz 1 Satz 2 vom Termin zu benachrichtigen sind, sind Ort und Zeit der Hauptverhandlung mitzuteilen. Ist die Mitwirkung e

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Steht der Hauptverhandlung für längere Zeit die Abwesenheit des Angeschuldigten oder ein anderes in seiner Person liegendes Hindernis entgegen, so kann das Gericht das Verfahren durch Beschluß vorläufig einstellen. Der Vorsitzende sichert, soweit nötig, die Beweise.

Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn das Urteil später als einundzwanzig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen Monat und, wenn es später als fünfunddreißig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen weiteren Monat. War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung des Urteils und in den Fällen des Satzes 2 der Mitteilung des Zeitpunktes, zu dem es zu den Akten gebracht ist.

(2) Seitens des Angeklagten kann dies nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen.

(1) Dem Angeklagten, seinem gesetzlichen Vertreter und dem Verteidiger sowie dem Nebenkläger und den Personen, die nach § 214 Absatz 1 Satz 2 vom Termin zu benachrichtigen sind, sind Ort und Zeit der Hauptverhandlung mitzuteilen. Ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig, so ist dieser zu laden.

(2) Der Angeklagte kann in der Hauptverhandlung erscheinen oder sich durch einen Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vertreten lassen. Die Hauptverhandlung kann, soweit nicht die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, auch durchgeführt werden, wenn weder der Angeklagte noch ein Verteidiger anwesend ist. Die Entscheidung darüber, ob der Angeklagte, der nicht auf freiem Fuß ist, zu der Hauptverhandlung vorgeführt wird, liegt im Ermessen des Gerichts.

(3) (weggefallen)

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 527/16
vom
21. Dezember 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:211216B4STR527.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 21. Dezember 2016 gemäß § 302 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Es wird festgestellt, dass die Revisionen der Beschuldigten vom 24. August 2016 und 26. September 2016 gegen das Urteil des Landgerichts Stendal vom 23. August 2016 wirksam zurückgenommen sind. 2. Die Beschuldigte hat auch die Kosten ihres Rechtsmittels vom 26. September 2016 zu tragen.

Gründe:


1
1. Die von der Pflichtverteidigerin der Beschuldigten, Rechtsanwältin A. , am 22. September 2016 erklärte Rücknahme der am 24. August 2016 eingelegten (ersten) Revision ist wirksam. An der prozessualen Handlungsfähigkeit der Beschuldigten im Zeitpunkt der Ermächtigung ihrer Verteidigerin zur Rücknahme des Rechtsmittels bestehen keine Zweifel.
2
a) Für die Verhandlungsfähigkeit im Revisionsverfahren reicht es aus, dass der Beschwerdeführer mindestens zeitweilig zu einer Grundübereinkunft mit seinen Verteidigern über die Fortführung oder Rücknahme des Rechtsmittels in der Lage ist und diese Voraussetzungen zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Entscheidung vorlagen (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 1995 – 5 StR 434/94, BGHSt 41, 72, 74). Eine Beeinträchtigung der Geschäfts- oder Schuld- fähigkeit eines Erklärenden hat nicht zwangsläufig dessen prozessuale Handlungsunfähigkeit zur Folge. Hiervon ist erst dann auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Beteiligter nicht in der Lage ist, die Bedeutung von ihm abgegebener Erklärungen zu erkennen, wobei Zweifel an der prozessualen Handlungsfähigkeit zu seinen Lasten gehen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2004 – 2 StR 199/04, NStZ-RR 2004, 341 mwN).
3
b) Danach war von einer prozessualen Handlungsfähigkeit der Beschuldigten im Zeitpunkt der Rücknahme der (ersten) Revision auszugehen. Zwar hat das sachverständig beratene Landgericht bei der Beschuldigten eine das Tatgeschehen überdauernde paranoid-halluzinatorische Psychose festgestellt und angenommen, dass sie bei „Fortbestehen restplausibler Handlungsfähigkeit“ in den Tatsituationen am 1. September2015 und 13. Februar 2016 nicht mehr befähigt war, das Verbotene ihres Tuns einzusehen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beschuldigte im Zeitpunkt der Rücknahmeerklärung nicht in der Lage war, mit ihrer Verteidigerin zu einer Grundübereinkunft über die Fortführung oder Rücknahme des Rechtsmittels zu gelangen, bestehen aber nicht. Der Rücknahmeerklärung der Pflichtverteidigerin vom 22. September 2016 ist ein Schreiben der Beschuldigten vom 16. September 2016 beigefügt, in dem sie ausdrücklich erklärt, auf eine Revision zu verzichten und das Urteil anzunehmen. In einem weiteren Schreiben vom 20. September 2016 bestätigte die Beschuldigte überdies ihren Rücknahmewillen, indem sie dem Landgericht mitteilte , sich entschieden zu haben „nicht in Revision zu gehen“. Hiervon sei ihre Verteidigerin in Kenntnis gesetzt. Anders als weitere, später zu den Akten gelangte Schreiben enthalten diese inhaltlich aufeinander bezogenen Schreiben keine Hinweise auf wahnhafte Gedankeninhalte. Auch gibt es keinen Anhaltpunkt für eine fehlende Kenntnis der Beschuldigten von der Bedeutung der abgegebenen Erklärungen.
4
2. Die – ohnehin unzulässige – mit Schreiben vom 26. September 2016 eingelegte (zweite) Revision wurde von der Beschuldigten mit Schreiben vom 9. November 2016 ebenfalls wirksam zurückgenommen. Insoweit war lediglich noch über die Kosten zu entscheiden.
Sost-Scheible Roggenbuck RiBGH Cierniak ist erkrankt und daher gehindert zu unterschreiben. Sost-Scheible Quentin Feilcke

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 46/18
vom
4. Juli 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
ECLI:DE:BGH:2018:040718U5STR46.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. Juli 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher, Köhler als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt B. als Verteidiger,
Rechtsanwalt P. als Vertreter der Nebenkläger A. und F. W. ,
Rechtsanwalt St. als Vertreter des Nebenklägers G. W. ,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 30. August 2017 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und festgestellt, dass seine Schuld besonders schwer wiegt. Hiergegen richtet sich die mit Verfahrensrügen und der näher ausgeführten Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Sie bleibt ohne Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts vergewaltigte der damals 32-jährige Angeklagte in den Nachtstunden des 9. April 1987 die ihm zuvor unbekannte 18-jährige H. W. in einem Waldstück bei P. . H. W. war auf dem Heimweg von einer Freundin. Der Angeklagte nahm an seinem Opfer nach Anwendung von Gewalt bzw. Drohung mit erheblicher Gewaltanwendung mehraktige sexuelle Handlungen vor, bei denen er es sowohl in Bauch- als auch in Rückenlage auf den Waldboden brachte. Zur Gefügigmachung würgte der Angeklagte H. W. mindestens mit einem kräftigen Griff und penetrierte sie anschließend in roher Art vaginal und anal, wodurch sie erhebliche Verletzungen an Scheide und After erlitt. In diesem Zusammenhang knebelte der Angeklagte sein Opfer mit dem zuvor vom Körper gerissenen Slip, was zu Verletzungen an den Lippen, der Zunge und im Mund führte. Anschließend tötete der Angeklagte H. W. , um als Täter des vorangegangenen Delikts unerkannt zu bleiben. Dazu benutzte er den zuvor gewaltsam abgerissenen BH als Drosselwerkzeug. Er legte den verdrillten BH um den Hals, verschränkte ihn und zog ihn mit Griff im Trägerbereich mit erheblicher Komprimierungswirkung zu. Anschließend verknotete er ihn an der linken Halsseite zweifach. Danach setzte er mithilfe eines vom Moped des Opfers entfernten Gepäckhaltergummis sein Drosseln fort. Diese Drosselvorgänge wurden mit erheblicher Kraft durchgeführt, der Halsumfang damit von 29 cm auf 23 cm komprimiert. H. W. erstickte, wobei ihr Tod verzögert und nicht abrupt eintrat. Schließlich platzierte der Angeklagte im Scheideneingang der Leiche ein 1-Mark-Stück.
3
2. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des bestreitenden Angeklagten insbesondere auf eine DNA-Spur des Angeklagten gestützt, die sich am BH der Ermordeten an der Stelle fand, die beim Zuziehen besonders intensiv gegriffen werden musste (Innenbereich des ersten Knotens ). Mit sachverständiger Hilfe hat die Schwurgerichtskammer die Wahrscheinlichkeit , dass die gefundene DNA dem Angeklagten zuzuordnen ist, mit 1:510 Billionen bestimmt und zugleich eine Sekundärübertragung oder Kontamination ausgeschlossen. Neben dieser Spur hat das Landgericht als belastende Indizien gewertet, dass der Angeklagte im Juni 1989 und im Juni 1992 zweimal wegen Gewalt gegen Frauen in Zusammenhang mit Sexualkontakten straffällig geworden war, wobei er jeweils die Frauen ganz erheblich gewürgt hatte. Mit geringerem Gewicht hat das Landgericht berücksichtigt, dass es beim Angeklagten nach den Angaben seiner früheren Ehefrau im Frühjahr 1987 zu einer erheblichen Verhaltensänderung gekommen war („regelrechter Bruch“ in ihrem Zusammenleben), dass er zur Tatzeit etwa drei Kilometer Luftlinie vom Tatort entfernt gewohnt und deshalb die Umgebung des Tatorts, ein abgelegenes Waldstück, gekannt habe und dass er wenige Tage nach der nachts bei nasser Witterung und unter 10 Grad Celsius begangenen Tat vier Tage lang wegen einer „Grippeerkrankung“ krankgeschrieben gewesen sei. Die Art und Weise der Tatbegehung hat das Landgericht aus den Feststellungen zum Spurenbild sowie den Folgerungen der sachverständigen Rechtsmediziner abgeleitet und hieraus auf Tötungsvorsatz und -motiv geschlossen. Umstände, die gegen die Täterschaft des Angeklagten und für einen Alternativtäter sprechen, konnte das Landgericht nicht feststellen.
4
3. Die Schwurgerichtskammer hat die Tat des Angeklagten rechtlich als Mord gewürdigt, und zwar sowohl als Verdeckungsmord nach § 211 StGB als auch als Mord nach dem zur Tatzeit am Tatort geltenden § 112 Abs. 1 StGBDDR. Da § 112 Abs. 1 StGB-DDR in diesem Fall Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Freiheitsstrafe vorsah, § 211 StGB aber zwingend die lebenslange Freiheitsstrafe, hat das Landgericht als milderes Recht das DDR-Recht angewandt.
5
Innerhalb dieses Strafrahmens hat es unter Anwendung der Grundsätze des § 61 StGB-DDR straferschwerend das brutale Vorgehen des Angeklagten durch Vornahme zweier Drosselhandlungen mit erheblichem Kraftaufwand, das Zufügen besonderer Qualen für das Opfer, weil der Tod erst verzögert nach einem vergeblichen Todeskampf von nicht unerheblicher Dauer eintrat, und das Tatmotiv der Verdeckungsabsicht angelastet. Zu Gunsten des Angeklagten hat das Schwurgericht den beträchtlichen Zeitraum von ca. 30 Jahren zwischen Tatbegehung und Aburteilung, die krankheitsbedingte besondere Haftempfindlichkeit des Angeklagten und einen Härteausgleich mit einer inzwischen vollstreckten , an sich gesamtstrafenfähigen Freiheitsstrafe eingestellt. Aufgrund einer Gesamtschau hat es in Abwägung dieser Umstände auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt.
6
Schließlich hat das Landgericht festgestellt, dass die Schuld im Sinne von § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB besonders schwer wiegt. Diese Norm finde gemäß Art. 315 Abs. 3 EGStGB Anwendung, weil nach dem StGB-DDR eine Aussetzung lebenslanger Freiheitsstrafe nicht möglich gewesen sei (§ 45 StGBDDR ). Hierbei hat es im Rahmen einer Gesamtwürdigung vor allen Dingen auf die erheblich schulderhöhende Vergewaltigung, die besonders drastische Tatbegehung und die mit der Platzierung des Geldstücks einhergehende Verhöhnung des Opfers abgestellt, die eine menschenverachtende Gesinnung offenbare. Demgegenüber hat es den bei der Strafzumessung genannten Strafmilderungsgründen , auf die es Bezug genommen hat, insgesamt nur eine nachrangige Bedeutung zugemessen.

II.


7
Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
8
1. Ein Verfahrenshindernis wegen etwaiger Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten bestand und besteht nicht.
9
a) Verhandlungsfähigkeit im strafprozessualen Sinne bedeutet, dass der Angeklagte in der Lage sein muss, seine Interessen in und außerhalb der Ver- handlung vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen (sog. Verteidigungsfähigkeit, vgl. Widmaier, NStZ 1995, 361). Dies bedeutet aber nicht, dass der Angeklagte auch tatsächlich fähig sein muss, die ihm gesetzlich eingeräumten Verfahrensrechte in jeder Hinsicht selbständig und ohne fremden Beistand wahrzunehmen. Auch bei solchen Angeklagten , deren geistige, psychische oder körperliche Fähigkeit zur Wahrnehmung der Verteidigungsrechte eingeschränkt ist, muss die Schuld- und Straffrage in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren geklärt und entschieden werden können. Danach liegt Verhandlungsunfähigkeit bei solchen Einschränkungen der geistigen, psychischen oder körperlichen Fähigkeiten nicht vor, wenn die Auswirkungen dieser Einschränkungen auf die tatsächliche Wahrnehmung der Verfahrensrechte durch Hilfen für den Beschuldigten hinreichend ausgeglichen werden können. Die Grenze zur Verhandlungsunfähigkeit ist erst dann überschritten , wenn dem Angeklagten auch bei Inanspruchnahme solcher verfahrensrechtlicher Hilfen eine selbstverantwortliche Entscheidung über grundlegende Fragen seiner Verteidigung und eine sachgerechte Wahrnehmung der von ihm persönlich auszuübenden Verfahrensrechte nicht mehr möglich ist (BVerfG, NStZ 1995, 391, 392).
10
Für die Verhandlungsfähigkeit im Revisionsverfahren reicht es aus, dass der Beschwerdeführer mindestens zeitweilig zu einer Grundübereinkunft mit seinem Verteidiger über die Fortführung oder Rücknahme des Rechtsmittels in der Lage ist und diese Voraussetzungen zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Entscheidung vorlagen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 – 4 StR 527/16; Urteil vom 10. März 1995 – 5 StR 434/94, BGHSt 41, 72, 74).
11
b) Nach diesen Maßstäben war und ist der Angeklagte verhandlungsfähig.
12
Der Senat hat aufgrund des im Urteil des Landgerichts ausführlich geschilderten Krankheitsbildes und der dort erhobenen Befunde keinen Anlass, an der Verhandlungsfähigkeit des Beschwerdeführers zu zweifeln. Der Angeklagte hat zwar im Jahr 2012 vor dem Hintergrund von durch vieljährige alkoholtoxische Beeinträchtigung bereits vorgeschädigten Hirnleistungen einen Schlaganfall erlitten und ist im Sprachverständnis sowie in der verbalen Ausdrucksmöglichkeit gestört. In seinem Alltag kommt er aber mit Hilfe seiner Lebensgefährtin zurecht, studiert Programmzeitschriften, sieht verschiedene ausgewählte Programme und nutzt einen internetfähigen Rechner, auch zum Herunterladen von Dateien und zum Spielen. Allgemeine Auffassungsgabe, Orientierung und das Lang- und Kurzzeitgedächtnis sind nach Auffassung des hierzu gehörten Sachverständigen als grundsätzlich intakt zu bewerten, allerdings zeitlich eingeschränkt infolge des Störungsbildes. Trotz der sprachlichen Defizite ist nach Angabe des medizinischen Sachverständigen eine substantielle Kommunikation mit dem Angeklagten durchaus möglich. Im Rahmen der Exploration habe er sich auch mit dem Tatvorwurf inhaltlich auseinandersetzen können. Sein Schachspielen mit einem Nachbarn belege, dass er grundsätzlich auch zu höheren Hirnleistungen fähig sei. Diese gutachterliche Einschätzung hat die Schwurgerichtskammer durch die Verhaltensbeobachtung des Angeklagten in der Hauptverhandlung bestätigt gefunden.
13
Angesichts der umfangreichen und ausführlichen, mit sachverständiger Hilfe getroffenen und zeitnahen Feststellungen der Schwurgerichtskammer sieht der Senat auch unter Berücksichtigung des Gutachtens vom 31. Janu- ar 2016 sowie der Mitteilung der Justizvollzugsanstalt Z. vom 14. Juni 2018 keinen Anlass, diese Frage noch weiter freibeweislich zu klären.
14
2. Die Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts erfolglos. Ergänzend bemerkt der Senat, dass die Rüge, das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen sei zu Unrecht verworfen worden (vgl. § 74 StPO), jedenfalls auch unbegründet ist.
15
3. Die Feststellungen des Landgerichts beruhen auf einer tragfähigen Beweiswürdigung.
16
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts, das sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden hat (§ 261 StPO). Seine tatsächlichen Schlussfolgerungen müssen nicht zwingend sein; es genügt, dass sie möglich sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Zu seiner Überzeugungsbildung kann es auch allein ein einziges Beweisanzeichen wie etwa einen Fingerabdruck oder eine DNA-Spur heranziehen (vgl. BGH, Urteile vom 21. März 2013 – 3 StR 247/12, NStZ 2013, 420; vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 403/13, NStZ 2014, 475, und vom 11. Juni 1952 – 3 StR 229/52). Das Revisionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatgerichts mit Rechtsfehlern behaftet ist, weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht übereinstimmt oder sich so weit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 403/13 aaO mwN).
17
b) Gemessen hieran sind Rechtsfehler bei der Beweiswürdigung nicht ersichtlich. Das Schwurgericht hat sich seine Überzeugung auf tragfähiger Grundlage gebildet und alternative Geschehensabläufe hinreichend ausgeschlossen. Die sorgfältige Beweiswürdigung wird den mit dem Zeitablauf von fast 30 Jahren einhergehenden Besonderheiten gerecht.
18
4. Die Feststellungen tragen den Schuld- und Strafausspruch.
19
a) Bei der Frage des anwendbaren Rechts gilt nach Art. 315 Abs. 1 EGStGB das Meistbegünstigungsprinzip aus § 2 Abs. 3 StGB (vgl. hierzu auch Dannecker, LK, 12. Aufl., § 2 Rn. 105 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dabei anhand des konkreten Falls ein Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 1991 – 5 StR 523/90, BGHSt 37, 320). Die Prüfung findet dabei nicht bei jedem Schritt der Rechtsfindung gesondert statt, sondern es gilt der Grundsatz strikter Alternativität der zwei nebeneinanderstehenden Regelungen (BGH aaO und Urteil vom 3. Juli 1991 – 5 StR 209/91, BGHSt 38, 18). Dies erfordert, dass der festgestellte Sachverhalt unter das alte und das neue Recht subsumiert und anschließend geprüft wird, welches Recht insgesamt milder ist (konkrete Betrachtungsweise, vgl. Dannecker aaO Rn. 106 ff. mwN).
20
b) Bei der danach gebotenen Prüfung ist die Schwurgerichtskammer ohne Rechtsfehler (vgl. BGH, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349 f.) zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte sowohl nach dem zur Tatzeit geltenden § 112 StGB-DDR als auch nach § 211 StGB mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen ist.
21
5. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht auch § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB angewendet und rechtsfehlerfrei eine besondere Schuldschwere bejaht.
22
a) Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld ist systematisch kein Teil der Entscheidung zu Schuld- und Strafausspruch. Sie ist vielmehr eine Entscheidung für das Vollstreckungsverfahren, die das Bundesverfassungsgericht aus diesem herausgelöst und dem Tatgericht übertragen hat. Sie dient nicht der Bemessung der Sanktion, sondern der Vorbereitung einer Entscheidung über die Aussetzung ihrer weiteren Vollstreckung. Diese Entscheidung obliegt dem Vollstreckungsgericht; es hat – neben den sonstigen Voraussetzungen – zu prüfen, ob die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet. Nur um sie vorzubereiten, hat das Tatgericht schon im Urteil die Umstände aufzuführen, die eine Beurteilung der Schuldschwere ermöglichen; es hat diese Umstände abzuwägen, zu gewichten und danach zu entscheiden, ob die Schuld des Angeklagten besonders schwer wiegt. Bejaht das Tatgericht das, so ist damit weder eine Aussage getroffen, ob später die Strafe länger als 15 Jahre vollstreckt noch – falls das Vollstreckungsgericht längere Vollstreckung für geboten erachtet –, wie lange die weitere Verbüßung dauern wird. Die Tätigkeit des Tatrichters beschränkt sich darauf, dem Vollstreckungsgericht die Anordnung längerer Vollstreckung aus dem Grund besonderer Schuldschwere zu ermöglichen, und sie liefert ihm, wenn es von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, die Grundlage, die es braucht, um die Verlängerung der Vollstreckung unter diesem Gesichtspunkt zeitlich zu bestimmen (BGH, Beschluss vom 22. November 1994 – GSSt 2/94, BGHSt 40, 360, 366 f.).
23
b) Es kann dahinstehen, ob aufgrund dieses Charakters § 57a StGB auf Fälle der vorliegenden Art anzuwenden ist, oder die Regelung des § 2 StGB insofern Anwendung findet (vgl. hierzu Dannecker aaO Rn. 104). Auch bedarf es keiner Entscheidung, ob sich dies daraus ergibt, dass § 2 StGB auf eine Rechtsfolgenentscheidung insgesamt (also einschließlich § 57a StGB) oder – wovon die Strafkammer ausgegangen ist – allein (mangels einer entspre- chenden Vorschrift im StGB-DDR) als das mildere Recht anzuwenden ist. Zu beachtendes milderes Zwischenrecht (vgl. Dannecker aaO Rn. 116) galt insoweit nicht, so dass jedenfalls im Ergebnis § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB anzuwenden war und ist (vgl. auch Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 23. Januar 2006 – 1 Ws 186/05, OLG-NL 2006, 118; ferner BVerfG, NJ 1995, 198 m. Anm. Lemke).
24
c) Bei der insoweit gebotenen Prüfung der besonderen Schuldschwere hat das Tatgericht ohne Bindung an begriffliche Vorgaben die schuldrelevanten Umstände zu ermitteln und zu gewichten. Alsdann hat er im Wege einer zusammenfassenden Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit die Schuld daraufhin zu bewerten, ob sie nach seiner Auffassung besonders schwer ist. Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld kann dabei nur dann in Betracht kommen, wenn Umstände vorliegen, die Gewicht haben. Nur dies wird der nach § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu treffenden Entscheidung gerecht, die die Möglichkeit eines fünfzehn Jahre überschreitenden Freiheitsentzuges eröffnet. Solche Umstände können beispielsweise eine besondere Verwerflichkeit der Tatausführung oder der Motive, mehrere Opfer bei einer Tat, die Begehung mehrerer Mordtaten oder – im oder ohne Zusammenhang mit dem Mord begangene – weitere schwere Straftaten sein. Hierbei ist jedoch stets zu bedenken , dass solche Umstände nicht ohne weiteres, sondern nur im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung zur Bejahung der besonderen Schwere der Schuld führen können. Dem Revisionsgericht ist bei der Nachprüfung der Entscheidung eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle versagt. Es hat nur zu prüfen, ob der Tatrichter alle maßgeblichen Umstände bedacht und rechtsfehlerfrei abgewogen hat, darf aber nicht seine Wertung an die Stelle derjenigen des Tatrichters setzen (BGH aaO S. 370).
25
d) Diesen Vorgaben werden die Ausführungen des Schwurgerichts gerecht. Es hat bei der Feststellung der besonderen Schuldschwere insbesondere die besondere Verwerflichkeit der konkreten Tatausführung in den Blick genommen , aber auch den langen Zeitablauf und die aufgrund seiner Krankheit besondere Haftempfindlichkeit des Angeklagten berücksichtigt. Das Ergebnis seiner Wertung ist angesichts der eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht hinzunehmen.
26
6. Die Schwurgerichtskammer hat rechtsfehlerfrei auch einen Härteausgleich dafür abgelehnt, dass infolge zwischenzeitlichen Straferlasses nach Teilvollstreckung keine Gesamtstrafe mit an sich gesamtstrafenfähigen Verurteilungen zu neun Monaten Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Kreisgerichts Plauen vom 21. Juli 1989 (Tatzeit 16. Dezember 1988) und zu zwei Jahren aus dem Urteil des Kreisgerichts Plauen vom 7. September 1989 (Tatzeit der dort mit ausgeurteilten sexuellen Nötigung 8. Juni 1989) gebildet werden kann. Aus den Strafen der beiden genannten Urteile wurde durch Beschluss des Kreisgerichts Plauen vom 13. Oktober 1989 eine Gesamtstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten gebildet, wobei sich der Strafausspruch des zweiten einbezogenen Urteils zusätzlich auf die unbefugte Benutzung von Fahrzeugen und einen weiteren nicht eintragungsfähigen Schuldspruch bezog. Aufgrund Amnestie wurde die Freiheitsstrafe auf ein Jahr und acht Monate reduziert, der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt und schließlich erlassen. Schon im Hinblick hierauf war das Landgericht zur Gewährung eines Härteausgleichs aus Rechtsgründen nicht verpflichtet. Im Übrigen kann die Unmöglichkeit der Gesamtstrafenbildung mit an sich gesamtstrafenfähigen Strafen im Vollstreckungsverfahren bei der Festsetzung der Mindestverbüßungszeit der verhängten lebenslangen Frei- heitsstrafe (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) ausgeglichen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2009 – 4 StR 358/08, NStZ-RR 2009, 104; vgl. auch BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2009 – 5 StR 433/09, BGHSt 54, 259, 261).
Mutzbauer Sander Berger
Mosbacher Köhler

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
StB 2/17
vom
9. Februar 2017
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland
ECLI:DE:BGH:2017:090217BSTB2.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 9. Februar 2017 gemäß § 304 Abs. 1, 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO beschlossen:
1. Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluss des Kammergerichts vom 13. Oktober 2016 wird verworfen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.


1
Der Angeklagte wurde in dieser Sache auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom 15. Januar 2015 am 16. Januar 2015 festgenommen und befand sich zunächst bis zur Aufhebung des Haftbefehls durch das Amtsgericht Tiergarten am 5. Februar 2015 in Untersuchungshaft.
2
Am 6. März 2015 ist er auf Grund des von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin im Wege der Beschwerde erwirkten Haftbefehls des Landgerichts Berlin vom selben Tag, später abgeändert durch den Beschluss des Kammergerichts vom 8. April 2015, erneut in Untersuchungshaft genommen worden, die seither ununterbrochen andauert. Der Haftbefehl ist, nachdem der Generalbundesanwalt das Verfahren übernommen hatte, ersetzt worden durch den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. Juli 2015 in der Fassung des Invollzugsetzungsbeschlusses vom 13. Juli 2015. Nach Anklageerhebung durch den Generalbundesanwalt zum Kammergericht hat dieses den Haftbefehl anlässlich der Eröffnung des Hauptverfahrens mit Beschluss vom 4. Dezember 2015 aufrechterhalten.
3
In dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs wird dem Angeklagten vorgeworfen, er habe zwischen Mitte Juni 2013 und Ende November 2014 durch neun selbständige Handlungen von Deutschland aus die in Syrien bestehende Vereinigung Junud ash-Sham, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, unterstützt und bei acht dieser Handlungen jeweils tateinheitlich hierzu eine Straftat nach § 211 oder § 212 StGB vorbereitet, die bestimmt und geeignet gewesen sei, den Bestand oder die Sicherheit eines Staats zu beeinträchtigen, indem er für deren Begehung nicht unerhebliche Vermögenswerte gesammelt, entgegengenommen oder zur Verfügung gestellt habe, strafbar als neun Fälle der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in acht dieser Fälle in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 aF, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1, §§ 52, 53 StGB.
4
Der Senat hat mit Beschlüssen vom 27. August 2015 (AK 23/15) und 10. Dezember 2015 (AK 47/15) die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs bzw. neun Monate hinaus angeordnet. Er hat den Angeklagten jedenfalls der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in acht Fällen gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1, § 53 StGB (Fälle 1 bis 3 sowie 5 bis 9) für dringend verdächtig erachtet.
5
Am 6. Oktober 2016 haben der Angeklagte und seine Verteidigerin die Aufhebung des gegen ihn bestehenden Haftbefehls beantragt. Mit am 13. Oktober 2016 verkündetem Beschluss hat das Kammergericht die Anträge zurückgewiesen und Haftfortdauer angeordnet. Es hat dort einen dringenden Tatverdacht hinsichtlich der Fälle 2, 6, 7 und 9 des Haftbefehls bejaht, die infolge von vorgenommenen Verfahrensbeschränkungen allein noch Gegenstand der Hauptverhandlung sind.
6
Am 28. Dezember 2016 hat der Angeklagte ein in türkischer Sprache abgefasstes Schreiben vom selben Tag per Telefax an das Kammergericht übersenden lassen. Aus der von diesem veranlassten Übersetzung in die deutsche Sprache ergibt sich, dass sich der Angeklagte mit der "Beschwerde gegen den Haftbeschluss" wendet. Mit Verfügung vom 9. Januar 2017 hat das Kammergericht dem Rechtsmittel nicht abgeholfen.
7
Auf den Antrag des Generalbundesanwalts, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen, hat sich der Angeklagte mit weiterem per Telefax übersandtem , in türkischer Sprache abgefasstem Schreiben vom 26. Januar 2017 geäußert; seine Verteidigerin hat mit Schriftsatz vom 27. Januar 2017 Stellung genommen.

II.


8
1. Die statthafte (§ 304 Abs. 1, 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO) Beschwerde des Angeklagten ist auch im Übrigen zulässig. Der formgerechten Einlegung des Rechtsmittels (§ 306 Abs. 1 StPO) steht hier nicht entgegen, dass der Angeklagte das Beschwerdeschreiben vom 28. Dezember 2016 in türkischer Sprache abgefasst hat.
9
a) Nach § 184 Satz 1 GVG ist die Gerichtssprache deutsch. Nach bislang ständiger Rechtsprechung sind fremdsprachige Schreiben grundsätzlich unbeachtlich, auch wenn der Verfasser die deutsche Sprache nicht hinreichend beherrscht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 1981 - 1 StR 815/80, BGHSt 30, 182; vom 13. September 2005 - 3 StR 310/05, juris Rn. 2 [für die Revision]; BeckOK StPO/Walther, § 184 GVG Rn. 4; KK-Diemer, StPO, 7. Aufl., § 184 GVG Rn. 1, 2 mwN).
10
Zwar hat der Europäische Gerichtshof diesen Grundsatz erheblich eingeschränkt , indem er entschieden hat, dass es für die Frage, ob ein fremdsprachig abgefasstes Schreiben von Amts wegen zu übersetzen und zu beachten ist, nach Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (ABl. Nr. L 280, S. 1) darauf ankommt , ob es sich um ein für das Verfahren wesentliches Dokument handelt (EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - C 216/14, NJW 2016, 303; vgl. SKStPO /Frister, 5. Aufl., § 187 GVG Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 184 GVG Rn. 2a). Ungeachtet dessen, dass sich die Wesentlichkeit ohne Übersetzung zumeist nicht beurteilen lassen dürfte, betrifft diese Entscheidung nur den nichtverteidigten Beschuldigten (EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - C 216/14, aaO, S. 305 Rn. 42 f.). Der Angeklagte hat aber zwei Verteidiger. Ein verteidigter Beschuldigter hat nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK Anspruch auf unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher beim Verkehr mit seinem Verteidiger (vgl. BeckOK StPO/Valerius, Art. 6 MRK Rn. 54, 57 mwN). Er ist zur Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte nicht in gleicher Weise auf amtswegige Übersetzungen seiner Schreiben angewiesen. Ähnlich sieht § 187 Abs. 1 Satz 1 StPO die Heranziehung eines Übersetzers nur vor, wenn dies zur Rechtswahrung erforderlich ist; dabei kann hier dahinstehen , inwieweit diese Vorschrift überhaupt auf vom Beschuldigten verfasste Schreiben Anwendung findet (so BeckOK StPO/Walther, § 187 GVG Rn. 3; SKStPO /Frister aaO, Rn. 5).
11
b) Ob das Schreiben des Angeklagten vom 28. Dezember 2016 der gesetzlichen Form genügt, braucht der Senat indes nicht zu entscheiden. Denn es liegt jedenfalls deshalb eine formgerechte Beschwerde vor, weil das Kammergericht das Schreiben des Angeklagten tatsächlich übersetzt und die Verteidigerin sie sich in ihrem Schriftsatz vom 27. Januar 2017 zu eigen gemacht hat.
12
c) Allerdings hat der Senat davon abgesehen, das Schreiben des Angeklagten vom 26. Januar 2017 übersetzen zu lassen, weil dieser die Möglichkeit hat, über seine Verteidiger seine Verteidigungsrechte geltend zu machen.
13
2. In der Sache bleibt die Beschwerde ohne Erfolg.
14
a) Gegen den Angeklagten besteht jedenfalls der dringende Tatverdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in vier Fällen gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1, § 53 StGB.
15
aa) Hinsichtlich der Darstellung der - nach den Verfahrensbeschränkungen verbleibenden - vier einzelnen Tatvorwürfe nimmt der Senat Bezug auf seine Ausführungen im Haftprüfungsbeschluss vom 27. August 2015 zu den Fällen 2, 6, 7 und 9, die denjenigen im Anklagesatz der Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 27. Oktober 2015 (dort S. 4 ff.) entsprechen.
16
bb) Die Bewertung des Verdachtsgrades hat das Kammergericht - nach 49-tägiger Hauptverhandlung - im angefochtenen Haftfortdauerbeschluss vom 13. Oktober 2016 sowie ergänzend - nach 56-tägiger Hauptverhandlung - in der Nichtabhilfeentscheidung vom 9. Januar 2017 ausführlich dargelegt. Diese Ausführungen ermöglichen dem Senat die eigenverantwortliche Entscheidung, dass der Verdacht weiterhin als dringend zu beurteilen ist (s. dazu im Einzelnen BGH, Beschluss vom 29. September 2016 - StB 30/16, NJW 2017, 341, 342; ferner BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, StV 2004, 143; vom 8. Oktober 2012 - StB 9/12, NStZ-RR 2013, 16, 17 f.; vom 22. Oktober 2012 - StB 12/12, NJW 2013, 247, 248; vom 5. Februar 2015 - StB 1/15, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Haftbefehl 3; vom 21. April 2016 - StB 5/16, NStZ-RR 2016,

217).


17
Im Haftfortdauerbeschluss ist im Einzelnen nachvollziehbar ausgeführt, welche Beweiserhebungen aus Sicht des Kammergerichts den dringenden Tatverdacht begründen. Die Nichtabhilfeentscheidung enthält die Mitteilung, dass das gerichtliche Beweisprogramm schon geraume Zeit abgeschlossen ist und auch die weitere Beweisaufnahme keine durchgreifenden abweichenden Erkenntnisse erbracht hat. Soweit das Kammergericht seine Bewertung auf die Angaben des Zeugen K. stützt, hat es dargelegt, durch welche anderen Beweismittel diese bestätigt werden. Eine nähere Glaubhaftigkeitsanalyse der Aussage des Zeugen ist in den die Haft betreffenden Entscheidungen nicht erforderlich ; mit den Angriffen gegen dessen Glaubwürdigkeit kann die Beschwerde nicht gehört werden. Auch die detaillierte Schilderung von eigenen in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnissen, die im Widerspruch zu der gerichtlichen Würdigung stehen, kann dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhelfen. Ebenso wenig verfängt der in der Stellungnahme der Verteidigerin erhobene Einwand, die Beweisaufnahme habe nicht bestätigt, dass - wie ursprünglich von den Strafverfolgungsbehörden zu Unrecht angenommen - der Mitangeklagte F. den Angeklagten in einem Internet-Chat mit "E. " betitelt habe; dies hat das Kammergericht ausdrücklich berücksichtigt.
18
b) Bei dem Angeklagten liegt weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO vor. Wenngleich der von der Straferwartung ausgehende Fluchtanreiz mit zunehmender - hier bald zwei Jahre anhaltender - Dauer des Untersuchungshaftvollzugs geringer wird (zur sog. Nettostraferwartung vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2016 - StB 35/16, juris Rn. 9 mwN), macht es die Würdigung sämtlicher Umstände wahrscheinlicher, dass sich der Angeklagte dem Verfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde.
19
Hinsichtlich der eine Flucht indizierenden Umstände nimmt der Senat vorab Bezug auf seine Ausführungen im Haftprüfungsbeschluss vom 27. August 2015. Darüber hinausgehend hat das Kammergericht zutreffend als weitere Erkenntnisse in die Würdigung mit eingestellt, dass die Ehefrau des Angeklagten im Jahr 2014 in der Türkei ein Grundstück erwarb, diesem im Jahr 1996 ohne Reisepass oder andere Personaldokumente die erstmalige Einreise nach Deutschland gelungen war, er in den Folgejahren ausweislich der von der Ö. GmbH übersandten Unterlagen bei Flugbuchungen zehn verschiedene Geburtsdaten benutzte und er Schulden "in einem fünfstelligen Bereich angehäuft" hat.
20
Ohne Erfolg bleibt demgegenüber der Einwand der Verteidigerin, dass die Unregelmäßigkeiten in den Buchungsunterlagen auf "Fehler(n) der Reisebüros" beruhten, was sie "unter Beweis gestellt" habe. Die Annahme der Fluchtgefahr setzt kein sicheres Wissen um die sie begründenden Tatsachen voraus. Sie müssen gerade nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen ; vielmehr genügt derselbe Grad der Wahrscheinlichkeit wie bei der Annahme des dringenden Tatverdachts (BGH, Beschluss vom 2. November 2016 - StB 35/16, juris Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 112 Rn. 22 mwN). Gleiches gilt, soweit die Verteidigerin geltend macht, dass den finanziellen Verbindlichkeiten des Angeklagten "Forderungen in mehrstelliger Höhe aus seinem Baugewerbe gegen seine Auftragnehmer" gegenüberstünden, was ebenfalls "unter Beweis gestellt" worden sei.
21
Weniger einschneidende Maßnahmen (§ 116 Abs. 1 StPO) bieten bei einer Gesamtschau der Umstände voraussichtlich keinen Erfolg. Für eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls fehlt es unter den gegebenen Umständen an einer ausreichenden Vertrauensgrundlage in der Person des Angeklagten.
22
c) Die Haftfortdauer steht nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 112 Abs. 1 Satz 2, § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Auch unter Berücksichtigung der bisherigen Dauer der Untersuchungs- haft von nunmehr fast zwei Jahren erscheint die Fortdauer der Haft mit Blick auf das Gewicht der dem Angeklagten angelasteten Taten sowie der für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehenden Strafe und des - unter Berücksichtigung einer etwaigen Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung gemäß § 57 StGB - hypothetischen Strafendes als nicht unverhältnismäßig.
23
d) Auch ein Verstoß gegen das in Haftsachen geltende verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot liegt nicht vor. Dieses verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um mit der gebotenen Schnelligkeit die notwendigen Ermittlungen abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung mit im Grundsatz durchschnittlich mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche erforderlich. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen. Insgesamt ist eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich, bei der es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer ankommt. Sie kann abhängig sein von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Prozessverhalten des Angeklagten und des Verteidigers, ohne dass es in diesem Zusammenhang maßgeblich darauf ankommt, inwieweit es sich um sachdienliches Verteidigungsverhalten handelt oder dessen Grenzen überschritten sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Februar 2016 - StB 1/16, juris Rn. 25; vom 22. September 2016 - StB 29/16, NStZ-RR 2017, 18, 19). Zu würdigen sind auch die voraus- sichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Strafe (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12, StV 2013, 640; BGH, Beschlüsse vom 21. April 2016 - StB 5/16, NStZ-RR 2016, 217, 218; vom 1. Dezember 2016 - StB 37/16, Rn. 10).
24
Gemessen hieran ist das Verfahren und insbesondere die Hauptverhandlung mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden. Bezüglich der Beurteilung des Verfahrensgangs bis zur am 4. Dezember 2015 angeordneten Eröffnung des Hauptverfahrens verweist der Senat auf seine Ausführungen in den Haftprüfungsbeschlüssen vom 27. August 2015 und vom 10. Dezember 2015.
25
Die Hauptverhandlung hat am 8. Januar 2016 begonnen. Am 4. Januar 2017 hat der 56. Verhandlungstag stattgefunden. Nachdem - ausweislich der Darstellung des Verfahrensablaufs in dem angefochtenen Haftfortdauerbeschluss und der Nichtabhilfeentscheidung - das gerichtliche Beweisprogramm seit mehreren Monaten abgeschlossen, das Verfahren schon längere Zeit durch eine kontinuierliche Vielzahl von Beweisanträgen, -ermittlungsanträgen und -anregungen seitens der Verteidigung geprägt und die Beantwortung eines antragsgemäß gestellten Rechtshilfeersuchens an die Republik Türkei abzuwarten ist, erweist sich die Terminierung als hinreichend straff. Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass das Kammergericht bereits anberaumte Termine auf zahlreiche Anträge der Verteidigung wegen Verhinderung jeweils beider Verteidiger aufgehoben hat.
Becker Spaniol Berg

Die Gerichtssprache ist deutsch. Das Recht der Sorben, in den Heimatkreisen der sorbischen Bevölkerung vor Gericht sorbisch zu sprechen, ist gewährleistet.