Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Sept. 2019 - 2 StR 196/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts – zu Ziff. 1.a) und 2. auf dessen Antrag – und des Beschwerdeführers am 18. September 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO beschlossen:
a) im Schuld- und Strafausspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte unter Wegfall der verhängten Einzelstrafen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 5 Euro verurteilt wird;
b) aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Bewilligung von Zahlungserleichterungen unterblieben ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 5 Euro verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
- 2
- Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts des Angeklagten gestützte Revision gegen dieses Urteil hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
- 3
- 1. Der Schuldspruch bedarf der Änderung, weil die Annahme der Strafkammer , der Angeklagte habe sich wegen zweier tatmehrheitlich begangener Taten des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte strafbar gemacht, sachlich -rechtlicher Prüfung nicht standhält.
- 4
- Bei dem festgestellten Sachverhalt handelt es sich nach natürlicher Betrachtungsweise um ein in sich geschlossenes, zusammengehörendes, einheitliches Geschehen im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit. Schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild stellt sich das Handeln des Angeklagten, der sich dem Verbringen zur Bahnhofswache zur Durchführung einer Identitätsfeststellung mit Gewalt gegen die beiden Polizeibeamten zu entziehen versuchte, wegen seines räumlich und zeitlich engen Zusammenhangs als ein einheitlicher Vorgang dar. Auf der Grundlage der Feststellungen ist daher von Tateinheit im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit auszugehen. Dass sich die Tat gegen zwei Polizeibeamte richtete, ist nach dem Rechtsgut des § 113 StGB unerheb- lich (vgl. BGH VRS 57, 277). Ebenso wenig steht der Annahme von Tateinheit entgegen, dass durch die zugleich begangenen versuchten Körperverletzungen zum Nachteil der Beamten auch jeweils deren höchstpersönliches Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit angegriffen wurde (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 1992 – 1 StR 148/92, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Konkurrenzen 2). § 265 Abs. 1 StPO hindert eine Schuldspruchänderung nicht, weil der geständige Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
- 5
- 2. Die Änderung des Schuldspruchs zieht den Wegfall der Einzelstrafen nach sich. Der Senat lässt jedoch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO die verhängte Gesamtgeldstrafe als Einzelstrafe bestehen, da ausgeschlossen werden kann, dass das Landgericht allein aufgrund geänderter Konkurrenzverhältnisse auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte, zumal der enge zeitlich, sachliche und situative Zusammenhang der Taten bei der Bildung ausdrücklich berücksichtigt worden ist und die abweichende konkurrenzrechtliche Bewertung den Schuldumfang unberührt lässt (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 27. Juni 2018 – 4 StR 116/18, juris Rn. 4).
- 6
- 3. Das Landgericht hat es versäumt, eine Entscheidung über die Bewilligung von Zahlungserleichterungen nach § 42 StGB zu treffen (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Februar 2018 – 2 StR 348/17, BGHR StGB § 42 Zahlungserleichterungen 2). Hierzu bestand aber Veranlassung, weil die Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten es nahelegen, dass er den Betrag der Geldstrafe aus laufendem Einkommen oder Vermögen nicht sofort begleichen kann. Die insoweit unterbliebene Entscheidung ist regelmäßig dem Tatrichter vorbehalten (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2018 – 4 StR 292/18, NStZ-RR 2019, 72, 73) und muss von ihm nachgeholt werden.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder - 3.
die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wird.
(3) Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig.
(4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt und dadurch dem Vermögen des Genötigten oder eines anderen Nachteil zufügt, um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung einer Erpressung verbunden hat.
(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.
Ist dem Verurteilten nach seinen persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten, die Geldstrafe sofort zu zahlen, so bewilligt ihm das Gericht eine Zahlungsfrist oder gestattet ihm, die Strafe in bestimmten Teilbeträgen zu zahlen. Das Gericht kann dabei anordnen, daß die Vergünstigung, die Geldstrafe in bestimmten Teilbeträgen zu zahlen, entfällt, wenn der Verurteilte einen Teilbetrag nicht rechtzeitig zahlt. Das Gericht soll Zahlungserleichterungen auch gewähren, wenn ohne die Bewilligung die Wiedergutmachung des durch die Straftat verursachten Schadens durch den Verurteilten erheblich gefährdet wäre; dabei kann dem Verurteilten der Nachweis der Wiedergutmachung auferlegt werden.