Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Jan. 2015 - 3 ARs 28/14
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
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- Der 5. Strafsenat hat über die Revision eines Angeklagten zu entscheiden , der vom Landgericht wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in 87 Fällen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden ist. Der 5. Strafsenat hält die Verurteilung im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Arzneimittelbegriff (Urteil vom 10. Juli 2014 - C-358/13 und C-181/14, NStZ 2014, 461) für rechtsfehlerhaft. Er sieht sich an einem Freispruch jedoch gehindert, weil - insoweit unproblematisch - die von dem Angeklagten vertriebenen Kräutermischungen teilweise bereits zur Tatzeit in Anlage II zum Betäubungsmittelgesetz (BtMG) aufgenommene synthetische Cannabinoide enthielten und im Übrigen eine Strafbarkeit wegen gewerbsmäßigen Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen unter Verwendung nicht zugelassener Stoffe (§ 52 Abs. 2 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 VTabakG) in Betracht komme (BGH, Beschluss vom 5. November 2014 - 5 StR 107/14, juris). Der 5. Strafsenat beabsichtigt deshalb wie folgt zu entscheiden: "Das gewerbsmäßige Inverkehrbringen von zum Rauchen bestimmten Kräutermischungen, denen nicht in die Anlage II zum Betäubungsmittelgesetz aufgenommene synthetische Cannabinoide zugesetzt sind, kann nach § 52 Abs. 2 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 VTabakG strafbar sein."
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- Hieran sieht er sich jedoch durch nicht ausschließbar entgegenstehende Rechtsprechung des 3. Strafsenats gehindert (Senat, Urteil vom 4. September 2014 - 3 StR 437/12, juris).
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- Das in Bezug genommene Urteil steht der beabsichtigten Entscheidung des 5. Strafsenats entgegen (I.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest (II.).
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- I. In dem Urteil vom 4. September 2014 (3 StR 437/12, juris) hat der Senat zu einer Strafbarkeit nach dem Vorläufigen Tabakgesetz (VTabakG) nicht ausdrücklich Stellung genommen. Voraussetzung des Freispruchs hinsichtlich des dem dortigen Angeklagten zur Last gelegten Verkaufs von sog. Kräutermischungen war jedoch die Verneinung einer Strafbarkeit nach dem VTabakG. Diese hat der Senat - stillschweigend - vorgenommen.
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- II. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.
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- 1. Kräutermischungen, denen synthetische Cannabinoide zugesetzt sind und die geraucht werden, um sich dadurch in einen mit dem Konsum von Marihuana vergleichbaren Rauschzustand zu versetzen, stellen keine Tabakerzeugnisse oder - diesen gleichgestellte - Tabakerzeugnissen ähnliche Waren dar, denn sie sind nicht im Sinne von § 3 Abs. 1, 2 Nr. 1 VTabakG zum Rauchen bestimmt. Die Verbots- und Strafvorschriften der §§ 20, 52 VTabakG sind deshalb nicht anwendbar. Hierzu gilt:
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- Wie auch der Vorlegungsbeschluss nicht verkennt, sind Betäubungsmittel keine Tabakerzeugnisse (Zipfel/Sosnitza/Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht , 145. Erg. Lfg., § 3 VTabakG Rn. 10; Rohnfelder/Freytag in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 196. Erg. Lfg., § 3 VTabakG Rn. 1). Dies ist für solche Stoffe allgemein anerkannt, die - wie etwa Cannabisprodukte oder Heroin - aufgrund ihrer Aufnahme in Anlage II zu § 1 Abs. 1 BtMG als Betäubungsmittel im Sinne dieses Gesetzes anzusehen sind, beschränkt sich aber nicht auf diese. Denn der Grund, warum Betäubungsmittel nicht zu den Tabakerzeugnissen oder den diesen ähnlichen Waren zählen, liegt darin, dass es ihnen an der erforderlichen Zweckbestimmung im Sinne von § 3 VTabakG selbst dann fehlt, wenn sie tatsächlich geraucht werden (Zipfel/Sosnitza/Rathke aaO):
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- Das Vorläufige Tabakgesetz bezweckt den Schutz der Gesundheit von Verbrauchern vor Gefahren, die mit dem Konsum von Tabakerzeugnissen und diesen ähnlichen Waren verbunden sind. Dies ergibt sich schon aus der Entstehungsgeschichte der Regelungen über Tabakerzeugnisse, die zunächst in das Lebensmittelgesetz und ab dem Jahr 1974 in das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz eingegliedert waren; insoweit sollten die Regelungen den Gesundheitsschutz verstärken, ohne die "wirtschaftliche Entwicklung", mithin den Vertrieb solcher Produkte, unnötig einzuschränken (vgl. etwa BT-Drucks. 7/255, S. 23). Auch die mit den Vorschriften des Vorläufigen Tabakgesetzes korrespondierenden europarechtlichen Regelungen bezwecken nicht allgemein den Gesundheitsschutz, sondern den Schutz "der menschlichen Gesundheit durch Verringerung der Gesundheitsschäden infolge von Tabakmissbrauch" (vgl. etwa Art. 1 der Richtlinie 89/622/EWG des Rates vom 13. November 1989 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung von Tabakerzeugnissen; gleichlau- tend nunmehr: Art. 1 der Richtlinie 2001/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen, im Folgenden EG-Tabak-Richtlinie), ohne allerdings solche Produkte schlechthin zu verbieten. Sie werden vielmehr allgemein als marktgängige Genussmittel angesehen; Handelshemmnisse sollen durch die Harmonisierung der Regelungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union beseitigt werden (vgl. etwa Erwägungsgrund Nr. 3 der EG-TabakRichtlinie
).
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- Angesichts dieses Regelungszusammenhangs kann die Zweckbestimmung "zum Rauchen" etc. nicht von dem Begriff der Tabakerzeugnisse getrennt betrachtet werden. Vielmehr definiert § 3 Abs. 1 VTabakG - in inhaltlicher Übereinstimmung mit Art. 2 Nr. 1 EG-Tabak-Richtlinie - Tabakerzeugnisse als "aus Rohtabak oder unter Verwendung von Rohtabak hergestellte Erzeugnisse, die zum Rauchen, Kauen oder anderweitigen oralen Gebrauch oder zum Schnupfen bestimmt sind". Den Tabakerzeugnissen ähnliche Waren im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG sind folglich nur solche, die Tabakerzeugnisse in einer ihrer Verwendungsarten ersetzen sollen (Rohnfelder/Freytag aaO, § 3 VTabakG Rn. 9). Betäubungsmittel sollen aber, selbst wenn sie geraucht werden , nicht ein Tabakerzeugnis ersetzen; sie werden vielmehr konsumiert, um sich mittels der darin enthaltenen psychotropen Substanzen in einen Rauschzustand zu versetzen.
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- Nichts anderes gilt für die mit synthetischen Cannabinoiden versetzten Kräutermischungen: Sie stellen kein Tabakerzeugnis im Sinne von § 3 Abs. 1 VTabakG dar, weil sie nicht aus Rohtabak oder unter Verwendung von Rohtabak hergestellt werden. Sie sind keine den Tabakerzeugnissen ähnliche Wa- ren im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG, weil sie nicht als Ersatz für Tabakerzeugnisse , sondern zur Erreichung eines anderen Zweckes - der Versetzung in einen mit Tabakerzeugnissen nicht zu erreichenden Rauschzustand - geraucht werden.
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- 2. Selbst wenn man die mit synthetischen Cannabinoiden versetzten Kräutermischungen entgegen der obigen Darlegungen als tabakähnliche Waren auffassen wollte, wären sie jedenfalls in dem vom Senat entschiedenen Fall nicht zum Rauchen bestimmt gewesen.
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- Ausweislich der im Urteil des Senats wiedergegebenen Feststellungen des Landgerichts waren die Kräutermischungen mit dem Hinweis versehen, es handele sich um Raumerfrischer, der Inhalt der verkauften Tütchen sei nicht zum menschlichen Verzehr geeignet (BGH, Urteil vom 4. September 2014 - 3 StR 437/12, juris Rn. 5).
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- Damit fehlt es an der von § 3 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG vorausgesetzten Zweckbestimmung. Das Merkmal "bestimmt" ist wie bei der Definition der Lebensmittel im früheren § 1 LMBG bzw. wie nunmehr in Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (im Folgenden: EG-Lebensmittel-BasisVO) auszulegen (Zipfel/Sosnitza/Rathke aaO, § 3 VTabakG Rn. 8). Bei der Definition des Lebensmittels ist - wie bei den Tabakerzeugnissen - maßgeblich auf die Zweckbestimmung abzustellen; damit ist die vorgesehene Verwendung gemeint, wie sie im Verkehr bei natürlicher Betrachtungsweise durch einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen Verbraucher erkennbar ist (Rathke in Zipfel/Rathke, aaO, 150. Erg. Lfg., Art. 2 EG-Lebensmittel-BasisVO Rn. 23; G/J/W/Sackreuther, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht , vor §§ 58-61 LFBG Rn. 38 mwN). Ein durchschnittlicher Verbraucher wird indes bei der Bezeichnung einer Ware als - nicht zum menschlichen Verzehr geeignetem - "Raumerfrischer" nicht davon ausgehen, dass diese zum Rauchen bestimmt sei. Auf den möglichen Kenntnisstand eingeweihter Kunden eines Verkäufers solcher Kräutermischungen über die tatsächliche Bestimmung kommt es nicht an.
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- Ebensowenig kann darauf abgestellt werden, ob es nach vernünftigem Ermessen zu erwarten ist, dass solche Kräutermischungen geraucht werden. Denn diese in Art. 2 Abs. 1 EG-Lebensmittel-BasisVO aufgenommene Erweiterung über die Zweckbestimmung hinaus ist in der Definition der Tabakerzeugnisse bzw. der tabakähnlichen Waren im Sinne von § 3 VTabakG nicht enthalten (Zipfel/Sosnitza/Rathke aaO, § 3 VTabakG Rn. 8). Eine entsprechende Auslegung zur Begründung der Strafbarkeit kommt schon aufgrund der Gewährleistung aus Art. 103 Abs. 2 GG nicht in Betracht.
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(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.
(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.
(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.
(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
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(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.
(1) Betäubungsmittel im Sinne dieses Gesetzes sind die in den Anlagen I bis III aufgeführten Stoffe und Zubereitungen.
(2) Die Bundesregierung wird ermächtigt, nach Anhörung von Sachverständigen durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Anlagen I bis III zu ändern oder zu ergänzen, wenn dies
- 1.
nach wissenschaftlicher Erkenntnis wegen der Wirkungsweise eines Stoffes, vor allem im Hinblick auf das Hervorrufen einer Abhängigkeit, - 2.
wegen der Möglichkeit, aus einem Stoff oder unter Verwendung eines Stoffes Betäubungsmittel herstellen zu können, oder - 3.
zur Sicherheit oder zur Kontrolle des Verkehrs mit Betäubungsmitteln oder anderen Stoffen oder Zubereitungen wegen des Ausmaßes der mißbräuchlichen Verwendung und wegen der unmittelbaren oder mittelbaren Gefährdung der Gesundheit
(3) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt in dringenden Fällen zur Sicherheit oder zur Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Stoffe und Zubereitungen, die nicht Arzneimittel oder Tierarzneimittel sind, in die Anlagen I bis III aufzunehmen, wenn dies wegen des Ausmaßes der mißbräuchlichen Verwendung und wegen der unmittelbaren oder mittelbaren Gefährdung der Gesundheit erforderlich ist. Eine auf der Grundlage dieser Vorschrift erlassene Verordnung tritt nach Ablauf eines Jahres außer Kraft.
(4) Das Bundesministerium für Gesundheit (Bundesministerium) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Anlagen I bis III oder die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen zu ändern, soweit das auf Grund von Änderungen der Anhänge zu dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Februar 1977 (BGBl. II S. 111) und dem Übereinkommen von 1971 über psychotrope Stoffe (BGBl. 1976 II S. 1477) (Internationale Suchtstoffübereinkommen) oder auf Grund von Änderungen des Anhangs des Rahmenbeschlusses 2004/757/JI des Rates vom 25. Oktober 2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels (ABl. L 335 vom 11.11.2004, S. 8), der durch die Richtlinie (EU) 2017/2103 (ABl. L 305 vom 21.11.2017, S. 12) geändert worden ist, erforderlich ist.