Bundesgerichtshof Urteil, 04. Juli 2018 - 5 StR 46/18

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:040718U5STR46.18.0
bei uns veröffentlicht am04.07.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 46/18
vom
4. Juli 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
ECLI:DE:BGH:2018:040718U5STR46.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. Juli 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher, Köhler als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt B. als Verteidiger,
Rechtsanwalt P. als Vertreter der Nebenkläger A. und F. W. ,
Rechtsanwalt St. als Vertreter des Nebenklägers G. W. ,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 30. August 2017 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und festgestellt, dass seine Schuld besonders schwer wiegt. Hiergegen richtet sich die mit Verfahrensrügen und der näher ausgeführten Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Sie bleibt ohne Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts vergewaltigte der damals 32-jährige Angeklagte in den Nachtstunden des 9. April 1987 die ihm zuvor unbekannte 18-jährige H. W. in einem Waldstück bei P. . H. W. war auf dem Heimweg von einer Freundin. Der Angeklagte nahm an seinem Opfer nach Anwendung von Gewalt bzw. Drohung mit erheblicher Gewaltanwendung mehraktige sexuelle Handlungen vor, bei denen er es sowohl in Bauch- als auch in Rückenlage auf den Waldboden brachte. Zur Gefügigmachung würgte der Angeklagte H. W. mindestens mit einem kräftigen Griff und penetrierte sie anschließend in roher Art vaginal und anal, wodurch sie erhebliche Verletzungen an Scheide und After erlitt. In diesem Zusammenhang knebelte der Angeklagte sein Opfer mit dem zuvor vom Körper gerissenen Slip, was zu Verletzungen an den Lippen, der Zunge und im Mund führte. Anschließend tötete der Angeklagte H. W. , um als Täter des vorangegangenen Delikts unerkannt zu bleiben. Dazu benutzte er den zuvor gewaltsam abgerissenen BH als Drosselwerkzeug. Er legte den verdrillten BH um den Hals, verschränkte ihn und zog ihn mit Griff im Trägerbereich mit erheblicher Komprimierungswirkung zu. Anschließend verknotete er ihn an der linken Halsseite zweifach. Danach setzte er mithilfe eines vom Moped des Opfers entfernten Gepäckhaltergummis sein Drosseln fort. Diese Drosselvorgänge wurden mit erheblicher Kraft durchgeführt, der Halsumfang damit von 29 cm auf 23 cm komprimiert. H. W. erstickte, wobei ihr Tod verzögert und nicht abrupt eintrat. Schließlich platzierte der Angeklagte im Scheideneingang der Leiche ein 1-Mark-Stück.
3
2. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des bestreitenden Angeklagten insbesondere auf eine DNA-Spur des Angeklagten gestützt, die sich am BH der Ermordeten an der Stelle fand, die beim Zuziehen besonders intensiv gegriffen werden musste (Innenbereich des ersten Knotens ). Mit sachverständiger Hilfe hat die Schwurgerichtskammer die Wahrscheinlichkeit , dass die gefundene DNA dem Angeklagten zuzuordnen ist, mit 1:510 Billionen bestimmt und zugleich eine Sekundärübertragung oder Kontamination ausgeschlossen. Neben dieser Spur hat das Landgericht als belastende Indizien gewertet, dass der Angeklagte im Juni 1989 und im Juni 1992 zweimal wegen Gewalt gegen Frauen in Zusammenhang mit Sexualkontakten straffällig geworden war, wobei er jeweils die Frauen ganz erheblich gewürgt hatte. Mit geringerem Gewicht hat das Landgericht berücksichtigt, dass es beim Angeklagten nach den Angaben seiner früheren Ehefrau im Frühjahr 1987 zu einer erheblichen Verhaltensänderung gekommen war („regelrechter Bruch“ in ihrem Zusammenleben), dass er zur Tatzeit etwa drei Kilometer Luftlinie vom Tatort entfernt gewohnt und deshalb die Umgebung des Tatorts, ein abgelegenes Waldstück, gekannt habe und dass er wenige Tage nach der nachts bei nasser Witterung und unter 10 Grad Celsius begangenen Tat vier Tage lang wegen einer „Grippeerkrankung“ krankgeschrieben gewesen sei. Die Art und Weise der Tatbegehung hat das Landgericht aus den Feststellungen zum Spurenbild sowie den Folgerungen der sachverständigen Rechtsmediziner abgeleitet und hieraus auf Tötungsvorsatz und -motiv geschlossen. Umstände, die gegen die Täterschaft des Angeklagten und für einen Alternativtäter sprechen, konnte das Landgericht nicht feststellen.
4
3. Die Schwurgerichtskammer hat die Tat des Angeklagten rechtlich als Mord gewürdigt, und zwar sowohl als Verdeckungsmord nach § 211 StGB als auch als Mord nach dem zur Tatzeit am Tatort geltenden § 112 Abs. 1 StGBDDR. Da § 112 Abs. 1 StGB-DDR in diesem Fall Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Freiheitsstrafe vorsah, § 211 StGB aber zwingend die lebenslange Freiheitsstrafe, hat das Landgericht als milderes Recht das DDR-Recht angewandt.
5
Innerhalb dieses Strafrahmens hat es unter Anwendung der Grundsätze des § 61 StGB-DDR straferschwerend das brutale Vorgehen des Angeklagten durch Vornahme zweier Drosselhandlungen mit erheblichem Kraftaufwand, das Zufügen besonderer Qualen für das Opfer, weil der Tod erst verzögert nach einem vergeblichen Todeskampf von nicht unerheblicher Dauer eintrat, und das Tatmotiv der Verdeckungsabsicht angelastet. Zu Gunsten des Angeklagten hat das Schwurgericht den beträchtlichen Zeitraum von ca. 30 Jahren zwischen Tatbegehung und Aburteilung, die krankheitsbedingte besondere Haftempfindlichkeit des Angeklagten und einen Härteausgleich mit einer inzwischen vollstreckten , an sich gesamtstrafenfähigen Freiheitsstrafe eingestellt. Aufgrund einer Gesamtschau hat es in Abwägung dieser Umstände auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt.
6
Schließlich hat das Landgericht festgestellt, dass die Schuld im Sinne von § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB besonders schwer wiegt. Diese Norm finde gemäß Art. 315 Abs. 3 EGStGB Anwendung, weil nach dem StGB-DDR eine Aussetzung lebenslanger Freiheitsstrafe nicht möglich gewesen sei (§ 45 StGBDDR ). Hierbei hat es im Rahmen einer Gesamtwürdigung vor allen Dingen auf die erheblich schulderhöhende Vergewaltigung, die besonders drastische Tatbegehung und die mit der Platzierung des Geldstücks einhergehende Verhöhnung des Opfers abgestellt, die eine menschenverachtende Gesinnung offenbare. Demgegenüber hat es den bei der Strafzumessung genannten Strafmilderungsgründen , auf die es Bezug genommen hat, insgesamt nur eine nachrangige Bedeutung zugemessen.

II.


7
Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
8
1. Ein Verfahrenshindernis wegen etwaiger Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten bestand und besteht nicht.
9
a) Verhandlungsfähigkeit im strafprozessualen Sinne bedeutet, dass der Angeklagte in der Lage sein muss, seine Interessen in und außerhalb der Ver- handlung vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen (sog. Verteidigungsfähigkeit, vgl. Widmaier, NStZ 1995, 361). Dies bedeutet aber nicht, dass der Angeklagte auch tatsächlich fähig sein muss, die ihm gesetzlich eingeräumten Verfahrensrechte in jeder Hinsicht selbständig und ohne fremden Beistand wahrzunehmen. Auch bei solchen Angeklagten , deren geistige, psychische oder körperliche Fähigkeit zur Wahrnehmung der Verteidigungsrechte eingeschränkt ist, muss die Schuld- und Straffrage in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren geklärt und entschieden werden können. Danach liegt Verhandlungsunfähigkeit bei solchen Einschränkungen der geistigen, psychischen oder körperlichen Fähigkeiten nicht vor, wenn die Auswirkungen dieser Einschränkungen auf die tatsächliche Wahrnehmung der Verfahrensrechte durch Hilfen für den Beschuldigten hinreichend ausgeglichen werden können. Die Grenze zur Verhandlungsunfähigkeit ist erst dann überschritten , wenn dem Angeklagten auch bei Inanspruchnahme solcher verfahrensrechtlicher Hilfen eine selbstverantwortliche Entscheidung über grundlegende Fragen seiner Verteidigung und eine sachgerechte Wahrnehmung der von ihm persönlich auszuübenden Verfahrensrechte nicht mehr möglich ist (BVerfG, NStZ 1995, 391, 392).
10
Für die Verhandlungsfähigkeit im Revisionsverfahren reicht es aus, dass der Beschwerdeführer mindestens zeitweilig zu einer Grundübereinkunft mit seinem Verteidiger über die Fortführung oder Rücknahme des Rechtsmittels in der Lage ist und diese Voraussetzungen zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Entscheidung vorlagen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 – 4 StR 527/16; Urteil vom 10. März 1995 – 5 StR 434/94, BGHSt 41, 72, 74).
11
b) Nach diesen Maßstäben war und ist der Angeklagte verhandlungsfähig.
12
Der Senat hat aufgrund des im Urteil des Landgerichts ausführlich geschilderten Krankheitsbildes und der dort erhobenen Befunde keinen Anlass, an der Verhandlungsfähigkeit des Beschwerdeführers zu zweifeln. Der Angeklagte hat zwar im Jahr 2012 vor dem Hintergrund von durch vieljährige alkoholtoxische Beeinträchtigung bereits vorgeschädigten Hirnleistungen einen Schlaganfall erlitten und ist im Sprachverständnis sowie in der verbalen Ausdrucksmöglichkeit gestört. In seinem Alltag kommt er aber mit Hilfe seiner Lebensgefährtin zurecht, studiert Programmzeitschriften, sieht verschiedene ausgewählte Programme und nutzt einen internetfähigen Rechner, auch zum Herunterladen von Dateien und zum Spielen. Allgemeine Auffassungsgabe, Orientierung und das Lang- und Kurzzeitgedächtnis sind nach Auffassung des hierzu gehörten Sachverständigen als grundsätzlich intakt zu bewerten, allerdings zeitlich eingeschränkt infolge des Störungsbildes. Trotz der sprachlichen Defizite ist nach Angabe des medizinischen Sachverständigen eine substantielle Kommunikation mit dem Angeklagten durchaus möglich. Im Rahmen der Exploration habe er sich auch mit dem Tatvorwurf inhaltlich auseinandersetzen können. Sein Schachspielen mit einem Nachbarn belege, dass er grundsätzlich auch zu höheren Hirnleistungen fähig sei. Diese gutachterliche Einschätzung hat die Schwurgerichtskammer durch die Verhaltensbeobachtung des Angeklagten in der Hauptverhandlung bestätigt gefunden.
13
Angesichts der umfangreichen und ausführlichen, mit sachverständiger Hilfe getroffenen und zeitnahen Feststellungen der Schwurgerichtskammer sieht der Senat auch unter Berücksichtigung des Gutachtens vom 31. Janu- ar 2016 sowie der Mitteilung der Justizvollzugsanstalt Z. vom 14. Juni 2018 keinen Anlass, diese Frage noch weiter freibeweislich zu klären.
14
2. Die Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts erfolglos. Ergänzend bemerkt der Senat, dass die Rüge, das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen sei zu Unrecht verworfen worden (vgl. § 74 StPO), jedenfalls auch unbegründet ist.
15
3. Die Feststellungen des Landgerichts beruhen auf einer tragfähigen Beweiswürdigung.
16
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts, das sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden hat (§ 261 StPO). Seine tatsächlichen Schlussfolgerungen müssen nicht zwingend sein; es genügt, dass sie möglich sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Zu seiner Überzeugungsbildung kann es auch allein ein einziges Beweisanzeichen wie etwa einen Fingerabdruck oder eine DNA-Spur heranziehen (vgl. BGH, Urteile vom 21. März 2013 – 3 StR 247/12, NStZ 2013, 420; vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 403/13, NStZ 2014, 475, und vom 11. Juni 1952 – 3 StR 229/52). Das Revisionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatgerichts mit Rechtsfehlern behaftet ist, weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht übereinstimmt oder sich so weit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 403/13 aaO mwN).
17
b) Gemessen hieran sind Rechtsfehler bei der Beweiswürdigung nicht ersichtlich. Das Schwurgericht hat sich seine Überzeugung auf tragfähiger Grundlage gebildet und alternative Geschehensabläufe hinreichend ausgeschlossen. Die sorgfältige Beweiswürdigung wird den mit dem Zeitablauf von fast 30 Jahren einhergehenden Besonderheiten gerecht.
18
4. Die Feststellungen tragen den Schuld- und Strafausspruch.
19
a) Bei der Frage des anwendbaren Rechts gilt nach Art. 315 Abs. 1 EGStGB das Meistbegünstigungsprinzip aus § 2 Abs. 3 StGB (vgl. hierzu auch Dannecker, LK, 12. Aufl., § 2 Rn. 105 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dabei anhand des konkreten Falls ein Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 1991 – 5 StR 523/90, BGHSt 37, 320). Die Prüfung findet dabei nicht bei jedem Schritt der Rechtsfindung gesondert statt, sondern es gilt der Grundsatz strikter Alternativität der zwei nebeneinanderstehenden Regelungen (BGH aaO und Urteil vom 3. Juli 1991 – 5 StR 209/91, BGHSt 38, 18). Dies erfordert, dass der festgestellte Sachverhalt unter das alte und das neue Recht subsumiert und anschließend geprüft wird, welches Recht insgesamt milder ist (konkrete Betrachtungsweise, vgl. Dannecker aaO Rn. 106 ff. mwN).
20
b) Bei der danach gebotenen Prüfung ist die Schwurgerichtskammer ohne Rechtsfehler (vgl. BGH, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349 f.) zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte sowohl nach dem zur Tatzeit geltenden § 112 StGB-DDR als auch nach § 211 StGB mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen ist.
21
5. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht auch § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB angewendet und rechtsfehlerfrei eine besondere Schuldschwere bejaht.
22
a) Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld ist systematisch kein Teil der Entscheidung zu Schuld- und Strafausspruch. Sie ist vielmehr eine Entscheidung für das Vollstreckungsverfahren, die das Bundesverfassungsgericht aus diesem herausgelöst und dem Tatgericht übertragen hat. Sie dient nicht der Bemessung der Sanktion, sondern der Vorbereitung einer Entscheidung über die Aussetzung ihrer weiteren Vollstreckung. Diese Entscheidung obliegt dem Vollstreckungsgericht; es hat – neben den sonstigen Voraussetzungen – zu prüfen, ob die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet. Nur um sie vorzubereiten, hat das Tatgericht schon im Urteil die Umstände aufzuführen, die eine Beurteilung der Schuldschwere ermöglichen; es hat diese Umstände abzuwägen, zu gewichten und danach zu entscheiden, ob die Schuld des Angeklagten besonders schwer wiegt. Bejaht das Tatgericht das, so ist damit weder eine Aussage getroffen, ob später die Strafe länger als 15 Jahre vollstreckt noch – falls das Vollstreckungsgericht längere Vollstreckung für geboten erachtet –, wie lange die weitere Verbüßung dauern wird. Die Tätigkeit des Tatrichters beschränkt sich darauf, dem Vollstreckungsgericht die Anordnung längerer Vollstreckung aus dem Grund besonderer Schuldschwere zu ermöglichen, und sie liefert ihm, wenn es von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, die Grundlage, die es braucht, um die Verlängerung der Vollstreckung unter diesem Gesichtspunkt zeitlich zu bestimmen (BGH, Beschluss vom 22. November 1994 – GSSt 2/94, BGHSt 40, 360, 366 f.).
23
b) Es kann dahinstehen, ob aufgrund dieses Charakters § 57a StGB auf Fälle der vorliegenden Art anzuwenden ist, oder die Regelung des § 2 StGB insofern Anwendung findet (vgl. hierzu Dannecker aaO Rn. 104). Auch bedarf es keiner Entscheidung, ob sich dies daraus ergibt, dass § 2 StGB auf eine Rechtsfolgenentscheidung insgesamt (also einschließlich § 57a StGB) oder – wovon die Strafkammer ausgegangen ist – allein (mangels einer entspre- chenden Vorschrift im StGB-DDR) als das mildere Recht anzuwenden ist. Zu beachtendes milderes Zwischenrecht (vgl. Dannecker aaO Rn. 116) galt insoweit nicht, so dass jedenfalls im Ergebnis § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB anzuwenden war und ist (vgl. auch Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 23. Januar 2006 – 1 Ws 186/05, OLG-NL 2006, 118; ferner BVerfG, NJ 1995, 198 m. Anm. Lemke).
24
c) Bei der insoweit gebotenen Prüfung der besonderen Schuldschwere hat das Tatgericht ohne Bindung an begriffliche Vorgaben die schuldrelevanten Umstände zu ermitteln und zu gewichten. Alsdann hat er im Wege einer zusammenfassenden Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit die Schuld daraufhin zu bewerten, ob sie nach seiner Auffassung besonders schwer ist. Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld kann dabei nur dann in Betracht kommen, wenn Umstände vorliegen, die Gewicht haben. Nur dies wird der nach § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu treffenden Entscheidung gerecht, die die Möglichkeit eines fünfzehn Jahre überschreitenden Freiheitsentzuges eröffnet. Solche Umstände können beispielsweise eine besondere Verwerflichkeit der Tatausführung oder der Motive, mehrere Opfer bei einer Tat, die Begehung mehrerer Mordtaten oder – im oder ohne Zusammenhang mit dem Mord begangene – weitere schwere Straftaten sein. Hierbei ist jedoch stets zu bedenken , dass solche Umstände nicht ohne weiteres, sondern nur im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung zur Bejahung der besonderen Schwere der Schuld führen können. Dem Revisionsgericht ist bei der Nachprüfung der Entscheidung eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle versagt. Es hat nur zu prüfen, ob der Tatrichter alle maßgeblichen Umstände bedacht und rechtsfehlerfrei abgewogen hat, darf aber nicht seine Wertung an die Stelle derjenigen des Tatrichters setzen (BGH aaO S. 370).
25
d) Diesen Vorgaben werden die Ausführungen des Schwurgerichts gerecht. Es hat bei der Feststellung der besonderen Schuldschwere insbesondere die besondere Verwerflichkeit der konkreten Tatausführung in den Blick genommen , aber auch den langen Zeitablauf und die aufgrund seiner Krankheit besondere Haftempfindlichkeit des Angeklagten berücksichtigt. Das Ergebnis seiner Wertung ist angesichts der eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht hinzunehmen.
26
6. Die Schwurgerichtskammer hat rechtsfehlerfrei auch einen Härteausgleich dafür abgelehnt, dass infolge zwischenzeitlichen Straferlasses nach Teilvollstreckung keine Gesamtstrafe mit an sich gesamtstrafenfähigen Verurteilungen zu neun Monaten Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Kreisgerichts Plauen vom 21. Juli 1989 (Tatzeit 16. Dezember 1988) und zu zwei Jahren aus dem Urteil des Kreisgerichts Plauen vom 7. September 1989 (Tatzeit der dort mit ausgeurteilten sexuellen Nötigung 8. Juni 1989) gebildet werden kann. Aus den Strafen der beiden genannten Urteile wurde durch Beschluss des Kreisgerichts Plauen vom 13. Oktober 1989 eine Gesamtstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten gebildet, wobei sich der Strafausspruch des zweiten einbezogenen Urteils zusätzlich auf die unbefugte Benutzung von Fahrzeugen und einen weiteren nicht eintragungsfähigen Schuldspruch bezog. Aufgrund Amnestie wurde die Freiheitsstrafe auf ein Jahr und acht Monate reduziert, der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt und schließlich erlassen. Schon im Hinblick hierauf war das Landgericht zur Gewährung eines Härteausgleichs aus Rechtsgründen nicht verpflichtet. Im Übrigen kann die Unmöglichkeit der Gesamtstrafenbildung mit an sich gesamtstrafenfähigen Strafen im Vollstreckungsverfahren bei der Festsetzung der Mindestverbüßungszeit der verhängten lebenslangen Frei- heitsstrafe (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) ausgeglichen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2009 – 4 StR 358/08, NStZ-RR 2009, 104; vgl. auch BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2009 – 5 StR 433/09, BGHSt 54, 259, 261).
Mutzbauer Sander Berger
Mosbacher Köhler

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Maßregeln der Besserung und Sicherung sind

1.
die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus,
2.
die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt,
3.
die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung,
4.
die Führungsaufsicht,
5.
die Entziehung der Fahrerlaubnis,
6.
das Berufsverbot.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,
2.
nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und
3.
die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 vorliegen.
§ 57 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 6 gilt entsprechend.

(2) Als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 gilt jede Freiheitsentziehung, die der Verurteilte aus Anlaß der Tat erlitten hat.

(3) Die Dauer der Bewährungszeit beträgt fünf Jahre. § 56a Abs. 2 Satz 1 und die §§ 56b bis 56g, 57 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 Satz 2 gelten entsprechend.

(4) Das Gericht kann Fristen von höchstens zwei Jahren festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag des Verurteilten, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

(1) Auf vor dem Wirksamwerden des Beitritts in der Deutschen Demokratischen Republik begangene Taten findet § 2 des Strafgesetzbuches mit der Maßgabe Anwendung, daß das Gericht von Strafe absieht, wenn nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht der Deutschen Demokratischen Republik weder eine Freiheitsstrafe noch eine Verurteilung auf Bewährung noch eine Geldstrafe verwirkt gewesen wäre.

(2) Die Vorschriften des Strafgesetzbuches über die Geldstrafe (§§ 40 bis 43) gelten auch für die vor dem Wirksamwerden des Beitritts in der Deutschen Demokratischen Republik begangenen Taten, soweit nachfolgend nichts anderes bestimmt ist. Die Geldstrafe darf nach Zahl und Höhe der Tagessätze insgesamt das Höchstmaß der bisher angedrohten Geldstrafe nicht übersteigen. Es dürfen höchstens dreihundertsechzig Tagessätze verhängt werden.

(3) Die Vorschriften des Strafgesetzbuches über die Aussetzung eines Strafrestes sowie den Widerruf ausgesetzter Strafen finden auf Verurteilungen auf Bewährung (§ 33 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik) sowie auf Freiheitsstrafen Anwendung, die wegen vor dem Wirksamwerden des Beitritts in der Deutschen Demokratischen Republik begangener Taten verhängt worden sind, soweit sich nicht aus den Grundsätzen des § 2 Abs. 3 des Strafgesetzbuches etwas anderes ergibt.

(4) Die Absätze 1 bis 3 finden keine Anwendung, soweit für die Tat das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland schon vor dem Wirksamwerden des Beitritts gegolten hat.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 527/16
vom
21. Dezember 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:211216B4STR527.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 21. Dezember 2016 gemäß § 302 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Es wird festgestellt, dass die Revisionen der Beschuldigten vom 24. August 2016 und 26. September 2016 gegen das Urteil des Landgerichts Stendal vom 23. August 2016 wirksam zurückgenommen sind. 2. Die Beschuldigte hat auch die Kosten ihres Rechtsmittels vom 26. September 2016 zu tragen.

Gründe:


1
1. Die von der Pflichtverteidigerin der Beschuldigten, Rechtsanwältin A. , am 22. September 2016 erklärte Rücknahme der am 24. August 2016 eingelegten (ersten) Revision ist wirksam. An der prozessualen Handlungsfähigkeit der Beschuldigten im Zeitpunkt der Ermächtigung ihrer Verteidigerin zur Rücknahme des Rechtsmittels bestehen keine Zweifel.
2
a) Für die Verhandlungsfähigkeit im Revisionsverfahren reicht es aus, dass der Beschwerdeführer mindestens zeitweilig zu einer Grundübereinkunft mit seinen Verteidigern über die Fortführung oder Rücknahme des Rechtsmittels in der Lage ist und diese Voraussetzungen zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Entscheidung vorlagen (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 1995 – 5 StR 434/94, BGHSt 41, 72, 74). Eine Beeinträchtigung der Geschäfts- oder Schuld- fähigkeit eines Erklärenden hat nicht zwangsläufig dessen prozessuale Handlungsunfähigkeit zur Folge. Hiervon ist erst dann auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Beteiligter nicht in der Lage ist, die Bedeutung von ihm abgegebener Erklärungen zu erkennen, wobei Zweifel an der prozessualen Handlungsfähigkeit zu seinen Lasten gehen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2004 – 2 StR 199/04, NStZ-RR 2004, 341 mwN).
3
b) Danach war von einer prozessualen Handlungsfähigkeit der Beschuldigten im Zeitpunkt der Rücknahme der (ersten) Revision auszugehen. Zwar hat das sachverständig beratene Landgericht bei der Beschuldigten eine das Tatgeschehen überdauernde paranoid-halluzinatorische Psychose festgestellt und angenommen, dass sie bei „Fortbestehen restplausibler Handlungsfähigkeit“ in den Tatsituationen am 1. September2015 und 13. Februar 2016 nicht mehr befähigt war, das Verbotene ihres Tuns einzusehen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beschuldigte im Zeitpunkt der Rücknahmeerklärung nicht in der Lage war, mit ihrer Verteidigerin zu einer Grundübereinkunft über die Fortführung oder Rücknahme des Rechtsmittels zu gelangen, bestehen aber nicht. Der Rücknahmeerklärung der Pflichtverteidigerin vom 22. September 2016 ist ein Schreiben der Beschuldigten vom 16. September 2016 beigefügt, in dem sie ausdrücklich erklärt, auf eine Revision zu verzichten und das Urteil anzunehmen. In einem weiteren Schreiben vom 20. September 2016 bestätigte die Beschuldigte überdies ihren Rücknahmewillen, indem sie dem Landgericht mitteilte , sich entschieden zu haben „nicht in Revision zu gehen“. Hiervon sei ihre Verteidigerin in Kenntnis gesetzt. Anders als weitere, später zu den Akten gelangte Schreiben enthalten diese inhaltlich aufeinander bezogenen Schreiben keine Hinweise auf wahnhafte Gedankeninhalte. Auch gibt es keinen Anhaltpunkt für eine fehlende Kenntnis der Beschuldigten von der Bedeutung der abgegebenen Erklärungen.
4
2. Die – ohnehin unzulässige – mit Schreiben vom 26. September 2016 eingelegte (zweite) Revision wurde von der Beschuldigten mit Schreiben vom 9. November 2016 ebenfalls wirksam zurückgenommen. Insoweit war lediglich noch über die Kosten zu entscheiden.
Sost-Scheible Roggenbuck RiBGH Cierniak ist erkrankt und daher gehindert zu unterschreiben. Sost-Scheible Quentin Feilcke

(1) Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, daß der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist.

(2) Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. Die ernannten Sachverständigen sind den zur Ablehnung Berechtigten namhaft zu machen, wenn nicht besondere Umstände entgegenstehen.

(3) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; der Eid ist als Mittel der Glaubhaftmachung ausgeschlossen.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 403/13
vom
1. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Oktober
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Radtke,
Prof. Dr. Mosbacher,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt aus München - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Justizangestellte - in der Verhandlung -,
Justizangestellte - bei der Verkündung -
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 5. April 2013 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt und bestimmt, dass die in den Niederlanden erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 angerechnet wird. Die mit einer Verfahrensrüge und der näher ausgeführten Sachrüge begründete Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Der anderweitig Verfolgte M. führte am 27. März 2011 etwas über 7,3 kg Kokaingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von knapp 2,6 kg KokainHydrochlorid mit sich, das in den vorderen Radkästen eines in D. angemieteten Pkw versteckt worden war und bei einer Polizeikontrolle an der Autobahnrastanlage I. aufgefunden wurde. Nach Aufforderung der Polizei nahm M. mit dem von ihm benannten Mittäter „R. “ per SMS Kontakt auf, was zu einer Ortung des von „R. “ benutzten Mobiltelefons in A. führte. Sämtliche mit „R. “ ausgetauschten Kurzmitteilungen wa- ren in albanischer Sprache verfasst.
4
Wegen dieser Tat wurde M. mit Urteil des Landgerichts München II wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Das Landgericht sieht die Tat des M. als „Haupttat“ der Beihilfehandlung des Angeklagten an.
5
Das in Platten gepresste Kokain war für den Transport in dreizehn Päckchen verpackt worden, die jeweils einen identischen Aufbau aufwiesen: Die erste Schicht der Verpackung bestand aus transparentem Tesaklebeband, die zweite Schicht aus einem transparenten Schlauchfolienbeutel, die dritte Schicht aus braunem Paketklebeband, die vierte Schicht aus Frischhaltefolie und die fünfte Schicht aus einem bläulich-transparenten Gefrierbeutel. Zwölf Päckchen waren zudem in schwarzer Schrift mit Buchstabenkombinationen beschriftet.
6
Die geschilderte Verpackung des Kokains nahm der Angeklagte an einem unbekannten Ort vor der Übergabe an M. zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt kurz vor dem 27. März 2011 vor. Hierbei war ihm - wie allen übrigen Tatbeteiligten - bewusst, dass das Kokain zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war.
7
2. Die Überführung des aus Albanien stammenden und in den Niederlanden in der Gastronomie arbeitenden Angeklagten, der zum Tatvorwurf geschwiegen hat und bislang im Bundesgebiet unbestraft ist, stützt das Landgericht auf drei von ihm stammende Fingerspuren, die auf der vierten Verpackungslage (Frischhaltefolie) eines der Kokainpakete gesichert werden konn- ten. Weitere verwertbare Spuren wurden bei der Untersuchung der Pakete nicht gefunden; der als Zeuge vernommene M. hatte angegeben, den Angeklagten nicht zu kennen.
8
Das Landgericht ist davon überzeugt, dass der Angeklagte bei der Verpackung des entsprechenden Kokainpakets beteiligt war: Weil sich die Frischhaltefolie wegen ihrer dünnen Qualität nicht zur Wiederverwendung eigne und sonstige Verschmutzungen auf dieser Folie nicht gefunden worden seien, gebe es keine Anhaltspunkte, dass die Frischhaltefolie vor ihrer Verwendung als Rauschgiftverpackung zu anderen Zwecken verwendet worden sei, weshalb ein zufälliges Aufbringen der Fingerabdrücke auf die Folie ausgeschlossen werden könne. Aus der Gleichartigkeit der Verpackung der Drogen zieht die Kammer den Schluss, dass der Angeklagte beim Verpacken aller dreizehn Rauschgiftpäckchen mitgeholfen habe, die aufgrund der Beschriftungen und des identischen Verpackungsaufbaus den Eindruck einer Sammelbestellung machten.

II.


9
1. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers liegt der absolute Revisionsgrund der örtlichen Unzuständigkeit nach § 338 Nr. 4 StPO nicht vor. Das Landgericht München II war nach § 7 Abs. 1 StPO für das Verfahren gegen den Angeklagten örtlich zuständig.
10
In dem für die Zuständigkeitsbestimmung maßgeblichen Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens lagen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass der Angeklagte mit seiner Tätigkeit den Betäubungsmittelhandel von M. unterstützte. Nach der Überzeugung des Landgerichts ist der Transport der verpackten Betäubungsmittel durch den gesondert Verurteilten M. zum Zwe- cke gewinnbringenden Weiterverkaufs die Haupttat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Diese Tat wurde jedenfalls auch im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts München II begangen (§ 7 Abs. 1 StPO), weil M. mit dem Kokain zum Zweck des gewinnbringenden Weiterverkaufs unterwegs war (vgl. auch BGH, Beschluss vom 31. März 2011 - 3 StR 400/10, insoweit in NStZ 2011, 596 nicht abgedr.). An diesem Geschehen hat sich der Angeklagte durch die Verpackung des Kokains beteiligt, denn erst hierdurch war es zum Transport und auch zum Versteck in den Radkästen des Wagens geeignet. Tatort der Beihilfe zum Handeltreiben ist auch der Ort des Handeltreibens (§ 9 Abs. 2 StGB).
11
Der Fall unterscheidet sich damit schon im Ansatz von den Konstellationen , in denen sich Veräußerer und Erwerber von Betäubungsmitteln gegenüberstehen und gegenteilige Interessen verfolgen (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 17. Juli 2002 - 2 Ars 164/02, NStZ 2003, 269; vom 31. März 2011 - 3 StR 400/10, insoweit in NStZ 2011, 596 nicht abgedr.; BGH, Urteil vom 30. September 2008 - 5 StR 215/08, NStZ 2009, 221). Soweit die Revision erwägt , der Angeklagte sei alleine auf Seiten etwaiger Veräußerer der Betäubungsmittel tätig geworden, lag dies nach den Umständen des Falls im Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses angesichts der in albanisch geführten Kom- munikation mit dem in den Niederlanden befindlichen Hintermann „R. “ vor dem Hintergrund der albanischen Staatsangehörigkeit des Angeklagten und seines Aufenthalts in den Niederlanden nicht nahe.
12
2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
13
Die Beweiswürdigung des Landgerichts, mit der es sich von der Schuld des Angeklagten überzeugt hat, ist nicht zu beanstanden.
14
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, der sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden hat (§ 261 StPO). Die tatsächlichen Schlussfolgerungen des Tatgerichts müssen nicht zwingend sein; es genügt, dass sie möglich sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. Februar 1957 - 2 StR 508/56, BGHSt 10, 208, 209 ff.; BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20 f.). Zu seiner Überzeugungsbildung kann es auch allein ein einziges Beweisanzeichen wie etwa einen Fingerabdruck oder eine DNA-Spur heranziehen (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2013 - 3 StR 247/12, NStZ 2013, 420; BGH, Urteil vom 11. Juni 1952 - 3 StR 229/52). Das Revisionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht übereinstimmt oder sich soweit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2013 - 3 StR 247/12, NStZ 2013, 420 mwN).
15
b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts gerecht:
16
Der Schluss des Landgerichts von den Fingerabdrücken auf einer Zwischenlage eines Betäubungsmittelpakets auf die Mitwirkung des Angeklagten an der Verpackung des Rauschgifts ist möglich und lebensnah. Aufgrund der Lage der Fingerabdrücke auf der Zwischenlage hat das Landgericht nachvoll- ziehbar ausgeschlossen, dass die Abdrücke auf unverfängliche Weise auf die Folie aufgetragen wurden. Angesichts der Gleichartigkeit der Verpackung konnte das Landgericht auch rechtsfehlerfrei darauf schließen, dass der Angeklagte am Verpacken sämtlicher Kokainpakete beteiligt war. Mit Umständen, die gegen diesen Schluss sprechen (keine weiteren Spuren an den Paketen), hat sich das Landgericht ausdrücklich auseinandergesetzt.
17
c) Ebenfalls rechtsfehlerfrei ist der Schluss des Landgerichts auf den entsprechenden Vorsatz des Angeklagten hinsichtlich der Mitwirkung am Kokainabsatz. Dass das Kokain zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war und der Angeklagte dies auch erkannte, ergibt sich für das Landgericht aus der Menge und der auf eine Sammelbestellung hinweisenden Art der Verpackung des Rauschgifts.
18
Angesichts der Fertigung dreizehn gleichartig verpackter Kokain-Pakete bedurfte es keiner weiteren Ausführungen zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten von der Haupttat des M. , wozu das Landgericht naturgemäß keine weiteren Anknüpfungstatsachen erheben konnte. Der Gehilfe muss seinen eigenen Tatbeitrag sowie die wesentlichen Merkmale der Haupttat, insbesondere deren Unrechts- und Angriffsrichtung, zumindest für möglich halten und billigen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Januar 2011 - 3 StR 420/10, NStZ 2011, 399). Er braucht hingegen Einzelheiten der Haupttat nicht zu kennen und keine bestimmte Vorstellung von ihr zu haben (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2012 - 3 StR 435/11, wistra 2012, 302), insbesondere wenn sein Tatbeitrag - wie hier - nur zu deliktischen Zwecken verwendet werden kann (vgl. Senat, Urteil vom 18. April 1996 - 1 StR 14/96, BGHSt 42, 135, 137 ff.). Da die dreizehn Kokainpäckchen angesichts der Menge an Betäubungsmitteln nur zum gewinnbringenden Weiterverkauf mittels Transport zu etwaigen Käufern be- stimmt sein konnten, liegt es auf der Hand, dass der Angeklagte genau damit rechnete und dies billigend in Kauf nahm. Die Tat des M. hält sich in diesem Rahmen.
19
d) Angesichts der geschilderten Gesamtumstände ist auch die Wertung des Landgerichts rechtsfehlerfrei, dass sich der Angeklagte an der Haupttat des M. beteiligt hat, indem er beim Verpacken des Kokains mitgeholfen hat. Dass eine besonders sichere Verpackung des Rauschgifts gerade zum Verstecken der Pakete in einem Pkw (hier den Radkästen) beiträgt, liegt nahe und bedurfte deshalb keiner weiteren Erörterung. Soweit die Revision vorbringt, es läge näher , dass der Angeklagte auf Seiten der Verkäufer des Kokains an M. und nicht auf Seiten von M. tätig geworden wäre, erschöpft sich das Vorbringen in dem Versuch einer in der Revision unbehelflichen eigenen Beweiswürdigung.
Raum Graf Jäger
Radtke Mosbacher

(1) Auf vor dem Wirksamwerden des Beitritts in der Deutschen Demokratischen Republik begangene Taten findet § 2 des Strafgesetzbuches mit der Maßgabe Anwendung, daß das Gericht von Strafe absieht, wenn nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht der Deutschen Demokratischen Republik weder eine Freiheitsstrafe noch eine Verurteilung auf Bewährung noch eine Geldstrafe verwirkt gewesen wäre.

(2) Die Vorschriften des Strafgesetzbuches über die Geldstrafe (§§ 40 bis 43) gelten auch für die vor dem Wirksamwerden des Beitritts in der Deutschen Demokratischen Republik begangenen Taten, soweit nachfolgend nichts anderes bestimmt ist. Die Geldstrafe darf nach Zahl und Höhe der Tagessätze insgesamt das Höchstmaß der bisher angedrohten Geldstrafe nicht übersteigen. Es dürfen höchstens dreihundertsechzig Tagessätze verhängt werden.

(3) Die Vorschriften des Strafgesetzbuches über die Aussetzung eines Strafrestes sowie den Widerruf ausgesetzter Strafen finden auf Verurteilungen auf Bewährung (§ 33 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik) sowie auf Freiheitsstrafen Anwendung, die wegen vor dem Wirksamwerden des Beitritts in der Deutschen Demokratischen Republik begangener Taten verhängt worden sind, soweit sich nicht aus den Grundsätzen des § 2 Abs. 3 des Strafgesetzbuches etwas anderes ergibt.

(4) Die Absätze 1 bis 3 finden keine Anwendung, soweit für die Tat das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland schon vor dem Wirksamwerden des Beitritts gegolten hat.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,
2.
nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und
3.
die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 vorliegen.
§ 57 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 6 gilt entsprechend.

(2) Als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 gilt jede Freiheitsentziehung, die der Verurteilte aus Anlaß der Tat erlitten hat.

(3) Die Dauer der Bewährungszeit beträgt fünf Jahre. § 56a Abs. 2 Satz 1 und die §§ 56b bis 56g, 57 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 Satz 2 gelten entsprechend.

(4) Das Gericht kann Fristen von höchstens zwei Jahren festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag des Verurteilten, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,
2.
nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und
3.
die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 vorliegen.
§ 57 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 6 gilt entsprechend.

(2) Als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 gilt jede Freiheitsentziehung, die der Verurteilte aus Anlaß der Tat erlitten hat.

(3) Die Dauer der Bewährungszeit beträgt fünf Jahre. § 56a Abs. 2 Satz 1 und die §§ 56b bis 56g, 57 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 Satz 2 gelten entsprechend.

(4) Das Gericht kann Fristen von höchstens zwei Jahren festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag des Verurteilten, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Härteausgleich für während der Unterbrechung von Untersuchungshaft
vollständig vollstreckte Ersatzfreiheitsstrafe bei infolgedessen
unterbliebener Gesamtstrafenbildung mit lebenslanger
Freiheitsstrafe durch Anrechnung.
BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2009 - 5 StR 433/09
LGGöttingen-

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 8. Dezember 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Dezember 2009

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 16. Juni 2009 wird nach § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe (§ 349 Abs. 4 StPO) als unbegründet verworfen, dass 60 Tage der Mindestverbüßungsdauer der lebenslangen Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen heimtückisch begangenen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die Sache ist im Beschlussverfahren ohne die vom Verteidiger Rechtsanwalt M. begehrten Vorentscheidungen entscheidungsreif (BGH NStZ 2007, 538, 539; BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2006 – 5 StR 382/06 m.w.N.). Die Revision des Angeklagten bleibt zum Schuld- und Strafausspruch erfolglos im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Allerdings hat es das Landgericht unterlassen, für in Unterbrechung der Untersuchungshaft vollstreckte 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe einen Härteausgleich zu gewähren. Dies hat der Senat nachzuholen (§ 349 Abs. 4, § 354 Abs. 1 StPO).
2
1. Der Vornahme eines Härteausgleichs stehen prinzipielle Bedenken nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt ein Härteausgleich (vgl. BGHSt 31, 102, 103; 33, 131, 132) bei Zusammentreffen von Freiheits- und Geldstrafe zumindest dann in Betracht, wenn die Geldstrafe als Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt worden ist und daher bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nicht mehr einbezogen werden kann (BGH NStZ 1990, 436). So liegt es hier. Die Ersatzfreiheitsstrafe wurde – was grundsätzlich zulässig ist (vgl. § 122 StVollzG; s. aber BGH, Beschluss vom 8. Juli 2009 – 5 StR 217/09) – in Unterbrechung von Untersuchungshaft vollständig vollstreckt. Dementsprechend konnte keine Gesamtstrafe mehr gebildet werden.
3
2. Ohne Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe hätte das Landgericht in Anwendung der § 55 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Satz 1 StGB auf eine lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe erkennen müssen. Der Geldstrafe lag ein Strafbefehl des Amtsgerichts Göttingen wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr vom 18. November 2008 zugrunde, der für das hier abgeurteilte Tötungsverbrechen vom 4. September 2008 zäsurbegründend ist. Die Annahme besonderer Schwere der Schuld in Anwendung des § 57b StGB (hierzu BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15; BGH, Beschluss vom 28. Mai 2009 – 5 StR 184/09) wäre bei der Einbeziehung der im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung nicht schwer wiegenden Geldstrafe ausgeschlossen gewesen (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 57b Rdn. 2 m.w.N.).
4
3. Mithin ist ein Härteausgleich für den entstandenen Nachteil zu gewähren.
5
a) Dies gilt in Ansehung der Bedeutung des Freiheitsgrundrechts des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG auch für den im Vergleich zur erkannten lebenslangen Freiheitsstrafe hier eher geringfügigen Nachteil. Einen Nachteil hat der Angeklagte unzweifelhaft erlitten. Im Falle einer gemäß § 55 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Satz 1 StGB möglichen Gesamtstrafenbildung bezöge sich die Mindestverbüßungszeit des § 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB nach § 57a Abs. 2 StGB nicht auf die lebenslange Freiheitsstrafe allein, sondern auf alle Taten, deren Strafen in die Gesamtstrafe einzubeziehen waren (vgl. Fischer aaO § 57a Rdn. 22). Die Verbüßungszeit einer noch nicht vollständig vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafe wäre deshalb auf die Mindestverbüßungszeit von 15 Jahren anzurechnen gewesen (vgl. BGHSt 21, 186, 187 f.). Mithin wäre dem Angeklagten bei einer Gesamtstrafenbildung die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe im Ergebnis erspart geblieben.
6
b) Im Hinblick darauf, dass das Landgericht die besondere Schuldschwere nicht festgestellt hat, kann die vollständige Absorption der einzubeziehenden Strafe auch nicht im Vollstreckungsverfahren bei der Festsetzung der Verlängerungsdauer der Mindestverbüßungszeit der verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe (§ 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB) ausgeglichen werden (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 104). Die Gewährung des gleichwohl erforderlichen Härteausgleichs kann dementsprechend nicht anders als durch eine Herausnahme der diesem zugrundeliegenden Haftzeit aus der Mindestverbüßungsdauer erfolgen (vgl. BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15).
7
Dem steht nicht die Erwägung entgegen, dass bei einer gemeinsamen Aburteilung beider Taten neben der lebenslangen Freiheitsstrafe (theoretisch ) gesondert auf Geldstrafe hätte erkannt werden können (§ 53 Abs. 2 Satz 2 StGB). Im Rahmen des Härteausgleichs kommt es nämlich allein auf die hier durch die vollständige Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe geprägte tatsächliche Situation für den neu entscheidenden Richter an (BGH NStZ 1990, 436). Ohnehin erscheint die Anwendung des § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB neben lebenslanger Freiheitsstrafe grundlegend zweifelhaft, weil sonst der zu Freiheitsstrafe Verurteilte gleichheitswidrig besser gestellt wäre als der zu Geldstrafe Verurteilte.
8
c) Der zu gewährende Härteausgleich ist durch Anrechnung auf die Mindestverbüßungszeit (§ 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB) unter doppelt analoger Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB vorzunehmen.
9
§ 51 Abs. 1 Satz 1 StGB sieht eine Anrechnung erlittener Haft zwar nur für die zeitige Freiheitsstrafe vor. Indes ist – mangels jeder Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung – eine entsprechende Anwendung im Falle erlittener Untersuchungshaft und anderer Freiheitsentziehung auch für die Festsetzung der Mindestverbüßungsdauer der lebenslangen Freiheitsstrafe anerkannt und geboten (BGHR StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 4; Fischer aaO § 51 Rdn. 4). Ferner ist die Möglichkeit einer Anrechung einer im Einzelnen zu bestimmenden Zeit eines Freiheitsentzuges zum Ausgleich von erlittenem Verfahrensunrecht auf die Mindestverbüßungsdauer in den Fällen rechtsstaatwidriger Verfahrensverzögerung gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK (BGHSt – GS – 52, 124, 136) und eines Verstoßes gegen Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK (BGHSt 52, 48, 56 f.) anerkannt.
10
Das von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelte Vollstreckungsmodell ist auch für die Vornahme eines Härteausgleichs nach Festsetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe anzuwenden. Nicht anders als in den Fällen, in denen erlittenes Verfahrensunrecht im Wege schadensersatzrechtlicher Naturalrestitution ausgeglichen wird, gestattet es das Vollstreckungsmodell , den gebotenen Ausgleich eines Übermaßes von Strafe aufgrund zufällig getrennter Aburteilungen ohne systemwidrige Eingriffe in die Strafbemessung zu beseitigen. Diese Lösung hat der Große Senat für Strafsachen in BGHSt 52, 124, 136 vorgegeben (vgl. dazu auch EGMR StV 2009, 561, 563). Der erkennende Senat vollzieht sie – nach der Ankündigung in BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15 – hier tragend nach. Ob und gegebenenfalls in welchem Maße das Vollstreckungsmodell in anderen Fällen zu gewährenden Härteausgleichs anstelle des bisher gewährten, indessen oftmals nicht deutlich erkennbar werdenden Strafabschlags angewendet werden sollte (vgl. hierzu schon die Regelungen in § 58 Abs. 2 Satz 2, § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB), braucht der Senat hier nicht zu entscheiden.
11
d) Als Härteausgleich sind hier 60 Tage auf die Mindestverbüßungsdauer des § 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB anzurechnen, weil bei einer Gesamtstrafenbildung genau diese 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe nicht vollstreckt worden wären. Für eine verminderte Anrechnung ist kein Anlass ersichtlich. Zwar liegt hierin eine gewisse Privilegierung eines zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten. Dies ist aber Folge der sich aus den § 54 Abs. 1 Satz 1, §§ 57a und 57b StGB ergebenden Regeln über die Bildung von Gesamtstrafen auf der Grundlage lebenslanger Freiheitsstrafe. Eine mögliche Verlängerung der Mindestverbüßungsdauer aufgrund des Schuldgehalts des Tötungsverbrechens bleibt unberührt.
12
Der Senat ist entsprechend § 354 Abs. 1 StPO zu eigener Entscheidung befugt, weil rechtliche Erwägungen ein anderes Ergebnis verbieten (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Januar 2001 – 4 StR 587/00; BGHR StPO § 354 Abs. 1 Strafausspruch 12).
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4. Dahingestellt bleiben kann, inwieweit und in welcher Form der Gedanke des Härteausgleichs in anders gelagerten Fällen Anwendung finden müsste. Zu denken ist etwa an Konstellationen, in denen die Aufklärung der vor einer Verurteilung begangenen, mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu ahndenden Tat über lange Zeit hinweg wegen noch nicht vorhanden gewesener technischer Mittel nicht möglich gewesen ist, oder an Fälle mit nicht erkennbaren Tatzusammenhängen. Bei solchen Sachverhalten ist die getrennte Aburteilung Gegebenheiten geschuldet, die außerhalb des Verantwortungsbereichs der Justiz liegen; hinsichtlich der früheren Vollstreckung der erkannten Strafe hatte sie lediglich ihre Vollstreckungspflicht erfüllt (BVerfGE 46, 214, 222 f.; 51, 324, 343). Unter solchen Umständen kann die Verpflichtung zur Gewährung eines Härteausgleichs, jedenfalls in Vollanrechnung, in Frage gestellt sein.
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5. Der erzielte Teilerfolg der unbeschränkt geführten Revision ist derart gering, dass es unter den Billigkeitsgesichtspunkten des § 473 Abs. 4 StPO nicht angezeigt erscheint, eine Kostenteilung vorzunehmen.
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