Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Okt. 2018 - 3 StR 126/18

bei uns veröffentlicht am18.10.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 126/18
vom
18. Oktober 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:181018B3STR126.18.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführerin und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 18. Oktober 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 11. Dezember 2017 aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bestehen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hatte die Angeklagte am 31. Mai 2016 wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hatte. Dieses Urteil hat der Senat auf die Revision der Staatsanwaltschaft mit Urteil vom 26. Januar 2017 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Nunmehr hat das Landgericht die Angeklagte wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen "durch Unterlassen" zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts geltend macht. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen kümmerten sich die Angeklagte und ihr Ehemann nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes zunächst gemeinsam um das Kind, wobei die Angeklagte vorrangig tagsüber die Pflege übernahm, während der Ehemann dieser Aufgabe in der Nacht nachkam. Allerdings erwachte die Angeklagte auch in der Nacht, wenn das Kind, was in der Regel alle drei bis vier Stunden vorkam, Geräusche von sich gab. Zumeist musste sie ihren Mann dann wecken, der entsprechend der vereinbarten Arbeitsteilung den Säugling im Wohnzimmer versorgte. Gleichwohl kam sie ihrem Mann stets zu Hilfe, wenn dieser - was die Angeklagte in ihrem Bett in dem an dasWohnzimmer angrenzenden Schlafzimmer wahrnahm - das Kind nicht beruhigen konnte.
3
Bereits binnen weniger Tage nach der Geburt entwickelte der Ehemann der Angeklagten indes eine heftige Eifersucht auf das Kind. Gleichzeitig ärgerte er sich darüber, dass die Angeklagte ihm immer wieder Ratschläge erteilte, wie er mit dem Säugling umgehen müsse. Aus Eifersucht und Frustration, die zunehmend mit Wut gepaart waren, begann er spätestens ab dem 15. Oktober 2015 dem zu diesem Zeitpunkt 13 Tage alten Kind Schmerzen und Verletzungen zuzufügen, wobei er der Angeklagten für sichtbare Verletzungen harmlose Erklärungen lieferte. Auch in der Nacht vor der Tat schlug er dem Kind, als dieses das Fläschchen zur Seite drückte, mit der Hand ins Gesicht und drückte ihm dieses in der Folge so tief in den Mund, dass es eine Verletzung an der Oberlippe erlitt. Der Angeklagten, die bei dem Geschehen nicht zugegen gewesen war, gelang es nur mit Mühen, das Kind zu beruhigen, weshalb sie vermutete, dass dieses Schmerzen hatte. Das Hämatom am Auge des Kindes, eine Folge des Schlages, erklärte der Ehemann damit, dass das Kind sich mit dem Fingernagel gekratzt habe.
4
In der Nacht zum 21. Oktober 2015 übernahm der Ehemann der Angeklagten erneut die Versorgung seines Sohnes und begab sich deshalb mit ihm gegen 23.00 Uhr in das Wohnzimmer, während die Angeklagte im Schlafzimmer verblieb. Als das Kind wieder zu weinen anfing und es ihm nicht gelang, es zu beruhigen, beschloss er gegen Mitternacht, seinen Sohn zu töten. Zuvor nahm er über annähernd drei Stunden mehrfach Misshandlungen des Säuglings vor, indem er sich mit vollem Gewicht auf den Kopf des bäuchlings auf einem Kissen liegenden Kindes setzte und dieses, nachdem es zunächst verstummt war, dann aber wieder zu schreien angefangen hatte, mehrere Male heftig schüttelte. Auch dies führte dazu, dass das Kind eine Zeitlang ruhig wurde, bevor es wieder zu weinen begann. Schließlich missbrauchte der Mitangeklagte den Säugling sexuell, indem er seinen erigierten Penis einige Zentimeter weit in dessen Anus einführte. Obwohl die Angeklagte das wiederholte Schreien des Kindes im angrenzenden Wohnzimmer hörte und daraus schloss, dass ihr Ehemann dem Kind wiederholt erheblich wehtat, gab sie sich schlafend und griff nicht ein, um ihrem Mann vorzuspielen, dass sie ihm vertraue. Dagegen traute sie ihm in Wahrheit nicht, sondern nahm zur Erreichung des genannten Zwecks billigend in Kauf, dass er den gemeinsamen Sohn quälte und den erst 18 bis 19 Tage alten Säugling dadurch auch in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung und einer erheblichen Entwicklungsschädigung bis hin zu der des Todes brachte. Der Mann der Angeklagten, der sich durch den Umstand, dass sie ungeachtet der lauten Schreie des Kindes nicht im Wohnzimmer erschien, um nach dem Rechten zu sehen, in seinem Tötungsentschluss bestärkt sah, setzte diesen kurz vor drei Uhr um, indem er das Kind mit beiden Händen an der Hüfte packte und seinen Kopf zweimal gegen die Kante des hölzernen Tisches schlug, so dass es alsbald verstarb.

II.


5
1. Dem Landgericht ist darin zu folgen, dass die Angeklagte den Tatbestand des § 225 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB verwirklichte, indem sie es unter Missachtung ihrer elterlichen Schutzpflichten unterließ, die Übergriffe ihres Ehemanns auf das gemeinsame Kind zu verhindern, obgleich ihr nach dem Geschehen in der Nacht zuvor deutlich vor Augen stand, dass dieser den Säugling misshandelte, der deshalb auch immer wieder laut schrie. Auch dass ihr die Verhinderung dieser Misshandlungen möglich und zumutbar war, wird von den Feststellungen getragen. Ebenso belegen diese, dass - was die Angeklagte billigend in Kauf nahm - die Übergriffe ein solches Ausmaß erreichten, dass der nur 18 bis 19 Tage alte Säugling durch sie in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung, einer erheblichen Entwicklungsschädigung und sogar des Todes geriet (§ 225 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StGB). Schließlich ist das Landgericht auch rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass für die Angeklagte vorhersehbar war, dass das Kind aufgrund der Körperverletzungshandlungen versterben könnte, so dass auch der Tatbestand des § 227 Abs. 1 StGB erfüllt ist. Hinsichtlich aller Straftatbestände ist die Strafkammer auch zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Beteiligung der Angeklagten an den Taten ihres Ehemanns durch aktives Tun zu verneinen ist. Vielmehr hat sie diese zutreffend nach den Grundsätzen einer Tatbegehung durch Unterlassen (§ 13 Abs. 1 StGB) bewertet.
6
2. Allerdings hält die Beurteilung, dass sich die Angeklagte der Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen als (Unterlassungs-)Täterin schuldig gemacht hat, sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Vielmehr kommt nach den Feststellungen auch eine Strafbarkeit nur wegen Beihilfe in Betracht.
7
a) Besteht die Verletzung der einen Garanten treffenden Erfolgsabwendungspflicht darin, dass er die Tötungshandlung eines anderen nicht verhindert, kann sein Verhalten entweder eine täterschaftliche Begehung durch Unterlassen oder eine Beihilfe zur Tat des aktiv Handelnden bedeuten. Die Beurteilung im konkreten Fall hängt davon ab, ob die aufgrund wertender Betrachtung festzustellende innere Haltung des Unterlassenden zur Begehungstat des anderen - insbesondere wegen des Interesses am abzuwendenden Taterfolg - als Ausdruck eines sich die Tat des anderen zu eigen machenden Täterwillens aufzufassen ist oder ob seine innere Einstellung davon geprägt ist, dass er sich dem Handelnden - etwa weil er dessen bestimmendem Einfluss besonders unterliegt - im Willen unterordnet und das Geschehen ohne innere Beteiligung und ohne Interesse am drohenden Erfolg im Sinne bloßen Gehilfenwillens lediglich ablaufen lässt (BGH, Urteil vom 25. September 1991 - 3 StR 95/91, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Unterlassen 4; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 13 Rn. 96 mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Oktober 2017 - 1 StR 496/16, NStZ 2018, 462, 463 f.).
8
b) Danach belegen die Feststellungen eine (mit-)täterschaftliche Begehung durch Unterlassen nicht. Das Landgericht hat nicht festgestellt, dass die zum Tode führenden Verletzungshandlungen des Ehemannes der Angeklagten auf einem gemeinsamen Willensentschluss beruhten und im gegenseitigen Einverständnis vorgenommen wurden. Vielmehr griff die Angeklagte in die von ihrem Ehemann geführten aktiven Misshandlungen nicht ein, um diesem zu suggerieren, dass sie ihm vertraue. Dass sie sich den Täterwillen ihres Ehemannes zu eigen machte, ergibt sich aus den Feststellungen somit nicht.
9
Die Sache bedarf deshalb der neuen Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen können indes bestehen bleiben.
10
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Düsseldorf.
Gericke Spaniol Tiemann
Berg Hoch

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 27 Beihilfe


(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. (2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu milde

Strafgesetzbuch - StGB | § 13 Begehen durch Unterlassen


(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichun

Strafgesetzbuch - StGB | § 225 Mißhandlung von Schutzbefohlenen


(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die 1. seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,2. seinem Hausstand angehört,3. von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder4.

Strafgesetzbuch - StGB | § 227 Körperverletzung mit Todesfolge


(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. (2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahre

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Bundesgerichtshof Urteil, 10. Okt. 2017 - 1 StR 496/16

bei uns veröffentlicht am 10.10.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 496/16 vom 10. Oktober 2017 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a. ECLI:DE:BGH:2017:101017U1STR496.16.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 496/16
vom
10. Oktober 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:101017U1STR496.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Oktober 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf, die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener und die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Dr. Bär,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger des Angeklagten B. , Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger der Angeklagten F. , der Nebenkläger persönlich - in der Verhandlung -, Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Vertreter des Nebenklägers, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 20. Juni 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts als Schwurgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat beide Angeklagte wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von jeweils fünf Jahren verurteilt und wegen Verfahrensverzögerung jeweils neun Monate als vollstreckt erklärt. Ihre mit der Sachrüge geführten Revisionen führen zur Aufhebung des Urteils.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Die Angeklagte F. war Mutter des am 26. März 2006 geborenen R. . Sie führte ab Herbst 2009 eine Beziehung mit dem Angeklagten B. . Ab diesem Zeitpunkt lebten die Angeklagten in einem gemeinsamen Hausstand zusammen mit R. , für den der Angeklagte B. im Einvernehmen mit der Angeklagten F. die Vaterrolle übernahm. Bei Ungehorsam von R. sprachen beide die zu treffenden Erziehungsmaßregeln ab. Sie pflegten gegenüber R. einen harschen, auf strengen Gehorsam gerichteten Erziehungsstil. Die Angeklagte F. versetzte ihrem Sohn Ohrfeigen und Klapse auf den Po. Der Angeklagte B. war zumindest teilweise anwesend und billigte diese Züchtigungen.
4
Nach der Geburt der gemeinsamen Tochter Ende Dezember 2010 waren die Angeklagten durch die mit dem Baby verbundene Mehrarbeit überfordert. Dies spitzte sich ab dem 20. Februar 2011 noch zu, als sich die Mutter der Angeklagten F. im Urlaub befand und ihre Tochter nicht wie üblich, insbesondere bei der Versorgung von R. , unterstützen konnte.
5
In der Folge war R. nun auch Opfer massiver Gewalt. So wurde er mindestens dreimal in den drei Wochen vor dem 12. März 2011 schwer misshandelt. Unter anderem erhielt er Schläge in das Gesicht, so dass er sichtbare Hämatome aufwies. Aber auch am Körper zeigten sich deutliche Hämatome als Folge von Schlägen. Zweimal versetzte man ihm massive Schläge auf den Schädel, so dass die Kopfschwarte verletzt wurde. Welcher der beiden Angeklagten dem Kind welche Verletzung zugefügt hatte, hat das Landgericht nicht feststellen können. Es hat sich jedoch eine Überzeugung dahingehend gebildet, dass beide Angeklagte um die Verletzungen durch den jeweils anderen wussten und sie diese Dritten gegenüber zu verschleiern suchten.
6
Am 12. März 2011 waren beide Angeklagte mit R. in ihrer Wohnung. Zwischen 16.58 Uhr und 17.06 Uhr schlug einer der beiden Angeklagten mit der Faust massiv auf den Kopf des Jungen oder hielt ihn an den Füßen hoch und ließ ihn aus nicht geringer Höhe fallen. Es konnte nicht festgestellt werden, welcher der beiden Angeklagten dem Kind diese Verletzung beigebracht hat. Die Verletzung führte unmittelbar zur Bewusstlosigkeit des Kindes, worauf es innerhalb weniger Minuten zu einem Herzstillstand kam und noch am selben Tag der Hirntod eintrat. Als R. schon leblos auf dem Boden lag, rief die Angeklagte F. den Notarzt. Gegenüber den behandelnden Ärzten gaben beide Angeklagte bewusst unwahr an, Ursache für R. s Zustand seien Stürze und eine Diabetes-Erkrankung.
7
Das Landgericht sieht die Tatbestände der Körperverletzung mit Todesfolge und Misshandlung Schutzbefohlener durch beide Angeklagte als Mittäter verwirklicht. Diese rechtliche Bewertung stützt es darauf, dass auch demjenigen der Angeklagten, der die Gewalthandlung am 12. März 2011 nicht ausführte, die gesteigerten, immer intensiveren Gewaltausübungen gegen R. bekannt waren. Durch den eigenen Erziehungsstil und das Unterlassen von Maßnahmen zum Schutz von R. im Vorfeld des Geschehens am 12. März 2011 billigten sie diese und bestärkten den jeweils Handelnden in seinem Tun, wodurch Mittäterschaft begründet worden sei. Beide Angeklagte hätten den Eintritt weiterer körperlicher Misshandlungen beabsichtigt; tödliche Verletzungen seien aufgrund der vorangegangenen massiven Misshandlungen vorhersehbar gewesen. Dies hätten sie jeweils durch Information Dritter über die vorangegangenen Gewalttätigkeiten vermeiden können.

II.


8
Eine zu Lasten des geschädigten Kindes am 12. März 2011 begangene todesursächliche Körperverletzung ist auch von der unverändert zugelassenen Anklageschrift vom 30. Oktober 2013 erfasst. Zwar werden darin keine Verlet- zungshandlungen am 12. März 2011 geschildert, sondern solche, die „in den Tagen vor“ diesem Tag in der Wohnung der Angeklagten stattgefunden und am 12. März 2011 zur Bewusstlosigkeit, einer dadurch ausgelösten Mageninhaltsaspiration , einer Lungenentzündung und schließlich zum Tod des Jungen geführt haben sollen. Die Anklage lässt aber eindeutig erkennen, dass der geschichtliche Lebensvorgang im Sinne des § 264 StPO, einschließlich aller damit zusammenhängenden oder darauf bezogenen Vorkommnisse und tatsächlichen Umstände, die sich im unmittelbaren zeitlichen Vorfeld zum Tod des Jungen in der Wohnung der Angeklagten abgespielt haben und die geeignet sind, das Tun der Angeklagten unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt als strafbar erscheinen zu lassen, der gerichtlichen Kognitionspflicht unterworfen werden sollte (vgl. zum prozessualen Tatbegriff nur BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 - 1 StR 415/12, BGHSt 58, 72 mwN; Beschluss vom 9. Dezember 2015 - 1 StR 256/15, NStZ 2016, 296; Urteil vom 17. August 2017 - 4 StR 127/17, NStZ-RR 2017, 352).

III.


9
Die Verurteilung beider Angeklagter hat keinen Bestand.
10
1. Soweit die Strafkammer die Verletzungshandlung des handelnden Angeklagten dem jeweils anderen Angeklagten gemäß § 25 Abs. 2 StGB zurechnet , ist dies nicht tragfähig belegt.
11
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Mittäter , wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatan- teils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den von seiner Vorstellung umfassten gesamten Umständen in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen (BGH, Urteil vom 15. Januar 1991 - 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291; Beschlüsse vom 29. September 2005 - 4 StR 420/05, NStZ 2006, 94 und vom 14. Juli 2016 - 3 StR 129/16, StraFo 2016, 392; Urteil vom 25. Oktober 2016 - 5 StR 255/16, NStZ-RR 2017, 5). Diese Voraussetzungen sind für das Geschehen am 12. März 2011 bei dem nicht handelnden Angeklagten nicht belegt.
12
b) Zwar hat sich die Strafkammer aufgrund revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Erwägungen davon überzeugt, dass der Angeklagte B. bei dem Kind eine Vaterrolle einnahm und dass beide Angeklagte einverständlich einen harschen, unangemessenen und auch von körperlichen Züchtigungen - wie Ohrfeigen und Klapse auf den Po - geprägten Erziehungsstil ihm gegenüber verfolgten.
13
c) Keine tragfähige Tatsachengrundlage hat das Urteil allerdings,soweit darin ein zumindest konkludentes Einvernehmen zwischen den Angeklagten im Hinblick auf die Ausübung massiver und roher Gewalt auch gegen den Schädel als Erziehungsmittel gegen R. zugrunde gelegt wird. Nach den Feststellungen veränderte sich erst in den letzten drei Wochen vor dem Tod des Jungen das Ausmaß der gegen ihn verübten Verletzungshandlungen entscheidend. Während zuvor Züchtigungen wie Ohrfeigen und Klapse auf den Po erfolgten, fanden nun hiermit nicht mehr vergleichbare und damit von der früheren Übereinkunft nicht gedeckte, körperliche Misshandlungen durch massiven Gewalt- einsatz statt. Belastbare Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass auch diese Methoden vom gemeinsamen Erziehungsstil umfasst waren, sind nicht festgestellt.
14
Das Landgericht stützt sich zwar insoweit auf die rechtsfehlerfrei festgestellte Untätigkeit trotz Erkennens der äußerlich sichtbaren Verletzungen im Gesicht sowie der Mitwirkung an deren Verschleierung. Dies ist allerdings nicht geeignet, das für eine mittäterschaftliche Begehung jedenfalls erforderliche enge Verhältnis desjenigen Angeklagten, der in die Tatverwirklichung nicht weiter eingebunden war, mit einem sich vom bisherigen Erziehungsstil deutlich abhebenden Übergriff zu begründen. So kann aus der Verdeckung einer früheren Misshandlung nicht ohne weitere Anhaltspunkte auf einen gemeinsamen Tatplan für einen folgenden Übergriff geschlossen werden. Denn das Untätigbleiben nach dem Erkennen einer solchen Misshandlung bzw. der Verschleierung der hieraus resultierenden Folgen ist auch mit Gleichgültigkeit, Selbstschutz oder einer ähnlichen Haltung zu erklären. Hierdurch kommt für sich genommen nicht zum Ausdruck, dass eine Fortsetzung der Misshandlung durch den anderen als eigene Tat gewollt ist, zu der durch die Untätigkeit bzw. die Verdeckung des bisher Geschehenen ein Tatbeitrag geleistet werden soll. Dies gilt umso mehr, als Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben und der körperlichen Unversehrtheit des Opfers für den Angeklagten B. ausdrücklich festgestellt und das Handeln der Angeklagten F. als von Selbstschutzgedanken beherrscht sowie beide Angeklagte als von der Situation überfordert im Urteil dargestellt werden.
15
2. Für den Angeklagten, der dem Kind die Verletzungen nicht unmittelbar beibrachte, kann insoweit auf der Grundlage der Feststellungen auch keine Unterlassenstäterschaft angenommen werden.
16
Zwar kommt in Fällen, in denen nicht geklärt werden kann, wer von beiden Elternteilen die Misshandlung zum Nachteil des gemeinsamen Kindes vorgenommen hat, in Anwendung des Zweifelssatzes eine Strafbarkeit wegen Unterlassens in Betracht (BGH, Urteil vom 3. Juli 2003 - 4 StR 190/03, NStZ 2004, 94; Beschluss vom 4. Februar 2016 - 4 StR 266/15, StV 2016, 431). Dies gilt auch für den nicht leiblichen Elternteil, der eine Stellung als Beschützergarant tatsächlich übernommen hatte. Es kann aber hier keine Handlungspflicht des jeweils das Kind nicht aktiv verletzenden Angeklagten angenommen werden.
17
Eine solche Pflicht, zum Schutz von R. tätig zu werden, ergibt sich weder aus dem konkreten Tatgeschehen, noch kann sie auf die jeweilige Kenntnis von früheren Misshandlungen gestützt werden. Denn eine solche Handlungspflicht existierte nur, falls die früheren Misshandlungen durch den jeweils anderen Angeklagten begangen worden wären. In diesem Fall hätte der nicht aktiv handelnde Angeklagte bereits im Vorfeld der neuerlichen Gewalttat geeignete Maßnahmen ergreifen müssen, um weitere drohende Übergriffe von dem Kind abzuwenden (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2003 - 4 StR 190/03 aaO; Beschluss vom 21. November 2002 - 4 StR 444/02, FamRZ 2003, 450; Urteil vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 117). Hätte dagegen der jeweilige Angeklagte selbst die früheren Misshandlungen vorgenommen, bestünde für ihn keine Verpflichtung, R. vor dem anderen Angeklagten zu schützen, da nach seinem Kenntnisstand von diesem keine Gefahren für das Kind ausgingen (BGH, Urteil vom 4. Juli 2002 - 3 StR 64/02; Beschluss vom 4. Februar 2016 - 4 StR 266/15 aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 24. Oktober 1995 - 1 StR 465/95, JR 1999, 294). Von welchem Angeklagten die dem Tatgeschehen vorausgegangenen Übergriffe zum Nachteil von R. verübt worden waren, hat das Landgericht aber gerade nicht feststellen können. Vielmehr ist ausdrücklich ungeklärt geblieben, ob nicht die Verletzungen im Vorfeld von dem Angeklagten verursacht worden sind, der nicht die todesursächliche Tathandlung ausführte.
18
3. Da die Verurteilung ohnehin aufzuheben war, kam es nicht mehr darauf an, dass auch die Überzeugungsbildung der Strafkammer hinsichtlich des Geschehens am Nachmittag des 12. März 2011 durchgreifend bedenklich ist. Denn diese basiert letztlich allein auf den Angaben der Angeklagten F. , wonach der Angeklagte B. dem Kind am 12. März 2011 mit der Faust auf den Kopf geschlagen, es im Würgegriff frei hängend getragen und sodann mit dem Kopf auf den Boden fallen gelassen habe. Nach der eigenen Einschätzung der Strafkammer waren die wechselnden, möglicherweise selbstschützenden Einlassungen der in der Vergangenheit mehrfach massiver Lügen überführten Angeklagten F. allerdings nicht geeignet, Grundlage von Feststellungen zu sein, weswegen auch keine Täterschaft des Angeklagten B. angenommen worden ist. Wieso gleichwohl der von der Angeklagten geschilderte Umstand , dass das Kind am 12. März 2011 nochmals misshandelt wurde und auf welche Weise dies geschah, zugrunde gelegt worden ist, bleibt unerörtert. Vom rechtsmedizinischen Sachverständigen eingeführte Anknüpfungstatsachen, die eine Überzeugung von einem solchen Geschehensablauf zu stützen geeignet wären, sind nicht nachvollziehbar dargestellt. Danach ist nur tragfähig belegt, dass Stürze als Ursache wegen der Lage der Kopfverletzungen ausgeschlossen werden können, nicht aber, ob diese Verletzungen auf ein Geschehen am 12. März 2011 zurückzuführen sind.

IV.


19
Das neu zuständige Tatgericht wird sich der Feststellung der Todesursache sorgfältiger als bisher zu widmen haben. Gegebenenfalls wird es die Verfassung des Jungen im unmittelbaren Vorfeld des 12. März 2011 als Folge der Schläge auf den Schädel zu prüfen haben. Denn auch die Vorschrift des § 225 StGB, insbesondere in der Variante des Quälens, kann ein taugliches Grunddelikt für § 227 StGB sein. Sollte es sich erneut - abweichend von der Anklage - davon überzeugen, dass eine todesursächliche Verletzungshandlung am 12. März 2011 stattfand, wird es die Tatsachengrundlage hierfür eingehender als bisher darzustellen haben. Sollte wiederum nicht zu klären sein, welcher der beiden Angeklagten dem Kind die todesursächliche Verletzung beibrachte und wer für die davor begangenen Verletzungen verantwortlich ist, wird es gegebenenfalls auch eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Tat des Handelnden in den Blick zu nehmen haben.
Raum Graf Cirener
Radtke Bär