Bundesgerichtshof Urteil, 08. Dez. 2011 - 4 StR 428/11

bei uns veröffentlicht am08.12.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 428/11
vom
8. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. Dezember
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
die Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 12. April 2011 wird verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten durch dieses entstandenen notwenigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes und wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt und die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Gegen das Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte, vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Die Revision ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
3
Die Beschwerdeführerin hat zwar einen unbeschränkten Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils gestellt. Dieser steht aber im Widerspruch zu dem Angriffsziel des Rechtsmittels, wie es sich aus der Revisionsrechtfertigungsschrift ergibt. Den dort allein geführten Angriffen gegen den Rechtsfolgenausspruch ist - auch soweit die Unvollständigkeit der Feststellungen geltend gemacht wird - ein auf diesen bezogener Beschränkungswille der Beschwerde- führerin zu entnehmen (vgl. Nr. 156 Abs. 2 RiStBV; zur Auslegung in solchen Fällen BGH, Beschluss vom 14. Mai 2002 - 1 StR 48/02 mwN).
4
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 1. September 2011 bemerkt der Senat:
5
a) Die Strafkammer durfte strafmildernd berücksichtigen, dass die Taten für die Opfer keine psychischen oder physischen Auswirkungen hatten und haben (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 1986 - 2 StR 608/85).
6
Die entsprechenden Feststellungen des Landgerichts beruhen auch auf einer tragfähigen Grundlage. Die Strafkammer stützt sie - anders als die Revisionsführerin vorträgt - nicht nur auf die Angaben der Heimerzieherin und der Heimpädagogin, sondern zudem unter anderem auf die Aussagen der Mütter der missbrauchten Kinder sowie die Angaben der Opfer selbst. Soweit die Staatsanwaltschaft meint, die Erzieherinnen könnten mangels fachlicher Qualifikation die seelischen Folgen der Taten für die Opfer nicht beurteilen, zeigt sie einen sachlich-rechtlichen Mangel des Urteils nicht auf; eine zulässige Aufklärungsrüge hat sie hierzu nicht erhoben.
7
b) Es begegnet auch keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht bei der Zumessung der Strafe im Fall 1 "positiv bewertet" hat, dass vom Angeklagten "keinerlei direkter körperlicher Zwang oder Gewalt … ausging" (UA S. 23).
8
Die fehlende Gewaltanwendung darf einem Angeklagten im Fall einer Verurteilung nach § 176 oder § 176a StGB als solche zwar nicht strafmildernd zugutegehalten werden (vgl. BGH, Urteil vom 5. März 1997 - 2 StR 641/96). Die den oben zitierten Ausführungen voranstehenden Darlegungen, wonach die Durchführung des Oralverkehrs an dem Jungen für diesen nicht mit "besonderen Schmerzen aufgrund der Länge und/oder Intensität oder des Einsatzes von Gewalt (in welcher Form auch immer) [verbunden war], die über das durchschnittliche Maß hinausgehen, das mit dem Strafrahmen abgedeckt werden soll", insbesondere aber die Darlegungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der von der Staatsanwaltschaft beanstandeten Formulierung ("… konnte die Kammer im unteren Bereich des Strafrahmens bleiben, da sie auch hier positiv bewertet hat, dass … [vom Angeklagten] keinerlei direkter körperlicher Zwang oder Gewalt" ausging), belegen indes, dass es der Strafkammer an dieser Stelle darauf ankam, die von ihr abzuurteilende Tat in den hierfür zur Verfügung stehenden Strafrahmen einzuordnen. Hiergegen ist nichts zu erinnern (vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 5 StR 497/07, StraFo 2008, 172).
9
c) Soweit der der Revision der Staatsanwaltschaft beigetretene Generalstaatsanwalt meint, das Landgericht hätte die nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellten sowie die dem Angeklagten in der Nachtragsanklage (deren Einbeziehung der Angeklagte nicht zugestimmt hat) zur Last gelegten Taten strafschärfend berücksichtigen müssen, fehlt es an einer zulässigen Verfahrensrüge (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 - 1 StR 183/00, NStZ-RR 2001, 174, 175). Aus dem Urteil selbst ergibt sich weder, dass die Strafkammer diese Taten - wie erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2009 - 1 StR 470/08, StraFo 2009, 154 mwN) - festgestellt hat, noch dass sie den Angeklagten auf deren strafschärfende Berücksichtigung hingewiesen hat.
10
d) Die Verhängung von Einzelstrafen in den Fällen II.3. und 4. der Urteilsgründe (Griff an das Geschlechtsteil der Jungen über der Kleidung und - im Fall II.4. - ein Kuss auf die Nase) in Höhe der Mindeststrafe des § 176 Abs. 1 StGB von sechs Monaten gegen den nunmehr knapp 85jährigen Angeklagten ist angesichts von der Strafkammer hervorgehobenen Besonderheiten des Falles nicht unvertretbar. Sie weist - wie auch die weiteren Einzelstrafen, die Gesamtstrafe und auch die Bewilligung der Strafaussetzung zur Bewährung - keinen Rechtsfehler auf.
11
3. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat auch zugunsten des Angeklagten keinen Erfolg (§ 301 StPO).
12
Die mehrfache Erörterung der Verurteilung des Angeklagten wegen "Unzucht mit Kindern" im Jahr 1957 in dem Urteil, etwa im Rahmen der Strafzumessung (UA S. 23 f.), begegnet Bedenken und gibt Anlass zu dem Hinweis, dass das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG auch dann besteht, wenn der Angeklagte eine getilgte oder tilgungsreife Vorstrafe von sich aus mitgeteilt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2000 - 1 StR 398/00, NStZ-RR 2001, 237; vom 20. August 2002- 5 StR 259/02, StV 2003, 444 jeweils mwN).
Der Senat schließt jedoch aus, dass die von der Strafkammer verhängten Strafen hiervon beeinflusst sind, zumal die Strafkammer im Fall 1 gleichwohl einen minder schweren Fall angenommen und bei der Bemessung der Gesamtstrafe darauf verwiesen hat, dass die Verurteilung wegen Unzucht mit Kindern nicht als strafschärfende Vorstrafe zu behandeln sei (UA S. 27).
Ernemann Cierniak Franke
Mutzbauer Quentin

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(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer 1. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen

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(1) Ist die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder ist sie zu tilgen, so dürfen die Tat und die Verurteilung der betroffenen Person im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden. (

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(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder
3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.

(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.

(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.

5 StR 497/07

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 19. Dezember 2007
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Dezember 2007

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 20. Juni 2007 nach § 349 Abs. 4 StPO im Ausspruch über die in den Fällen II. 12 bis 15 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen und im Gesamtstrafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in den Fällen II. 12 bis 15 der Urteilsgründe (Einzelfreiheitsstrafen : jeweils zwei Jahre) und wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwölf Fällen (Einzelfreiheitsstrafen: vier bis sieben Monate) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Soweit es den Schuldspruch betrifft, ist die Revision des Angeklagten unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Im Hinblick auf den Strafausspruch hat das Rechtsmittel in den Fällen II. 12 bis 15 der Urteilsgründe mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen kam es zwischen August 2005 und Anfang Januar 2006 auf Betreiben des sexuell unerfahrenen 26-jährigen Angeklagten zwischen ihm und dem 13-jährigen D. H. zu verschiedenen sexuellen Handlungen, wobei es in der Mehrzahl der Fälle bei gegenseitiger Masturbation blieb. In vier Fällen (II. 12 bis 15 der Urteilsgründe) gelang es dem Angeklagten, D. zur Durchführung des Oralverkehrs an dessen Glied zu bewegen.
3
Diese vier Fälle hat das Landgericht rechtsfehlerfrei als schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB bewertet. Im Rahmen der Strafzumessungserwägungen hat die Strafkammer zunächst geprüft, ob jeweils ein minder schwerer Fall im Sinne von § 176a Abs. 4 StGB angenommen werden kann und hat hierzu als schuldmindernden Umstand lediglich angeführt, dass der Angeklagte im Wesentlichen geständig gewesen sei. Schulderhöhend falle demgegenüber ins Gewicht, dass der Angeklagte wiederholt, insgesamt vier, derartige sexuelle Handlungen mit demselben Opfer begangen habe und dass eine jeweils intensive Art und Weise der Tatbegehung gegeben sei, wobei der Angeklagte in zwei Fällen den Samen des Jungen geschluckt habe.
4
2. Die Strafkammer hat bei Begründung der Strafrahmenwahl wesentliche Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen, die sie dem Angeklagten bei der Strafzumessung im engeren Sinne zugute gehalten hat, nämlich dass er, insbesondere zu den schwereren Straftaten, Reue und Einsicht gezeigt hat und sich daher bereits seit Anfang 2006 wegen des von ihm erkannten Problems seiner pädophilen Neigung einer psychotherapeutischen Behandlung unterzieht, dass er ferner nicht bestraft ist. Bei Zumessung der Strafe für die weniger schwerwiegenden Fälle bloßer Masturbationshandlungen hat die Strafkammer zudem ausgeführt, dass zwischen dem Angeklagten und D. kein von Angst, Gewalt und Missbrauch geprägtes Ausnutzungsverhältnis bestanden habe. Dieser Gesichtspunkt gilt aber auch für die vier qualifizierten Fälle. Danach ist zu besorgen, dass der Tatrichter diese wesentlichen Umstände bei der für die Strafrahmenwahl erforderlichen Gesamtwürdigung nicht ausreichend berücksichtigt hat (vgl. BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall Gesamtwürdigung 5 bis 8).
5
Insbesondere begegnet es Bedenken, dass die Strafkammer die Verneinung minder schwerer Fälle maßgeblich auch auf die intensive Art und Weise der jeweiligen Tatbegehung stützt, da gerade die mit dem Eindringen in den Körper verbundene Intensität der sexuellen Handlungen hier den Qualifikationstatbestand des besonders schweren Falles gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB erst begründet. Allein die Tatsache, dass Oralverkehr ausgeübt worden ist, kann daher die Annahme eines minder schweren Falles nicht von vornherein ausschließen. Dass der in diesem Zusammenhang vom Landgericht offensichtlich als besonders schulderhöhend berücksichtigte Samenerguss in den Mund des Angeklagten in dieser Weise bewertet werden kann, ist zudem – anders als bei der Fallgestaltung des Samenergusses in den Mund des Opfers – nicht ohne weiteres nachvollziehbar.
6
3. Die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II. 12 bis 15 der Urteilsgründe zieht die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs nach sich. Basdorf Gerhardt Raum Brause Schaal

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 183/00
vom
30. Mai 2000
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Mai 2000 gemäß § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 17. Dezember 1999 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
a) Soweit die Revision beanstandet, das Landgericht habe das Verfahren hinsichtlich eines weiteren dem Angeklagten zur Last gelegten Vorwurfs des sexuellen Mißbrauchs der Geschädigten U. v on ähnlicher Begehungsweise und ähnlichem Gewicht wie die abgeurteilte Tat gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, ohne im Urteil dafür Gründe anzugeben, entspricht die Rüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Zutreffend geht die Revision zwar davon aus, daß in einem Fall, in dem der Anklagevorwurf wegen zwei Taten allein auf der Aussage einer einzigen Belastungszeugin aufbaut, wegen einer dieser Taten das Verfahren aber nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wird, den Gründen dafür Beweisbedeutung für die entscheidende Frage der Glaubwürdigkeit der einzigen Belastungszeugin
zukommen kann; wird der Grund für die Einstellung nicht mitgeteilt, liegt darin ein Erörterungsmangel (BGH StV 1998, 580, 582). Der Beschwerdeführer hat den Mangel auch richtig als Verfahrensfehler beanstandet. Bei der Beantwortung der Frage, ob einer - möglicherweise verletzten - Rechtsnorm verfahrens- oder sachlich-rechtlicher Charakter zukommt, ist grundsätzlich darauf abzuheben, daß für die sachlich-rechtliche Überprüfung dem Revisionsgericht allein die Urteilsurkunde zur Verfügung steht; alle anderen Erkenntnisquellen sind ihm verschlossen. Soweit sich der Rechtsfehler nicht allein aus der Urteilsurkunde erschließen läßt, weil er sich auf das der Entscheidung vorausgegangene Verfahren bezieht, verbleibt es bei der Verfahrensrüge. Der von der Revision geltend gemachte Erörterungsmangel betrifft zwar insoweit das sachliche Recht, als er in den Bereich der Beweiswürdigung fällt. Doch kann die Frage, ob und was im Zusammenhang mit einer Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO zu erörtern ist, nicht notwendig aus der Urteilsurkunde allein erschlossen werden. Eine derartige Verfahrenseinstellung kann in den Urteilsgründen zwar mitgeteilt sein; eine Verpflichtung dazu allein aus verfahrensrechtlicher Sicht enthält die Strafprozeßordnung aber nicht. Selbst wenn sich das Urteil aber dazu äußert, kann diese Ä ußerung unvollständig sein, so wenn in der Hauptverhandlung Gründe für die Verfahrenseinstellung genannt wurden, diese sich aber im Urteil nicht finden. Das bedeutet, daß eine entsprechende Rüge mit der - insbesondere der nicht ausgeführten - Sachrüge nicht ausreichend begründet ist, da auf dieser Grundlage eine abschließende Prüfung nicht möglich ist. Daran ändert nichts, daß es Urteile gibt, in denen eine teilweise erfolgte Verfahrenseinstellung, die Gründe dafür und ihre Auswirkung auf die Beweiswürdigung umfassend darge-
stellt sind. Eine solche Erörterung erfolgt in der Regel nur, wenn dazu nach Meinung des Tatgerichts Anlaß bestand. Die Prüfung, ob eine - fehlende - Erörterung geboten gewesen wäre, eröffnet nur die Verfahrensrüge. Der Fall ist dem vergleichbar, daß der Tatrichter ausgeschiedenen Verfahrensstoff dem Angeklagten bei der Strafzumessung angelastet hat, ohne vorher auf diese Möglichkeit hingewiesen zu haben; auch in diesem Fehler hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach einigem Schwanken einen Verfahrensfehler gesehen (BGHR StPO § 154 Abs. 1 Verwertungsverbot 1). Ist aber eine Verfahrensrüge zu erheben, muß der Revisionsführer den Sachverhalt so umfassend vortragen, daß das Revisionsgericht allein auf Grund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Revision zutrifft (BGH NJW 1995, 2047; BGH StV 1996, 530). Hier hat der Beschwerdeführer die Tatsache der Einstellung und die fehlende Erörterung der Gründe dafür im Urteil mitgeteilt; er hat auch, wenn auch in sehr summarischer Form, den Sachverhalt angesprochen, auf den sich die Einstellung bezog. Was fehlt ist jedoch eine Ä ußerung dazu, ob und ggf. welche Gründe für die Einstellung in der Hauptverhandlung erörtert wurden, denn die mangelnde Begründung der Einstellung im Urteil könnte im Ergebnis nur dann einen Verfahrensfehler darstellen, wenn es sich um Gründe handelte, die auf die anschließend getroffene Sachentscheidung Einfluß nehmen konnten, wie etwa zweifelhafte Glaubhaftigkeit der Angaben der einzigen Belastungszeugin zu dem eingestellten Vorfall.
Es ist auch - ungeachtet insoweit fehlender Protokollierungspflicht - in der Regel nicht so, daß eine Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung kommentarlos erfolgt. Sollte es in Ausnahmefällen dennoch so sein, müßte vom Beschwerdeführer zumindest aber das Vorbringen verlangt werden, daß für die Einstellung keine Gründe angeführt wurden, die für die Beweiswürdigung ohne Bedeutung waren, wie etwa Verfahrensbeschränkung aus prozeßökonomischen Gründen.
b) Die weitere Rüge, das Landgericht habe § 261 StPO verletzt, weil es auf den Inhalt einer Reihe in der Hauptverhandlung auf Antrag der Verteidigung ganz oder teilweise verlesener Vernehmungsprotokolle, Gutachten und sonstige Urkunden nicht eingegangen sei, greift gleichfalls nicht durch. Zwar muß das Urteil erkennen lassen, daß der Tatrichter Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, in seine Überlegungen einbezogen hat (BGHR StPO § 261 Inbegriff 7, 15). Doch kann nicht aus jedem Schweigen zu den in der Hauptverhandlung erhobenen Beweisen darauf geschlossen werden, das Gericht habe diese Beweismittel unbeachtet gelassen. Die Erörterungsbedürftigkeit in den schriftlichen Gründen beurteilt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Nur mit Umständen, die im Zeitpunkt der Urteilsfällung noch beweiserheblich waren, muß sich der Tatrichter im Urteil auseinandersetzen. Ob das der Fall war, läßt sich dem Beweisgehalt der Beweismittel selbst nicht ohne weiteres entnehmen. Die weitere Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung kann dem Beweismittel jede Bedeutung genommen haben. Das gilt insbesondere , soweit es sich um Beweise von Hilfstatsachen handelt, auf die die Beweisanträge der Verteidigung weitgehend abzielten. Würde man eine weitergehende Begründungspflicht verlangen, liefe das darauf hinaus, daß der
Tatrichter in seinem schriftlichen Urteil nicht das Ergebnis der Hauptverhandlung zu begründen, sondern den Gang der Hauptverhandlung zu dokumentieren hätte (vgl. G. Schäfer StV 1995, 147, 156). 2. Ebenso können die Angriffe gegen die Beweiswürdigung, die die Revision mit der Sachrüge vorbringt, keinen Erfolg haben. Insbesondere mußte sich das Landgericht nicht ausdrücklich mit der Frage einer unbewußten Suggestion der Geschädigten durch die Heimleiterin M. befassen. Die Geschädigte hatte sich zunächst dem Mitpatienten K. und später dem früheren Werkstattleiter B. offenbart. Beide sind dann mit ihr zur Sozialpädagogin Ba. gegangen, wo sie den Sachverhalt wieder in gleicher Weise schilderte. Frau Ba. bewog die Geschädigte schließlich, sich mit der Heimleiterin in Verbindung zu setzen. Bei dieser Entstehungsgeschichte der Aussage liegt die Möglichkeit einer unbewußten Suggestion durch die Heimleiterin fern. Schäfer Maul Granderath Nack Kolz

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 470/08
vom
14. Januar 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Januar 2009 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Bochum vom 22. August 2007 wird

a) das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß
§ 154 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO vorläufig eingestellt,
soweit der Angeklagte S. wegen Bestechung verurteilt
worden ist. Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des
Verfahrens und die diesem Angeklagten dadurch entstandenen
notwendigen Auslagen;

b) das genannte Urteil, soweit es den Angeklagten S. betrifft
, im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe
aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung
über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO zu treffen
ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen, da die Nachprüfung
des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung insoweit
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat
3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels bleibt dem
für das Nachverfahren nach §§ 460, 462 StPO zuständigen Gericht
vorbehalten.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Urkundenfälschung in 778 Fällen, wegen Bestechung, wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen und wegen Beihilfe zum Gebrauch gefälschter Gesundheitszeugnisse in 45 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Zudem hat er sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung im genannten Urteil erhoben. Die Revision des Angeklagten führt zu einer Teileinstellung des Verfahrens gemäß § 154 StPO und zur Aufhebung des ihn betreffenden Gesamtstrafausspruchs; damit ist seine sofortige Beschwerde gegenstandslos (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 464 Rdn. 20). Im Übrigen bleibt die Revision des Angeklagten aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
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1. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen Bestechung gemäß § 334 StGB verurteilt hat, weil er der Geschäftsführerin der M. GmbH Vorteile für pflichtwidrige Diensthandlungen versprochen habe, stellt der Senat das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO ein. Die hierfür vom Landgericht verhängte Strafe von einem Jahr Freiheitsstrafe fällt im Hinblick auf die übrigen - rechtsfehlerfrei verhängten - 830 Einzelstrafen nicht beträchtlich ins Gewicht.
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a) Zum Tatvorwurf der Bestechung hat das Landgericht im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
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Der Angeklagte betrieb ein Netz aus bundesweit tätigen Vermittlern, die ihm insbesondere türkischsprachige Kunden zuführten, von denen im Zusammenhang mit der Erteilung der Fahrerlaubnis eine medizinisch-psychologische Prüfung abzulegen war. Diesen Kunden garantierte der Angeklagte gegen Zahlung eines Entgelts das Bestehen der Prüfung bei der in R. ansässigen M. GmbH. Bei dieser Gesellschaft handelt es sich um eine nach § 66 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) amtlich anerkannte und nach § 72 FeV akkreditierte medizinisch-psychologische Begutachtungsstelle für die Fahreignung. Um den versprochenen Erfolg sicherzustellen, nahm der Angeklagte in unterschiedlicher Weise auf den Prüfungsablauf bei der M. GmbH Einfluss. Mit deren Geschäftsführerin vereinbarte er unter anderem, dass er der Gesellschaft eine Vielzahl von Probanden zuführen sollte, wodurch das Unternehmen gegenüber Konkurrenten einen Wettbewerbsvorsprung erlangen und dadurch erheblich höhere Einnahmen erzielen konnte. Als Gegenleistung eröffnete die Geschäftsführerin der M. GmbH dem Angeklagten im Rahmen der Begutachtung , in deren Rahmen der Angeklagte u.a. als Dolmetscher tätig wurde, Handlungsspielräume , mit denen gewährleistet wurde, dass auch Probanden eine positive medizinisch-psychologische Begutachtung erhielten, die keine ausreichende Eignung für die Teilnahme am Straßenverkehr hatten.
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b) Die vom Landgericht nicht näher begründete rechtliche Würdigung des Verhaltens des Angeklagten als Bestechung gemäß § 334 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand; die Urteilsfeststellungen belegen nicht, dass die Geschäftsführerin der M. GmbH oder ihre Mitarbeiter Amtsträger im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB waren.
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aa) Deren Amtsträgereigenschaft ergibt sich nicht aus § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c 3. Var. StGB; denn die M. GmbH als medizinisch-psychologische Begutachtungsstelle wurde nicht im Auftrag der Fahrerlaubnisbehörde tätig.
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Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung oder Befähigung eines Bewerbers für eine Fahrerlaubnis oder eines Inhabers einer Fahrerlaubnis begründen, kann die zuständige Fahrerlaubnisbehörde nach näherer Maßgabe der §§ 11 bis 14 FeV anordnen, dass der Bewerber oder Fahrerlaubnisinhaber innerhalb einer angemessenen Frist ein Gutachten oder Zeugnis eines Facharztes oder Amtsarztes, ein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung oder eines amtlichen anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr beibringt (§ 2 Abs. 8, § 3 Abs. 1 Satz 3 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 6 FeV legt dabei die Fahrerlaubnisbehörde bereits in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind (§ 11 Abs. 6 Satz 1 FeV). Sie teilt dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle oder Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festgelegten Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat (§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV). Der Betroffene hat die Fahrerlaubnisbehörde darüber zu unterrichten, welche Stelle er mit der Untersuchung beauftragt hat (§ 11 Abs. 6 Satz 3 FeV). Die Fahrerlaubnisbehörde teilt ihrerseits der untersuchenden Stelle mit, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind (§ 11 Abs. 6 Satz 4 FeV). Die Untersuchung erfolgt dabei auf Grund eines Auftrages durch den Betroffenen an die Begutachtungsstelle (§ 11 Abs. 6 Satz 5 FeV), nicht aber - was für eine Amts- trägereigenschaft der Mitarbeiter der Begutachtungsstelle sprechen könnte - im Auftrag der Fahrerlaubnisbehörde.
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bb) Die Amtsträgereigenschaft der Mitarbeiter der M. GmbH ergibt sich auch nicht aus § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c 1. oder 2. Var. StGB.
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(1) Es ist bereits zweifelhaft, ob die Mitarbeiter der M. GmbH Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen. Zwar erfolgt die Beibringung des medizinisch -psychologischen Gutachtens im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens. Im Hinblick auf die bei der Verwaltungsbehörde verbleibende Befugnis der Bestimmung, in welchen Fällen eine Begutachtung stattzufinden hat, und der Entscheidung, welche Folgen aus dem Ergebnis der Begutachtung gezogen werden, erweist sich jedoch die Gutachtenerstellung selbst nicht ohne weiteres als Dienstverrichtung, die aus der Staatsgewalt abgeleitet ist und staatlichen Zwecken dient (vgl. BGHSt 38, 199, 201).
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Die Anordnung der Fahrerlaubnisbehörde, dass der Betroffene ein medizinisch -psychologisches Gutachten beizubringen hat, stellt keinen Verwaltungsakt dar. Sie konkretisiert vielmehr lediglich die aus § 2 Abs. 6 StVG folgende Mitwirkungspflicht des Betroffenen im Antragsverfahren nach § 2 StVG bzw. im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren nach § 3 StVG (vgl. OVG Münster NZV 2001, 396, 398 m.w.N.). Die Anordnung gehört daher - wie auch die Gesetzessystematik belegt - nicht zu den behördlichen Ermittlungsmaßnahmen der Fahrerlaubnisbehörden nach § 2 Abs. 7 StVG, sondern knüpft an das Bekanntwerden von Tatsachen an, die Bedenken gegen die Eignung oder Befähigung eines Bewerbers für eine Fahrerlaubnis oder eines Inhabers einer Fahrerlaubnis begründen (§ 2 Abs. 8, § 3 Abs. 1 Satz 3 StVG). Wenngleich die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens Eingriffscharakter hat (BVerfG NZV 1993, 413, 414 zum früheren § 15b Abs. 2 StVZO), kann die Mitwirkungspflicht nicht zwangsweise durchgesetzt werden (vgl. OVG Münster a.a.O.). Legt der Betroffene das angeordnete Gutachten nicht vor, darf die Fahrerlaubnisbehörde lediglich auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 FeV). Eine Herausgabe des Gutachtens durch die Begutachtungsstelle an die Fahrerlaubnisbehörde kommt im Hinblick auf das - gemäß § 203 StGB auch strafrechtlich geschützte - Vertrauensverhältnis (vgl. Bouska/Laeverenz, Fahrerlaubnisrecht 3. Aufl. § 11 FeV Anm. 32), das zwischen dem Betroffenen und der Begutachtungsstelle besteht, ohne Einverständnis des Betroffenen nicht in Betracht (vgl. VG Neustadt SVR 2006, 273, 275). Damit erfüllt die Begutachtungsstelle im Rahmen der Begutachtung nicht einen Teil der an sich staatlichen Stellen obliegenden Aufgaben, sondern unterstützt lediglich den Betroffenen bei Erfüllung einer ihm im konkreten Verwaltungsverfahren treffenden Obliegenheit.
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(2) Eine Amtsträgerstellung der Mitarbeiter der M. GmbH scheidet jedenfalls deshalb aus, weil es sich bei dieser Gesellschaft nicht nur um keine Behörde, sondern auch nicht um eine sonstige Stelle i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB handelt.
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(a) Eine sonstige Stelle in diesem Sinne ist eine behördenähnliche Institution , die unabhängig von ihrer Organisationsform befugt ist, bei der Ausführung von Gesetzen mitzuwirken, ohne dabei eine Behörde im verwaltungsrechtlichen Sinne zu sein. Bei einer juristischen Person des Privatrechts sind diese Voraussetzungen nur dann erfüllt, wenn bei ihr Merkmale vorliegen, die eine Gleichstellung mit einer Behörde rechtfertigen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss sie bei einer Gesamtbetrachtung "als verlängerter Arm des Staates erscheinen" (BGHSt 43, 370, 377; 45, 16, 19; 46, 310, 312 f.; 49, 214, 219; 50, 299, 303; BGH NStZ 2006, 628, 630). Einzubeziehen sind dabei alle wesentlichen Merkmale der Gesellschaft, namentlich, ob diese gewerblich tätig ist und mit anderen im Wettbewerb steht (BGHSt 38, 199, 204), ob im Gesellschaftsvertrag eine öffentliche Zwecksetzung festgeschrieben ist (BGHSt 43, 370, 372 f.), ob sie im Eigentum der öffentlichen Hand steht und ihre Tätigkeit aus öffentlichen Mitteln finanziert wird (BGHSt 45, 16, 20) sowie, in welchem Umfang staatliche Steuerungs- und Einflussnahmemöglichkeiten bestehen (BGHSt 43, 370, 378 f.; 45, 16, 20 f.; 49, 214, 224 f.).
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(b) Eine Rolle als "verlängerter Arm des Staates" ergibt sich für die M. GmbH aus den vom Landgericht getroffenen Feststellungen unabhängig von der Frage nicht, ob Privatrechtssubjekte, an denen der Staat nicht beteiligt ist, überhaupt "sonstige Stelle" i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c 2. Var. StGB sein können (vgl. dazu einerseits MüKo-Radtke StGB § 11 Rdn. 55, andererseits BGHSt 43, 96, 102 ff.; BGH NJW 1998, 2373, 2374). Zwar sind durch das Erfordernis der staatlichen Anerkennung der Begutachtungsstelle nach § 66 FeV und der Akkreditierung nach § 72 FeV Umstände gegeben, die eine Kontrolle der Begutachtungsstellen durch die öffentliche Hand ermöglichen. Auch teilt die Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 6 Satz 4 FeV der Begutachtungsstelle jeweils konkret mit, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Diese Umstände sind indes nicht von solchem Gewicht, dass sie eine Gleichstellung der Begutachtungsstelle mit einer Behörde rechtfertigen könnten, zumal da die - nach § 66 FeV anerkannten - Begutachtungsstellen untereinander im Wettbewerb stehen (vgl. auch BGHSt 38, 199, 204). Maßgebliche Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass die Entscheidung über die Eignung des Betroffenen nach der Begutachtung der Fahrerlaubnisbehörde vorbehalten bleibt; das Gutachten entfaltet als vorbereitendes Privatgutachten, das im Auftrag des Betroffenen und auf dessen Kosten erstellt wird, keine Bindungswirkung. Allein der Umstand, dass das Ergebnis der Begutachtung für die Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde von zentraler Bedeutung ist, lässt die Begutachtungsstelle nicht als „verlängerten Arm des Staates“ erscheinen. Nichts anderes gilt für den Umstand, dass die Begutachtungsstellen für die Erstattung des Gutachtens nach der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) vergütet werden (vgl. § 1 GebOSt i.V.m. Gebührennummern 451 ff. der Anlage zu § 1 GebOSt). Insoweit ist lediglich ein Kostenrahmen für die Begutachtung festgelegt.
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c) Ein Teilfreispruch ist gleichwohl nicht veranlasst, weil eine Strafbarkeit des Angeklagten unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt als dem der Bestechung gemäß § 334 StGB in Betracht kommen kann (etwa einer Strafbarkeit gemäß § 299 StGB oder §§ 26, 278 StGB). Einer Zurückverweisung an das Landgericht zur Aufklärung, ob ergänzende Feststellungen zum Verhalten des Angeklagten im Zusammenhang mit der Gewährung von Vorteilen an Mitarbeiter der M. GmbH getroffen werden können, bedarf es aber deshalb nicht, weil angesichts der Vielzahl der gegen den Angeklagten rechtsfehlerfrei verhängten Einzelstrafen eine insoweit in Betracht kommende Einzelstrafe nicht beträchtlich ins Gewicht fiele.
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2. Allerdings hält der Ausspruch über die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe trotz des straffen Zusammenzugs der Einzelstrafen rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar kann der Senat angesichts des Zusammenzugs der übrigen Einzelstrafen, darunter 181 Strafen von je zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe sowie 597 Strafen von je zwei Jahren Freiheitsstrafe, in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO ausschließen, dass das Landgericht ohne die für die Bestechung festgesetzte Strafe von einem Jahr Freiheitsstrafe eine niedrigere als die festgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte.
Jedoch begegnet die Zumessung der Gesamtfreiheitsstrafe durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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a) Ohne Rechtsfehler hat sich allerdings das Landgericht nicht mehr an eine zugesagte Strafobergrenze gebunden gesehen. Dem liegt folgendes Geschehen zugrunde:
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Nach den Urteilsfeststellungen sicherte die Strafkammer am 9. November 2006, während des Laufs der Hauptverhandlung, im Hinblick auf die zu diesem Zeitpunkt verfahrensgegenständlichen Tatvorwürfe aus der Anklageschrift vom 12. Mai 2006 für den Fall einer geständigen Einlassung eine Strafobergrenze von vier Jahren Gesamtfreiheitsstrafe zu (UA S. 5). Unter dem 31. Juli 2007 erhob die Staatsanwaltschaft Bochum eine weitere Anklage gegen den Angeklagten, in der gegen ihn der Vorwurf der Steuerhinterziehung in 18 Fällen, des Betruges und der Beihilfe zur Ausstellung eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses erhoben wurde. Die Anklage wurde mit dem laufenden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Unter dem 13. August 2007 wurde das Strafverfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch Beschluss der Strafkammer hinsichtlich der Taten, die den Gegenstand der Anklage vom 31. Juli 2007 bildeten sowie hinsichtlich weiterer Taten gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt.
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Bei dieser Sachlage war die Strafkammer nicht mehr an die zugesagte Strafobergrenze gebunden. Insoweit gelten folgende Grundsätze:
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aa) Wurde eine Urteilsabsprache getroffen, auf deren Grundlage seitens des Tatgerichts eine Zusage hinsichtlich der Strafobergrenze abgegeben wurde , kommt ein Abweichen von einer solchen Zusage nur dann in Betracht, wenn schon bei der Urteilsabsprache vorhandene relevante tatsächliche oder rechtliche Aspekte übersehen wurden oder wenn sich in der Hauptverhandlung neue, dem Gericht bisher unbekannte schwerwiegende Umstände zu Lasten des Angeklagten ergeben haben (BGHSt 50, 40, 50). In einem solchen Fall muss das Gericht unter Darlegung der Umstände auf diese Möglichkeit hinweisen (BGHSt 43, 195, 210).
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bb) Eines Hinweises bedarf es aber nur dann, wenn sich die Abweichung von der Urteilsabsprache allein auf Taten bezieht, die zu diesem Zeitpunkt Gegenstand der Hauptverhandlung waren. Denn nur insoweit kann eine Zusicherung für den Angeklagten einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand schaffen. Keines Hinweises bedarf es indes, wenn sich in der Hauptverhandlung der Verfahrensstoff durch neu angeklagte Tatvorwürfe erweitert, die Gegenstand des Verfahrens geworden sind. In einem solchen Fall ist für alle Verfahrensbeteiligten ohne weiteres erkennbar, dass die bisherige Zusage, die die neu angeklagten Taten nicht zum Gegenstand hatte, wegen der veränderten Sachlage für das Tatgericht nicht mehr verbindlich sein kann. So verhält es sich auch hier. Der Angeklagte war durch den Wegfall der Zusicherung auch nicht benachteiligt , da die Einbeziehung einer neuen Anklage nur mit seiner Zustimmung zulässig war (§ 266 Abs. 1 StPO; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 266 Rdn. 4).
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b) Die Gesamtfreiheitsstrafe kann aber deshalb keinen Bestand haben, weil die Strafkammer rechtsfehlerhaft durch Teileinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO ausgeschiedene Verfahrensteile zum Nachteil des Angeklagten bei der Zumessung der Gesamtfreiheitsstrafe strafschärfend berücksichtigt hat.
22
Zwar ist es zulässig, gemäß § 154 Abs. 2 StPO ausgeschiedenen Prozessstoff nach einem entsprechenden Hinweis (BGH StV 2000, 656) in der Strafzumessung straferschwerend zu berücksichtigen. Dies kommt indes nur in Betracht, wenn die in den ausgeschiedenen Verfahrensteilen enthaltenen Tatvorwürfe prozessordnungsgemäß festgestellt und in den Urteilsgründen dargelegt sind (BGH StV 1995, 520 f). Dem genügt das angefochtene Urteil nicht. Es berücksichtigt von der Teileinstellung erfasste Tatvorwürfe strafschärfend (UA S. 54), ohne die den Taten zugrunde liegenden Tatsachen im Urteil auch nur ansatzweise darzustellen. Dies ermöglicht dem Revisionsgericht nicht, die strafschärfende Berücksichtigung dieser Taten auf mögliche Rechtsfehler hin zu überprüfen (BGH StV 1995, 520 f.). Darin liegt ein auf die Sachrüge hin zu berücksichtigender Rechtsfehler, auf dem das Urteil auch beruht.
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3. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, nach § 354 Abs. 1 b Satz 1 StPO zu entscheiden. Damit ist die neue Gesamtstrafe im Beschlussverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO zu bilden, in dem auch eine Entscheidung über die Pflicht zur Tragung der Kosten der Revision des Beschwerdeführers zu treffen ist.
Nack Wahl Graf Jäger Sander

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

(1) Ist die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder ist sie zu tilgen, so dürfen die Tat und die Verurteilung der betroffenen Person im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden.

(2) Aus der Tat oder der Verurteilung entstandene Rechte Dritter, gesetzliche Rechtsfolgen der Tat oder der Verurteilung und Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden, die im Zusammenhang mit der Tat oder der Verurteilung ergangen sind, bleiben unberührt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 398/00
vom
6. Dezember 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Dezember 2000 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 15. März 2000 im Ausspruch über die besondere Schwere der Schuld aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes verurteilt und die besondere Schwere der Schuld (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) festgestellt. Während der Schuldspruch und der Strafausspruch rechtsfehlerfrei sind, hat die Sachrüge hinsichtlich des Ausspruchs über die besondere Schwere der Schuld Erfolg. 1. Die Verfahrensrügen sind offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
Bei den Angaben des Angeklagten im Polizeifahrzeug handelte es sich um Spontanäußerungen (UA S. 86). Ob der auf Nachfrage des Polizeibeamten erweiterte Aussageteil bei der anschließend - nach Belehrung über die Beschuldigtenrechte - erfolgten förmlichen Vernehmung auf der Dienststelle, auf die allein das Urteil Bezug nimmt, fortgewirkt hat, kann der Senat nicht überprüfen , da Inhalt und Ablauf dieser Vernehmung nicht mitgeteilt werden (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Auf einem etwaigen Verfahrensverstoß würde das Urteil zudem schon deshalb nicht beruhen, weil der Angeklagte in seiner richterlichen Beschuldigtenvernehmung vom 11. Dezember 1998 in Anwesenheit seines Verteidigers das Vorhandensein der Zigarettenkippen anders als im Polizeifahrzeug geschehen erklärt hat. Die die polizeiliche Beschuldigtenvernehmung vom 12. Juni 1998 betreffende Verfahrensrüge ist unzulässig, da Ablauf und Inhalt der Vernehmung nicht mitgeteilt werden. Zudem war der Angeklagte dort zur Aussage ohne Beisein seines Verteidigers bereit (UA S. 88). 2. Bei der Begründung der besonderen Schwere der Schuld hat das Landgericht dem Angeklagten mehrfach zwei "frühere Übergriffe" (sexuelle Angriffe gegenüber einem zehnjährigen Mädchen im Jahre 1980 und gegenüber einem achtjährigen Mädchen im Jahre 1982) angelastet. Diese Vorfälle durften zur Begründung der Schuldschwere nicht herangezogen werden. Bei dem ersten Vorfall von 1980 war der damals elfjährige Angeklagte schuldunfähig (§ 19 StGB), so daß das damalige Geschehen bei der Beurteilung der Schuldschwere keine Rolle spielen durfte. Die zweite Tat von 1982 - der Angeklagte war damals 14 Jahre alt - wurde mit einer jugendrichterlichen Weisung geahndet. Nach § 63 Abs. 4 i.V.m.
§ 51 BZRG dürfen die Tat und die Verurteilung nicht zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden (vgl. nur BGH StV 1998, 17 und BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 1996 - 1 StR 630/96 - und vom 27. Juni 2000 - 1 StR 232/00 -). Das Verwertungsverbot gilt auch dann, wenn sich der Angeklagte selbst zu seiner Verteidigung auf diese Tat berufen hatte (BGHSt 27, 108; BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 5; BGH, Beschluß vom 4. Oktober 2000 - 2 StR 352/00 -). Der Senat kann nicht ausschließen, daß die Annahme der Schuldschwere auf diesem Rechtsfehler beruht. Zwar liegt die besondere Schwere der Schuld schon aufgrund der Tatumstände der abgeurteilten Tat und der sonstigen rechtsfehlerfrei bewerteten Umstände nahe. Das Revisionsgericht kann seine eigene Wertung nicht an die Stelle derjenigen des Tatrichters setzen (vgl. BGHSt 40, 360, 370; BGH, Urteil vom 14. Dezember 2000 - 4 StR 375/00 -). Der Ausspruch über die Schuldschwere war daher aufzuheben; die Feststellungen können bestehen bleiben, da es sich um einen Wertungsfehler handelt. Schäfer Nack Wahl Schluckebier Schaal
5 StR 259/02

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 20. August 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. August 2002

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 18. Dezember 2001 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in sechs Fällen (in fünf Fällen in Tateinheit mit Mißbrauch von Schutzbefohlenen) und wegen sexueller Nötigung in vier Fällen (in drei Fällen in Tateinheit mit Mißbrauch von Schutzbefohlenen) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten bleibt aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 11. Juli 2002 mitgeteilten Gründen erfolglos , soweit sie den Schuldspruch angreift; auch in den Fällen II 3. bis 10. des Urteils ist der bewußte Einsatz von Gewalt noch hinreichend festgestellt (UA S. 14 f., 34). Das Rechtsmittel hat aber mit der Sachrüge Erfolg hinsichtlich der festgesetzten Einzelfreiheitsstrafen und der Gesamtfreiheitsstrafe.
Hierzu hat der Generalbundesanwalt ausgeführt: „Ausweislich des Auszuges aus dem Bundeszentralregister ist der Angeklagte nicht vorbestraft (UA S. 8). Dies berücksichtigt die Strafkammer auch zu seinen Gunsten (UA S. 34). Gleichwohl hebt sie als zu seinen Lasten sprechenden bestimmenden Umstand (vgl. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) hervor, ‚daß die noch zu DDR-Zeiten erfolgte, von ihm freiwillig eingestandene Verurteilung wegen Vergewaltigung für den Angeklagten keinerlei Warnfunktion entfaltet hat‘ (UA S. 35). Dies begründet einen Verstoß gegen § 51 Abs. 1 BZRG, wobei es nicht darauf ankommt, daß der Angeklagte die frühere Verurteilung ‚freiwillig‘ eingeräumt hat (vgl. BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 5; BGH NStZ-RR 2001, 237/238 jeweils m. w. N.). Schon dieser Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs, weil nicht zweifelsfrei auszuschließen ist, daß der Tatrichter ohne Berücksichtigung des genannten bestimmenden Umstandes (vgl. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.“ Dem schließt sich der Senat an. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem hier vorliegenden Wertungsfehler nicht. Das Landgericht wird die Strafen auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen, die es lediglich durch neue, den bisherigen Feststellungen nicht widersprechende ergänzen kann, neu festzusetzen haben. Es wird dabei insbesondere auf die vom Angeklagten in nur geringem Umfang angewandte Gewalt wiederum Bedacht zu nehmen haben.
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