Bundesgerichtshof Urteil, 02. Feb. 2017 - 4 StR 423/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Februar 2017, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Bender, Dr. Feilcke als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –, Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung – als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Rechtsanwältin – in der Verhandlung – als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen der vorsätzlichen Körperverletzung in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung , der gefährlichen Körperverletzung in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Bedrohung, der Bedrohung und der Freiheitsberaubung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen die Freisprüche von den Tatvorwürfen zum Nachteil der Nebenklägerin (Fälle II.1 und II.3 bis II.10 der Urteilsgründe) wenden sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin – diese mit Ausnahme des Falles II.7 – jeweils mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
I.
- 2
- Mit der zugelassenen Anklage vom 23. Dezember 2014 hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten insgesamt neun Taten zum Nachteil der Nebenklägerin F. im Zeitraum zwischen September 2011 und September 2012 zur Last gelegt. Die Nebenklägerin und der Angeklagte waren im Tatzeitraum liiert. Das Landgericht vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass die von der Nebenklägerin bekundeten körperlichen Misshandlungen durch den Angeklagten und im Fall II.7 die Freiheitsberaubung stattgefunden haben. Es hat den Angeklagten, der verbale Auseinandersetzungen einschließlich Bedrohungen und Beleidigungen eingeräumt, die Tatvorwürfe aber bestritten hat, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
- 3
- Nach Auffassung des Landgerichts seien schon einige Angaben der Nebenklägerin , die in verschiedenen Vernehmungen sehr konstant mit verschiedenen Realkennzeichen ausgesagt habe, unschlüssig. Darüber hinaus sei ihr Verhalten, trotz der behaupteten Misshandlungen und ihrer Angst vor dem Angeklagten , immer wieder die Nähe des Angeklagten zu suchen, nicht nachvollziehbar. Zwar habe die Zeugin H. ihre Angaben in einigen Punkten bestätigt, die übrigen von ihr benannten Zeugen hätten aber weder eine der angeklagten Misshandlungen beobachtet noch konkrete Verletzungen an ihr wahrgenommen. Auch ihre Frauenärztin habe bei Untersuchungen der im fraglichen Zeitraum schwangeren Nebenklägerin keine Verletzungen festgestellt. Die schon nach der Aussage der Nebenklägerin bestehenden Zweifel hätten nach der gebotenen Gesamtwürdigung zum Freispruch geführt.
II.
- 4
- Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist auf die Tatvorwürfe zum Nachteil der Nebenklägerin beschränkt. Sie beantragt (§ 344 Abs. 1 StPO) zwar, das gesamte Urteil aufzuheben. Die Begründung greift jedoch den Freispruch hinsichtlich der Tat II.2 zum Nachteil der Zeugin H. nicht an, sondern nur die Beweiswürdigung in den übrigen Fällen. Fallen Revisionsantrag und -begründung auseinander, bestimmt sich der Anfechtungsumfang regelmäßig durch Auslegung der Revisionsbegründung (BGH, Urteile vom 2. Februar 2017 – 4 StR 481/16; vom 12. April 1989 – 3 StR 453/88, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; vgl. auch Nr. 156 Abs. 2 RiStBV).
- 5
- Die Auslegung der Revision der Nebenklägerin ergibt, dass sie auf den Freispruch vom Vorwurf der nebenklagefähigen Delikte beschränkt ist.
III.
- 6
- Die Revisionen haben Erfolg. Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 7
- 1. Für die revisionsgerichtliche Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung gelten folgende Maßstäbe:
- 8
- Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das vom Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Dem Tatrichter obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Fe- bruar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16 mwN). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, insofern nicht abgedruckt in BGHSt 52, 314). Aus den Urteilsgründen muss sich auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, insofern nicht abgedruckt in BGHSt 52, 314). Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind bei einem Freispruch nicht geringer als im Fall der Verurteilung (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2009 – 1 StR 479/08, NStZ 2009, 512, 513). Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2004 – 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238, 239). Der Tatrichter darf zudem keine überspannten Anforderungen an die für die Beurteilung erforder- liche Gewissheit stellen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. Juli 2016 – 1 StR 607/15).
- 9
- 2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Die Beweiswürdigung ist lückenhaft. Das Landgericht hat mit rechtsfehlerhaften Erwägungen überspannte Anforderungen an die für die Überzeugungsbildung erforderliche Gewissheit gestellt. Auch eine Gesamtwürdigung aller Beweistatsachen fehlt.
- 10
- a) Das Urteil enthält keine Feststellungen zur Person des Angeklagten. Solche Feststellungen sind zwar in erster Linie bei verurteilenden Erkenntnissen notwendig, um nachvollziehen zu können, dass der Tatrichter die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung (§ 46 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 StGB) ermittelt und berücksichtigt hat; aber auch bei freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen zumindest dann zu solchen Feststellungen verpflichtet, wenn diese zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind (BGH, Urteile vom 24. November 2016 – 4 StR 235/16, NStZ-RR 2017, 38, 39; vom 14. Februar 2008 – 4 StR 317/07, NStZ-RR 2008, 206, 207, jeweils mwN). So liegt es hier. Der Angeklagte verbüßte zum Urteilszeitpunkt eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren wegen gefährlicher Körperverletzung. Was für eine Straftat dieser Verurteilung zugrunde liegt und ob er darüber hinaus vorbestraft ist, wird im Urteil nicht mitgeteilt. Sollte der Angeklagte bereits einschlägig in Erscheinung getreten sein, könnte dies Aufschluss über die Täterpersönlichkeit geben und als Umstand in die Beweiswürdigung einzustellen sein.
- 11
- b) Zudem fehlt eine Darstellung derjenigen Tatsachen, die die Nebenklägerin in jenem anderen Verfahren zu Lasten des Angeklagten bekundet hat. Das Landgericht teilt zwar mit, dass jene Verurteilung des Angeklagten nicht auf der Aussage der Nebenklägerin beruht, lässt aber offen, ob die Nebenklägerin den Angeklagten dort falsch belastet hat. Auch die naheliegend zu erörternde Frage eines Falschbelastungsmotivs hat die Strafkammer nicht in den Blick genommen. Desgleichen hat sie weitere sich aufdrängende Fragen, wie diejenigen des Hintergrunds der Bedrohungen der Nebenklägerin durch die Familie des Angeklagten und ihrer Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm, nicht erörtert.
- 12
- c) Das Landgericht stellt die Schlüssigkeit der Aussage der Nebenklägerin mit nicht tragfähigen Erwägungen in Frage.
- 13
- Soweit das Landgericht Zweifel an der Aussage der Nebenklägerin hegt, weil diese trotz ihrer Angst und der Gewalttätigkeit des Angeklagten immer wieder zu diesem zurückgekehrt sei und auch nach dessen Verhaftung zunächst zu ihm gehalten habe, ist ein solches Verhalten von misshandelten Frauen keineswegs ungewöhnlich. Zu einem solchen nachvollziehbaren ambivalenten Verhalten könnte die Aussage der Zeugin M. passen, die angegeben hat, dass die Nebenklägerin geäußert habe, sie hoffe, der Angeklagte würde sich ändern (UA 31). Hinsichtlich des Umstandes, dass die Frauenärztin der Nebenklägerin bei einer Untersuchung zwölf Tage nach der letzten behaupteten Misshandlung keine Verletzungsspuren notiert hat, setzt sich das Landgericht nicht mit der Frage auseinander, inwieweit zu diesem Zeitpunkt augenfällige Verletzungsspuren noch zu erwarten gewesen wären. Dies gilt auch hinsichtlich des Tatvorwurfs Ziffer 8, bei dem die Untersuchung drei Tage nach dem Vorfall erfolgte. Nach dem Anklagevorwurf trat der Angeklagte nach der Nebenklägerin, als diese die Treppe hinauf ging. Inwieweit er sie traf und Verletzungen verursachte , lässt sich weder dem Anklagevorwurf noch den im Urteil mitgeteilten Aussagen der Nebenklägerin entnehmen.
- 14
- d) Auch fehlt entgegen der formelhaften Wendung (UA 32) die erforderliche Gesamtschau der Beweisergebnisse. Das Landgericht hat die Aussage der Nebenklägerin vor allem mit Blick auf die Umstände, die der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben entgegenstehen, ausführlich erörtert und überprüft, während es die für die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben sprechenden Gesichtspunkte, etwa die Aussage der Zeugin H. (UA 27) und das Auffinden von Patronen in der Wohnung des Angeklagten und eines Revolvers in der Nähe der Wohnung (UA 32) nur knapp würdigt und in die abschließende Gesamtwürdigung der für und gegen die Richtigkeit der Aussage der Nebenklägerin sprechenden Umstände nicht einbezieht. Das Landgericht sieht zwar, dass sich aus dem Auffinden eines Revolvers und von Patronen ein Indiz ergibt, meint aber, dass dies alleine nicht ausreiche, um die „überzeugenden“ Angaben der übrigen aus dem Umfeld des Angeklagten stammenden Zeugen und die Zweifel an der Aussage der Nebenklägerin zu beseitigen.
Bender Feilcke
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(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.