Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Nov. 2011 - 1 StR 459/11

bei uns veröffentlicht am29.11.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 459/11
vom
29. November 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. November 2011 gemäß
§ 349 Abs. 2, § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO beschlossen:
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 12. Mai 2011 werden als unbegründet verworfen. 2. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten D. und O. wegen Steuerhinterziehung in 15 Fällen, versuchter Steuerhinterziehung in 14 Fällen und Kreditbetruges schuldig gesprochen und deswegen den Angeklagten D. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren sowie den Angeklagten O. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Den Angeklagten M. hat es wegen Steuerhinterziehung in 28 tatmehrheitlichen Fällen, versuchter Steuerhinterziehung in 14 Fällen und Bankrotts in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt.
2
Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten haben im Ergebnis keinen Erfolg.
3
Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seinen Antragsschriften vom 4. Oktober 2011 bemerkt der Senat lediglich :
4
1. Die Revisionen der Angeklagten D. und M. machen geltend, das Landgericht habe bei der Bestimmung des Schuldumfanges der Straftaten der Umsatzsteuerhinterziehung die „möglichen und notwendigen Rechnungsberichtigungen“ der Scheinrechnungen nicht berücksichtigt. Dieses Vorbringen hat schon deshalb keinen Erfolg, weil bei aufgrund unberechtigten Steuerausweises geschuldeter Steuer nach § 14c Abs. 2 Satz 3 UStG eine Berichtigung des Steuerbetrages nur möglich gewesen wäre, wenn die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden wäre. Dies hätte jedoch gemäß § 14c Abs. 2 Satz 4 UStG vorausgesetzt, dass entweder der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen beim Rechnungsempfänger nicht durchgeführt oder aber die geltend gemachte Vorsteuer an die Finanzbehörde zurückgezahlt worden wäre. Beides lässt sich den landgerichtlichen Feststellungen nicht entnehmen; auf entsprechende Feststellungen gerichtete Verfahrensrügen wurden nicht erhoben.
5
2. Das Landgericht hat in 13 Fällen vollendeter gemeinschaftlicher Umsatzsteuerhinterziehung durch unberechtigten Vorsteuerabzug aus Scheinrechnungen im Rahmen der konkreten Strafzumessung rechtsfehlerhaft strafschärfend gewertet, dass zwei Regelbeispiele verwirklicht sind.
6
a) Zutreffend hat das Landgericht in diesen Fällen den erhöhten Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO zugrunde gelegt, denn die Feststellungen des Landgerichts belegen, dass die Angeklagten als Mitglieder einer Bande im Sinne des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO gehandelt haben.
7
b) In zehn Fällen wird allerdings die strafschärfend berücksichtigte Verwirklichung des Regelbeispiels des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO von den Feststellungen des Landgerichts von vorneherein nicht getragen. Denn bei den vom Landgericht in diesen Fällen festgestellten Verkürzungsbeträgen unter 50.000 Euro liegt nach der Rechtsprechung des Senats das Merkmal „in großem Aus- maß“ im Sinne dieses Regelbeispiels nicht vor (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2011 - 1 StR 81/11, wistra 2011, 396; Beschluss vom 5. Mai 2011 - 1 StR 116/11, NJW 2011, 2450; Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71).
8
c) Auch die Feststellungen des Landgerichts, nach denen die Angeklag- ten in drei weiteren Fällen „Schadenssummen“ zwischen 50.000 und 100.000 Euro herbeigeführt haben, belegen nicht die Verwirklichung des weiteren Regelbeispiels des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2011 - 1 StR 81/11, wistra 2011, 396; Beschluss vom 5. Mai 2011 - 1 StR 116/11, NJW 2011, 2450; Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71).
9
d) Die Strafaussprüche haben gleichwohl Bestand. Diese erachtet der Senat im Ergebnis in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt angesichts der vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellten weiteren erheblichen Strafschärfungsgesichtspunkte als angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a StPO. Die Anforderungen an die Anwendung der Vorschrift (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2007 - 2 BvR 1147/05, 2 BvR 136/05, BVerfGE 118, 212) sind daher gegeben. Die Straftaten der Angeklagten besaßen angesichts ihrer zeitlichen und sachlichen Verschränkung insbesondere Seriencharakter. Deswegen ist vorliegend bereits bei der Zumessung der Einzelstrafen nicht allein der jeweils durch die Einzeltat verursachte Schaden entscheidend, sondern auch die Gesamtserie und der dadurch verursachte Gesamtschaden in den Blick zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2009 - 1 StR 627/08, BGHR StGB § 46 Begründung 1 mwN). Nack Wahl Hebenstreit Jäger Sander

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(1) Hat der Unternehmer in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag, als er nach diesem Gesetz für den Umsatz schuldet, gesondert ausgewiesen (unrichtiger Steuerausweis), schuldet er auch den Mehrbetrag. Ber

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Hat der Unternehmer in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag, als er nach diesem Gesetz für den Umsatz schuldet, gesondert ausgewiesen (unrichtiger Steuerausweis), schuldet er auch den Mehrbetrag. Berichtigt er den Steuerbetrag gegenüber dem Leistungsempfänger, ist § 17 Abs. 1 entsprechend anzuwenden. In den Fällen des § 1 Abs. 1a und in den Fällen der Rückgängigmachung des Verzichts auf die Steuerbefreiung nach § 9 gilt Absatz 2 Satz 3 bis 5 entsprechend.

(2) Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist (unberechtigter Steuerausweis), schuldet den ausgewiesenen Betrag. Das Gleiche gilt, wenn jemand wie ein leistender Unternehmer abrechnet und einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt. Der nach den Sätzen 1 und 2 geschuldete Steuerbetrag kann berichtigt werden, soweit die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist. Die Gefährdung des Steueraufkommens ist beseitigt, wenn ein Vorsteuerabzug beim Empfänger der Rechnung nicht durchgeführt oder die geltend gemachte Vorsteuer an die Finanzbehörde zurückgezahlt worden ist. Die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrags ist beim Finanzamt gesondert schriftlich zu beantragen und nach dessen Zustimmung in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Voraussetzungen des Satzes 4 eingetreten sind.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) missbraucht,
3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,
4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt oder
6.
eine Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.

(5) Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden.

(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 81/11
vom
12. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Juli 2011 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12. November 2010 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Ab einem Hinterziehungsbetrag von 50.000 € sind Steuern in großem Maße verkürzt bzw. im großen Ausmaß nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO), wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt hat, etwa bei Steuererstattungen durch Umsatzsteuerkarusselle , Kettengeschäfte oder durch Einschaltung von sog. Serviceunternehmen. Beschränkt sich das Verhalten des Täters dagegen darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen - wie hier durch Nichterklärung eines Teils der Umsätze -, liegt die Wertgrenze zum großen Ausmaß bei 100.000 € (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08 -, Rn. 38, 39, BGHSt 53, 71, 85). Die Strafkammer ist zwar zunächst unzutreffend von der 50.000 €-Grenze ausgegangen.Hierauf beruht das Urteil jedoch nicht. Die Strafkammer hat nämlich gleichwohl bei den entsprechenden Taten keine besonders schweren Fälle i.S.v. § 370 Abs. 3 AO angenommen. Der Senat vermag auszuschließen, dass das Landgericht bei Vermeidung des Irrtums mildere Einzelstrafen und eine noch mildere Gesamtstrafe verhängt hätte. Nack Wahl Hebenstreit Graf Jäger

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 116/11
vom
5. Mai 2011
BGHSt: nein
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________
Soweit dazu Anlass besteht, müssen die Urteilsgründe ergeben, ob Steuern in
großem Ausmaß i.S.d. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO nach BGHSt 53, 71 (Betragsgrenzen
50.000 Euro bzw. 100.000 Euro) verkürzt sind. Sie müssen auch
ergeben, weshalb trotz des Vorliegens dieses Regelbeispiels ein besonders
schwerer Fall des § 370 Abs. 3 AO nicht angenommen wird (Fortführung von
BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71).
BGH, Beschluss vom 5. Mai 2011 - 1 StR 116/11 - LG Bochum
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Mai 2011 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 1. Oktober 2010 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 16 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt , deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
2
Die auf die - zunächst allgemeine - Sachrüge gegründete Revision des Angeklagten ist unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils auch unter Berücksichtigung der Gegenerklärung des Angeklagten vom 23. März 2011 auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 28. Februar 2011 keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.


3
Grundlage der Verurteilung sind nicht zur Umsatzsteuer erklärte, durch Scheinrechnungen abgedeckte Schwarzein- und -verkäufe von Telefonkarten in der Zeit von Juli 2007 bis Oktober 2008. Dazu hatte der Angeklagte zwei Unternehmen gegründet, die er - weil er selbst über keine Arbeitserlaubnis verfügte - mit Hilfe von Strohleuten führte. Insgesamt hinterzog er Umsatzsteuern in Höhe von insgesamt 2.287.737 €. Bei den 16 Taten reichen die jeweiligen Hin- terziehungsbeträge von 19.918 € bis zu 203.952 €. Bei 13 Taten liegt der Hinterziehungsbetrag über 100.000 €, acht dieser Taten wurden nach dem 1. Januar 2008 begangen. Auch in diesen Fällen hat die Strafkammer der Strafzumessung den Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO zugrunde gelegt und Einzelstrafen von acht Monaten bis zu einem Jahr und vier Monaten verhängt.
4
Die Strafkammer hat nicht erörtert, ob der Angeklagte aus grobem Eigennutz handelte (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung) und - insbesondere - ob er bei den Taten nach dem 31. Dezember 2007 (gemäß der von da an geltenden Fassung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO) - Steuern in großem Ausmaß verkürzte.

II.


5
Die Strafzumessung ist, soweit es die nach dem 31. Dezember 2007 begangenen Taten betrifft, in mehrfacher Hinsicht - zugunsten des Angeklagten - rechtsfehlerhaft. Es liegt ein Begründungsmangel vor, weil die Strafkammer nicht geprüft hat, ob bei Hinterziehungsbeträgen ab 100.000 € das gesetzliche Merkmal „in großem Ausmaß“ (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO) gegeben war. Aber selbst dann, wenn die Strafkammer richtigerweise das Regelbeispiel in diesen Fällen bejaht hätte, wäre die Nichtannahme eines besonders schweren Falles hier ein Wertungsfehler. Dadurch ist der Angeklagte jedoch nicht beschwert.
6
1. Die Strafzumessung genügt nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen des § 267 Abs. 3 Satz 3 StPO.
7
Nach dieser Bestimmung müssen die Urteilsgründe „auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt“. Zwei Prüfungsschritte sind danach erforderlich:
8
a) Besteht Anlass, dass die im Straftatbestand aufgeführten Merkmale eines Regelbeispiels erfüllt sind, dann müssen die Urteilsgründe zunächst erkennen lassen, dass die rechtlichen Voraussetzungen des entsprechenden Merkmals geprüft wurden. Dieser erste Prüfungsschritt betrifft die Subsumtion unter ein gesetzliches Merkmal, die der vollen rechtlichen Prüfung durch das Revisionsgericht unterliegt.
9
b) Wird trotz Bejahung des Merkmals gleichwohl von der Regelwirkung abgesehen, so ist die Wahl des (milderen) Strafrahmens nachvollziehbar darzulegen. Dieser zweite Prüfungsschritt ist Teil der zuvorderst dem Tatrichter obliegenden Strafrahmenwahl, die nur eingeschränkt der revisionsgerichtlichen Prüfung zugänglich ist.
10
Insoweit gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: Zwar kann die indizielle Bedeutung des Regelbeispiels durch andere Strafzumessungsfaktoren kompensiert werden, doch müssen diese dann so schwer wiegen , dass die Anwendung des erschwerten Strafrahmens unangemessen erscheint. Ob dies so ist, kann der Strafrichter erst nach umfassender Abwägung aller Umstände entscheiden. Dabei dürfen jedenfalls die Umstände, welche das Regelbeispiel begründen, nicht unberücksichtigt bleiben; diese müssen vielmehr zunächst im Vordergrund der Abwägung stehen (BGH, Urteil vom 12. November 1996 - 1 StR 470/96; siehe auch Urteile vom 17. September 1997 - 2 StR 390/97; 9. August 2000 - 3 StR 133/00; 11. September 2003 - 4 StR 193/03, NStZ 2004, 265; 31. März 2004 - 2 StR 482/03, NJW 2004, 2394, 2395).
11
c) Die Wahl des erhöhten Strafrahmens bedarf hingegen - grundsätzlich - keiner weiteren Begründung, wenn das gesetzliche Merkmal des Regelbeispiels eines besonders schweren Falles erfüllt ist. Denn dann besteht eine gesetzliche Vermutung für einen gegenüber dem Normaltatbestand erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 603 mwN).
12
2. Das bedeutet für das gesetzliche Merkmal „in großem Ausmaß“ des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO:
13
a) Der Senat hat mit Urteil vom 2. Dezember 2008 (1 StR 416/08, BGHSt 53, 71) das Merkmal „großes Ausmaß“ ausgelegt und dafür folgende Betragsgrenzen bestimmt: Beschränkt sich das Verhalten des Täters darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und führt das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, dann ist das Merkmal bei einer Verkürzung in Höhe von 100.000 € erfüllt (Rn. 39, 41). Wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt hat, liegt die Betragsgrenze bei 50.000 € (Rn. 37).
14
b) Diese Bestimmung der Betragsgrenzen durch den Senat hat der Gesetzgeber in den Beratungen zu dem Entwurf des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes (BT-Drucks. 17/4182 und 17/4802) aufgegriffen. In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages (BT-Drucks. 17/5067 neu) ist zur Bestimmung der Betragsgrenze, ab welchem bei einer Selbstanzeige Straffreiheit nicht eintritt, unter Bezugnahme auf das Senatsurteil BGHSt 53, 71 ausgeführt (S. 21): „Die Betragshöhe orientiert sich an der Rechtsprechung des BGH zu dem Regelbeispiel des § 370 Absatz 3 Nummer 1 AO, wo das Merkmal großen Ausmaßes bei 50 000 Euro als erfüllt angesehen wird“. Damit hat der Gesetzgeber ersichtlich die Auslegung des Regelbeispiels durch den Senat gebilligt.
15
c) Jedenfalls in den Fällen, bei denen durch die nach dem 31. Dezember 2007 begangenen Taten Steuern in Höhe von 100.000 € und darüber verkürzt wurden, hätte die Strafkammer deshalb die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 als erfüllt ansehen müssen. Zudem hätten die Feststellungen zum Zusammenwirken innerhalb der Tätergruppe Anlass geben können, auch das Regelbeispiel Nr. 5 des § 370 Abs. 3 Satz 2 AO (Handeln als Mitglied einer Bande zur fortgesetzten Begehung von Steuerhinterziehungen ) zu prüfen.
16
3. Indem die Strafkammer das Regelbeispiel nicht geprüft hat, hat es sich den Blick dafür verstellt, bei der Wahl des Strafrahmens zu erörtern, ob die indizielle Bedeutung des Regelbeispiels durch andere - für den Angeklagten sprechende - Strafzumessungsfaktoren kompensiert wurde. Milderungsgründe, die so schwer wiegen könnten, dass die Anwendung des erschwerten Strafrahmens unangemessen erscheint, sind hier nicht in ausreichendem Maße dargetan.
17
a) Nach der Bewertung der Strafkammer „werden die Steuerschäden durch die Tatsache relativiert, dass ein Großteil durch die Angeklagten sowie die Firma L. wieder gut gemacht worden“ ist. Die vom Angeklagten „hinterzogenen Umsatzsteuern wurden mittlerweile vollständig beglichen“. Es bleibt allerdings offen, woher die Geldmittel hierzu stammen. Nach den Fest- stellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten und zu seinem Gewinn (mitgeteilt wird von der Strafkammer ein Rohertrag von 2 %; die Summe der für den Tatzeitraum aufgeführten Einkäufe liegt allerdings über den Erlösen während dieser Zeit) aus dem inkriminierten Handel mit Telefonkarten erscheint es ohne nähere Darlegungen kaum nachvollziehbar, dass er selbst zur Schadenswiedergutmachung in der Lage war. Im Übrigen ändert die Bezahlung der geschuldeten hinterzogenen Steuern nichts an der Indizwirkung der Überschreitung der 100.000 €-Grenze für besonders schwere Fälle. Denn hierbei ist schon berücksichtigt, dass es lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs kommt (Senat aaO Rn. 39).
18
b) Hier kommt indes erschwerend hinzu (vgl. Senat aaO Rn. 47), dass der Angeklagte besondere unternehmerische Strukturen aufgebaut hat, um seinen durchgehend steuerunehrlichen Handel zu betreiben, eingebunden in das „Tarnsystem“ eines grenzüberschreitenden, steuerunehrlichen Unterneh- mensgeflechts.
19
c) Dass die Nichtannahme des besonders schweren Falles selbst bei Bejahung des Merkmals „großes Ausmaß“ ein Wertungsfehler wäre, zeigt sich auch daran, dass ohne nähere Differenzierung zwischen den Tatbeteiligten neben dem Angeklagten fünf weitere Personen - rechtskräftig - ebenfalls nur aus dem Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO zu Bewährungsstrafen verurteilt wurden. Zwei dieser Verurteilten hinterzogen - gemeinsam - sogar 4.797.032 € an Umsatzsteuern. Sie wurden jeweils zu zwei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt , deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
20
4. Offen bleiben kann, ob - was freilich nahe liegt - ein weiterer Wertungsfehler darin liegt, dass sich sowohl die Einzelstrafen, wie auch die Ge- samtstrafe erheblich nach unten von ihrer Bestimmung lösen, gerechter Schuldausgleich zu sein.
21
Zur Bedeutung des Hinterziehungsbetrags für die Strafhöhenbemessung ist in der oben genannten Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages (BT-Drucks. 17/5067 neu, S. 21) ausgeführt: „Bei den Beratungen der geplanten Maßnahmen zur Verhinderung der Steuerhinterziehung waren sich alle Fraktionen in der Bewertung einig, dass Steuerhinterziehung kein Kavaliersdelikt sei und entsprechend bekämpft werden müsse. Die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP haben dabei betont … Eine Aussetzung der Freiheitsstrafe auf Bewährung bei Hinterziehung in Millionenhöhe sei nach einer Entscheidung des BGH nicht mehr möglich“.

III.


22
Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:
23
1. Bei der Staatsanwaltschaft - auch im Rahmen der Dienstaufsicht - hätte deshalb Anlass bestehen können zu prüfen, ob Handlungsbedarf gemäß Nr. 147 Abs. 1 Satz 3 RiStBV besteht. Eine etwaige Verständigung gemäß § 257c StPO hätte dem nicht entgegengestanden. Denn auch dann darf das Ergebnis nicht unterhalb „der Grenze dessen liegen, was noch als schuldan- gemessene Sanktion hingenommen werden kann“ (BGH, Beschluss vom 3. März 2005 - GSSt 1/04, BGHSt 50, 41, 50).
24
2. Erörtert das Gericht vor Beginn der Hauptverhandlung mit den Beteiligten den Stand des Verfahrens, so ist der wesentliche Inhalt dieser Erörterung aktenkundig zu machen (§§ 202a, 212 StPO). Über diese Gespräche hat der Vorsitzende zu Beginn der Hauptverhandlung auch zu berichten (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO) und dies ins Protokoll aufzunehmen (§ 273 Abs. 1a Satz 2 StPO). In den Urteilsgründen ist mitzuteilen, wenn der Verurteilung eine Verständigung gemäß § 257c StPO zugrunde lag267 Abs. 3 Satz 5 StPO). Im Protokoll ist aber auch zu vermerken, wenn dem Urteil keine Verständigung vorausging (§ 273 Abs. 1a Satz 3 StPO). Der Staatsanwalt ist gegebenenfalls gehalten, durch entsprechende Anregungen an das Gericht auf die Vermeidung von Protokollierungsfehlern oder -lücken hinzuwirken (vgl. Nr. 127 Abs. 1 Satz 1 RiStBV). Nack Wahl Rothfuß Hebenstreit Graf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 416/08
vom
2. Dezember 2008
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________
1. Die Berechnung der nach § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge
richtet sich in Fällen illegaler Beschäftigungsverhältnisse nach § 14 Abs. 2
Satz 2 SGB IV.
2. Zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehung.
BGH, Urt. vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08 - LG Landshut
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Dezember
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
der Angeklagte persönlich,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 21. April 2008 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte statt in 43 Fällen in 33 Fällen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt schuldig ist. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 48 Fällen, Beihilfe zur Steuerhinterziehung in vier Fällen und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 43 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten verurteilt. Die Revision des Beschwerdeführers , mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, führt lediglich zur Berichtigung eines offensichtlichen Schreibversehens in der Urteilsformel. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
Nach den Urteilsfeststellungen betrieb der Angeklagte als Einzelfirma ein Trockenbau-Unternehmen, das für verschiedene Auftraggeber als Subunternehmer tätig war. Aufgrund der Preisvorgaben der Auftraggeber war dem Angeklagten in den Jahren 2001 bis 2005 ein „auskömmliches Wirtschaften“ nur dadurch möglich, dass er den wesentlichen Teil seiner Arbeitnehmer „schwarz“ beschäftigte, ohne die Arbeitsverhältnisse den zuständigen Stellen zu melden und ohne für diese Personen Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Darüber hinaus erklärte er die Umsatzerlöse, die er aufgrund der Tätigkeit der nicht gemeldeten Arbeitnehmer erzielte, in den für die betreffenden Zeiträume abzugebenden Umsatzsteuervoranmeldungen und -jahreserklärungen nicht. Er wollte hierdurch die Abführung von Umsatzsteuern auf die unter Einsatz der illegal beschäftigten Arbeitnehmer erbrachten Leistungen vermeiden. Um andererseits den Auftraggebern zu ermöglichen, die an ihn als Subunternehmer geleisteten Zahlungen ertragsteuerlich als Betriebsausgaben ansetzen und umsatzsteuerlich einen Vorsteuerabzug geltend machen zu können , unterstützte der Angeklagte die Auftraggeber bei der Beschaffung sog. Abdeckrechnungen. Bei diesen Rechnungen handel te es sich um Scheinrechnungen mit gesondertem Vorsteuerausweis, mit denen unter dem Namen von Firmen, die tatsächlich nicht tätig geworden waren, Leistungen abgerechnet wurden. Die Abdeckrechnungen für die L. AG erstellte der Angeklagte selbst. Sowohl dem Angeklagten als auch seinen Auftraggebern war bewusst, dass die vorgeblichen Aussteller der Rechnungen die darin ausgewiesenen Umsatzsteuern weder anmelden noch an die Finanzbehörden abführen würden.
3
Insgesamt verkürzte der Angeklagte durch diese Vorgehensweise in den Jahren 2001 bis 2005 Umsatzsteuern in Höhe von mehr als 373.000 Euro sowie Lohnsteuer von 354.000 Euro und enthielt er den Einzugsstellen Gesamt- sozialversicherungsbeiträge in Höhe von mehr als 947.000 Euro vor, davon Arbeitnehmeranteile an der Sozialversicherung in Höhe von über 473.000 Euro. Zudem ermöglichte er durch das Ausstellen von Scheinrechnungen den Verantwortlichen der L. AG, in den Jahren 2001 bis 2004 in Umsatzsteuervoranmeldungen und -jahreserklärungen ungerechtfertigt Vorsteuern in einer Gesamthöhe von mehr als 220.000 Euro geltend zu machen.

II.

4
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch. Die Urteilsformel ist lediglich dahin zu berichtigen, dass der Angeklagte statt in 43 Fällen nur in 33 Fällen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) schuldig ist. Bei der Nennung von 43 Taten des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in der Urteilsformel handelt es sich um ein offensichtliches Verkündungsversehen ; dies ergibt sich zweifelsfrei aus den Urteilsgründen, die lediglich 33 Einzeltaten aufführen und diesen jeweils bestimmte Einzelstrafen zuordnen. Die Berichtigung kann der Senat selbst vornehmen (vgl. BGH NStZ 2000, 386; Kuckein in KK, 6. Aufl., § 354 Rdn. 20 m.w.N.).

III.

5
Die Strafzumessung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt enthält keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler. Auch der Schuldumfang - die Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge - ist zutreffend bestimmt.
6
1. Da die Strafkammer in den Urteilsgründen die Zahl der Einzeltaten zutreffend bestimmt hat, wirkt sich die Schuldspruchberichtigung auf den Strafausspruch nicht aus.
7
2. Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht bei den einzelnen Taten jeweils auch den zutreffenden Schuldumfang zugrunde gelegt. Dies gilt auch, soweit es in den Fällen D 10 bis D 33 der Urteilsgründe den Angeklagten wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) verurteilt hat. Das Landgericht hat hierbei die Höhe der den Einzugsstellen vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge unter Heranziehung der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bestimmt, indem es die an die illegal beschäftigten Arbeitnehmer gezahlten Löhne als Nettoarbeitsentgelt gewertet hat.
8
a) Die Schätzung der an die illegal beschäftigten Arbeitnehmer tatsächlich ausgezahlten Lohnsummen ist rechtlich nicht zu beanstanden. Da der Angeklagte über die Beschäftigung der bei den Einzugsstellen nicht angemeldeten Arbeitnehmer keine Aufzeichnungen führte, durfte das Landgericht die Höhe der an diese Personen gezahlten Löhne auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse schätzen (vgl. BGHSt 38, 186, 193; BGHR StGB § 266a Sozialabgaben 5; BGH wistra 2007, 220 f.). Dies waren hier insbesondere die vom Landgericht festgestellten Umsätze des Angeklagten mit den Auftraggebern , der Umstand, dass die Auftraggeber das erforderliche Material zur Verfügung stellten, und die Tatsache, dass es sich bei den vorgenommenen Arbeiten fast ausschließlich um Lohnarbeiten handelte (UA S. 19, 37). Angesichts dieser Erkenntnisse und des Umstandes, dass nach den Feststellungen des Landgerichts auch in anderen - mit den verfahrensgegenständlichen vergleichbaren - Fällen bei Arbeiten im Rahmen von Trockenbaumaßnahmen 60 Pro-zent der Rechnungssummen als Löhne ausgezahlt wurden, ist die Schätzung der ausgezahlten Lohnsummen auf 60 Prozent des Nettoumsatzes des Angeklagten mit seinen Auftraggebern aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl. auch BGH wistra 1983, 107, 108; OLG Düsseldorf wistra 1988, 123, 124).
9
b) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet auch, dass das Landgericht in den Fällen D 10 bis D 33 der Urteilsgründe, d.h. für die Beitragsmonate ab August 2002, die so ermittelten Lohnzahlungen nicht als Bruttolohn, sondern - wie sich aus den mitgeteilten Beträgen ergibt - als Nettoarbeitsentgelt gewertet und ausgehend hiervon anhand der jeweils gültigen Beitragssätze die der Einzugsstelle vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge errechnet hat. Diese Vorgehensweise rechtfertigt sich auch für das Strafrecht aus der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV, die zum 1. August 2002 in Kraft getreten ist (BGBl. I 2002, 2787 ff.).
10
aa) Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Rahmen des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vom 23. Juli 2002 (BGBl. I 2787 ff.) dem Umstand Rechnung getragen, dass bei illegaler Beschäftigung Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt werden. Er hat daher bestimmt, dass in solchen Fällen für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge zwischen den Beteiligten die Zahlung eines Nettoarbeitsentgelts als vereinbart gilt, weil dem Arbeitnehmer auch wirtschaftlich ein Nettoarbeitsentgelt zufließt (BTDrucks. 14/8221 S. 14). Neben der Beseitigung von Beweisschwierigkeiten zum Inhalt von Lohnvereinbarungen bei illegaler Beschäftigung (BTDrucks. aaO ) war die Verhinderung von Wettbewerbsvorteilen, die sich die Beteiligten von illegalen Beschäftigungsverhältnissen verschaffen, ein wesentliches Anliegen des Gesetzgebers bei der Schaffung des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit (BTDrucks. 14/8221 S. 11, 16).
11
bb) Bei der Regelung in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV handelt es sich um die Fiktion einer Nettolohnabrede für illegale Beschäftigungsverhältnisse, bei denen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt werden. Diese Fiktion greift unabhängig vom tatsächlichen Inhalt der Lohnvereinbarung ein. Das Arbeitsentgelt der Beschäftigten besteht daher in solchen Fällen aus dem als Nettolohn zu behandelnden Barlohn, der um die darauf entfallenden Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung zu erhöhen, d.h. zu einem Bruttolohn „hochzurechnen“ ist (§ 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IV). Denn Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge ist stets das Bruttoarbeitsentgelt (vgl. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; § 162 Nr. 1 SGB VI; § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII; § 342 SGB III; § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI i.V.m. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; BSGE 64, 110, 111 f.). Illegale Beschäftigung im Sinne der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV liegt nicht nur bei verbotenen Beschäftigungsverhältnissen (§ 134 BGB) vor, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber pflichtwidrig die für die Arbeitsverhältnisse vorgeschriebenen Meldungen nicht erstattet oder Beiträge für die versicherten Arbeitnehmer nicht zahlt. Der Gesetzgeber verwendet den Begriff der illegalen Beschäftigung als „Sammelbegriff für eine Vielzahl von Ordnungswidrigkeitstatbeständen oder Straftaten, von Verstößen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsrecht bis hin zu Verstößen gegen das Steuerrecht oder zum Leistungsmissbrauch“ (BTDrucks. 14/8221, S. 11).
12
cc) Mit Einführung der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV wurde die bis dahin geltende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts , nach der bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen mit Schwarzlohnabreden der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge eine Bruttolohnvereinbarung zu Grunde zu legen ist (vgl. BGHSt 38, 285; BGH wistra 1993, 148 f.; BSGE 64, 110 ff.), für den Bereich des Sozialversicherungsrechts durch einen "Federstrich des Gesetzgebers" obsolet (BTDrucks. 15/726 S. 3 f.). Überzeugende Gründe, die Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Strafrecht nicht anzuwenden und für die Bestimmung der Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge im Sinne des § 266a StGB weiterhin an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, bestehen angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht.
13
(1) Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts (vgl. BGH und BSG aaO) bezeichnet als maßgeblichen gegen die Annahme einer Nettolohnvereinbarung bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen sprechenden Gesichtspunkt, dass die Abrede eines Schwarzlohns gerade beinhalte, dass Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt werden sollen. Die wesentliche Rechtsfolge einer Nettolohnvereinbarung - die Befreiung des Arbeitnehmers von seiner Lohnsteuerpflicht und seiner Beitragslast zu Lasten des Arbeitgebers - werde daher von den Parteien des illegalen Beschäftigungsverhältnisses nicht angestrebt (BGH wistra 1993, 148 m.w.N.; BSGE 64, 110, 114 f., 116); vielmehr wolle in solchen Fällen gerade auch der Arbeitgeber im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis keine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abführen. Eine derartige Vereinbarung führt zwar zur Nichtigkeit der Schwarzlohnabrede, nicht aber zu der des gesamten Beschäftigungsverhältnisses (vgl. BAGE 105, 187, 191 ff.). Die sich wegen der Nichtigkeit der Schwarzlohnabrede stellende und „früher streitige Frage, ob bei derartigen Zahlungen unter der Hand von Brutto- oder Nettolöhnen auszugehen ist“ (BTDrucks. 15/726 S. 3 f.), hat der Gesetzgeber nun mit der in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV normierten Fiktion einer Nettolohnvereinbarung eindeutig und abschließend geklärt (BTDrucks. aaO).
14
(2) Der Schuldumfang bei Straftaten der Beitragsvorenthaltung gemäß § 266a StGB im Rahmen von illegalen, aber versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bestimmt sich nach dem nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben zu ermittelnden Bruttoentgelt und der hieran anknüpfenden Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge. Vorenthalten im Sinne von § 266a StGB sind die nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften tatsächlich geschuldeten Beiträge. Denn der Straftatbestand des § 266a StGB ist sozialrechtsakzessorisch ausgestaltet (BGHSt 47, 318 f.; 51, 125, 128 m.w.N.; 52, 67, 70). Der Umfang der abzuführenden Beiträge bestimmt sich daher, wie die Abführungspflicht selbst, nach materiellem Sozialversicherungsrecht. Ein entgegenstehender Wille der Vertragsparteien des Beschäftigungsverhältnisses ist im Strafrecht ebenso unbeachtlich wie im Sozialversicherungsrecht. Für die Beurteilung, ob ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt, sind allein die tatsächlichen Gegebenheiten maßgeblich. Liegt danach ein Arbeitsverhältnis vor, können die Vertragsparteien die sich hieraus ergebenden Beitragspflichten nicht durch eine abweichende vertragliche Gestaltung beseitigen (vgl. BGH NStZ 2001, 599, 600). Nach den tatsächlichen Verhältnissen bemessen sich auch die Sozialversicherungsbeiträge. Dabei entspricht die Lohnzahlung aufgrund einer Schwarzlohnabrede nach der Wertung des Gesetzgebers bei Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dem Nettoarbeitsentgelt eines legalen Beschäftigungsverhältnisses (BTDrucks. 14/8221 S. 14). Eine rechtmäßige Vereinbarung, nach der dem Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte Entgelt verbleibt, ohne dass hierfür Sozialversicherungsbeiträge aus einem nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ermittelten Bruttoentgelt berechnet werden, kann nicht getroffen werden.

15
(3) Der Umstand, dass der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV, mit der dem Phänomen der illegalen Beschäftigung entgegengewirkt werden soll (vgl. BTDrucks. 15/726 S. 3 f.), im Ergebnis Sanktionscharakter zukommt (vgl. Klattenhoff in Hauck/Noftz SGB, 38. Lfg. 2003, § 14 SGB IV Rdn. 43 Fußnote 194), steht der Anwendung dieser Norm bei der Bestimmung des Umfangs der im Sinne von § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge nicht entgegen. Zwar bezweckt diese Vorschrift auch, den Arbeitgeber von einer Schwarzlohnabrede abzuhalten (vgl. BAGE 105, 187, 194). Jedoch ist dies nicht alleiniger Zweck der Vorschrift. Vielmehr soll § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV Beweisschwierigkeiten beseitigen und der wirtschaftlichen Situation bei einer Schwarzlohnabrede Rechnung tragen (BTDrucks. 14/8221 S. 14). Damit hat die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV einen materiellen Regelungsgehalt und nicht den Charakter eines Säumnis- oder Verspätungszuschlages oder eines Zwangsgelds (vgl. dazu BGHSt 43, 381, 400 ff.).
16
(4) Der Senat verkennt nicht, dass die Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Rahmen der Strafnorm des § 266a StGB zur Folge hat, dass insoweit ein anderes Bruttoentgelt zugrunde zu legen ist als bei der Bestimmung des Verkürzungsumfangs der bei Schwarzlohnabreden zumeist ebenfalls verwirklichten Hinterziehung von Lohnsteuer (vgl. Heitmann in MüllerGugenberger /Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. 2006, § 36 Rdn. 26; Boxleitner in Wabnitz/Janovsky, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 3. Aufl. 2007, Kap. 17 Rdn. 59 Fn. 89). Von der Schaffung einer der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV entsprechenden Norm im Steuerrecht hat der Gesetzgeber aber wegen des dort geltenden Zuflussprinzips bewusst abgesehen (BTDrucks. 15/2948 S. 7, 20). Demgegenüber gilt im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich das Entstehungsprinzip (§ 22 Abs. 1 SGB IV, BGHSt 47, 318, 319; vgl. auch BSGE 41, 6, 11; 54, 136 ff.; 59, 183, 189; 75, 61, 65), das auch bei der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV Anwendung findet (einschränkend Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 57. Ergän-zungslieferung 2008 SGB IV § 14 Rdn. 139; vgl. aber BAGE 105, 187, 191 ff.). Diese Unterschiede zwischen Lohnsteuer und Sozialabgaben rechtfertigen auch für das Strafrecht eine unterschiedliche Bemessungsgrundlage für die Hinterziehung von Lohnsteuer einerseits und das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen andererseits (vgl. BGHSt 47, 318, 319 zu § 266a StGB: „unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird“).
17
(5) Der Umstand, dass die Fiktion einer Nettolohnvereinbarung gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV zu einem Bruttoarbeitsentgelt führen kann, das den Wert der Arbeitsleistung übersteigt (vgl. BSGE 64, 110, 117; Boxleitner aaO Kap. 17 Rdn. 59), steht der Anwendung der Vorschrift § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bei der Bemessung der im Sinne von § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ebenfalls nicht entgegen. Auch insoweit ist zu berücksichtigen , dass eine rechtmäßige Vereinbarung, nach der dem Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte Entgelt verbleibt, ohne dass hierfür Sozialversicherungsbeiträge aus einem nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ermittelten Bruttoentgelt berechnet werden, nicht getroffen werden kann (vgl. oben [2]). Die strafrechtliche Verantwortlichkeit wird in diesem Zusammenhang lediglich durch die dem Straftatbestand des § 266a StGB als echtem Unterlassungsdelikt immanente Tatbestandsvoraussetzung beschränkt, dass dem Arbeitgeber die Erfüllung der Handlungspflicht möglich und zumutbar sein muss (BGHSt 47, 318, 320). An der Zumutbarkeit der Zahlung der gegenüber der legalen Beschäftigung erhöhten Sozialversicherungsbeiträge bestehen hier keine Zweifel, denn der Angeklagte verschaffte sich durch die Schwarzlohnabrede wirtschaftliche Vorteile im Wettbewerb gegenüber legal tätigen Arbeitgebern.

18
(6) Auch gegen die Berechnung des Bruttoarbeitsentgelts auf der Grundlage der Lohnsteuerklasse VI bestehen im vorliegenden Fall keine Bedenken (vgl. Boxleitner aaO Kap. 17 Rdn. 59 und SG Dortmund, Urt. vom 8. September 2008 - S 25 R 129/06 - BeckRS 2008 57420). Nach § 39c EStG ist diese Steuerklasse zu Grunde zu legen, wenn bei einem Arbeitsverhältnis die Lohnsteuerkarte dem Arbeitgeber nicht vorgelegt wird. Bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen besteht regelmäßig kein Grund zu der Annahme, dass die Arbeitnehmer dem Arbeitgeber ihre Lohnsteuerkarte vorgelegt haben. Mangels erkennbarer Anhaltspunkte für eine andere Handhabung ergibt sich hier auch aus dem Zweifelsgrundsatz nichts anderes (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36 m.w.N.).

IV.

19
Auch die tatrichterliche Strafhöhenbemessung wegen Steuerhinterziehung ist rechtsfehlerfrei. Die dem angefochtenen Urteil insoweit zugrunde liegenden Strafzumessungserwägungen tragen den nachfolgend dargelegten Kriterien Rechnung, die bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung Anwendung finden müssen:
20
1. Grundlage für die Zumessung der Strafe ist bei einer Steuerhinterziehung - wie bei jeder anderen Straftat auch - die persönliche Schuld des Täters. Dabei sind auch die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 StGB). § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB bestimmt, dass bei der Zumessung der Strafe die Umstände gegeneinander abzuwägen sind, die für und gegen den Täter sprechen. Dabei kommen namentlich die in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB genannten Umstände in Betracht.

21
2. Bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung hat das von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgegebene Kriterium der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung besonderes Gewicht. „Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut. Das durch § 370 AO geschützte Rechtsgut ist die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs, d.h. des rechtzeitigen und vollständigen Steueraufkommens (vgl. BGHSt 36, 100, 102; 40, 109, 111; 41, 1, 5; 46, 107, 120). Deshalb ist die Höhe der verkürzten Steuern ein bestimmender Strafzumessungsumstand i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. auch BGH wistra 1998, 269, 270).
22
Das gilt nicht nur für die Strafrahmenwahl (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO), sondern auch für die konkrete Strafzumessung in dem - wie hier vom Landgericht - zugrunde gelegten Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO. Dass der Hinterziehungsbetrag nicht nur ein bestimmender Strafzumessungsfaktor, sondern darüber hinaus, dann wenn er hoch ist, ein auch für die konkrete Strafzumessung gewichtiger Strafschärfungsgrund ist, zeigt insbesondere die gesetzgeberische Wertung in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO.
23
Schon die bis Ende des Jahres 2007 - und damit noch zur Tatzeit geltende - Fassung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO hob die Höhe des Hinterziehungsbetrags als einen Umstand heraus, der zur Verschärfung des Strafrahmens führen konnte. Danach war in der Regel ein nur mit Freiheitsstrafe (von sechs Monaten bis zu zehn Jahren) bedrohter besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung gegeben, wenn der Täter „aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt“. Zwar musste nach der früheren Fassung für die Erfüllung des Regelbeispiels zu dem objektiven Merkmal „in großem Ausmaß“ noch das subjektive Merkmal „aus grobem Eigennutz“ hinzukommen, gleichwohl hatte der Gesetzgeber schon damals zum Ausdruck gebracht, dass die Strafhöhenbemessung maßgeblich auch von der Höhe des Hinterziehungsbetrags bestimmt wird.
24
3. Auch wenn der Hinterziehungsbetrag ein bestimmender Strafzumessungsgrund für die Steuerhinterziehung ist, kann allein dessen Ausmaß für die Strafhöhenbemessung nicht in dem Sinne ausschlaggebend sein, dass die Strafe gestaffelt nach der Höhe des Hinterziehungsbetrags schematisch und quasi „tarifmäßig“ verhängt wird. Jeder Einzelfall ist vielmehr nach den von § 46 StGB vorgeschriebenen Kriterien zu beurteilen.
25
Das schließt indes nicht aus, die Strafhöhe an den vom Gesetzgeber auch in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO vorgegebenen Wertungen auszurichten. Das gilt auch für die konkrete Strafzumessung innerhalb des gefundenen Strafrahmens , und zwar auch beim Normalstrafrahmen des § 370 Abs. 1 AO. Gerade auch bei der Bemessung der schuldangemessenen Strafe kommt dem Merkmal „großes Ausmaß“ Bedeutung zu, weil es aufzeigt, wann der Gesetzgeber eine Freiheitsstrafe (mit erhöhtem Mindestmaß) für angebracht hält. Dazu bedarf das Merkmal einer näheren Konturierung.
26
Der Senat ist der Ansicht, dass insoweit vergleichbare Kriterien wie für das wortgleiche Merkmal in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB (auf das auch § 263a Abs. 2, § 266 Abs. 2 StGB verweisen) zur Anwendung kommen müssen.
27
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 48, 360; BGH wistra 2004, 262, 263; StV 2007, 132) erfüllt ein Vermögensverlust von mehr als 50.000 € beim Regelbeispiel des besonders schweren Falles des Betrugs (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB) das Merkmal „in großem Ausmaß“. Dazu hatte der Senat in BGHSt 48, 360 ausgeführt: „Der Begriff des Vermögensverlustes großen Ausmaßes ist nach objektiven Gesichtspunkten zu bestimmen … Die Abgrenzung, die sich für § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB wertmäßig an einem Vermögensverlust in Höhe von 50.000 € ausrichtet, schafft für die Praxis Rechtssicherheit. Im Einzelfall bleibt genügend Spielraum für eine gerechte Straffindung. Der Tatrichter hat ohnehin im Rahmen einer Gesamtbetrachtung auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des Regelbeispiels zu bewerten, ob tat- oder täterbezogene Umstände vorliegen, die die Indizwirkung des Regelbeispiels aufheben und trotz seiner Verwirklichung zur Verneinung eines besonders schweren Falles führen können, oder ob auch ohne dass dieses Regelbeispiel erfüllt ist besondere Umstände einen unbenannten besonders schweren Fall zu begründen vermögen oder etwa ein anderes benanntes Regelbeispiel anzunehmen ist.“
28
b) Das vergleichbare Merkmal des „großen Ausmaßes“ im Sinne des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO hat der Bundesgerichtshof bislang nicht - wie beim Betrug - betragsmäßig bestimmt. Das lag in erster Linie daran, dass bei der früheren Gesetzesfassung - zu der die Entscheidungen ergangen sind - die objektive Komponente („großes Ausmaß“) mit der subjektiven Komponente („aus grobem Eigennutz“) verknüpft war, so dass eine eigenständige Auslegung nur des Merkmals „großes Ausmaß“ nicht veranlasst war.
29
Wegen der Verknüpfung von objektivem und subjektivem Merkmal hatte der Bundesgerichtshof eine Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände gefordert (vgl. BGH wistra 1993, 109,110). Von Bedeutung war dabei insbesondere, ob sich das Ausmaß aus dem noch durchschnittlich vorkommen- den Verkürzungsumfang heraushebt und ob ein „Täuschungsgebäude großen Ausmaßes“ vorliegt (vgl. BGH wistra 1987, 71, 72).
30
Auch in der Kommentarliteratur finden sich bisher sehr unterschiedliche und daher keine hinreichend klaren Maßstäbe für eine Grenzziehung. Während überwiegend - indes unter Geltung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO aF - für die Annahme des „großen Ausmaßes“ eine Hinterziehung in Millionenhöhe für erforderlich erachtet wurde (Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 270; Klein/Gast-de Haan, AO 9. Aufl. § 370 Rdn. 68; Scheurmann -Kettner in Koch/Scholz, AO 5. Aufl. § 370 Rdn. 59), finden sich in der neueren Literatur Stimmen, die eine Steuerhinterziehung „in großem Ausmaß“ bereits ab einem Mindestbetrag von 50.000 € für möglich erachten (Kohlmann, Steuerstrafrecht 38. Lfg. August 2008 § 370 AO Rdn. 1099.7; Schäfer /Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 1022). Demgegenüber nehmen andere Autoren auch für die neue Fassung des Merkmals ein „großes Ausmaß“ erst bei einem Betrag von 500.000 € (Blesinger in Kühn/v. Wedelstädt, AO und FGO, 19. Aufl. § 370 AO Rdn. 114) oder einer Hinterziehung in Millionenhöhe an (Rolletschke in Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen , 87. Ergänzungslieferung § 370 AO Rdn. 169) und halten teilweise auch weiterhin auch für die Bejahung des Merkmals eine Gesamtschau aller Umstände für erforderlich (Rolletschke in Stbg 2008, 49 und in Rolletschke/ Kemper aaO).
31
c) Das Merkmal „in großem Ausmaß“ im Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO bedarf nach Ansicht des Senats - in gleicher Weise wie beim Betrug - der Interpretation durch die Gerichte. Nur dann erhält das Merkmal seine den Anforderungen der Rechtssicherheit gerecht werdenden Konturen. Für eine Vergleichbarkeit mit dem Betrug spricht auch, dass der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in BGHSt 50, 299, 309 zu Recht ausgeführt hat, es sei geboten, „dem drohenden Ungleichgewicht zwischen der Strafpraxis bei der allgemeinen Kriminalität und der Strafpraxis in Steuer- und Wirtschaftsstrafverfahren entgegenzutreten und dem berechtigten besonderen öffentlichen Interesse an einer effektiven Strafverfolgung schwerwiegender Wirtschaftskriminalität gerecht zu werden.“
32
Dass der Gesetzgeber nicht selbst bestimmt hat, wann bei der Prüfung des Regelbeispiels von einem großen Ausmaß auszugehen ist, steht einer verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen. Anders mag das etwa bei der Verwendung des Begriffs des großen Ausmaßes als Tatbestandsmerkmal eines Verbrechenstatbestandes sein (vgl. zu dem inzwischen aufgehobenen § 370a AO: BGH wistra 2004, 393 ff.; 2005, 30 ff.). Wie beim Begriff des Vermögensverlustes großen Ausmaßes im Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall des Betruges in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB ist der Begriff des großen Ausmaßes auch in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO in erster Linie nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Zwar ist anerkannt, dass die Auslegung tatbestandsspezifisch zu erfolgen hat; gleichwohl ist bei von der Begehungsweise und vom Unwertgehalt ähnlichen Delikten wie dem Betrug und der Steuerhinterziehung eine einheitliche Grenzziehung in Betracht zu ziehen (vgl. BGHSt 48, 360, 364).
33
Dem steht nicht entgegen, dass sich, anders als bei der Einführung des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB (vgl. BTDrucks. 13/8587 S. 43), in den Materialien zur Gesetzesentstehung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO nF keine Anhaltspunkte dafür finden, ab welchem Grenzwert der Gesetzgeber eine Steuerhinterziehung von „großem Ausmaß“ als gegeben erachtet. Begründet wird lediglich die Streichung des einschränkenden subjektiven Merkmals des „groben Eigennutzes“ (BTDrucks. 16/5846 S. 75). Dass der Gesetzgeber hierbei an die Rechtsprechung anknüpfen wollte, die den Begriff des „großen Ausmaßes“ in den § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB konkretisierte, kann daher nicht ohne weiteres angenommen werden. Allerdings wollte der Gesetzgeber bereits mit der Einführung des § 370 Abs. 3 AO zum Ausdruck bringen, dass die Steuerhinterziehung „hinsichtlich ihrer Gefährlichkeit und ihrer Strafwürdigkeit nicht geringer zu bewerten ist als der Betrug“ (BGHSt 32, 95, 99 mit Hinweis auf BRDrucks. 23/71 S. 194).
34
d) Der Senat ist daher der Ansicht, dass das Merkmal „in großem Ausmaß“ des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO wie beim Betrug nach objektiven Maßstäben zu bestimmen ist. Das Merkmal „in großem Ausmaß“ liegt danach nur dann vor, wenn der Hinterziehungsbetrag 50.000 € übersteigt.
35
aa) Der Senat hat dabei auch bedacht, dass bei großen Geschäftsvolumina Steuerschäden in dieser Größenordnung schneller erreicht werden als bei wirtschaftlicher Betätigung im kleineren Umfang, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung regelmäßig bereits bei Gefährdung des Steueraufkommens verwirklicht wird (vgl. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO), dass die Tatbestandsmäßigkeit weder direkten Vorsatz noch Bereicherungsabsicht voraussetzt und dass regelmäßig auch die bloße Untätigkeit den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt, weil die Abgabe von Steuererklärungen gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO).
36
Gleichwohl lassen derartige „qualitative“ Besonderheiten des Einzelfalls die Erfüllung des Ausmaßes der Steuerverkürzung unberührt, da solche Umstände die Auswirkungen der Tat auf das Steueraufkommen nicht verändern. Schutzgut des Straftatbestandes der Steuerhinterziehung ist - wie oben ausge- führt - das öffentliche Interesse am vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen jeder einzelnen Steuerart. Im Übrigen schafft eine Abgrenzung, die sich an einer eindeutigen Betragsgrenze ausrichtet, größere Rechtssicherheit für die Praxis. Eine solche Relation von Geschäftsvolumen und Steuerschaden kann allerdings das Gewicht des Hinterziehungsbetrags bei der Strafzumessung vermindern.
37
bb) Der Umstand, dass sich die Betragsgrenze von 50.000 € an derjenigen des Vermögensverlustes großen Ausmaßes im Sinne von § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB orientiert, bedeutet zugleich, dass - ähnlich wie beim Betrug - zwischen schon eingetretenem Vermögensverlust und einem Gefährdungsschaden zu differenzieren ist:
38
(1) Die Betragsgrenze von 50.000 € kommt namentlich dann zur Anwendung , wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt hat, etwa bei Steuererstattungen durch Umsatzsteuerkarusselle, Kettengeschäfte oder durch Einschaltung von sog. Serviceunternehmen. Ist hier - der „Steuerbetrug“ hat zu einem „Vermögensverlust“ geführt - diese Wertgrenze überschritten, dann ist das Merkmal erfüllt.
39
(2) Beschränkt sich das Verhalten des Täters dagegen darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und führt das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, dann kann das „große Ausmaß“ höher angesetzt werden. Der Senat hält hierbei eine Wertgrenze von 100.000 € für angemessen.
40
cc) Ob die Schwelle des „großen Ausmaßes“ überschritten ist, ist für jede einzelne Tat im materiellen Sinne gesondert zu bestimmen. Dabei genügt derjenige Erfolg, der für die Vollendung der Steuerhinterziehung ausreicht (vgl. Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 268). Der Senat ist der Ansicht, dass bei mehrfacher tateinheitlicher Verwirklichung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung das „Ausmaß“ des jeweiligen Taterfolges zu addieren ist, da in solchen Fällen eine einheitliche Handlung im Sinne des § 52 StGB vorliegt, die für die Strafzumessung einer einheitlichen Bewertung bedarf.
41
e) Liegt nach diesen Maßstäben eine Hinterziehung von „großem Ausmaß“ vor, so hat dies - unabhängig von der Frage, ob die Regelwirkung einer besonders schweren Steuerhinterziehung im konkreten Fall zur Anwendung kommt - „Indizwirkung“, freilich auch nicht mehr, für die zu findende Strafhöhe. Das bedeutet:
42
Jedenfalls bei einem sechsstelligen Hinterziehungsbetrag wird die Verhängung einer Geldstrafe nur bei Vorliegen von gewichtigen Milderungsgründen noch schuldangemessen sein. Bei Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe kommt eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 176, 178).
43
Schon deswegen wird bei der letztgenannten Fallgestaltung (Millionenbetrag ) ein Strafbefehlsverfahren regelmäßig nicht geeignet erscheinen (vgl. § 400 AO i.V.m. § 407 StPO). Hinzu kommt, dass bei Steuerverkürzungen in dieser Größenordnung in der Regel auch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Wahrung der Gleichbehandlung vor Gericht - das eine öffentliche Haupt- verhandlung am besten gewährleistet - nicht gering zu achten ist (vgl. § 407 Abs. 1 Satz 2 StPO).
44
f) Die „Indizwirkung“ des „großen Ausmaßes“ kann einerseits durch sonstige Milderungsgründe beseitigt, andererseits aber auch durch Strafschärfungsgründe verstärkt werden.
45
aa) Ein die Indizwirkung des Hinterziehungsbetrages beseitigender Milderungsgrund ist etwa gegeben, wenn sich der Täter im Tatzeitraum im Wesentlichen steuerehrlich verhalten hat und die Tat nur einen verhältnismäßig geringen Teil seiner steuerlich relevanten Betätigungen betrifft. Bedeutsam ist daher das Verhältnis der verkürzten zu den gezahlten Steuern. Hat sich der Täter vor der Tat über einen längeren Zeitraum steuerehrlich verhalten, ist auch dies in den Blick zu nehmen. In die vorzunehmende Gesamtwürdigung ist auch die Lebensleistung und das Verhalten des Täters nach Aufdeckung der Tat einzubeziehen , etwa ein (frühzeitiges) Geständnis, verbunden mit der Nachzahlung verkürzter Steuern oder jedenfalls dem ernsthaften Bemühen hierzu. Der „Schadenswiedergutmachung“ durch Nachzahlung verkürzter Steuern kommt schon im Hinblick auf die Wertung des Gesetzgebers im Falle einer Selbstanzeige (§ 371 AO) besondere strafmildernde Bedeutung zu.
46
bb) Gegen eine Geldstrafe oder - bei entsprechend hohem Hinterziehungsbetrag - eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe spricht es insbesondere, wenn der Täter Aktivitäten entfaltet hat, die von vornherein auf die Schädigung des Steueraufkommens in großem Umfang ausgelegt waren, etwa weil der Täter unter Vorspiegelung erfundener Sachverhalte das „Finanzamt als Bank“ betrachtete und in erheblichem Umfang ungerechtfertigte Vorsteuererstattungen erlangt hat oder weil der Täter die Steuerhinterziehung in sonstiger Weise ge- werbsmäßig oder gar „als Gewerbe“ betrieb. Gleiches gilt auch für den Aufbau eines aufwändigen Täuschungssystems, die systematische Verschleierung von Sachverhalten und die Erstellung oder Verwendung unrichtiger oder verfälschter Belege zu Täuschungszwecken.
47
Strafschärfende Bedeutung hat es zudem, wenn der Täter besondere Unternehmensstrukturen aufgebaut hat, die auch der Bereicherung durch Steuerhinterziehung dienen sollten, wenn der Täter das Ziel verfolgt hat, das Steueraufkommen durch wiederholte Tatbegehung über einen längeren Zeitraum nachhaltig zu schädigen, wenn er andere Personen verstrickt hat, wenn er systematisch Scheingeschäfte getätigt oder Scheinhandlungen vorgenommen hat (vgl. § 41 Abs. 2 Satz 1 AO) oder wenn er in größerem Umfang buchtechnische Manipulationen vorgenommen oder gezielt durch Einschaltung von Domizilfirmen im Ausland oder Gewinnverlagerungen ins Ausland schwer aufklärbare Sachverhalte geschaffen hat (vgl. auch die Beispiele bei Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 1018 m.w.N.). Solche Umstände sind bei anpassungsfähigen Hinterziehungssystemen, wie etwa den sog. Umsatzsteuerkarussellgeschäften, bei Kettengeschäften unter Einschaltung sog. „Serviceunternehmen“ und im Bereich der illegalen Arbeitnehmerüberlassungen regelmäßig gegeben (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 176, 178).
48
4. Für Steuerhinterziehungen, die seit dem 1. Januar 2008 - dem Inkrafttreten der neuen Fassung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO durch das Gesetz zur Änderung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmethoden sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG v. 21. Dezember 2007 (BGBl. I 3198) - begangen wurden, kommt der Streichung des subjektiven Merkmals „aus grobem Eigennutz“ aus dem Regelbeispiel zusätzliches Gewicht zu. Hier erfüllt schon das objektive Merkmal „großes Aus- maß“ - wie es oben vom Senat bestimmt wurde - das Regelbeispiel des besonders schweren Falles des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO.
49
Die Bejahung bzw. Verneinung des Regelbeispiels in einem ersten Prüfungsschritt bei der Strafrahmenwahl bedeutet freilich, dass - wie bei sonstigen Regelbeispielen - in einem zweiten Schritt zu prüfen ist, ob die Besonderheiten des Einzelfalls die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräften, bzw. ob - umgekehrt - ein unbenannter besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung vorliegt , obwohl der Hinterziehungsbetrag unter 50.000 € liegt.
50
Insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze für die Strafrahmenwahl bei Regelbeispielen. Danach entfällt die Regelwirkung, wenn diese Faktoren jeweils für sich oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, dass sie bei der Gesamtabwägung die Regelwirkung entkräften. Es müssen in dem Tun oder in der Person des Täters Umstände vorliegen, die das Unrecht seiner Tat oder seiner Schuld deutlich vom Regelfall abheben, so dass die Anwendung des erschwerten Strafrahmens unangemessen erscheint (ständige Rspr.; vgl. BGHSt 20, 121, 125). Für die hierbei vorzunehmende Gesamtabwägung haben namentlich die oben genannten Milderungs- und Schärfungsgründe Gewicht.
51
5. Gemessen daran sind die dem Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO entnommenen Einzelstrafen und die Gesamtstrafe rechtsfehlerfrei. Das Landgericht hat zu Recht den hohen Steuerschäden das ihnen zukommende Gewicht beigemessen. Namentlich die beiden Einsatzstrafen von jeweils einem Jahr und drei Monaten für die Umsatzsteuerhinterziehungen 2002 und 2003 mit hinterzogenen Steuern in Höhe von jeweils über 150.000 € werden den oben genannten Strafzumessungskriterien gerecht.

V.

52
Die Revision bemängelt, das Landgericht habe sowohl bei der Beitragsals auch bei der Steuerhinterziehung einerseits die Höhe der durch die Taten verursachten Schäden zu Lasten des Angeklagten gewertet, andererseits aber strafmildernd berücksichtigt, dass die Schäden ausgeglichen worden seien. Hiergegen ist jedoch nichts zu erinnern. Diese Strafzumessungserwägungen erweisen sich nicht als widersprüchlich. Gemäß § 46 Abs. 2 StGB sind sowohl die verschuldeten Folgen der Tat als auch die Schadenswiedergutmachung strafzumessungsrelevante Faktoren. Bei einer nachträglichen Schadenswiedergutmachung ist das Landgericht nicht gehalten, den Umfang der zunächst hinterzogenen Steuern und den Umfang der den Einzugsstellen zunächst vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen der Strafzumessung unberücksichtigt zu lassen.

VI.

53
Die Versagung der Strafaussetzung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten zur Bewährung hält rechtlicher Nachprüfung noch stand.
54
Allerdings weist die Revision mit Recht darauf hin, dass auch bei der gemäß § 56 Abs. 2 StGB vom Tatgericht vorzunehmenden Prüfung, ob die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, die ein Jahr übersteigt, zur Bewährung ausgesetzt werden kann, der Kriminalprognose des Täters Bedeutung zukommt. Denn die Prüfung, ob besondere Umstände von Gewicht im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, erfordert eine Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des Verurteilten. Zu den dabei zu berücksichtigenden Umständen gehört auch eine günstige Kriminalprognose (vgl. BGH StV 2003, 670; BGH NStZ 1997, 434; jeweils m.w.N.). Es wäre daher rechtsfehlerhaft, die Frage der Kriminalprognose als von vornherein für die Gesamtwürdigung bedeutungslos dahinstehen zu lassen (vgl. BGH, Beschl. vom 11. Dezember 2002 - 1 StR 454/02). Anders verhält es sich aber dann, wenn das Tatgericht die Gesamtwürdigung auch auf der Basis einer günstigen Kriminalprognose durchführt und dabei zum Ergebnis gelangt, dass selbst unter dieser Prämisse besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB nicht vorliegen. Bei einem solchen Vorgehen wird die Kriminalprognose des Täters nicht als bedeutungslos angesehen ; sie hat aber im konkreten Fall auf das Ergebnis der Gesamtwürdigung keine für den Verurteilten günstigen Auswirkungen.
55
So liegt der Fall hier. Die Strafkammer hatte zwar im Hinblick auf die einschlägige Vorstrafe des Angeklagten und seinen Bewährungsbruch erhebliche Zweifel daran, dass sich der Angeklagte schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (UA S. 43). Aus dem Gesamtzusammenhang der vom Landgericht insoweit angestellten Erwägungen ergibt sich aber, dass es im Rahmen der durchgeführten Gesamtwürdigung auch unter Berücksichtigung einer günstigen Kriminalprognose zum Fehlen besonderer Umstände gelangt ist. Der Senat entnimmt der missverständlichen Formulierung in den Urteilsgründen , die Frage der Kriminalprognose könne „letztlich“ offen bleiben, nicht, die Strafkammer habe diese Frage für die nach § 56 Abs. 2 StGB als von vornherein unbeachtlich gehalten.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) missbraucht,
3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,
4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt oder
6.
eine Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.

(5) Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden.

(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 81/11
vom
12. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Juli 2011 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12. November 2010 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Ab einem Hinterziehungsbetrag von 50.000 € sind Steuern in großem Maße verkürzt bzw. im großen Ausmaß nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO), wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt hat, etwa bei Steuererstattungen durch Umsatzsteuerkarusselle , Kettengeschäfte oder durch Einschaltung von sog. Serviceunternehmen. Beschränkt sich das Verhalten des Täters dagegen darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen - wie hier durch Nichterklärung eines Teils der Umsätze -, liegt die Wertgrenze zum großen Ausmaß bei 100.000 € (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08 -, Rn. 38, 39, BGHSt 53, 71, 85). Die Strafkammer ist zwar zunächst unzutreffend von der 50.000 €-Grenze ausgegangen.Hierauf beruht das Urteil jedoch nicht. Die Strafkammer hat nämlich gleichwohl bei den entsprechenden Taten keine besonders schweren Fälle i.S.v. § 370 Abs. 3 AO angenommen. Der Senat vermag auszuschließen, dass das Landgericht bei Vermeidung des Irrtums mildere Einzelstrafen und eine noch mildere Gesamtstrafe verhängt hätte. Nack Wahl Hebenstreit Graf Jäger

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 116/11
vom
5. Mai 2011
BGHSt: nein
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________
Soweit dazu Anlass besteht, müssen die Urteilsgründe ergeben, ob Steuern in
großem Ausmaß i.S.d. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO nach BGHSt 53, 71 (Betragsgrenzen
50.000 Euro bzw. 100.000 Euro) verkürzt sind. Sie müssen auch
ergeben, weshalb trotz des Vorliegens dieses Regelbeispiels ein besonders
schwerer Fall des § 370 Abs. 3 AO nicht angenommen wird (Fortführung von
BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71).
BGH, Beschluss vom 5. Mai 2011 - 1 StR 116/11 - LG Bochum
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Mai 2011 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 1. Oktober 2010 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 16 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt , deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
2
Die auf die - zunächst allgemeine - Sachrüge gegründete Revision des Angeklagten ist unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils auch unter Berücksichtigung der Gegenerklärung des Angeklagten vom 23. März 2011 auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 28. Februar 2011 keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.


3
Grundlage der Verurteilung sind nicht zur Umsatzsteuer erklärte, durch Scheinrechnungen abgedeckte Schwarzein- und -verkäufe von Telefonkarten in der Zeit von Juli 2007 bis Oktober 2008. Dazu hatte der Angeklagte zwei Unternehmen gegründet, die er - weil er selbst über keine Arbeitserlaubnis verfügte - mit Hilfe von Strohleuten führte. Insgesamt hinterzog er Umsatzsteuern in Höhe von insgesamt 2.287.737 €. Bei den 16 Taten reichen die jeweiligen Hin- terziehungsbeträge von 19.918 € bis zu 203.952 €. Bei 13 Taten liegt der Hinterziehungsbetrag über 100.000 €, acht dieser Taten wurden nach dem 1. Januar 2008 begangen. Auch in diesen Fällen hat die Strafkammer der Strafzumessung den Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO zugrunde gelegt und Einzelstrafen von acht Monaten bis zu einem Jahr und vier Monaten verhängt.
4
Die Strafkammer hat nicht erörtert, ob der Angeklagte aus grobem Eigennutz handelte (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung) und - insbesondere - ob er bei den Taten nach dem 31. Dezember 2007 (gemäß der von da an geltenden Fassung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO) - Steuern in großem Ausmaß verkürzte.

II.


5
Die Strafzumessung ist, soweit es die nach dem 31. Dezember 2007 begangenen Taten betrifft, in mehrfacher Hinsicht - zugunsten des Angeklagten - rechtsfehlerhaft. Es liegt ein Begründungsmangel vor, weil die Strafkammer nicht geprüft hat, ob bei Hinterziehungsbeträgen ab 100.000 € das gesetzliche Merkmal „in großem Ausmaß“ (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO) gegeben war. Aber selbst dann, wenn die Strafkammer richtigerweise das Regelbeispiel in diesen Fällen bejaht hätte, wäre die Nichtannahme eines besonders schweren Falles hier ein Wertungsfehler. Dadurch ist der Angeklagte jedoch nicht beschwert.
6
1. Die Strafzumessung genügt nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen des § 267 Abs. 3 Satz 3 StPO.
7
Nach dieser Bestimmung müssen die Urteilsgründe „auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt“. Zwei Prüfungsschritte sind danach erforderlich:
8
a) Besteht Anlass, dass die im Straftatbestand aufgeführten Merkmale eines Regelbeispiels erfüllt sind, dann müssen die Urteilsgründe zunächst erkennen lassen, dass die rechtlichen Voraussetzungen des entsprechenden Merkmals geprüft wurden. Dieser erste Prüfungsschritt betrifft die Subsumtion unter ein gesetzliches Merkmal, die der vollen rechtlichen Prüfung durch das Revisionsgericht unterliegt.
9
b) Wird trotz Bejahung des Merkmals gleichwohl von der Regelwirkung abgesehen, so ist die Wahl des (milderen) Strafrahmens nachvollziehbar darzulegen. Dieser zweite Prüfungsschritt ist Teil der zuvorderst dem Tatrichter obliegenden Strafrahmenwahl, die nur eingeschränkt der revisionsgerichtlichen Prüfung zugänglich ist.
10
Insoweit gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: Zwar kann die indizielle Bedeutung des Regelbeispiels durch andere Strafzumessungsfaktoren kompensiert werden, doch müssen diese dann so schwer wiegen , dass die Anwendung des erschwerten Strafrahmens unangemessen erscheint. Ob dies so ist, kann der Strafrichter erst nach umfassender Abwägung aller Umstände entscheiden. Dabei dürfen jedenfalls die Umstände, welche das Regelbeispiel begründen, nicht unberücksichtigt bleiben; diese müssen vielmehr zunächst im Vordergrund der Abwägung stehen (BGH, Urteil vom 12. November 1996 - 1 StR 470/96; siehe auch Urteile vom 17. September 1997 - 2 StR 390/97; 9. August 2000 - 3 StR 133/00; 11. September 2003 - 4 StR 193/03, NStZ 2004, 265; 31. März 2004 - 2 StR 482/03, NJW 2004, 2394, 2395).
11
c) Die Wahl des erhöhten Strafrahmens bedarf hingegen - grundsätzlich - keiner weiteren Begründung, wenn das gesetzliche Merkmal des Regelbeispiels eines besonders schweren Falles erfüllt ist. Denn dann besteht eine gesetzliche Vermutung für einen gegenüber dem Normaltatbestand erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 603 mwN).
12
2. Das bedeutet für das gesetzliche Merkmal „in großem Ausmaß“ des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO:
13
a) Der Senat hat mit Urteil vom 2. Dezember 2008 (1 StR 416/08, BGHSt 53, 71) das Merkmal „großes Ausmaß“ ausgelegt und dafür folgende Betragsgrenzen bestimmt: Beschränkt sich das Verhalten des Täters darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und führt das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, dann ist das Merkmal bei einer Verkürzung in Höhe von 100.000 € erfüllt (Rn. 39, 41). Wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt hat, liegt die Betragsgrenze bei 50.000 € (Rn. 37).
14
b) Diese Bestimmung der Betragsgrenzen durch den Senat hat der Gesetzgeber in den Beratungen zu dem Entwurf des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes (BT-Drucks. 17/4182 und 17/4802) aufgegriffen. In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages (BT-Drucks. 17/5067 neu) ist zur Bestimmung der Betragsgrenze, ab welchem bei einer Selbstanzeige Straffreiheit nicht eintritt, unter Bezugnahme auf das Senatsurteil BGHSt 53, 71 ausgeführt (S. 21): „Die Betragshöhe orientiert sich an der Rechtsprechung des BGH zu dem Regelbeispiel des § 370 Absatz 3 Nummer 1 AO, wo das Merkmal großen Ausmaßes bei 50 000 Euro als erfüllt angesehen wird“. Damit hat der Gesetzgeber ersichtlich die Auslegung des Regelbeispiels durch den Senat gebilligt.
15
c) Jedenfalls in den Fällen, bei denen durch die nach dem 31. Dezember 2007 begangenen Taten Steuern in Höhe von 100.000 € und darüber verkürzt wurden, hätte die Strafkammer deshalb die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 als erfüllt ansehen müssen. Zudem hätten die Feststellungen zum Zusammenwirken innerhalb der Tätergruppe Anlass geben können, auch das Regelbeispiel Nr. 5 des § 370 Abs. 3 Satz 2 AO (Handeln als Mitglied einer Bande zur fortgesetzten Begehung von Steuerhinterziehungen ) zu prüfen.
16
3. Indem die Strafkammer das Regelbeispiel nicht geprüft hat, hat es sich den Blick dafür verstellt, bei der Wahl des Strafrahmens zu erörtern, ob die indizielle Bedeutung des Regelbeispiels durch andere - für den Angeklagten sprechende - Strafzumessungsfaktoren kompensiert wurde. Milderungsgründe, die so schwer wiegen könnten, dass die Anwendung des erschwerten Strafrahmens unangemessen erscheint, sind hier nicht in ausreichendem Maße dargetan.
17
a) Nach der Bewertung der Strafkammer „werden die Steuerschäden durch die Tatsache relativiert, dass ein Großteil durch die Angeklagten sowie die Firma L. wieder gut gemacht worden“ ist. Die vom Angeklagten „hinterzogenen Umsatzsteuern wurden mittlerweile vollständig beglichen“. Es bleibt allerdings offen, woher die Geldmittel hierzu stammen. Nach den Fest- stellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten und zu seinem Gewinn (mitgeteilt wird von der Strafkammer ein Rohertrag von 2 %; die Summe der für den Tatzeitraum aufgeführten Einkäufe liegt allerdings über den Erlösen während dieser Zeit) aus dem inkriminierten Handel mit Telefonkarten erscheint es ohne nähere Darlegungen kaum nachvollziehbar, dass er selbst zur Schadenswiedergutmachung in der Lage war. Im Übrigen ändert die Bezahlung der geschuldeten hinterzogenen Steuern nichts an der Indizwirkung der Überschreitung der 100.000 €-Grenze für besonders schwere Fälle. Denn hierbei ist schon berücksichtigt, dass es lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs kommt (Senat aaO Rn. 39).
18
b) Hier kommt indes erschwerend hinzu (vgl. Senat aaO Rn. 47), dass der Angeklagte besondere unternehmerische Strukturen aufgebaut hat, um seinen durchgehend steuerunehrlichen Handel zu betreiben, eingebunden in das „Tarnsystem“ eines grenzüberschreitenden, steuerunehrlichen Unterneh- mensgeflechts.
19
c) Dass die Nichtannahme des besonders schweren Falles selbst bei Bejahung des Merkmals „großes Ausmaß“ ein Wertungsfehler wäre, zeigt sich auch daran, dass ohne nähere Differenzierung zwischen den Tatbeteiligten neben dem Angeklagten fünf weitere Personen - rechtskräftig - ebenfalls nur aus dem Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO zu Bewährungsstrafen verurteilt wurden. Zwei dieser Verurteilten hinterzogen - gemeinsam - sogar 4.797.032 € an Umsatzsteuern. Sie wurden jeweils zu zwei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt , deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
20
4. Offen bleiben kann, ob - was freilich nahe liegt - ein weiterer Wertungsfehler darin liegt, dass sich sowohl die Einzelstrafen, wie auch die Ge- samtstrafe erheblich nach unten von ihrer Bestimmung lösen, gerechter Schuldausgleich zu sein.
21
Zur Bedeutung des Hinterziehungsbetrags für die Strafhöhenbemessung ist in der oben genannten Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages (BT-Drucks. 17/5067 neu, S. 21) ausgeführt: „Bei den Beratungen der geplanten Maßnahmen zur Verhinderung der Steuerhinterziehung waren sich alle Fraktionen in der Bewertung einig, dass Steuerhinterziehung kein Kavaliersdelikt sei und entsprechend bekämpft werden müsse. Die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP haben dabei betont … Eine Aussetzung der Freiheitsstrafe auf Bewährung bei Hinterziehung in Millionenhöhe sei nach einer Entscheidung des BGH nicht mehr möglich“.

III.


22
Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:
23
1. Bei der Staatsanwaltschaft - auch im Rahmen der Dienstaufsicht - hätte deshalb Anlass bestehen können zu prüfen, ob Handlungsbedarf gemäß Nr. 147 Abs. 1 Satz 3 RiStBV besteht. Eine etwaige Verständigung gemäß § 257c StPO hätte dem nicht entgegengestanden. Denn auch dann darf das Ergebnis nicht unterhalb „der Grenze dessen liegen, was noch als schuldan- gemessene Sanktion hingenommen werden kann“ (BGH, Beschluss vom 3. März 2005 - GSSt 1/04, BGHSt 50, 41, 50).
24
2. Erörtert das Gericht vor Beginn der Hauptverhandlung mit den Beteiligten den Stand des Verfahrens, so ist der wesentliche Inhalt dieser Erörterung aktenkundig zu machen (§§ 202a, 212 StPO). Über diese Gespräche hat der Vorsitzende zu Beginn der Hauptverhandlung auch zu berichten (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO) und dies ins Protokoll aufzunehmen (§ 273 Abs. 1a Satz 2 StPO). In den Urteilsgründen ist mitzuteilen, wenn der Verurteilung eine Verständigung gemäß § 257c StPO zugrunde lag267 Abs. 3 Satz 5 StPO). Im Protokoll ist aber auch zu vermerken, wenn dem Urteil keine Verständigung vorausging (§ 273 Abs. 1a Satz 3 StPO). Der Staatsanwalt ist gegebenenfalls gehalten, durch entsprechende Anregungen an das Gericht auf die Vermeidung von Protokollierungsfehlern oder -lücken hinzuwirken (vgl. Nr. 127 Abs. 1 Satz 1 RiStBV). Nack Wahl Rothfuß Hebenstreit Graf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 416/08
vom
2. Dezember 2008
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________
1. Die Berechnung der nach § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge
richtet sich in Fällen illegaler Beschäftigungsverhältnisse nach § 14 Abs. 2
Satz 2 SGB IV.
2. Zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehung.
BGH, Urt. vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08 - LG Landshut
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Dezember
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
der Angeklagte persönlich,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 21. April 2008 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte statt in 43 Fällen in 33 Fällen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt schuldig ist. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 48 Fällen, Beihilfe zur Steuerhinterziehung in vier Fällen und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 43 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten verurteilt. Die Revision des Beschwerdeführers , mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, führt lediglich zur Berichtigung eines offensichtlichen Schreibversehens in der Urteilsformel. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
Nach den Urteilsfeststellungen betrieb der Angeklagte als Einzelfirma ein Trockenbau-Unternehmen, das für verschiedene Auftraggeber als Subunternehmer tätig war. Aufgrund der Preisvorgaben der Auftraggeber war dem Angeklagten in den Jahren 2001 bis 2005 ein „auskömmliches Wirtschaften“ nur dadurch möglich, dass er den wesentlichen Teil seiner Arbeitnehmer „schwarz“ beschäftigte, ohne die Arbeitsverhältnisse den zuständigen Stellen zu melden und ohne für diese Personen Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Darüber hinaus erklärte er die Umsatzerlöse, die er aufgrund der Tätigkeit der nicht gemeldeten Arbeitnehmer erzielte, in den für die betreffenden Zeiträume abzugebenden Umsatzsteuervoranmeldungen und -jahreserklärungen nicht. Er wollte hierdurch die Abführung von Umsatzsteuern auf die unter Einsatz der illegal beschäftigten Arbeitnehmer erbrachten Leistungen vermeiden. Um andererseits den Auftraggebern zu ermöglichen, die an ihn als Subunternehmer geleisteten Zahlungen ertragsteuerlich als Betriebsausgaben ansetzen und umsatzsteuerlich einen Vorsteuerabzug geltend machen zu können , unterstützte der Angeklagte die Auftraggeber bei der Beschaffung sog. Abdeckrechnungen. Bei diesen Rechnungen handel te es sich um Scheinrechnungen mit gesondertem Vorsteuerausweis, mit denen unter dem Namen von Firmen, die tatsächlich nicht tätig geworden waren, Leistungen abgerechnet wurden. Die Abdeckrechnungen für die L. AG erstellte der Angeklagte selbst. Sowohl dem Angeklagten als auch seinen Auftraggebern war bewusst, dass die vorgeblichen Aussteller der Rechnungen die darin ausgewiesenen Umsatzsteuern weder anmelden noch an die Finanzbehörden abführen würden.
3
Insgesamt verkürzte der Angeklagte durch diese Vorgehensweise in den Jahren 2001 bis 2005 Umsatzsteuern in Höhe von mehr als 373.000 Euro sowie Lohnsteuer von 354.000 Euro und enthielt er den Einzugsstellen Gesamt- sozialversicherungsbeiträge in Höhe von mehr als 947.000 Euro vor, davon Arbeitnehmeranteile an der Sozialversicherung in Höhe von über 473.000 Euro. Zudem ermöglichte er durch das Ausstellen von Scheinrechnungen den Verantwortlichen der L. AG, in den Jahren 2001 bis 2004 in Umsatzsteuervoranmeldungen und -jahreserklärungen ungerechtfertigt Vorsteuern in einer Gesamthöhe von mehr als 220.000 Euro geltend zu machen.

II.

4
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch. Die Urteilsformel ist lediglich dahin zu berichtigen, dass der Angeklagte statt in 43 Fällen nur in 33 Fällen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) schuldig ist. Bei der Nennung von 43 Taten des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in der Urteilsformel handelt es sich um ein offensichtliches Verkündungsversehen ; dies ergibt sich zweifelsfrei aus den Urteilsgründen, die lediglich 33 Einzeltaten aufführen und diesen jeweils bestimmte Einzelstrafen zuordnen. Die Berichtigung kann der Senat selbst vornehmen (vgl. BGH NStZ 2000, 386; Kuckein in KK, 6. Aufl., § 354 Rdn. 20 m.w.N.).

III.

5
Die Strafzumessung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt enthält keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler. Auch der Schuldumfang - die Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge - ist zutreffend bestimmt.
6
1. Da die Strafkammer in den Urteilsgründen die Zahl der Einzeltaten zutreffend bestimmt hat, wirkt sich die Schuldspruchberichtigung auf den Strafausspruch nicht aus.
7
2. Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht bei den einzelnen Taten jeweils auch den zutreffenden Schuldumfang zugrunde gelegt. Dies gilt auch, soweit es in den Fällen D 10 bis D 33 der Urteilsgründe den Angeklagten wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) verurteilt hat. Das Landgericht hat hierbei die Höhe der den Einzugsstellen vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge unter Heranziehung der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bestimmt, indem es die an die illegal beschäftigten Arbeitnehmer gezahlten Löhne als Nettoarbeitsentgelt gewertet hat.
8
a) Die Schätzung der an die illegal beschäftigten Arbeitnehmer tatsächlich ausgezahlten Lohnsummen ist rechtlich nicht zu beanstanden. Da der Angeklagte über die Beschäftigung der bei den Einzugsstellen nicht angemeldeten Arbeitnehmer keine Aufzeichnungen führte, durfte das Landgericht die Höhe der an diese Personen gezahlten Löhne auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse schätzen (vgl. BGHSt 38, 186, 193; BGHR StGB § 266a Sozialabgaben 5; BGH wistra 2007, 220 f.). Dies waren hier insbesondere die vom Landgericht festgestellten Umsätze des Angeklagten mit den Auftraggebern , der Umstand, dass die Auftraggeber das erforderliche Material zur Verfügung stellten, und die Tatsache, dass es sich bei den vorgenommenen Arbeiten fast ausschließlich um Lohnarbeiten handelte (UA S. 19, 37). Angesichts dieser Erkenntnisse und des Umstandes, dass nach den Feststellungen des Landgerichts auch in anderen - mit den verfahrensgegenständlichen vergleichbaren - Fällen bei Arbeiten im Rahmen von Trockenbaumaßnahmen 60 Pro-zent der Rechnungssummen als Löhne ausgezahlt wurden, ist die Schätzung der ausgezahlten Lohnsummen auf 60 Prozent des Nettoumsatzes des Angeklagten mit seinen Auftraggebern aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl. auch BGH wistra 1983, 107, 108; OLG Düsseldorf wistra 1988, 123, 124).
9
b) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet auch, dass das Landgericht in den Fällen D 10 bis D 33 der Urteilsgründe, d.h. für die Beitragsmonate ab August 2002, die so ermittelten Lohnzahlungen nicht als Bruttolohn, sondern - wie sich aus den mitgeteilten Beträgen ergibt - als Nettoarbeitsentgelt gewertet und ausgehend hiervon anhand der jeweils gültigen Beitragssätze die der Einzugsstelle vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge errechnet hat. Diese Vorgehensweise rechtfertigt sich auch für das Strafrecht aus der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV, die zum 1. August 2002 in Kraft getreten ist (BGBl. I 2002, 2787 ff.).
10
aa) Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Rahmen des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vom 23. Juli 2002 (BGBl. I 2787 ff.) dem Umstand Rechnung getragen, dass bei illegaler Beschäftigung Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt werden. Er hat daher bestimmt, dass in solchen Fällen für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge zwischen den Beteiligten die Zahlung eines Nettoarbeitsentgelts als vereinbart gilt, weil dem Arbeitnehmer auch wirtschaftlich ein Nettoarbeitsentgelt zufließt (BTDrucks. 14/8221 S. 14). Neben der Beseitigung von Beweisschwierigkeiten zum Inhalt von Lohnvereinbarungen bei illegaler Beschäftigung (BTDrucks. aaO ) war die Verhinderung von Wettbewerbsvorteilen, die sich die Beteiligten von illegalen Beschäftigungsverhältnissen verschaffen, ein wesentliches Anliegen des Gesetzgebers bei der Schaffung des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit (BTDrucks. 14/8221 S. 11, 16).
11
bb) Bei der Regelung in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV handelt es sich um die Fiktion einer Nettolohnabrede für illegale Beschäftigungsverhältnisse, bei denen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt werden. Diese Fiktion greift unabhängig vom tatsächlichen Inhalt der Lohnvereinbarung ein. Das Arbeitsentgelt der Beschäftigten besteht daher in solchen Fällen aus dem als Nettolohn zu behandelnden Barlohn, der um die darauf entfallenden Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung zu erhöhen, d.h. zu einem Bruttolohn „hochzurechnen“ ist (§ 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IV). Denn Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge ist stets das Bruttoarbeitsentgelt (vgl. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; § 162 Nr. 1 SGB VI; § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII; § 342 SGB III; § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI i.V.m. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; BSGE 64, 110, 111 f.). Illegale Beschäftigung im Sinne der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV liegt nicht nur bei verbotenen Beschäftigungsverhältnissen (§ 134 BGB) vor, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber pflichtwidrig die für die Arbeitsverhältnisse vorgeschriebenen Meldungen nicht erstattet oder Beiträge für die versicherten Arbeitnehmer nicht zahlt. Der Gesetzgeber verwendet den Begriff der illegalen Beschäftigung als „Sammelbegriff für eine Vielzahl von Ordnungswidrigkeitstatbeständen oder Straftaten, von Verstößen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsrecht bis hin zu Verstößen gegen das Steuerrecht oder zum Leistungsmissbrauch“ (BTDrucks. 14/8221, S. 11).
12
cc) Mit Einführung der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV wurde die bis dahin geltende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts , nach der bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen mit Schwarzlohnabreden der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge eine Bruttolohnvereinbarung zu Grunde zu legen ist (vgl. BGHSt 38, 285; BGH wistra 1993, 148 f.; BSGE 64, 110 ff.), für den Bereich des Sozialversicherungsrechts durch einen "Federstrich des Gesetzgebers" obsolet (BTDrucks. 15/726 S. 3 f.). Überzeugende Gründe, die Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Strafrecht nicht anzuwenden und für die Bestimmung der Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge im Sinne des § 266a StGB weiterhin an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, bestehen angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht.
13
(1) Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts (vgl. BGH und BSG aaO) bezeichnet als maßgeblichen gegen die Annahme einer Nettolohnvereinbarung bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen sprechenden Gesichtspunkt, dass die Abrede eines Schwarzlohns gerade beinhalte, dass Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt werden sollen. Die wesentliche Rechtsfolge einer Nettolohnvereinbarung - die Befreiung des Arbeitnehmers von seiner Lohnsteuerpflicht und seiner Beitragslast zu Lasten des Arbeitgebers - werde daher von den Parteien des illegalen Beschäftigungsverhältnisses nicht angestrebt (BGH wistra 1993, 148 m.w.N.; BSGE 64, 110, 114 f., 116); vielmehr wolle in solchen Fällen gerade auch der Arbeitgeber im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis keine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abführen. Eine derartige Vereinbarung führt zwar zur Nichtigkeit der Schwarzlohnabrede, nicht aber zu der des gesamten Beschäftigungsverhältnisses (vgl. BAGE 105, 187, 191 ff.). Die sich wegen der Nichtigkeit der Schwarzlohnabrede stellende und „früher streitige Frage, ob bei derartigen Zahlungen unter der Hand von Brutto- oder Nettolöhnen auszugehen ist“ (BTDrucks. 15/726 S. 3 f.), hat der Gesetzgeber nun mit der in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV normierten Fiktion einer Nettolohnvereinbarung eindeutig und abschließend geklärt (BTDrucks. aaO).
14
(2) Der Schuldumfang bei Straftaten der Beitragsvorenthaltung gemäß § 266a StGB im Rahmen von illegalen, aber versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bestimmt sich nach dem nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben zu ermittelnden Bruttoentgelt und der hieran anknüpfenden Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge. Vorenthalten im Sinne von § 266a StGB sind die nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften tatsächlich geschuldeten Beiträge. Denn der Straftatbestand des § 266a StGB ist sozialrechtsakzessorisch ausgestaltet (BGHSt 47, 318 f.; 51, 125, 128 m.w.N.; 52, 67, 70). Der Umfang der abzuführenden Beiträge bestimmt sich daher, wie die Abführungspflicht selbst, nach materiellem Sozialversicherungsrecht. Ein entgegenstehender Wille der Vertragsparteien des Beschäftigungsverhältnisses ist im Strafrecht ebenso unbeachtlich wie im Sozialversicherungsrecht. Für die Beurteilung, ob ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt, sind allein die tatsächlichen Gegebenheiten maßgeblich. Liegt danach ein Arbeitsverhältnis vor, können die Vertragsparteien die sich hieraus ergebenden Beitragspflichten nicht durch eine abweichende vertragliche Gestaltung beseitigen (vgl. BGH NStZ 2001, 599, 600). Nach den tatsächlichen Verhältnissen bemessen sich auch die Sozialversicherungsbeiträge. Dabei entspricht die Lohnzahlung aufgrund einer Schwarzlohnabrede nach der Wertung des Gesetzgebers bei Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dem Nettoarbeitsentgelt eines legalen Beschäftigungsverhältnisses (BTDrucks. 14/8221 S. 14). Eine rechtmäßige Vereinbarung, nach der dem Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte Entgelt verbleibt, ohne dass hierfür Sozialversicherungsbeiträge aus einem nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ermittelten Bruttoentgelt berechnet werden, kann nicht getroffen werden.

15
(3) Der Umstand, dass der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV, mit der dem Phänomen der illegalen Beschäftigung entgegengewirkt werden soll (vgl. BTDrucks. 15/726 S. 3 f.), im Ergebnis Sanktionscharakter zukommt (vgl. Klattenhoff in Hauck/Noftz SGB, 38. Lfg. 2003, § 14 SGB IV Rdn. 43 Fußnote 194), steht der Anwendung dieser Norm bei der Bestimmung des Umfangs der im Sinne von § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge nicht entgegen. Zwar bezweckt diese Vorschrift auch, den Arbeitgeber von einer Schwarzlohnabrede abzuhalten (vgl. BAGE 105, 187, 194). Jedoch ist dies nicht alleiniger Zweck der Vorschrift. Vielmehr soll § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV Beweisschwierigkeiten beseitigen und der wirtschaftlichen Situation bei einer Schwarzlohnabrede Rechnung tragen (BTDrucks. 14/8221 S. 14). Damit hat die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV einen materiellen Regelungsgehalt und nicht den Charakter eines Säumnis- oder Verspätungszuschlages oder eines Zwangsgelds (vgl. dazu BGHSt 43, 381, 400 ff.).
16
(4) Der Senat verkennt nicht, dass die Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Rahmen der Strafnorm des § 266a StGB zur Folge hat, dass insoweit ein anderes Bruttoentgelt zugrunde zu legen ist als bei der Bestimmung des Verkürzungsumfangs der bei Schwarzlohnabreden zumeist ebenfalls verwirklichten Hinterziehung von Lohnsteuer (vgl. Heitmann in MüllerGugenberger /Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. 2006, § 36 Rdn. 26; Boxleitner in Wabnitz/Janovsky, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 3. Aufl. 2007, Kap. 17 Rdn. 59 Fn. 89). Von der Schaffung einer der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV entsprechenden Norm im Steuerrecht hat der Gesetzgeber aber wegen des dort geltenden Zuflussprinzips bewusst abgesehen (BTDrucks. 15/2948 S. 7, 20). Demgegenüber gilt im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich das Entstehungsprinzip (§ 22 Abs. 1 SGB IV, BGHSt 47, 318, 319; vgl. auch BSGE 41, 6, 11; 54, 136 ff.; 59, 183, 189; 75, 61, 65), das auch bei der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV Anwendung findet (einschränkend Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 57. Ergän-zungslieferung 2008 SGB IV § 14 Rdn. 139; vgl. aber BAGE 105, 187, 191 ff.). Diese Unterschiede zwischen Lohnsteuer und Sozialabgaben rechtfertigen auch für das Strafrecht eine unterschiedliche Bemessungsgrundlage für die Hinterziehung von Lohnsteuer einerseits und das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen andererseits (vgl. BGHSt 47, 318, 319 zu § 266a StGB: „unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird“).
17
(5) Der Umstand, dass die Fiktion einer Nettolohnvereinbarung gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV zu einem Bruttoarbeitsentgelt führen kann, das den Wert der Arbeitsleistung übersteigt (vgl. BSGE 64, 110, 117; Boxleitner aaO Kap. 17 Rdn. 59), steht der Anwendung der Vorschrift § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bei der Bemessung der im Sinne von § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ebenfalls nicht entgegen. Auch insoweit ist zu berücksichtigen , dass eine rechtmäßige Vereinbarung, nach der dem Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte Entgelt verbleibt, ohne dass hierfür Sozialversicherungsbeiträge aus einem nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ermittelten Bruttoentgelt berechnet werden, nicht getroffen werden kann (vgl. oben [2]). Die strafrechtliche Verantwortlichkeit wird in diesem Zusammenhang lediglich durch die dem Straftatbestand des § 266a StGB als echtem Unterlassungsdelikt immanente Tatbestandsvoraussetzung beschränkt, dass dem Arbeitgeber die Erfüllung der Handlungspflicht möglich und zumutbar sein muss (BGHSt 47, 318, 320). An der Zumutbarkeit der Zahlung der gegenüber der legalen Beschäftigung erhöhten Sozialversicherungsbeiträge bestehen hier keine Zweifel, denn der Angeklagte verschaffte sich durch die Schwarzlohnabrede wirtschaftliche Vorteile im Wettbewerb gegenüber legal tätigen Arbeitgebern.

18
(6) Auch gegen die Berechnung des Bruttoarbeitsentgelts auf der Grundlage der Lohnsteuerklasse VI bestehen im vorliegenden Fall keine Bedenken (vgl. Boxleitner aaO Kap. 17 Rdn. 59 und SG Dortmund, Urt. vom 8. September 2008 - S 25 R 129/06 - BeckRS 2008 57420). Nach § 39c EStG ist diese Steuerklasse zu Grunde zu legen, wenn bei einem Arbeitsverhältnis die Lohnsteuerkarte dem Arbeitgeber nicht vorgelegt wird. Bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen besteht regelmäßig kein Grund zu der Annahme, dass die Arbeitnehmer dem Arbeitgeber ihre Lohnsteuerkarte vorgelegt haben. Mangels erkennbarer Anhaltspunkte für eine andere Handhabung ergibt sich hier auch aus dem Zweifelsgrundsatz nichts anderes (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36 m.w.N.).

IV.

19
Auch die tatrichterliche Strafhöhenbemessung wegen Steuerhinterziehung ist rechtsfehlerfrei. Die dem angefochtenen Urteil insoweit zugrunde liegenden Strafzumessungserwägungen tragen den nachfolgend dargelegten Kriterien Rechnung, die bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung Anwendung finden müssen:
20
1. Grundlage für die Zumessung der Strafe ist bei einer Steuerhinterziehung - wie bei jeder anderen Straftat auch - die persönliche Schuld des Täters. Dabei sind auch die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 StGB). § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB bestimmt, dass bei der Zumessung der Strafe die Umstände gegeneinander abzuwägen sind, die für und gegen den Täter sprechen. Dabei kommen namentlich die in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB genannten Umstände in Betracht.

21
2. Bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung hat das von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgegebene Kriterium der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung besonderes Gewicht. „Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut. Das durch § 370 AO geschützte Rechtsgut ist die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs, d.h. des rechtzeitigen und vollständigen Steueraufkommens (vgl. BGHSt 36, 100, 102; 40, 109, 111; 41, 1, 5; 46, 107, 120). Deshalb ist die Höhe der verkürzten Steuern ein bestimmender Strafzumessungsumstand i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. auch BGH wistra 1998, 269, 270).
22
Das gilt nicht nur für die Strafrahmenwahl (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO), sondern auch für die konkrete Strafzumessung in dem - wie hier vom Landgericht - zugrunde gelegten Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO. Dass der Hinterziehungsbetrag nicht nur ein bestimmender Strafzumessungsfaktor, sondern darüber hinaus, dann wenn er hoch ist, ein auch für die konkrete Strafzumessung gewichtiger Strafschärfungsgrund ist, zeigt insbesondere die gesetzgeberische Wertung in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO.
23
Schon die bis Ende des Jahres 2007 - und damit noch zur Tatzeit geltende - Fassung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO hob die Höhe des Hinterziehungsbetrags als einen Umstand heraus, der zur Verschärfung des Strafrahmens führen konnte. Danach war in der Regel ein nur mit Freiheitsstrafe (von sechs Monaten bis zu zehn Jahren) bedrohter besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung gegeben, wenn der Täter „aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt“. Zwar musste nach der früheren Fassung für die Erfüllung des Regelbeispiels zu dem objektiven Merkmal „in großem Ausmaß“ noch das subjektive Merkmal „aus grobem Eigennutz“ hinzukommen, gleichwohl hatte der Gesetzgeber schon damals zum Ausdruck gebracht, dass die Strafhöhenbemessung maßgeblich auch von der Höhe des Hinterziehungsbetrags bestimmt wird.
24
3. Auch wenn der Hinterziehungsbetrag ein bestimmender Strafzumessungsgrund für die Steuerhinterziehung ist, kann allein dessen Ausmaß für die Strafhöhenbemessung nicht in dem Sinne ausschlaggebend sein, dass die Strafe gestaffelt nach der Höhe des Hinterziehungsbetrags schematisch und quasi „tarifmäßig“ verhängt wird. Jeder Einzelfall ist vielmehr nach den von § 46 StGB vorgeschriebenen Kriterien zu beurteilen.
25
Das schließt indes nicht aus, die Strafhöhe an den vom Gesetzgeber auch in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO vorgegebenen Wertungen auszurichten. Das gilt auch für die konkrete Strafzumessung innerhalb des gefundenen Strafrahmens , und zwar auch beim Normalstrafrahmen des § 370 Abs. 1 AO. Gerade auch bei der Bemessung der schuldangemessenen Strafe kommt dem Merkmal „großes Ausmaß“ Bedeutung zu, weil es aufzeigt, wann der Gesetzgeber eine Freiheitsstrafe (mit erhöhtem Mindestmaß) für angebracht hält. Dazu bedarf das Merkmal einer näheren Konturierung.
26
Der Senat ist der Ansicht, dass insoweit vergleichbare Kriterien wie für das wortgleiche Merkmal in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB (auf das auch § 263a Abs. 2, § 266 Abs. 2 StGB verweisen) zur Anwendung kommen müssen.
27
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 48, 360; BGH wistra 2004, 262, 263; StV 2007, 132) erfüllt ein Vermögensverlust von mehr als 50.000 € beim Regelbeispiel des besonders schweren Falles des Betrugs (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB) das Merkmal „in großem Ausmaß“. Dazu hatte der Senat in BGHSt 48, 360 ausgeführt: „Der Begriff des Vermögensverlustes großen Ausmaßes ist nach objektiven Gesichtspunkten zu bestimmen … Die Abgrenzung, die sich für § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB wertmäßig an einem Vermögensverlust in Höhe von 50.000 € ausrichtet, schafft für die Praxis Rechtssicherheit. Im Einzelfall bleibt genügend Spielraum für eine gerechte Straffindung. Der Tatrichter hat ohnehin im Rahmen einer Gesamtbetrachtung auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des Regelbeispiels zu bewerten, ob tat- oder täterbezogene Umstände vorliegen, die die Indizwirkung des Regelbeispiels aufheben und trotz seiner Verwirklichung zur Verneinung eines besonders schweren Falles führen können, oder ob auch ohne dass dieses Regelbeispiel erfüllt ist besondere Umstände einen unbenannten besonders schweren Fall zu begründen vermögen oder etwa ein anderes benanntes Regelbeispiel anzunehmen ist.“
28
b) Das vergleichbare Merkmal des „großen Ausmaßes“ im Sinne des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO hat der Bundesgerichtshof bislang nicht - wie beim Betrug - betragsmäßig bestimmt. Das lag in erster Linie daran, dass bei der früheren Gesetzesfassung - zu der die Entscheidungen ergangen sind - die objektive Komponente („großes Ausmaß“) mit der subjektiven Komponente („aus grobem Eigennutz“) verknüpft war, so dass eine eigenständige Auslegung nur des Merkmals „großes Ausmaß“ nicht veranlasst war.
29
Wegen der Verknüpfung von objektivem und subjektivem Merkmal hatte der Bundesgerichtshof eine Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände gefordert (vgl. BGH wistra 1993, 109,110). Von Bedeutung war dabei insbesondere, ob sich das Ausmaß aus dem noch durchschnittlich vorkommen- den Verkürzungsumfang heraushebt und ob ein „Täuschungsgebäude großen Ausmaßes“ vorliegt (vgl. BGH wistra 1987, 71, 72).
30
Auch in der Kommentarliteratur finden sich bisher sehr unterschiedliche und daher keine hinreichend klaren Maßstäbe für eine Grenzziehung. Während überwiegend - indes unter Geltung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO aF - für die Annahme des „großen Ausmaßes“ eine Hinterziehung in Millionenhöhe für erforderlich erachtet wurde (Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 270; Klein/Gast-de Haan, AO 9. Aufl. § 370 Rdn. 68; Scheurmann -Kettner in Koch/Scholz, AO 5. Aufl. § 370 Rdn. 59), finden sich in der neueren Literatur Stimmen, die eine Steuerhinterziehung „in großem Ausmaß“ bereits ab einem Mindestbetrag von 50.000 € für möglich erachten (Kohlmann, Steuerstrafrecht 38. Lfg. August 2008 § 370 AO Rdn. 1099.7; Schäfer /Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 1022). Demgegenüber nehmen andere Autoren auch für die neue Fassung des Merkmals ein „großes Ausmaß“ erst bei einem Betrag von 500.000 € (Blesinger in Kühn/v. Wedelstädt, AO und FGO, 19. Aufl. § 370 AO Rdn. 114) oder einer Hinterziehung in Millionenhöhe an (Rolletschke in Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen , 87. Ergänzungslieferung § 370 AO Rdn. 169) und halten teilweise auch weiterhin auch für die Bejahung des Merkmals eine Gesamtschau aller Umstände für erforderlich (Rolletschke in Stbg 2008, 49 und in Rolletschke/ Kemper aaO).
31
c) Das Merkmal „in großem Ausmaß“ im Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO bedarf nach Ansicht des Senats - in gleicher Weise wie beim Betrug - der Interpretation durch die Gerichte. Nur dann erhält das Merkmal seine den Anforderungen der Rechtssicherheit gerecht werdenden Konturen. Für eine Vergleichbarkeit mit dem Betrug spricht auch, dass der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in BGHSt 50, 299, 309 zu Recht ausgeführt hat, es sei geboten, „dem drohenden Ungleichgewicht zwischen der Strafpraxis bei der allgemeinen Kriminalität und der Strafpraxis in Steuer- und Wirtschaftsstrafverfahren entgegenzutreten und dem berechtigten besonderen öffentlichen Interesse an einer effektiven Strafverfolgung schwerwiegender Wirtschaftskriminalität gerecht zu werden.“
32
Dass der Gesetzgeber nicht selbst bestimmt hat, wann bei der Prüfung des Regelbeispiels von einem großen Ausmaß auszugehen ist, steht einer verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen. Anders mag das etwa bei der Verwendung des Begriffs des großen Ausmaßes als Tatbestandsmerkmal eines Verbrechenstatbestandes sein (vgl. zu dem inzwischen aufgehobenen § 370a AO: BGH wistra 2004, 393 ff.; 2005, 30 ff.). Wie beim Begriff des Vermögensverlustes großen Ausmaßes im Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall des Betruges in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB ist der Begriff des großen Ausmaßes auch in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO in erster Linie nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Zwar ist anerkannt, dass die Auslegung tatbestandsspezifisch zu erfolgen hat; gleichwohl ist bei von der Begehungsweise und vom Unwertgehalt ähnlichen Delikten wie dem Betrug und der Steuerhinterziehung eine einheitliche Grenzziehung in Betracht zu ziehen (vgl. BGHSt 48, 360, 364).
33
Dem steht nicht entgegen, dass sich, anders als bei der Einführung des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB (vgl. BTDrucks. 13/8587 S. 43), in den Materialien zur Gesetzesentstehung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO nF keine Anhaltspunkte dafür finden, ab welchem Grenzwert der Gesetzgeber eine Steuerhinterziehung von „großem Ausmaß“ als gegeben erachtet. Begründet wird lediglich die Streichung des einschränkenden subjektiven Merkmals des „groben Eigennutzes“ (BTDrucks. 16/5846 S. 75). Dass der Gesetzgeber hierbei an die Rechtsprechung anknüpfen wollte, die den Begriff des „großen Ausmaßes“ in den § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB konkretisierte, kann daher nicht ohne weiteres angenommen werden. Allerdings wollte der Gesetzgeber bereits mit der Einführung des § 370 Abs. 3 AO zum Ausdruck bringen, dass die Steuerhinterziehung „hinsichtlich ihrer Gefährlichkeit und ihrer Strafwürdigkeit nicht geringer zu bewerten ist als der Betrug“ (BGHSt 32, 95, 99 mit Hinweis auf BRDrucks. 23/71 S. 194).
34
d) Der Senat ist daher der Ansicht, dass das Merkmal „in großem Ausmaß“ des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO wie beim Betrug nach objektiven Maßstäben zu bestimmen ist. Das Merkmal „in großem Ausmaß“ liegt danach nur dann vor, wenn der Hinterziehungsbetrag 50.000 € übersteigt.
35
aa) Der Senat hat dabei auch bedacht, dass bei großen Geschäftsvolumina Steuerschäden in dieser Größenordnung schneller erreicht werden als bei wirtschaftlicher Betätigung im kleineren Umfang, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung regelmäßig bereits bei Gefährdung des Steueraufkommens verwirklicht wird (vgl. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO), dass die Tatbestandsmäßigkeit weder direkten Vorsatz noch Bereicherungsabsicht voraussetzt und dass regelmäßig auch die bloße Untätigkeit den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt, weil die Abgabe von Steuererklärungen gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO).
36
Gleichwohl lassen derartige „qualitative“ Besonderheiten des Einzelfalls die Erfüllung des Ausmaßes der Steuerverkürzung unberührt, da solche Umstände die Auswirkungen der Tat auf das Steueraufkommen nicht verändern. Schutzgut des Straftatbestandes der Steuerhinterziehung ist - wie oben ausge- führt - das öffentliche Interesse am vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen jeder einzelnen Steuerart. Im Übrigen schafft eine Abgrenzung, die sich an einer eindeutigen Betragsgrenze ausrichtet, größere Rechtssicherheit für die Praxis. Eine solche Relation von Geschäftsvolumen und Steuerschaden kann allerdings das Gewicht des Hinterziehungsbetrags bei der Strafzumessung vermindern.
37
bb) Der Umstand, dass sich die Betragsgrenze von 50.000 € an derjenigen des Vermögensverlustes großen Ausmaßes im Sinne von § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB orientiert, bedeutet zugleich, dass - ähnlich wie beim Betrug - zwischen schon eingetretenem Vermögensverlust und einem Gefährdungsschaden zu differenzieren ist:
38
(1) Die Betragsgrenze von 50.000 € kommt namentlich dann zur Anwendung , wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt hat, etwa bei Steuererstattungen durch Umsatzsteuerkarusselle, Kettengeschäfte oder durch Einschaltung von sog. Serviceunternehmen. Ist hier - der „Steuerbetrug“ hat zu einem „Vermögensverlust“ geführt - diese Wertgrenze überschritten, dann ist das Merkmal erfüllt.
39
(2) Beschränkt sich das Verhalten des Täters dagegen darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und führt das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, dann kann das „große Ausmaß“ höher angesetzt werden. Der Senat hält hierbei eine Wertgrenze von 100.000 € für angemessen.
40
cc) Ob die Schwelle des „großen Ausmaßes“ überschritten ist, ist für jede einzelne Tat im materiellen Sinne gesondert zu bestimmen. Dabei genügt derjenige Erfolg, der für die Vollendung der Steuerhinterziehung ausreicht (vgl. Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 268). Der Senat ist der Ansicht, dass bei mehrfacher tateinheitlicher Verwirklichung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung das „Ausmaß“ des jeweiligen Taterfolges zu addieren ist, da in solchen Fällen eine einheitliche Handlung im Sinne des § 52 StGB vorliegt, die für die Strafzumessung einer einheitlichen Bewertung bedarf.
41
e) Liegt nach diesen Maßstäben eine Hinterziehung von „großem Ausmaß“ vor, so hat dies - unabhängig von der Frage, ob die Regelwirkung einer besonders schweren Steuerhinterziehung im konkreten Fall zur Anwendung kommt - „Indizwirkung“, freilich auch nicht mehr, für die zu findende Strafhöhe. Das bedeutet:
42
Jedenfalls bei einem sechsstelligen Hinterziehungsbetrag wird die Verhängung einer Geldstrafe nur bei Vorliegen von gewichtigen Milderungsgründen noch schuldangemessen sein. Bei Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe kommt eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 176, 178).
43
Schon deswegen wird bei der letztgenannten Fallgestaltung (Millionenbetrag ) ein Strafbefehlsverfahren regelmäßig nicht geeignet erscheinen (vgl. § 400 AO i.V.m. § 407 StPO). Hinzu kommt, dass bei Steuerverkürzungen in dieser Größenordnung in der Regel auch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Wahrung der Gleichbehandlung vor Gericht - das eine öffentliche Haupt- verhandlung am besten gewährleistet - nicht gering zu achten ist (vgl. § 407 Abs. 1 Satz 2 StPO).
44
f) Die „Indizwirkung“ des „großen Ausmaßes“ kann einerseits durch sonstige Milderungsgründe beseitigt, andererseits aber auch durch Strafschärfungsgründe verstärkt werden.
45
aa) Ein die Indizwirkung des Hinterziehungsbetrages beseitigender Milderungsgrund ist etwa gegeben, wenn sich der Täter im Tatzeitraum im Wesentlichen steuerehrlich verhalten hat und die Tat nur einen verhältnismäßig geringen Teil seiner steuerlich relevanten Betätigungen betrifft. Bedeutsam ist daher das Verhältnis der verkürzten zu den gezahlten Steuern. Hat sich der Täter vor der Tat über einen längeren Zeitraum steuerehrlich verhalten, ist auch dies in den Blick zu nehmen. In die vorzunehmende Gesamtwürdigung ist auch die Lebensleistung und das Verhalten des Täters nach Aufdeckung der Tat einzubeziehen , etwa ein (frühzeitiges) Geständnis, verbunden mit der Nachzahlung verkürzter Steuern oder jedenfalls dem ernsthaften Bemühen hierzu. Der „Schadenswiedergutmachung“ durch Nachzahlung verkürzter Steuern kommt schon im Hinblick auf die Wertung des Gesetzgebers im Falle einer Selbstanzeige (§ 371 AO) besondere strafmildernde Bedeutung zu.
46
bb) Gegen eine Geldstrafe oder - bei entsprechend hohem Hinterziehungsbetrag - eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe spricht es insbesondere, wenn der Täter Aktivitäten entfaltet hat, die von vornherein auf die Schädigung des Steueraufkommens in großem Umfang ausgelegt waren, etwa weil der Täter unter Vorspiegelung erfundener Sachverhalte das „Finanzamt als Bank“ betrachtete und in erheblichem Umfang ungerechtfertigte Vorsteuererstattungen erlangt hat oder weil der Täter die Steuerhinterziehung in sonstiger Weise ge- werbsmäßig oder gar „als Gewerbe“ betrieb. Gleiches gilt auch für den Aufbau eines aufwändigen Täuschungssystems, die systematische Verschleierung von Sachverhalten und die Erstellung oder Verwendung unrichtiger oder verfälschter Belege zu Täuschungszwecken.
47
Strafschärfende Bedeutung hat es zudem, wenn der Täter besondere Unternehmensstrukturen aufgebaut hat, die auch der Bereicherung durch Steuerhinterziehung dienen sollten, wenn der Täter das Ziel verfolgt hat, das Steueraufkommen durch wiederholte Tatbegehung über einen längeren Zeitraum nachhaltig zu schädigen, wenn er andere Personen verstrickt hat, wenn er systematisch Scheingeschäfte getätigt oder Scheinhandlungen vorgenommen hat (vgl. § 41 Abs. 2 Satz 1 AO) oder wenn er in größerem Umfang buchtechnische Manipulationen vorgenommen oder gezielt durch Einschaltung von Domizilfirmen im Ausland oder Gewinnverlagerungen ins Ausland schwer aufklärbare Sachverhalte geschaffen hat (vgl. auch die Beispiele bei Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 1018 m.w.N.). Solche Umstände sind bei anpassungsfähigen Hinterziehungssystemen, wie etwa den sog. Umsatzsteuerkarussellgeschäften, bei Kettengeschäften unter Einschaltung sog. „Serviceunternehmen“ und im Bereich der illegalen Arbeitnehmerüberlassungen regelmäßig gegeben (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 176, 178).
48
4. Für Steuerhinterziehungen, die seit dem 1. Januar 2008 - dem Inkrafttreten der neuen Fassung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO durch das Gesetz zur Änderung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmethoden sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG v. 21. Dezember 2007 (BGBl. I 3198) - begangen wurden, kommt der Streichung des subjektiven Merkmals „aus grobem Eigennutz“ aus dem Regelbeispiel zusätzliches Gewicht zu. Hier erfüllt schon das objektive Merkmal „großes Aus- maß“ - wie es oben vom Senat bestimmt wurde - das Regelbeispiel des besonders schweren Falles des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO.
49
Die Bejahung bzw. Verneinung des Regelbeispiels in einem ersten Prüfungsschritt bei der Strafrahmenwahl bedeutet freilich, dass - wie bei sonstigen Regelbeispielen - in einem zweiten Schritt zu prüfen ist, ob die Besonderheiten des Einzelfalls die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräften, bzw. ob - umgekehrt - ein unbenannter besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung vorliegt , obwohl der Hinterziehungsbetrag unter 50.000 € liegt.
50
Insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze für die Strafrahmenwahl bei Regelbeispielen. Danach entfällt die Regelwirkung, wenn diese Faktoren jeweils für sich oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, dass sie bei der Gesamtabwägung die Regelwirkung entkräften. Es müssen in dem Tun oder in der Person des Täters Umstände vorliegen, die das Unrecht seiner Tat oder seiner Schuld deutlich vom Regelfall abheben, so dass die Anwendung des erschwerten Strafrahmens unangemessen erscheint (ständige Rspr.; vgl. BGHSt 20, 121, 125). Für die hierbei vorzunehmende Gesamtabwägung haben namentlich die oben genannten Milderungs- und Schärfungsgründe Gewicht.
51
5. Gemessen daran sind die dem Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO entnommenen Einzelstrafen und die Gesamtstrafe rechtsfehlerfrei. Das Landgericht hat zu Recht den hohen Steuerschäden das ihnen zukommende Gewicht beigemessen. Namentlich die beiden Einsatzstrafen von jeweils einem Jahr und drei Monaten für die Umsatzsteuerhinterziehungen 2002 und 2003 mit hinterzogenen Steuern in Höhe von jeweils über 150.000 € werden den oben genannten Strafzumessungskriterien gerecht.

V.

52
Die Revision bemängelt, das Landgericht habe sowohl bei der Beitragsals auch bei der Steuerhinterziehung einerseits die Höhe der durch die Taten verursachten Schäden zu Lasten des Angeklagten gewertet, andererseits aber strafmildernd berücksichtigt, dass die Schäden ausgeglichen worden seien. Hiergegen ist jedoch nichts zu erinnern. Diese Strafzumessungserwägungen erweisen sich nicht als widersprüchlich. Gemäß § 46 Abs. 2 StGB sind sowohl die verschuldeten Folgen der Tat als auch die Schadenswiedergutmachung strafzumessungsrelevante Faktoren. Bei einer nachträglichen Schadenswiedergutmachung ist das Landgericht nicht gehalten, den Umfang der zunächst hinterzogenen Steuern und den Umfang der den Einzugsstellen zunächst vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen der Strafzumessung unberücksichtigt zu lassen.

VI.

53
Die Versagung der Strafaussetzung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten zur Bewährung hält rechtlicher Nachprüfung noch stand.
54
Allerdings weist die Revision mit Recht darauf hin, dass auch bei der gemäß § 56 Abs. 2 StGB vom Tatgericht vorzunehmenden Prüfung, ob die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, die ein Jahr übersteigt, zur Bewährung ausgesetzt werden kann, der Kriminalprognose des Täters Bedeutung zukommt. Denn die Prüfung, ob besondere Umstände von Gewicht im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, erfordert eine Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des Verurteilten. Zu den dabei zu berücksichtigenden Umständen gehört auch eine günstige Kriminalprognose (vgl. BGH StV 2003, 670; BGH NStZ 1997, 434; jeweils m.w.N.). Es wäre daher rechtsfehlerhaft, die Frage der Kriminalprognose als von vornherein für die Gesamtwürdigung bedeutungslos dahinstehen zu lassen (vgl. BGH, Beschl. vom 11. Dezember 2002 - 1 StR 454/02). Anders verhält es sich aber dann, wenn das Tatgericht die Gesamtwürdigung auch auf der Basis einer günstigen Kriminalprognose durchführt und dabei zum Ergebnis gelangt, dass selbst unter dieser Prämisse besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB nicht vorliegen. Bei einem solchen Vorgehen wird die Kriminalprognose des Täters nicht als bedeutungslos angesehen ; sie hat aber im konkreten Fall auf das Ergebnis der Gesamtwürdigung keine für den Verurteilten günstigen Auswirkungen.
55
So liegt der Fall hier. Die Strafkammer hatte zwar im Hinblick auf die einschlägige Vorstrafe des Angeklagten und seinen Bewährungsbruch erhebliche Zweifel daran, dass sich der Angeklagte schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (UA S. 43). Aus dem Gesamtzusammenhang der vom Landgericht insoweit angestellten Erwägungen ergibt sich aber, dass es im Rahmen der durchgeführten Gesamtwürdigung auch unter Berücksichtigung einer günstigen Kriminalprognose zum Fehlen besonderer Umstände gelangt ist. Der Senat entnimmt der missverständlichen Formulierung in den Urteilsgründen , die Frage der Kriminalprognose könne „letztlich“ offen bleiben, nicht, die Strafkammer habe diese Frage für die nach § 56 Abs. 2 StGB als von vornherein unbeachtlich gehalten.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 627/08
vom
17. März 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
______________________
Bei der Hinterziehung von Umsatzsteuern bemisst sich der Umfang der verkürzten
Steuern oder erlangten Steuervorteile auch dann nach deren Nominalbetrag, wenn
die Tathandlung in der pflichtwidrigen Nichtabgabe oder der Abgabe einer unrichtigen
Umsatzsteuervoranmeldung im Sinne von § 18 Abs. 1 UStG liegt. Der Umstand,
dass in solchen Fällen im Hinblick auf die Verpflichtung zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung
(§ 18 Abs. 3 UStG) zunächst nur eine Steuerhinterziehung „auf
Zeit“ gegeben ist, führt nicht dazu, dass der tatbestandsmäßige Erfolg lediglich in der
Höhe der Hinterziehungszinsen zu erblicken wäre.
Zur Strafzumessung bei Tatserien.
BGH, Urt. vom 17. März 2009 - 1 StR 627/08 - LG Nürnberg-Fürth
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
17. März 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14. Juli 2008 im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den umfassend geständigen Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 59 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren , deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat, und zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen verurteilt. Die Einzelstrafen hat das Landgericht im Hinblick auf eine „rezidivierende depressive Störung“ des Angeklagten jeweils dem nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO entnommen; von der Bildung einer einheitlichen Gesamtfreiheitsstrafe hat es gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB abgesehen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklag- ten eingelegten und auf den Strafausspruch beschränkten Revision. Sie beanstandet im Wesentlichen, dass das Landgericht hinsichtlich der Taten der Lohnsteuerhinterziehung sowie der Steuerhinterziehung durch Unterlassen der Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen statt kurzer Freiheitsstrafen (§ 47 Abs. 1 StGB) lediglich Geldstrafen verhängt und bei der Gesamtstrafenbildung keine einheitliche Gesamtfreiheitsstrafe festgesetzt hat. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
1. Nach den Urteilsfeststellungen betrieb der Angeklagte seit dem Jahr 1999 als Einzelfirma einen Pizzalieferservice mit Filialen in Nürnberg, Fürth und Erlangen. Im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit entnahm er in den Jahren 2002 bis 2006 einen erheblichen Teil der Betriebseinnahmen, ohne diese als Umsätze und Einnahmen in der Buchhaltung des Unternehmens zu erfassen; Lohnzahlungen an Aushilfskräfte erfasste er ebenfalls nicht. Auch seinen steuerlichen Erklärungspflichten kam er nicht ordnungsgemäß nach, so dass in zehn Fällen Umsatzsteuer, in jeweils drei Fällen Gewerbesteuer und Einkommensteuer und in 43 Fällen Lohnsteuer verkürzt wurde. Im Einzelnen hat das Landgericht hierzu festgestellt:
3
a) Für die Jahre 2002 und 2003 gab der Angeklagte zunächst keine Umsatzsteuerjahreserklärungen ab. Nachdem das Finanzamt insoweit Schätzungsbescheide erlassen hatte, reichte er verspätet Umsatzsteuerjahreserklärungen ein, mit denen er geringere als die tatsächlich erzielten Umsätze erklärte. Hinsichtlich des Veranlagungszeitraums 2004 gab er zwar fristgemäß eine Umsatzsteuerjahreserklärung ab, nahm aber die in diesem Zeitraum erzielten Umsätze nicht vollständig auf. Für die Quartale I/2005 bis III/2006 gab der Angeklagte keine Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Die Gesamtsumme der hin- sichtlich der Veranlagungszeiträume 2002 bis 2004 verkürzten Umsatzsteuern hat die Strafkammer mit 80.500,-- Euro beziffert. Im Hinblick auf die nicht eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen für die Jahre 2005 und 2006 hat sie lediglich den „Zinsverlust als Hinterziehungsschaden“ angesehen, den sie nach Maßgabe des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO berechnet hat.
4
b) Für die Jahre 2002 und 2003 gab der Angeklagte auch keine Gewerbesteuer - und Einkommensteuererklärungen ab; in die für das Jahr 2004 eingereichten Gewerbesteuer- und Einkommensteuererklärungen nahm er nur solche Einkünfte auf, die in die Buchhaltung der Firma Eingang gefunden hatten. Die insoweit ergangenen Steuerbescheide - hinsichtlich der Jahre 2002 und 2003 Schätzungsbescheide - enthielten deshalb jeweils zu niedrige Steuerfestsetzungen ; als Gesamtverkürzungsumfang einschließlich Solidaritätszuschlag hat das Landgericht einen Betrag von mehr als 300.000,-- Euro errechnet.
5
c) Aufgrund von Schwarzlohnzahlungen, die der Angeklagte in seine Lohnsteueranmeldungen nicht aufnahm, verkürzte er in den Jahren 2002 bis 2006 in insgesamt 43 Fällen Lohnsteuern und Solidaritätszuschlag in Höhe von mehr als 200.000,-- Euro.
6
2. Den Ausführungen eines Sachverständigen für Psychiatrie und Psychologie folgend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund einer „rezidivierenden depressiven Störung“ im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert gewesen ist. Der Sachverständige habe dargelegt, es handele sich um eine krankhafte seelische Störung, die „beim Angeklagten so weitgehende Veränderungen in dessen Denken und insbesondere Aktivitätsniveau (Antriebsdefizit) bewirkte, dass die Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit gerechtfertigt sei“ (UA S. 21).

II.


7
Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist wirksam.
8
1. Eine isolierte Überprüfung der Strafzumessung ist möglich, ohne dass der Schuldspruch hiervon berührt wird (vgl. BGH NJW 1996, 2663, 2664 m.w.N.); denn nach den vom Landgericht zur „depressiven Störung“ des Angeklagten getroffenen Feststellungen ist sicher auszuschließen, dass sich aufgrund einer neuen Hauptverhandlung ein Au sschluss der Schuldfähigkeit des Angeklagten (§ 20 StGB) bei Begehung der Taten erweisen könnte. Die den Schuldspruch tragenden Feststellungen bilden auch im Übrigen eine ausreichende Grundlage für die Prüfung des Strafausspruchs (BGHSt 33, 59).
9
2. Eine weitergehende, schlüssige Beschränkung der Revision auf die Nichtverhängung kurzer Einzelfreiheitsstrafen gemäß § 47 Abs. 1 StGB sowie auf den Gesamtstrafausspruch liegt nicht vor. Zwar wendet sich die Staatsanwaltschaft nicht ausdrücklich gegen die Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB; sie beanstandet aber die Zumessung der Einzelstrafen, bei der die Strafkammer jeweils den typisierten Strafmilderungsgrund der verminderten Schuldfähigkeit zur Strafrahmenverschiebung herangezogen hat. Das Revisionsvorbringen ist deshalb mit Rücksicht auf das erstrebte Anfechtungsziel dahin auszulegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. April 2000 - 1 StR 55/00 - und vom 23. Oktober 1997 - 4 StR 226/97; Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 344 Rdn. 10), dass der gesamte Strafausspruch angegriffen ist.
10
Eine Beschränkung der Revision auf die ausdrücklich genannten Angriffsziele wäre jedenfalls unwirksam, weil die Frage, ob der Angeklagte bei der Tatbegehung vermindert schuldfähig war, bei der Prüfung, ob die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen im Sinne von § 47 Abs. 1 StGB geboten war, nicht außer Betracht bleiben kann. Beide Fragen stehen in einem untrennbaren Zusammenhang , der ohne die Gefahr von Widersprüchen eine isolierte Nachprüfung nicht zulässt.

III.


11
Die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
12
1. Bereits die Erwägungen, aufgrund deren das Landgericht für den gesamten Tatzeitraum eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB angenommen hat, sind nicht tragfähig.
13
a) Als Begründung für diese Annahme gibt das Landgericht in den Urteilsgründen allein die „Feststellungen“ des psychiatrischen Sachverständigen wieder, nach denen aus den von diesem vorgenommenen Untersuchungen zu folgern sei, „dass die depressive Problematik des Angeklagten ihren Ausgangspunkt im Jahre 2002 genommen habe. Bereits beim durchgeführten ambulanten Untersuchungsgespräch habe sich der Eindruck einer depressiven Verstimmung beim Angeklagten mit deutlicher Antriebsbeeinträchtigung ergeben; dieses Antriebsdefizit sei dauerhaft vorhanden. Insgesamt sei davon auszugehen, dass beim Angeklagten B. eine rezidivierende depressive Störung vorliege , die mit unterschiedlich schwer ausgeprägten depressiven Episoden einhergehe. Während zum aktuellen Untersuchungszeit- punkt (Mai 2008) von einer lediglich mittelgradigen Problematik auszugehen sei, müsse davon ausgegangen werden, dass zu früheren Zeitabschnitten schwerwiegendere Auffälligkeiten zu Tage getreten seien. Die einzelnen depressiven Episoden seien mit Stimmungsveränderungen, Verlust von Freude und üblichen Interessen , Antriebsbeeinträchtigung, vermehrten Befürchtungen und Ängsten einhergegangen; vor diesem Hintergrund sei auch zu bewerten , dass der Angeklagte aufgrund wahnhafter Befürchtungen im Jahr 2002 über längere Zeit seine gewohnte soziale Umgebung verlassen hatte.“ Insgesamt habe die von dem Sachverständigen „klassifizierte krankhafte seelische Störung, d.h. die immer wieder in unterschiedlichem Ausmaß zutage tretende depressive Problematik , beim Angeklagten so weitgehende Veränderungen in dessen Denken und insbesondere Aktivitätsniveau (Antriebsdefizit) bewirkt, dass die Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit gerechtfertigt sei. Anhaltspunkte dafür, dass von einer aufgehobenen Steuerungsfähigkeit ausgegangen werden könne , ließen sich hingegen nicht finden“ (UA S. 21 f.).
14
b) Dies hält rechtlicher Nachprüfung bereits deshalb nicht stand, weil die Strafkammer von einem unzutreffenden Prüfungsansatz ausgegangen ist.
15
aa) Bei der Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit „erheblich“ im Sinne des § 21 StGB ist, handelt es sich um eine Rechtsfrage, die das Tatgericht ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen zu beantworten hat. Dabei fließen normative Erwägungen ein. Die rechtliche Erheblichkeit der Verminderung des Hemmungsvermögens hängt auch von den Ansprüchen ab, die die Rechtsordnung an das Verhalten des Einzelnen stellt. Dies zu beurteilen, ist allein Sache des Gerichts. Lediglich zur Beurteilung der Vorfrage nach den medizinisch-psychiatrischen Anknüpfungstatsachen bedarf es sachverständiger Hilfe, wenn es hierüber nicht aufgrund eigener Sachkunde befinden kann (BGHSt 43, 66, 77; BGH StV 1999, 309, 310).

16
bb) Ob eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit - und zwar „bei Begehung der Tat“ - vorliegt, hat das Tatgericht im Wege einer Gesamtwürdigung zu beurteilen (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 43, 66, 78). Dabei ist zu klären, ob sich die Fähigkeit des Angeklagten, motivatorischen und situativen Tatanreizen in der konkreten Tatsituation zu widerstehen und sich normgemäß zu verhalten, im Vergleich mit dem „Durchschnittsbürger“ in einem solchen Maß verringert hat, dass die Rechtsordnung diesen Umstand bei der Durchsetzung ihrer Verhaltenserwartungen nicht übergehen darf (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 21 Rdn. 7a).
17
cc) Eine derartige Gesamtwürdigung hat die Strafkammer, die in den Urteilsgründen allein die „Feststellungen“ des Sachverständigen wiedergibt, nicht vorgenommen. Mehrere belangvolle Umstände, die für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten von maßgeblicher Bedeutung sind, finden in den Urteilsgründen keine Erwähnung. So setzt sich die Strafkammer nicht mit der bei Annahme einer „depressiven Störung“ bedeutsamen Tatsache auseinander, dass der Angeklagte im Hinblick auf seine steuerlichen Erklärungspflichten nicht etwa gänzlich untätig geblieben ist, sondern zum Teil Steuererklärungen mit unrichtigem Inhalt eingereicht hat. Der Erörterung hätte auch bedurft, dass der Angeklagte in der Lage war, ein Unternehmen mit drei Filialen zu leiten, das in den Jahren 2005 und 2006 Bruttoumsätze von mehr als 100.000,-- Euro pro Monat tätigte und bei dem eine Mehrzahl von Arbeitnehmern mit einer monatlichen Lohnsumme von mehr als 20.000,-- Euro beschäftigt waren. Die Leitung eines Gewerbebetriebs dieses Umfangs erfordert nicht unerhebliche Organisationsmaßnahmen im Bereich des Kassenwesens, der Materialbeschaffung sowie der Auswahl und Überwachung des Personals. War der Angeklagte aber zur Wahrnehmung dieser Aufgaben in http://beck-online.beck.de/?typ=reference&y=300&z=NStZ&b=2004&s=437 [Link] http://beck-online.beck.de/?typ=reference&y=300&z=NStZ&b=2004&s=437&i=438 - 11 - der Lage, hätte die Annahme, dass die „depressive Störung“ des Angeklagten so erheblich war, dass er seinen steuerrechtlichen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte, besonderer Begründung bedurft.
18
c) Die Ausführungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit des Angeklagten halten auch deswegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil sie nicht auf die jeweiligen Tatzeitpunkte bezogen sind. Eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB kommt nur in Betracht, wenn die Schuldfähigkeit „bei Begehung der Tat erheblich vermindert“ war. Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei derjenige der Tathandlung im Sinne von § 8 Satz 1 StGB. Werden - wie hier - innerhalb eines längeren Zeitraums mehrere Taten begangen, ist deshalb die Prüfung nicht generell, sondern in Bezug auf jede einzelne Tat vorzunehmen (vgl. BGH NStZ 2004, 437, 438; NStZ-RR 2007, 105, 106). Daran fehlt es hier. Insbesondere hat das Landgericht nicht in den Blick genommen, dass der Angeklagte den Tatbestand der Steuerhinterziehung zum Teil durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO), in den übrigen Fällen durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) verwirklicht hat.
19
d) Die Erwägungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit sind zudem widersprüchlich ; denn die Strafkammer misst trotz Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit des Angeklagten dessen „planmäßiger“ Steuerhinterziehung strafschärfende Bedeutung bei.
20
e) Auf diesen Rechtsfehlern beruht der gesamte Strafausspruch. Der Senat muss deshalb besorgen, dass das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten für einzelne oder alle Taten verneint hätte, wenn es die gebotene Gesamtwürdigung der für die Schuldfä- higkeit des Angeklagten maßgeblichen Umstände rechtsfehlerfrei vorgenommen hätte.
21
2. Soweit der Angeklagte seiner Verpflichtung nicht nachgekommen ist, fristgemäß Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben (Fälle 4 bis 10 der Urteilsgründe ), hält die Strafzumessung auch deswegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Landgericht als „Hinterziehungsschaden“ allein den sich aus der verspäteten Steuerfestsetzung ergebenden „Zinsverlust“ des Fiskus angesehen hat.
22
a) Tatbestandlicher Erfolg einer Steuerhinterziehung ist gemäß § 370 Abs. 1 AO die Steuerverkürzung bzw. die Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile. Der Umfang der verkürzten Steuern oder erlangten Steuervorteile bemisst sich dabei nach deren Nominalbetrag; denn die Steuerhinterziehung bezieht sich auf die Steuern und Steuervorteile, nicht auf die Hinterziehungszinsen. Dies gilt bei der Hinterziehung von Umsatzsteuern auch dann, wenn die Tathandlung in der pflichtwidrigen Nichtabgabe oder der Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldung besteht. Der Umstand, dass der Unternehmer nicht nur Umsatzsteuervoranmeldungen, sondern für jedes Kalenderjahr auch eine Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben hat, führt zu keinem anderen Ergebnis.
23
aa) Nach § 18 Abs. 1 UStG ist der Unternehmer verpflichtet, bis zum 10. Tag nach Ablauf jedes Voranmeldungszeitraumes eine Umsatzsteuervoranmeldung abzugeben. Voranmeldungszeitraum ist dabei das Kalendervierteljahr (§ 18 Abs. 2 Satz 1 UStG), unter den Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Satz 2 UStG der Kalendermonat. In der Umsatzsteuervoranmeldung hat der Unternehmer die geschuldete Steuer selbst zu berechnen (§ 18 Abs. 1 Satz 1 UStG), eine sich daraus ergebende Vorauszahlung ist nach § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums fällig.
24
Nach Ablauf des Kalenderjahres hat der Unternehmer gemäß § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG eine Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben, in der er die zu entrichtende Steuer oder einen sich zu seinen Gunsten ergebenden Überschuss selbst zu berechnen hat. Aufgrund der Jahreserklärung wird die Steuer für das Kalenderjahr als Besteuerungszeitraum (§ 16 Abs. 1 Satz 2 UStG) erstmals festgesetzt (vgl. Bülow in Vogel/Schwarz UStG Stand 144. Lfg. 2/2009 § 18 UStG Rdn. 132). Die Umsatzsteuerjahreserklärung ist grundsätzlich bis zum 31. Mai des auf das jeweilige Veranlagungsjahr folgenden Jahres abzugeben (§ 149 Abs. 2 Satz 1 AO). Soweit sich auf der Grundlage der Jahreserklärung abweichend zu den Voranmeldungen ein Unterschiedsbetrag zu Gunsten des Finanzamts ergibt, ist dieser nach § 18 Abs. 4 Satz 1 UStG einen Monat nach Eingang der Steueranmeldung fällig. Die Fälligkeit rückständiger Umsatzsteuervorauszahlungen nach § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG wird dadurch nicht berührt (§ 18 Abs. 4 Satz 3 UStG).
25
Die Umsatzsteuervoranmeldung und die Umsatzsteuerjahreserklärung sind Steueranmeldungen im Sinne von § 150 Abs. 1 Satz 3 AO. Sie stehen einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 Satz 1 AO). Lediglich dann, wenn sich aus der Voranmeldung oder der Jahreserklärung eine Steuervergütung ergibt, tritt die Wirkung einer Steuerfestsetzung nach § 168 Satz 2 AO erst ein, wenn die Finanzbehörde zustimmt, was nach § 168 Satz 3 AO formlos möglich ist.
26
Die steuerlichen Verfahren betreffend die Umsatzsteuervoranmeldungen einerseits und die Umsatzsteuerjahreserklärung andererseits sind steuerrecht- lich selbstständig und können sich zeitlich überschneiden (vgl. Zeuner in Bunjes /Geist UStG 8. Aufl. § 18 Rdn. 23; Kohlmann, Steuerstrafrecht Stand 39. Lfg. Oktober 2008 § 370 AO Rdn. 1364). Dabei löst die Festsetzung der Jahresumsatzsteuer die Vorauszahlungsfestsetzungen für die zukünftige sachlichrechtliche Beurteilung des Steueranspruchs ab, ohne aber die Steuerfestsetzung für die Voranmeldungszeiträume aufzuheben oder zu ändern und ohne Aussagen über ihre materielle Richtigkeit zu treffen (vgl. Bülow in Vogel /Schwarz UStG Stand 144. Lfg. 2/2009 § 18 UStG Rdn. 131). Auch wird die Fälligkeit rückständiger Umsatzsteuervorauszahlungen durch die Fälligkeit eines sich eventuell aus der Jahreserklärung ergebenden Unterschiedsbetrags zu Gunsten des Finanzamts nicht berührt (§ 18 Abs. 4 Satz 3 UStG). Auf der anderen Seite ist ein sich gegebenenfalls aus einer Umsatzsteuervoranmeldung ergebender Überschuss nach Zustimmung des Finanzamtes (§ 168 Satz 2 AO) als Erstattungsbetrag ohne besonderen Antrag auszuzahlen; er ist nicht auf die Jahreserklärung vorzutragen (vgl. Zeuner in Bunjes/Geist UStG 8. Aufl. § 18 Rdn. 24).
27
Aufgrund der verfahrensrechtlichen Selbstständigkeit beider Arten von Steueranmeldungen entbindet die Abgabe wahrheitsgemäßer Umsatzsteuervoranmeldungen den Unternehmer nicht von der Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung. Umgekehrt lässt eine zutreffende Umsatzsteuerjahreserklärung die steuerrechtliche Pflicht zur Einreichung noch ausstehender Umsatzsteuervoranmeldungen nicht entfallen (vgl. Zeuner in Bunjes/Geist UStG 8. Aufl. § 18 Rdn. 23). Dies gilt selbst dann, wenn sich die Summe der Vorauszahlungen mit der Steuer für den Besteuerungszeitraum deckt (vgl. Mößlang in Sölch/Ringleb UStG Stand 60. Lfg. September 2008 § 18 UStG Rdn. 60).
28
bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, an der der Senat festhält, stehen Steuerhinterziehungen wegen der Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe wahrheitsgemäßer Umsatzsteuervoranmeldungen und solche, bezogen auf die Pflicht zur rechtzeitigen Einreichung einer zutreffenden Umsatzsteuerjahreserklärung, auch dann im Verhältnis der Tatmehrheit zueinander , wenn sie dasselbe Kalenderjahr betreffen (vgl. BGHSt 38, 165, 171; BGH wistra 2005, 66; 2005, 145, 146; 2005, 228, 229). Aufgrund der steuerrechtlichen Selbstständigkeit beider Besteuerungsverfahren (vgl. oben Abschnitt aa) kommt einer falschen Umsatzsteuerjahreserklärung (§ 18 Abs. 3 UStG) im Verhältnis zu vorangegangenen unzutreffenden monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen in demselben Kalenderjahr (§ 18 Abs. 1 UStG) in steuerstrafrechtlicher Hinsicht ein selbständiger Unrechtsgehalt zu. Jede Steueranmeldung hat einen eigenständigen Erklärungswert, der auch durch die Zusammenfassung in der Jahreserklärung nicht deckungsgleich wird (BGH NStZ 1996, 136, 137).
29
Somit verwirklicht der Täter mit der Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung weiteres Handlungsunrecht und schafft zudem neues Erfolgsunrecht, indem er eine eigenständige Gefährdung für das Umsatzsteueraufkommen herbeiführt. Deshalb ist die Steuerhinterziehung aufgrund der Verletzung der Pflicht zur (rechtzeitigen) Abgabe einer wahrheitsgemäßen Umsatzsteuerjahreserklärung auch nicht mitbestrafte Nachtat, wenn der Täter bereits wegen Verletzung seiner Pflicht zur (rechtzeitigen) Abgabe zutreffender Umsatzsteuervoranmeldungen strafbar ist (vgl. BGHSt 38, 165, 171; BGH NStZ 1996, 136, 137). Dies gilt selbst dann, wenn die unrichtigen Angaben in der Umsatzsteuerjahresanmeldung und vorangegangenen Umsatzsteuervoranmeldungen inhaltlich übereinstimmen (a.A. offenbar OLG Frankfurt wistra 2006, 198).

30
Ausgehend von den Besonderheiten des umsatzsteuerlichen Besteuerungsverfahrens sind für jedes Kalenderjahr (§ 16 Abs. 1 Satz 2 UStG) bei vierteljährlichem Voranmeldungszeitraum (§ 18 Abs. 2 Satz 1 UStG) bis zu fünf und bei monatlich abzugebenden Voranmeldungen (§ 18 Abs. 2 Satz 2 UStG) bis zu dreizehn materiell voneinander unabhängige Taten der Steuerhinterziehung möglich. Sie sind bei unrichtigen Angaben vollendet, sobald die jeweilige Anmeldung die Wirkung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung hat (BGHR AO § 370 Abs. 1 Vollendung 2), in den Fällen des § 168 Satz 1 AO also bereits mit Einreichung der Steueranmeldung, sonst mit Zustimmung der Finanzbehörde (§ 168 Satz 2 AO).
31
Von der Tatvollendung zu unterscheiden ist der - insbesondere für den Beginn der Strafverfolgungsverjährung maßgebliche - Zeitpunkt der Tatbeendigung als endgültigem Abschluss des Tatgeschehens. Wegen der engen Verzahnung der umsatzsteuerlichen Erklärungspflichten, die sich jeweils auf dasselbe Kalenderjahr beziehen, ist das Tatgeschehen bei der Umsatzsteuerhinterziehung auch im Hinblick auf die unrichtigen oder pflichtwidrig nicht abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen regelmäßig erst dann endgültig abgeschlossen , wenn diejenige Steuerhinterziehung beendet ist, die durch Nichteinreichung einer Umsatzsteuerjahreserklärung oder durch Abgabe einer unrichtigen Jahreserklärung begangen worden ist; lediglich diese Steuerhinterziehung ist im Zeitpunkt ihrer Vollendung zugleich beendet (vgl. BGHSt 38, 165, 171; BGH NJW 1989, 2140, 2141; BGH wistra 1991, 215, 216). Die vorsätzliche Verletzung mehrerer umsatzsteuerlicher Erklärungspflichten für ein und dasselbe Kalenderjahr gehört nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum selben geschichtlichen Ereignis und ist damit Teil derselben Tat im prozessualen Sinn im Sinne des § 264 StPO (BGHSt 49, 359).

32
Dem Umstand, dass die umsatzsteuerlichen Pflichten zur Abgabe für das jeweilige Kalenderjahr eng verzahnt sind und im Ergebnis der Durchsetzung desselben Steueranspruchs dienen, ist bei gleichzeitiger Aburteilung bei der Gesamtstrafbildung Rechnung zu tragen (BGH wistra 2005, 145, 147). Im Hinblick auf die Teilidentität im Unrechtsgehalt zwischen unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen und der dasselbe Jahr betreffenden Jahreserklärung wird aber das Tatgericht im Regelfall - schon aus Gründen der Vereinfachung - in Verfahren dieser Art gemäß § 154a Abs. 2 StPO die Verfolgung entweder auf die falsche Umsatzsteuerjahreserklärung oder die unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen beschränken können (vgl. BGHSt 49, 359, 365).
33
cc) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt die Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldung ebenso wie das pflichtwidrige Unterlassen der Abgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung zunächst lediglich zu einer Steuerhinterziehung „auf Zeit“; erst die Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung oder die pflichtwidrige Nichtabgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung bewirkt die endgültige Steuerverkürzung, d.h. die Verkürzung „auf Dauer“ (vgl. BGHSt 43, 270, 276; BGH wistra 2002, 185).
34
Diese aus dem System der Umsatzbesteuerung folgende Unterscheidung beschreibt nur die Art der Rechtsgutsverletzung; sie trägt dem Umstand Rechnung, dass die Umsatzsteuervoranmeldungen auf die Bestimmung von Umsatzsteuervorauszahlungen gerichtet sind während die Jahresumsatzsteuer in einem eigenständigen Verfahren (§ 18 Abs. 3 UStG) festgesetzt wird. Eine Aussage über den tatbestandlichen Verkürzungsumfang ist damit aber nicht getroffen.
35
Aus der Differenzierung in eine Steuerhinterziehung „auf Zeit“ und eine solche „auf Dauer“ folgt insbesondere nicht, dass bei einer nicht rechtzeitigen Steuerfestsetzung die tatbestandliche Steuerverkürzung allein im Zinsverlust des Fiskus bestehen würde. Zwar entspricht der durch eine Steuerverkürzung „auf Zeit“ verursachte Verspätungsschaden der Höhe nach dem Zinsverlust, der sich nach der Rechtsprechung nach Maßgabe der Vorschriften über die Hinterziehungszinsen (§§ 235, 238 AO) mit 0,5 Prozent des nicht rechtzeitig festgesetzten Steuerbetrages pro Monat errechnet (BGHSt 43, 270, 276; BGH wistra 1998, 225, 226; wistra 1998, 146; ebenso BayObLG wistra 1991, 313; 318; Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 78; a.A. Rolletschke in Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen, Stand 88. Ergänzungslieferung Dezember 2008 § 370 AO Rdn. 99, der den jeweils geltenden Kapitalmarktzins zu Grunde legen will).
36
Die auf die Art der Rechtsgutsverletzung abstellende Differenzierung determiniert jedoch nicht die Höhe der tatbestandlichen Steuerverkürzung und beschränkt diese bei Umsatzsteuervorauszahlungen auch nicht auf den Zinsschaden. Soweit der Bundesgerichtshof in früheren Entscheidungen möglicherweise abweichende Aussagen getroffen hat (vgl. BGHSt 43, 270, 276; BGH wistra 1997, 262, 263; wistra 1998, 225, 226; wistra 1998, 146; freilich jeweils unter Bezugnahme auf BGHSt 38, 165 und BGH wistra 1996, 105, aus denen sich lediglich eine Differenzierung in eine Steuerverkürzung auf Zeit und eine solche auf Dauer ergeben könnte), hält der Senat an dieser Rechtsprechung nicht fest. Der tatbestandsmäßige Erfolg der Steuerhinterziehung ist vielmehr ausgehend vom Schutzzweck des verwirklichten Straftatbestandes zu bestimmen , wobei die gesetzgeberischen Wertungen des materiellen Steuerrechts, das die Blankettnorm des § 370 AO ausfüllt, zu berücksichtigen sind. Danach gilt Folgendes:
37
(1) Die Steuerhinterziehung ist zwar Erfolgsdelikt, jedoch - wie die Vorschrift des § 370 Abs. 4 Satz 1 AO zeigt - nicht notwendig Verletzungsdelikt (vgl. Senat wistra 2009, 114, 117). Die im Festsetzungsverfahren begangene Steuerhinterziehung ist vielmehr konkretes Gefährdungsdelikt (vgl. Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 15), wobei die geschuldete Steuer bereits dann verkürzt ist, wenn die Steuer nicht rechtzeitig festgesetzt wird.
38
(2) Voranmeldungen nach § 18 Abs. 1 UStG dienen der zeitnahen Erfassung und Erhebung der Umsatzsteuer (vgl. Bülow in Vogel/Schwarz UStG 144. Lfg. 2/2009 § 18 UStG Rdn. 63; Peter/Burhoff/Stöcker Umsatzsteuer Stand 80. Lfg. 11/2008 § 18 UStG Rdn. 22). Bereits auf deren Grundlage und nicht erst nach Einreichung der Umsatzsteuerjahreserklärung soll dem Staat der wesentliche Teil des Umsatzsteueraufkommens zufließen. Deshalb hat der Unternehmer schon für die Voranmeldungszeiträume die geschuldeten Steuern binnen zehn Tagen nach Ablauf des jeweiligen Voranmeldungszeitraums nicht nur selbst zu berechnen, sondern auch an das Finanzamt abzuführen (§ 18 Abs. 1 Satz 1 und 3 UStG).
39
(3) Bei einer Verletzung der Pflichten zur Einreichung von Umsatzsteuervoranmeldungen besteht die gemäß § 370 AO strafbewehrte Gefährdung des sich aus § 18 Abs. 1 und 2 UStG ergebenden Steueranspruchs unabhängig davon, ob der Steuerschuldner beabsichtigt, zu einem späteren Zeitpunkt - namentlich in der Umsatzsteuerjahreserklärung - falsche Angaben zu berichtigen bzw. fehlende Angaben nachzuholen, oder ob er eine Steuerverkürzung auf Dauer anstrebt. In jedem Fall bezweckt er zunächst eine unrichtige Festsetzung. Deren spätere Korrektur ist zwar möglich; diese ist aber von weiteren in der Zukunft liegenden und noch ungewissen Ereignissen abhängig. Unterschiedlich ist insoweit lediglich - in Abhängigkeit von den Planungen des Tä-ters - die Intensität der Gefährdung. Dieser Umstand ist zwar für die Strafzumessung von Bedeutung, lässt aber den Umfang des tatbestandsmäßigen Erfolgs unberührt. In beiden Fällen ist das Erfolgsunrecht identisch (vgl. Franzen /Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 77).
40
(4) Im Hinblick auf den Charakter der Steuerhinterziehung als Gefährdungsdelikt unterscheiden sich daher bei der Umsatzsteuerhinterziehung die Verkürzung „auf Dauer“ und diejenige „auf Zeit“ nicht im Erfolgs-, sondern - im Hinblick auf das Vorstellungsbild des Täters - nur im Handlungsunrecht (vgl. Franzen/Gast/Joecks aaO). Will der Täter sich - was freilich nur in seltenen Fällen gegeben sein wird und deshalb sorgfältig zu prüfen ist - durch unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen lediglich auf Zeit Liquidität verschaffen und hat er vor, im Rahmen der Jahreserklärung zutreffende Angaben zu machen und den sich ergebenden Unterschiedsbetrag im Sinne von § 18 Abs. 4 Satz 1 UStG zu entrichten, ist sein Ziel nur eine Schadenswiedergutmachung. Es gilt dann Folgendes:
41
(a) Berichtigt der Täter - seinem Tatplan entsprechend - in der Umsatzsteuerjahreserklärung seine unrichtigen Angaben und zahlt er die zunächst hinterzogenen Steuern nach, stellt sich die Frage, wie die Steuerhinterziehung „auf Zeit“ zu ahnden ist, regelmäßig nicht, da in solchen Fällen zumeist die Voraussetzungen einer strafbefreienden Selbstanzeige gemäß § 371 AO vorliegen (vgl. Kohlmann, Steuerstrafrecht Stand 39. Lfg. Oktober 2008 § 371 AO Rdn. 64.2). Tritt ausnahmsweise keine Straffreiheit ein, ist - freilich erst - im Rahmen der Strafzumessung zugunsten des Täters zu berücksichtigen, dass sein Vorsatz nur auf eine Verkürzung „auf Zeit“ gerichtet war und er den Steuerschaden wiedergutgemacht hat.
42
(b) Berichtigt der Täter seine in den Voranmeldungen gemachten unrichtigen Angaben entgegen seinem ursprünglichen Vorhaben in der Umsatzsteuerjahreserklärung nicht, geht die als Verkürzung „auf Zeit“ geplante Hinterziehung in eine solche „auf Dauer“ über. Das bereits in den unrichtigen Voranmeldungen liegende Erfolgsunrecht der Gefährdung des Steueranspruchs wird dadurch nicht berührt. Es findet lediglich keine Schadenswiedergutmachung statt. Mit der Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung begeht der Täter dann eine weitere Tat mit neuem Handlungsunrecht und weiterem Erfolgsunrecht , das in einer neuen und eigenständigen Gefährdung des Steueraufkommens besteht.
43
(c) Scheitert die vom Täter zunächst beabsichtigte Schadenswiedergutmachung daran, dass es ihm nach einer wahrheitsgemäßen Umsatzsteuerjahreserklärung aus finanziellen Gründen nicht mehr möglich ist, den Unterschiedsbetrag im Sinne von § 18 Abs. 4 Satz 1 UStG nachzuentrichten, kommt es ebenfalls zu einer dauerhaften Verkürzung der Steuer. Im Rahmen der Strafzumessung kann dem Täter dann zwar zugute gehalten werden, dass er bei der Tatbegehung eine spätere Schadenswiedergutmachung vorhatte. Waren allerdings bereits bestehende finanzielle Schwierigkeiten Motiv für die Abgabe falscher Umsatzsteuervoranmeldungen, relativiert dies die strafmildernde Bedeutung der Wiedergutmachungsabsicht. Denn in solchen Fällen ist die spätere Unmöglichkeit der Entrichtung der vom Unternehmer wie von einem Treuhänder für den Staat verwalteten Umsatzsteuerbeträge regelmäßig vorhersehbar. Die „Absicht“ der Wiedergutmachung erweist sich dann als bloße - oft sogar unrealistische - „Hoffnung“. Eine andere Situation besteht, wenn - was eher selten vorkommen dürfte - die Unmöglichkeit der Schadenswiedergutmachung für den Unternehmer aus einem plötzlichen und unvorhersehbaren Ereignis resultiert. Waren aber von Anfang an ausreichend Zahlungsmittel für die Entrichtung der Steuern vorhanden, ist sorgfältig zu prüfen, ob der Steuerpflichtige bei Abgabe unrichtiger Steuervoranmeldungen tatsächlich nur eine Steuerverkürzung auf Zeit geplant hatte, da in einem solchen Fall die Schaffung von Liquidität als Tatmotiv regelmäßig ausscheidet.
44
b) Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Strafzumessung in den Fällen 4 bis 10 der Urteilsgründe auch deswegen einen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten enthält, weil das Landgericht zu Unrecht lediglich die Hinterziehungszinsen als verkürzt angesehen und damit einen zu niedrigen Verkürzungsumfang angenommen hat. Hierauf beruht das Urteil. Denn das Landgericht hat bei der Strafzumessung auch nicht in den Blick genommen, ob es das Handlungsziel des Angeklagten war, die zunächst bewirkte Hinterziehung „auf Zeit“ später in eine solche „auf Dauer“ übergehen zu lassen (vgl. BGHSt 43, 270, 276). Dies liegt nach dem Tatbild aber nahe; für die Annahme, der Angeklagte könnte lediglich beabsichtigt haben, sich durch die Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen „auf Zeit“ einen Liquiditätsvorteil zu verschaffen , bestehen aufgrund der bisherigen Feststellungen keine Anhaltspunkte.
45
3. Soweit das Landgericht in sieben Fällen der Umsatzsteuerhinterziehung (Nichtabgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen 2005 und 2006, Fälle 4 bis 10 der Urteilsgründe) sowie in den 43 Fällen der Lohnsteuerhinterziehung als Einzelstrafen jeweils lediglich Geldstrafen verhängt hat, weist das Urteil in der Strafzumessung ebenfalls einen durchgreifenden Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf.

46
a) Zwar unterliegt die Strafzumessung nur in eingeschränktem Umfang der Überprüfung durch das Revisionsgericht. Denn es ist Sache des Tatrichters, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Person des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in die Strafzumessung des Tatgerichts ist aber dann zulässig und geboten, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, von unzutreffenden Tatsachen ausgehen oder gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (BGHSt 29, 319, 320; 34, 345, 349; st. Rspr.).
47
b) Ein derartiger Rechtsfehler liegt hier vor; denn das Tatgericht hat bei der Verhängung von Einzelgeldstrafen das Vorliegen einer Tatserie nicht erkennbar berücksichtigt.
48
In Fällen sachlich und zeitlich ineinander verschränkter Vermögensdelikte , von denen die gewichtigeren die Verhängung von Einzelfreiheitsstrafen von sechs Monaten und mehr gebieten, liegt die Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen nach § 47 StGB in den Einzelfällen mit geringeren Schäden nahe. Denn in solchen Fällen ist nicht allein der jeweils durch die Einzeltat verursachte Schaden maßgeblich für die Bemessung der Einzelstrafe; vielmehr muss auch bei der Zumessung der Einzelstrafen die Gesamtserie und der dadurch verursachte Gesamtschaden in den Blick genommen werden (BGH NStZ 2001, 311; NStZ 2004, 554). Dies gilt auch bei Steuerstraftaten (vgl. BGH HFR 1995, 227).
49
Danach ist es zwar auch bei einer Tatserie nicht ausgeschlossen, neben Freiheitsstrafen auch Einzelgeldstrafen zu verhängen. Allerdings müssen dann die Urteilsgründe für das Revisionsgericht nachprüfbar erkennen lassen (vgl. Engelhardt in KK 6. Aufl. § 267 Rdn. 32; Theune in LK 12. Aufl. § 47 Rdn. 33), dass das Tatgericht bei der Zumessung der Einzelstrafen die Tatserie als solche und den durch sie verursachten Schaden gesehen und gewertet hat und aus welchen Gründen es gleichwohl in einem Teil der Fälle Freiheitsstrafen für geboten, im übrigen aber Geldstrafen für ausreichend erachtet hat. Der Umstand , dass nach § 47 Abs. 1 StGB die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen die Ausnahme ist, rechtfertigt für sich allein bei einer Tatserie nicht, von einer näheren Begründung des Nebeneinanders von Geld- und Freiheitsstrafen abzusehen.
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Diesen Maßstäben genügt das Urteil nicht. Ob im Hinblick auf die Tatserie gemäß § 47 Abs. 1 StGB die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen anstelle der festgesetzten Geldstrafen geboten war, wird im Urteil nicht erörtert. Die pauschale Wendung, dass die Verhängung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten in den Fällen, in denen solche Strafen verhängt wurden, erforderlich gewesen sei, kann die gebotene Würdigung der Tatserie bei der Zumessung der Einzelstrafen nicht ersetzen. Das Urteil beruht auch auf dem Darlegungsmangel.
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4. Die gebotene Aufhebung der Einzelstrafen entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafen die Grundlage. Dieser könnte auch deshalb keinen Bestand haben, weil die Erwägungen, mit denen das Landgericht gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB von der Verhängung einer einheitlichen Gesamtfreiheitsstrafe abgesehen hat, rechtlicher Nachprüfung nicht standhält. Angesichts der im wesentlichen gleich gelagerten Fälle, bei der die Bildung einer gesonderten Gesamtgeldstrafe fern liegt (vgl. BGH NStZ 2001, 311), erwecken sie den Eindruck , dass das Tatgericht nur deshalb von einer an sich schuldangemessenen Gesamtfreiheitsstrafe von über zwei Jahren abgesehen hat, damit die Vollstreckung nach § 56 Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden konnte; das aber wäre rechtlich zu beanstanden (vgl. BGHSt 29, 319, 321).
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5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass bei der Verurteilung wegen Hinterziehung von Umsatzsteuern Vorsteuern, die der Täter zur Verheimlichung seiner Taten nicht geltend gemacht hat, im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen sind (BGH wistra 2005, 144, 145). Nack Wahl Hebenstreit Jäger Sander

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.