Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Sept. 2017 - 1 StR 329/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:070917B1STR329.17.0
bei uns veröffentlicht am07.09.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 329/17
vom
7. September 2017
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:070917B1STR329.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 3. auf dessen Antrag – am 7. September 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 3. März 2017 aufgehoben
a) im Fall C. I. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen ,
b) im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall C. II. der Urteilsgründe und
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere – allgemeine – Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Verabredung zum besonders schweren Raub zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt.
2
Die hiergegen gerichtete und auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Auf die – die Verurteilung im Fall C. I. der Urteilsgründe betreffenden – Verfahrensrügen kommt es nicht an.

I.


3
Der Schuldspruch im Fall C. I. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die der Verurteilung des Angeklagten zugrunde liegende Beweiswürdigung weist Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
4
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts betrat der Angeklagte unmaskiert und ausgerüstet mit einem Pfefferspray am 31. März 2016 gegen 16.50 Uhr das Geschäft „A. “ des Zeugen K. in N. . In dem Geschäft war seit ca. 16.00 Uhr auch der gesondert Verfolgte B. anwesend. Der Angeklagte ließ sich eine Armbanduhr der Marke Br. im Wert von 2.750 € zeigen und legte sich diese selbst an sein Handgelenk, um sie zu betrachten. Daraufhin sprühte er dem Zeugen K. , der sich kurzzeitig von ihm abgewandt hatte, Pfefferspray in das Gesicht, nahm die Uhr an sich, verließ den Laden und rannte anschließend weg. Drei weitere Uhren der MarkeH. im Gesamtwert von 17.000 €, die den Kindern des Zeugen K. gehören und sich zur Reparatur im Geschäft befanden, nahm entweder der Angeklagte oder der gesondert Verfolgte B. , der gemeinschaftlich mit dem Angeklagten handelte, an sich. Der Zeuge K. erlitt durch den Einsatz des Pfeffersprays erhebliche Schmerzen in den Augen sowie Reizungen der Bindehäute.
5
2. Das Landgericht geht von einer Täterschaft des Angeklagten, der die Tat bestritten hat, aus. Es stützt seine Überzeugung im Wesentlichen auf die Angaben einer Vertrauensperson, die diese gegenüber dem Zeugen KHK L. gemacht hat. Der Zeuge KHK L. hat erklärt, eine von ihm geführte Vertrauensperson habe am 28. April 2016 berichtet, sie habe gehört, dass der Angeklagte das Uhrengeschäft am 13. April 2016 überfallen habe, nachdem ein Mittäter bereits vorher das Geschäft betreten habe. Dieselbe Vertrauensperson habe zudem später telefonisch mitgeteilt, dass der Angeklagte plane, am 8. Mai 2016 die S. -Tankstelle in Er. zu überfallen, was sich als zutreffend erwiesen habe (Fall C. II. der Urteilsgründe). Das Landgericht hat die Angaben der Vertrauensperson aufgrund weiterer Indizien als bestätigt angesehen , unter anderem, weil der Angeklagte und der gesondert Verfolgte B. sich kennen und am Tattag in Kontakt standen, und weil der Angeklagte sich in dem Hotel, in dem der gesondert Verfolgte B. ein Zimmer gemietet hatte, spätestens ab 17.30 Uhr aufhielt. Das Landgericht sieht einen weiteren Beleg für die Täterschaft des Angeklagten in dessen Chatverkehr am Tat- tag, der „inhaltlich unproblematisch mit der Tat in Zusammenhang zubringen“ sei und auch zeitlich zu der Tat passe. Zudem sei ein Tatmotiv in bestehenden Schulden des Angeklagten gegenüber dem Zeugen Sh. zu sehen. Ein weiteres Indiz sieht die Kammer in dem Umstand, dass der Angeklagte am Tag nach der Tat einen Screenshot des Fahndungsaufrufs der Polizei zu dieser Tat auf seinem Mobiltelefon gespeichert hat.
6
3. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183 [insoweit nicht abgedruckt] und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16, juris Rn. 9). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Aus den Urteilsgründen muss sich außerdem ergeben , dass der Tatrichter die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet , sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 2. Februar 2017 – 4 StR 423/16, NStZ-RR 2017, 223).
7
4. Nach diesem Maßstab begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Beweiserwägungen sind lückenhaft, da das Landgericht sich nicht mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinandergesetzt hat. Zudem hat es die erhobenen Beweise nicht erschöpfend gewürdigt und die einzelnen Beweisergebnisse nicht in eine umfassende Gesamtabwägung eingestellt. Dabei kann dahinstehen, ob die vom Landgericht gegenübergestellten Gesichtspunkte, die für und gegen die Annahme der Täterschaft des Angeklagten sprechen, schon die Anforderungen an eine Gesamtwürdi- gung erfüllen, weil das übergreifende wertende Element nicht erkennbar ist. Jedenfalls wäre eine solche Gesamtwürdigung lückenhaft.
8
a) Das Landgericht ist im Ansatz hinsichtlich der mittelbar eingeführten Angaben der Vertrauensperson zwar zutreffend von einem lediglich eingeschränkten Beweiswert ausgegangen und hat gesehen, dass die Bekundungen äußerst sorgfältig und zurückhaltend zu würdigen sind und durch andere gewichtige Beweisanzeichen außerhalb der Aussage bestätigt werden müssen (BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009 – 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925, 926 Rn. 14 f.; BGH, Urteil vom 25. Juli 2000 – 1 StR 169/00, BGHSt 46, 93, 106; Beschluss vom 29. November 2006 – 1 StR 493/06, BGHSt 51, 150, 155 jeweils mwN; Sander in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 83a f.; KKStPO /Ott, 7. Aufl., § 261 Rn. 29a). Es hat diese Beweisanzeichen jedoch nicht unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten erschöpfend gewürdigt.
9
b) Dies gilt zunächst für den Chatverkehr des Angeklagten am Tattag. Die tatrichterlichen Beweiserwägungen sind diesbezüglich lückenhaft, da die Strafkammer sich im Hinblick auf den Chatverkehr zum Kleidungswechsel, den sie als wesentliches Indiz für die Täterschaft des Angeklagten ansieht, nicht mit den von der Beschreibung des Zeugen PHM G. abweichenden Angaben des Zeugen K. zur Bekleidung des Täters auseinandergesetzt hat. Die Strafkammer hat den im Chatverkehr geäußerten Wunsch des Angeklagten, ihm andere Kleidung in das – auch von dem gesondert Verfolgten B. bewohnte – Hotel zu bringen, vor dem Hintergrund der Beobachtung des PHM G. , der Täter habe ein grelles, neonfarbenes Oberteil getragen, als naheliegend gewertet (UA S. 19). Demgegenüber hat der Zeuge K. die Kleidung des Täters als dunkel (schwarz oder blau) beschrieben (UA S. 12). Die Strafkammer erörtert diesen Widerspruch in der Beschreibung der Kleidung durch die beiden Zeugen nicht.
10
Dasselbe gilt hinsichtlich der weiteren (Hilfs-)Erwägung der Strafkammer in Bezug auf die Plausibilität der zuvor beschriebenen Bitte des Angeklagten im Chat, wenn auf die Angabe der Zeugin Kö. , einer unbeteiligten Passantin, gegenüber der Polizei zur Kleidung des Täters („rot-weiß karierte[s] Hemd“) abgestellt werde (UA S. 19). Insoweit kommt hinzu, dass die Zeugin diese Angabe in der Hauptverhandlung nicht mehr bestätigt hat, sondern – was die Strafkammer an dieser Stelle ebenfalls nicht weiter erörtert – sich nicht mehr erinnern konnte (UA S. 12).
11
Die Strafkammer würdigt auch einen weiteren Chat vom Tattag unvoll- ständig, indem sie hinsichtlich des Inhalts „Ich kann nicht nach Hause … Polizei sucht mich-.- … Ja scheiße gemacht haha … Ich kann net heim brauch Cash -.-“ (…) „Hab voll Bein schmerzen … Hatte miese schlägerei“ lediglich ausführt, dass der Angeklagte weder namentlich von der Polizei gesucht worden sei, noch eine Schlägerei polizeilich bekannt geworden sei (UA S. 19 f.). Eine Bewertung dieses Chats dahingehend, ob und inwiefern sich daraus Schlüsse für oder gegen die Annahme einer Täterschaft des Angeklagten ergeben, unterbleibt hingegen vollständig. Dies hätte vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte lediglich über die Beteiligung an einer Schlägerei, nicht aber über einen Raub schreibt, aber nahegelegen.
12
Ungewürdigt bleibt auch der weitere Chat, in dem der Zeuge P. an den Angeklagten schreibt „Nicht mehr lange bis die deine Tür aufbrechen ich kann Dir nicht mehr helfen und für die ganze abzieherei mrk kassier ich kein Stich“ (UA S. 19). Die Strafkammer teilt insoweit nicht mit, welche Schlüsse sie hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Tat und der Täterschaft des Angeklagten daraus zieht.
13
Schließlich trägt der zeitliche Ablauf des Chatverkehrs des Angeklagten am Tattag (ab 13.20 Uhr) nicht die Wertung der Strafkammer, dass der Angeklagte sein Mobiltelefon über den gesamten Tag kaum aus der Hand legte, es jedoch ausgerechnet im Tatzeitraum nicht bediente (UA S. 20), wenn er sein Mobiltelefon – neben der Zeit von 16:30:06 Uhr bis 17:24:41 Uhr – insgesamt etwa vier weitere Stunden nicht genutzt hat.
14
c) Die Strafkammer schließt zudem nicht aus, dass ein Raub zum Nachteil des K. nicht vorgelegen haben könnte. Insoweit hätte sich das Landgericht – auch in der gebotenen Gesamtwürdigung – damit auseinandersetzen müssen, dass die Aufzeichnungsfunktion der Videokamera nicht funktionierte (UA S. 21) und die Tür zum Ladengeschäft, die normalerweise von innen verschlossen ist, im Hinblick auf die Anwesenheit von mehreren Personen geöffnet worden und nach deren Verlassen des Geschäfts nicht wieder verschlossen worden war (UA S. 5). Unter diesem Gesichtspunkt wäre weiter zu erörtern gewesen , dass der Zeuge K. den gesondert Verfolgten B. , der seinerseits in Kontakt mit dem Angeklagten stand, kannte (UA S. 16, 22), sowie, dass der Zeuge K. den Täter nicht identifizieren konnte (UA S. 9), vielmehr eine sehr unspezifische Täterbeschreibung abgegeben hat, die auf viele Männer zutrifft und hinsichtlich eines besonders auffälligen Details (grelles Oberteil) nicht mit der Beschreibung des unbeteiligten Zeugen PHM G. übereinstimmt. Insoweit wäre überdies weiter in den Blick zu nehmen gewesen, dass der Zeuge K. sich darauf berufen hat, ein schlechtes Personengedächtnis zu haben (UA S. 12) und sich in der Hauptverhandlung bei der Frage nach einem möglichen Wiedererkennen des Angeklagten nur kurz und unmotiviert umgese- hen hat (UA S. 12). In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung und wäre zu erörtern gewesen, dass der Zeuge K. nach seinen Angaben – unterstelltder Angeklagte wäre der Täter – trotz Hantierens mit Händen und Armen beim Anlegen der Uhr vor dem Zeugen die Tätowierungen an den Unterarmen nicht wahrgenommen hat. Schließlich hätte es auch der Erörterung des nicht alltäglichen Umstandes bedurft, dass die Uhren der drei Kinder des Zeugen K. gleichzeitig zur Reparatur im Geschäft waren.
15
d) Die Beweiswürdigung erweist sich im Übrigen auch deshalb als lückenhaft , da es das Landgericht versäumt, die Angaben des zunächst als Zeugen vernommenen gesondert verfolgten B. gegenüber dem Zeugen KOK R. im Zusammenhang wiederzugeben und zu würdigen. Dessen Angaben hat die Strafkammer lediglich punktuell dahingehend erörtert, ob die Bekundungen der Tatschilderung der Vertrauensperson entgegenstehen (UA S. 23 f.). Eine umfassende Darstellung und Würdigung der Angaben des B. wäre aber auch erforderlich gewesen, um diese in Beziehung zu den Angaben des Zeugen K. zu setzen.
16
e) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf der fehlerhaften Beweiswürdigung beruht. Die Sache bedarf daher im Hinblick auf Fall C. I. der Urteilsgründe neuer Verhandlung und Entscheidung. Der neue Tatrichter wird sich dabei um die Vernehmung der Vertrauensperson als unmittelbarem Zeugen zu bemühen haben (vgl. BGH, Großer Senat, Beschluss vom 17. Oktober 1983 – GSSt 1/83, BGHSt 32, 115, 125 f.; Urteil vom 16. April 1985 – 5 StR 718/84, BGHSt 33, 178, 180; Beschluss vom 3. November 1987 – 5 StR 579/87, BGHSt 35, 82, 85 und Urteil vom 31. März 1989 – 2 StR 706/88, BGHSt 36, 159, 161; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 67 mwN).

II.


17
Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch im Fall C. II. der Urteilsgründe wegen Verabredung zum besonders schweren Raub keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Allerdings kann der Ausspruch über die insoweit verhängte Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren keinen Bestand haben, weil sich die Begründung zur Strafrahmenwahl als rechtsfehlerhaft erweist.
18
Das Landgericht hat der Strafzumessung den gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Regelstrafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB zugrunde gelegt. Das Vorliegen eines minder schweren Falles im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB hat die Strafkammer verneint. Zur Begründung hat sie im Rahmen einer Gesamtbetrachtung für und gegen den Angeklagten sprechende Aspekte einbezogen, unter anderem das von Schuldeinsicht und Reue getragene Geständnis des Angeklagten und sein Einverständnis mit der Einziehung von Tatmitteln einerseits sowie tatbezogene Umstände, wie die Entwicklung des Tatplans durch den Angeklagten, das Scheitern der Tatausführung allein wegen einer Polizeikontrolle und die Vorahndungen des Angeklagten andererseits. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
19
Sieht das Gesetz einen besonderen Strafrahmen für minder schwere Fälle vor und ist – wie hier gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB – auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, muss bei der Strafrahmenwahl im Rahmen einer Gesamtwürdigung zunächst geprüft werden, ob die allgemeinen Milderungsgründe die Annahme eines minder schweren Falles tragen. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falles abzulehnen, so sind zusätzlich die den ge- setzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter die Anwendung des milderen Strafrahmens danach weiterhin nicht für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 7. März 2017 – 2 StR 567/16, juris Rn. 6 und vom 13. Oktober 2016 – 3 StR 248/16, juris Rn. 5, jeweils mwN).
20
Daran fehlt es hier. Die Strafkammer hat nicht geprüft, ob ein minder schwerer Fall anzunehmen ist, weil bei dem Angeklagten der gesetzlich vertypte Strafmilderungsgrund nach § 30 Abs. 1 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB vorliegt.
21
Über den Strafausspruch im Fall C. II. der Urteilsgründe ist daher neu zu befinden. Die ihm zugrunde liegenden Feststellungen sind rechtsfehlerfrei getroffen worden und können bestehen bleiben. Hierzu nicht in Widerspruch stehende ergänzende Feststellungen sind zulässig.

III.


22
Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall C. I. der Urteilsgründe und des Strafausspruchs im Fall C. II. der Urteilsgründe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
23
Da sich die Strafsache nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, ist die Zuständigkeit der Jugendkammer nicht mehr gegeben.
Raum Bellay RinBGH Dr. Fischer befindet sich im Urlaub und ist an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum
Bär Hohoff

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 420/14
vom
12. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Februar
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –,
Richterin am Landgericht – bei der Verkündung –
als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Pflichtverteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 24. März 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte vom Vorwurf des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs und fahrlässigen unerlaubten Besitzes eines nach dem Waffengesetz verbotenen Gegenstandes zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Vom Vorwurf, einen (besonders) schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie einen Diebstahl begangen zu haben, hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihrer vom Generalbundesanwalt vertretenen, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den hinsichtlich der Raubtat ergangenen Teilfreispruch.
2
Ausweislich der Ausführungen in der Revisionsrechtfertigung, mit denen die Beschwerdeführerin ausschließlich den Freispruch vom Vorwurf des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung als sachlich-rechtlich fehlerhaft beanstandet, ist das Rechtsmittel ungeachtet des in der Revisionsbegründung abschließend formulierten umfassenden Aufhebungsantrags auf diesen Teilfreispruch beschränkt (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 1989 – 3 StR453/88, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; vom 18. Dezember 2014 – 4 StR 468/14 Rn. 7 mwN; Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 7).
3
Die wirksam beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.


4
Zu dem in der zugelassenen Anklage gegen den Angeklagten erhobenen Vorwurf, gemeinsam mit einem bislang unbekannten Täter einen schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung begangen zu haben, hat die Strafkammer folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
In den frühen Morgenstunden des 10. Juli 2013 gegen 2.00/2.30 Uhr klingelte es an der Wohnungstür des Geschädigten. Unbedarft öffnete er die Wohnungstür und erblickte zwei schwarz gekleidete und mit Sturmhauben maskierte männliche Personen, welche ihn unvermittelt zurück in seine Wohnung drängten und zu Boden zwangen. Einer der beiden Männer hielt einen schwarzen, etwa 50 bis 80 cm langen Schlagstock in der Hand und fuchtelte mit diesem herum, wobei er den Geschädigten auch am linken Unterarm traf. Während einer der beiden maskierten Männer den Geschädigten mit dem Fuß auf dem Brustkorb am Boden hielt, trug der andere verschiedene elektronische Geräte in der Wohnung zusammen. Er holte einen Rucksack aus dem Schlafzimmer und verstaute darin einen Laptop Sony Vaio, eine Playstation 3 sowie eine Toshiba Festplatte. Ferner stellte er ein Mischpult Traktor Kontrol S2, welches sich in einem Karton befand, zur Mitnahme bereit. Anschließend forderten die Täter den Geschädigten auf, sowohl seine Geldbörse als auch sein Mobiltelefon , ein Apple iPhone 4-8 GB, herauszugeben. Aus Angst und unter dem Eindruck des Überfalls stehend übergab der Geschädigte die geforderten Gegenstände. In der Geldbörse befanden sich u.a. der Personalausweis, der Führerschein und die Krankenkassenkarte des Geschädigten. Unter Mitnahme der genannten Gegenstände verließen die Täter sodann die Wohnung.
6
Das Mobiltelefon des Geschädigten verkaufte der Angeklagte am 22. Juli 2013 für 130 € an den Bruder seiner ehemaligen Freundin, nachdem er es in der Zeit vom 12. Juli 2013 bis zum Verkauf selbst genutzt hatte. Das entwendete Laptop nutzte der Angeklagte vom 12. Juli bis 15. Juli 2013 und veräußerte es anschließend für 100 € an seine ehemalige Freundin. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten konnten am 22. Juli 2013 das Mischpult des Geschädigten sowie dessen Führerschein und Krankenkassenkarte aufgefunden werden.
7
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Beteiligung an dem Raubüberfall zum Nachteil des Geschädigten freigesprochen, weil nicht habe festgestellt werden können, wie der Angeklagte an die Gegenstände aus der Tatbeute gelangt sei. Die tatsächlichen Voraussetzungen für eine wahldeutige Verurteilung wegen Diebstahls oder Hehlerei hat es verneint.

II.


8
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Die dem Teilfreispruch zugrunde liegende Beweiswürdigung hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
9
1. Das Revisionsgericht hat es regelmäßig hinzunehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 – 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18. Januar 2011 – 1 StR 600/10, NStZ 2011, 302; vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78 aaO). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – 4 StR 360/12, NStZ 2013, 180). Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (vgl. BGH, Urteile vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97 aaO; vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteile vom 17. Juli 2014 – 4 StR 129/14 Rn. 7; vom 18. August 2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85, 86; vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90, 91).
10
2. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht in jeder Hinsicht gerecht.
11
a) Die Strafkammer hat die Einlassung des Angeklagten, er sei, nachdem er am Tattag bis gegen 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr bei seiner Schwester gewesen sei, von dort an die Schwimmhalle in Bitterfeld gefahren worden, wo er seinen Bekannten K. O. getroffen habe, der ihm „schöne Dinge“ angeboten und gefragt habe, ob er daran Interesse habe, als unglaubhaft bewertet. Dabei hat sie sich u.a. auf die Zeugenaussage der Schwester des Angeklagten gestützt, die bekundet hat, den Angeklagten gegen 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr gemeinsam mit einer Freundin von ihr zur Haustür begleitet, ihn anschließend aber nicht zur Schwimmhalle gefahren zu haben. Wenn das Landgericht dieses Beweisergebnis dahingehend bewertet, dass dem Angeklagten für die Tatzeit ein Alibi fehlt (UA S. 22), liegt dem ersichtlich die Annahme zugrunde, dass es dem Angeklagten nach den zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten möglich war, nach dem Verlassen der Wohnung der Schwester um 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr die wenig später um 2.00/2.30 Uhr verübte Raubtat zu begehen. Die objektiv belegte Gelegenheit zur Tatausführung, die daraus resultiert, dass der Angeklagte maximal 1 ½ Stunden vor der Tat in der eine Tatausführung ermöglichenden Nähe zum Tatort unterwegs war, stellt aber ein den Angeklagten belastendes Indiz dar, das in seinem Beweiswert durch den bloßen Hinweis auf das fehlende Alibi zur Tatzeit nicht erschöpfend erfasst wird und daher in die tatrichterlichen Überlegungen hätte einbezogen werden müssen.
12
b) Im Rahmen der Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse wäre zudem zu erörtern gewesen, dass der Angeklagte nicht nur über ohne weiteres selbst zu nutzende oder wirtschaftlich verwertbare Gegenstände aus der Beute verfügte , sondern mit dem Führerschein und der Krankenkassenkarte des Geschädigten auch solche Beutestücke in Besitz hatte, denen kein unmittelbarer Vermögenswert zukommt und für deren Überlassung durch einen Raubtäter kein nachvollziehbarer Anlass erkennbar ist.
13
c) Mit seiner der Ablehnung einer wahldeutigen Verurteilung zugrunde liegenden Annahme, der Erwerb der Gegenstände aus der Beute könne auch auf einem dritten Weg erfolgt sein, der in seiner konkreten Gestalt nicht näher bekannt sei, hat die Strafkammer schließlich eine Sachverhaltsvariante für möglich erachtet, für welche sich aus dem Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte ergeben. Soweit die Strafkammer in der Unglaubhaftigkeit der Schilderung des Angeklagten über den (hehlerischen) Erwerb der Gegenstände von seinem Bekannten K. O. einen Anhalt für ihre Annahme gesehen hat, hat sie verkannt, dass der widerlegten Einlassung des Angeklagten keine Beweisbedeutung zukommt, die gegen eine anderweitige hehlerische Erlangung der Beutestücke durch den Angeklagten spricht. Das Landgericht hat es insoweit versäumt, eine umfassende Würdigung aller Beweisumstände vorzunehmen und auf dieser Grundlage zu prüfen und zu entscheiden, ob die Beweisergebnisse die Überzeugung zu tragen vermögen, dass der Angeklagte die Gegenstände aus der Tatbeute entweder durch die Raubtat oder im Wege der Hehlerei erlangt hat.
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR521/14
vom
24. März 2015
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts der schweren Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
24. März 2015, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt Ba.
als Vertreter der Nebenklägerin Bö. ,
Rechtsanwältin T.
als Vertreterin der Nebenklägerin H. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 24. März 2014 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen und Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und ihn hinsichtlich weiterer vier Tatvorwürfe aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Revision des Angeklagten hat der Senat im Beschlusswege gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision gegen die Freisprüche des Angeklagten wegen drei der weiteren ihm vorgeworfenen Straftaten. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Dem Angeklagten lag zur Last, in zwei Fällen jeweils eine schwere Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung begangen zu haben, indem er im Mai 2010 die Geschädigte Bö. und im Juni 2010 die Geschädigte H. durch heimliche Beibringung eines bewusstseinstrüben- den Mittels (sog. K.O.-Tropfen) in einen willenlosen Zustand versetzt und diesen jeweils zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs ausgenutzt habe. Darüber hinaus war ihm vorgeworfen worden, eine räuberische Erpressung in Tateinheit mit Anstiftung zum Betrug verübt zu haben; er habe U. und L. unter Androhung körperlicher Repressalien dazu gebracht, dass L. unter Vortäuschung von Zahlungswilligkeit und -fähigkeit einen Mobilfunkvertrag abgeschlossen und anschließend dem Angeklagten das erlangte Mobiltelefon nebst SIM-Karte weisungsgemäß ausgehändigt habe.
3
2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
4
a) Die Nebenklägerin Bö. lernte den Angeklagten über einen Chat kennen und verabredete sich mit ihm für den Abend des 12. Mai 2010. Begleitet von ihrer Freundin P. und einem Bekannten des Angeklagten besuchten sie eine Diskothek, in der sie Alkohol tranken und sich küssten. Als ihr aufgrund des Alkoholkonsums schlecht wurde, wurde sie von mehreren Personen vor die Diskothek gebracht. Anschließend fuhr sie mit dem Angeklagten in einem Taxi zu dessen Wohnung. Dabei war sie alkoholbedingt enthemmt; sie wusste jedoch noch, was sie tat, und konnte sich ihrem Willen entsprechend ohne erhebliche Beeinträchtigung steuern und äußern (UA S. 51). Nachdem sie, in der Wohnung angelangt, weiterhin unter Übelkeit gelitten hatte, zog sie sich aus, legte sich ins Bett und schlief ein. Am nächsten Morgen verließ die Nebenklägerin Bö. die Wohnung des noch schlafenden Angeklagten, ohne ihn zu wecken , weil ihr Verhalten ihr peinlich war. Sie ließ sich von ihrem ehemaligen Freund nach Hause bringen, mit dem sie noch am selben Abend an einer Feier teilnahm.
5
b) In der Nacht zum 3. Juni 2010 besuchte die Nebenklägerin H. , die „gerne Schnaps trank, diesen gut vertrug und am Vortag oderam Morgen des 3. Juni 2010 Crystal konsumiert hatte“ (UA S. 53), mit Freunden eine Diskothek. Dort traf sie den ihr bereits bekannten Angeklagten, mit dem sie früher „gelegentlich Zärtlichkeiten in nicht näher ermittelbarer Art“ (UA S. 52) ausge- tauscht hatte. Gemeinsam mit dem Angeklagten konsumierte sie innerhalb von zehn bis zwanzig Minuten jeweils zehn Gläser mit 4 cl „Wodka-Energy“. Etwa eine Stunde später fuhr sie mit dem Angeklagten und einem ihm Bekannten zu dessen Wohnung. Dort spielten sie bei weiterem Alkoholkonsum zu Dritt ein Spiel, in dessen Verlauf sie sich einzelne Kleidungsstücke auszogen und H. , die alkoholbedingt – lediglich – enthemmt ihre Mitspieler küsste. Außerdem kam es zwischen ihr und dem Angeklagten zum Geschlechtsverkehr. Nachdem sie zuvor ihren Freunden gegenüber telefonisch ihre baldige Rückkehr in die Diskothek angekündigt hatte, nutzte nicht ausschließbar der Bekannte des Angeklagten einen Toilettenbesuch H. s dazu, aus ihrem Mobiltelefon die SIM-Karte zu entfernen, zu zerbrechen und zu verstecken, weil er sich bei ihrem längeren Aufenthalt in seiner Wohnung einen intensiveren Austausch von Zärtlichkeiten mit ihr erhoffte. Gegen 6:00 Uhr schlief H. auf einem Sofa ein. Als sie kurz darauf wieder erwachte, war ihr aufgrund des vorangegangenen Alkohol- und Drogenkonsums schwindelig und ihr fiel ein, dass sie einen Termin beim Arbeitsamt hatte. Sie verließ die Wohnung und fuhr zunächst zu ihren Freunden, denen gegenüber sie über Schmerzen an den Oberschenkeln klagte und andeutete, sexuell bedrängt worden zu sein. Sie konsumierte Liquid Ecstasy und ließ sich von ihrer Hausärztin krankschreiben.
6
c) Am 22. Mai 2010 schloss L. auf Veranlassung seines Freundes U. einen Mobilfunkvertrag, der die Aushändigung eines Mobiltelefons umfasste. Hierbei täuschte er seine tatsächlich nicht bestehende Zahlungswilligkeit und -fähigkeit vor. Die bis zum 13. Juli 2010 angefallenen Tele- fonkosten in Höhe von 355 Euro entrichtete er nicht. Um sich weiteren Forderungen des Mobilfunkanbieters und Vorwürfen seiner Mutter zu entziehen, dachte er sich aus, dass der sich mittlerweile in Untersuchungshaft befindliche Angeklagte ihn und U. unter Ankündigung, diesen andernfalls töten zu wollen , gezwungen habe, den Vertrag abzuschließen.
7
3. Die angefochtenen Freisprüche halten sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
8
a) Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts ist. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 136/14 mwN). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN).
9
b) Daran gemessen ist die Beweiswürdigung nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht der Revision hat das Landgericht die erforderliche Gesamtwürdigung der be- und entlastenden Umstände in jedem der angegriffenen Fälle vorgenommen und sich mit den Angaben der betroffenen Nebenklägerinnen ausführlich auseinandergesetzt. Die Schlussfolgerungen und Wertungen des Landgerichts sind tatsachenfundiert, lassen keine Rechtsfehler erkennen und halten sich im tatgerichtlichen Beurteilungsspielraum. Die Revision hat weder Widersprüche noch wesentliche Erörterungsmängel aufgezeigt. Die Beanstandungen der Revision zielen auf eine andere Bewertung von Tatsachen ab, die das Landgericht aber allesamt bedacht hat.
10
aa) Hinsichtlich der dem Angeklagten vorgeworfenen Tat zum Nachteil der Nebenklägerin Bö. hat das Landgericht nicht ausschließen können, dass deren Erinnerungsvermögen – entgegen ihren Angaben – bei alkoholbedingter Enthemmung nicht vorübergehend aufgehoben, sondern insgesamt erhalten geblieben war. Nachvollziehbar hat es das Landgericht insbesondere aufgrund der Aussage der Zeugin Br. für möglich gehalten, dass Bö. sich ein Erlebnis, das ihr die Zeugin Br. im Zusammenhang mit einer Verabreichung von „K.O.-Tropfen“ geschildert hatte, zu eigen gemacht habe, um eine freiwillige Übernachtung bei dem Angeklagten gegenüber ihrer Mutter und ihrem ehemaligen Freund zu rechtfertigen (UA S. 83 f.). Die Zeugin Br. war von der Mutter der Nebenklägerin um ein Gespräch mit ihrer Tochter gebeten worden, weil die Mutter vermutet hatte, dass es eine Verbindung mit dem ihr von Br. berichteten Geschehen gäbe (UA S. 73). Das Landgericht hat weiter bedacht, dass die Nebenklägerin ihre Angaben zur Aufnahme der alkoholischen Getränke, zu ihrer Erinnerungslücke und ihrem Zustand beim Erwachen gegenüber verschiedenen Personen im Zeitablauf verändert hatte. Es vermochte nicht festzustellen, dass sie zu ihren wechselnden Schilderungen (vgl. UA S. 69, 71) etwa durch gravierende Angstzustände oder eine erhebliche Beeinträchtigung des seelischen Befindens und der körperlichen Gesundheit veranlasst worden sein könnte, da sie am Abend nach dem Geschehen mit Freunden feierte und Geschlechtsverkehr hatte (UA S. 75). Vielmehr hat das Landgericht nicht ausschließen können, dass die Nebenklägerin und ihre Freundin P. frühzeitig Handlungen, soweit sie elterlichen Erwartungen nicht entsprachen, nicht oder nicht vollständig preisgegeben oder aber der Beigabe von „K.O.-Tropfen“ zugeschrieben hätten. Insoweit hatte das Landgericht neben der Aussage der Zeugin Br. auch die Angaben der Zeugin P. in deren polizeilicher Vernehmung zu berücksichtigen, in der sie einräumte, dass Bö. deren Mutter das Geschehen anders geschildert und sie „wohl angeschwindelt habe, weil sie Ärger befürchtet habe, wenn sie die Wahrheit sage“ (UA S. 79 f.). Gegen diese Beweiswürdigung ist nichts zu erinnern.
11
bb) In dem die Nebenklägerin H. betreffenden Fall ist das Landgericht von einem nicht ausschließbar einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und H. ausgegangen. Es hat dabei sämtliche – fürsich genommen gewichtigen belastenden – Indizien, wie Schmerzen und eine schwache Unterblutung an der Oberschenkelinnenseite, Nachweis von Sperma des Angeklagten in der Scheide der Nebenklägerin und von Gammahydroxybuttersäure (GHB) im Urin der Nebenklägerin (UA S. 94, 96) erkannt und bewertet, sich aber nach umfassender Gesamtwürdigung im Ergebnis nicht von dem in der Anklage vorgeworfenen Tatgeschehen zu überzeugen vermocht. Das Landgericht hat der Nebenklägerin H. nicht geglaubt, dass sie sich nicht habe erinnern können, ob es jemals zwischen ihr unddem Angeklagten Zärtlichkeiten in ansonsten unbeeinträchtigten Situationen gegeben habe (UA S. 84, 87, 98). Es hat ferner bedacht, dass aus sachverständiger Sicht eine Substanz mit dem Wirkstoff GHB auch noch nach dem vorgeworfenen Tatgeschehen eingenommen worden sein könnte. Das Landgericht ist insofern zu dem – nach den Gesamtumständen möglichen – Schluss gekommen, dass H. , in deren Urin auch Amphetamine nachgewiesen worden sind, am nächsten Morgen in der Wohnung ihrer Drogen konsumierenden Freunde Liquid Ecstasy eingenommen hat. Auch haben sich für die sachverständig beratene Strafkammer die von der Nebenklägerin beschriebene Erinnerungslücke und der Umstand, dass sie beim nächtlichen Telefonat mit ihrer Freundin „durcheinander“ gewirkt habe, allein durch den massiven Alkoholkonsum und nicht durch die Einnahme eines Narkosemittels erklären lassen (UA S. 88, 97). Die gewissen Parallelen zu den weiteren Anklagevorwürfen der übrigen Nebenklägerinnen mit dem Angeklagten hat das Landgericht gesehen (UA S. 98), es vermochte sich jedoch letztlich insbesondere wegen der Alkoholgewöhnung und der wechselnden Angaben der Nebenklägerin H. zu ihrem Erinnerungsvermögen nicht von einer erheblichen Willensbeeinträchtigung bei Durchführung des Geschlechtsverkehrs zu überzeugen. Diese Würdigung hat der Senat angesichts des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs hinzunehmen.
12
c) Auf die wenig verlässlichen, von erheblichem Belastungseifer getragenen und zum Teil widersprüchlichen Angaben der Zeugen U. und L. hat die Strafkammer auch eingedenk der erst im August 2010 erfolgten Anzeigenerstattung zu Recht keine Verurteilung gestützt.
Sander Schneider König
Berger Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 78/16
vom
1. Februar 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Verdachts des Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:010217U2STR78.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 25. Januar 2017 in der Sitzung am 1. Februar 2017, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl, Dr. Eschelbach, Zeng, Dr. Grube,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung vom 25. Januar 2017 als Pflichtverteidiger für den Angeklagten C. B. , Rechtsanwalt in der Verhandlung vom 25. Januar 2017 als Pflichtverteidiger für den Angeklagten K. B. , Rechtsanwalt in der Verhandlung vom 25. Januar 2017 als Vertreter der Nebenkläger N. R. und St. K. ,
Rechtsanwältin in der Verhandlung vom 25. Januar 2017 als Vertreterin der Nebenkläger L. F. und S. B. , Rechtsanwalt in der Verhandlung vom 25. Januar 2017 als Vertreter der Nebenkläger I. B. und A. B. ,
Justizangestellte in der Verhandlung vom 25. Januar 2017, Justizangestellte in der Sitzung am 1. Februar 2017 als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger N. R. und St. K. wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 5. August 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Auf die Revisionen der Nebenkläger I. B. und A. B. und der Nebenkläger L. F. und S. B. wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es die Tat zu Lasten der Geschädigten S. K. betrifft. Im Übrigen werden die Revisionen dieser Nebenkläger als unzulässig verworfen. 3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten C. B. vom Vorwurf des Totschlags und den Angeklagten K. B. vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger mit ihren auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die Revisionen der Nebenkläger haben, soweit sie sich im Rahmen ihrer jeweiligen Nebenklagebefugnis halten, mit der Sachrüge Erfolg. Die Revisionen der Nebenkläger I. B. und A. B. und der Nebenkläger L. F. und S. B. sind unzulässig, soweit sie die Tat zum Nachteil des Geschädigten H. K. betreffen.

I.

2
Die zugelassene Anklage legt den Angeklagten folgendes zur Last:
3
Am 6. Juni 2014 habe der Angeklagte C. B. auf der „M. “ in Ma. im Rahmen eines Streits mit anschließender Rangelei dem Geschädigten H. K. ein von diesem mitgeführtes Messer abgenommen und hiermit insgesamt 17 Mal auf den Bauch- und Rückenbereich des Geschädigten eingestochen, bis dieser infolge der massiven Stichverletzungen verstorben sei.
4
Die Ehefrau des H. K. , die Geschädigte S. K. , habe mit einem Beil bewaffnet die Auseinandersetzung aus unmittelbarer Nähe beobachtet , ohne in das Geschehen einzugreifen. Der Angeklagte K. B. sei sodann von einem hinteren Teil des Geländes zu dem Kampfgeschehen hinzugekommen und habe erkannt, dass sein Sohn C. den Geschä- digten H. K. getötet habe. Daraufhin habe er sich entschlossen, die Geschädigte S. K. durch gezielte Kopfschüsse aus einer von ihm mitgeführten Pistole zu töten, um die Überführung seines Sohnes zu verhindern. In Ausführung seines Tatplans habe der Angeklagte K. B. daraufhin der Geschädigten aus kurzer Distanz zweimal hintereinander in deren Arm /Schulter-/Kopfbereich geschossen, wodurch S. K. sofort, wie vom Angeklagten K. B. beabsichtigt, verstorben sei. Die Angeklagten hätten anschließend die Kampfspuren zu verwischen gesucht, die Tatwerkzeuge beiseite geschafft und das getötete Ehepaar zunächst unter einem Sandhaufen, in der Nacht darauf in einer Jauchegrube vor der Ranch vergraben. Das Auto der Getöteten habe der Angeklagte K. B. auf einem Supermarktparkplatz in Ma. abgestellt.

II.

5
Zu den den Angeklagten zur Last gelegten Taten hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
6
1. Der Geschädigte H K. und seine Tochter waren seit Mai 2007 Pächter der „M. “, eines sich außerhalb des Stadtrands von Ma. befindlichen Grundstücks mit direktem Zugang zum Mainufer. Im März 2012 schlossen der Geschädigte und seine Ehefrau, die Geschädigte S. K. , mit den beiden Angeklagten einen Untermietvertrag, der diesen gegen einen Mietzins von monatlich 906 Euro in bar das Recht einräumen sollte, ein auf dem Anwesen befindliches Gebäude zu Wohnzwecken und Teile des Grundstücks für Tierhaltung zu nutzen. Den Geschädigten war bekannt, dass sie zu dieser Untervermietung nicht berechtigt waren und das Grundstück zu Wohnzwecken nicht genutzt werden durfte.
7
Ab dem Jahr 2013 verschlechterte sich das Verhältnis zwischen den Angeklagten und den Geschädigten zunehmend. Grund hierfür war zum einen, dass die Angeklagten aufgrund ihrer äußerst angespannten finanziellen Situation den vereinbarten Mietzins nicht immer pünktlich zum jeweiligen Monatsanfang an die Geschädigten zahlen konnten. Die Geschädigten, die nur über geringe Einkünfte verfügten, waren auf diese Zahlungen dringend angewiesen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten und den Mietzins für eine von ihnen auf Mallorca angemietete Wohnung entrichten zu können. Infolge der unregelmäßigen Zahlung der Miete kam es daher immer wieder zu verbalen Streitigkeiten zwischen den ihre Forderungen vehement einfordernden Geschädigten und den Angeklagten. Zu Konflikten zwischen den Angeklagten und Geschädigten trug zum anderen bei, dass Letztere nicht mit der Haltung der auf dem Hof lebenden Ziegen durch den Angeklagten C. B. einverstanden waren und deshalb mehrfach das staatliche Veterinäramt zu Kontrollen veranlassten. Dass sich die Angeklagten und Geschädigten täglich auf dem Gelände der Ranch begegneten, verschärfte das vorhandene Konfliktpotential zusätzlich. Auf die häufigen aggressiven Anwürfe der Geschädigten, die in Beleidigungen und Drohungen gipfelten, reagierten die Angeklagten passiv, demütig und verängstigt. Aufgrund der stetig zunehmenden Angst vor etwaigen Übergriffen der Geschädigten bewahrten die Angeklagten spätestens seit Dezember 2013 eine Pistole griffbereit hinter der Eingangstür des von ihnen bewohnten Gebäudes der Ranch auf.
8
In den letzten Wochen vor der Tat kam es beinahe täglich zu immer lautstärkeren – und seitens der Geschädigten sehr emotional und aggressiv geführten – Auseinandersetzungen zwischen den Geschädigten und den Angeklagten. Nachdem der Eigentümer des Grundstücks Ende April 2014 erstmals erfahren hatte, dass das Grundstück zu Wohnzwecken untervermietet worden war, forderte dessen Rechtsanwalt Anfang Mai 2014 die Geschädigten und An- geklagten schriftlich auf, das illegale Untermietverhältnis zu beenden. Am 2. Juni 2014 suchten die Angeklagten ihren Rechtsanwalt auf, der ihnen dazu riet, keinerlei Mietzins mehr an die Geschädigten zu entrichten und ihnen zusicherte , sich mit dem Grundstückseigentümer in Verbindung zu setzen, um eine direkte Anmietung oder einen Erwerb des Grundstücks zu erreichen. Am selben Tag zahlten die Angeklagten im Anschluss an das Beratungsgespräch für Juni 2014 dennoch einen (Teil-) Mietzins in Höhe von 450 Euro an die Geschädigten. Sie waren hiernach jedoch definitiv nicht mehr bereit, weitere Zahlungen zu leisten.
9
Am 6. Juni 2014 zwischen 13.02 Uhr und circa 13.30 Uhr befanden sich die Geschädigten auf dem Grundstück der Ranch direkt vor dem Eingang des von den Angeklagten bewohnten Gebäudes. Hierbei führte der Geschädigte H. K. – wie üblich – ein Messer mit sich. Die Geschädigten hatten sich vorgenommen – wie mit den Angeklagten zuvor am 2. Juni 2014 verabredet – den noch offenen Mietzins für den Monat Juni 2014 zu erhalten und waren zur Durchsetzung ihrer Forderung bereit, falls erforderlich, auch Gewalt anzuwenden.
10
Während sich der Angeklagte K. B. im hinteren Teil des Grundstücks mit den Tieren beschäftigte, traf der Geschädigte H. K. an der Eingangstür des bewohnten Gebäudes den Angeklagten C. B. an und forderte ihn zur unverzüglichen Zahlung des restlichen Mietzinses für Juni 2014 sowie zusätzlich auch des Mietzinses für Juli 2014 auf. Als der Angeklagte gegenüber H. K. und dessen Ehefrau, die ein Beil mit sich führte, trotz Drohungen mit Gewalt jede weitere Zahlung ablehnte und von der Einschaltung seines Anwalts berichtete, zog H. K. das von ihm mitgeführte Messer und setzte es dem von ihm am Hals festgehaltenen C. B. auf die Brust. Als sich der Angeklagte C. B. zu wehren versuchte, stach H. K. mit dem in seiner rechten Hand geführten Messer in Richtung des Oberkörpers des Angeklagten, der den Stich jedoch ablenken konnte. Im weiteren Verlauf der tätlichen Auseinandersetzung gelang es C. B. , dem Geschädigten H. K. das Messer abzunehmen und sich durch einen Stich in dessen Oberkörper aus dem Griff am Hals zu lösen. Sein anschließender Versuch, von der Ranch zu flüchten, scheiterte, weil ihm die noch immer mit dem Beil bewaffnete Geschädigte S. K. den Fluchtweg versperrte. Dadurch gelang es dem Geschädigten H. K. , ihn einzuholen, in den Schwitzkasten zu nehmen und die wieder vor die Eingangstür verlagerte, zwischenzeitlich auf dem Boden geführte Auseinandersetzung fortzusetzen.
11
Währenddessen kam der Angeklagte K. B. zum Geschehen hinzu. Als er sah, dass sein Sohn mit dem Rücken auf dem Boden liegend mit dem auf ihm sitzenden H. K. kämpfte, und die Geschädigte S. K. mit einem Gegenstand in der Hand neben beiden kniete, versuchte er zunächst vergeblich S. K. wegzustoßen. Daraufhin begab er sich in den Vorraum des Hauses und ergriff die dort gelagerte Pistole.
12
Trotz der Fixierung seiner rechten Hand durch die linke Hand des Geschädigten H. K. war es dem Angeklagten C. B. nunmehr unter erheblicher Kraftanstrengung möglich, mit dem in seiner rechten Hand geführten Messer noch insgesamt drei Stiche in den oberen Brustbereich des auf ihm sitzenden Geschädigten H. K. anzubringen, der ihn weiterhin mit seiner rechten Hand am Hals festhielt und versuchte, ihm das Messer zu entwinden.
13
In der Zwischenzeit kam der Angeklagte K. B. mit der Pistole zum Geschehen zurück. Als er erkannte, dass die Geschädigte S.
K. ein Beil in der Hand hielt und ausholend dazu ansetzte, hiermit auf C. B. einzuhacken, schoss er – um seinen Sohn vor dem Angriff mit dem Beil zu verteidigen – aus einer Entfernung von mindestens zwei Metern zwei Mal auf den Arm-/Schulterbereich der S. K. , die dadurch am Rücken getroffen wurde und sofort verstarb.
14
Der Angeklagte K. B. zog nun den Geschädigten von seinem Sohn herunter, woraufhin H. K. leblos auf dem Rücken neben C. B. zum Liegen kam. Der Angeklagte C. B. kniete sich daraufhin neben H. K. , der – was er nicht erkannte – bereits infolge beidseitigen Pneumothorax verstorben war, und fügte diesem mit dem Messer weitere 12 Stiche in den Brustkorb zu.
15
Der Angeklagte K. B. entschied sich gegen eine Verständigung der Polizei, da er davon ausging, dass diese ihnen das Tatgeschehen nicht glauben würde. Gemeinsam mit seinem Sohn, der – noch unter dem Einfluss des Tatgeschehens stehend – die Anweisungen seines Vaters mechanisch ausführte, beseitigten die Angeklagten die Tatspuren, parkten das Fahrzeug der Geschädigten auf dem Parkplatz eines Supermarkts, warfen das Tatmesser und das Beil in den Main, versteckten die Pistole und vergruben die Leichen auf dem Gelände der Ranch. Aufgrund von Hinweisen des Angeklagten C. B. vom 14. Oktober 2014 konnten die Leichname der Geschädigten später dort aufgefunden werden.
16
2. Das Landgericht hat die Einlassungen der Angeklagten zum Tatgeschehen , der die weiteren Beweisergebnisse nicht widersprächen, als unwiderlegbar angesehen. Unter Zugrundelegung der Einlassungen hat es angenommen , das Handeln des Angeklagten C. B. sei durch Notwehr gerechtfertigt. Der Geschädigte H. K. habe den Angeklagten C.
B. rechtswidrig angegriffen, indem er mit der linken Hand an dessen Hals griff und mit dem in seiner rechten Hand geführten Messer auf ihn einstach. Dieser Angriff sei auch noch nach dem Entwinden des Messers nicht beendet gewesen, da der Geschädigte den Angeklagten weiter mit seiner linken Hand am Hals festgehalten und um das Messer gekämpft habe. Über diese fortdauernde Intensität der Kampflage hinaus habe die jederzeitige Möglichkeit eines Eingreifens der anwesenden und mit einem Beil bewaffneten Ehefrau des Geschädigten bestanden. Als der Angeklagte C. B. auf den bereits verstorbenen Geschädigten H. K. weiter einstach, habe er sich im Zustand der Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB befunden.
17
Hinsichtlich der vom Angeklagten K. B. auf die Geschädigte S. K. abgegebenen zwei Schüsse hat das Landgericht angenommen , diese seien als Nothilfe gerechtfertigt. Dadurch, dass die Geschädigte S. K. gerade mit dem Beil ausholte, um auf den Angeklagten C. B. einzuhacken, habe sie diesen rechtswidrig angegriffen.

III.

18
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sowie der Nebenkläger N. R. und St. K. haben mit der Sachrüge Erfolg. Die Revisionen der Nebenkläger I. und A. B. sowie der Nebenkläger L. F. und S. B. haben mit der Sachrüge Erfolg, soweit sie sich im Rahmen ihrer sich aus §§ 395 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, 401 Abs. 1 Satz 1 StPO ergebenden Nebenklagebefugnis halten, im Übrigen sind sie unzulässig. Wegen des Erfolgs der Sachrüge bedarf es keines Eingehens auf die Verfahrensrügen. Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
19
1. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag.
20
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen , wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2016 – 1 StR 597/15, Rn. 27, zit. nach juris, mwN [insoweit in NStZ-RR 2016, 272 nicht abgedruckt]). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen , erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793 mwN). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind. Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen aus- zugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. etwa Senat, Urteil vom 22. September 2016 – 2 StR 27/16, Rn. 26, zit. nach juris mwN).
21
2. Diesen Anforderungen an die Beweiswürdigung genügt das Urteil nicht.
22
a) Ein grundlegender Mangel des Urteils liegt bereits darin, dass das Landgericht die im Rahmen der sachlich-rechtlichen Begründungspflicht gebotene nähere Dokumentation früherer Einlassungen der Angeklagten unterlassen und den Zeitpunkt der jeweiligen Einlassungen in der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt hat.
23
Da an die Bewertung der Einlassung eines Angeklagten die gleichen Anforderungen zu stellen sind wie an die Beurteilung von Beweismitteln, hat der Tatrichter sich seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung des Angeklagten aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme zu bilden (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR48/86, BGHSt 34, 29, 34). Dabei kann ein Wechsel der Einlassung im Laufe des Verfahrens ein Indiz für die Unrichtigkeit der Einlassung in der Hauptverhandlung sein und ihre Bedeutung für die Beweiswürdigung verringern oder unter Umständen ganz entfallen lassen (Senat, Urteil vom 16. August 1995 – 2 StR 94/95, BGHR StPO § 261 Einlassung 6). Im Hinblick auf die Möglichkeit einer Anpassung der Einlassung an die Ergebnisse der Beweisaufnahme kann auch der Zeitpunkt, zu dem sich ein Angeklagter zur Sache einlässt, ein Umstand sein, der im Rahmen der Gesamtwürdigung gegen die Glaubhaftigkeit der Einlassung spricht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2001 – 3 StR 580/00, BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 21).
24
Zwar hat die Kammer in den Urteilsgründen dargestellt, dass die Einlassung der Angeklagten über ihre Verteidiger durch Verlesung von vorbereiteten, schriftlichen Erklärungen in der Hauptverhandlung erfolgte (UA S. 57). Auch werden inhaltliche Angaben hierzu gemacht (UA S. 27, 51 bis 56). Es bleibt jedoch offen, zu welchem Zeitpunkt im Rahmen der mehrtägigen Hauptverhandlung diese Einlassungen verlesen wurden und ob und insbesondere mit welchem Inhalt sich die Angeklagten vor diesem Zeitpunkt eingelassen haben. Dass es frühere Einlassungen der Angeklagten gegeben hat, folgt bezüglich des Angeklagten C. B. aus der Erwähnung eines Hinweises zum Fundort der Leichen (UA S. 27) und bezüglich des Angeklagten K. B. aus der Mitteilung, dass er am 8. Juni 2014 vom Zeugen KOK P. zur Sache vernommen worden ist (UA S. 35). Das Urteil teilt auch nicht mit, wie im Einzelnen sich der Angeklagte C. B. im Rahmen des letzten Wortes geäußert hat. Insoweit wird lediglich wiedergegeben, dass der Angeklagte anschaulich geschildert habe, noch immer beinahe jede Nacht vom Tatgeschehen zu träumen (UA S. 83).
25
b) Das Landgericht hat darüber hinaus den Anwendungsbereich des Zweifelssatzes verkannt. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2014 – 1 StR 327/14 Rn. 44, NStZ-RR 2015, 83, 85 mwN). Keinesfalls gilt er für entlastende Indiztatsachen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2001 – 3 StR 136/01, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24).
26
Nachdem das Landgericht bei der Bewertung des Kampfgeschehens und der Interessenlage der Beteiligten zunächst zu der Annahme gelangt war, dass „Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sowohl der Geschädigte H. K. als auch der Angeklagte C. B. am Tattag das Tatmesser mitgebracht und als Erstes eingesetzt haben könnten, da beide ohnehin messergewohnt waren“ (UA S. 59), ist es unter rechtsfehlerhafter Anwendung des Grund- satzes „in dubio pro reo“ der Einlassung der Angeklagten gefolgt und zu deren Gunsten davon ausgegangen, dass „der Streit am Tattag von den Geschädig- ten begonnen wurde und der Geschädigte H. K. hierbei derjenige war, der das Tatmesser mit sich führte, dieses auch zog und zuerst gegen den Angeklagten C. B. einsetzte“ (UA S. 62).
27
c) Die Beweiswürdigung weist zudem durchgreifende Lücken auf.
28
aa) Die Wertung des Landgerichts, es sei kein Motiv der Angeklagten ersichtlich , mit den Geschädigten am Tattag zunächst einen verbalen Streit und sodann gar eine körperliche Auseinandersetzung zu beginnen (UA S. 61), beruht auf lückenhaft gebliebenen Erwägungen.
29
Das Landgericht stellt insoweit darauf ab, dass die Angeklagten nach dem Beratungsgespräch mit ihrem Rechtsanwalt wussten, dass der mit den Geschädigten geschlossene Untermietvertrag illegal war und sie den Geschädigten deshalb künftig keine Mietzinszahlungen mehr schuldeten. Außerdem habe ihnen der Anwalt zugesichert, mit dem Eigentümer Kontakt aufzunehmen und zu versuchen, für die Angeklagten einen Mietvertrag über das Grundstück direkt mit dem Eigentümer ohne Einschaltung der Geschädigten abzuschließen (UA S. 61, 79). Das Landgericht sieht die Angeklagten daher in einer „geradezu komfortablen Lage“, weshalb sie auch keine Veranlassunggehabt hätten, mit den Geschädigten Streit zu beginnen (UA S. 62).
30
Bei dieser Wertung hat das Landgericht nicht hinreichend in den Blick genommen, dass die Angeklagten bereits eine Woche zuvor ein Schreiben der Stadt Ma. erhalten hatten, aus dem sich ergab, dass die Ranch künftig an die Angeklagten nicht mehr zu Wohnzwecken vermietet werden durfte (UA S. 38). Der Nutzung des Grundstücks zu Wohnzwecken standen nicht nur die Bestimmungen des Pachtvertrags, sondern auch öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen (UA S. 37). Da die Zeugin Kl. über den eingeschalteten Rechtsanwalt die Räumung des Grundstücks von den Angeklagten verlangt hatte (UA S. 37), hatten diese daher Anfang Juni das Ende des Mietverhältnisses über das Grundstück und die Zwangsräumung zu befürchten. Für sie bestand daher nicht nur die Gefahr, ihre Wohnung auf der Ranch, sondern vor allem ihren Lebensmittelpunkt und die von ihnen auf dem Grundstück betreuten Tiere zu verlieren, an denen der Angeklagte C. B. besonders hing und die sein Lebensinhalt waren. Selbst in dem von ihrem Rechtsanwalt ins Spiel gebrachten Fall der eigenen Anmietung des Grundstücks hätten die Angeklagten ihre Wohnmöglichkeit verloren. Den drohenden Verlust der bisherigen Lebensumstände der Angeklagten hätte die Strafkammer bei der Frage, ob die Angeklagten Anlass hatten, mit den Geschädigten einen Streit zu beginnen , mitberücksichtigen müssen.
31
bb) Die Wertung der Kammer, eine geplante Tötung der Geschädigten seitens der Angeklagten scheide aus, blendet einen wesentlichen Aspekt des festgestellten Geschehensablaufs aus. So erklärt das Landgericht die – gegen den unmittelbar zuvor erteilten Rat ihres Rechtsanwalts am 2. Juni 2014 erfolgte – Zahlung der Angeklagten in Höhe von 450 Euro an die Geschädigten mit dem Ziel, „zunächst weiteren Streitigkeiten und Anfeindungen der Geschädigten zu entgehen“ (UA S. 50). Nicht in die Wertung einbezogen hat das Landgericht jedoch den festgestellten Umstand, dass die Angeklagten noch am selben Tag mit den Geschädigten verabredet hatten, am 6. Juni 2014 den offenen Restbetrag zu bezahlen und sich die Geschädigten gerade aus diesem Grund am Tattag zur Ranch begaben (UA S. 10, 18). Dass die Angeklagten am 2. Juni 2014 mit den Geschädigten die Verabredung einer weiteren Geldübergabe trafen, ist im Übrigen nicht mit der vom Landgericht getroffenen Annahme in Einklang zu bringen, die Angeklagten seien nach der Teilmietzinszahlung „definitiv nicht mehr bereit [gewesen], weiteren Mietzins an die Geschädigten zu entrichten“ (UA S. 18).
32
cc) Auch hinsichtlich der Geschehnisse am Tattag zwischen 11 Uhr und 13 Uhr weist die Beweiswürdigung eine Lücke auf. Wie das Landgericht aufgrund der Angaben diverser Zeugen festgestellt hat, waren die Geschädigten regelmäßig täglich zwischen 11 und 13 Uhr auf der Ranch (UA S. 12 ff.; 28 ff., 46 ff.). Nach ihrer (insoweit vom Landgericht nicht in Zweifel gezogenen) Aussage traf die Zeugin S. die Geschädigte auch am 6. Juni 2014 gegen 11 Uhr nahe der Ranch, als diese mit ihren Hunden am Mainufer spazieren ging (UA S. 68). Diese Aussage hat das Landgericht nicht zum Anlass genommen, sich mit der naheliegenden Frage auseinanderzusetzen, ob sich die Geschädigten bereits etwa zwei Stunden vor der Tat auf der Ranch aufgehalten haben und was zwischen 11 Uhr und der zwischen 13.02 Uhr und circa 13.30 Uhr angesetzten Tatzeit auf der Ranch geschehen ist.
33
dd) Bei der Würdigung der Einlassung des Angeklagten C. B. zum Tathergang hat die Kammer nicht erörtert, dass die Einlassung zum auslösenden Ereignis für den Messereinsatz durch den Geschädigten H. K. in offenkundigem Widerspruch zur Tatvorgeschichte steht. Der Angeklagte hat sich eingelassen, der Geschädigte habe ein Messer gezogen, nachdem er durch ihn davon erfahren habe, dass der Eigentümer der Ranch von dem illegalen Untermietverhältnis nunmehr Kenntnis erlangt habe (UA S. 52). Demgegenüber ist das Landgericht im Rahmen der Tatvorgeschichte davon ausgegangen, dass die Geschädigten von dem Schreiben bereits mindestens eine Woche vor der Tat Kenntnis erhalten hatten (UA S. 17, 37, 38, 60).
34
d) Schließlich fehlt es auch an der gebotenen Gesamtwürdigung aller für und gegen die Angeklagten sprechenden Umstände. Die Beweiswürdigung der Strafkammer lässt nicht erkennen, dass sich das Landgericht des Umstandes bewusst war, dass einzelne Belastungsindizien, die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, doch in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung des Tatgerichts begründen können (vgl. Senat, Urteil vom 17. September 1986 – 2 StR 353/86; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung , unzureichende 1; BGH, Urteil vom 5. November 2014 – 1 StR 327/14, NStZ-RR 2015, 83, 85).
35
3. Das Urteil beruht auch auf den aufgezeigten Darstellungs- und Beweiswürdigungsmängeln ; der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und der gebotenen wertenden Gesamtschau aller be- und entlastenden Indizien die Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten gewonnen hätte. Vors.RiBGH Prof. Dr. Fischer Appl Eschelbach ist wegen Krankheit an der Unterschrift gehindert. Appl Zeng Grube
9
a) Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind (siehe nur BGH, Beschlüsse vom 7. August 2014 – 3 StR 224/14 Rn. 5 [in NStZ-RR 2014, 349 nur redaktioneller Leitsatz] und vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]). Der Beur- teilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfeh- ler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 136/14 mwN und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15, Rn. 18; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteile vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87 und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18; siehe auch BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – 4 StR 569/15 Rn. 26; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN). Die Überzeugung des Tatgerichts muss in den Feststellungen und der diesen zugrunde liegenden Beweiswürdigung allerdings eine ausreichende objektive Grundlage finden (BGH, Urteil vom 19. April 2016 – 5 StR 594/15 Rn. 6; vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. August 2013 – 1 StR 378/13, NStZ-RR 2013, 387, 388). Es ist im Fall einer Verurteilung des Angeklagten grundsätzlich verpflichtet, die für den Schuldspruch wesentlichen Beweismittel im Rahmen seiner Beweiswürdigung heranzuziehen und einer erschöpfenden Würdigung zu unterziehen (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 20. März 2002 – 5 StR 448/01 und vom 25. Februar 2015 – 4 St4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 420/14
vom
12. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Februar
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –,
Richterin am Landgericht – bei der Verkündung –
als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Pflichtverteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 24. März 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte vom Vorwurf des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs und fahrlässigen unerlaubten Besitzes eines nach dem Waffengesetz verbotenen Gegenstandes zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Vom Vorwurf, einen (besonders) schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie einen Diebstahl begangen zu haben, hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihrer vom Generalbundesanwalt vertretenen, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den hinsichtlich der Raubtat ergangenen Teilfreispruch.
2
Ausweislich der Ausführungen in der Revisionsrechtfertigung, mit denen die Beschwerdeführerin ausschließlich den Freispruch vom Vorwurf des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung als sachlich-rechtlich fehlerhaft beanstandet, ist das Rechtsmittel ungeachtet des in der Revisionsbegründung abschließend formulierten umfassenden Aufhebungsantrags auf diesen Teilfreispruch beschränkt (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 1989 – 3 StR453/88, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; vom 18. Dezember 2014 – 4 StR 468/14 Rn. 7 mwN; Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 7).
3
Die wirksam beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.


4
Zu dem in der zugelassenen Anklage gegen den Angeklagten erhobenen Vorwurf, gemeinsam mit einem bislang unbekannten Täter einen schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung begangen zu haben, hat die Strafkammer folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
In den frühen Morgenstunden des 10. Juli 2013 gegen 2.00/2.30 Uhr klingelte es an der Wohnungstür des Geschädigten. Unbedarft öffnete er die Wohnungstür und erblickte zwei schwarz gekleidete und mit Sturmhauben maskierte männliche Personen, welche ihn unvermittelt zurück in seine Wohnung drängten und zu Boden zwangen. Einer der beiden Männer hielt einen schwarzen, etwa 50 bis 80 cm langen Schlagstock in der Hand und fuchtelte mit diesem herum, wobei er den Geschädigten auch am linken Unterarm traf. Während einer der beiden maskierten Männer den Geschädigten mit dem Fuß auf dem Brustkorb am Boden hielt, trug der andere verschiedene elektronische Geräte in der Wohnung zusammen. Er holte einen Rucksack aus dem Schlafzimmer und verstaute darin einen Laptop Sony Vaio, eine Playstation 3 sowie eine Toshiba Festplatte. Ferner stellte er ein Mischpult Traktor Kontrol S2, welches sich in einem Karton befand, zur Mitnahme bereit. Anschließend forderten die Täter den Geschädigten auf, sowohl seine Geldbörse als auch sein Mobiltelefon , ein Apple iPhone 4-8 GB, herauszugeben. Aus Angst und unter dem Eindruck des Überfalls stehend übergab der Geschädigte die geforderten Gegenstände. In der Geldbörse befanden sich u.a. der Personalausweis, der Führerschein und die Krankenkassenkarte des Geschädigten. Unter Mitnahme der genannten Gegenstände verließen die Täter sodann die Wohnung.
6
Das Mobiltelefon des Geschädigten verkaufte der Angeklagte am 22. Juli 2013 für 130 € an den Bruder seiner ehemaligen Freundin, nachdem er es in der Zeit vom 12. Juli 2013 bis zum Verkauf selbst genutzt hatte. Das entwendete Laptop nutzte der Angeklagte vom 12. Juli bis 15. Juli 2013 und veräußerte es anschließend für 100 € an seine ehemalige Freundin. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten konnten am 22. Juli 2013 das Mischpult des Geschädigten sowie dessen Führerschein und Krankenkassenkarte aufgefunden werden.
7
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Beteiligung an dem Raubüberfall zum Nachteil des Geschädigten freigesprochen, weil nicht habe festgestellt werden können, wie der Angeklagte an die Gegenstände aus der Tatbeute gelangt sei. Die tatsächlichen Voraussetzungen für eine wahldeutige Verurteilung wegen Diebstahls oder Hehlerei hat es verneint.

II.


8
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Die dem Teilfreispruch zugrunde liegende Beweiswürdigung hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
9
1. Das Revisionsgericht hat es regelmäßig hinzunehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 – 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18. Januar 2011 – 1 StR 600/10, NStZ 2011, 302; vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78 aaO). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – 4 StR 360/12, NStZ 2013, 180). Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (vgl. BGH, Urteile vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97 aaO; vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteile vom 17. Juli 2014 – 4 StR 129/14 Rn. 7; vom 18. August 2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85, 86; vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90, 91).
10
2. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht in jeder Hinsicht gerecht.
11
a) Die Strafkammer hat die Einlassung des Angeklagten, er sei, nachdem er am Tattag bis gegen 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr bei seiner Schwester gewesen sei, von dort an die Schwimmhalle in Bitterfeld gefahren worden, wo er seinen Bekannten K. O. getroffen habe, der ihm „schöne Dinge“ angeboten und gefragt habe, ob er daran Interesse habe, als unglaubhaft bewertet. Dabei hat sie sich u.a. auf die Zeugenaussage der Schwester des Angeklagten gestützt, die bekundet hat, den Angeklagten gegen 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr gemeinsam mit einer Freundin von ihr zur Haustür begleitet, ihn anschließend aber nicht zur Schwimmhalle gefahren zu haben. Wenn das Landgericht dieses Beweisergebnis dahingehend bewertet, dass dem Angeklagten für die Tatzeit ein Alibi fehlt (UA S. 22), liegt dem ersichtlich die Annahme zugrunde, dass es dem Angeklagten nach den zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten möglich war, nach dem Verlassen der Wohnung der Schwester um 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr die wenig später um 2.00/2.30 Uhr verübte Raubtat zu begehen. Die objektiv belegte Gelegenheit zur Tatausführung, die daraus resultiert, dass der Angeklagte maximal 1 ½ Stunden vor der Tat in der eine Tatausführung ermöglichenden Nähe zum Tatort unterwegs war, stellt aber ein den Angeklagten belastendes Indiz dar, das in seinem Beweiswert durch den bloßen Hinweis auf das fehlende Alibi zur Tatzeit nicht erschöpfend erfasst wird und daher in die tatrichterlichen Überlegungen hätte einbezogen werden müssen.
12
b) Im Rahmen der Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse wäre zudem zu erörtern gewesen, dass der Angeklagte nicht nur über ohne weiteres selbst zu nutzende oder wirtschaftlich verwertbare Gegenstände aus der Beute verfügte , sondern mit dem Führerschein und der Krankenkassenkarte des Geschädigten auch solche Beutestücke in Besitz hatte, denen kein unmittelbarer Vermögenswert zukommt und für deren Überlassung durch einen Raubtäter kein nachvollziehbarer Anlass erkennbar ist.
13
c) Mit seiner der Ablehnung einer wahldeutigen Verurteilung zugrunde liegenden Annahme, der Erwerb der Gegenstände aus der Beute könne auch auf einem dritten Weg erfolgt sein, der in seiner konkreten Gestalt nicht näher bekannt sei, hat die Strafkammer schließlich eine Sachverhaltsvariante für möglich erachtet, für welche sich aus dem Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte ergeben. Soweit die Strafkammer in der Unglaubhaftigkeit der Schilderung des Angeklagten über den (hehlerischen) Erwerb der Gegenstände von seinem Bekannten K. O. einen Anhalt für ihre Annahme gesehen hat, hat sie verkannt, dass der widerlegten Einlassung des Angeklagten keine Beweisbedeutung zukommt, die gegen eine anderweitige hehlerische Erlangung der Beutestücke durch den Angeklagten spricht. Das Landgericht hat es insoweit versäumt, eine umfassende Würdigung aller Beweisumstände vorzunehmen und auf dieser Grundlage zu prüfen und zu entscheiden, ob die Beweisergebnisse die Überzeugung zu tragen vermögen, dass der Angeklagte die Gegenstände aus der Tatbeute entweder durch die Raubtat oder im Wege der Hehlerei erlangt hat.
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 423/16
vom
2. Februar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der gefährlichen Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:020217U4STR423.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Februar 2017, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Bender, Dr. Feilcke als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –, Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung – als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Rechtsanwältin – in der Verhandlung – als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 20. April 2016 in den Fällen II.1 und II.3 bis II.10 der Urteilsgründe, auf die Revision der Nebenklägerin in den Fällen II.1, II.3 bis II.6 und II.8 bis II.10 der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen der vorsätzlichen Körperverletzung in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung , der gefährlichen Körperverletzung in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Bedrohung, der Bedrohung und der Freiheitsberaubung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen die Freisprüche von den Tatvorwürfen zum Nachteil der Nebenklägerin (Fälle II.1 und II.3 bis II.10 der Urteilsgründe) wenden sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin – diese mit Ausnahme des Falles II.7 – jeweils mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


2
Mit der zugelassenen Anklage vom 23. Dezember 2014 hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten insgesamt neun Taten zum Nachteil der Nebenklägerin F. im Zeitraum zwischen September 2011 und September 2012 zur Last gelegt. Die Nebenklägerin und der Angeklagte waren im Tatzeitraum liiert. Das Landgericht vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass die von der Nebenklägerin bekundeten körperlichen Misshandlungen durch den Angeklagten und im Fall II.7 die Freiheitsberaubung stattgefunden haben. Es hat den Angeklagten, der verbale Auseinandersetzungen einschließlich Bedrohungen und Beleidigungen eingeräumt, die Tatvorwürfe aber bestritten hat, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
3
Nach Auffassung des Landgerichts seien schon einige Angaben der Nebenklägerin , die in verschiedenen Vernehmungen sehr konstant mit verschiedenen Realkennzeichen ausgesagt habe, unschlüssig. Darüber hinaus sei ihr Verhalten, trotz der behaupteten Misshandlungen und ihrer Angst vor dem Angeklagten , immer wieder die Nähe des Angeklagten zu suchen, nicht nachvollziehbar. Zwar habe die Zeugin H. ihre Angaben in einigen Punkten bestätigt, die übrigen von ihr benannten Zeugen hätten aber weder eine der angeklagten Misshandlungen beobachtet noch konkrete Verletzungen an ihr wahrgenommen. Auch ihre Frauenärztin habe bei Untersuchungen der im fraglichen Zeitraum schwangeren Nebenklägerin keine Verletzungen festgestellt. Die schon nach der Aussage der Nebenklägerin bestehenden Zweifel hätten nach der gebotenen Gesamtwürdigung zum Freispruch geführt.

II.


4
Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist auf die Tatvorwürfe zum Nachteil der Nebenklägerin beschränkt. Sie beantragt (§ 344 Abs. 1 StPO) zwar, das gesamte Urteil aufzuheben. Die Begründung greift jedoch den Freispruch hinsichtlich der Tat II.2 zum Nachteil der Zeugin H. nicht an, sondern nur die Beweiswürdigung in den übrigen Fällen. Fallen Revisionsantrag und -begründung auseinander, bestimmt sich der Anfechtungsumfang regelmäßig durch Auslegung der Revisionsbegründung (BGH, Urteile vom 2. Februar 2017 – 4 StR 481/16; vom 12. April 1989 – 3 StR 453/88, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; vgl. auch Nr. 156 Abs. 2 RiStBV).
5
Die Auslegung der Revision der Nebenklägerin ergibt, dass sie auf den Freispruch vom Vorwurf der nebenklagefähigen Delikte beschränkt ist.

III.


6
Die Revisionen haben Erfolg. Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7
1. Für die revisionsgerichtliche Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung gelten folgende Maßstäbe:
8
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das vom Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Dem Tatrichter obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Fe- bruar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16 mwN). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, insofern nicht abgedruckt in BGHSt 52, 314). Aus den Urteilsgründen muss sich auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, insofern nicht abgedruckt in BGHSt 52, 314). Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind bei einem Freispruch nicht geringer als im Fall der Verurteilung (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2009 – 1 StR 479/08, NStZ 2009, 512, 513). Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2004 – 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238, 239). Der Tatrichter darf zudem keine überspannten Anforderungen an die für die Beurteilung erforder- liche Gewissheit stellen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. Juli 2016 – 1 StR 607/15).
9
2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Die Beweiswürdigung ist lückenhaft. Das Landgericht hat mit rechtsfehlerhaften Erwägungen überspannte Anforderungen an die für die Überzeugungsbildung erforderliche Gewissheit gestellt. Auch eine Gesamtwürdigung aller Beweistatsachen fehlt.
10
a) Das Urteil enthält keine Feststellungen zur Person des Angeklagten. Solche Feststellungen sind zwar in erster Linie bei verurteilenden Erkenntnissen notwendig, um nachvollziehen zu können, dass der Tatrichter die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung (§ 46 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 StGB) ermittelt und berücksichtigt hat; aber auch bei freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen zumindest dann zu solchen Feststellungen verpflichtet, wenn diese zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind (BGH, Urteile vom 24. November 2016 – 4 StR 235/16, NStZ-RR 2017, 38, 39; vom 14. Februar 2008 – 4 StR 317/07, NStZ-RR 2008, 206, 207, jeweils mwN). So liegt es hier. Der Angeklagte verbüßte zum Urteilszeitpunkt eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren wegen gefährlicher Körperverletzung. Was für eine Straftat dieser Verurteilung zugrunde liegt und ob er darüber hinaus vorbestraft ist, wird im Urteil nicht mitgeteilt. Sollte der Angeklagte bereits einschlägig in Erscheinung getreten sein, könnte dies Aufschluss über die Täterpersönlichkeit geben und als Umstand in die Beweiswürdigung einzustellen sein.
11
b) Zudem fehlt eine Darstellung derjenigen Tatsachen, die die Nebenklägerin in jenem anderen Verfahren zu Lasten des Angeklagten bekundet hat. Das Landgericht teilt zwar mit, dass jene Verurteilung des Angeklagten nicht auf der Aussage der Nebenklägerin beruht, lässt aber offen, ob die Nebenklägerin den Angeklagten dort falsch belastet hat. Auch die naheliegend zu erörternde Frage eines Falschbelastungsmotivs hat die Strafkammer nicht in den Blick genommen. Desgleichen hat sie weitere sich aufdrängende Fragen, wie diejenigen des Hintergrunds der Bedrohungen der Nebenklägerin durch die Familie des Angeklagten und ihrer Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm, nicht erörtert.
12
c) Das Landgericht stellt die Schlüssigkeit der Aussage der Nebenklägerin mit nicht tragfähigen Erwägungen in Frage.
13
Soweit das Landgericht Zweifel an der Aussage der Nebenklägerin hegt, weil diese trotz ihrer Angst und der Gewalttätigkeit des Angeklagten immer wieder zu diesem zurückgekehrt sei und auch nach dessen Verhaftung zunächst zu ihm gehalten habe, ist ein solches Verhalten von misshandelten Frauen keineswegs ungewöhnlich. Zu einem solchen nachvollziehbaren ambivalenten Verhalten könnte die Aussage der Zeugin M. passen, die angegeben hat, dass die Nebenklägerin geäußert habe, sie hoffe, der Angeklagte würde sich ändern (UA 31). Hinsichtlich des Umstandes, dass die Frauenärztin der Nebenklägerin bei einer Untersuchung zwölf Tage nach der letzten behaupteten Misshandlung keine Verletzungsspuren notiert hat, setzt sich das Landgericht nicht mit der Frage auseinander, inwieweit zu diesem Zeitpunkt augenfällige Verletzungsspuren noch zu erwarten gewesen wären. Dies gilt auch hinsichtlich des Tatvorwurfs Ziffer 8, bei dem die Untersuchung drei Tage nach dem Vorfall erfolgte. Nach dem Anklagevorwurf trat der Angeklagte nach der Nebenklägerin, als diese die Treppe hinauf ging. Inwieweit er sie traf und Verletzungen verursachte , lässt sich weder dem Anklagevorwurf noch den im Urteil mitgeteilten Aussagen der Nebenklägerin entnehmen.
14
d) Auch fehlt entgegen der formelhaften Wendung (UA 32) die erforderliche Gesamtschau der Beweisergebnisse. Das Landgericht hat die Aussage der Nebenklägerin vor allem mit Blick auf die Umstände, die der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben entgegenstehen, ausführlich erörtert und überprüft, während es die für die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben sprechenden Gesichtspunkte, etwa die Aussage der Zeugin H. (UA 27) und das Auffinden von Patronen in der Wohnung des Angeklagten und eines Revolvers in der Nähe der Wohnung (UA 32) nur knapp würdigt und in die abschließende Gesamtwürdigung der für und gegen die Richtigkeit der Aussage der Nebenklägerin sprechenden Umstände nicht einbezieht. Das Landgericht sieht zwar, dass sich aus dem Auffinden eines Revolvers und von Patronen ein Indiz ergibt, meint aber, dass dies alleine nicht ausreiche, um die „überzeugenden“ Angaben der übrigen aus dem Umfeld des Angeklagten stammenden Zeugen und die Zweifel an der Aussage der Nebenklägerin zu beseitigen.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Bender Feilcke
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
______________________
StPO § 141 Abs. 3, MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d
1. Ist abzusehen, daß die Mitwirkung eines Verteidigers im gerichtlichen Verfahren
notwendig sein wird, so ist § 141 Abs. 3 StPO im Lichte des von Art. 6 Abs. 3
Buchst. d MRK garantierten Fragerechts dahin auszulegen, daß dem unverteidigten
Beschuldigten vor der zum Zwecke der Beweissicherung durchgeführten
ermittlungsrichterlichen Vernehmung des zentralen Belastungszeugen ein Verteidiger
zu bestellen ist, wenn der Beschuldigte von der Anwesenheit bei dieser
Vernehmung ausgeschlossen ist.
2. Der Verteidiger muß regelmäßig Gelegenheit haben, sich vor der Vernehmung mit
dem Beschuldigten zu besprechen.
3. Das Unterlassen der Bestellung des Verteidigers mindert den Beweiswert des
Vernehmungsergebnisses. Auf die Angaben des Vernehmungsrichters kann eine
Feststellung regelmäßig nur dann gestützt werden, wenn diese Bekundungen
durch andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden.
BGH, Urt. vom 25. Juli 2000 - 1 StR 169/00 - LG Ravensburg

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 169/00
vom
25. Juli 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Juli 2000,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Maul,
Nack,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwälte ,
und Rechtsanwältin
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 16. Dezember 1999 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Sexualdelikten (u.a. Vergewaltigung ) zum Nachteil seiner Tochter zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer auf den Verstoß gegen das faire Verfahren (Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK) gestützten Verfahrensrüge Erfolg.

I.


Zentral für die Überführung des die Tat bestreitenden Angeklagten ist die Aussage der Geschädigten vor dem Ermittlungsrichter. Dieser wurde als Zeuge gehört, nachdem die Geschädigte in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte.
Die Revision macht mit einer Verfahrensrüge geltend, die ermittlungsrichterliche Vernehmung leide an einem schwerwiegenden Mangel. Bei der Vernehmung der Geschädigten habe der Ermittlungsrichter den nicht in Freiheit befindlichen und noch nicht verteidigten Angeklagten nach § 168c Abs. 3 StPO von der Anwesenheit ausgeschlossen und zugleich nach § 168c Abs. 5 Satz 2 StPO angeordnet, daß eine Benachrichtigung von dem Vernehmungstermin zu unterbleiben habe. Eine Verteidigerbestellung vor der Vernehmung sei nicht erfolgt. Gleichwohl habe das Landgericht die Verurteilung entscheidend auf die Bekundungen der Geschädigten vor dem Ermittlungsrichter gestützt , wobei keine anderen wichtigen Beweismittel vorgelegen hätten. In dieser Vorgehensweise liege ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK in Verbindung mit § 141 Abs. 3 StPO. Die Revision bezieht sich insoweit auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 24. November 1986 (EuGRZ 1987, 147 – Fall Unterpertinger).
Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Anfang November 1997, kurz nach der letzten Tat, flüchtete die Geschädigte zu ihrer Tante, der sie von dem sexuellen Mißbrauch berichtete. Die Tante erstattete am 7. November 1997 Strafanzeige. Gegen den Angeklagten wurde daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Vergewaltigung in 304 Fällen eingeleitet. Noch am selben Tage wurde die Geschädigte polizeilich vernommen. Am 8. November 1997 wurde der Angeklagte vorläufig festgenommen und – nach Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO – polizeilich vernommen. Am 9. November 1997 erließ das Amtsgericht Haftbefehl. Dem Angeklagten wurde eine Vielzahl von Vergehen des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes und von Verbrechen der sexuellen Nötigung und der Vergewalti-
gung zur Last gelegt. Bei der am selben Tag erfolgten Anhörung durch den Haftrichter wurde der Angeklagte ”darüber belehrt, daß er, bevor er sich entschließe zum Vorwurf Stellung zu nehmen, einen Anwalt seiner Wahl zu Rate ziehen könne". Der Angeklagte äußerte sich dazu nicht. Zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen machte er keine Angaben.
Noch bevor der Angeklagte einen Verteidiger beauftragt hatte, stellte die Staatsanwaltschaft am 10. November 1997 beim Amtsgericht den Antrag, die Geschädigte richterlich zu vernehmen. Dabei sollte der Angeklagte nach § 168c Abs. 3 StPO von der Anwesenheit ausgeschlossen werden; auch eine Benachrichtigung sollte unterbleiben. Diesem Antrag folgte der Ermittlungsrichter und vernahm die Geschädigte am selben Tag. Die Geschädigte machte nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht Angaben, die den Angeklagten belasteten.
Am 17. November beauftragte der Angeklagte einen Rechtsanwalt mit seiner Verteidigung, der sich am Folgetag beim Amtsgericht legitimierte und um alsbaldige Akteneinsicht und vorab um die Einsichtnahme in die privilegierten Aktenteile nach § 147 Abs. 3 StPO bat. Mitte Dezember 1997 gab die Staatsanwaltschaft dem Verteidiger Gelegenheit, das Protokoll der richterlichen Vernehmung der Geschädigten einzusehen. Vollständige Akteneinsicht erhielt der Verteidiger erst Anfang April 1998. Im Rahmen eines Haftbeschwerdeverfahrens wies der Verteidiger am 20. März 1998 darauf hin, daß es unklar sei, ob die Geschädigte in der Hauptverhandlung zur Verfügung stehen würde. Wenn dieser Fall eintreten würde, hätte der Angeklagte keine Möglichkeit zur Befragung der Zeugin gehabt, zumal ihm bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung der Geschädigten kein Verteidiger bestellt worden sei.
Am 30. März 1998 wurden die Ehefrau des Angeklagten und die Schwester der Geschädigten auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom Ermittlungsrichter vernommen. Auch von der Anwesenheit bei diesen Vernehmungen wurde der Angeklagte antragsgemäß ausgeschlossen. Entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft wurde jedoch der Verteidiger des Angeklagten von den Terminen benachrichtigt; er nahm an den Vernehmungen teil.
Vor Beginn der Hauptverhandlung teilten die Geschädigte, ihre Schwester sowie die Ehefrau des Angeklagten dem Gericht mit, sie würden von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Das Landgericht hat deshalb den Ermittlungsrichter als Zeugen gehört, der bekundete, was diese Zeugen des Angeklagten bei ihm ausgesagt hatten. Gegen den v or der Vernehmung des Ermittlungsrichters erhobenen Widerspruch des Verteidigers wurde die Aussage des Ermittlungsrichters verwertet.

II.


1. Nach Artikel 6 Abs. 3 Buchstabe d der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (der im Wortlaut mit Art. 14 Abs. 3 Buchst. e IPbürgR übereinstimmt) hat der Angeklagte das Recht, ”Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen”.
Dieses Fragerecht hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert: Urteile vom 24. November 1986 – 1/1985/87/134 – Unterpertinger gegen Österreich = EuGRZ 1987, 147; vom 6. Dezember 1988 – 24/1986/122/171-173 – Barberà gegen Spanien; vom 7. Juli 1989 – 19/1987/142/196 – Bricmont gegen Belgien; vom
20. November 1989 – 10/1988/154/208 – Kostovski gegen Niederlande = StV 1990, 481; vom 27. September 1990 – 25/1989/185/245 – Windisch gegen Österreich = StV 1991, 193; vom 19. Dezember 1990 – 26/1989/186/246 – Delta gegen Frankreich; vom 19. Februar 1991 – 1/1990/192/252 – Isgrò gegen Italien; vom 19. März 1991 – 24/1990/215/277 – Cardot gegen Frankreich = EuGRZ 1992, 437; vom 26. April 1991 – 30/1990/221/283 – Asch gegen Österreich = EuGRZ 1992, 474; vom 28. August 1992 – 39/1991/291/362 – Artner gegen Österreich = EuGRZ 1992, 476; vom 20. September 1993 – 33/1992/378/452 – Saïdi gegen Frankreich; vom 26. März 1996 – 54/1994/501/583 – Doorson gegen Niederlande und vom 7. August 1996 – 48/1995/554/640 – Ferrantelli and Santangelo gegen Italien. Danach gilt:

a) Die Garantie des Fragerechts ist eine besondere Ausformung des Grundsatzes des fairen Verfahrens – ”specific aspect of the general concept of fair trial – (Fälle Unterpertinger Nr. 29; Barberà Nr. 67; Kostovski Nr. 39; Windisch Nr. 23; Asch Nr. 25; Ferrantelli u.a. Nr. 51). Dabei wird das Fragerecht auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als Recht der Verteidigung insgesamt verstanden (BGH StV 1996, 471).

b) Die Ausgestaltung des Fragerechts ist primär dem nationalen Recht überlassen (Fälle Kostovski Nr. 39; Windisch Nr. 25; Asch Nr. 26; Saïdi Nr. 43; Doorson Nr. 67; siehe auch BGHSt 45, 321 und Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. Art. 6 MRK Rdn. 216). Das gesamte Beweisverfahren muß allerdings im Lichte des durch die Konvention garantierten Fragerechts gesehen werden: ”the whole matter of the taking and presentation of evidence must be looked at in the light of paragraphs ... 3 of Article 6 of the convention” (Fall Barberà Nr. 76).
Die Vertragsstaaten müssen daher das Fragerecht entsprechend ausgestalten : ”Paragraph 1 of Article 6 taken together with paragraph 3, also requires the Contracting States to take positive steps, in particular ... to enable him [the accused] to examine or have examined witnesses against him and to obtain the attendance and examination of witnesses on his behalf under the same conditions as witnesses against him" (Fall Barberà Nr. 78).

c) Für die Frage eines Konventionsverstoßes kommt es nach ständiger Rechtsprechung des EGMR darauf an, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit, einschließlich der Art und Weise der Beweiserhebung fair gewesen ist: ”The Court’s task is to ascertain whether the proceedings considered as a whole, including the way in which evidence was taken, were fair” (Fälle Barberà Nr. 89; Windisch Nr. 25; Asch Nr. 26; Saïdi Nr. 43; Doorson Nr. 67; ebenso Gollwitzer aaO Art. 6 MRK Rdn. 216). Insoweit sind maßgebliche Kriterien:
aa) Die Beweisgewinnung muß grundsätzlich in Anwesenheit des Angeklagten in einer öffentlichen Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung erfolgen: ”The Court infers, as the Commission did, that all the evidence must in principle be produced in the presence of the accused at a public hearing with a view to adversarial argument” (Fälle Barberà Nr. 78; Kostovski Nr. 41; Windisch Nr. 26; Delta Nr. 36; Isgrò Nr. 34; Asch Nr. 27; Saïdi Nr. 43; Ferrantelli u.a. Nr. 51). Der Angeklagte muß grundsätzlich Zeugen befragen können: ”... the hearing of witnesses must in general be adversarial” (Fall Barberà Nr. 78).
bb) Das bedeutet allerdings nicht, daß die Zeugenaussage stets vor Gericht und öffentlich gemacht werden muß; auch kann aus Art. 6 Abs. 3
Buchst. d MRK kein Recht abgleitet werden, bei der Zeugenvernehmung im Vorverfahren anwesend zu sein (Vogler, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention Art. 6 Rdn. 551). Die Verwertung von Aussagen, die im Vorverfahren gemacht wurden, ist als solche nicht konventionswidrig (Fälle Kostovski Nr. 41; Windisch Nr. 26; Delta Nr. 36; Asch Nr. 27; siehe dazu auch Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar 2. Aufl. Art. 6 Rdn. 200). Das polizeiliche Vernehmungsprotokoll darf als Surrogat verlesen werden (Fälle Unterpertinger Nr. 31; Asch Nr. 25), und auch die Vernehmungspersonen dürfen als Zeugen vom Hörensagen vernommen werden (Fälle Kostovski Nr. 42; Asch Nr. 25).
Bei bestimmten Konstellationen darf auf eine Konfrontation des Zeugen mit dem Angeklagten verzichtet werden, etwa aus Gründen des Zeugenschutzes (Fälle Unterpertinger Nr. 30; Doorson Nr. 70), oder wenn zu befürchten ist, daß der Zeuge in Gegenwart des Angeklagten nicht die Wahrheit sagen werde (Vogler aaO Rdn. 552). Eine Gegenüberstellung mit dem Belastungszeugen ist daher nicht in jedem Fall zwingend geboten, um die Aussage verwertbar zu machen (Gollwitzer aaO Art. 6 MRK Rdn. 225; vgl. auch Fälle Bricmont Nrn. 79, 86; Ferrantelli u.a. Nr. 52).
cc) Allerdings muß die Justiz eine solche Einschränkung des Fragerechts durch andere Maßnahmen kompensieren: ” ... principles of fair trial also require that in appropriate cases the interests of the defence are balanced against those of witnesses or victims called upon to testify.... Nevertheless, no violation of Article 6 para. 1 taken together with Article 6 para. 3 (d) of the Convention can be found if it is established that the handicaps under which the defence laboured were sufficiently counterbalanced by the procedures followed
by the judicial authorities" (Fall Doorson Nrn. 70, 72; vgl. auch Fall Kostovski Nr. 43).
Dem Angeklagten muß regelmäßig – entweder zu dem Zeitpunkt, in dem der Zeuge seine Aussage macht, oder in einem späteren Verfahrensstadium – eine angemessene und geeignete Gelegenheit gegeben werden, den Zeugen entweder selbst zu befragen oder befragen zu lassen: ”As a rule, these rights require that an accused should be given an adequate and proper opportunity to challenge and question a witness against him, either at the time the witness was making his statement or at some later stage of the proceedings” (Fall Kostovski Nr. 41; siehe auch die Fälle Unterpertinger Nr. 31; Barberà Nr. 86; Windisch Nr. 26; Delta Nr. 36; Isgrò Nr. 34; Asch Nr. 27; Saïdi Nr. 43; Ferrantelli u.a. Nr. 51). Gollwitzer (aaO Art. 6 MRK Rdn. 227) interpretiert dies zutreffend dahin, daß dem auch nachträglich, etwa durch eine nochmalige Vernehmung des Zeugen, Rechnung getragen werden kann. Dabei reicht es nicht aus, nur die Vernehmungsperson befragen zu können, denn Zeuge im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK ist die originäre Auskunftsperson (Fälle Kostovski Nr. 40; Asch Nr. 25; ebenso BGH StV 1996, 471; BGH NStZ 1993, 292; Gollwitzer aaO Art. 6 MRK Rdn. 214, 223).
Unter Umständen kann die Einschränkung des Fragerechts seitens des Angeklagten dadurch kompensiert werden, daß wenigstens der Verteidiger bei der Zeugenvernehmung anwesend ist und den Zeugen befragen kann (Fall Doorson Nrn. 68, 73: anonymer Zeuge; Vogler aaO Art. 6 Rdn. 552).
dd) Für die Frage eines Konventionsverstoßes ist es auch bedeutsam, ob der Angeklagte auf die Befragung des Zeugen rechtzeitig beantragt hat (vgl.
einerseits die Fälle Windisch Nr. 37; Delta Nr. 37: ausdrücklicher Antrag und andererseits die Fälle Cardot Nr. 35; Asch Nr. 29: keinen Antrag gestellt; siehe auch Vogler aaO Art. 6 Rdn. 551), und ob die Ablehnung der Befragung begründet wurde (Fall Bricmont Nr. 89).

d) Eine ähnliche Fallgestaltung wie die vorliegende – Rückgriff auf frühere Bekundungen eines Zeugen, der in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht – liegt den österreichischen Fällen Unterpertinger und Asch zugrunde.
aa) Alois Unterpertinger wurde vom Landesgericht Innsbruck wegen zwei Fällen der Körperverletzung verurteilt. Im ersten Fall hatte er seiner Stieftochter im Zuge einer Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten (seine Frau hatte ihn einen ”Zuchthäusler” genannt) eine Kratzwunde am Auge zugefügt. Im zweiten Fall hatte er seiner Ehefrau einen Fußtritt gegen die Hand versetzt und ihr dabei den Daumen gebrochen. Zu dem ersten Vorfall vernahm das Gendarmeriepostenkommando Wörgl die Ehefrau als Verdächtige und die Stieftochter als Beteiligte. Wegen des zweiten Vorfalls erstattete die Ehefrau Anzeige beim Gendarmeriepostenkommando Wörgl. Das Bezirksgericht in Kufstein leitete Vorerhebungen wegen der beiden Vorfälle ein. Die Ehefrau wurde vor dem Untersuchungsrichter als Zeugin vernommen und bestätigte – nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht – ihre bisherigen Angaben.
In der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht Innsbruck machten die Ehefrau und die Stieftochter von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Aufgrund der Zeugnisverweigerung durfte nach § 252 Abs. 1 der Österreichi-
schen Strafprozeßordnung das Protokoll über die Vernehmung der Ehefrau vor dem Untersuchungsrichter nicht verlesen werden. Nach Österreichischem Recht (OGH ÖJZ 1975, 304) mußten jedoch auf Antrag der Staatsanwaltschaft Schriftstücke anderer Art (§ 252 Abs. 2 StPO), insbesondere die Aussagen der Zeuginnen vor der Gendarmerie, zu Beweiszwecken verlesen werden. Das Oberlandesgericht Innsbruck verwarf die Berufung des Angeklagten. Bei der Wiederholung und Ergänzung der Beweisaufnahme konnte die als Entlastungszeugin gehörte Schwägerin des Angeklagten nichts relevantes bekunden ; weitere Zeugen wurden nicht gehört, da sie nur zu unwesentlichen Nebenumständen benannt worden waren.
Der EGMR sah in dieser Vorgehensweise kein faires Verfahren und entschied , daß durch diese Vorgehensweise Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK verletzt worden seien. Durch die Zeugnisverweigerung vor Gericht hätten die Zeuginnen den Angeklagten daran gehindert, ihnen Fragen zu den vor der Gendarmerie gemachten Bekundungen zu stellen oder stellen zu lassen. Zwar habe er Erklärungen dazu abgeben können, aber das Berufungsgericht sei seinen Beweisanträgen zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit der Zeuginnen nicht nachgegangen. Auch wenn die Bekundungen der Zeuginnen nicht die einzigen Beweismittel gewesen seien, so habe das Berufungsgericht doch sein Urteil entscheidend auf deren Angaben gestützt. In bezug auf diese Aussagen seien seine Verteidigungsrechte verletzt worden, weil er in keinem Stadium des vorausgegangenen Verfahrens die Möglichkeit gehabt habe, Fragen an die Belastungszeuginnen zu stellen.
bb) Johann Asch wurde vom Kreisgericht St. Pölten wegen Nötigung und Körperverletzung verurteilt. Er hatte seine Lebensgefährtin mit einem Gürtel
geschlagen. Am nächsten Tag schickte der Arzt die Geschädigte in ein Krankenhaus ; die Ä rzte attestierten ihre Verletzungen. Danach zeigte die Lebensgefährtin den Angeklagten bei der Gendarmerie Brand-Laaben an. Über ihre Bekundungen wurde ein Protokoll aufgenommen. Wenige Tage später erschien die Lebensgefährtin bei der Gendarmerie und wollte ihre Anzeige zurückziehen. Am selben Tag wurde der Angeklagte bei der Gendarmerie angehört.
In der Hauptverhandlung vor dem Kreisgericht machte die Lebensgefährtin von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Das Kreisgericht hörte daraufhin den Vernehmungsbeamten der Gendarmerie, der über die ihm gegenüber gemachten Angaben der Lebensgefährtin und von den ihm dabei gezeigten Verletzungen berichtete. Auch verlas es das Vernehmungsprotokoll. Das Kreisgericht stützte sich bei seiner Überzeugung unter anderem auf die Angaben des Vernehmungsbeamten und die ärztlichen Atteste. Das Oberlandesgericht Wien verwarf die Berufung des Angeklagten. Es hielt die Angaben der Lebensgefährtin vor der Gendarmerie nach § 252 StPO für verwertbar. Den Antrag des Angeklagten auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens lehnte das Oberlandesgericht ab.
Der EGMR sah in dieser Vorgehensweise keine Verletzung des fairen Verfahrens. Es wäre sicherlich vorzuziehen gewesen, wenn die persönliche Anhörung der Zeugin möglich gewesen wäre. Aber das Recht, auf das sie sich zur Zeugnisverweigerung berief, könne nicht dazu dienen, die Strafverfolgung lahmzulegen. Wenn nur die Rechte der Verteidigung beachtet würden, habe das nationale Gericht die Aussage der Zeugin verwerten können, insbesondere im Hinblick darauf, daß die Aussage durch weitere Beweismittel, namentlich die
ärztlichen Atteste, gestützt wurde. Zudem habe der Angeklagte sowohl bei der Gendarmerie als auch vor Gericht Gelegenheit gehabt, zu den Angaben der Zeugin Stellung zu nehmen; dabei habe er widersprüchliche Angaben gemacht , die seine eigene Glaubwürdigkeit erschütterten. Außerdem habe der Angeklagte weder den Vernehmungsbeamten befragt, noch andere Zeugen benannt. Ein medizinisches Sachverständigengutachten habe er erst in der Berufungsinstanz beantragt, zu einem Zeitpunkt, als Verletzungsspuren nicht mehr feststellbar waren. Vor allem aber sei klar, daß die Angaben der Zeugin vor der Gendarmerie nicht das einzige Beweismittel gewesen seien, auf das sich das Kreisgericht gestützt habe. Das Gericht habe neben anderen Beweismitteln auch den persönlichen Eindruck des Vernehmungsbeamten und die ärztlichen Atteste berücksichtigt. Insofern unterscheide sich der vorliegende Fall von den Fällen Unterpertinger und Delta.
2. Diese Auslegung der MRK durch den EGMR ist bei der Anwendung des deutschen Strafprozeßrechts zu berücksichtigen. Der Senat hat dazu im Urteil vom 18. November 1999 (Tatprovokation, Umsetzung der Entscheidung Teixeira = NJW 2000, 1123, zur Veröffentlichung vorgesehen in BGHSt 45, 321) ausgeführt:
”Es entspricht den Grundregeln des Verfahrens vor dem EGMR, daß sich seine Entscheidung darauf beschränkt zu erklären, daß das Gerichtsurteil einer Vertragspartei der MRK in Widerspruch mit den Verpflichtungen aus dieser Konvention steht. Gestatten die innerstaatlichen Gesetze der Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen der Entscheidung , so hat der EGMR nach Art. 50 MRK (aufgrund der am 1. November 1998 in Kraft getretenen Ä nderung der Konvention durch das Protokoll Nr. 11 [BGBl.
II 1995 S. 578] nunmehr Art. 41 MRK) der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zuzubilligen. Dem EGMR obliegt es somit nicht, nationale Regeln für die Zulässigkeit von Beweismitteln aufzustellen. Der Gerichtshof betont dementsprechend, die Zulässigkeit von Beweismitteln werde in erster Linie durch die Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts geregelt und es sei grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte, die von ihnen zusammengetragenen Beweise zu würdigen. Die Aufgabe des Gerichtshofs bestehe darin festzustellen , ob das Verfahren in seiner Gesamtheit einschließlich der Darstellung der Beweismittel fair gewesen sei.
Die MRK, die nach Art. II des Zustimmungsgesetzes vom 7. August 1952 Bestandteil des deutschen Rechts geworden ist und dabei im Rang eines (einfachen ) Bundesgesetzes steht (BVerfGE 74, 358, 370), ist als Auslegungshilfe bei der Anwendung nationalen Rechts zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei den in einem Strafverfahren angewendeten Gesetzen stets zu prüfen, ob die Anwendung und Auslegung im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland steht, 'denn es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will’ (BVerfGE aaO; vgl. Ulsamer, FS Zeidler [1987] 1799, 1800).”

III.


Die konventionskonforme Auslegung des deutschen Strafprozeßrechts – hier § 141 Abs. 3 StPO – führt dazu, daß in Fällen der vorliegenden Art dem
Beschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, vor der ermittlungsrichterlichen Vernehmung des wichtigen Belastungszeugen ein Verteidiger bestellt werden muß.
1. Das Gesetz schreibt, wie § 141 Abs. 3 Satz 1 StPO zeigt, auch in Fällen, in denen später im gerichtlichen Verfahren die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig sein wird, für das Vorverfahren nicht ausnahmslos die Bestellung eines Verteidigers vor. Nach § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO ”beantragt” die Staatsanwaltschaft jedoch schon während des Vorverfahrens die Bestellung eines Verteidigers, wenn nach ihrer Auffassung in dem gerichtlichen Verfahren die Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 Abs. 1 oder 2 notwendig sein wird.

a) In der traditionellen Sprache des Gesetzes (vgl. auch § 201 Abs. 1 StPO: ”Der Vorsitzende des Gerichts teilt die Anklageschrift dem Angeschuldigten mit” und § 349 Abs. 3 Satz 1 StPO) bedeutet dies, daß die Staatsanwaltschaft den Antrag stellen muß, sobald die Mitwirkung des Verteidigers notwendig sein wird (ähnlich Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 141 Rdn. 5; Pfeiffer, StPO 2. Aufl. § 141 Rdn. 2). ”Notwendig sein wird” heißt, daß die Pflicht zur Antragstellung schon dann entsteht, wenn abzusehen ist, daß die Mitwirkung notwendig werden wird (Laufhütte in KK 4. Aufl. § 141 Rdn. 3). Das zeigt auch die Entstehungsgeschichte des § 141 Abs. 3 StPO zur Verteidigerbestellung im Vorverfahren. Das StPÄ G 1964 fügte an den damals bestehenden Satz, daß der Verteidiger auch schon während des Vorverfahrens bestellt werden kann (heutiger Satz 1 des Abs. 3), die Sätze an: ”Nach dem Abschluß der Ermittlungen (§ 169a Abs. 1) ist er auf Antrag der Staatsanwaltschaft zu bestellen. Die Staatsanwaltschaft soll den Antrag stellen, falls die
Gewährung des Schlußgehörs in Betracht kommt und nach ihrer Auffassung in dem gerichtlichen Verfahren die Verteidigung nach § 140 Abs. 1 notwendig sein wird.” Seine heutige Fassung erhielt § 141 Abs. 3 StPO durch das 1. StVRG vom 9. Dezember 1974. Die Erweiterung der Verteidigerbestellung und die immer strengeren Formulierungen der Anweisung an die Staatsanwaltschaft (von einer Kann- zu einer Soll-Bestimmung und schließlich zu den Worten ”beantragt dies”) machen deutlich, daß der Gesetzgeber die Mitwirkung des Verteidigers im Vorverfahren stärker ausbauen wollte und deshalb eine Antragspflicht gesetzlich vorgeschrieben hat. Zwar bestimmt § 117 Abs. 4 Satz 1 StPO, daß dem unverteidigten Beschuldigten ein Verteidiger für die Dauer der Untersuchungshaft bestellt wird, wenn deren Vollzug mindestens drei Monate gedauert hat und die Staatsanwaltschaft oder der Beschuldigte oder sein gesetzlicher Vertreter es beantragt. Daraus kann indes nicht der Schluß gezogen werden, daß die Staatsanwaltschaft mit der Antragstellung stets drei Monate zuwarten darf. Diese Regelung stellt angesichts der Gesetzesentwicklung zu § 141 Abs. 3 StPO nur eine Mindestgarantie dar (vgl. Rundverfügung des Hessischen Generalstaatsanwalts vom 11. Januar 1994 zur Pflichtverteidigung nach einem Monat U-Haft, abgedruckt in StV 1994, 223).

b) Ob es bei prognostizierter notwendiger Verteidigung überhaupt Fälle geben kann, in denen davon abgesehen werden darf, dem Beschuldigten einen Verteidiger zu bestellen, kann hier dahinstehen.
aa) Jedenfalls dann, wenn die ermittlungsrichterliche Vernehmung eines wichtigen Belastungszeugen ansteht, bei der der Beschuldigte kein Anwesen-
heitsrecht hat, wird in der Regel geboten sein zu prüfen, ob dem nicht verteidigten Beschuldigten zuvor ein Verteidiger nach § 141 Abs. 3 StPO zu bestellen ist, der die Rechte des Beschuldigten bei der Vernehmung wahrnimmt (Wache in KK 4. Aufl. § 168c Rdn. 8; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 168c Rdn. 4; vgl. auch Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 168c Rdn. 9). Diese Prüfung obliegt nach § 141 Abs. 3 StPO in erster Linie der Staatsanwaltschaft. Dies entbindet den Ermittlungsrichter indes nicht von der Verantwortung, für ein konventionsgerechtes Verfahren mit Sorge zu tragen.
bb) Wird darüber hinaus der zentrale zeugnisverweigerungsberechtigte Belastungszeuge unter Ausschluß des Beschuldigten aus Gründen der Beweissicherung ermittlungsrichterlich vernommen, so reduziert sich das Ermessen bei der Frage der Bestellung eines Verteidigers auf Null. Anderes mag dann gelten, wenn die durch die Zuziehung eines Verteidigers bedingte zeitliche Verzögerung den Untersuchungserfolg gefährden würde. Nur diese Auslegung des § 141 Abs. 3 StPO ist mit der Vorgabe der MRK vereinbar. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß das von Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK garantierte Fragerecht auch im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht gewährleistet werden kann.
2. Hier durfte der Angeklagte zwar von der Anwesenheit bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung der Geschädigten ausgeschlossen werden und auch seine Benachrichtigung konnte unterbleiben (§ 168c StPO). Sowohl der Ermittlungsrichter als auch das erkennende Gericht haben die Gefährdung des Untersuchungserfolgs geprüft und bejaht. Die revisionsgerichtliche Prüfung (vgl. dazu BGHSt 29, 1) läßt Rechtsfehler nicht erkennen, insbesondere liegt
keine Überschreitung der dem tatrichterlichen Ermessen gesetzten Schranken vor. Daß so verfahren werden kann, entspricht auch der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 MRK (siehe oben). Ein Verteidiger konnte nicht benachrichtigt werden, denn der Angeklagte war zu diesem Zeitpunkt noch nicht verteidigt.
3. Dieses gesetzlich zulässige ”handicap” bei der Einschränkung des Fragerechts hätte die Justiz dann aber durch die Bestellung eines Verteidigers für den unverteidigten Angeklagten ausgleichen müssen.
Bei der im Hinblick auf das faire Verfahren vorzunehmenden Gesamtbetrachtung ist auch das Vorverfahren – und damit das Handeln der Staatsanwaltschaft – in den Blick zu nehmen (vgl. Gollwitzer aaO Art. 6 MRK: ”dem Staat zuzurechnenden Verfahrensgestaltung”). In Fällen der vorliegenden Art muß die Justiz von sich aus aktiv werden mit dem Ziel, daß die Verteidigung (zum Begriff siehe BGH StV 1996, 471) Gelegenheit hat, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen (”requires the Contracting States to take positive steps”: EGMR Fall Barberà Nr. 78).
Das Fragerecht wäre gewährleistet gewesen, wenn ein Verteidiger bei der ermittlungsrichterlichen Zeugenvernehmung anwesend gewesen wäre. Da der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt keinen Verteidiger hatte, wäre die Staatsanwaltschaft verpflichtet gewesen, vor der Vernehmung der Zeugin die Bestellung eines Verteidigers zu beantragen (§ 141 Abs. 3 Satz 2 StPO).
Hier war im Zeitpunkt der richterlichen Vernehmung bereits abzusehen, daß im gerichtlichen Verfahren die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO vorliegen würden. Dem Angeklagten wurden bei der Einleitung des Ermitt-
lungsverfahrens zahlreiche Sexualverbrechen (§ 140 Abs. 1 Nr. 2) zur Last gelegt. Die polizeiliche Vernehmung der Geschädigten hatte einen hohen Beweiswert. Zu Recht hat deshalb der Haftrichter einen dringenden Tatverdacht bejaht. Damit war aber auch schon zu diesem Zeitpunkt abzusehen, daß in dem hochwahrscheinlich zu erwartenden gerichtlichen Verfahren die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung vorliegen würden.
Eine Verletzung des Fragerechts war hier zu besorgen, nachdem der Angeklagte – auf Antrag der Staatsanwaltschaft – nicht benachrichtigt und von der Anwesenheit ausgeschlossen wurde. Die Staatsanwaltschaft hatte den Antrag gestellt, die Zeugin ”möglichst bald” richterlich zu vernehmen, da befürchtet werden müsse, der Angeklagte werde ”alles unternehmen, möglicherweise auch durch Dritte, um seine Tochter von der Aussage abzuhalten”. Das weist aus, daß die ermittlungsrichterliche Vernehmung insbesondere dem legitimen (vgl. Nr. 10, 19a, 221, 222 RiStBV) Zweck der Beweissicherung – Rückgriff auf den Vernehmungsrichter – für den Fall einer späteren Zeugnisverweigerung dienen sollte. Wenn aber dieser auch von der Staatsanwaltschaft für naheliegend gehaltene Fall eintreten würde, dann war abzusehen, daß das Fragerecht nicht zu gewährleisten war.
4. Die im Hinblick auf die Garantie des Fragerechts Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK vorzunehmende Auslegung des § 141 Abs. 3 StPO führt daher dazu, daß die Staatsanwaltschaft verpflichtet war, die Bestellung eines Verteidigers nach dieser Vorschrift (also nicht nur für die einzelne Ermittlungshandlung ) noch vor der Zeugenvernehmung zu beantragen. Hier sind keine Umstände erkennbar, die es gerechtfertigt hätten, daß auch die Benachrichtigung des bestellten Verteidigers unterbleiben konnte (die Entscheidung BGHSt 29, 1
betrifft einen anderen Fall: ein bereits tätiger Verteidiger wurde aus Gründen, die in seiner Person lagen, nicht benachrichtigt).

a) Angemessen und geeignet ist dieser Ausgleich grundsätzlich aber nur, wenn der Verteidiger zu einer sachgerechten Mitwirkung an der Vernehmung auch in der Lage war.
In Fällen der vorliegenden Art läßt sich die Zuverlässigkeit der Belastungsaussage des einzigen Tatzeugen in der Regel nur dann beurteilen – insbesondere kann nur so die Hypothese einer bewußten Falschbeschuldigung ausgeschlossen werden –, wenn der Inhalt der Aussage einer Analyse unterzogen werden kann (sog. Aussageanalyse, grundlegend dazu BGHSt 45, 164). Zentral dafür ist die Detailliertheit der Aussage. Eine Aussage kann mittels der Aussageanalyse nur dann als glaubhaft beurteilt werden, wenn sie signifikante Realitätskriterien aufweist. In bezug auf das Fragerecht muß dabei den Detailkriterien besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, namentlich den Realkennzeichen , die eine Verflechtung mit objektivierbaren zeitlichen und örtlichen Umständen belegen.
Deshalb muß der Verteidiger – soll das Fragerecht nicht beeinträchtigt sein – regelmäßíg Gelegenheit haben, sich vor der Vernehmung mit dem Beschuldigten zu besprechen, weil er nur so in der Lage ist, sachkundige Fragen, insbesondere Kontrollfragen, wie Situationsfragen (vgl. Bender/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 2. Aufl. Band II Rdn. 610) zu stellen. Solche Fragen – nicht notwendig zum engen Kern des Tatvorwurfs –, mit denen insbesondere die zeitliche und räumliche Verflechtung der Aussagedetails überprüft
wird, können regelmäßig nur mit einem entsprechenden Hintergrundwissen gestellt werden.

b) Auch wenn der Verteidiger die Möglichkeit der Rücksprache mit dem Beschuldigten hatte, können ergänzende Fragen an den Zeugen erforderlich sein, deren Notwendigkeit sich erst ergibt, nachdem der Beschuldigte vom Inhalt der Zeugenaussage Kenntnis erlangt hat. Hier kann eine durch die Abwesenheit des Beschuldigten bedingte Beeinträchtigung des Fragerechts dadurch ausgeglichen werden, daß die Verteidigung Gelegenheit erhält, auch nachträglich Fragen an den Zeugen zu stellen oder stellen zu lassen (vgl. Gollwitzer aaO Art. 6 MRK Rdn. 227). Die nachträgliche Befragung kann auch durch Vorlage eines schriftlichen Fragenkatalogs erfolgen, zumal auf diese Weise weitgehend ausgeschlossen werden kann, daß der Untersuchungszweck gefährdet wird. Da in Fällen der vorliegenden Art der Zeuge nicht anonym ist, kommen die Bedenken des EGMR (vgl. die Fälle Kostovski Nr. 42; Windisch Nr. 28 einerseits und den Fall Isgrò Nr. 35 andererseits) zur schriftlichen Befragung des anonymen Zeugen nicht zum Tragen.

c) Der Senat hat hier nicht über den – möglicherweise anders zu beurteilenden – Fall zu entscheiden, daß durch ein Zusammenwirken des Verteidigers mit dem Beschuldigten (vgl. BGHSt 29, 1) oder auch nur allein als Folge der Konsultation der Untersuchungszweck gefährdet sein könnte. Hier könnte allerdings wenigstens eine nachträgliche (schriftliche) Befragung angezeigt sein.

d) In künftigen Fällen kann auch eine Vernehmung mittels Videokonferenz nach § 168e StPO eine angemessene und geeignete, und oft sogar die beste Möglichkeit sein, um das Fragerecht zu gewährleisten.

IV.


Das Unterlassen der rechtzeitigen Bestellung eines Verteidigers hat das Fragerecht der Verteidigung bei der ermittlungsrichterlichen Zeugenvernehmung beeinträchtigt. Dieses Versäumnis mindert den Beweiswert des Vernehmungsergebnisses , das durch den Rückgriff auf den Vernehmungsrichter zur Grundlage der Urteilsfindung wurde. Damit wirkte der im Vorverfahren begangene Verfahrensfehler in der Hauptverhandlung fort; das unterliegt der revisionsgerichtlichen Prüfung (§ 337 StPO; vgl. BGHR StPO § 349 Abs. 1 Unzulässigkeit

1).


1. Der Senat hält eine Beweiswürdigungs-Lösung für sachgerechter als ein Verwertungsverbot für den Rückgriff auf den Vernehmungsrichter. Bei der Beweiswürdigungs-Lösung darf zwar auf den Vernehmungsrichter zurückgegriffen werden, allerdings sind dann – ähnlich wie beim anonymen Zeugen (grundlegend BGHSt 17, 382; vgl. zuletzt BGH NStZ 1998, 97; StV 1999, 7; NStZ 2000, 265; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 27; siehe auch BVerfG – Kammer – NJW 1997, 999 sowie BGHSt 45, 321: konventionswidrige Tatprovokation) – besonders strenge Beweis- und Begründungsanforderungen aufzustellen.

a) Auch das grundsätzlich bestehende Verwertungsverbot des § 252 StPO (vgl. BGH NJW 2000, 596, zur Veröffentlichung vorgesehen in BGHSt
45, 203 und BGH NJW 2000, 1247, zur Veröffentlichung vorgesehen in BGHSt 45, 342) gilt nicht uneingeschränkt.
Zwar kann der Rückgriff auf den Vernehmungsrichter ausgeschlossen sein, wenn gegen die Benachrichtigungspflicht der §§ 168c, 224 StPO verstoßen wurde (BGHSt 9, 24; 29, 1; 26, 332; 29, 131, 140; 42, 86; 42, 391; BGH NStZ 1987, 132; 1989, 282).
In seiner neueren Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof bei pflichtwidrig versagten Beteiligungsrechten aber mehr auf die Beeinträchtigung des Beweiswerts abgestellt und deshalb eine Lösung auf der Ebene der Beweiswürdigung bevorzugt, indem das richterliche in ein nichtrichterliches Vernehmungsprotokoll nach § 252 Abs. 2 Satz 2 StPO mit geringerem Beweiswert ”herabgestuft” wird (BGHSt 34, 231, 234, 235; BGH StV 1992, 232; BGH NStZ 1998, 312).
Auch hat der Bundesgerichtshof (BGHSt 29, 1; 42, 391) bei einem berechtigten Ausschluß von der Anwesenheit oder einer berechtigten Nichtbenachrichtigung kein Verwertungsverbot aufgrund fehlender Beteiligungsrechte angenommen.

b) Für die konventionskonforme Auslegung des deutschen Strafprozeßrechts ist eine Gesamtbetrachtung des Verfahrens vorzunehmen. Dazu gehört, daß das gesamte Beweisverfahren im Lichte des Fragerechts gesehen werden muß (vgl. Fall Barberà Nr. 76). Nach der Rechtsprechung des EGMR kommt es dabei zudem auch auf die Art und Weise der Beweiserhebung an. Unter diesem Gesichtspunkt stellt der EGMR zwar in erster Linie auf das Beweisverfah-
ren und weniger auf die Beweiswürdigung selbst ab. Jedoch findet im Rahmen der Gesamtbetrachtung auch die Beweiswürdigung Berücksichtigung, wie gerade die Differenzierung des EGMR in den Fällen Unterpertinger und Asch zeigt. Da die Gesamtbetrachtung vom jeweiligen Einzelfall abhängt, liegt es nahe, eine dem konkreten Fall gerecht werdende Lösung zu finden. Das ist mit der Beweiswürdigungs-Lösung am besten zu erreichen; sie hält der Senat deshalb für vorzugswürdig.
Bei der Beweiswürdigungs-Lösung ist zwar zu bedenken, daß auf ein Vernehmungsergebnis zurückgegriffen wird, an dessen Zustandekommen die Verteidigung unter Beeinträchtigung des rechtlichen Gehörs nicht mitwirken konnte. Aber insofern ist die Verteidigung in einer ähnlichen Lage wie bei dem ”im Dunkel bleibenden” (BGHSt 17, 382, 386) anonymen Zeugen. Dort ist die Beeinträchtigung des Fragerechts häufig sogar noch stärker, weil nicht einmal die Person des Zeugen bekannt ist und weil auf bestimmte Fragen oft keine Antwort gegeben wird. Wenn daher die Beweiswürdigungs-Lösung beim anonymen Zeugen ein konventionsgemäßer Ausgleich ist, muß dies auch für die vorliegende Fallgestaltung gelten.
Auf die Vergleichbarkeit der Problematik des Fragerechts hat der Bundesgerichtshof bereits in BGHSt 17, 382, 385 f. hingewiesen: ”Einem anonymen Gewährsmann gegenüber versagen jedoch nicht nur die Rechte aus den §§ 240, 257 StPO – insoweit ist die Lage nicht wesentlich anders, als wenn der Wissensträger zwar bekannt ist, in der Hauptverhandlung aber nicht vernommen werden kann –...”.
Die Verneinung eines Verwertungsverbots erweist sich auch systemkonform mit der Strafzumessungs-Lösung bei einem Konventionsverstoß aufgrund einer unzulässigen Tatprovokation (BGHSt 45, 321).
2. Daß das Vernehmungsergebnis infolge unterbliebener Verteidigerbestellung fehlerhaft zustande gekommen ist, muß daher bei der tatrichterlichen Beweiswürdigung besondere Beachtung finden. Diese muß vor allem zwei Anforderungen genügen:

a) Zunächst ist zu beachten, daß der originäre Zeuge in der Hauptverhandlung nicht zur Verfügung steht. Dazu gilt, was der Bundesgerichtshof schon 1962 (BGHSt 17, 382, 385) ausgeführt hat: ”Bei einem Zeugen vom Hörensagen besteht zunächst ganz allgemein eine erhöhte Gefahr der Entstellung oder Unvollständigkeit in der Wiedergabe von Tatsachen, die ihm von demjenigen vermittelt worden sind, auf den sein Wissen zurückgeht. Je größer die Zahl der Zwischenglieder, desto geringer ist der Beweiswert der Aussage. Schon dieser Gesichtspunkt mahnt zur Vorsicht”.
Hier ist zwar der unmittelbar gehörte Zeuge ein Ermittlungsrichter, dessen Vernehmungsergebnis grundsätzlich, auch wegen der in § 168c Abs. 2 bestimmten Beteiligungsrechte, eine gewichtige Beweiskraft zukommt (vgl. BGHSt 45, 342; BGH NStZ 1998, 312). Die Verteidigung hatte aber keine Möglichkeit zur Befragung des originären Zeugen. Insofern muß der Tatrichter zusätzlich beachten, daß die Glaubwürdigkeitsbeurteilung mit dem Instrumentarium der Aussageanalyse begrenzt ist, weil die Aussage durch das Fehlen eines kontradiktorischen Verhörs (§ 69 Abs. 2 StPO) nur beschränkt aufgeklärt und vervollständigt werden kann.

b) Deshalb gilt auch hier wie beim gesperrten Zeugen (BGHSt 17, 382, 386): Auf die Angaben des Vernehmungsrichters kann eine Feststellung regelmäßig nur dann gestützt werden, wenn diese Bekundungen durch andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden.

c) Daß eine – sorgfältigste (BGHSt 17, 382, 386) – Überprüfung der von dem Vernehmungsrichter wiedergegebenen Aussage nach diesen Maßstäben erfolgt ist, muß der Tatrichter in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise im Urteil deutlich machen.
3. Diesen – bislang allerdings vom Bundesgerichtshof noch nicht aufgestellten besonderen Beweiswürdigungs- und Begründungsanforderungen – genügt das angefochtene Urteil nicht. Insbesondere liegen keine anderen wichtigen Gesichtspunkte außerhalb der Aussage vor, die das eigentliche Tatgeschehen bestätigen.
Das Landgericht hat eine Beweiswürdigung vorgenommen, die ersichtlich davon ausging – und insoweit auch rechtsfehlerfrei ist –, den Beweiswürdigungs - und Begründungsanforderungen bei Fällen von ”Aussage gegen Aussage” zu genügen. Es hat seine Überzeugung ganz entscheidend auf die Angaben der Geschädigten beim Ermittlungsrichter gestützt. Dabei hat es auch eine fachkundige Analyse des Inhalts der dort getätigten Aussage vorgenommen und insbesondere auf Detailkriterien abgestellt.
Schon hierbei wäre allerdings zu bedenken gewesen, daß gerade das Gewicht der ”Einbettung in den Gesamtlebenssachverhalt” und der Schilderung ”von Details und Begleiterscheinungen” durch das Fehlen eines kontradiktori-
schen Verhörs beschränkt war. Daß weitere Beweismittel die ”Kammer in ihrer Überzeugungsbildung stützen und diese abrunden”, reicht im Hinblick auf das fehlerhaft zustande gekommene ermittlungsrichterliche Vernehmungsergebnis nicht aus, um der vom Senat daraus abgeleiteten Anforderung zu genügen, daß die Aussage durch andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt wird. Die anderen Zeugen waren keine Augenzeugen des sexuellen Kerngeschehens und teilweise Zeugen vom Hörensagen. Auch objektive Beweismittel von Gewicht, mit denen die von der Geschädigten bekundeten sexuellen Handlungen bestätigt worden wären, standen nicht zur Verfügung.
Auf diesem Rechtsfehler beruht das angefochtene Urteil. Der Senat hat nicht selbst auf Freispruch erkannt (§ 354 Abs. 1 StPO), denn er kann nicht ausschließen, daß bei einer Zurückverweisung in einer erneuten Hauptverhandlung noch Tatsachen festgestellt werden könnten, die für eine Verurteilung tragfähig wären.
Schäfer Maul Nack Boetticher Kolz

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 493/06
vom
29. November 2006
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
__________________
MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d, StPO § 168c
Zum Recht auf konfrontative Befragung nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK (in
Fortführung von BGHSt 46, 93).
BGH, Beschluss vom 29. November 2006 - 1 StR 493/06 - LG München I
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Vergewaltigung u.a.
zu 2.: Beihilfe zum Menschenhandel u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. November 2006 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 12. April 2006 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagten verurteilt worden sind. Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten S. K. wegen Vergewaltigung und Menschenhandels in Tateinheit mit ausbeuterischer und dirigierender Zuhälterei zur Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten, den Angeklagten D. Ko. wegen Beihilfe zum Menschenhandel und Bedrohung zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es die Angeklagten freigesprochen.
2
Die Revisionen der Angeklagten haben mit einer auf der Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Buchst. d MRK) gestützten Verfahrensrüge Erfolg. Auf die weiteren Verfahrenrügen und die Sachbeschwerde kommt es daher nicht mehr an.

I.

3
Zentral für die Überführung der Angeklagten, die in der Hauptverhandlung von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machten und während des Ermittlungsverfahrens die Taten bestritten hatten, sind die Angaben der Geschädigten E. P. gegenüber der Polizei und vor dem Ermittlungsrichter. In der Hauptverhandlung wurden vier Protokolle über polizeiliche Vernehmungen verlesen und eine Bild-Ton-Aufzeichnung über eine Vernehmung vor dem Ermittlungsrichter vorgeführt. Zudem hörte das Landgericht drei Polizeibeamte und den Ermittlungsrichter. Die Geschädigte, eine polnische Staatsangehörige , war unmittelbar nach der letzten Vernehmung nach Polen zurückgekehrt. Aufgrund ihres Nichterscheinens zur Hauptverhandlung trotz formloser Ladung sowie ihrer Unmutsäußerungen gegenüber dem Ermittlungsrichter behandelte sie das Landgericht als unerreichbar.
4
1. Die Revisionen machen die Verletzung des Rechts auf konfrontative Befragung nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK geltend. Die Angeklagten und ihre Verteidiger hätten zu keinem Zeitpunkt - weder während des Ermittlungsverfahrens noch in der Hauptverhandlung - die Gelegenheit gehabt, der Geschädigten Fragen zu stellen oder Vorhalte zu machen. Insbesondere auch bei ihrer Aussage vor dem Ermittlungsrichter sei ihnen eine konfrontative Befragung versagt gewesen. Der Angeklagte S. K. sei zwar anwesend gewesen, jedoch von der weiteren Vernehmung ausgeschlossen worden, bevor er sein Fragerecht hätte ausüben können. Sein (Wahl-)Verteidiger sei nicht benachrichtigt worden. Der Angeklagte D. Ko. , gegen den damals - trotz bestehenden Anfangsverdachts - das Ermittlungsverfahren formal noch nicht geführt worden sei, sei ebenfalls nicht benachrichtigt worden. Ihm sei auch kein Pflichtverteidiger beigeordnet worden.
5
2. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
6
Am 2. August 2005 gegen 11.00 Uhr wurden zwei Fahrgäste der Münchener Trambahn auf eine lautstarke Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten S. K. und der Geschädigten aufmerksam. Der Angeklagte versuchte, die Geschädigte gegen ihren Willen aus dem Fahrgastraum zu zerren und zu tragen. Als der Angeklagte der Aufforderung der beiden Fahrgäste, die Geschädigte loszulassen, nicht nachkam, drohten sie ihm an, die Polizei zu rufen. Während der Angeklagte daraufhin erklärte, dies sei nicht erforderlich, da es sich lediglich um einen Beziehungsstreit handele, äußerte die Geschädigte "polizia, ja, ja". Daraufhin wurde die Polizei informiert.
7
Eine Polizeibeamtin, die der polnischen Sprache mächtig ist, führte mit der Geschädigten noch an der Trambahnstation ein informatorisches Gespräch. Anschließend wurde die Geschädigte einer sachverständigen Ärztin vorgestellt und in der Folgezeit bis zum 11. August 2005 fünfmal polizeilich vernommen. Der Angeklagte S. K. wurde noch am 2. August 2005 festgenommen und befindet sich aufgrund Haftbefehls vom 3. August 2005 seither ununterbrochen in Untersuchungshaft. Von der Staatsanwaltschaft wurde das Ermittlungsverfahren formal zunächst nur gegen ihn, nicht gegen den Angeklagten D. Ko. geführt, obwohl die Zeugin auch diesen schon bei den Vernehmungen am 2. und 3. August 2005 belastete und der Haftbefehl ihn als anderweitig Verfolgten bezeichnet.
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Am 9. August 2005 beantragte die Staatsanwaltschaft, die Geschädigte ermittlungsrichterlich zu vernehmen und den Angeklagten S. K. hierzu zu laden. Die Vernehmung, zu der der Angeklagte S. K. , nicht aber der - damals noch nicht als Beschuldigter eingetragene - Angeklagte D. Ko. geladen wurde, wurde am 16. August 2005 durchgeführt. Sie wurde auf Bild-Ton-Träger aufgezeichnet und dem in einem Nebenraum befindlichen Angeklagten S. K. zeitgleich in Bild und Ton übertragen. Während ihrer Aussage äußerte die - "lustlos und emotionslos" wirkende - Zeugin, dass sie "das alles nicht mitmachen" möchte, sie "nur zurück nach Polen" wolle und es sie sehr störe, wenn der Angeklagte zuhöre; sie versuchte, den Vernehmungsraum zu verlassen. Daraufhin schloss der Ermittlungsrichter den Angeklagten , ohne dass dieser zuvor hätte zu Wort kommen können, von der weiteren Vernehmung aus.
9
Bereits mit an die Staatsanwaltschaft München I adressiertem Schreiben vom 3. August 2005 hatte sich Rechtsanwalt W. als Verteidiger des Angeklagten S. K. angezeigt. Das Schreiben war am 4. August 2005 bei der allgemeinen Eingangsstelle der Justizbehörden in München und am 5. August 2005 bei der Staatsanwaltschaft München I eingegangen. Es wurde der sachbearbeitenden Staatsanwältin allerdings erst am 19. August 2005, dem zuständigen Ermittlungsrichter erst am 24. August 2005 vorgelegt, sodass er den Verteidiger vom Vernehmungstermin nicht mehr benachrichtigen konnte. Zu weiteren die Vernehmung der Geschädigten betreffenden Maßnahmen sah der Ermittlungsrichter keine Veranlassung, zumal diese zwischenzeitlich ausgereist war.
10
3. Im Rahmen der Beweiswürdigung begründet das Landgericht seine Überzeugung von der Schuld der Angeklagten wie folgt:
11
Die Angeklagten seien durch die Angaben der Geschädigten überführt. Die - über die Protokolle, die Bild-Ton-Aufzeichnung und die Vernehmungspersonen eingeführte - Aussage sei glaubhaft, weil sie in einer unvorhergesehenen Stresssituation entstanden, detailreich, in einen vielschichtigen Kontext einge- bunden, konstant und frei von Belastungseifer sei. In mehreren Punkten würden die Angaben durch andere Beweismittel bestätigt.
12
Die Überzeugung des Landgerichts von der Glaubhaftigkeit der Aussage stützt sich dabei wesentlich auf deren "Entstehungsgeschichte": Die zwei Fahrgäste sagten in der Hauptverhandlung zu der Auseinandersetzung in der Trambahn aus. Die die polnische Sprache beherrschende Polizeibeamtin wurde zu dem informatorischen Gespräch vernommen; sie berichtete, die Geschädigte habe ihr bereits das wesentliche Tatgeschehen geschildert: Die Geschädigte sei vom Angeklagten D. Ko. ca. ein Monat zuvor von Polen nach Deutschland gebracht und in München dem Angeklagten S. K. übergeben worden. Dieser halte sie seither in seiner Wohnung fest, habe sie vergewaltigt und zwangsprostituiert. Außerdem habe die Geschädigte geäußert, dass sie, weil sie auf Druck Milchausfluss aus der Brust sowie Schmierblutungen habe , befürchte, vom Angeklagten S. K. schwanger zu sein. Die sachverständige Ärztin berichtete über - offensichtlich durch die Auseinandersetzung in der Trambahn verursachte - Hautverfärbungen bei der Geschädigten; bei der Untersuchung habe diese gesagt, sie habe deshalb in der Trambahn sitzen bleiben wollen, weil der Angeklagte sie zu einem Freier habe bringen wollen.
13
Ferner stellt das Landgericht fest, dass die Angaben der Geschädigten von Zeugen bestätigt wurden, soweit sie von einer Fahrt des Angeklagten D. Ko. nach Polen im Juni 2005 sowie von ihrem Besuch in einer Gaststätte etwa am 25. Juli 2005 berichtete.
14
Schließlich setzt sich das Landgericht eingehend mit möglicherweise entlastenden Umständen auseinander und zeigt Widersprüche zwischen den polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen der beiden Angeklagten auf. In diesem Zusammenhang teilt das Urteil mit, dass der Angeklagte S. K. sich dahingehend eingelassen hatte, er habe die Geschädigte auf Bitten des Angeklagten D. Ko. bei sich aufgenommen und ab dem zweiten Tag nach ihrer Ankunft täglich einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit ihr gehabt.

II.

15
Die Revisionen machen mit Recht geltend, dass infolge von Fehlern im Ermittlungsverfahren das Recht der Angeklagten auf konfrontative Befragung der Geschädigten nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK verletzt wurde. Da die Angaben der Geschädigten nicht durch gewichtige Gesichtspunkte außerhalb ihrer Aussage gestützt werden, kann das Urteil keinen Bestand haben.
16
1. Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK garantiert - als eine besondere Ausformung des Grundsatzes des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK - das Recht des Angeklagten, "Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen". Die Befragung des Zeugen hat dabei grundsätzlich, aber nicht zwingend in der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten zu erfolgen. Ist ein Zeuge lediglich im Ermittlungsverfahren oder sonst außerhalb der Hauptverhandlung vernommen worden, muss dem Angeklagten entweder zu dem Zeitpunkt, in dem der Zeuge seine Aussage macht, oder in einem späteren Verfahrensstadium die Gelegenheit gegeben werden, den Zeugen selbst zu befragen, unter Umständen über seinen Verteidiger befragen zu lassen. Selbst wenn der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt die Gelegenheit zur konfrontativen Befragung des Zeugen hatte, verstößt dies jedoch nicht ohne weiteres gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. d i.V.m. Abs. 1 Satz 1 MRK. Entscheidend ist vielmehr, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit einschließlich der Art und Weise der Beweiserhebung und -würdigung fair war (st. Rspr.; vgl. EGMR, Urteile vom 19. Dezember 1990 - Nr. 26/1989/186/246 - Delta gegen Frankreich = ÖJZ 1991, 425, 426; vom 28. August 1992 - Nr. 39/1991/291/362 - Artner gegen Ös- terreich = EuGRZ 1992, 476; vom 7. August 1996 - Nr. 48/1995/554/640 - Ferrantelli und Santangelo gegen Italien = ÖJZ 1997, 151, 152; vom 14. Dezember 1999 - Nr. 37019/97 - A.M. gegen Italien = StraFo 2000, 374, 375; vom 18. Oktober 2001 - Nr. 37225/97 - N.F.B. gegen Deutschland = NJW 2003, 2297; vom 20. Dezember 2001 - Nr. 33900/96 - P.S. gegen Deutschland = NJW 2003, 2893, 2894; vom 23. November 2005 - Nr. 73047/01 - Haas gegen Deutschland = JR 2006, 289, 291; BGHSt 46, 93, 94 ff. m. w. Nachw.; BGH NStZ 2004, 505, 506; 2005, 224, 225; NStZ-RR 2005, 321).
17
Bei der Prüfung, ob insgesamt ein faires Verfahren vorlag, kommt es nach der Rechtsprechung des EGMR insbesondere auch darauf an, ob der Umstand, dass der Angeklagte keine Gelegenheit zur konfrontativen Befragung hatte, der Justiz zuzurechnen ist (EGMR [Ferrantelli & Santangelo] ÖJZ 1997, 151, 152; [Haas] JR 2006, 289, 291). Zwar muss die Justiz auch aktive Schritte unternehmen, um den Angeklagten in die Lage zu versetzen, Zeugen zu befragen oder zumindest befragen zu lassen. Allerdings ist sie nicht zu Unmöglichem verpflichtet (impossibilium nulla est obligatio). Vorausgesetzt, dass ihr keine mangelnde Sorgfalt bei den Bemühungen vorzuwerfen ist, dem Angeklagten die konfrontative Befragung von Zeugen zu ermöglichen, ist im Fall deren Unerreichbarkeit die fehlende Gelegenheit zur Befragung hinzunehmen (EGMR [Haas] aaO m. w. Nachw.).
18
Davon, ob die unterbliebene konfrontative Befragung eines Zeugen der Justiz zuzurechnen ist, ist nach der Rechtsprechung des EGMR der Beweiswert der Angaben dieses Zeugen abhängig. So hat der EGMR entschieden, dass im Fall ausreichender, jedoch fehlgeschlagener Bemühungen seitens der Justiz eine Verurteilung aufgrund der Angaben eines nicht kontradiktorisch vernommenen Zeugen - bei äußerst sorgfältiger ("extreme care") Würdigung - möglich ist, solange sie nicht einzig und allein ("solely") auf diesen Angaben beruht (EGMR [Artner] EuGRZ 1992, 476; [Haas] JR 2006, 289, 291). Insbesondere bei Vorliegen von Verfahrensfehlern hat er demgegenüber bereits dann einen Konventionsverstoß angenommen, wenn sich die Verurteilung zwar nicht allein, aber in einem entscheidenden Ausmaß ("to a decisive extent") auf Angaben eines solchen Zeugen stützt (EGMR [Delta] ÖJZ 1991, 425, 426; [A.M.] StraFo 2000, 374, 375; [P.S.] NJW 2003, 2893, 2894).
19
Bei der Anwendung des deutschen Strafprozessrechts ist die MRK in der Auslegung, die sie durch Rechtsprechung des EGMR erfahren hat, zu berücksichtigen (BVerfG NJW 2004, 3407; BGHSt 45, 321, 328 f.). Daher gilt für die tatrichterliche Beweiswürdigung: Ist die unterbliebene konfrontative Befragung eines Zeugen der Justiz zuzurechnen, kann eine Verurteilung auf dessen Angaben nur gestützt werden, wenn diese durch andere gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden (BGHSt 46, 93, 106; BGH NStZ 2005, 224, 225; NStZ-RR 2005, 321; vgl. auch BGH NJW 2003, 3142, 3144; NStZ 2004, 505, 506 f.).
20
2. Dass die Angeklagten keine Gelegenheit hatten, die Geschädigte zu befragen, beruht, wie die Strafkammer zutreffend festgestellt hat, auf Fehlern im Ermittlungsverfahren. Ob sie die Unerreichbarkeit der Geschädigten in der Hauptverhandlung mit Recht bejaht hat, braucht der Senat daher nicht zu entscheiden.
21
a) Entgegen § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO wurde der Verteidiger des Angeklagten S. K. nicht von der ermittlungsrichterlichen Vernehmung der Geschädigten am 16. August 2005 benachrichtigt. Dies beruht auf einem Verschulden der Justiz, da die am 4. August 2005 bei den Justizbehörden in München eingegangene schriftliche Verteidigungsanzeige erst am 19. August 2005 der sachbearbeitenden Staatsanwältin und erst am 24. August 2005 dem zu- ständigen Ermittlungsrichter vorgelegt wurde. Für den Rechtsverstoß macht es keinen Unterschied, ob die erforderliche Benachrichtigung absichtlich, versehentlich oder unter Verkennung der gesetzlichen Voraussetzungen unterblieben ist (BVerfG [Kammer] NJW 2006, 672, 673; BGH NJW 2003, 3142, 3143 m. w. Nachw.).
22
Weiterhin wurde der - zunächst anwesende - Angeklagte S. K. selbst nach Unmutsäußerungen der Geschädigten und ihrem Versuch, den Vernehmungsraum zu verlassen, von der weiteren ermittlungsrichterlichen Vernehmung ausgeschlossen, bevor er von seinem Fragerecht hätte Gebrauch machen können. Nach der Würdigung der Strafkammer war indessen ein - hier auch fern liegender - Ausschlussgrund nach § 168c Abs. 3 StPO nicht gegeben. Der Ausschluss des Angeklagten drängte im Übrigen auch dazu, die Wahrnehmung seines Fragerechts durch einen Verteidiger sicherzustellen (BGHSt 46, 93, 97 ff.).
23
b) Der Angeklagte D. Ko. wurde von der ermittlungsrichterlichen Vernehmung der Geschädigten ebenfalls entgegen § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO nicht benachrichtigt. Obwohl das Ermittlungsverfahren formal nicht gegen ihn geführt wurde, hatte er bereits den Status eines Beschuldigten. Da die Geschädigte ihn bei den polizeilichen Vernehmungen am 2. und 3. August 2005 belastet hatte, wurde er Beschuldigter spätestens durch den Antrag der Staatsanwaltschaft auf ihre ermittlungsrichterliche Vernehmung, weil dieser auf die Sicherung der Aussage auch ihn betreffend gerichtet war. Ein Verdächtiger wird zum Beschuldigten, wenn die Ermittlungsbehörden faktisch Maßnahmen ergreifen , die erkennbar darauf abzielen, gegen ihn wegen einer Straftat vorzugehen (BGHR StPO § 55 Abs. 1 Verfolgung 3; BGH NJW 2003, 3142, 3143). Dass gegen den Angeklagten D. Ko. ebenfalls wegen der von der Geschädigten geschilderten Straftaten ermittelt werden sollte, ergibt sich zudem aus dem gegen den Angeklagten S. K. erlassenen Haftbefehl vom 3. August 2005, in dem der Angeklagte D. Ko. als anderweitig Verfolgter bezeichnet ist. Die Staatsanwaltschaft hätte daher auch auf die Benachrichtigung dieses Angeklagten hinwirken müssen.
24
Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Benachrichtigung nach § 168c Abs. 5 Satz 2 StPO lagen in Anbetracht der nach §§ 168e, 58a StPO getrennt durchgeführten Vernehmung fern und wurden von der Strafkammer infolgedessen nicht geprüft (hierzu BGH NJW 2003, 3142, 3144), zumal dann wiederum die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich geworden wäre.
25
3. Die Strafkammer ist zwar - auf der Grundlage von BGHSt 46, 93, 103 ff. - im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass der Tatnachweis voraussetzt , dass die Angaben der Geschädigten durch gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden. Sie legt diesbezüglich aber nicht die hier gebotenen strengen Maßstäbe an, so dass das Urteil sich im Ergebnis als rechtsfehlerhaft erweist.
26
Die Strafkammer hat eine fachkundige - für sich genommen rechtsfehlerfreie - Aussageanalyse vorgenommen. Schon hierbei wäre allerdings zu bedenken gewesen, dass gerade den Merkmalen, dass die Angaben "detailreich" und "in einen vielschichtigen Kontext eingebunden" sind, infolge des Fehlens einer kontradiktorischen Erörterung ein geringeres Gewicht zukommt (Senat, Urteil vom 25. Juli 2000 - 1 StR 169/00 - Umdr. S. 27 f., in BGHSt 46, 93 nicht abgedruckt

).

27
Die weiteren Beweismittel, die das Urteil zur Bestätigung der Aussage anführt, genügen hier im Hinblick darauf, dass die unterbliebene konfrontative Befragung der Justiz zuzurechnen ist, den sich daraus ergebenden besonderen Beweiswürdigungs- und Begründungsanforderungen nicht. Die Überzeugung der Kammer stützt sich wesentlich auf die "Entstehungsgeschichte" der Aussage , die Auseinandersetzung in der Trambahn und die ersten zeitnah erfolgten Äußerungen der Geschädigten; beides wird durch Zeugen- und Sachverständigenbeweis bestätigt. Was die Auseinandersetzung in der Trambahn anbelangt, so ließe sie sich jedoch auch mit einem vom Angeklagten - gleichfalls zeitnah - behaupteten Beziehungsstreit in Einklang bringen. Dies gilt umso mehr, als nach den Urteilsfeststellungen die Geschädigte selbst aussagte, sie habe etwa vor den Familienmitgliedern so getan, als habe sie eine Beziehung mit dem Angeklagten S. K. . Dass die Auseinandersetzung bei den beiden Fahrgästen nicht den "Eindruck eines Beziehungsstreits erweckte", ist indessen nicht ausreichend mit Tatsachen belegt und stellt ein bloßes Werturteil dieser Zeugen dar. Die ersten Äußerungen der Geschädigten gegenüber der Polizei sprechen zwar - als wichtiger Teil der Aussagegenese - für die Glaubhaftigkeit der Aussage; es handelt sich hierbei aber nicht um Gesichtspunkte, die außerhalb der Aussage liegen. Die auf eine Schwangerschaft der Geschädigten hindeutenden Umstände (Milchausfluss und Schmierblutungen) sind zudem nicht aussagekräftig bezüglich der Feststellung, dass der Geschlechtsverkehr nicht einvernehmlich stattfand.
28
Soweit sich die Überzeugung der Strafkammer darauf stützt, dass die Angaben der Geschädigten von Zeugen insofern bestätigt wurden, als sie von einer Fahrt des Angeklagten D. Ko. nach Polen im Juni 2005 sowie von ihrem Besuch in einer Gaststätte etwa am 25. Juli 2005 berichtete, fehlt es an einem hinreichenden Bezug zu den festgestellten Taten. Auch teilt das Urteil nicht mit, ob und wie sich die Angeklagten bei ihren polizeilichen Vernehmungen hierzu eingelassen hatten.
29
Augenzeugen, die Angaben zum Kerngeschehen machen konnten, standen dem Landgericht nicht zur Verfügung. Auch objektive Beweismittel, mit denen die von der Geschädigten geschilderten Taten bestätigt worden wären, waren nicht vorhanden (vgl. Senat aaO S. 28).
30
4. Auf dem Rechtsfehler beruht das angegriffene Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Ein Freispruch durch den Senat selbst kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil eine erneute Vernehmung der Geschädigten, die dem Fragerecht der Angeklagten nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK Rechnung trägt, nicht auszuschließen ist. Nack Wahl Boetticher Kolz Elf

(1) Wer einen anderen zu bestimmen versucht, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften, wird nach den Vorschriften über den Versuch des Verbrechens bestraft. Jedoch ist die Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern. § 23 Abs. 3 gilt entsprechend.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sich bereit erklärt, wer das Erbieten eines anderen annimmt oder wer mit einem anderen verabredet, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden,
c)
eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
2.
der Täter den Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet,
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 eine Waffe bei sich führt oder
3.
eine andere Person
a)
bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(1) Wer einen anderen zu bestimmen versucht, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften, wird nach den Vorschriften über den Versuch des Verbrechens bestraft. Jedoch ist die Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern. § 23 Abs. 3 gilt entsprechend.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sich bereit erklärt, wer das Erbieten eines anderen annimmt oder wer mit einem anderen verabredet, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

6
Sieht das Gesetz einen minder schweren Fall vor und ist - wie hier gemäß § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB - auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, muss bei der Strafrahmenwahl im Rahmen einer Gesamtwürdigung zunächst geprüft werden, ob die allgemeinen Milderungsgründe die Annahme eines minder schweren Falles tragen. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falles abzulehnen, sind in einem nächsten Schritt die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2016 – 1 StR 590/16 mwN; Senat, Beschluss vom 19. November 2013 – 2 StR 494/13, StV 2015, 549).
5
Sieht das Gesetz einen besonderen Strafrahmen für minder schwere Fälle vor und ist - wie hier gemäß § 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB - auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, so muss bei der Strafrahmenwahl zunächst geprüft werden, ob der Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt. Vermag die vorab vorzunehmende Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände die Annahme eines minder schweren Falles allein nicht zu tragen, so sind zusätzlich die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin die Anwendung des milderen Strafrahmens nicht für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrundes herabgesetzten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 27. April 2010 - 3 StR 106/10, juris Rn. 2, NStZ-RR 2010, 336 [LS]). Das Landgericht hätte demnach zunächst prüfen müssen, ob ein minder schwerer Fall des Totschlags nach § 213 Alternative 2 StGB vorlag. Hieran fehlt es.

(1) Wer einen anderen zu bestimmen versucht, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften, wird nach den Vorschriften über den Versuch des Verbrechens bestraft. Jedoch ist die Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern. § 23 Abs. 3 gilt entsprechend.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sich bereit erklärt, wer das Erbieten eines anderen annimmt oder wer mit einem anderen verabredet, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.